Das Jugend-Hilfswerk

Der Gesandte Magnan saß Retief gegenüber. Er setzte eine ernste Miene auf und wedelte ein Dokument hin und her.

„Dieses Hilfsprogramm wurde mir eben vom Kultur-Attache übergeben. Es befaßt sich mit der Unterstützung von Jugendgruppen.“

„Schöne Jugendliche! Durchschnittsalter fünfundsiebzig.“ Retief grinste.

„Die Fustianer sind eine langlebige Rasse“, entgegnete Ma- gnan unwillig. „Solche Angelegenheiten sind relativ. Mit fünfundsiebzig ist ein Fustianer im kritischen Alter.“

„Stimmt! Und da überlegt er sich nur, wie er andere in kritische Situationen bringen kann.“

„Genau!“ bestätigte Magnan. „Aber die Jugendbewegung ist eine große Neuheit hier auf Fust, und die Unterstützung von Jugendgruppen stellt einen klugen Schachzug des Terranischen Konsulats dar. Bisher hat jedes Botschaftsmitglied die Gelegenheit genützt, sich mit der Jugendgruppe, den Führern von morgen, auf guten Fuß zu stellen. Sie, Retief, der Botschaftsrat, sind die einzige Ausnahme.“

„Ich bin nicht davon überzeugt, daß ich den Halbstarken bei der Inszenierung ihrer Krawalle viel nützen könnte. Wenn Sie jedoch einen Pest-Verhinderungs-Ausschuß vorschlagen…“

„Für die Fustianer ist das kein Anlaß zu dummen Witzen“, unterbrach ihn Magnan gereizt. „Die Abteilung,Leibesübungen — Aufklärung — Kultur’, kurz LAK genannt, wartet seit Wochen auf Unterstützung.“

„Sie verlangen Geld für ein Klubhaus und Uniformen, damit sie stilgerecht Unheil anstiften können.“

„Wenn wir noch lange zögern kommt uns die croanische Botschaft zuvor. Sie ist hier sehr aktiv.“

„Ausgezeichnete Idee! In Kürze werden die Croanier pleite sein — und nicht wir.“

„Ich kann Sie nicht dazu zwingen, die Angelegenheit zu übernehmen. Jedoch.“ Er sprach nicht weiter.

„Ich dachte, Sie würden sich einmal positiv ausdrücken.“

„Halten Sie einen Diplomaten mit meiner Erfahrung für so naiv?“ lächelte Magnan.

„Die armen Fustianer. Die alten mag ich ja leiden. Nur schade, daß sie ’ne halbe Tonne Horn mit sich herumschleppen müssen. Vielleicht könnten fähige Chirurgen…“

„Lieber Himmel, Retief! Nicht einmal Ihnen hätte ich soviel Taktlosigkeit zugetraut. Wie können Sie von dieser heiklen Mißbildung sprechen?“

„Wer organisiert die Jugendgruppen?“ fragte Retief. „Hier auf Fust gibt es drei große Parteien. Wer steht hinter LAK?“

„Sie vergessen, daß wir es mit Teenagern zu tun haben. Politik bedeutet ihnen nichts — noch nicht.“

„Und was suchen die Croanier hier? Sonst interessieren sie sich nur für Geschäfte. Was kann Fust ihnen bieten?“

„Nichts. Fust befindet sich im Stahl-Zeitalter, und Croanie ist den Fustianern kaum voraus.“

„Kaum. Bis auf die Atombombe.“

Magnan schüttelte den Kopf und wandte sich seinen Papieren zu. „Sie sollten sich mit der Jugendbewegung befassen. Nichts sonst.“

„Sollte ich mich dazu entschließen, dann treffe ich die Kleinen nicht, ehe ich einen handlichen Schlagring habe.“

Retief verließ den flachen Bungalow, der die Terranische Botschaft beherbergte, nahm einen der rumpelnden Kästen, die als Taxis dienten, und lehnte sich gegen die harte Holzrückwand, als das Fahrzeug durch die Stadt und den am Horizont auftauchenden Schiffswerften entgegenrollte.

