Palastrevolution

Botschafter Crodfoller schürzte seine Lippen und wartete, bis Magnan und Konsul Retief in der Runde der Diplomaten Terras Platz genommen hatten.

„Nun noch eine Mahnung zur Vorsicht, meine Herren. Es ist für Sie äußerst wichtig, sich jederzeit mit der Nenni-Kaste zu identifizieren. Die geringste Annäherung an niedrigere Ebenen kann unser Vorhaben vereiteln.

Folgen Sie mir bitte; der Herrscher kann jeden Augenblick erscheinen.“

Magnan ging neben Retief, als die Diplomaten zum Salon schritten. „Diese Mahnung galt hauptsächlich Ihnen, Retief. Sie sind ein notorischer Außenseiter in diesem Punkt. Auch ich habe zwar demokratische Grundsätze, aber.“

„Finden Sie nicht, daß hier vieles vorgeht, von dem wir nichts ahnen?“

„Selbstverständlich. Das weiß auch der Botschafter. Aber was die Nenni nicht interessiert, geht uns nichts an.“

„Außerdem glaube ich, daß die Nenni nicht sehr gescheit sind…“

„Denken Sie an die Warnung des Botschafters!“

Ein Diener mit einem Tablett kam an den Diplomaten vorbei. Er zitterte, das Tablett kam ins Schwanken, und ein Glas fiel zu Boden. Magnan sprang zurück und klopfte seine purpurroten Hosenbeine ab.

Retief packte zu und hielt das Tablett fest. Dann nahm er ein Glas. „Da Sie gerade hier vorbeikommen, nehme ich mir eins. Nichts passiert. Mr. Magnan macht sich nur für den großen Ball weich.“

Ein Nenni-Zeremonienmeister erschien und rieb höflich die Hände. „Ist etwas geschehen?“

„Der tolpatschige Idiot!“ rief Magnan. „Wie kann er es wagen…“

„Sie sind ein guter Schauspieler“, unterbrach ihn Retief. „Wenn ich Ihre demokratischen Grundsätze nicht kennen würde, könnte ich glauben, Sie seien böse.“

„Hat der Kerl Unwillen erregt?“ fragte der Zeremonienmeister.

Der Diener schlich mit eingezogenem Kopf davon.

„Ich ließ mein Glas fallen“, antwortete Retief, „und Mr. Ma- gnan erregte sich darüber, weil er es nicht gern sieht, wenn Alkohol verschüttet wird.“

Retief wandte sich um und fand sich Auge in Auge mit Botschafter Crodfoller.

„Ich habe Sie beobachtet. Das Schicksal war uns gnädig, daß der Herrscher und sein Gefolge noch nicht da sind.

Aber die Diener haben es gesehen, und das genügt. Ein weniger nennihaftes Verhalten kann ich mir gar nicht vorstellen!“

Retief setzte eine Miene größten Interesses auf. „Nicht nen- nihaft? Ich verstehe nicht.“

„Sie sind bekannt wie ein bunter Hund. Ihre Akten sprechen Bände. Ich habe über Ihre Schnitzer gelesen. Aber mit mir spielen Sie nicht. Ich dulde keine Aufsässigkeit.“ Er wandte sich um und segelte davon. „Ah, hier kommt seine Majestät.“

Retief beobachtete die Träger mit ihren Tabletts. Eine Trinkpause trat ein, während sich die Diplomaten um den Herrscher und seine Höflinge scharten.

Der Diplomat trat zum Dienereingang und kam in einen langgestreckten, hellen Raum, den Küchendünste füllten. Die Blicke schweigsamer Diener folgten ihm, als er die Küchentür öffnete und dahinter verschwand.

Über ein Dutzend Petreacaner, offensichtlich Angehörige einer niederen Kaste, standen um einen Tisch in der Mitte des Raumes und sahen erschrocken auf. Ein Stapel von Messern lag auf diesem Tisch, und einige der Petreacaner trugen schon Messer in den Gürteln, andere hielten sie noch in den Händen.

Mit einem Blick erfaßte Retief die Situation, wandte sich dann einem Regal zu, nahm eine grüne Flasche herunter und pfiff arglos vor sich hin, als er den Rückweg antrat. In der Tür prallte er auf Magnan.

„Das dachte ich mir. Jetzt will ich Ihnen mal was sagen.“ Magnan sah die blitzenden Klingen und verstummte. „Was — was geht hier vor?“ stammelte er endlich verstört.

„Kommen Sie!“ Retief drehte ihn an der Schulter um und wollte ihn hinausführen.

„Schließen Sie die Tür und verhalten Sie sich ruhig!“ befahl ein dicker Koch, der ein langes Brotmesser in der Hand hielt.

„L-los, wir r-rennen!“ stotterte Magnan.

Aber Retief hielt ihn fest, schloß die Tür und hob die Hände, Handflächen nach außen. „Ich renne nicht gut mit einem Messer im Rücken. Stehen Sie ganz still, Mr. Magnan, und gehorchen Sie ihm.“

„Bringt sie zum Hinterausgang!“ sagte der Dicke.

Retief und Magnan wurden aus dem Palast geführt und standen im Schimmer des Sternenlichtes. Eine leichte Brise bewegte die Wipfel jenseits des Gartens.

„Du gehst mit, Uly“, sagte der Koch.

„Tut es hier“, mischte sich ein anderer ein.

„Wollt ihr sie runtertragen? In den Fluß, habe ich gesagt!

