1. DACKELBLICK

EINS

Was f?r eine Absteige! Gut, ich hatte gewusst, dass es nicht das Grand Elys?e sein w?rde. Aber diese Unterkunft ist wirklich das Letzte. Eine Zumutung. Muffig und dunkel. Und dreckig. Ich gebe mir M?he, mich nicht genauer umzuschauen, aber der Schmutz meiner Vorg?nger ist un?bersehbar. Es ist offensichtlich, dass hier schon ziemlich lange nicht mehr saubergemacht wurde. Mir ist zum Heulen zumute - wie konnte ich nur in eine solche Lage geraten? Heute Morgen noch im Salon von Schloss Eschersbach, und jetzt das. Nun fange ich wirklich an zu heulen.

»Schnauze, du nervst!«, kommt es keine zwei Sekunden sp?ter von links.

Richtig: Das Schlimmste hatte ich noch nicht erw?hnt: meine Zimmernachbarn. F?nf an der Zahl, die meisten von ihnen unglaublich verwahrlost. Und das nicht nur optisch. Ungebildeter P?bel, der in einem Adligen wie mir nat?rlich gleich ein willkommenes Opfer ausgemacht hat. Mein Stammbaum reicht bis 1723, diese Ignoranten neben mir kennen vermutlich nicht einmal den Unterschied zwischen Markgraf und Markkl?sschen.

Vor meinem inneren Auge taucht mein Grossvater auf.»Wo ein von Eschersbach ist, ist oben. Vergiss das nie!«,pflegte er zu sagen. Ach Opili, wenn du mich jetzt sehen k?nntest - ich bin definitiv ganz unten angelangt. Bei diesem Gedanken heule ich noch lauter. Irgendjemand muss mich hier einfach rausholen!

»Komm, S?sser, beruhige dich.« Eine Hand greift durch das Gitter und krault mich hinter den Ohren. »Gleich gibt es ein leckeres Fresschen, und dann sieht die Welt ganz anders aus. Der erste Tag ist f?r alle schlimm.«

Hm, eine nette Stimme. Interessiert gucke ich zur Seite, um festzustellen, zu wem sie geh?rt: Neben dem Zwinger steht eine junge Frau in einer Latzhose und l?chelt mich aufmunternd an. Ihre Hand riecht nach gew?hnlichem Dosenfutter, trotzdem hat die Ber?hrung etwas Tr?stliches. Ich schlecke ihre Finger ab, sie beginnt zu kichern.

»Ja, ja, das schmeckt dir, nicht wahr?«, fl?stert sie mir zu.

O je, wenn die w?sste - an meinen verw?hnten Dackelgaumen habe ich bisher eigentlich nur frisches Herz und Pansen gelassen. Fertigfutter war die absolute Ausnahme, das gab es wirklich nur, wenn Emilia, unsere K?chin, krank war oder Urlaub hatte. Bei dem Gedanken an Emilia krampft sich mein kleines Herz zusammen, und ich muss ein bisschen winseln. Als ich mich heute Morgen von ihr verabschiedet habe, hat sie geweint. Weiss der Teufel, wie Menschen das immer hinbekommen. Aber zum ersten Mal in meinem Leben h?tte ich viel daf?r gegeben, auch ein paar Tr?nen vergiessen zu k?nnen.

»Du Armer, noch so schlimm?«, erkundigt sich die Pflegerin mitf?hlend. »Mach dir keine Sorgen, du bist so s?ss, wir finden bestimmt bald ein neues Frauchen oder Herrchen f?r dich. Versprochen!« Dann streicht sie mir noch einmal ?ber den Kopf und zieht ihre Hand wieder durch das Gitter.

Ich drehe mich um und trotte in die andere Ecke des Zwingers. Dort wirft ein Sonnenstrahl noch ein einladend helles Fleckchen auf den Boden, und ich beschliesse, es mir ein bisschen gem?tlich zu machen.

Offenbar bin ich nicht der Einzige, der auf diese Idee gekommen ist: Bevor ich mich hinlegen kann, tritt mir ein riesiges schwarzes Irgendwas direkt auf die Pfoten.

»Kleiner, ich glaube, du verziehst dich besser auf die andere Seite. Hier ist mein Platz.« Um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, kommen die letzten Worte nur als heiseres Knurren.

Was f?r eine l?cherliche T?le! Meint die ernsthaft, sie k?nne mich in die Flucht schlagen? Mich, dessen Ahnen noch mit dem letzten Kaiser zur Jagd gegangen sind? Ich sch?ttle den Kopf.

»Ich glaube nicht«, entgegne ich so w?rdevoll, wie es mir unter diesen widrigen Umst?nden m?glich ist, »dass in diesem Etablissement mit Reservierungen gearbeitet wird. Ich war vor Ihnen da, also werde ich mich auch auf diesen Platz legen. Sie gestatten?« Mit diesen Worten schiebe ich Mr. Irgendwas zur Seite und lege mich schnell hin. Er starrt mich v?llig fassungslos an. So viel zivilen Widerstand hat er wohl noch nie erlebt. Zufrieden r?kle ich mich. Opili hatte doch Recht - ein von Eschersbach ist eben auch oben, wenn er unten ist.

W?hrend ich noch dar?ber sinniere, wann hier wohl mit der zweifelsohne eher bescheidenen Mahlzeit zu rechnen ist, verfinstert sich mein sonniges Fleckchen. Nanu, eine W?lke? Ich blicke nach oben, um festzustellen, was in aller Welt hier auf einmal diesen unerfreulichen Schatten wirft - und schaue direkt in das Gesicht eines ziemlich ungem?tlich aussehenden Boxers. Er schiebt seine Nase ganz dicht an meine und verstr?mt dabei einen Geruch, dass es mir regelrecht den Atem verschl?gt.

»Pass auf, du aufgeblasener Zwerg: Wenn du nicht neu w?rst, w?rst du jetzt ein toter Hund. Hier gelten unsere Regeln, besser du h?ltst dich daran. Also wenn mein Freund Bozo sagt, dass du dich verpissen sollst, dann …«, er kommt noch ein bisschen n?her und schnappt blitzschnell nach mir.

Aua! Ein stechender Schmerz f?hrt durch mein rechtes Ohr. Hilfe! Der ist ja gemeingef?hrlich! Ich belle aufgeregt - offensichtlich bin ich unter militante und gewaltbereite Strassenk?ter geraten. Aber sosehr ich auch belle - niemand kommt. Nicht einmal die junge Frau in der Latzhose. Boxer und Bozo grinsen selbstzufrieden.

»Spar dir die M?he. Die h?rt dich momentan nicht - ist zu den Katzen r?bergegangen. Wir k?nnten dich jetzt richtig plattmachen, und niemand w?rde dir helfen. Ein toter Hund mehr in der Statistik dieser Bude. Wen interessiert das schon?«

Ich merke, wie sich meine Nackenhaare str?uben und es mir eiskalt den R?cken herunterl?uft. Bozo, die schwarze T?le, baut sich wieder vor mir auf.

»Also, was ist jetzt? Wenn ich sageverpiss dich?«

»Dann verpisse ich mich?«, erg?nze ich seinen Satz.

»Richtig. Hundert Punkte. Braves Hundchen.«

Bozo verpasst meiner empfindlichen Nase noch einen kr?ftigen St?ber mit seiner ungepflegten Pfote. Erschreckt springe ich zur Seite und laufe auf zittrigen Beinen in die andere Ecke des Zwingers. Dort sitzen noch zwei andere Hunde, die das Geschehen gelangweilt beobachtet haben. Mord und Totschlag scheinen hier an der Tagesordnung zu sein, jedenfalls interessiert sich niemand daf?r, dass ich gerade Opfer eines Verbrechens geworden bin. Ein ?lterer M?nsterl?nder r?ckt ein St?ck zur Seite, als ich mich neben ihn setze. Immerhin nicht gleich der N?chste, der mich bedroht. Eine Weile hocken wir schweigend nebeneinander. Dann r?ckt er wieder ein St?ck n?her an mich heran und fl?stert in mein Ohr: »Leg dich besser nicht mit den beiden an. Die sind echt gef?hrlich. Aber wenn du ihnen aus dem Weg gehst, lassen sie dich meistens in Ruhe.«

Aus dem Weg gehen? Das ist doch wohl ein Scherz. Dieser Zwinger ist ziemlich klein, und wir sind immerhin f?nf Hunde. Offenbar ist dem M?nsterl?nder auch gerade aufgefallen, dass das ein Ding der Unm?glichkeit ist. Jedenfalls grinst er mich jetzt verschmitzt an und murmelt: »So gut es eben geht, haha. Ich heisse ?brigens Fritz.«

Ich sage erst einmal nichts. Unter den gegebenen Umst?nden habe ich wirklich keine Lust, mich zu unterhalten. Stattdessen lege ich den Kopf auf meine Pfoten und sehe Bozo und dem Boxer zu, wie sie sich aufmeinemSonnenfleckchen fl?zen. Wahrscheinlich machen sie sich gerade ?ber mich lustig. Eigentlich bin ich sehr gerne ein Dackel, aber in diesem Moment w?re ich viel lieber ein Kampfhund. Staffordshire, Pitbull oder irgendetwas anderes in RichtungLizenz zum T?ten.

»He«, Fritz knufft mich in die Seite, »sei nicht traurig. Die Pflegerin hat’s doch gerade gesagt: Du bist so ein richtiger Menschentyp, dich holt bald einer hier raus. Und dann zeigst du den beiden Idioten da dr?ben den Stinkefinger, denn die will garantiert keiner haben.«

Ich schaue Fritz nachdenklich an. Hoffentlich hat er Recht.

Am n?chsten Morgen f?hle ich mich wie ger?dert. Ich habe kaum geschlafen - und wenn mir doch mal f?r f?nf Minuten die Augen zugefallen sind, hatte ich furchtbare Alptr?ume. Von Boxern und Pitbulls, die mich durch den Zwinger jagen, und riesigen Mengen Dosenfutter, das ganz abscheulich schmeckt. M?de trotte ich zu Fritz, der schwanzwedelnd an der K?figt?r steht.

»Morgen. Was bist du denn schon so wach und gut gelaunt?«, will ich von ihm wissen.

»Na, heute ist Besuchstag. Und falls tats?chlich ein Mensch auf der Suche nach einem Hund vorbeikommt, will ich gleich einen guten Eindruck machen. Bin ja nicht mehr der J?ngste, da ist es umso wichtiger, dynamisch und gut gelaunt zu wirken. Wirst schon sehen, Menschen m?gen so was.«

Ob er damit richtig liegt? Eigentlich habe ich gar keine Lust, den dressierten Dackel zu geben. Aber der Gedanke, mich auf einen l?ngeren Aufenthalt hier einzurichten, ist zugegebenermassen furchtbar. Ich stelle mich also neben Fritz und wedele auch ein bisschen unmotiviert mit dem Schwanz hin und her. Und auf so eine billige Masche fallen Menschen herein? Unglaublich.

»Sag mal, wie heisst du eigentlich?«, will Fritz wissen.

»Carl-Leopold«, antworte ich knapp.

»Carl-Leopold? Komischer Name f?r einen Hund.«

»Finde ich nicht. Kommt eben ganz darauf an, aus welchem Stall man kommt.« Banause! Was weiss der schon von sch?nen Namen? »Ich bin ein von Eschersbach«, f?ge ich stolz hinzu.

»Von Eschersbach? Sagt mir nichts«, brummt Fritz nur und wedelt weiter.

Ich seufze. Wirklich ein Banause. Ein netter zwar, aber eben doch ein Banause. Gerade will ich anfangen, Fritz in die Grundz?ge meiner Familiengeschichte einzuweihen, da klappt im Haus neben unserem Zwinger eine T?r. Augenblicklich bin ich wie elektrisiert. Nicht wegen des Ger?uschs - schliesslich herrscht in dieser Einrichtung ein L?rmpegel, dass einem Dackel eigentlich die zarten ?hrchen abfallen m?ssten. Nein, es ist vielmehr ein ganz unbeschreiblicher Geruch, der geradewegs auf meine Nase zustr?mt. Auch Fritz scheint Witterung aufgenommen zu haben, denn er stellt sein bl?dsinniges Gewedel ein und presst stattdessen seine Schnauze durch die Gitterst?be.

»Riechst du das auch?«, will ich von ihm wissen. Er nickt. »Toll, oder?«

»Ja, Wahnsinn!«, gibt er mir Recht.

»Das ist der sch?nste Geruch, den ich an einem Menschen je wahrgenommen habe«, stelle ich fest.

Dass dieser Geruch zu einem Menschen geh?rt, ist klar. Das riecht jeder Hund sofort. Aber was f?r ein Mensch ist das wohl, der so gut riecht? Nicht etwa profan gut wie Fleischwurst oder Schokokeks. Nein, eher wie … ich gr?ble nach … genau - wie ein sch?ner Sommertag. Ein gl?cklicher Sommertag. Ganz viel nach Blumen, ein bisschen nach Erdbeeren und ein Hauch Pfefferminz. Fantastisch.

»Wahrscheinlich sind wir gleich entt?uscht, wenn wir den Menschen sehen. Die bl?desten Menschen riechen immer am besten«, meint Fritz fachm?nnisch.

»Echt?«, will ich wissen. »Da habe ich ehrlicherweise noch keinen Zusammenhang festgestellt. Das kann ich nicht beurteilen.«

»Doch, doch. Jede Wette.«

Gespannt blicken wir Richtung T?r. Und da kommt sie auch schon zu den Zwingern, gefolgt von der Latzhose. Fritz lag v?llig daneben. Denn f?r einen Menschen ist sie wundersch?n, wie ein Engel. Sie unterh?lt sich mit der anderen Frau und lacht dabei. Ihre Augen lachen mit - was besonders sch?n aussieht und bei den Menschen ziemlich selten ist. Meistens verziehen die beim Lachen nur den Mund. Was schade ist. Also, wenn ich lachen k?nnte, ich w?rde die Augen mitmachen lassen. Sieht eindeutig besser aus.

»Hm, also ein etwas kleinerer Hund soll es sein? Und gerne ein j?ngerer?« Der Engel nickt.

Fritz l?sst sofort die Ohren h?ngen. Er weiss, was das bedeutet: wieder kein Frauchen f?r ihn. Denn M?nsterl?nder sind alles andere als klein - und ein junger Hund ist Fritz schon lange nicht mehr. Er senkt den Kopf. »Viel Gl?ck!«, fl?stert er mir noch zu, dann trottet er an mir vorbei. Nat?rlich tut er mir leid - aber vielleicht ist das wirklich meine Chance? Ich versuche es noch mal mit der Fritz’schen Taktik, wedele also aufgeregt mit dem Schwanz und versuche, m?glichst freundlich zu bellen. Tats?chlich steuern die beiden Frauen jetzt direkt auf mich zu.

»Das hier ist zum Beispiel unser Junior. Haben wir gerade erst bekommen. Ungef?hr ein halbes Jahr alt.«

Sie streckt ihre Hand durch das Gitter, ich schlecke sie gleich ab. Na, wenn das jetzt keinen guten Eindruck macht, weiss ich auch nicht. Der Engel beugt sich zu mir herunter.

»Na, was bist du denn f?r ein S?sser? So ein niedlicher Kerl!« Begeistert springe ich auf und ab.

»Ja, echt ein H?bscher. Ein Dackelmix.«

Autsch. Mix. Verdammt. Das tat weh. Ich h?re augenblicklich auf, den begeisterten Hund zu mimen. Nicht, dass es nicht stimmen w?rde. Im Gegenteil. Fr?ulein Latzhose hat Recht. Und damit bringt sie meine Schmach auf den Punkt: Ich bin ein Mischling. Das Ergebnis von Mamas Aff?re mit einem sehr schneidigen Terrierr?den. Genau deswegen bin ich hier. Denn ich bin zwar Carl-Leopold von Eschersbach. Aber ein reinrassiger Dackel mit den besten Papieren - das bin ich nicht. F?r die Jagd g?nzlich ungeeignet. Und f?r die Zucht sowieso. So hat es der alte Schlossherr Eschersbach gesagt, bevor er mich in einen Karton setzte und mich hierherfuhr. Emilia hat geweint, aber sie hatte ja schon meine Schwester genommen, und zwei Hunde waren ihr nat?rlich zu viel.

Offenbar habe ich angefangen zu winseln, denn jetzt streckt auch der Engel seine Hand durch den K?fig und streichelt mich.

»Och, du Armer, was hast du denn? Bist du traurig?«

Wie peinlich. Ein Eschersbach weint doch nicht. Und dann noch vor einer so sch?nen Frau. Himmel, wo soll das noch enden? Aber offensichtlich war das genau das Richtige, denn jetzt richtet sich der Engel auf, zeigt auf mich und sagt: »Den will ich haben. Auf alle F?lle. Kann ich ihn gleich mitnehmen?«

Die Latzhose nickt.»Kommen Sie mit rein, dann erledigen wir die Formalit?ten. Alle Impfungen hat er schon, er kommt von einem sehr gewissenhaften Z?chter. Kleiner Betriebsunfall gewissermassen.«

Bei den letzten Worten kichert sie. Und daf?r w?rde ich sie sehr gerne in die Hand zwicken. Lasse es aber. Sonst muss ich nachher doch hierbleiben.