Es war ein kühler Morgen mit einer leichten Brise, die den Fischgeruch fustianischer Behausungen auf die breite Avenue wehte.

Einige erwachsene Fustianer stampften im Schatten der niedrigen Häuser einher. Sie schnauften hörbar unter der Last ihrer Rückenschilde.

Zwischen ihnen schritten stummelbeinige Junge ohne Panzer leicht dahin.

Der Fahrer, ein fustianischer Arbeiter, der sein Kastenzeichen auf dem Rücken trug, lenkte das schwerfällige Fahrzeug in das Tor der Werft.

„Und so habe ich mit beängstigender Geschwindigkeit die Werft erreicht. Ich kenne die Gewohnheiten der Nacktrücken. Sie sind immer in Eile.“

Retief stieg aus und reichte ihm eine Münze. „Sie sollten an Rennen teilnehmen“, sagte er. „Sie Todesfahrer!“

Retief ging über den unordentlichen Hof und klopfte an die Tür eines verfallenen Schuppens.

Innen knarrten Dielen, dann öffnete sich die Tür, und ein alter Fustianer mit einem verwitterten Rückenpanzer und fleckigen Gesichtsschuppen sah Retief forschend an.

„Mögest du lange schlafen“, sagte Retief. „Ich würde mich gern umsehen, wenn du nichts dagegen hast. Ihr legt heute ein neues Schiff auf Kiel?“

„Mögest du von den Tiefen träumen“, murmelte der Alte. Er winkte einigen ungepanzerten Fustianern, die an einem gewaltigen Kran standen. „Die Jungen verstehen mehr von Kielen als ich, der ich hier nur die Akten betreue.“

„Ich verstehe dich, Alter. Mir geht’s genauso“, sagte Retief mitfühlend. „Hast du hier Pläne des Schiffes? Es soll wohl ein Passagierschiff werden?“

Der Alte nickte. Er ging zu einem Karteikasten, zog eine Mappe mit Plänen heraus und legte sie auf den Tisch. Retief betrachtete die oberste Kopie und zeichnete mit dem Finger eine der Linien nach.

„Was hat der Nacktrücken hier zu suchen?“ rief eine tiefe Stimme hinter Retief. Er wandte sich um. Ein junger Fustianer, in einen Mantel eingehüllt, stand in der Tür. Mit seinen gelben Augen sah er Retief durchbohrend an.

„Ich wollte mir das neue Schiff ansehen“, sagte der Diplomat.

„Wir dulden hier keine neugierigen Ausländer.“ Sein Blick fiel auf die Pläne. „Mögen dich Alpträume heimsuchen, du Zittergreis! Weg mit den Plänen!“ schrie er den Alten an.

„Meine Schuld“, mischte sich Retief ein. „Ich wußte nicht, daß dies ein Geheimprojekt ist.“

Der Junge wackelte mit dem Kopf — ein Zeichen dafür, daß er unsicher war.

„Es ist nicht geheim. Wir haben nichts zu verbergen. Wir bauen ein Passagierschiff.“

„Na also! Dann darf ich mir doch die Pläne ansehen. Vielleicht möchte ich später mal mitreisen.“

Der Fustianer trabte davon. Retief wandte sich an den Alten. „Ich glaube, der holt seinen großen Bruder. Man läßt mich die Zeichnungen nicht in Ruhe ansehen. Darf ich Kopien anfertigen?“

„Gern, Leichtfüßiger. Und ich schäme mich wegen der Unhöflichkeit der Jugend.“

Retief nahm eine winzige Kamera aus der Tasche, wechselte die Optik aus und fotografierte die Pläne.