Drei von euch sind ’ne Menge für zwei Nenni-Schwächlinge.“

„Sie sind Ausländer, keine Nenni.“

„Nenni-Ausländer. — Beeilt euch! Ich brauche hier jeden Mann.“

Retief spürte, daß ihm jemand eine Messerspitze gegen den Rücken drückte, und ging. Magnan drängte sich enger an ihn. „Der Bursche da vorn — ist das nicht der, dem Sie vorhin aus der Klemme geholfen haben?“

„Genau! Und jetzt scheint er überhaupt nicht nervös.“

Der Mann, von dem sie sprachen, wartete, bis sie herankamen, und blieb dann neben ihnen.

„Die zwei da hinten haben Angst vor euch.“ Er deutete mit dem Messer auf die Nachfolgenden. „Sie haben nicht lange genug für Nenni gearbeitet wie ich.“

„Worum geht’s eigentlich?“ fragte Retief.

„Wir schneiden allen Nenni die Kehlen durch. Und den Ausländern auch.“

„Wir?“

„Der Volksbefreiungsbund.“

„Und wann soll das stattfinden?“

„Im Morgengrauen. Zu dieser Jahreszeit dämmert es sehr früh. Bei Tagesanbruch herrscht der VBB.“

„Dieses Blutbad bringt euch gar nichts“, tadelte Magnan. „Ich werde dafür sorgen, daß die unterdrückten Arbeiter Erleichterungen erhalten. Gleiches Recht für alle.“

„Mit Drohungen kommen Sie nicht weiter.“

„Drohungen? Ich verspreche bessere Lebensbedingungen für die ausgebeuteten Klassen.“

„Sie sind verrückt! Warum sollten wir auf Petreac herrschen, wenn es keine Beute gibt?“

„Ihr wollt das Volk unterdrücken? Aber das ist doch eure eigene Gruppe!“

„Gruppe, schnuppe! Wir tragen das Risiko, und wir werden absahnen.“

„Wer ist der Anführer?“

„Zorn. — Vorsicht, die Böschung ist glitschig.“

„Hören Sie!“ Magnan wurde eindringlich. „Dieser Mann hat Ihnen geholfen. Wollen Sie sich nicht dankbar erweisen?“

„Klar, gib mir dein Messer, Vug.“

Es roch nach Schlamm und Seetang, und kleine Wellen klatschten gegen die Mauer, auf der Magnan, Retief und ihre Wächter jetzt standen.

„Ich mache es Ihnen so gut wie schmerzlos. Ich kenne da einen ausgezeichneten Trick. Wer kommt zuerst dran?“

„Was soll das heißen? Sie sind diesem Herrn zu Dank verpflichtet!“ Magnan heulte fast.

„Eben, deshalb mache ich es ja selbst. Ich bin Fachmann. Das da sind Amateure.“ Er deutete auf die beiden anderen.

Retief schob Magnan zur Seite. „Ich bin zuerst dran“, sagte er, fuhr dann herum und landete eine rechte Gerade auf Ulys Mund.

Die lange Klinge streifte Retiefs Schulter, als Uly fiel, richtete aber keinen Schaden an. Retief packte den jetzt unbewaffneten Vug an der Kehle und am Gürtel und schlug ihn gegen den dritten. Beide schrien auf, als sie von der Mauer ins Wasser stürzten. Retief nahm Uly den Gürtel ab und fesselte ihm damit die Hände.

Magnan fand wieder Worte: „Wir — Sie — die…“

„Ich weiß!“

„Zurück! Wir müssen die anderen warnen!“

„Wir kämen nicht durch. Und wenn, würde das Blutbad nur früher beginnen.“

„Aber wir müssen doch.“

„… zum Haupt dieser Revolte vordringen — zu Zorn.“

Uly stöhnte und richtete sich auf. „Mir ist schlecht.“

„Das macht die feuchte Luft. Wo wohnt Zorn, wenn er in der Stadt ist?“

„Wo ist Vug…?“

„Im Wasser. Nimmt ein Bad.“

Uly starrte hinunter auf die wogende dunkle Fläche. „Ich habe euch Nenni falsch eingeschätzt.“

„Gehen wir, ehe Vug und Slug an Land kommen.“

„Kein Grund zur Eile.“ Uly spuckte aus. „Sie können nicht schwimmen.“ Er winkte zum Wasser hinunter. „Mach’s gut, Slug, mach’s gut, Toscin.“

Dann wandte er sich um. „Ich bringe euch zu Zorn. Ich kann auch nicht schwimmen.“

* * *

„Das Kasino ist bestimmt nur eine Fassade für seine politische Wühlarbeit.“ Retief deutete auf einen dunklen Schuppen, dessen Tür offenstand. „Wir nehmen da drin das Lametta ab.“

Uly stand da, die Hände auf dem Rücken gefesselt, und sah zu, wie die beiden Diplomaten Orden, Ehrenzeichen, Bänder und Rangabzeichen vom „großen Abendanzug“ nahmen — wie er für den Empfang Vorschrift gewesen war.

„Der Weg zum Kasino?“ fragte Retief, und Uly erklärte es ihm.

„Hinlegen!“ befahl der Diplomat dann. „Bitte, Ihren Gürtel, Magnan!“

„Vug und Toscin werden sich freuen, mich zu sehen. Aber meine Geschichte werden sie nicht glauben.“

Retief band Ulys Füße zusammen und steckte ihm einen Knebel in den Mund.

„Sie sollten ihm die Kehle durchschneiden“, sagte Magnan.

„Das ist aber gar nicht nennihaft“, tadelte Retief. „Sollten wir jedoch das Kasino nicht finden, weil Uly gelogen hat, dann komme ich zurück.“

Als Uly sich hierauf nicht rührte, ging Retief voraus, und Magnan folgte ihm.