Zwanzig Minuten sp?ter sitze ich sicher in der Box verstaut auf dem R?cksitz von Carolins Auto. Carolin - so heisst mein Engel. Habe ich bei der Verabschiedung mitgekriegt. Carolin. Ein sch?ner Name. Sehr edel. Wahrscheinlich - ach was - ganz sicher ist Carolin aus noblem Hause. So etwas merkt ein Hund wie ich einfach. Carolin jedenfalls ist gut gelaunt. Sie pfeift ein Lied und schaut ab und zu in den R?ckspiegel, um nach mir zu sehen.

»So, mein S?sser, jetzt lernst du gleich dein neues Zuhause kennen. Ich bin sehr gespannt, wie es dir gef?llt.«

Und ich erst! Ob es wohl so sch?n ist wie auf Schloss Eschersbach? Mit einem grossen Park? Und vielen Kaninchenbauten? Das Auto wird langsamer, schliesslich h?lt es an. Carolin ?ffnet die T?r und hebt die Box heraus. Jetzt habe ich den Geruch von Erdbeeren und Minze direkt vor der Nase und w?rde Carolin am liebsten von oben bis unten abschlecken. Aber noch muss ich mich gedulden, aus der schaukelnden Box herauszukommen.

Um mich herum wird es dunkler, und es schaukelt noch st?rker: Carolin tr?gt mich eine Treppe hinauf. Ich versuche, mit meiner Nase durch das Gitter der Box einen ersten Eindruck von meinem neuen Domizil zu erschn?ffeln. Auf alle F?lle scheint es ein Ort zu sein, an dem verschiedene Menschen leben. Und verschiedene Tiere. Auf Anhieb kann ichmindestens eine Katze ausmachen.

Jetzt stellt Carolin die Box ab, und ich h?re, wie sie eine T?r aufschliesst. Sie schiebt die Box mit dem Fuss ein St?ck weiter. Dann nestelt sie am Deckel herum, ?ffnet ihn und hebt mich vorsichtig heraus.

»Et voil?! Hier wirst du von nun an wohnen. Schau dich ruhig um, kleiner Mann.«

Im ersten Moment sehe ich gar nichts - so hell ist es hier. Ich blinzele vorsichtig und versuche, mich an das Licht zu gew?hnen. Schemenhaft erkenne ich langsam, dass wir wohl in einem menschlichen Wohnzimmer stehen. Vor dem Fenster steht eine grosse Couch, die so aussieht, als k?nnte ein kleiner Dackel dort sehr bequem ein Nickerchen halten. Ob das bei Carolin wohl erlaubt ist? Im Schloss jedenfalls war es streng verboten. Was nat?rlich dazu f?hrte, dass meine Schwester und ich nichts lieber taten, als auf das Sofa im Salon zu hopsen. Schon allein, weil es urkomisch war, wenn der alte Schlossherr trotz seines Gehstocks wie ein ge?lter Blitz auf uns zuschoss und wild mit ebenjenem Stock herumfuchtelte, um uns zu verscheuchen.

Ich trabe zum Sofa und schnuppere am Bezug. Hm, auch Erdbeeren und Minze. Aber noch irgendetwas anderes. Kein Tier. Eher noch ein Mensch. Tief tauche ich in den Geruch ein. Hm, habe ich nicht nur ein neues Frauchen, sondern auch noch ein Herrchen? Ein Frauengeruch ist das jedenfalls nicht. W?hrend ich noch ?berlege, hebt mich Carolin hoch und setzt mich - ja! ja! ja! - auf das Sofa, sich selbst gleich daneben. Begeistert schlecke ich ihre H?nde ab - diese Frau weiss ganz offensichtlich, was Dackel lieben. Sie lacht und zieht ihre H?nde weg. Dann sieht sie mich nachdenklichan.

»So, mein Kleiner: Ich habe alles f?r dich besorgt: K?rbchen, Leine, Fressnapf, Futter. Dann fehlt nur noch eins …« Ich sch?ttle den Kopf, f?r meinen Geschmack klang das ziemlich vollst?ndig. »Du brauchst noch einen sch?nen Namen.«

Ich quieke?berrascht - einen sch?nen Namen habe ich doch schon! Oder hat mich von Eschersbach einfach so im Tierheim abgestellt? Ohne noch ein paar Sachen ?ber mich zu erz?hlen? So eine Herzlosigkeit!

Offenbar merkt Carolin meine Emp?rung, sie hebt mich auf ihren Schoss, dann gucken wir uns in die Augen.

»Hm, also, wie k?nnte so ein Kerlchen wie du wohl heissen? Wonach siehst du denn aus?«

Ich versuche, mich m?glichst wirkungsvoll in die Brust zu werfen und sehr w?rdevoll auszusehen. Vielleicht kommt sie dann von allein auf Carl-Leopold? Zur Unterstreichung dieses Anblicks belle ich noch zweimal staatstragend. Los, Carolin, denk mal scharf nach!

»Auf alle F?lle bist du kein gew?hnlicher Hund - du scheinst mir wirklich Charakter zu haben. Innerlich bist du gewissermassen viel gr?sser, als du von aussen aussiehst.«

Ja! Genau! Gleich hat sie’s! Majest?tisch werfe ich den Kopf zur?ck.

»Ich hab’s! Ich nenne dich Herkules.«

Wie bitte? HERKULES? Alter Grieche statt alter Adel?

ZWEI

Herkules! Gut, Carolin mag keinen Geschmack haben, was die Namenswahl bei Dackeln anbelangt, und an diesen merkw?rdigen neuen Namen muss ich mich auch erst mal gew?hnen. Ein H?ndchen f?r die richtige Wohngegend hat sie aber auf alle F?lle. Tats?chlich scheint das Haus, in dem ich jetzt wohne, fast so gross wie Schloss Eschersbach zu sein. Mein Gef?hl, dass Carolin aus den besten Verh?ltnissenstammt, scheint also zu stimmen. Auch die Nachbarn residieren nicht gerade in bescheidenen H?tten. Direkt hinter unserem Haus beginnt ein Park. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob der Carolin allein geh?rt, denn er ist wirklich riesig. Als wir dort einen kurzen Spaziergang machen, kann ich ?berhaupt nicht erkennen, wo der Park endet - toll!

Und er ist nicht nur gross, es wartet auch das Abenteuer in ihm. Schon nach ein paar Schritten wittere ich die ersten Kaninchen und Eichh?rnchen. Sofort will ich loslaufen, da erinnert mich ein unsanfter Ruck im Nacken daran, dass Carolin etwas f?r mich besorgt hat, was f?r mich v?llig ungewohnt ist: eine Art Strick, den sie an meinem Halsband festgemacht hat. Aua! Was soll das denn? Ich drehe mich um, nehme das Ding in die Schnauze und zerre ein bisschen daran. Carolin kniet sich zu mir herunter.

»Na, Herkules? Magst du deine neue Leine nicht? Oder bist du noch nie so spazieren gegangen? Ich bin mir gar nicht sicher, ob so ein kleiner Hund wie du das gleich kann. An der Leine gehen, meine ich. Aber leider herrscht hier Leinenzwang, und ich kann dich nicht einfach herumlaufen lassen.«

Bei dem Wort»Leinenzwang« muss ich noch ein bisschen wilder auf dem Strick herumbeissen. Ich weiss zwar nicht genau, was das bedeutet, aber es klingt definitiv wie etwas, was sich gegen Hunde richtet.

»Ts, ts!«, sagt Carolin und dann streichelt sie mir ganz z?rtlich ?ber den Kopf. Ich lasse die Leine los und schaue sie an.

»Ich muss mir wohl ein Buch ?ber Hundeerziehung kaufen. Oder vielleicht ein paar Stunden beim Hundetrainer buchen? Du bist n?mlich mein allererster Hund ?berhaupt. Aber gestern hatte ich auf einmal das Gef?hl, es w?re nett, so ein freundliches, treues Wesen um mich zu haben.«

Okay, das mit der Erziehung ist nat?rlich ?berfl?ssiger Unsinn, und ich hoffe, Carolin kommt noch von allein drauf. Aber das mit dem freundlichen, treuen Wesen trifft hundertprozentig auf mich zu. Wie auf alle von Eschersbach’schen Dackel. Ich w?rde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass wir daf?r ber?hmt sind.Ein von Eschersbach verl?sst seinen Menschen nie. Nie! Merk dir das, Carl-Leopold!,h?re ich Opili sagen. Was aber ist, wenn der Mensch auf einmal den Dackel verl?sst? Dazu w?re Opili bestimmt auch nichts eingefallen, f?ge ich in Gedanken finster hinzu. Einen Moment will sich schlechte Laune bei mir breitmachen, aber da raschelt Carolin mit irgendwas in ihrer Tasche. Hmh, nicht mit irgendetwas - den Geruch kenne ich doch! Es ist Fleischwurst. Sie h?lt mir tats?chlich ein St?ck davon unter die Nase.

»Hier, mein Schatz. Beginnen wir doch unsere erste Trainingseinheit in Sachen Spaziergang mit etwas Erfreulichem. Ich hoffe, du magst das.«

Ich schnappe mir den Wurstzipfel und springe gleich mal begeistert auf und ab. Carolin soll doch wissen, dass das auf alle F?lle die richtige Idee war.

»Das freut dich, nicht wahr? Vielleicht lassen wir das Leinentraining auch erst mal und besuchen stattdessen Daniel. Wird Zeit, dass du den kennenlernst. Um diese Uhrzeit ist er bestimmt gerade fleissig und vielleicht f?r ein bisschen Abwechslung dankbar.«

Schade, ich w?re gerne noch im Park geblieben. Auch mit Leine. Vielleicht h?tten wir noch einen anderen Hund getroffen, den ich ein bisschen ?ber die Nachbarschaft h?tte ausquetschen k?nnen. Man will ja schliesslich wissen, mit wem man es zu tun hat. Aber wenn dieser Daniel so wichtig ist - bitte, von mir aus!

Carolin geht genau den Weg zur?ck, den wir gerade gekommen sind, und ich gebe mir M?he, brav an der Leine hinter ihr herzutrotten. Vielleicht kriege ich noch ein St?ck Wurst, wenn ich ihr jetzt ein p?dagogisches Erfolgserlebnis verschaffe. Tats?chlich dreht sie sich kurz zu mir um.

»Braver Herkules! Du lernst aber schnell!«, lobt sie mich. Leider ohne noch einmal in ihre Tasche zu greifen. Sei’s drum, Hunger habe ich ja eigentlich keinen.

Mittlerweile stehen wir wieder vor unserem Haus. Ob dieser Daniel auch hier wohnt? Carolin beugt sich zu mir und nimmt mich auf den Arm.

»So, ab in die Werkstatt!«

Werkstatt? Interessantes Wort. Was sich dahinter wohl verbirgt? Wir gehen tats?chlich ins Haus, aber anders als eben nicht die Treppe hoch, sondern vier Stufen hinunter. Dann ?ffnet Carolin die T?r - und wir stehen in einem Raum, der unglaublich nach Holz riecht. Ich schnaube erstaunt. Ob die Menschen auch W?lder haben, die sichinH?usern befinden? Und wohnen dann dort trotzdem F?chse und Kaninchen? Allerdings sehe ich ?berhaupt keine B?ume. Merkw?rdig.

Aus einer Ecke des Werkstattdings h?re ich jemanden pfeifen. Ob das Daniel ist? Carolin tr?gt mich in Richtung des Ger?uschs. Wir kommen in einen Raum mit zwei grossen Fenstern, in die gerade die warme Nachmittagssonne scheint. Direkt hinter den Fenstern beginnt eine Wiese, es sieht sehr h?bsch aus. Vor den Fenstern steht ein grosser Tisch, und hinter dem Tisch steht der Mensch, der so laut pfeifen kann. Er h?lt ein langes Dings in den H?nden, das aussieht wie ein Ast mit langen Haaren. Als er uns sieht, legt er das Dings zur Seite und h?rt auf zu pfeifen.

»Oh, hallo! Hat sich da jemand zu uns verlaufen? Oder haben wir gerade Besuch?«

Carolin sch?ttelt den Kopf. »Weder noch: Wir haben einen neuen Mitbewohner. Darf ich vorstellen: Herkules - Daniel. Daniel - Herkules.« Mit diesen Worten setzt sie mich auf den Tisch neben das Dings.

»Bitte? Du hast einen Dackel gekauft?«

»Einen Dackelmix, ja.«

Ich kann nicht anders - ich muss an dieser Stelle einfach heftig den Kopf sch?tteln und emp?rt knurren. Die beiden schauen mich erstaunt an.

»Hoppla, mag er vielleicht keine M?nner?«, will Daniel wissen.

Carolin zuckt mit den Schultern und krault mich beschwichtigend hinter den?hrchen. »Das will ich doch nicht hoffen. Im Tierheim haben sie jedenfalls nichts davon gesagt, und ich wollte ihn eigentlich tags?ber mit in die Werkstatt bringen.«

Daniel l?chelt. »Na ja, vielleicht ist er ein stolzes Kerlchen und mag es nicht, wenn du seine Reinrassigkeit anzweifelst.«

Die beiden lachen, und Carolin nimmt mich wieder auf den Arm.

Was, bitte, ist daran so komisch? Auch wenn ich noch nicht so viele Menschen kenne, eines steht fest: Diese Zweibeiner sind deutlich unsensibler als wir Hunde. Ein Gef?hl daf?r, was uns gerade bedr?ckt, haben sie ganz offensichtlich nicht. Mich beschleicht auf einmal das mulmige Gef?hl, dass das st?ndige Zusammenleben mit so einem Menschen, nicht immer die reine Freude sein k?nnte. Immerhin war dieser Daniel schon mal auf der richtigen F?hrte. Den Rest ?ben wir noch!

»Darf ich ihn auch mal halten?«

»Klar!« Carolin reicht mich hin?ber. Daniel hat einen festen, aber nicht unangenehmen Griff. Er ist nur ein bisschen gr?sser als Carolin und von hier oben kann ich sehen, dass sich seine hellen Haare wild ?ber den ganzen Kopf locken.

»Na, Kleiner? Magst du mich etwa nicht?« Um das Gegenteil gleich mal klarzustellen, schlecke ich Daniel mit meiner Zunge ?bers Gesicht.

»So viel zum Thema>mag keine M?nner<«, freut sich Carolin. »Du kommst doch ziemlich gut bei ihm an.«

»Dann bin ich ja beruhigt! Denn wenn wir hier demn?chst unsere Tage zu dritt verbringen, w?re alles andere ja auch schlecht. Ein Dackel, der mich st?ndig in die Waden zwickt, h?tte unsere Harmonie doch empfindlich gest?rt.«

Ah, verstehe. Daniel ist also das Herrchen zu meinem Frauchen. Wahrscheinlich habe ich ihn auch oben in der Wohnung gerochen. Ich habe schon?fter geh?rt, dass sich Menschen gerne zu zweit zusammentun und dann auch ganz lange so ein Paar bleiben. Fand ich bisher immer einen komischen Gedanken. Aber wenn ich die beiden so sehe, dann kann ich’s glatt verstehen. Sie wirken so … so vertraut miteinander. Fast wie mein Opili mit dem alten Eschersbach. Und die beiden sind immerhin f?nfzehn Jahre zusammen zur Jagd gegangen. Mehr Paar geht gar nicht. Ob Carolin und Daniel auch zusammen jagen? Oder machen Menschenpaare andere Sachen zu zweit?

»Kurz etwas Dienstliches: Hat Frau Brolin noch mal angerufen?«, will Carolin von Daniel wissen. »Sie wollte eigentlich heute mit einem Cello zum Sch?tzen vorbeikommen. Soll restauriert werden, wenn sich das lohnt.«

Cello. Was f?r ein sch?nes Wort. So weich und trotzdem irgendwie … feurig. Was mag das sein? Und ob es irgendwas mit dem Dings zu tun hat, was Daniel vorhin noch in der Hand hatte? Na, ich werde es herausfinden, ich bin ab heute ja ?fter in der Gegend.

»Ja, sie war kurz da und hat das Instrument hiergelassen. Ich habe es dir auf deinen Platz gelegt. Es war ihr aber nicht besonders eilig. Reicht v?llig, wenn du sie Montag anrufst.«

»Ach gut. Wenn ich ehrlich bin, w?rde ich mir gerne den Rest des Tages freinehmen und Herkules sein neues Zuhause und die neue Umgebung zeigen. Einen kleinen Spaziergang im Park haben wir eben schon versucht, aber Herkules mag seine neue Leine nicht. Vielleicht ?be ich gleich noch mal ein bisschen mit ihm.«

»Mach nur, bei mir gibt es auch nichts Dringendes. Jedenfalls nichts, was ich nicht ohne dich schaffen w?rde.« Daniel l?chelt wieder und reicht mich an Carolin zur?ck.

Es ist schon toll, was f?r unterschiedliche Gesichtsausdr?cke Menschen so hinbekommen. Ist nat?rlich auch viel einfacher, wenn man nicht so viele Haare um Augen und Nase hemm hat. Jetzt gerade hat dieser Daniel meine Carolin so angeschaut, als w?rde er ihr auch gerne ?bers Gesicht lecken.