„Möge die Pest über die Jungen kommen!“ sagte der Alte. „Sie werden immer aufsässiger.“

„Warum wehrt ihr Alten euch nicht gegen sie?“

„Sie sind flink und wendig, wir sind langsam und träge. Und neu ist diese Unrast. Unbekannt in meiner Jugend war derartige Frechheit.“

„Die Polizei…“

„Pah! Es gibt hier nichts, was dieser Bezeichnung würdig wäre. Und niemals brauchten wir sie in früheren Tagen.“

„Was steckt dahinter?“

„Sie haben Führer, die sie aufhetzen, und sie planen Unheil.“ Er deutete nach draußen. „Sie kommen, und ein Weicher ist bei ihnen.“

Retief steckte die Kamera ein und sah aus dem Fenster. Ein blasser Croanier mit verziertem Helmbusch stand bei den Jugendlichen und sah zur Hütte herüber. Jetzt setzte sich die Gruppe in Bewegung.

„Das ist der Militärattache der croanischen Gesandtschaft“, erklärte Retief. „Möchte wissen, was die zusammen aushecken.“

„Nichts, was Fust zum Ruhme gereichen könnte“, seufzte der Alte „Fliehe, Leichtfuß, während ich ihre Aufmerksamkeit ablenke.“

„Ich wollte gerade gehen. Und vielen Dank! Wo soll ich hin?“

„Durch die Hintertür. Möge es dir wohlergehen an diesen Gestaden, Fremder!“ Er ging auf die Vordertür zu. „Danke, gleichfalls, Alterchen!“ Retief wartete hinter der Hütte, bis erregte Stimmen im Innern laut wurden, dann schlenderte er zum Tor.

* * *

Zur ersten Stunde des zweiten Dunkels in der dritten Periode verließ Retief die technische Abteilung der Bibliothek und ging in sein Büro. Er fand eine Notiz unter dem Briefbeschwerer.

„Retief, ich erwarte Sie zum LAK-Dinner im zweiten Dunkel der vierten Periode. Eine kurze, aber wie ich hoffe eindrucksvolle Feier des Jugendhilfswerkes wird der Presse Gelegenheit geben, sich über unser Wirken zu informieren. Ich konnte diesen Empfang veranlassen, obgleich ich nicht die mindeste Unterstützung von Ihnen hatte.“

Retief schaute auf die Uhr. Nur noch drei Stunden. Wenn er sich beeilte, konnte er im fustianischen Schneckentempo nach Hause fahren, sich in Schale werfen und zurückkriechen.

Draußen bestieg er einen Bus und sah der gelben Sonne Beta beim Aufgehen zu. Die Flut hatte jetzt ihren Höhepunkt erreicht, und eine steife, salzhaltige Brise wehte vom nahen Strand her. Retief schlug seinen Kragen gegen die Feuchtigkeit hoch. In einer halben Stunde würde er in den senkrechten Strahlen der ersten Sonne schwitzen, aber dieser Gedanke hielt ihn nicht wärmer.

Zwei Jugendliche bestiegen die Plattform und gingen auf Retief zu. Er zog sich zum Geländer zurück und beobachtete sie.

„Jetzt seid ihr nahe genug! Es ist genügend Platz für alle hier — kein Grund, zu drängeln.“

„Wir interessieren uns für gewisse Filme“, sagte der eine Junge, dessen Stimme erstaunlich tief klang. Retief schloß daraus, daß er im Stimmbruch war.

„Ich habe euch schon mal gesagt, drängelt nicht!“ Retiefs Stimme klang energisch.

Die beiden traten näher; ihre Mundschlitze waren vor Zorn verzerrt. Retief stellte dem mit der tiefen Stimme ein Bein und warf sich gegen die plumpe Brust, als sein Gegner schwer auf den Boden des Fahrzeuges schlug. Dann sprang der Diplomat ab, noch ehe der zweite ihn hatte angreifen können. Er war mit einem Satz auf einem anderen Fahrzeug und beobachtete, wie ihm die beiden Fustianer mit verdrehten Köpfen nachsahen, nachdem auch sie das Fahrzeug verlassen hatten.

Den Film wollten sie also. Nun, sie kamen zu spät, denn er hatte ihn bereits kopiert und sowohl im Tresor des DCT als auch in der technischen Bibliothek hinterlegt. Seine Vergleiche hatten deutlich gemacht, daß dieses „Passagierschiff“ dem zweihundert Jahre alten Schlachtkreuzer Mark XXXV nachgebildet war.