Vor dem Kasino hielt er den Jüngeren am Ärmel zurück. „Sollten wir uns nicht erst umsehen?“

Retief schüttelte den Kopf. „Wenn man wo ist, wo man nichts zu suchen hat, muß man energisch auftreten. Drücken wir uns hier herum, dann schnappt man uns.“

Der niedrige Spielsaal war überfüllt, und Stimmengewirr übertönte die Ansagen der Croupiers.

„Was nun?“ fragte Magnan.

„Wir spielen. Haben Sie Geld mit?“

„Nicht viel.“ Magnan reichte Retief alles, was er bei sich trug.

Ein kugelköpfiger Mann kam auf die beiden zu. „Sie wollen sich sicher am Zoop-Turm versuchen, meine Herren. Etwas für Männer mit Muskeln.“

„Ahm — was ist ein Zoop-Turm?“ fragte Magnan.

„Ah, Sie sind nicht von hier? Kommen Sie bitte mit!“

Er führte die beiden zu einem Turm, der auf einem der Spieltische stand. Ein weißer Ball lag auf der Spitze des Turmes, darunter waren zwei Netze ausgebreitet.

„Zwei Gruppen spielen gegeneinander. Sie ziehen diese Hebel“, der Kugelköpfige deutete auf je zwei Hebel an dem Spieltisch, „und versuchen, den Turm ins Wanken zu bringen. Dem Stärkeren fällt der Ball ins Netz, sobald sich der Turm zu seiner Seite neigt. Damit ist das Spiel entschieden.“

„Wieviel wird gesetzt?“

„Hundert Einheiten sind geboten.“

Retief zahlte dem Kugelkopf zwei Fünfziger und setzte sich mit Magnan an den Tisch. Ihnen gegenüber hatten zwei Arbeiter in Pullovern Platz genommen.

„Sobald das Licht aufleuchtet, beginnen Sie. Es ist ein Spiel auf Zeit. Wenn das Licht erlischt und niemand den Ball im Netz hat, gewinnt die Bank.“

Die Arbeiter wandten kein Auge vor der Lampe, und als sie aufleuchtete, rissen sie die Hebel zu sich heran.

Der Turm wankte, und der Ball kam ins Rollen.

Magnan zog seinen Hebel. „Schneller, Retief! Die gewinnen.“

„Nach links“, brummte Retief und zog mit aller Kraft an seinem Hebel.

„Ich kann nicht mehr!“ Magnan ächzte.

Die beiden Arbeiter schwitzten und zerrten mit aller Kraft an den Hebeln. Der Turm neigte sich einige Zentimeter zu ihnen.

„Aus!“ Magnan sank keuchend in seinen Sessel zurück und ließ den Hebel los. „Mein Arm! Ich habe einen Muskelkrampf.“

Retiefs Adern schwollen an. Er packte beide Hebel und zog mit aller Gewalt. Der Turm neigte sich zu ihm hin, der Ball rollte auf den Rand zu, blieb in einer Vertiefung liegen, und Retief zerrte noch stärker.

Plötzlich blockierten Retiefs Hebel gleichzeitig. Der Turm zitterte und glitt dann in seine alte Lage zurück. Ein Hebel bogsich und brach ab. Retief packte den zweiten mit beiden Händen und zog. Ein Knall, und auch dieser Hebel löste sich aus dem Spieltisch. Ein Stück Kabel hing noch am unteren Ende des Metallgriffs.

„He!“ schrie der Kugelkopf. „Sie haben den Spieltisch ruiniert. Das kostet Sie fünfhundert Einheiten.“

„Weiß Zorn, daß hier betrogen wird?“ rief Retief laut.

Die Menge der Spieler umringte jetzt den Croupier und Retief.

„Sie nennen mich einen Betrüger? Das werden Sie zurücknehmen.“

„Wenn Sie mir nicht mein Geld zurückgeben, kriegen Sie den Hebel hier über den Schädel.“

„Jawohl, geben Sie’s ihm, Mister!“ schrie.jemand.

„Kommt hier rein und nennt Kippy einen Betrüger“, erklärte der Kugelkopf den Zuschauern, von denen er Unterstützung erhoffte. „Macht mir den Tisch kaputt.“

„Bezahlen!“ brüllte einer aus der Menge.

Ein breitschultriger Mann mit graumeliertem Haar kam heran. „Zahl, Kippy!“ sagte er scharf, und der Kugelkopf zog ein dickes Bündel aus seiner Innentasche. Er reichte Retief unwillig einen Hunderter.

Der Melierte sagte: „Kippy hat einen Fehler gemacht. Versuchen Sie’s mit einem anderen Spiel.“

„Kindereien! Haben Sie nichts Besseres?“

„Wie war’s mit Slam?“

„Was ist das?“

Retief und Magnan folgten dem Breitschultrigen zu einem hellerleuchteten Tisch, auf dem ein Glasbehälter stand. In der Mitte des Behälters hing ein durchsichtiger Kunststoffball von einem Meter Durchmesser. Er war zu einem Viertel mit Chips gefüllt. Auf dem Glaskasten waren Geräte montiert. Durch ein Loch konnte man einen Griff erreichen, der mit Leder gepolstert war.

„Bei Slam kann man gut verdienen. Sie können einsetzen, soviel Sie wollen. Ein Chip kostet hundert Einheiten. Man wirft den Chip hier ein.“ Der Melierte deutete auf einen Schlitz.

„Dann packt man den Griff. Wenn man ihn drückt, dreht sich die Kugel. Es gehört Kraft dazu. Sie sehen, daß der Ball mit Chips gefüllt ist. In der Kugel ist ein Loch. Solange Sie den Griff drücken, dreht sich die Kugel — je fester Sie drücken, um so schneller. Irgendwann dreht sie sich so, daß das Loch nach unten weist. Dann fallen Chips heraus. Wenn Sie loslassen und die Kugel stoppt, ist das Spiel aus. Und um die Spannung zu erhöhen, sind rings um die Kugel Kontaktplatten angebracht. Sobald sie mit dem Metallende des Griffs in Berührung kommen, schließt sich ein Stromkreis, und Sie spüren einen elektrischen Schlag. Selbstverständlich ist er ungefährlich. Sie brauchen nur festzuhalten, dann ist Ihnen der Gewinn sicher.“

„Wie oft wird das Loch nach unten gedreht?“ fragte Retief.