Aber das machen Menschen anscheinend nicht. Habe ich jedenfalls noch nie bei ihnen gesehen. Auf und ab springen tun sie?brigens auch nicht. Komisch, oder? Dabei f?hlt sich das so gut an, wenn man sich freut.

»Daniel?«

»Ja?«

»Das ist f?r dich okay mit dem Hund, oder?« »Klar, mach dir keine Gedanken.«

»Ich meine nur - es war ja eine ziemlich spontane Idee, und eigentlich wollte ich dich vorher fragen. Aber dann war ich schon mal aus reiner Neugier im Tierheim und habe mich gleich in dieses kleine Kerlchen verliebt.«

»Der ist aber auch wirklich s?ss. Ich kann verstehen, dass du ihn gleich mitnehmen wolltest. Allein diese grossen braunen Knopfaugen. Ich finde ?brigens, man sieht kaum, dass er ein Mix ist. Schlappohren und relativ kurze Beine - ziemlich langen R?cken hat er auch. Also, wenn du mich fragst, der kommt bestimmt aus einer richtigen Dackelfamilie, viele andere Rassen sind da garantiert nicht mit drin.«

Daniel, du bist mein Mann! Am liebsten w?rde ich von Carolins Arm direkt zu Daniel springen und ihn noch einmal von oben bis unten abschlecken - so gut tut mir sein Kompliment. Ich habe das Gef?hl, spontan um eine Pfotenbreite gewachsen zu sein. Stolz belle ich los.

»Das scheint dich ja richtig zu freuen! Carolin, ich glaube, du hast es hier mit einem sehr stolzen Exemplar zu tun. Wahrscheinlich m?ssen wir uns anstrengen, seinen Anspr?chen zu gen?gen.«

Weder lachen beide, und Carolin krault mich noch einmal hinter den Ohren.»Tja, mein S?sser, dann will ich mir mal M?he geben, damit du dich auch wohlf?hlst bei uns.«

Als ich nachts in meinem neuen K?rbchen liege, bin ich ersch?pft, aber gl?cklich. Eine Stunde waren wir noch im Park spazieren und haben die Sache mit der Leine ge?bt. Um Carolin einen Gefallen zu tun, bin ich meistens brav hinter ihr her getrabt, nur ab und zu, wenn ich mir sicher war, an einem Kaninchenbau vorbeigekommen zu sein, habe ich mich auf den Hintern gesetzt und wild geknurrt. Schliesslich habe ich auch einen Ruf als Jagdhund zu verteidigen. Aber mit gutem Zureden und einigen Scheiben Fleischwurst haben wir doch eine ziemlich grosse Leinenrunde im Park geschafft. Ein paar Hunde haben wir auch getroffen, aber mir war nicht nach reden. Morgen ist schliesslich auch noch ein Tag.

Bevor ich einschlafe, kommt Carolin noch einmal vorbei und legt mir eine weiche Decke ins K?rbchen. Sie schmust ein bisschen mit mir, dann fl?stert sie mir ins Ohr: »Weisst du, mein S?sser, eigentlich ist es eine Schande, dass ich mir nicht l?ngst einen Hund angeschafft habe. Hier ist es wirklich ideal f?r ein Kerlchen wie dich. Tags?ber kannst du mit mir in die Werkstatt kommen oder in unserem Garten herumstromern. Und immer, wenn ich eine Pause mache oder freihabe, dann gehen wir hier spazieren. Na, wie klingt das?«, will sie dann wissen, und endlich - endlich! - kann ich ihr auch einmal ?bers Gesicht schlecken. Carolin kichert, streichelt mich noch einmal und w?nscht mir eine Gute Nacht.

Hach, ich habe es richtig gut getroffen: ein nettes Frauchen, ein nettes Herrchen - eigentlich wieder eine richtig sch?ne Familie, ganz wie auf Schloss Eschersbach. Gut, es gibt keine Emilia, und Carolin hatte nicht etwa frischen Pansen besorgt, sondern beim Abendessen zur Feier des Tages eine Dose aufgemacht. Aber egal. Wenn das das b?rgerliche Leben ist, dann kann ich mich damit anfreunden. Wenigstens scheint es hier ehrlich zuzugehen, und jemanden, der so kaltherzig wie der alte Eschersbach ist, habe ich hier noch nicht getroffen. Ja, das Gl?ck der kleinen Leute, es hat etwas rundherum Beruhigendes. Der Adel kann mir gestohlen bleiben. Noch einmal denke ich an die leckere Fleischwurst, dann fallen mir die Augen zu.

DREI

Am liebsten w?rde ich mir die Ohren zuhalten. Oder mich unter dem Sofa verkriechen. Denn was ich hier gerade erlebe, macht mir richtig Angst. Ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen habe, ist eben in unsere, also genauer gesagt, Carolins Wohnung gekommen und hat sofort begonnen herumzubr?llen. Ich bin fassungslos. Wer ist dieser furchtbare Kerl? Und wo steckt eigentlich Daniel? Will der sein Weibchen nicht besch?tzen? Vielleicht sollte ich ihn schnell suchen, damit er Carolin helfen kann. Daf?r m?sste ich allerdings an dem br?llenden Kerl vorbei, und das traue ich mich ehrlich gesagt nicht. Eine Unart, die ich an Menschen echt hasse? Dass sie so furchtbar laut sein k?nnen! Meine Ohren sind wirklich ausgezeichnet. F?r meinen Geschmack m?ssten Menschen daher weder selbst so laut reden noch - was sie anscheinend auch sehr gerne machen - unglaublich laute Musik h?ren. Aber das nur nebenbei bemerkt.

In seiner aggressiven Art erinnert mich dieser Mann gerade sehr an Bozo und Boxer. Er ist riesig, ein ganzes St?ck gr?sser als Carolin. Und seine Haare sind genauso rabenschwarz wie Bozos Fell. Er macht die gleichen herrischen Bewegungen und hat den gleichen ungebildeten Tonfall. Anscheinend ein Proletarier reinsten Wassers, genau wie Bozo-Boxer.

Der Mann fuchtelt wild mit den H?nden herum und zeigt - auf mich! Auweia!

»Du hast was? ! Ich bin keine drei Tage auf einer Dienstreise, komme zur?ck, und du hast einen Hund gekauft?«

Der Kopf von Bozo-Boxer ist hochrot angelaufen. Irgendetwas sagt mir, dass ich bei ihm nicht ganz so gut ankomme wie bei Daniel. Aber das kann mir wohl egal sein. Hauptsache, mein Herrchen mag mich. Und hoffentlich kommt das bald. Auch mit den f?r gew?hnlich schlechten Menschenohren kann man diese Schreierei bestimmt in der Werkstatt h?ren. Jetzt stellt sich Carolin tapfer vor den Mann. Offensichtlich will sie mich verteidigen. Eine tolle Geste, aber so geht es nun wirklich nicht. Denn wenn hier jemand zu verteidigen ist, dann doch wohl mein Frauchen durch ihren tapferen Jagdhund. Es hilft nichts - ich muss mich in den Kampf st?rzen.

Gerade will ich Anlauf nehmen, um mit einem gewagten Sprungman?ver eine m?glichst gute Bissposition f?r eine empfindliche Stelle bei dem Kerl zu erreichen, da passiert das Unglaubliche: Carolin geht noch ein St?ck n?her an den fiesen Typen heran und streichelt ihm ?ber den Arm.

»Aber, Schatz - wir waren uns doch einig, dass ein Tier eine gute Idee ist. Und da bin ich gestern spontan ins Tierheim gefahren. Bitte - sei nicht b?se! Herkules ist doch so s?ss!«

Schatz?Da habe ich mich doch Hoffentlich verh?rt. DennSchatzsagen meines Wissens vor allem Menschenpaare zueinander. Wie zum Beispiel der G?rtner immerSchatzzu Emilia sagt, was in Ordnung ist, weil die beiden ja ein Paar sind. Sollte also Carolin zwei M?nner haben? Und einer davon ist ausgerechnet dieser Prolet? Immerhin scheint Carolin ihn etwas beruhigt zu haben, er schreit nicht mehr ganz so laut.

»Du und deine spontanen Ideen. Kaufst ohne mich zu fragen einen Hund - was f?r ein Schwachsinn!«

»Na ja, ich dachte, wo du doch so h?ufig weg bist und weil wir doch den grossen Garten haben. Und Herkules kann tags?ber mit in die Werkstatt kommen. Daniel hatte damit ?berhaupt kein Problem.«

»Nat?rlich hat der damit kein Problem. Der ist doch das Weichei vor dem Herrn. Wenn du vorschlagen w?rdest, dass ihr ab morgen in Strapsen im Laden steht, w?rde er dazu auch Ja und Amen sagen.«

»Mensch, Thomas - jetzt h?r doch auf, immer auf Daniel rumzuhacken. Er ist vielleicht nicht so ein Macher wie du, aber ich k?nnte mir keinen besseren Partner vorstellen als ihn.«

Aha, der Mensch heisst Thomas. Und offensichtlich kennt er Daniel. Was f?r eine interessante Konstellation. Ob Menschen manchmal auch zu dritt zusammenleben? Man erz?hlt sich unter Dackeln, dass die Hunde in grauer Vorzeit in Rudeln zusammenlebten. Allerdings kamen da auf einen R?den mehrere Damen. Vielleicht ist das in einem Menschenrudel - falls es das denn ?berhaupt gibt, anders. Vielleicht braucht jede Frau mehrere M?nner? Es gibt noch viel zu lernen f?r einen jungen Hund wie mich. Das steht schon mal fest.

»Ja nat?rlich findest du keinen besseren Partner«, h?hnt Thomas jetzt. »Gibt ja auch kaum Geigenbauer. Aber nur weil sich dein Herr Kollege in der Werkstatt alles von dir bieten l?sst, trifft das auf mich noch lange nicht zu.«

Thomas lacht ver?chtlich auf. Carolin f?ngt an zu weinen, und mir wird langsam klar, dass Daniel und Carolin anscheinend gar kein Paar sind. Jedenfalls kein Liebespaar. Stattdessen ist Carolin wohl unbegreiflicherweise die Frau von Thomas und mit Daniel arbeitet sie nur zusammen. So muss es wohl sein. Oh, wie grauenhaft.

Ich bin jetzt v?llig verwirrt und h?re gar nicht mehr zu, was Thomas noch an Unversch?mtheiten von sich gibt. Stattdessen muss ich fieberhaft nachdenken, wie es wohl kommt, dass Carolin und Thomas ein Paar sind. Den kann sich Carolin doch im Leben nicht freiwillig ausgesucht haben. Wie ist das bloss passiert? Ob es auch bei Menschen eine Instanz gibt, die M?nner und Frauen zusammenw?rfelt? Also quasi einen Z?chter? Das hielt ich bisher f?r ausgeschlossen, Menschen waren f?r mich bisher die Wesen mit dem freien Willen. Aber wenn ich das hier so sehe, dann muss das bei Menschen noch irgendwie anders funktionieren. Und - das liegt auf der Hand - es funktioniert nicht gut.

»Carolin, du machst dir da etwas vor. Das mit Thomas und dir funktioniert einfach nicht. Hat es nie. Wird es nie.«

»Woher willst du das so genau wissen? Nur weil du Psychologin bist, kannst du noch lange nicht in die Zukunft sehen.«

»Ne, nicht weil ich Psychologin bin. Sondern weil ich deine beste Freundin Nina bin, die sich das ganze Elend jetzt schon vier Jahre anschaut.«

Wir sitzen, beziehungsweise Carolin und Nina sitzen, ich liege, in einem Caf?. Dorthin ist Carolin mit mir nach dem Streit mit Thomas gefahren. Kurze Zeit sp?ter ist diese Nina dazugekommen. Und seitdem ist es ziemlich interessant, denn Carolin und Nina unterhalten sich exakt ?ber das, was mir heute auch schon sehr zu denken gegeben hat: Was will Carolin eigentlich mit Thomas? Nina mag Thomas offensichtlich auch nicht. Aber anders als ich macht sie es nicht an seinem unsympathischen Geruch und seiner lauten Stimme fest, sondern hat noch viele andere Gr?nde aufgez?hlt, von denen ich die meisten gar nicht so ganz verstanden habe. Aber egal - unterm Strich kommen Nina und ich zu dem gleichen Ergebnis: Der geht gar nicht. Carolin verteidigt ihn allerdings tapfer, aber Nina h?lt weiter dagegen.

»Ich meine, mal ganz ehrlich, Carolin: Jetzt hast du dir schon aus lauter Verzweiflung einen Hund gekauft. Was kommt als N?chstes?«

Hey! Geht das etwa gegen mich? Ich knurre vorsichtshalber ein bisschen. Carolin beugt sich zu mir runter.

»Ist schon gut, Herkules. Nina meint es nicht so.«

Nina rollt mit den Augen. Das kann ich von meinem Platz neben Carolins Stuhl genau sehen.»Doch, ich meine es genau so, wie ich es sage! Was dir fehlt, ist ein Mann, der dich genauso liebt wie du ihn. Daf?r ist so ein doofer Dackel garantiert kein Ersatz.«

Doofer Dackel? Weiss die eigentlich, wen sie hier vor sich hat? Mit einem Knurren ist es eindeutig nicht mehr getan, ich springe von meinem Platz auf und belle Nina einmal energisch an. Sie zieht erstaunt die Augenbrauen hoch.

»Hoppla, scheint wirklich so, als ob er mich verstanden h?tte. Okay, das Letzte nehme ich zur?ck. Du bist kein doofer Dackel. Aber bei Ersterem bleibe ich - den doofen Thomas kannst du nicht wettmachen. Auch wenn du zugegebenermassen ganz niedlich bist.«

Na also, geht doch. Ich lege mich wieder hin.

»Herkules ist kein Liebesersatz. Mit Thomas hat das gar nichts zu tun. Ich wollte schon lange einen Hund.«

»Quatsch. Das war eine typische Sublimierung.«

»Ja, ja, die Psychologin weiss es genau.«

Ich weiss nicht genau, wasPsychologinbedeutet, scheint aber irgendetwas Gef?hrliches zu sein. Jedenfalls hat Carolin es schon ein paar Mal zu Nina gesagt, und es klang, als h?tte Nina eine ernste Krankheit. Mindestens Zwingerhusten. Die Arme, dabei sieht sie so gesund aus - rosige Hautfarbe, grosse klare Augen, ich wette, sie hat auch eine ganz kalte Nase. Und ihre braunen Haare gl?nzen. Aber falls es doch eine Krankheit ist, hoffe ich, Carolin steckt sich nicht an und wird dann auch psychologisch.

»Also, reden wir doch mal Klartext: Du bist nicht gl?cklich mit Thomas und wirst es auch niemals sein. Behalte den Hund - aber trenn dich von dem Kerl.«

Genau, so machen wir es! Ich stehe auf und wedele mit dem Schwanz. Leider ist Carolin nicht so begeistert von diesem Rat wie ich - sie f?ngt an zu weinen.

»Du verstehst mich nicht. Thomas und ich - wir geh?ren einfach zusammen. Ich weiss es ganz genau. Allein, wie wir zusammengekommen sind: Das war Schicksal!«

Aha - Schicksal! Ein mysteri?ses Wort. Sollte das die Instanz sein, die Menschen zusammenbringt? Und wenn ja, wie konnte das Schicksal bei Carolin so danebenliegen? Ich versuche mir, das Schicksal in Person vorzustellen. Vielleicht sieht es so aus wie der alte von Eschersbach. Streng. Angsteinfl?ssend. Ein bisschen rechthaberisch. Wenn Schicksal allerdings so ist wie von Eschersbach, dann k?nnte es sich tats?chlich auch mal irren. Immerhin ist dem Alten bei der Einsch?tzung meiner Wenigkeit doch auch ein schwerer Fehler unterlaufen. H?tte er mich sonst ins Tierheim gebracht?

Mit einem Mal interessiert mich das Gespr?ch zwischen Nina und Carolin nicht mehr so sehr. Meine Gedanken sind wieder auf dem Schloss: Bei Mama, meiner Schwester Charlotte und Emilia. Wie es ihnen wohl geht? Zum ersten Mal seit den letzten drei aufregenden Tagen f?hle ich eine merkw?rdige Sehnsucht. Vermisst mich meine Familie?Oder reden sie schon nicht mehr ?ber mich? Ob Charlotte auch gut schlafen kann, wenn ich nicht neben ihr im K?rbchen liege? Ach, Charlotte, werde ich dich jemals wiedersehen?

»Hey, Herkules, was ist denn los mit dir? Geht es dir nicht gut?«

Anscheinend habe ich angefangen zu jaulen. Jedenfalls haben Carolin und Nina aufgeh?rt sich zu unterhalten, und Carolin hebt mich auf ihren Schoss. Erstaunt schaue ich direkt in ihr Gesicht. Ihre Augen sind ganz rot - Menschen weinen zwar leicht, aber offensichtlich bekommt es ihnen nicht. Ich schlecke schnell ihre H?nde ab.Alles in Ordnungsoll das bedeuten, aber trotzdem guckt Carolin ganz besorgt.