Wie hatten die Jugendlichen aber von dem Film erfahren? Der Alte hatte ihnen bestimmt nichts davon gesagt. Jedenfalls nicht freiwillig.

Nach dieser Überlegung sprang Retief ab und wandte sich der Werft zu.

* * *

Die Tür war aus den Angeln gerissen und dann an den Rahmen gelehnt worden. Retief schaute durch den Spalt auf das Durcheinander im Innern der Hütte. Der Alte hatte sich gewehrt.

Hinter dem Gebäude sah er tiefe Schleifspuren. Sie führten zu der Stahltür eines Lagerschuppens.

Retief blickte sich um. Jetzt, zur mittleren Stunde der vierten Periode, drängten sich die Arbeiter am Rande des Erfrischungsteiches und machten Siesta. Der Diplomat nahm ein Werkzeug mit zahlreichen Klingen aus seiner Tasche und versuchte sich an dem Schloß. Ein Klicken, und es öffnete sich. Er drückte die Tür nur einen Spalt auf, so daß er gerade hineinschlüpfen konnte.

Vor einem Stapel von Säcken war der Staub weggefegt. Retief kletterte hinauf und sah den Alten in einem Loch des Stapels liegen. Sein Kopf war mit einem dicken Sack umwunden.

Als Retief den Alten befreit und auf die Füße gestellt hatte, entschuldigte er sich: „Tut mir leid, daß ich dich in Schwierigkeiten gebracht habe.“

„Ich fluche der Wiege, die ihren Schlummer schützte, verdammte Brut!“ knurrte der Alte.

„Jetzt muß ich zusehen, wie ich dich hier rausbringe.“

„Das wäre dein Tod.“

„Sie würden doch nicht so weit gehen?“

„Schau dir das an!“ Der Alte beugte seinen Nacken, und Retief sah eine breite Wunde, an der verkrustetes Blut klebte.

„Wäre mein Fell nicht so dick, sie hätten mich umgebracht. Jetzt sind sie fort und holen Waffen.“

„Ich dachte, Waffen seien verboten!“

„Der Weiche besorgt sie ihnen.“

„Schon wieder der Croanier!“ Retief wollte sich zum Gehen wenden, aber plötzlich stieg ihm ein eigenartiger Geruch in die Nase. Er beugte sich zu einem eingetrockneten Fleck auf dem Boden nieder und roch daran. „Was hat hier gelagert?“ fragte er den Alten.

„Kübel — vier kleine Kübel, bemalt mit teuflischem Grün. Eigentum des Weichen, des Croaniers. Sie lagen hier einen Tag und eine Nacht. In der Dunkelheit der ersten Periode kamen sie mit Stauern und verluden sie auf den Leichter,Moosfels’.“

„Das Vergnügungsboot für einflußreiche Persönlichkeiten. Wer benutzt es?“

„Ich weiß nicht. — Mich interessieren die Jugendlichen mehr.“

„Diese Sache ist wichtiger. Ich kenne nur einen Stoff, der in Kübeln transportiert wird und so riecht wie der Fleck hier. Und das ist Titanit, ein Explosivstoff, der gefährlicher ist als ein Uranbrenner.“

* * *

Beta ging bereits unter, als Retief und der alte Whonk am Schilderhaus neben der Laufplanke ankamen, die zu der Raumjacht „Moosfels“ führte.

„Ein Zeichen der heutigen Zeit“, sagte Whonk und schaute in das Schilderhaus. „Ein Posten sollte hier stehen, ist aber nicht da. Wahrscheinlich verkroch er sich, um zu schlafen.“

Sie betraten das Raumschiff.

Eine Holzkiste stand auf dem Boden, daneben lagen der Deckel und ein Brecheisen. Dieser Anblick störte die gepflegte Atmosphäre der Jacht.

Whonk durchsuchte die Kiste und brachte einen fleckigen Fustianer-Mantel in Orange und Grün, ein Metallarmband und ein Bündel Papiere zum Vorschein.