„Zwischen drei und fünfzehn Minuten. — Ach, übrigens, sehen Sie den Bleibrocken da oben?“ Der Melierte deutete auf einen Metallblock, der über dem Griff lag und von einem dik- ken Kabel gehalten wurde. „Ab und zu fällt er durch diesen Schacht hier auf den Griff. Vorher leuchtet eine Warnlampe auf. Durchschnittlich nach fünfzehn Minuten Spieldauer. Sie können diese Zeit verlängern, indem Sie neue Chips einwerfen, oder Sie können den Griff loslassen. Die dritte Möglichkeit ist, daß Sie das Risiko auf sich nehmen. Die Warnlampe ist nämlich manchmal ein Bluff.“

„Das Ding kann einem die Hand zerschmettern.“

„Kürzlich waren zwei Burschen hier, die es riskierten. Sie waren zu geizig, Chips einzuwerfen, und das kostete sie die Hände.“

„Wo bekomme ich die Chips?“

„Bei mir. Wie viele?“

„Einen.“

„Verschwender!“ Der Melierte kicherte und reichte Retief eine große Plastikscheibe.

Retief trat an die Maschine und warf den Chip ein. Dann steckte er den Arm durch die Öffnung und packte den Griff. Er konnte ihn gerade umklammern. Er drückte, und in dem Spielautomaten klickte es. Die Kugel drehte sich langsam. Die zehn Zentimeter breite Öffnung war gut zu sehen.

„Wenn die Öffnung wirklich nach unten kommt, fällt ’ne Menge raus“, sagte Magnan aufgeregt.

Plötzlich leuchtete ein grellweißes Licht auf.

„Schnell, einen Chip einwerfen!“ rief einer der Zuschauer.

„Sie haben nur zehn Sekunden.“

„Loslassen, Retief“, drängte Magnan.

Retief rührte sich nicht vom Fleck. Er warf einen flüchtigen Blick auf den Bleibarren, dann beobachtete er die Kugel. Sie drehte sich jetzt schneller. Das grelle Licht erlosch.

„Ein Bluff!“ flüsterte Magnan.

„Das war gefährlich, Fremder!“ sagte der Melierte.

Der Ball drehte sich immer rascher und schwang von einer Seite zur anderen. Die Öffnung schien Wellenlinien zu beschreiben; einmal war sie fast unten, dann schwang sie wieder noch oben.

„Sie muß gleich unten sein. Langsamer, Retief, damit genug rausfällt, wenn’s soweit ist.“

„Je langsamer, um so länger dauert es, bis sie unten ist“, sagte ein Zuschauer.

Es knisterte, und Magnan hörte, wie Retief Luft holte. Der Ball rotierte langsamer, und der junge Diplomat schüttelte den Kopf.

Der Breitschultrige las einen Wert von einer Skala ab. „Sie haben eben den nahezu stärksten Stromstoß abbekommen“, sagte er.

Das Loch in der Hülle der Kugel blieb jetzt unter der Mitte und schraubte sich langsam tiefer.

„Noch ein bißchen“, sagte Magnan.

„So schnell habe ich den Slam-Ball noch nie rotieren sehen“, sagte jemand. „Aber kann er noch länger aushalten?“

Magnan betrachtete Retiefs Knöchel. Sie waren weiß. Die Kugel rüttelte, schwang herum, und die Öffnung wies nach unten.

Zwei Chips fielen heraus, klapperten durch einen Schacht und blieben in einer schrägen Vertiefung außerhalb des Glaskastens liegen.

„Wir haben gewonnen. Hören wir auf“, sagte Magnan.

Retief schüttelte den Kopf.

Der Globus drehte sich weiter, schüttelte sich, und drei Chips fielen heraus.

„Das war’s!“ rief jemand.

„Jetzt kann der Bleibarren jeden Augenblick fallen!“ schrie ein anderer erregt. „Schneller, Mister!“

„Langsamer!“ rief Magnan. „Sonst ist die Öffnung mit einem Ruck vorbei.“

„Schneller, damit der Bleibarren Sie nicht erwischt!“ riet ein anderer.

Die Öffnung schwang nach oben, dann zur Seite. Chips fielen heraus, sechs, acht.

„Noch eine Drehung!“ schrie ein Zuschauer.

Das grellweiße Warnlicht zuckte auf. Die Kugel ruckte, rüttelte sich, die Öffnung schwang nach unten, ein Chip fiel heraus, dann zwei.

Retief hob sich auf die Zehenspitzen, biß die Zähne zusammen, daß die Backenknochen hervortraten, und preßte den Griff mit aller Kraft.

Funken sprühten, der Ball rotierte langsamer und spuckte Chips aus. Jetzt hörte die Kugel auf, sich zu drehen, schwang zurück, vom Gewicht der Chips nach unten gezogen, und dann klapperte es in der Rückgabeschale. Sie füllte sich mit Chips, floß über, und die Spielmarken regneten auf den Boden.

Die Menge schrie auf.

Retief ließ den Griff los und riß seinen Arm im selben Augenblick zurück, da der Bleibarren herunterfiel.