»Hm, was er wohl hat?«

Nina zuckt mit den Schultern.»Vielleicht ist er auch nicht so gl?cklich mit Thomas? Immerhin w?rde der ihn am liebsten rausschmeissen.«

WUFF! Wie bitte? Thomas will mich rausschmeissen? Lande ich also morgen wieder im Tierheim? Bei Bozo und Boxer?

Als wir wieder zu Hause sind, bin ich immer noch ganz beunruhigt. Ob mich Carolin tats?chlich wieder zur?ckbringt? Das w?re furchtbar. Vielleicht komme ich doch nicht darum herum, mich mit Thomas gutzustellen. Ich beschliesse, mich von meiner besten Dackelseite zu zeigen, wenn ich ihn das n?chste Mal sehe. Das geht mir zwar gegen den Strich, denn ein von Eschersbach kriecht grunds?tzlich nicht zu Kreuze - aber andererseits war mein letzter Akt zivilen Ungehorsams auch nicht gerade ein voller Erfolg und endete bekanntermassen mit einem schmerzhaften Biss in mein ?hrchen.

Momentan allerdings scheint Thomas gar nicht zu Hause zu sein. Carolin ruft jedenfalls nicht nach ihm, sie stellt nur kurz ihre Tasche ab und greift dann wieder nach dem Wohnungsschl?ssel.

»Wir gehen nochmal kurz in die Werkstatt, Herkules.« Dann ?ffnet sie die T?r. »Komm, S?sser!«

Nichts lieber als das! Ich freue mich, Daniel wiederzusehen und laufe schwanzwedelnd hinter Carolin die Treppe hinunter.

Unten angekommen, muss ich allerdings feststellen, dass es immer noch sehr nach Holz, aber nicht unbedingt nach Daniel riecht. Komisch, wo steckt der nur? W?hrend Carolin zu einem der Tische geht und dort ein wenig herumr?umt, laufe ich los und suche Daniel. Ich stelle fest, dass die R?ume hier in der Werkstatt ganz ?hnlich wie in Carolins Wohnung angeordnet sind: Zwei in einander ?bergehende auf der einen Seite, ein dritter dahinter, dann ein langer Flur und hinten noch einmal ein Zimmer. Dort riecht es besonders stark nach Wald - und als ich hineinschnuppere, sehe ich, dass sich hier ganze Stapel von Holz t?rmen. Merkw?rdig - was will Carolin bloss mit so viel Holz? Von Eschersbach sammelt Flaschen in seinem Keller, und der Mann von Emilia sammelt diese kleinen bunten, viereckigen Papierst?cke mit den gezackten R?ndern, aber Holz? Es gibt offensichtlich nichts, was Menschen nicht sammeln.

»Herkules, wo steckst du denn?«, ruft Carolin den Flur hinunter. Ich trabe aus dem Holzzimmer. »Na, was machst du denn im Holzlager? Riecht gut, oder?« Ich lege mich vor Carolins F?sse, und sie streichelt mich kurz. »Oder suchst du Daniel?«

Als ich diesen Namen h?re, wedele ich mit dem Schwanz. Carolin soll gleich mal wissen, was ich mir unter einem netten Herrchen vorstelle.

»Ah, daher weht der Wind. Daniel ist nett, nicht? Aber es ist Wochenende, und da arbeiten wir normalerweise nicht. Ich muss auch nur kurz ein paar Sachen erledigen, die seit deinem Einzug bei mir liegengeblieben sind. Dann gehen wir eine Runde spazieren, versprochen. Du kannst dich so lange ein bisschen im Garten umschauen, bis ich fertig bin, okay?«

Ein guter Plan, denn den Garten habe ich noch gar nicht inspiziert.?berhaupt - bis auf Wohnung und Werkstatt ist das Haus noch g?nzlich unbekannt f?r mich, und ich freue mich schon darauf, es nach und nach zu erkunden. Carolin geht zu einem der Fenster im zweiten Raum und ?ffnet es. Erst jetzt sehe ich, dass von dort zwei Stufen hinauf in den Garten f?hren. Schnell springe ich sie hoch und sitze sofort im Gras. Herrlich - wie das am Bauch kitzelt! Die Sonne scheint mir auf die Nasenspitze, und ich muss niesen. Carolin lacht.

»So, dann viel Spass - ich lasse die T?r auf, du kannst also reinkommen, wenn dir langweilig wird.«

Keine Sorge, Carolin, das wird garantiert nicht passieren! Ich trabe los und beschnuppere den riesigen Baum, der seitlich vorm Haus steht. Hm, interessant. Offensichtlich war hier schon l?ngere Zeit kein Hund mehr, denn es ist absolut nichts markiert an diesem Stamm. Ich hole das sofort nach und hebe gleich mal mein Beinchen. Oft habe ich das noch nicht gemacht und an so einem breiten Stamm schon gleich gar nicht, deshalb sieht das Ganze bestimmt noch ein bisschen amateurhaft aus. Aber egal, das kann ich hier schliesslich ausgiebig unter Ausschluss der ?ffentlichkeit ?ben. So lange, bis ich es genauso gut hinkriege wie die erwachsenen R?den, die ich dabei schon heimlich beobachtet habe. Total l?ssig sind die: laufen an einem Baum vorbei und heben - als w?re es keine grosse Sache - einfach ihr Bein.

Ich versuche es noch einmal auf der anderen Seite, ist schliesslich wichtig, dass man es mit beiden Beinen hinkriegt. Gar nicht so leicht, das! Nur gut, dass mich keiner sieht.

»Na, Kleiner?«, t?nt es in diesem Moment von direkt ?ber mir. »Das schaut noch ganz sch?n wackelig aus. Machst du wohl noch nicht so lang, he he!«

Wer, zum Teufel, ist das? Ich gucke nach oben und sehe in der Baumkrone eine dicke, schwarze Katze. O nein, welch Schmach! Ein heimlicher Beobachter und dann ausgerechnet noch eine Katze!

»Im ?brigen sind das hiermeinGarten undmeinBaum - ich m?chte dich also auffordern, dieses Rumgepinkel hier zu unterlassen. Es ist ekelhaft und stinkt.«

Mit diesen Worten klettert die Katze gem?chlich den dicken Stamm hinunter und steht dann vor mir. F?r eine Katze ist sie ziemlich gross. Vor allen Dingen ist sie auch fett. Ich knurre sie an.

»Was denn? Ist das etwa eine korrekte Begr?ssung? Ihr Hunde habt einfach kein Benehmen. Kommst hier quasi ohne anzuklopfen in mein Wohnzimmer und stellst dich nicht mal vor. Aber na gut«, die Katze seufzt, »fangen wir eben anders herum an: Ich bin Herr Beck.«

Aha, ein Kater.

»Ich bin Carl-Leopold von Eschersbach. Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Beck.« Schliesslich will ich mir von so einem nicht nachsagen lassen, ich w?sste nicht, was sich geh?rt.

Der Kater kichert.»Carl-Leopold? Komisch, meine eben geh?rt zu haben, dass Carolin dich Herkules nennt. Und>von Eschersbach< klingt reichlich?berkandidelt.«

Was f?r eine Frechheit! Am liebsten w?rde ich diesem fetten Viech gleich mal richtig in die Fersen beissen - aber vom Umgang mit den Schlosskatzen weiss ich, dass das f?r einen kleinen Hund wie mich ziemlich schmerzhaft ausgehen kann. Diese Biester sind echt schnell und haben richtig scharfe Krallen. Obwohl ich innerlich sch?ume, versuche ich also, mich ganz k?hl zu geben.

»Eine tolle Frau wie Carolin kann mich nennen, wie sie will. Bei einer gew?hnlichen Katze wie Ihnen muss ich leider aufCarl-Leopoldbestehen. Im?brigen ist das hier mitnichten Ihr Wohnzimmer, sondern mein neuer Garten. Ich m?chte Sie also bitten, in Zukunft nicht mehr auf meinen ebenfalls neuen Baum zu klettern. Sie besch?digen ihn mit Ihren Krallen.«

Der Schwanz des Katers beginnt zu zucken. Allerdings leider nicht, weil Beck vor Angst zittert, sondern weil er in geradezu hysterisches Gel?chter ausbricht.

»Grossartig - du hast hier gerade noch gefehlt! Gerade war mir ein bisschen langweilig geworden - aber mit einem Clown wie dir wird das bestimmt ein sehr unterhaltsamer Sommer.«

Beck f?ngt an, sich lachend auf dem Boden zu w?lzen. Es ist offensichtlich, dass er sich blendend am?siert. Ich hingegen k?nnte mir die Schwanzhaare ausreissen. Niemand nimmt mich f?r voll. Langsam beruhigt sich Herr Beck wieder, steht auf und sch?ttelt sich kurz.

»Jetzt mal im Ernst, Kleiner - was glaubst du eigentlich, wer du bist?«

Ich will darauf gerade etwas erwidern, da zischt Becks Tatze blitzschnell millimeterscharf an meiner Schnauze vorbei.»Halt - falsche Frage! Fang jetzt bloss nicht wieder mit diesem Adelsgequatsche an.«

Ich knurre. Beck soll nicht denken, dass ich mich hier ohne weiteres beleidigen lasse - Krallen hin, Krallen her. Beck ignoriert das leider v?llig und f?hrt unbeeindruckt fort: »Ich lebe nun schon eine ganze Weile als einziges Tier in diesem Haus, wenn man mal von dem bl?den Wellensittich im zweiten Stock absieht. Und nur, weil du von der zugegebenermassen ganz reizenden Carolin hier angeschleppt wurdest, musst du nicht glauben, dass ich mein Revier r?ume. Das warmeinGarten, das istmeinGarten, und das wird auch immermeinGarten bleiben! Also sei froh, wenn du dir hier ab und zu die Sonne auf die Nase scheinen lassen darfst und bleib weg von dem Baum. Verstanden?«

Mit diesen Worten dreht er sich um und will mich offensichtlich einfach so stehen lassen. Da platzt mir endg?ltig der Kragen. Ich mache einen Satz nach vorne und schnappe nach Becks Schwanz. Eigentlich mit dem Ziel, es ebenso knapp ausfallen zu lassen, wie Beck vorhin seinen Tatzenhieb. Leider senkt er in genau diesem Moment seine Schwanzspitze in Richtung meines Fangs - und ehe ich mich versehe, beisse ich genau hinein. Autsch. Das war bestimmt ein kleines bisschen schmerzhaft. Vielleicht auch ein grosses bisschen. Aber keine Absicht, ehrlich!

Beck faucht laut auf und will sich r?chen, ich gebe Fersengeld. An Tag zwei von einem Kater verm?belt zu werden, geh?rt ganz sicher nicht zu meiner Vorstellung von einem gelungenen Einstand. Bevor er mich erwischt, springe ich mit einem beherzten Satz direkt durch das noch ge?ffnete Fenster der Werkstatt.

Ich lande fast auf Carolins F?ssen, die schaut mich erstaunt an.

»Was machst du denn da, Herkules? Kunstfliegen?« Sie schaut aus dem Fenster und sieht Beck, der gerade noch eine Vollbremsung hinlegen kann. »Hast du dich etwa mit der Katze gestritten?«

Ich versuche, m?glichst unschuldig zu gucken, und wedele mit dem Schwanz.

»Also wirklich, Herkules! Herr Beck ist ein ganz netter ?lterer Herr. Ausserdem giesst sein Frauchen immer meine Blumen, wenn ich mal nicht da bin. Du musst dich also ein bisschen benehmen.«

Wie peinlich! Sie kennt den Kater n?her. Ich tue so, als w?rde ich irgendetwas sehr Interessantes auf dem Boden beobachten. Allerdings kann ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass Carolins M?nnergeschmack sowohl bei Menschen als auch bei Katzen alles andere als exquisit ist. Erst dieser unm?gliche Thomas, dann Herr Beck - es ist eigentlich fast ein Wunder, dass sie mich und nicht Bozo aus dem Tierheim mitgenommen hat.

Bei dem Gedanken an Thomas f?llt mir wieder ein, dass ich heute noch dringend einen guten Eindruck bei dem Bl?dmann hinterlassen muss. Er soll doch gar nicht erst auf die Idee kommen, dass man mich auch zur?ckbringen k?nnte. Ausserdem reichteinFeind in meiner n?heren Umgebung, und Herrn Beck brauche ich meine Freundschaft momentan wohl nicht mehr anzudienen. Ich nehme mir fest vor, die erstbeste Gelegenheit zur Verbr?derung mit Thomas beim Schopf zu packen.

Ein von Eschersbach fackelt nicht lange - er handelt, wenn sich die M?glichkeit bietet, und zwar k?hn und unerschrocken.Genauso werde ich es machen, Opili. K?hn und unerschrocken.

VIER

Tats?chlich kommt die Gelegenheit zur Verbr?derung mit Thomas schon fr?her als gedacht. Eine Nacht sp?ter liege ich in meinem K?rbchen und kann nicht schlafen. Zu viel geht mir durch den Kopf. Thomas. Der kleine Zwischenfall mit Herrn Beck. Das Gespr?ch zwischen Carolin und Nina. Selbst an Fritz, den M?nsterl?nder aus dem Tierheim, muss ich denken. Unruhig w?lze ich mich hin und her.

Pl?tzlich h?re ich ein Ger?usch. Es ist ein Murmeln … oder eher ein … Wimmern? Ich rapple mich hoch, klettre aus dem K?rbchen und trabe aus dem Wohnzimmer in Richtung Flur. Dort kann ich das Ger?usch noch viel besser h?ren. Es ist tats?chlich ein Wimmern, und es kommt aus dem Schlafzimmer! O Schreck - geht es Carolin nicht gut? Die T?r ist nur angelehnt, deswegen kann ich leise hineinhuschen. Leider ist es ist v?llig dunkel, ich kann nichts erkennen.

Und wieder das Ger?usch. Das Wimmern ist mittlerweile zu einem St?hnen geworden. Zu meiner grossen Erleichterung ist es aber eindeutig Thomas, dem es nicht gut zu gehen scheint. Mein erster Gedanke: Mit Carolin ist wohl alles in Ordnung. Mein zweiter Gedanke: Hier ist sie, meine Chance! Nun heisst es, k?hn und unerschrocken zu handeln. Denn ganz offensichtlich liegt Thomas im Bett und windet sich vor Schmerzen. Carolin schl?ft anscheinend - jedenfalls scheint sie ihn nicht zu h?ren, denn sonst w?rde sie ihm ja helfen. Ich werde also daf?r sorgen, dass sie aufwacht und Thomas nicht l?nger leiden muss. Dann wird er erkennen, was f?r ein toller Hund ich bin und wie gut es ist, dass Carolin mich geholt hat.

Mit einem k?hnen und unerschrockenen Satz springe ich ins Bett, genau neben den st?hnenden Thomas. Es ist wirklich erstaunlich, dass Carolin ihn nicht h?rt, denn sie liegt mehr oder weniger unter ihm. Ich erw?hnte es bereits: Menschen haben wirklich grottenschlechte Ohren. Aber keine Sorge, Thomas, du hast ja jetzt einen neuen treuen Freund. In seinen Schmerzen windet er sich regelrecht, das Gesicht nach unten gedreht. Ich schlecke ihm schnell den Nacken ab, er soll wissen, dass Hilfe nah ist. Er zuckt zusammen. Dann beginne ich, m?glichst laut zu bellen. Schliesslich soll Carolin endlich aufwachen.

Das N?chste, an was ich mich noch erinnern kann, ist, dass ich quer durch den ganzen Raum fliege und sehr unsanft neben der T?r lande. Dann wird es pl?tzlich ganz hell. Thomas - wie durch ein Wunder spontan genesen - steht ?ber mir und funkelt mich b?se an.

»Du Scheissk?ter! Was f?llt dir ein! Dich mach ich platt!«

Er holt aus - will er mich etwa schlagen? Ich versuche, mich wegzuducken. Nur wohin? In Panik jaule ich auf. Zur Hilfe - was ist hier bloss los?

In diesem Moment steht auf einmal Carolin hinter Thomas. Von dem ganzen L?rm ist sie nun doch aufgewacht. Sie packt Thomas von hinten an der Schulter und zerrt ihn zur?ck.

»Unterstehe dich, Herkules ein Haar zu kr?mmen! Er hat uns schliesslich nicht absichtlich gest?rt.«

Thomas f?hrt zu ihr herum. »Bitte? Die T?le springt in unser Bett, als ich gerade richtig in Fahrt bin, und du verteidigst sie? Dem dummen Vieh werde ich gleich mal zeigen, was ich von seiner kleinen Einlage halte.«

»Thomas!«, kommt es jetzt ganz scharf von Carolin. »Du l?sst sofort die Finger von Herkules. Sofort!«

Sie b?ckt sich zu mir herunter und nimmt mich auf den Arm. Mittlerweile zittere ich wie Espenlaub. Das ist einfach zu viel f?r mein empfindliches Nervenkost?m. Und ?berhaupt verstehe ich nur noch Bahnhof: Was heisst hierst?ren?Undin Fahrt?Thomas soll doch froh sein, dass wenigstens ich seinen kritischen Zustand erkannt habe. Stattdessen hatte er ernsthaft vor, mich zu verm?beln. Und mein Dackelpo tut auch noch weh von dem Tritt, den er mir im Bett verpasst hat. Ich fange an zu winseln. Noch nie bin ich so ungerecht behandelt worden. Gegen diesen Psychopathen ist der alte von Eschersbach ja die Mildt?tigkeit in Person!