„Wer trägt diese Farben?“ fragte Retief.

„Ich weiß es nicht. Aber das Armband ist graviert.“

„LAK“, entzifferte Retief. „Schnell zur Botschaft!“ sagte er und stürmte hinunter zur Luftschleuse.

Er hörte ein Geräusch, fuhr herum und konnte sich noch rechtzeitig ducken. Ein junger Fustianer preschte an ihm vorüber, flog auf Whonk zu und landete in dessen ausgebreiteten Armen.

„Gut gefangen, Whonk! Wo kam der her?“

„Der Lümmel hatte sich hinter der Vorratskiste versteckt“, brummte der Alte. Der Jugendliche trommelte mit den Fäusten gegen Whonks Panzer.

„Festhalten!“

„Keine Angst! Ich bin zwar ungeschickt, aber kein Schwächling.“

„Frag ihn, wo das Titanit versteckt ist!“

„Sprich, Raupe, ehe wir zwei Teile aus dir machen!“

Der Jugendliche brummte etwas Unverständliches. Whonk hob ihn hoch und warf ihn zu Boden.

„Er war dabei, als Slock und seine Banditen mich töten wollten.“

„Und mich hat er nach Filmen gefragt.“

Der Junge strampelte sich frei, und Retief trat auf den Saum seines Mantels. Die Nähte rissen, und der Fustianer stand unbekleidet da.

„Beim großen Ei!“ schrie Whonk und drückte den Gefangenen, der sich aufrichten wollte, wieder zu Boden. „Das ist kein Jugendlicher. Man hat seinen Panzer entfernt.“

„Ich fand gleich, daß er ein wenig alt aussieht. Aber ich dachte…“

„Unmöglich!“ Whonk schaute verblüfft drein. „Die großen Nervenstränge müßten durchtrennt werden. Der beste Chirurg könnte eine solche Operation nicht mit Erfolg durchführen.“

„Jemand hat es geschafft. Nehmen wir den Burschen mit. Wir müssen uns absetzen, ehe seine Verbündeten kommen.“

„Zu spät!“

Retief wandte sich um und sah drei Jugendliche in der Luftschleuse.

„Greif sie an, Whonk! Ich lenke sie ab.“ Retief lief in die Kabine zurück, holte das Brecheisen und stürzte sich auf die Kämpfenden.

Whonk hatte sich mit einem schrillen Schrei auf die Jugendlichen gestürzt. Sie zogen sich zurück. Einer stürzte und fiel aufs Gesicht. Retief wirbelte das Brecheisen durch die Luft, das er diesem Fustianer eben zwischen die Beine geschleudert hatte, und ließ es auf den Kopf eines anderen niedersausen. Der schüttelte sich und hechtete dann auf Retief zu. Aber Whonk fing ihn im Sprung ab und schmetterte ihn zu Boden. Inzwischen tupfte Retief mit seinem Brecheisen auf einen weiteren Kopf und streckte seinen Gegner mit dem dritten Schlag auf das Pflaster.

Zwei der Fustianer wandten sich zur Flucht — angeschlagen, aber noch sicher auf den Beinen.

„Die reinsten Dickköpfe, diese Jungen!“ keuchte Retief. „Ich weiß zwar nicht, wen die Croanier in die Luft jagen wollten, aber ich vermute, daß eine einflußreiche Persönlichkeit eine Raumfahrt unternehmen sollte. Und drei Kübel Titanit reichen aus. um den Kahn hier und jede Maus an Bord zu pulverisieren.“

„Der Plan ist vereitelt. Aber was war der Grund?“

„Die Croanier stecken dahinter. Ich kann mir denken, wo der Drahtzieher zu suchen ist.“

* * *

Der niedrige Festsaal war überfüllt. Retief suchte nach den bleichen Gesichtern der Terraner, die neben den panzerbewehrten Fustianern wie Zwerge wirkten. Magnan winkte, und Retief wand sich zu ihm durch.