„Herr des Himmels!“ stöhnte Magnan. „Der Aufschlag hat sogar den Boden erschüttert.“

Der junge Diplomat wandte sich an den Melierten. „Ein schönes Spiel für Anfänger“, sagte er. „Aber jetzt möchte ich mich mit Ihnen über eine wirklich große Sache unterhalten. Gehen wir in Ihr Büro, Mr. Zorn?“

* * *

„Ihr Vorschlag ist interessant“, sagte Zorn eine Stunde später. „Aber es gibt noch Gesichtspunkte in dieser Angelegenheit, die ich bisher nicht erwähnt habe.“

„Sie sind ein Spieler, Mr. Zorn, aber kein Selbstmörder.

Nehmen Sie mein Angebot an. Ihr Traum von einer Revolution ist aufregender, das gebe ich zu. Aber es bleibt ein Traum.“

„Woher weiß ich, daß ihr Vögel nicht lügt?“ Zorn stand auf und ging unruhig hin und her. „Ihr erzählt mir, daß ich eine ter- ranische Flotte auf dem Hals hätte und daß man meine Regierung nicht anerkennen würde. Ich habe jedoch andere Verbindungen, und diese Leute behaupten das Gegenteil.“ Er fuhr herum und blickte Retief durchbohrend an.

„Ich habe die Zusicherung, daß die Terraner mich als rechtmäßigen Regenten Petreacs anerkennen, sobald ich die Macht an mich gerissen habe. Sie mischen sich nicht in interne Angelegenheiten.“

„Unsinn!“ warf Magnan ein. „Das Corps verhandelt nicht mit Verbrechern, die sich durch unlautere Mittel…“

„Hüten Sie Ihre Zunge!“ krächzte Zorn.

„Ich räume ein, daß Mr. Magnans Theorie auf schwachen Füßen steht“, beschwichtigte ihn Retief. „Aber Sie vergessen eins. Sie wollen außer den Einheimischen zahlreiche Vertreter des Diplomatischen Corps Terras ermorden. Das kann das DCT nicht ungesühnt lassen.“

„Ihr Pech, daß Sie mittendrin sind.“

„Unser Angebot ist äußerst großzügig, Mr. Zorn“, nahm nun wieder Magnan das Wort. „Der Posten, den Sie bekleiden sollen, sichert Ihnen ein hohes Gehalt. Die Wahl zwischen einem mißlungenen Aufstand und dieser Stellung sollte Ihnen leichtfallen.“

Zorn musterte Magnan. „Ich dachte, Diplomaten würden nicht unter dem Tisch verhandeln. Mir eine solche Position anzubieten, klingt verdammt windig!“

„Sie sind alt genug, um es zu erfahren“, lächelte Retief. „Es gibt nichts Windigeres in der Galaxis als Diplomatie!“

„Nehmen Sie an, Mr. Zorn!“ versuchte Magnan den Revolutionsführer zu überreden.

„Drängen Sie mich nicht! Sie kommen zu mir mit leeren Händen und großer Klappe. Warum höre ich Sie überhaupt an? Mein Entschluß steht fest. Ich lehne ab.“

„Wen fürchten Sie?“ fragte Retief.

Zorn sah ihn wütend an. „Fürchten? Ich befehle, was gemacht wird. Wen sollte ich fürchten?“

„Mich täuschen Sie nicht. Irgend jemand hat Sie in der Hand. Ich sehe doch, wie Sie sich winden.“

„Und wenn ich die Diplomaten schone, dann ist das Corps zufrieden, was?“ fragte Zorn.

„Das Corps hat Pläne mit Petreac, Zorn. Da passen Sie nicht hinein, noch weniger eine Revolution, und schon gar nicht die Ermordung des jetzigen Herrschers und der Nenni.“

„Schön, ich will meine Karten auf den Tisch legen. Haben Sie von dem Planeten Rotune gehört?“

„Natürlich!“ Magnan nickte. „Es ist eine Ihrer Nachbarwelten. Ebenfalls eine unterentwickelte — ahm — wollte sagen — Entwicklungswelt.“

„Sie halten mich für einen Zauderer. Nun, ich werde Ihnen reinen Wein einschenken. Der Geheimbund von Rotune unterstützt mich. Von ihm werde ich anerkannt, und die Flotte Rotu- nes kommt mir zu Hilfe, falls es nötig ist.“

„Was verspricht sich Rotune davon? Waren die Rotuner bisher nicht die Feinde Petreacs?“

„Mißverstehen wir uns nicht. Rotune ist mir gleichgültig. Nur stimmen im Augenblick unsere Interessen überein.“

„Wirklich?“ fragte Retief mit einem hintergründigen Lächeln. „Wenn ein Depp in Ihren Spielsalon kommt, sehen Sie ihm an der Nasenspitze an, wes Geistes Kind er ist. Aber auf ein solches Abkommen wollen Sie sich einlassen?“

„Was wollen Sie? Ich riskiere nichts dabei.“

„Wenn Sie Regent sind, Zorn, schließen Sie Freundschaft mit Rotune?“

„Den Teufel auch! Sobald ich im Sattel bin, werde ich denen zeigen, wer hier.“

„Genau!“ unterbrach ihn Retief. „Und was planen die Rotu- ner?“

„Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.“

„Warum unterstützt Rotune Ihre Machtübernahme?“

Zorn forschte in Retiefs Gesicht. „Ihretwegen. Die Terraner wollen Petreac durch ein Handelsabkommen binden. Das stößt den Rotunern sauer auf. Und sie haben recht. Wir leben auch so ganz gut, ohne uns einigen geschniegelten Affen vom anderen Ende der Milchstraße zu verpflichten.“

„Haben die Rotuner Ihnen das eingeredet?“ fragte Retief lächelnd.