»Du Armer, du zitterst ja ganz doll!« Carolin dr?ckt mich an sich und presst ihr Gesicht in meinen Nacken. »Keine Angst, ich bin bei dir. Ich passe schon auf dich auf.«

Thomas schnauft ver?chtlich. »Also echt, Carolin. Hast du jetzt etwa ein erotisches Verh?ltnis zu einem Hund? Dir scheint die Unterbrechung ja ?berhaupt nichts auszumachen. Wahrscheinlich war sie dir ganz recht. Musst du wenigstens nicht wieder sagen, dass du Kopfschmerzen hast.«

Halt mal: Thomas st?hnt, und Carolin hat Kopfschmerzen? Unterbrechung wovon? So sehr ich mir auch M?he gebe, ich kann mir ?berhaupt keinen Reim darauf machen. Nur eins ist v?llig klar: Mein Versuch, bei Thomas gut Wetter respektive Dackel zu machen, ist gr?ndlich danebengegangen. Und ich weiss nicht mal, warum. Ob ich meinen neuen Kauknochen wohl mit ins Tierheim nehmen darf? Wobei es auch egal ist, wahrscheinlich nehmen mir Bozo und Boxer den als Erstes weg.

Die restliche Nacht verbringe ich in meinem K?rbchen. Obwohl ich todm?de bin, kann ich nach diesem ganzen Desaster nat?rlich erst recht nicht schlafen. Ab und zu hebe ich ein ?hrchen an und lausche in die Dunkelheit. V?llige Stille. Aber selbst wenn ich wieder ein Ger?usch h?ren w?rde - keine zehn Pferde br?chten mich noch einmal in einen Raum, in dem sich auch dieser Thomas aufh?lt.

Die Sonne scheint durch die Werkstattfenster, mehrere einladende Fleckchen bilden sich auf dem alten Dielenboden und rufen»Komm, Carl-Leopold, leg dich auf mich und ruh dich ein bisschen aus!«Diese Aufforderung kommt mir sehr gelegen, die letzte Nacht steckt mir noch ziemlich in den Knochen. Ich schwanke nur, ob ich mir ein Fleckchen in Carolins Raum aussuchen soll, oder ob ich mich neben den Tisch lege, an dem Daniel gerade arbeitet.

Schliesslich lege ich mich neben Daniel. Ich f?hle mich ziemlich mickrig und habe Angst, dass Carolin mir die ganze Geschichte auch ?belnehmen k?nnte. Hat sie zwar mit keinem Wort gesagt, aber es ist mir doch noch ein bisschen unangenehm. Denn irgendetwas habe ich wohl komplett falsch gemacht. Auch wenn ich nach gr?ndlichem Nachdenken immer noch nicht weiss, was eigentlich. Aber dass mich Carolin nun schon wieder vor Thomas verteidigen musste, das ist mir wirklich peinlich.

»Na, wie war dein Wochenende? Wie lebt es sich mit deinem neuen Hund?«, will Daniel von Carolin wissen.

Ich klappe die Ohren an und senke die Nase zwischen meine Vorderl?ufe. Die Geschichte, die jetzt unweigerlich kommen wird, will ich gar nicht h?ren.

»Du - super! Thomas ist auch ganz begeistert von dem kleinen Kerlchen. Na ja, du weisst ja, wie tierlieb er ist.«

H?? War heute Morgen was im Futter? Offensichtlich halluziniere ich.

»Echt? Ne, wusste ich gar nicht, dass er Tiere so gerne mag. Aber umso besser, dann werden die beiden sich sicher blendend verstehen. K?nnen sie ja mal allein wandern gehen oder ein ?berlebenstraining machen oder was man sonst so als richtig harter Kerl mit seinem Hund unternimmt.«

T?usche ich mich, oder h?re ich da eine feine Ironie in Daniels Worten? Das ist ?brigens f?r mich als Hund gar nicht so leicht zu unterscheiden - Menschen benutzen oft die gleichen Worte und meinen dann etwas v?llig anderes. Erinnere mich noch gut, wie von Eschersbach erst sagte»Feiner Hund, gute Idee!«,als ich mit nassen Pfoten auf das Sofa im Salon gesprungen war, dann aber anschliessend mit seinem Gehstock ausholte und mir damit auf die Hinterl?ufe schlug. Ich konnte mich zwei Stunden ?berhaupt nicht beruhigen, bis mir Mama erkl?rte, dass Menschen oft das Gegenteil von dem sagen, was sie meinen, um damit klarzumachen, dass sie das auf keinen Fall meinen. Verr?ckt, oder? Im Kopf eines Menschen muss es ein paar sehr unpraktische und ?berfl?ssige Windungen geben. Wahrscheinlich, weil sie ihn durch ihren aufrechten Gang viel zu hoch ?ber der Erde tragen. Das ist ganz offensichtlich nicht gut f?r’s Gehirn.

Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings auch die Frage, wie Carolin dazu kommt, so etwas zu erz?hlen? Warum will sie nicht zugeben, dass unser Start in die gemeinsame Zukunft eine totale Pleite war? Ist Tierliebe vielleicht etwas, was den Wert des Menschenm?nnchens erh?ht? So wie etwa Raubwildsch?rfe, Wachtrieb und Schussfestigkeit den herausragenden Jagdhund auszeichnen? Mit herausragenden Jagdhunden kenne ich mich n?mlich bestens aus: Mama war dreimal im Finale des Bundeschampionats, die Regale auf Schloss Eschersbach biegen sich unter ihren Pokalen, und nie bekam sie eine schlechtere Note als »Vorz?glich 1«, kurz V1. Also wenn Tierliebe quasi in den Katalog geh?rt, und Carolin demonstrieren m?chte, dass Thomas ein Kandidat f?r V1 ist, dann macht ihre Geschichte nat?rlich Sinn. Aber andererseits sieht sogar ein kleiner Hund wie ich auf den ersten Blick, dass Thomas h?chstens ein »Gen?gend« bekommen w?rde, selbst mit Tierliebe. Wenn sie denntats?chlich vorhanden w?re.

Aber zur?ck zum Thema Ironie: Ehrlicherweise hoffe ich, dass Daniel das gerade nicht so gemeint hat. Denn die Kombination der WorteThomasmitalleinund?berlebenstrainingwecken bei mir ganz andere Assoziationen als die von grossartiger Freundschaft zwischen Mensch und Hund. Vielmehr sehe ich vor meinem inneren Auge Thomas, wie er mich ?ber einen Felsvorsprung in einen sehr tiefen Abgrund bef?rdert oder mich in einem einsamen Wald an einen Baum bindet und einfach geht. Dann lieber wieder Tierheim. Vielleicht kann ich dort mit Fritz, der leider bestimmt noch da ist, eine Hunde-WG gr?nden, und wir bekommen einen eigenen kleinen Zwinger? Meinetwegen auch neben dem Katzengehege - r?ckblickend stelle ich n?mlich fest, dass es eigentlich ganz lustig war, Beck in den Schwanz zu beissen.

»Also Daniel, du musst dich gar nicht dar?ber lustig machen. Ich glaube wirklich, dass Herkules und Thomas gute Freunde werden.«

Ah - Gott sei Dank! Also wirklich Ironie. Keine gef?hrlichen Alleing?nge mit Thomas.

»Ich mache mich nicht lustig. Ich bezweifele nur, dass dein lieber Thomas demn?chst mit einem s?ssen Kerlchen wie Herkules durch den Park joggt. Das geht doch zu sehr gegen sein gern gepflegtes Image als harter Kerl.«

»Was hast du bloss immer gegen Thomas?«

»Gar nichts. Ich frage mich nur manchmal, was er gegen mich hat.«

Carolin lacht laut auf. Klingt ziemlich unecht.

»Ich bitte dich - Thomas hat ?berhaupt nichts gegen dich. Im Gegenteil, er findet dich sehr nett.«

Carolins sonst so warme Stimme hat einen ganz blechernen Unterton. Ob Daniel das auch h?rt? Er seufzt.

»Sicher, sicher.«

»Ihr seid nur eben ziemlich verschieden. Aber deswegen k?nnt ihr doch trotzdem Freunde sein.«

Daraufhin sagt Daniel nichts mehr, sondern atmet nur deutlich h?rbar aus. Offenbar will er ?ber dieses Thema nicht mit Carolin reden. Schade, ich h?tte gerne mehr von seiner Meinung ?ber Thomas erfahren. Vielleicht habe ich in ihm einen Verb?ndeten? Das w?re sch?n, denn mittlerweile k?nnte ich in diesem Haus noch einen Freund brauchen.

Mittags geht Carolin kurz mit mir in die Wohnung, um mir mein Fresschen zu geben. Sie hat sich tats?chlich ein Buch ?ber Hunde gekauft - ich habe es auf dem Sofa im Wohnzimmer liegen sehen - und m?glicherweise als Erstes das Kapitel ?ber gesunde Ern?hrung gelesen. Jedenfalls ist sie nun vom Dosenfutter ab, sondern hat auf unserem Spaziergang heute fr?h ein bisschen frisches Herz f?r mich besorgt. Als sie es kocht, breitet sich ein verf?hrerischer Duft in der Wohnung aus. Lecker! Eine sehr erfreuliche Entwicklung.

»So, mein Kleiner, das muss noch etwas abk?hlen, dann kriegst du es. Lass uns noch f?nf Minuten warten, ich muss sowieso mal kurz telefonieren, dann gebe ich es dir.«

Sie stellt meinen Napf mit den Herzst?cken in den K?hlschrank und geht in das Zimmer neben dem Wohnzimmer. Ich stehe noch ein wenig unschl?ssig herum, dann trotte ich in den Flur. W?hrend ich noch ?berlege, womit ich mich jetzt bis zum Mittagessen besch?ftigen k?nnte, sehe ich, dass die Schlafzimmert?re wieder offen steht. Seit zwei Tagen habe ich einen grossen Bogen um diesen Raum gemacht, aber jetzt siegt meine Neugier. Vielleicht finde ich dort irgendetwas, was erkl?ren w?rde, was in der Schreckensnacht von neulich eigentlich passiert ist? Ich w?sste zwar nicht, was das sein k?nnte, aber zumindest m?chte ich mich dort noch einmal im Hellen umsehen. Aus der anderen Ecke der Wohnung h?re ich Carolin mit diesem schwarzen Plastikteil sprechen. Nach allem, was ich mittlerweile ?ber Menschen im Allgemeinen und Frauen im Besonderen weiss, ist das ein sicheres Zeichen daf?r, dass sie momentan komplett abgelenkt ist. War bei Emilia auch immer so. Man konnte die tollsten Sachen aus der K?che klauen, wenn sietelefonierte.

Vorsichtig schiebe ich meine Schnauze durch den T?rspalt. Tatsache, die Luft ist rein. Schwupps, bin ich auch schon drin. Sieht auf den ersten Blick komplett unspektakul?r aus. Aber es ist bekanntlich der zweite Blick, der Sachen interessant macht. Besser gesagt, der Moment, in dem man als Hund genau hinschn?ffelt. Und deswegen beschliesse ich, hier mal alles einer gr?ndlichen Geruchsinspektion zu unterziehen.

Beim Bett fange ich an: Alles wie gehabt. Rechts riecht es nach Carolin, links mehr nach Thomas. Na gut, was hatte ich erwartet? So schlafen die beiden nun mal. Ich will schon fast wieder herunterh?pfen, da f?llt mir noch der Hauch eines anderen Geruchs auf. Nicht direkt auf den Laken, sondern eher darunter, auf der Matratze. Ich schiebe die Laken auseinander und schn?ffele noch einmal genauer. Seltsam. Denn w?hrend Carolins Seite genau diesen fantastischen Carolin-Geruch an sichhat und bei Thomas selbst seine Bettseite unsympathisch riecht, schwebt noch ein dritter Geruch ?ber diesem Bett. Es ist… hm … ich bin mir nicht sicher … irgendwie … nein, oder vielleicht doch … Wirklich schwer zu sagen! Deshalb robbe ich noch einmal gr?ndlich mit meiner Nase ?ber das gesamte Bett.

In diesem Moment wird die T?r zum Schlafzimmer weit aufgestossen. »Herkules, pfui! Was machst du schon wieder in unserem Bett?«

Carolin steht vor mir und wedelt tadelnd mit dem Zeigefinger. Besch?mt gucke ich zu Boden. Wie soll ich ihr auch erkl?ren, was genau ich suche? Ich weiss es schliesslich selbst nicht. Ich weiss nur, dass ich eben etwas sehr Seltsames entdeckt habe.

»Hunde geh?ren nicht ins Bett, Herkules. Du hast ein sehr komfortables K?rbchen, und da bleibst du bitte, wenn du schlafen m?chtest. Auf dem Sofa kannst du ruhig mit mir sitzen, aber ins Bett darfst du nicht. Thomas war neulich schon echt sauer auf dich, und ich habe ihm versprochen, dichein bisschen besser zu erziehen. Ich will doch, dass ihr Freunde werdet. Und so klappt das nicht!«

Jetzt sieht Carolin richtig traurig aus. Mist. Ich klappe die Ohren an und h?pfe vom Bett. War eine bl?de Idee mit dem Schlafzimmer. Und schlauer bin ich jetzt auch nicht.

»Nun guck nicht so traurig. Ab und zu muss eben auch ein so s?sser Hund wie du noch etwas lernen. Und jetzt komm - dein Fresschen ist bestimmt schon fertig.«

Das lasse ich mir nat?rlich nicht zweimal sagen und sause gleich los in die K?che. Carolin nimmt den Napf aus dem K?hlschrank, r?hrt einmal um und setzt ihn mir dann vor die Nase. Hm, lecker. So eine ordentliche Portion Herz, und der gr?sste Kummer ist schnell vergessen.

Zur?ck in der Werkstatt schlafe ich erst einmal ein St?ndchen. Daniel hat mir aus einer alten Kiste und einem Kissen ein Zweitk?rbchen gebastelt - sehr umsichtig, der Mann. Ich werde wach, weil ich das Gef?hl habe, dass irgendjemand Herrn Beck foltert. Jedenfalls dringen ganz grauenhafte T?ne an mein Ohr. Sehr hoch und schrill, ein elendes Gejaule. Ich springe aus der Kiste und laufe in Richtung des Ger?uschs. Dort, in einem der vorderen R?ume, steht Carolin und h?lt etwas auf dem Arm. Allerdings nicht Herrn Beck, sondern einen der kleinen Holzk?sten, die ?berall in der Werkstatt herumzuliegen scheinen. Komisch sehen die aus. Es gibt sie in verschiedenen Gr?ssen, sie sind nicht eckig, sondern rund, und zwar so, als ob man zwei Kreise aneinandergeklebt h?tte. Ausserdem haben sie einen langen Hals. Und auf diesem Hals haut Carolin gerade mit dem Stock mit den Haaren herum. Besser gesagt, sie streicht darauf herum. Was dem K?stchen anscheinend wehtut, denn aus ihm kommt daraufhin das furchtbare Ger?usch.

Brrr, da gefriert einem ja das Blut in den Adern! Ich kann nicht anders, ich fange an zu heulen. Erst zaghaft, dann richtig laut. Carolin l?sst das K?stchen sinken, Daniel kommt ins Zimmer gelaufen. Er sieht mich, wie ich noch ein letztes Mal kr?ftig losheule, dann bricht er in schallendes Gel?chter aus.

»Ach herrje, sag bloss, Herkules mag keine Musik! Na, da bist du ja bei uns genau an der richtigen Adresse!«

Musik? Das, bitte, soll Musik sein? Das ist doch wohl nicht euer Ernst! Ich kenne Musik schon von Schloss Eschersbach. Im Salon stand nicht nur mein Lieblingssofa, sondern auch ein sogenanntes Klavier. Von Eschersbach spielte dort manchmal, und das war auch nichts, was ich mir pers?nlich ausgesucht h?tte, aber l?ngst nicht so schlimm wie das eben Geh?rte. Und wenn ich mit Emilia zum Einkaufen fahren durfte, dann spielte das Auto Musik, nat?rlich auch viel zu laut, aber ansonsten eigentlich ganz sch?n - mit einem klaren Rhythmus und ganz schnell. Aber das hier gerade war doch einfach nur furchtbar. Und so schrill. Im Leben war das keine Musik. Ich sch?ttle energisch den Kopf.

Carolin und Daniel schauen sich etwas ratlos an.

»Vielleicht sind ihm die T?ne zu hoch? Hol doch mal das Cello, passt ihm vielleicht besser als die Violine?«

Daniel trabt los und kommt mit einem der gr?sseren K?stchen wieder. Aha, dieses Ding tr?gt also den sch?nen Namen. Na, Hoffentlich klingt es auch ein bisschen danach. Daniel setzt sich auf einen Stuhl und klemmt sich das Cello zwischen die Beine. Auch er nimmt den Stock zur Hand. Dann bewegt er ihn langsam hin und her. Tats?chlich, auch hier kommen T?ne heraus. Und sie klingen wirklich deutlich besser. Ich grunze zufrieden und lege mich vor Daniel, den Kopf auf meine Vorderl?ufe.