„Welche Ehre, daß Sie überhaupt noch erscheinen“, sagte Magnan eisig und stellte Retief dann dem Fustianer vor, der neben ihm saß. „Da nun unser lieber Retief eingetroffen ist, wollen wir mit der Feier beginnen, Herr Minister.“

Sein Blick fiel auf einen Jugendlichen, der eben eintrat. „Ah, da kommt ja auch unser Ehrengast. Slop, glaube ich, heißt er.“

„Slock“, verbesserte Retief.

Magnan stand auf und klopfte an sein Glas. Einige Fustianer verzogen die Gesichter. Magnan klopfte lauter. Der fustianische Minister neben ihm zog den Kopf ein und schloß die Augen. Verschiedene Gäste erhoben sich und verließen den Saal. Für ihre Ohren war das Geräusch, das Magnan hervorrief, eine unerträgliche Pein.

Der Diplomat klopfte noch lauter, um das empörte Gemurmel der Fustianer zu übertönen. Das Glas zerbrach, und grüner Wein floß auf den Tisch.

„Im Namen des großen Eis!“ fluchte der Minister, blinzelte und rang nach Luft.

„Entschuldigen Sie!“ platzte Magnan heraus und tupfte den Wein mit seiner Serviette auf.

„Schade, daß Ihr Glas zerbrach“, grinste Retief. „In wenigen Minuten hätten Sie alle Fustianer vertrieben Und dann hätte ich dem Minister vielleicht sagen können, was er wissen muß. Herr Minister…“

„Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit!“ schrie Magnan in den Saal. „Unser geschätzter Ehrengast ist soeben angekommen. Und hier neben mir steht Mr Retief, der das Glück und die Ehre zu schätzen weiß, diese Jugendbewegung betreuen zu dürfen.“

„Noch nicht, Mr. Magnan“, flüsterte Retief beschwörend. „Ich möchte einen dramatischen Auftritt haben.“

„Endlich spielen Sie mit!“ stöhnte Magnan erleichtert.

Im selben Augenblick kam ein alter Fustianer auf den Ehrengast zu, und Magnan verstummte. Der Alte stand hinter dem Ehrengast, der ihn noch nicht bemerkt hatte, weil er in die Menge der Versammelten stierte.

Jetzt schlängelte sich Retief durch die Reihen und trat an den jungen Fustianer heran. Slock sah ihn an und wich zurück.

„Du kennst mich, Slock“. sagte Retief so laut, daß ihn alle verstehen konnten. „Der alte Whonk erzählte dir von mir, kurz bevor du versuchtest, ihm den Kopf abzusägen. Du erinnerst dich? Ich war gekommen, um mir euer Schlachtschiff anzusehen.“

Mit einem Aufschrei griff Slock nach Retief. Aber der Schrei wurde erstickt, als Whonk den Jungen von hinten packte und hochhob.

„Ich freue mich, daß Sie, meine Herren von der Presse, das miterleben!“ rief Retief den Reportern zu. „Slock hatte ein Abkommen mit einem Vertreter der croanischen Botschaft. Die Croanier wollten die nötigen,Metallwaren’ liefern, Slock als Vorarbeiter der Werft sollte dafür sorgen, daß sie richtig eingebaut wurden. Und dann sollte wahrscheinlich ein Aufstand an gezettelt werden, dem ein kleiner interplanetarischer Krieg auf Flamenco oder einer der anderen Welten hier in der Nähe gefolgt wäre — für den die Croanier selbstverständlich wiederum die nötigen Waffen geliefert hätten.“

Magnan faßte sich. „Sind Sie wahnsinnig, Retief?“ schrie er. „Die Gruppe LAK wurde vom Jugendministerium gefördert.“

„Dieses Ministerium ist längst reif für eine Säuberungsaktion“, antwortete Retief. Er wandte sich wieder an Slock. „Wußtest du von dem Anschlag, der für heute geplant war? Wenn die,Moosfels’ in die Luft geflogen wäre, hätte man zahlreiche Hinweise mit dem LAK-Zeichen gefunden. Also wären die Terra- ner für den Zwischenfall verantwortlich gemacht worden.“

„Die,Moosfels’?“ fragte Magnan ungläubig. „Aber mit der sollten doch Mitglieder der LAK starten. Idiotisch!“

Slock brüllte und bäumte sich auf. Whonk taumelte. Sein Griff lockerte sich, und Slock entkam ihm. Er kämpfte sich durch die Reihen der alten Fustianer, und Magnan starrte ihm nach, den Mund weit geöffnet.