Zorn drückte ein Rauschgiftstäbchen aus und zündete ein neues an. „Eingeredet — Quatsch!“ Er schnaufte wütend. „Also schön, was nehmen Sie an?“

„Wissen Sie eigentlich, was Petreac auf Grund des Handelsabkommens importiert?“

„Einen Haufen Schrott. Waschmaschinen, Tonbandgeräte — lauter unnützes Zeug.“

„Genauer gesagt: 50 000 Tatone B-3-Trockenreiniger, 100 000 bewegliche Schwebeleuchten, 100 000 Erdwurm-Gartenmaschinen, 25 000 Veco-Raumheizungen und 75 000 Ersatzteile für Ford-Monomegantriebe.“

„Eben, ein Haufen Schrott“, wiederholte Zorn.

Retief lehnte sich zurück und musterte Zorn hämisch. „Der Trick dabei ist folgender: Das Corps hat den Kleinkrieg zwischen Petreac und Rotune satt. Bei solchen Scharmützeln trifft es manchmal Unschuldige. Nachdem beide Seiten eingehend begutachtet wurden, kam das Corps zu der Überzeugung, mit Petreac ließe sich besser verhandeln — und handeln. Also wurde das Handelsabkommen aufgesetzt. Das Corps kann eine kriegführende Nation nicht offen mit Waffenlieferungen versorgen. Geräte für den zivilen Gebrauch jedoch sind freigegeben.“

„Aha!“ Zorn grinste breit. „Wir sollten unsere Feinde mit dem Rasenmäher einen Kopf kürzer machen.“

„Sie nehmen die versiegelte Kontrollanlage aus der Waschmaschine, den Generator aus der Lampe, den Umformer aus der Gartenmaschine und so weiter und so weiter. Dann montieren Sie mit diesen Teilen nach sehr einfacher Gebrauchsanweisung ein neues Gerät. Und schon haben Sie hunderttausend Handstrahler, Modell Y, Standardausgabe. Damit kann man das Kriegsglück wenden, wenn der Gegner mit veralteten Waffen kämpft.“

„Gütiger Gott!“ ächzte Magnan. „Retief, sind Sie…“

„Ich muß es ihm sagen. Zorn muß wissen, in was er da hineinschlittert.“

„Waffen, he?“ fragte Zorn. „Und die Rotuner wissen davon?“

„Natürlich; es gehört nicht viel dazu, den Trick zu durchschauen. Die Rotuner haben ihre Gründe dafür, daß auch die DCT-Abgeordneten ermordet werden sollen. Damit würde Pe- treac hintenrunterfallen, und das Handelsabkommen ginge an Rotune. Dann könnten Sie und Ihre Regierung durch die Röhre und in die Läufe Ihrer eigenen Strahler gucken.“

Zorn warf sein Rauschgiftstäbchen wütend zu Boden. „Ich hätte den Braten riechen sollen!“ Er sah auf die Wanduhr. „Zweihundert bewaffnete Revolutionäre sind im Palast. Wir haben genau noch vierzig Minuten, bevor die Ladung hochgeht.“

* * *

Im Schatten der Palastterrasse wandte sich Zorn Retief zu. „Bleiben Sie hier, bis ich meine Anweisungen gegeben habe! Besser ist besser.“

„Ich möchte Ihnen noch einmal einschärfen, Mr. Zorn, daß den Nenni nichts geschehen darf“, flüsterte Magnan heiser.

Zorn sah Retief an. „Ihr Freund redet zuviel. Ich halte mein Versprechen, und ich rate ihm, das seine zu halten!“

„Sind Sie sicher, daß noch nichts passiert ist?“ fragte Ma- gnan.

„Absolut. Noch zehn Minuten. Viel Zeit.“

„Ich werde in den Salon gehen, um mich selbst davon zu überzeugen.“

„Von mir aus“, gab Zorn zurück. „Aber bleiben Sie aus der Küche, sonst wird Ihnen die Kehle durchgeschnitten.“ Zorn schnupperte an seinem Rauschgiftstäbchen. „Möchte bloß wissen, wo Shoke bleibt. Ich habe doch nach ihm geschickt.“

Magnan trat zu einer hohen Glastür, drückte sie auf und steckte seinen Kopf durch die dicken Vorhänge. Als er sich eben zurückziehen wollte, hörte er eine ferne Stimme. Magnan blieb wie angewurzelt stehen, den Kopf noch immer zwischen den Portieren.

„Was ist denn da los?“ krächzte Zorn. Er und Retief traten hinter Magnan.

„. Luft geschnappt“, sagte Magnan gerade.

„Gut, nun kommen Sie aber!“ Retief erkannte die Stimme von Botschafter Crodfoller.

Magnan trat von einem Fuß auf den anderen und schob sich dann durch die Vorhänge.

„Wo waren Sie, Mr. Magnan?“ fragte der Botschafter scharf.

„Oh — äh — ein kleiner Unfall, Herr Botschafter.“

„Wie sehen denn Ihre Schuhe aus? Wo sind Ihre Orden, Bänder und Rangabzeichen?“

„Ich habe Wein darübergegossen. Vielleicht wäre es besser, wenn ich auf mein Zimmer ginge und neue Medaillen anlegte.“

„Ein Berufsdiplomat läßt sich nie anmerken, daß er etwas getrunken hat. Das gehört zu den ersten Anfangsgründen diplomatischer Kunst. Wir sprechen später darüber. Eigentlich wollte ich Sie an der Unterzeichnung teilnehmen lassen, aber ich verzichte darauf. Ziehen Sie sich bitte unauffällig durch die Küche zurück.“

„Durch die Küche? Die ist doch überfüllt. Das heißt — äh — ich meine.“

„In diesem Falle ist es mir lieber, Sie büßen ein wenig Ansehen ein, als daß Sie in diesem unwürdigen Zustand gesehen werden. Entfernen Sie sich freundlicherweise. Das Abkommen ist noch nicht unterzeichnet.“

„Das Abkommen…“ Magnan wollte offensichtlich Zeit gewinnen und redete drauflos. „Sehr klug, Herr Botschafter. Eine ausgezeichnete Lösung.“

Das Orchester spielte einen Tusch.