»Okay, Herkules ist nicht der Typ f?r Geige. Aber generell scheint er nichts gegen Musik zu haben«, stellt Carolin fest. »Dann muss er wohl immer einen kleinen Spaziergang im Garten machen, wenn wir hier die Geigen stimmen. Schade, dabei ist Violine so ein tolles Instrument.«

»Wer weiss, wie das f?r Hundeohren klingt. Wahrscheinlich h?rt er noch irgendwelche Schwingungen, die wir gar nicht mitbekommen. Es gibt doch auch diese lautlosen Hundepfeifen, die k?nnen wir schon nicht mehr h?ren, Hunde aber sehr wohl.«

»Hey, hast du dir heimlich mein Hundebuch geklaut?«

»Nein, aber wir hatten zu Hause immer einen Hund. Ziemlich viele Terrier, aber einmal sogar auch einen Dackel. Du kannst mich also Fachmann nennen.«

»Gut zu wissen. Ich werde dich bestimmt bald mit einer Fachfrage behelligen. Jetzt muss ich aber weiterarbeiten. Also, Herkules, wenn dir deine Ohren lieb sind, dann gehst du wohl besser in den Garten.«

Auch gut, kann ich noch ein bisschen Pinkeln?ben.

F?NF

Im Garten ist es friedlich und ruhig. Ich schaue mich um, ob ich diesmal auch wirklich keine ungebetenen Zuschauer habe, dann steuere ich den grossen Baum an und hebe mein Beinchen. Wer sagt’s denn? Klappt doch schon besser. Der bl?de Beck kann mich mal. Ausserdem ist das nat?rlich nicht sein Garten, sondern meiner. Schliesslich geht er von Carolins Werkstatt ab. Beck ist also nur Besucher. Dagegen ist nichts zu sagen, ein von Eschersbach ist schliesslich Freund gepflegter Gastlichkeit. Aber wenn dieser bl?de Kater meint, dass ich nun nach seiner Pfeife tanzen werde, nur weil er l?nger hier lebt, dann irrt er gewaltig. Ich werde nicht klein beigeben. Ein von Eschersbach gibt niemals klein bei!

Ich probiere es noch ein paar Mal wechselseitig mit dem linken und mit dem rechten Bein, dann wird es mir irgendwann langweilig. Zeit, sich die anderen Eckchen des Gartens anzuschauen. Hinter dem Baum beginnt eine grosse Rasenfl?che, auf die gerade einladend die Sonne scheint. Ansonsten ist es dort f?r meinen Geschmack recht langweilig. Keine Spur von Kaninchen oder Maulw?rfen. Das ein oder andere Eichh?rnchen scheint ab und zu ?ber die Wiese zu laufen, jedenfalls riecht es ein bisschen danach. Eichh?rnchen sind aber keine lohnende Beute, daf?r springen sie auf der Flucht viel zu schnell auf B?ume. Selbst so ein toller Hecht wie Opili h?tte da keine Chance.

Die Wiese wird links und rechts von einem Blumenbeet eingerahmt. Hier riecht es s?sslich-sommerlich, und ein paar Bienen schwirren schwerbeladen mit Pollen von Bl?te zu Bl?te. Ich schn?ffele ein bisschen am Rand herum, kann aber nichts Interessantes entdecken. Gerade will ich umdrehen, um in Richtung Vorgarten zu traben, da h?re ich jemanden rufen.

»Herkules! Hey, komm mal r?ber!« Sollte das Herr Beck sein? Der Revanche fordert? Ich beschliesse, nicht zu reagieren.

»Mann, Herkules, komm schon.«

Ich drehe mich langsam herum, r?hre mich aber immer noch nicht vom Fleck.

»Also gut, wenn’s dir so wichtig ist: Carl-Leopold, w?rdest du bitte mal kommen?«

Oh, ganz neue T?ne. Beck scheint irgendetwas Wichtiges von mir zu wollen. Aber wo, zum Teufel, steckt er? Ich kann ihn nirgends sehen. Auf der Wese nicht, auf dem Baum nicht, nirgends.

»Beck, wo bist du? Ich sehe dich nicht.« »Ich bin hier oben.«

»Auf dem Baum?« »Nein, auf dem Tisch.«

Auf dem Tisch? Einen Tisch kann ich nicht entdecken, ratlos blicke ich umher.

»Auf dem Tisch auf dem Rasen. Lauf hinter das Beet, dann siehst du ihn!«

Ich trabe also hinter das linke Blumenbeet und sehe dort tats?chlich einen grossen Gartentisch, beziehungsweise die Tischbeine eines solchen. Aus Dackelsicht gar nicht so leicht hinter diesen hohen Stauden zu entdecken, aber das muss er wohl sein.

»Genau, jetzt bist du richtig. Spring mal auf den Stuhl, dann siehst du mich.«

Welche Art Ratespiel soll das eigentlich werden? Ich sehe mich nach einem Stuhl um und finde ihn gleich neben dem Tisch. Hoppla, der ist aber hoch! Hoffentlich komme ich da?berhaupt mit einem Satz drauf.

»H?r mal, Beck, ich weiss nicht, ob ich da raufspringen kann. Das ist ziemlich hoch f?r mich. Warum sagst du mir nicht einfach, was du willst, oder noch besser, kommst einfach zu mir runter?«

»Das geht nicht. Wirst gleich sehen, warum. Also bitte, gib dir M?he und spring!«

Ich seufze und mache drei Schritte zur?ck, um ein bisschen Anlauf zu nehmen. Dann sause ich los und hechte auf den Stuhl. Geschafft! Knapp zwar, aber immerhin. Ein bisschen stolz auf diese Leistung sehe ich mich mit hocherhobenem Kopf um - und entdecke Herrn Beck mitten auf dem Gartentisch. Genauer gesagt: in einem Vogelbauer,der mitten auf dem Gartentisch steht.

»Na, siehst du jetzt, warum ich nicht kommen kann?«

Beck schaut mich ungl?cklich an. Ich hingegen muss sehr an mich halten, um nicht vor Lachen gleich wieder vom Stuhl zu fallen.

»Was machst du denn da? Das sieht ja saukomisch aus! Ein fetter Kater wie du in so einem kleinen K?fig!«

»Ja, danke auch f?r dein Mitgef?hl. Was werde ich hier wohl machen? Ich hatte die historische Chance, mir diesen nervigen, altklugen Wellensittich zu schnappen. Leider habe ich nicht bedacht, dass die K?figt?r nach innen aufgeht und ich sie jetzt nicht aufkriege, weil ich sie mit meiner Gr?sse selbst blockiere.«

»Ich sage doch: Du bist fett!«

Beck ignoriert diesen Einwand und schaut mich stattdessen so eindringlich an, wie man es als Katze durch Gitterst?be hindurch eben kann.

»Du musst mir helfen, Carl-Leopold. Wenn die alte Meyer sieht, dass ich mir ihren Vogel geschnappt habe, gibt es richtig ?rger.«

»Kann sie sich doch auch so denken, selbst wenn du nicht im K?fig sitzt.«

»Ja, denken vielleicht. Aber nicht beweisen. Mein erstes Herrchen war Anwalt, und ich sage dir - zwischen Glauben und Wissen machen die Menschen einen Riesenunterschied.«

»Wie dem auch sei - warum sollte gerade ich dir helfen? Ich kann doch froh sein, wenn du ins Tierheim oder sonst wohin wanderst. Habe ich endlich meine Ruhe vor dir.«

»Hey, Kumpel? Ist das etwa Solidarit?t unter Haustieren?«

»Solidarit?t unter Haustieren? Weiss nicht, dazu w?rde ich jetzt gerne mal den Wellensittich befragen.«

Ich will mich schon umdrehen, da unternimmt Herr Beck noch einen letzten Versuch:»Gut, dann nenn es eben, wie du willst. Aber wenn du jemals mit dem Gedanken gespielt hast, das Kriegsbeil zwischen uns zu begraben, dann w?re jetzt ein extrem g?nstiger Zeitpunkt daf?r. Denk mal dr?ber nach, ob es nicht n?tzlich w?re, einen Freund in diesem Haus zu haben - und zwar einen, der sich verdammt gut mit Menschen auskennt!«

Okay, damit hat er mich. Ich seufze.»Also gut, was soll ich tun?«

»Komm neben den K?fig. Man kann ihn auch von oben ?ffnen, aber daf?r muss man erst einmal die Knoten in der Kordel durchkauen, und das kann ich mit meinem Gebiss nicht allein.«

Ich schaue mir an, was er meint. Tats?chlich, der K?fig hat noch eine obere Klappe, die mit einer Art Band befestigt ist. Die Knoten dieses Bandes liegen ausserhalb des K?figs und sehen aus wie eine l?sbare Aufgabe.

»Ich denke, das k?nnte ich schaffen. Daf?r m?ssen wir den K?fig allerdings umkippen, sonst komme ich nicht an die Knoten ran.«

»Ja, kein Problem. Kipp den K?fig vom Tisch - lieber ein paar Schrammen als weiter hier drin zu sitzen.« »Na gut, dann pass mal auf!«

Mit einem kr?ftigen Schups schiebe ich den K?fig ?ber den Rand des Tisches. Er f?llt mit einem kr?ftigen Rumpeln herunter und landet tats?chlich auf der Seite.

»Autsch!«, ruft Beck aus und sch?ttelt sich kr?ftig. »Na ja, so solltest du wohl rankommen.«

Ich h?pfe vom Tisch ?ber den Stuhl nach unten. Dann stehe ich neben dem K?fig und betrachte mir die Sache noch einmal genauer. Ja, so k?nnte es klappen. Die Knoten liegen genau auf H?he meiner Schnauze. Und f?r meine F?higkeiten als Sachen-Zerkauer bin ich geradezu ber?hmt. Legende, m?chte ich sagen. Sehr zum Leidwesen Emilias, hat sie diese Tatsache doch schon das ein oder andere Paar Schuhe gekostet. Aber irgendwie will diese F?higkeit ja auch trainiert werden.

Ich brauche keine drei Minuten, dann f?llt das Band zur Erde, und die Klappe ?ffnet sich - zum Gl?ck nach aussen. Die ?ffnung ist zwar ziemlich klein, aber Herr Beck zw?ngt sich mit aller Gewalt hindurch. Erstaunlich, wie biegsam Katzen sind. Eigentlich w?ren sie auch gute Baust?berer - aber wahrscheinlich sind sie zu feige, einem Dachs von Angesicht zu Angesicht entgegenzutreten. Da ist so ein Wellensittich nat?rlich leichtere Beute.

Schnaufend sitzt Beck schliesslich neben mir. »Danke, mein Freund.«

»Gerne. Aber sag mal, du hast wirklich diesem bedauernswerten Sittich den Garaus gemacht? Pfui.«

Ich betrachte den K?fig. Komisch, man sieht kaum Federn. Nur ein kleiner gr?ner Plastikvogel liegt schwer zerkratzt auf dem Boden. Hat Beck den Wellensittich tats?chlich mit Haut und Federn verschlungen? Brrr, bei dem Gedanken sch?ttelt es mich. Erlegen ist ja die eine Sache - aber das Beutetier komplett zu fressen? Na ja. Jeder, wie er meint. Beck ist allerdings merkw?rdig still.

»He, ist dir der Sittich auf den Magen geschlagen?«

»Tja, also, wie soll ich sagen - der Sittich lebt noch. Ich habe ihn nicht gefressen.«

»Er lebt noch? Du meinst, du warst in seinem K?fig, und er lebt noch? Aber wo ist er denn?«

»Es ist mir zwar peinlich, es zuzugeben, aber er war gar nicht in dem K?fig, als ich ihn gejagt habe.«

Ich schaue Beck mit grossen Augen an.

»Ja, ich weiss, was du denkst. Aber es ist so: Der bl?de Vogel war nicht in dem K?fig. Ich bin heute Morgen in den Garten spaziert. Als ich den K?fig auf dem Tisch stehen sah, dachte ich, das ist meine Chance. Also ich rauf und gleich rein in den Bauer. Schnappe mir den Kameraden, beisse zu - und habe das bl?de Plastikteil da unten im Maul. Verstehst du? Die alte Meyer hat nur den K?fig draussen saubermachen wollen und ihn deswegen rausgestellt. Der Vogel war gar nicht drin, sondern nur sein Plastikfreund.«

»Bitte? Du hast was? Du hast allen Ernstes den Plastikkameraden da unten erlegt?« Ich pruste laut los. »Das kann doch nicht wahr sein! Wie kann man das Teil denn mit einem echten Vogel verwechseln? Daf?r muss man doch komplett blind sein, ha ha!« Ich rolle mich vor Vergn?gen auf dem Rasen hin und her.

»Na, das Plastikteil sieht schon aus wie ein echter Vogel«, wendet Beck eingeschnappt ein.

»Ja, es sieht vielleicht entfernt so aus. Aber esriechtdoch ganz anders!«

Beck schweigt. Offensichtlich ist mein neuer Freund schwer getroffen von meiner Schadenfreude. Gut, vielleicht sollte ich es nicht?bertreiben.

»Hey, tut mir leid. Ich wollte mich nicht ?ber dich lustig machen. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, wie das passiert ist.«

Betr?bt schaut mich Beck an. »Ich kann dir genau sagen, wie das passiert ist: Ich bin eben mittlerweile ein verdammt alter Kater, der nicht mehr die besten Augen und schon gar nicht mehr die beste Nase hat. So ist das passiert. Dass ein Jungspund wie du sich das nicht vorstellen kann, ist v?llig klar.«

O je, da ist jemand gerade ziemlich geknickt. Ist aber auch eine bl?de Geschichte: einen K?fig ohne Beute entern und dann nicht mehr allein rauskommen. Ich versuche, ihn ein bisschen aufzumuntern.

»Ach komm, daf?r kannst du viele Sachen, von denen ich keine Ahnung habe.«

»Ja, was denn zum Beispiel?«

Tr?bsinnig starrt Beck vor sich hin. Ich ?berlege kurz. Aber wirklich nur kurz, denn sofort f?llt mir etwas ein, um das ich ihn wirklich beneide.

»Na, du hast es doch eben selbst schon gesagt. Du kennst die Menschen gut. Du verstehst sie, auch wenn sie gerade v?llig seltsame Dinge tun. Ich glaube, ich werde sie nie begreifen.«

Offensichtlich war das genau das richtige Beispiel, denn jetzt l?chelt Herr Beck wieder und gibt mir einen Stups in die Seite.

»Kleiner, da hast du Recht. Ich kenne die Menschen wirklich gut. Aber ich mache dir einen Vorschlag: Jetzt, wo wir Freunde sind, werde ich dir auch helfen. Ich werde dir helfen, die Menschen zu verstehen.«

SECHS

Irgendetwas hinter meinem rechten Ohr juckt ganz furchtbar. Vor ungef?hr drei Tagen fing es an, seitdem ist es jeden Tag ein bisschen schlimmer geworden. Leider erreiche ich diese Stelle nicht mit meiner Zunge, und jedes Mal, wenn ich mit meiner Pfote kratze, kommt zu dem Jucken noch ein ziehender Schmerz hinzu. Mist. Ich will nicht wehleidig erscheinen, aber das ist langsam mehr als unangenehm. Mir kommt die Idee, mich am T?rrahmen zu scheuern. Der ist leicht abgerundet, vielleicht funktioniert das besser als mit meinen Krallen.

»Herkules, was machst du denn da?« Carolin biegt um die Ecke und geht vor mir in die Hocke. Ich scheure weiter und gebe ein kurzes Jaulen von mir. Sie zieht mich vom Rahmen weg und nimmt mich auf den Schoss.

»Irgendetwas stimmt doch da nicht, mein Kleiner. Tut dir dein ?hrchen weh?« Sie streichelt mir ?ber den Kopf. Dann f?hrt sie ?ber mein rechtes Ohr, und ich zucke zusammen. »Tats?chlich, da hast du einen kleinen Knubbel.« Sie fasst nun genau an die schmerzende Stelle, ich jaule laut auf.

»Daniel, kannst du mal kommen? Ich brauche deinen fachm?nnischen Rat. Herkules hat hier so einen Knoten am Ohr, und der scheint ihm auch wehzutun.«

Daniel steckt den Kopf aus seinem Zimmer.»Ich komme gleich, muss hier nur noch kurz was zu Ende machen.«

Hoffentlich kann Daniel mir helfen, denn je l?nger ich dar?ber nachdenke, umso mehr schmerzt das Ohr. Mittlerweile ist das Jucken auch fast v?llig einem durchgehenden Pochen gewichen. Ich lege die Schnauze auf meine Vorderl?ufe und fiepe ein bisschen vor mich hin. Kann ja nicht schaden, wenn die Menschen wissen, wie schlecht es mir geht.

»So, Herkules, dann lass mich mal sehen.«

Daniel beugt sich?ber mich und schiebt ganz sachte mein rechtes Ohr nach vorne. Ich fiepe noch etwas lauter. Als Daniel den Knoten ertastet hat, streicht er behutsam mein Fell auseinander.