„Die Croanier spielten ein doppeltes Spiel. Sie wollten ihre Mitwisser los sein und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“

„Stehen Sie nicht untätig herum, tun Sie was!“ keifte Ma- gnan mit sich überschlagender Stimme. „Wenn Slock der Anführer ist, muß er zur Rechenschaft gezogen werden.“

Er wollte sich in die Menge stürzen, aber Retief, der sich bis zu ihm durchgeschlängelt hatte, hielt ihn zurück. „Da unten wären Sie verloren wie ein Hase im Kessel der Treiber. Wo ist das Telefon?“

Zehn Minuten später hatte sich die Menge etwas verlaufen. „Wir können jetzt durch!“ rief Whonk. „Hier entlang!“ Er bahnte den Weg, und Retief folgte ihm mit Magnan. Aufflammende Blitzlichter kennzeichneten ihren Weg.

In der Halle telefonierte Retief, bekam aber keine Verbindung. „Nehmen wir ein Taxi!“

Die Sonne Alpha blinzelte wie eine entfernte Bogenlampe durch eine niedrige Wolkenschicht.

Die drei bestiegen ein flaches Taxi, und Whonk kauerte sich auf den Boden. „Wenn ich doch auch die Last des Panzers loswerden könnte, so wie der falsche Jugendliche am,Moosfels’. Mit dieser Bürde muß ich mich bald pensionieren lassen, und das sind keine guten Aussichten für meine nächsten tausend Jahre.“

„Ihr beide fahrt zum Polizeirevier“, sagte Retief. „Ich möchte meiner Spürnase nachgehen. Aber haltet euch nicht auf; ich könnte richtiger liegen, als mir lieb ist.“

„Was…?“ staunte Magnan.

„Wie du wünschst, Retief’, entgegnete Whonk.

Das Taxi holperte am Tor der Werft vorbei, und Retief sprang ab. Im Laufschritt eilte er auf die Raumjacht zu. Das Schilderhaus war noch immer leer. Die beiden Jugendlichen, die er und Whonk gefesselt liegengelassen hatten, waren fort.

Retief betrat die Jacht durch die Luftschleuse und versteckte sich hinter der Vorratskiste. Von hier aus konnte er durch die Luke zum Tor sehen.

Alpha stieg höher und sandte grellweiße Strahlen herab, die nicht wärmten. Retief fröstelte.

Plötzlich hörte er vom Eingang her ein Geräusch, als prallten zwei Elefanten aufeinander. Er hob vorsichtig den Kopf und sah, daß sein hünenhafter Freund Whonk mit einem Widersacher rang. Eine andere Gestalt wollte sich durch das Werfttor drücken, wurde von dem Riesen zurückgeworfen, wandte sich um und flüchtete in entgegengesetzter Richtung.

Retief wartete, bis der Croanier auf seiner Höhe war, sprang aus dem Raumschiff und griff ihn sich.

„Nun, Yith, was macht die Verschwörung?“

„Lassen Sie mich los, Retief! Die beiden wollen mich erledigen. Ich appelliere an Sie als Kollege im diplomatischen Dienst, als Mitgeschöpf und als Nacktrücken.“

„Warum appellieren Sie nicht an Slock als Mitverschwörer? — Halten Sie jetzt den Mund! Vielleicht überleben Sie dann diese Angelegenheit.“

Der schwerere Fustianer warf den anderen zu Boden.