Zorn drehte seinen Kopf und legte das andere Ohr an den Türspalt, „Was für ’n Ding will Ihr Freund drehen? Das gefällt mir gar nicht.“

„Regen Sie sich nicht auf, Zorn! Mr. Magnan möchte seine Karriere retten.“

Die Musik brach ab.

„… mein Gott!“ Die Stimme des Botschafters drang nur schwach zu den beiden Lauschern herüber. „Dafür werden Sie zum Ritter der Ehrenschwadron ernannt. Gott sei Dank, daß Sie mich noch erreichen konnten. Zum Glück ist es noch nicht zu spät. Ich werde eine Entschuldigung finden. Ich werde sofort eine Depesche absenden.“

„Aber Sie…“

„Schon gut, Magnan! Sie kamen rechtzeitig. In zehn Minuten wäre das Abkommen unterschrieben gewesen, Die Dinge hätten ihren Lauf genommen, meine Karriere wäre ruiniert gewesen.“

Retief spürte einen Stoß im Rücken und drehte sich um.

„Verrat“, sagte Zorn leise. „Soviel gilt also das Wort eines Diplomaten.“

Retief betrachtete den kurzläufigen Strahler in Zorns Hand.

„Ich sehe, Sie haben auf zwei Pferde gesetzt, Zorn.“

„Wir warten hier, bis sich die Wogen geglättet haben. Ich möchte jetzt keine Aufmerksamkeit erregen.“

„In Politik sind Sie eine Null, Zorn. Die Lage hat sich nicht geändert. Ihr Aufstand würde nie gelingen.“

„Mund halten! Ich erledige eine Aufgabe nach der anderen.“

„Magnans Klappe öffnet sich immer im falschen Augenblick.“

„Mein Glück, daß ich es hörte. Also gibt es kein Handelsabkommen, keine Waffen und keinen dicken Posten für Tammany Zorn, he? Von mir aus! Spielen wir es anders herum. Was habe ich zu verlieren?“

Mit einer Bewegung, die so rasch war, daß Zorn nicht rechtzeitig reagieren konnte, schlug Retief auf das Handgelenk des Rebellenführers. Der Strahler fiel klirrend zu Boden, Retief packte Zorn und wirbelte ihn zu sich herum.

„Auf Ihre letzte Frage kann ich nur antworten: Ihr Genick.“

„Du hast nicht die geringste Chance, Verräter!“ zischte Zorn.

„Shoke kann jeden Augenblick hiersein“, erwiderte Retief. „Sagen Sie ihm, daß der Aufstand abgeblasen ist.“

„Drücken Sie nur fester zu, Mister. Kugeln Sie mir doch den Arm aus. Nichts werde ich ihm sagen.“

„Spaß beiseite, Zorn. Blasen Sie den Aufstand ab, oder ich bringe Sie um!“

„Glaube ich Ihnen. Aber Sie werden sich nicht lange in der Erinnerung an meinen Tod sonnen.“

„Diese Morde sind sinnlos. Sie werden tot sein, und dann kommen die Rotuner und nehmen Ihren Platz ein.“

„Na und? Wenn ich tot bin, hören die Welten auf zu existieren.“

„Wie wär’s mit einem anderen Vorschlag, Zorn?“

„Wie sollte der besser sein als der erste?“

Retief ließ Zorns Arm los, schob ihn von sich und hob den Strahler auf.

„Ich könnte Sie töten, Zorn, das wissen Sie.“

„Tun Sie es doch!“

Retief drehte den Strahler um und reichte ihn Zorn. „Ich bin auch Spieler. Ich lasse es darauf ankommen, daß Sie mir zuhören.“

Zorn riß ihm den Strahler aus der Hand und trat zurück. „Das war nicht Ihr schlauester Schachzug. Aber reden Sie! Sie haben ungefähr zehn Sekunden.“

„Niemand hat Sie verraten, Zorn. Magnan konnte seinen Mund nicht halten. Aber ist das ein Grund dafür, daß Sie sich, und Ihre Leute umbringen lassen?“

„Zur Sache!“

Retief sprach anderthalb Minuten. Zorn stand mit vorgehaltenem Strahler da und hörte zu. Dann hörten beide Männer Schritte, die näher kamen. Der dicke Koch im gelben Sarong watschelte auf Zorn zu.

Zorn schob seinen Strahler in den Gürtel. „Der Aufstand — findet nicht statt.“

* * *

„Ich möchte Ihnen mein Lob aussprechen, Retief’, sagte Botschafter Crodfoller leutselig. „Sie haben gestern ganz gut mitgemischt. Obgleich ich mir Ihrer Anwesenheit gar nicht so recht bewußt wurde.“

„Ich bewunderte Mr. Magnan bei der Arbeit.“

„Ein guter Mann, dieser Magnan. Versteht es, sich unsichtbar zu machen.“

„Jawohl. Er verschwindet immer im richtigen Augenblick.“

„Dies war in mancher Hinsicht ein Modellfall, Retief.“ Der Botschafter strich sich zufrieden den Bauch. „Ich habe die Etikette der Eingeborenen befolgt und bin dadurch zu einem guten Einverständnis mit dem Herrscher gekommen.“

„Das Abkommen wurde verschoben, hörte ich.“

Der Botschafter lachte in sich hinein. „Dieser Herrscher ist ein schlauer Fuchs. Er wollte — um es einmal vulgär auszudrük- ken — das Corps übers Ohr hauen.“