»Aha. Habe ich mir schon gedacht.«

Carolin schaut ihn ganz beunruhigt an.»Was Schlimmes?«

Brrr, jetzt bin ich auch beunruhigt. F?llt mir vielleicht gleich mein ?hrchen ab? Abgesehen davon, dass ein gutes Geh?r f?r jeden Jagdhund wichtig ist, w?re ich dann auch mit Sicherheit der h?sslichste Dackel der Welt.

Daniel sch?ttelt den Kopf. »Nein, nein, keine Sorge. Das ist bloss eine Zecke.«

Puh, ich bin erleichtert. Von Zecken habe ich schon mal geh?rt, die sind zu ?berleben. Ich selbst hatte zwar nie eine, aber Emilia hat uns nach unseren Tobestunden im Schlosspark immer gewissenhaft danach abgesucht.

»Allerdings«, f?hrt Daniel dann fort und gibt seiner Stimme einen Klang, die die Sache mit dem abfallenden ?hrchen doch nicht so weit hergeholt erscheinen l?sst, »allerdings scheint sich das Ganze entz?ndet zu haben. Die Bissstelle ist ziemlich warm und eitert schon ein bisschen. Nat?rlich k?nnen wir die Zecke jetzt mit einer Pinzette rausziehen, aber ich w?rde mit Herkules sicherheitshalber mal zum Tierarzt fahren.«

O nein, bitte nicht zum Tierarzt! Es schaudert mich, und ich merke, wie sich mir buchst?blich die Nackenhaare aufstellen.

»Mensch, Herkules, du kannst ja richtig b?se gucken«, stellt Daniel belustigt fest.

W?sste nicht, was daran so komisch ist.

»Offensichtlich versteht uns dein neuer Mitbewohner ganz genau, und zum Tierarzt will er wohl auf keinen Fall. Schau mal, er macht sich ganz steif.«

Er reicht mich zu Carolin, die mich auf den Arm nimmt und mir beruhigend?ber den Kopf streichelt. »Och, Herkules, musst doch keine Angst haben. So ein Besuch beim Tierarzt ist gar nicht schlimm.«

Also, mit Verlaub, das weiss ich ja wohl besser. Von den Anwesenden bin ich doch der Einzige, der diese Erfahrung schon mal als Patient gemacht hat. Sogar schon zweimal. Beim ersten Mal habe ich mich von dem freundlichen Ges?usel noch t?uschen lassen, bis diese Gestalt namens Tierarzt pl?tzlich eine Hautfalte vonmir hochzog und mit einer Nadel zustach. Das muss man sich mal vorstellen - mit einer Nadel! In meine empfindliche Haut! Tierarzt nicht schlimm? Es ist immer wieder erstaunlich, was f?r einen Bl?dsinn Menschen mit dem Brustton der ?berzeugung von sich geben. Wie gerne w?rde ich in solchenMomenten mit ihnen sprechen k?nnen!

W?hrend ich noch damit hadere, dass aus all meinen zweifelsohne wichtigen und zutreffenden Gedanken nichts weiter als ein lautes Bellen werden kann, klingelt es an der T?r. Carolin setzt mich wieder ab und ?ffnet.

»Hallo, ihr alle!«

»Hallo, Nina! Mensch, dich h?tte ich jetzt fast vergessen. Ich f?rchte, unser Plan f?r heute Mittag ?ndert sich etwas.«

Nina guckt entt?uscht. »Och, wieso? Was ist denn passiert?«

»Herkules hat sich eine Zecke eingefangen, und das Ganze hat sich entz?ndet. Ich muss mit ihm mal eben zum Tierarzt. Sp?ter schaffe ich es nicht mehr, da habe ich zu viele Kundentermine.«

»Schade! Aber vielleicht dauert die Aktion nicht so lange, und wir gehen hinterher etwas essen? Dann komme ich jetzt einfach mit. Wo soll’s denn hingehen?«

»Tja, dar?ber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich so schnell schon einen Tierarzt brauchen w?rde. Hast du vielleicht einen Tipp, Daniel?«

Daniel denkt nach, jedenfalls legt er seine Stirn in Falten, und das ist meist ein untr?gliches Zeichen daf?r. ?berhaupt muss ich mir mal angew?hnen, Menschen mehr ins Gesicht zu schauen. Da erf?hrt man doch sehr viel ?ber die momentane Stimmung. Mittlerweile habe ich zwar schon einiges in Sachen »Versteh einer die Menschen« gelernt, aber vielleicht k?nnte mir Beck noch ein paar Nachhilfestunden geben.

»Also, unser alter Tierarzt war spitze, aber ich bin mir nicht sicher, ob er ?berhaupt noch praktiziert. Der war eigentlich der Beste und daf?r stadtbekannt. Wagner hiess er, die Praxis war hier gleich um die Ecke, in der Hellmannstrasse. Ruf doch mal die Auskunft an.«

Keine halbe Stunde sp?ter sitzen wir schon zu dritt in Dr. Wagners Praxis. Der von Eschersbach’sehe Tierarzt kam immer auf das Schloss, insofern ist mein Tierarztbesuch heute doch eine Premiere. Und ich muss zugeben: H?tte ich nicht solche Ohrenschmerzen, w?re es hier eigentlich recht interessant. Von meinemPlatz auf Carolins Schoss kann ich genau sehen, dass in der Transportbox unter dem Stuhl neben uns zwei Kaninchen hocken. Wahnsinn - so nah war ich denen noch nie. Ich sp?re, wie sich ein warmes Kribbeln in meiner Nase breitmacht. Zu gerne w?rde ich auf den Boden h?pfen und mir die beiden einmal genauer ansehen. Vielleicht k?nnte ich sie ein bisschen durch das Wartezimmer jagen? Nur zum Spass nat?rlich. Stichwort Solidarit?t unter Haustieren. So ein bisschen in die Hinterl?ufe zwacken w?rde die aber bestimmt nicht umbringen. Ich stelle fest, dass mein Ohr bei diesem Gedanken gleich viel weniger schmerzt.

Langsam rutsche ich mit meinen Vorderl?ufen von Carolins Schoss und schaue kurz hoch, ob sie mich gerade beobachtet. Nein, denn sie unterh?lt sich angeregt mit Nina ?ber ihr Lieblingsthema - Thomas. Sachte lasse ich mich von ihrem Schoss gleiten und lande direkt vor der Kaninchenbox. Carolin streichelt mir nur kurz ?ber denKopf, dann dreht sie sich wieder zu Nina. Ich gucke mich um - die Luft ist rein, denn der zust?ndige Kaninchenmensch steht am Anmeldetresen und spricht mit einer jungen Frau. So, Freunde, dann wollen wir doch mal ein bisschen spielen, oder?

Ich presse meine Schnauze an die Box. Ein herrlicher Geruch, ich k?nnte laut bellen vor Freude! Aber das lasse ich lieber, denn dann fliege ich bestimmt auf, und der Spass ist vorbei, bevor er richtig angefangen hat. Stattdessen versuche ich, den Riegel hochzuschieben, mit dem die kleine Gittert?r an der einen Seite der Box verschlossen ist. Die Kaninchen starren mich an, begeistert sehen sie nicht aus. Aber das k?mmert mich nicht, und so packe ich jetzt den Riegel mit meinen Z?hnen und drehe ihn hoch. Mit einem leisen »Klack« schwingt das Gittert?rchen nach vorne auf. Fantastisch! Es funktioniert! Sofort stecke ich meinen Kopf in dieBox und versuche, das gr?ssere der beiden Kaninchen zu packen. ?ngstlich quiekt es auf, offensichtlich versteht es ?berhaupt keinen Spass. Bevor ich es allerdings richtig erwische, passiert etwas Unglaubliches: Sein Kollege schiesst pfeilschnell nach vorne und beisst mich mitten in die Nase. Ich heule laut auf und ziehe meinen Kopf aus der Box. So eine Gemeinheit!

Die Kaninchen nutzen ihre Chance zur Flucht und springen sofort aus der Box. Ich belle w?tend und will hinterher, denke allerdings nicht daran, dass ich angeleint bin. In besagter Leine verf?ngt sich Nina, die erschreckt aufspringt, als eines der beiden Kaninchen durch ihre Beine huscht. Sie stolpert, kommt ins Taumeln - und f?llt direkt in die Arme eines Mannes im weissen Kittel, der in diesem Moment die T?r neben unserer Stuhlreihe ?ffnet und harmlos »Frau Neumann mit Herkules?« in die Runde ruft. Als ich ihn sehe, durchzuckt mich ein seltsames Gef?hl. Aber ich komme nicht dazu, weiter dar?ber nachzudenken, denn mittlerweile ist der Kaninchenbesitzer vomTresen zu uns gerannt, ruft »Bobo, Schneeweisschen! Meine armen Lieblinge!«, und versucht, mir einen gezielten Tritt zu verpassen. Ich weiche aus und ducke mich unter den n?chsten Stuhl. Carolin zerrt jetzt hektisch an meiner Leine, und die Oma von schr?g gegen?ber, die mit einem ?lteren Cocker dasitzt, bekommt vor Aufregung einen Hustenanfall. Der Mann im Kittel - offensichtlich Dr. Wagner - h?lt immer noch Nina im Arm, und ich warte darauf, dass er sie jetzt fallen l?sst und sich auch auf die Jagd nach mir macht.

Aber nichts dergleichen passiert, stattdessen f?ngt Dr. Wagner an, laut zu lachen. Ein sehr dunkles, fr?hliches Lachen. Ein Lachen, das mir bekannt vorkommt. Auf einmal ist es, als w?re ich wieder auf Schloss Eschersbach und s?sse mit Charlotte auf den kalten Fliesen im Vorraum des Pferdestalls. Fast kann ich die Stimme des alten von Eschersbach h?ren, der sich mit dem Tierarzt unterh?lt. Dr. Wagner ist nicht irgendein Tierarzt, er ist mein Tierarzt! Aufgeregt fange ich an zu bellen - ob aus Angst oder vor Freude, weiss ich selbst nicht.

»Na, mein Kleiner! Da hast du ja ein sch?nes Chaos hier angerichtet.«

Dr. Wagner kniet sich vor den Stuhl, unter dem ich immer noch hocke und streichelt mir?ber den Kopf. Jetzt beugt sich Carolin daneben, l?st meine v?llig verknotete Leine und zieht mich unter dem Sitz hervor.

»O Gott, Herr Dr. Wagner, das ist mir so unglaublich peinlich. Entschuldigen Sie vielmals, ich hoffe, den Kaninchen ist nichts passiert.«

Pah! Verr?terin! Was k?mmern sie die Kaninchen? Sie sollte sich lieber mal um mich Sorgen machen - erst bef?llt mich die heimt?ckische Ohrenf?ule und dann werde ich hier noch derart brutal mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Aber wenigstens Dr. Wagner weiss Priorit?ten zu setzen. Er sch?ttelt den Kopf, dann nimmt er mich auf den Arm.

»Keine Sorge, das muss Ihnen nicht peinlich sein. Dieses kleine Kerlchen kann eigentlich nichts daf?r. Ein Dackelmix, oder? Sie m?ssen wissen, Dackel sind jahrhundertelang nur daf?r gez?chtet worden, ebendiesen Kaninchen an den Kragen zu gehen. Und gegen dreihundert Jahre Zucht kann auchder wohlerzogenste Hund nicht an.« Er streichelt mich, ich schlecke seine H?nde ab. »Dabei f?llt mir auf: Irgendwie kommt mir Herkules bekannt vor. Waren Sie schon einmal mit ihm hier? Wir haben noch gar keine Patientenakte von ihm.«

Carolin sch?ttelt den Kopf. »Nein, ich bin Neu-Hundebesitzerin. Ein Freund hat mir Ihre Praxis empfohlen.«

»Tja, dann t?usch ich mich wohl. Ich habe die Praxis allerdings auch erst vor einem guten Jahr von meinem Vater ?bernommen, und ich gebe zu, dass ich den ein oder andern Patienten noch verwechsle.« Er dreht sich zu Nina. »Ich hoffe, ich bin Ihnen mit meinem kleinen Rettungsman?ver nichtzu nahe getreten?«

Nina gibt ein sehr seltsames Kichern von sich und sagt mit einer Stimme, die v?llig anders klingt als sonst: »Aber nein, ganz im Gegenteil. Sie kamen gerade rechtzeitig, vielen Dank.«

»Na gut, dann wollen wir uns Herkules doch mal in Ruhe anschauen. Kommen Sie bitte mit?«

Er?ffnet wieder die T?r, aus der er eben gekommen ist, und macht eine einladende Handbewegung. Carolin geht vor, und auch Nina will sich meine Untersuchung offenbar nicht nehmen lassen. Jedenfalls setzt sie sich nicht einfach wieder hin, sondern geht sofort hinter Carolin her.

Dr. Wagner nickt noch kurz der jungen Frau am Tresen zu.»Sinje, helfen Sie bitte kurz Herrn Riedler, Bobo und Schneeweisschen einzufangen? Nicht, dass sie hier dem n?chsten Jagdhund zum Opfer fallen.«

Hinter der T?r befindet sich ein heller Raum mit einem Tisch in der Mitte. Dr. Wagner setzt mich darauf und mustert mich.

»So, Herkules, wo dr?ckt denn der Schuh?«

»Er hat eine Zecke hinter dem rechten Ohr, und ich f?rchte, der Biss hat sich entz?ndet«, erkl?rt Carolin.

Dr. Wagner f?hrt mit seiner Hand an meinem Ohr entlang, bis er zu dem Knoten kommt. Als er ihn ber?hrt, zucke ich zusammen. In dem ganzen Tohuwabohu tat es eigentlich gar nicht mehr weh, aber jetzt ist das Pochen wieder fast unertr?glich.

»Sie haben Recht, das hat sich entz?ndet. Ich werde die Zecke jetzt herausziehen und die Stelle desinfizieren. Dann werde ich Herkules ein Antibiotikum verschreiben. Es w?re ja m?glich, dass das Biest ihn mit ein paar Keimen infiziert hat. Ausserdem gebe ich Ihnen einen Plastikkragen mit,damit er sich an der Stelle erst mal nicht mehr kratzen kann.«

Na grossartig! Das sind ja tolle Aussichten f?r die n?chsten Tage. Wette, Beck bricht lachend zusammen, wenn er mich mit so einem Teil sieht.

»So, ich schlage vor, Sie halten Herkules jetzt die Vorderl?ufe fest, und ich lege ihm einen Maulkorb um. Nicht, dass er einen von uns beisst, wenn ich die Zecke entferne.«

»Kann ich mich auch irgendwie n?tzlich machen?«, will Nina wissen.

T?usche ich mich, oder m?chte sie einen guten Eindruck bei Dr. Wagner hinterlassen? Sie ist doch sonst nicht so zuckers?ss.

»Danke, Frau … ?h …«

»Bogner. Nina Bogner.«

Mit dem Maulkorb um die Schnauze habe ich zwar nicht mehr die perfekte Sicht, aber immer noch gut genug, um zu erkennen, dass Nina Dr. Wagner regelrecht anstrahlt. Man kann alle ihre Z?hne sehen. F?r einen Menschen ein recht ordentliches Gebiss, muss ich schon sagen. Ihre Stimme klingt allerdings mittlerweile eher wie ein Fl?ten. Unangenehm.

»Danke, Frau Bogner, nett von Ihnen. Aber das schaffen wir hier schon.«

»Tja, ich bin so besorgt um unseren kleinen Freund hier. Ich liebe Hunde, m?ssen Sie wissen.«

Mann, das Ges?usel nervt. Hoffentlich ist Dr. Wagner bald fertig, und wir k?nnen wieder nach Hause. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er nun eine Art Zange in der Hand h?lt. Er b?ckt sich ?ber mich und - AUTSCH! Ich wusste doch, dass ein Besuch beim Tierarzt immer schmerzhaft endet. Und heute ist es keine Ausnahme. Zu gerne w?rde ich nach Wagner schnappen, aber der bl?de Maulkorb hindert mich daran.

»Ganz ruhig, Herkules! Wir haben es gleich geschafft«, behauptet Wagner. »Nur noch einen kleinen Augenblick, dann kannst du wieder vom Tisch.«

Er nimmt eine kleine Flasche mit Fl?ssigkeit und ?ffnet sie. Ein durchdringender, stechender Geruch str?mt aus. Urks, das riecht ja widerlich! Wagner tr?ufelt etwas von dem Zeug auf einen Tupfer. Dann bestreicht er die Stelle damit. Nochmal AUTSCH! Es brennt h?llisch, und diesmal kann ich mich von Carolin losreissen undaufspringen. Emp?rt knurre ich die beiden an.

»Herkules!«, schimpft Carolin, »Dr. Wagner will dir doch nur helfen. Jetzt sei brav und leg dich wieder hin!«

»Nicht n?tig, Frau Neumann. Ich bin schon fertig. Die Zecke ist draussen, die Stelle habe ich desinfiziert. Meine Helferin gibt Ihnen noch den Kragen und das Antibiotikum mit. Das Medikament bekommt Herkules die n?chsten sieben Tage ins Futter. Damit m?sste eigentlich alles in Ordnung sein, und Ihr Herkules ist bald wieder auf dem Posten.«

Zehn Minuten sp?ter befinde ich mich auf Carolins Schoss, und gemeinsam sitzen wir wieder in Ninas Auto. Nina ist offensichtlich bester Stimmung, jedenfalls pfeift sie fr?hlich vor sich hin.