„Whonk steht noch“, stellte Retief befriedigt fest. „Möchte wissen, wen er da erwischt hat — und warum.“

Whonk kam auf den Raumer zu. Retief drückte Yith hinter die Vorratskiste. „Rühren Sie sich nicht von der Stelle! Ich hole Sie doch ein. Ich will sehen, was ich für Sie tun kann.“

Der hünenhafte Fustianer schleifte seinen Gefangenen bis zum Boot, und der Diplomat kletterte aus der Schleuse. „Sie hatten eine Ahnung — ich auch, Retief. Der Kerl hier kam mir komisch vor. Ich legte ihn um, und — es ist Slock, der sich einen Rückenpanzer umgeschnallt hat. Jetzt wird manches klar.“

„Also sind nicht alle Jugendlichen so jung, wie sie scheinen. Jemand hat euch anderen Fustianern etwas vorenthalten.“

„Der Weiche!“ Whonk blickte grimmig drein. „Du hast ihn erwischt. Her mit ihm!“

„Hör zu, Whonk…“

„Keine Ausflüchte, ich muß mich rächen“, unterbrach ihn der Fustianer. „So schreibt es unser Ehrenkodex vor.“

„Und wenn Yith sich nun verpflichten würde, croanische Chirurgen herzuschicken, die euch Ältere von den Panzern befreien?“

Yith kam aus dem Einstieg des Raumers. „Ich schwöre es. Unsere besten Chirurgen werden kommen und ihre neuesten Instrumente mitbringen.“

„Aber meine Ehre!“ brummte Whonk. „Vielleicht begnüge ich mich mit einem Auge. Dann hat er immer noch vier.“

„Alle alten Fustianer werden es dir danken, Whonk, wenn du auf die Rache verzichtest“, prophezeite Retief.

„Hm!“

„Also abgemacht“, sagte Retief. „Wir haben Ihr Wort als Diplomat, Yith. Croanische Chirurgie wird ein Exportartikel sein, der Ihre Rasse berühmt und beliebt macht. Sie können in Zukunft auf Waffenhandel verzichten.“

Der gefangene Fustianer mit dem geborgten Rückenpanzer richtete sich auf und stürmte zum Eingang der Raumjacht „Moosfels“. Whonk folgte ihm.

„Bleib hier, Whonk! Die Jacht kann jeden Augenblick in die Luft fliegen.“

„Slock wenigstens soll meine Rache spüren.“

Minuten später kam Whonk wieder aus dem Raumboot — allein. „Schnell fort von hier!“ keuchte er. „Die Antriebsstrahlen wirken im Umkreis von fünfzig Metern tödlich.“

„Soll das heißen…“

„Der Kurs ist auf Croanie eingestellt. Möge Slock lange schlafen.“

* * *

Magnan runzelte die Brauen. „Dieser Grobian Hulk oder Whelk…“

„Whorik“, half Retief ihm.

„. band mich mit meinem eigenen Umhang zu einem Bündel und warf mich auf die Straße. Ich werde diese Beleidigung dem Minister gegenüber erwähnen.“

„Ist das Abkommen wegen chirurgischer Hilfe abgeschlossen?“

„Ein großzügiges Angebot. Ich glaube, wir haben die Croanier falsch eingeschätzt.“

„Yith kann von Glück sagen, daß er kein Blut vergossen hat. Sonst hätte ihm alles Schachern nichts genützt.“

„Die Zerstörung der Repräsentationsjacht muß natürlich in einer energischen Note angeprangert werden. Ebenso der Tod des Jugendlichen Slop.“

„Die Jacht hatte Kurs auf Croanie genommen und war schon in der Kreisbahn, als sie explodierte. Ich glaube, die Trümmerstücke, die auf den Planeten herunterregnen werden, sind eine eindrucksvollere Mahnung an die Croanier als eine diplomatische Note. Sie werden ihre Tentakeln von Fust lassen. Je weniger geschrieben wird, um so weniger kann mißverstanden werden.“

„Bravo, Retief!“ lobte Magnan. „Ich glaube, wir machen doch noch einen Diplomaten aus Ihnen.“

„Möglich“, lächelte Retief. „Aber ich nehme mir das nicht allzusehr zu Herzen.“

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