„Das brachte mich natürlich in eine schwierige Lage. Ich mußte seinen Plan vereiteln, ohne offiziell etwas davon zu wissen.“

„Eine haarige Angelegenheit!“

„Ich ließ einfließen, verschiedene Punkte des Abkommens seien gestrichen, andere dafür eingefügt worden. In diesem Augenblick bewunderte ich ihn. Er nahm es hin, als sei nichts geschehen, und verbarg seine große Enttäuschung meisterhaft. Natürlich mußte er das tun, wenn er sich nicht verraten wollte.“

„Ich sah ihn mit drei Mädchen tanzen, die mit Weintrauben bekleidet waren“, grinste Retief. „Für einen Mann von diesem Umfang ist er recht behende.“

„Sie dürfen den Herrscher nicht falsch einschätzen. Bedenken Sie, daß er unter der Maske des Frohsinns den schweren Schlag verbarg, den er hatte einstecken müssen.“

„Hätte ich wirklich nicht gemerkt“, sagte Retief.

„Machen Sie sich nichts draus, junger Mann! Ich gestehe, daß auch ich zunächst seine List nicht durchschaute.“ Der Botschafter nickte Retief zu und ging den Korridor hinunter.

Retief trat in ein Büro.

Magnan blickte von seinem Schreibtisch auf. „Ah, Retief!“ sagte er. „Ich — eh — wollte Sie wegen der Strahler fragen.“

Der junge Diplomat lehnte sich über den Arbeitstisch. „Ich dachte, das sollte unser kleines Geheimnis bleiben.“

„Tja, natürlich — ahm…“ Magnan schloß seinen Mund und schluckte. „Wie kommt es, Retief“, fragte er dann scharf, „daß Sie über diese Waffenangelegenheit wußten, während der Botschafter selbst keine Ahnung hatte?“

„Ganz einfach“, antwortete Retief. „Ich habe diese,Angele- genheit’ erfunden.“

„Wie bitte?“ Magnan sah verdutzt drein. „Aber das Abkommen ist nachgeprüft worden. Botschafter Crodfoller hat es zu Protokoll gegeben.“

„Bedauerlich. Da bin ich nur froh, daß ich ihm gegenüber den Mund gehalten habe.“

Magnan lehnte sich zurück und schloß die Augen.

„Es war großherzig von Ihnen, daß Sie alles auf sich genommen haben“. lächelte Retief, „als der Botschafter davon sprach, Ritter zu ernennen.“

Diese Spitze ignorierte Magnan. „Was ist mit dem Spieler Zorn?“ Er öffnete seine Augen. „Wird er sich nicht aufregen, wenn er erfährt, daß das Abkommen annulliert ist? Immerhin habe ich — beziehungsweise haben wir — oder besser — haben Sie ihm doch versprochen…“

„Das geht schon in Ordnung. Ich habe ihm etwas anderes geboten. Daß man aus harmlosen Geräten Waffen herstellen kann, war nicht ganz aus den Fingern gesogen. Es ist tatsächlich möglich, wenn man eine altmodische Müllschluckeranlage hat.“

„Was soll ihm das nützen?“ flüsterte Magnan und blinzelte nervös. „Wir schicken ihm keine altmodischen Müllschlucker.“

„Das ist auch nicht nötig. Zorn erklärte mir, daß sie bereits im Palast und in einigen tausend Haushaltungen vorhanden sind.“

„Wenn davon etwas durchsickert. “ Magnan barg seine Stirn in der Hand.

„Ich habe Zorns Wort, daß die Nenni nicht ermordet werden. Diese Welt braucht eine Veränderung. Vielleicht ist Zorn der richtige Mann.“

„Woher wissen wir das? Wie können wir ihm vertrauen?“

„Das können wir nicht. Aber das Corps mischt sich nicht in interne Angelegenheiten.“

Er nahm Magnans Tischfeuerzeug und zündete sich eine Zigarre an. „Stimmt’s?“

„Stimmt!“ bestätigte Magnan und nickte schwach.

„Sie erinnern sich daran, daß ich Ihnen sagte, die Nenni seien nicht sehr gescheit?“

„Dunkel.“

„Haben Sie den Herrscher gestern tanzen sehen, nachdem er erfahren hatte, das Abkommen werde geändert?“

„Wir stoßen auf diesen unterentwickelten — äh — Entwicklungswelten immer wieder auf Gleichgültigkeit.“

„Und Botschafter Crodfoller ist davon überzeugt, daß dieser Nenni-Häuptling ihn hat übers Ohr hauen wollen.“

„Zu dieser Auffassung mußte selbst ich gelangen.“ Magnan räusperte, sich, peinlich berührt. „Ich habe den Herrn Botschafter ja darauf hingewesen, als ich ihm mitteilte, was Sie Zorn in bezug auf die Reiniger, Lampen, Gartenmaschinen und so weiter versprochen hatten.“

„Das wollte ich hören. Gerade in dem Augenblick spielte die Musik nämlich gestern einen Tusch.“

Retief erhob sich. „So, ich muß an meinen Schreibtisch. Der Herr Botschafter meint nämlich, ich sei jetzt endlich auf dem richtigen Weg.“

„Retief, bleiben Sie heute abend bitte aus der Küche, gleichgültig, was passiert,“

Der junge Diplomat hob die Augenbrauen.

„Ich weiß“, sagte Magnan, „wenn Sie nicht eingegriffen hätten, wären uns allen die Kehlen durchgeschnitten worden. Aber wenigstens…“ Er machte eine Pause und fuhr dann fort: „Wenigstens wären wir gestorben, ohne die Dienstvorschrift verletzt zu haben.“

Загрузка...