»Mensch, so gute Laune?«, will Carolin von ihr wissen.

»Och ja, das war doch jetzt mal ganz interessant. Quasi eine Mittagspause der anderen Art. Ich war vorher noch nie beim Tierarzt.«

»Tja, warum auch. Ich hatte bisher immer den Eindruck, dass du nicht gerade ein grosser Tierfreund bist. Deine neu entdeckte Hundeliebe ?berrascht mich ehrlich gesagt etwas.«

»Wieso? Herkules ist doch so ein s?sses Kerlchen. Also, wenn ihr noch mal in die Praxis m?sst, komme ich gerne mit.«

»Aha. Bist du sicher, dass das nicht mit einem anderen s?ssen Kerlchen zu tun hat?«

»Bitte? Ich weiss nicht, wovon du redest.«

Hier bin ich allerdings mit Nina auf dem gleichen Stand. Mir ist auch nicht klar, wovon Carolin redet. Welches andere s?sse Kerlchen? Ich habe ausser mir niemanden entdecken k?nnen, der dieses Pr?dikat verdient.

»Ach komm, nun tu mal nicht so. Denkst du wirklich, ich habe nicht gesehen, wie du ihn angeschmachtet hast, den Herrn Doktor?«

Nina sagt nichts, sondern pfeift einfach weiter.

»Komm, gib zu, dass er dir gefallen hat. Verstehe ich. Er sieht wirklich ziemlich klasse aus - und wie er dich gleich aufgefangen hat: ganz alte Schule.«

Carolin kichert, Nina sagt immer noch nichts. Menschliche Kommunikation ist r?tselhaft.

Zu Hause angekommen, m?chte ich mich am liebsten sofort in mein K?rbchen verziehen. Daraus wird aber nichts, denn noch bevor Carolin die Haust?re aufschliessen kann, kommt Beck wie zuf?llig an uns vorbeigeschn?rt und raunt mir ein »Wir m?ssen reden, sofort!« zu. Hat man denn hier niemals seine Ruhe? Andererseits macht Beck aber eine dermassen wichtige Miene, dass meine Neugier siegt.

»Okay, gleich im Garten?«, seufze ich gottergeben.

Beck nickt und ist verschwunden. Ich schaue zu Carolin hoch, beginne zu fiepen und laufe scheinbar unruhig hin und her.

»Was ist los, Herkules? Musst du mal?«

Ich belle kurz und renne schon mal in Richtung Garten.»He, nicht so schnell! Ich muss eigentlich gleich in die Werkstatt.

Ich halte kurz inne und fiepe noch einmal.

»Na gut, wenn es so dringend ist…«

Im Garten angekommen, sehe ich Beck auch schon unterunseremBaum sitzen. Ich hocke mich neben ihn.

»Und, was gibt’s?«, will ich wissen.

Beck holt theatralisch Luft.»Ich habe eine sensationelle Entdeckung gemacht.«

SIEBEN

»Wo denn? Ich seh nichts!« »Na, da dr?ben!« Angestrengt starre ich zu einer H?userzeile schr?g ?ber der Strasse, aber die Sensation, die Beck dort erkannt haben will, kann ich beim besten Willen nicht ausmachen. Gut, liegt wahrscheinlich daran, dass ich mit dem v?llig ?berdimensionierten Plastikteil um meinen Hals eine tendenziell eingeschr?nkte Sicht habe, aber das l?sst sich jetzt eben nicht ?ndern. Beck schnauft ungeduldig.

»Na, denn m?ssen wir halt n?her ran. Los, renn r?ber!« »Halt mal, ich will jetzt erst mal wissen, was wir hier ?berhaupt wollen«, weigere ich mich. Das fehlte noch. Laufen kann ich mit dem Kragen n?mlich auch nicht wirklich gut, st?ndig bleibe ich an irgendwas h?ngen. Beck seufzt. »Wir sind hier, um dein grosses Problem zu l?sen.« »H??« Der Kater nervt langsam.

»Ach, was rede ich - kein grosses Problem, es ist dein gr?sstes Problem.«

»Mein gr?sstes Problem? Sag bloss, da dr?ben finden wir den Beweis, dass ich doch komplett reinrassig bin und Eschersbach die ganze Zeit halluziniert hat.«

Vor meinem inneren Auge sehe ich eine Abstammungsurkunde, lang wie eine Rolle K?chenpapier, ausgestellt auf meinen Namen.

Beck grunzt.»Quatsch. Doch nicht dieser Abstammungskram. Der interessiert doch keinen. Dein gr?sstes Problem ist Thomas.« »Na ja.«

»Du hast doch gesagt, dass Thomas dich loswerden will.« »Richtig.«

»Und was folgt daraus?«

»Dass ich mich besser benehmen muss?«

»Falsch. Daraus folgt, dass du ihm zuvorkommen musst. Du musstihnloswerden. Und zwar, bevor er dich wieder in Richtung Tierheim bugsieren kann.«

»Ich muss Thomas loswerden?« Ungl?ubig starre ich Beck an. »Wie soll das denn gehen? Soll ich ihn anfallen und heimlich verscharren? Ich glaube, du ?bersch?tzt mich da etwas, ich bin schliesslich ein Dackel, kein Kampfhund.«

Beck sch?ttelt den Kopf. »Mein Gott, bist du schwer von Begriff. Doch nicht so! Du hast jetzt die historische Chance, dir Thomas ein f?r alle Mal vom Hals zu schaffen. Allerdings nicht, wenn du hier weiter wie angewurzelt stehen bleibst. Also los, mir nach!«

Ich seufze. Wann endlich wird dieser Tag beginnen, etwas ruhiger zu werden?

Auf der anderen Strassenseite angekommen, kann ich den Grund f?r Becks Aufregung immer noch nicht verstehen.

»Entschuldige, offensichtlich verf?ge ich heute einfach nicht ?ber deinen Scharfsinn. Was gibt es hier so Weltbewegendes zu sehen?«

»Du stehst direkt davor.«

»H??«

»Vor Beweisst?ck A.«

»Beweisst?ck A? Langsam mache ich mir Sorgen um dich. Ich sehe hier lediglich zwei Autos und einen Stromkasten.

Also mach es nicht so spannend. Ich bin nach meinem heutigen Arztbesuch auch ziemlich schlapp. Wenn du mir jetzt endlich erl?utern k?nntest, was ich hier soll, w?re ich dir sehr verbunden.«

»Nat?rlich. Du siehst hier nur zwei Autos. Ich hingegen sehe einen BMW, schwarz-metallic. Dieser ist das erste Teilchen einer brillanten, l?ckenlosen Beweisf?hrung, an deren Ende Thomas vor der T?re und du auf seinem Sofa landen wirst. Kommen wir also als N?chstes zu Beweisst?ck B. Herr von Eschersbach, folgen Sie mir bitte. Wir haben einen Ortstermin.«

Erw?hnte ich, dass Beck mal einem Anwalt geh?rte? Eine sehr unangenehme Sp?tfolge aus dieser Zeit ist der willk?rliche Einsatz von Juristengeschwafel. Tragisch, wie sehr Menschen auf ihre Tiere abf?rben. Ich w?nschte, es w?re umgekehrt genauso. Die Welt w?re ein freundlicherer Ort.

»Na los, Dackel! Rauf auf den Stromkasten!«

Mit einem Satz ist Beck oben.

»Spinnst du jetzt komplett? Wie soll ich da raufkommen? Da kann ich schon unter normalen Umst?nden nicht - und mit diesem Halsdings ist es v?llig ausgeschlossen. Also entweder, du sagst mir jetzt sofort, was der ganze Zirkus soll, oder ich laufe wieder nach Hause.«

Beck schaut beleidigt.»Ich h?tte ein bisschen mehr Engagement von dir erwartet. Schliesslich tue ich das hier nur f?r dich. Mir k?nnte es eigentlich v?llig egal sein, was euer Thomas so mit seiner Zeit anf?ngt. Aber weil du nun ein Freund von mir bist…«

»Halt mal, was meinst du denn damit? Was ist mit Thomas?«

Beck springt wieder von dem Kasten herunter und landet punktgenau neben mir. Das k?nnen sie einfach, die Katzen.

»So, jetzt mal zum Mitschreiben: Heute Morgen machte ich meinen ?blichen kleinen Spaziergang. Ich bin immer ganz gerne auf der anderen Seite des Parks, irgendwie bessere Luft hier, mehr M?use, ruhiger - du wirst es schon noch merken, wenn du selbst erst mal l?nger …«

»Beck«, unterbreche ich ihn ungeduldig, »was ist mit Thomas?«

»Als ich hier entlangkomme, h?lt der besagte BMW direkt neben mir. Und wer steigt aus?« Beck gibt seiner Stimme einen wichtigen Unterton: »Thomas!« Er macht eine bedeutungsschwangere Pause.

»Ja und? Warum soll er nicht hierherfahren? Wahrscheinlich arbeitet er hier. Er f?hrt doch jeden Morgen ins B?ro.«

»Mensch, Herkules! Sei doch nicht so naiv! Die Strecke von unserem Haus hierher schafft selbst ein fauler Mensch in maximal zehn Minuten zu Fuss. Hier ist nicht das B?ro! Und es kommt noch viel besser!« Jetzt zuckt seine Schwanzspitze aufgeregt hin und her. »Thomas ist dann zu diesem Hauseingang, vor dem wir jetzt stehen. Er schliesst die T?r auf und - wird von einer jungen Frau begr?sst! Sie fiel ihm sofort um den Hals! Im Hausflur, ich konnte es noch sehen!«

Ich sch?ttle den Kopf. »Ich verstehe nicht, was daran so aufregend sein soll. Diese Menschen fallen sich doch andauernd um den Hals. Wahrscheinlich steht man auf zwei Beinen doch nicht so doll, und sie m?ssen sich eben ab und zu mal bei anderen Menschen abst?tzen. Nina ist heute zum Beispiel auch diesem Tierarzt…«

»Ach Quatsch, du d?mlicher Dackel!«, unterbricht mich Beck unwirsch. »Doch nicht so! Sie haben sich gek?sst! Verstehst du? Thomas hat eine andere Frau gek?sst!«

»Warum auch nicht? Habe ich jetzt schon h?ufiger gesehen. Carolin und Nina k?ssen sich auch ab und zu ins Gesicht, das ist doch einfach ein Ritual bei Menschen.«

»Mit Zunge?«

»Bitte?«

»Na, k?ssen sie sich mit Zunge?«

Ich bin verwirrt. K?ssen mit Zunge?

»Also abschlecken? Das habe ich bei Menschen noch nie gesehen. Das machen die doch gar nicht. Was schade ist.«

»Siehst du!« Beck bricht in Triumphgeheul aus. »Sie machen es eben doch! Aber nicht immer. Sondern nur, wenn sie sich paaren wollen. Und genau das habe ich gesehen, ich bin n?mlich extra mit in den Flur geschlichen, weil ich schon so etwas geahnt habe: Thomas hat diese Frau mit seiner Zunge abgeschleckt, und sie ihn auch. Also, erst k?ssten sie sich ganz normal, und dann steckten sie sich die Zunge in den Mund. Ein untr?gliches Zeichen! Hier ist ein grosser Betrug im Gange, und ich habe ihn aufgedeckt!«

Das ist nun eindeutig zu kompliziert f?r einen kleinen Dackel. Mir schwirren die Ohren, und zwar beide, und das liegt nicht an der Halskrause. Offenbar sieht man mir meine Verwirrtheit deutlich an, denn jetzt r?ckt Herr Beck noch ein St?ck n?her an mich heran und fl?stert verschw?rerisch.

»Carl-Leopold von Eschersbach, ich liefere dir Thomas direkt ans Messer. Er betr?gt Carolin mit einer anderen Frau. Wie du bestimmt weisst, bilden M?nner und Frauen gerne Paare miteinander. Und wenn sie das getan haben, dann bleiben sie zu zweit. Alles andere ist Betrug. Also sich mit einer Frau oder einem Mann paaren, die oder der einem nicht geh?rt, ist Betrug. Und sich so k?ssen, wie sich Thomas und diese andere Frau gek?sst haben, ist meist der Anfang vom Betrug. Mein altes Herrchen, der Anwalt, der kannte sich da m?chtig gut aus. Zu ihm kamen viele M?nner und Frauen, die sich von ihrem Partner trennen wollten, weil der sie betrogen hat. Wir hatten dann einen Spezialisten, der hat Fotos von solchen Betr?gern gemacht, damit man es auch beweisen konnte. Da sah man ganz h?ufig Menschen drauf, die sich so abgeschleckt haben. Wenn unsere Mandanten die Fotos gesehen haben, haben sie meistens erst geweint - und dann hat mein Herrchen ihnen geholfen, den Betr?ger loszuwerden. Daher mein Plan: Wir zeigen Carolin, dass Thomas ein Betr?ger ist - und dann schmeissen wir ihn raus. Genial, oder?«

Jetzt bin ich auch ganz aufgeregt und wedele wild mit meiner Rute hin und her.

»Und du meinst, das funktioniert?«

»Hundert Prozent. Eine todsichere Sache. Wir brauchen nur noch einen Beweis.«

Ich h?re auf zu wedeln.

»Mist.«

»Was denn?«

»Der Beweis. Wie sollen wir das beweisen? Wir k?nnen schliesslich kein Foto davon machen und es Carolin vorlegen. Und so dumm, sich vor ihren Augen zu k?ssen, wird Thomas wohl kaum sein.«

Beck nickt.»Stimmt, das ist noch ein Problem. Darauf muss ich noch ein bisschen herumdenken. Aber da f?llt mir bestimmt noch etwas ein. Bis es so weit ist, schlage ich vor, die Observation zu intensivieren. Zur gegebenen Zeit werden wir dann ins Beweissicherungsverfahren eintreten.«

Sagte ich doch: Juristengeschwafel.

»Aber du weisst doch gar nicht, in welcher Wohnung Thomas mit dieser Frau ist. Und selbst wenn du es w?sstest - wie sollen wir da reinkommen?«

»Du bist vielleicht ein Bedenkentr?ger. Und in beiden Punkten liegst du falsch. Erstens: Die Wohnung ist im Erdgeschoss. Ich habe gesehen, wie die Frau ein Fenster geschlossen hat. Und das erleichtert uns auch schon zweitens: In eine Erdgeschosswohnung sollte doch selbst ein Hund m?helos reinkommen.«

T?usche ich mich, oder h?re ich da einen sp?ttischen Unterton? Egal, ich beschliesse, ihn zu ignorieren, denn auf keinen Fall werde ich mich dazu provozieren lassen, hier in ein fremdes Haus einzudringen, angef?hrt von einem Kater, der offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.

»Los, beeil dich, ich kann dich nicht l?nger tragen!«

Beck?chzt und wankt. Ich z?gere noch. Bis zum Fenstersims ist es bestimmt ein guter Meter, wenn ich herunterfalle, werde ich sehr hart landen. Aber wir sind schon so weit gekommen, jetzt aufzugeben und umzudrehen w?re eine Schande. Tats?chlich haben wir uns mit dem Postboten unauff?llig ins Haus gemogelt und sind durch die Hintert?r in den Hof gelangt. Nun muss ich »nur« noch vom Treppenabgang der Hintert?r zum Fenster der besagten Wohnung. Also schliesse ich die Augen, hole tief Luft - und springe.

Gut, vielleicht war es auch eher ein halber Meter. Jedenfalls lande ich fast m?helos direkt vor dem grossen Fenster. Uff. Zwei Sekunden sp?ter landet Beck neben mir. Irgendwie beneide ich Katzen um ihre Mobilit?t. Selbst ohne den Kragen w?rde ich nicht halb so weit wie Beck kommen. Neugierig schauen wir beide durch das Fenster. Tats?chlich. Da ist Thomas. Und diese Frau. Und sie machen genau das, was Thomas neulich als »voll in Fahrt sein« betitelt hatte. Im dunklen Schlafzimmer war das etwas schwierig zu erkennen, aber hier ist die Sachlage v?llig klar: Wir werden gerade Zeugen eines Deckaktes.

Beck jubelt.»Ja, ich wusste es! Sex! Nennt mich die Supersp?rnase! Nennt mich Sherlock Beck! Von wegenzu alt -ich hab’s einfach drauf.«

Er springt so wild rauf und runter, dass ich schon Angst habe, wir k?nnten a) zusammen runterfallen oder b) entdeckt werden. Wobei Letzteres eher unwahrscheinlich ist, denn Thomas und Begleitung sind doch sehr mit sich selbst besch?ftigt.

»So, und das ist also Sex«, stelle ich trocken fest, nachdem Beck sich wieder beruhigt hat.

»Genau. Und die Menschen machen einen Riesenwirbel darum. Also, um wer mit wem und wann und wieso. Kannste glauben.«

Gut, das ist unter Dackelz?chtern ja nicht anders. Das Decken des Weibchens ist immer eine Riesengeschichte: Der richtige R?de muss her, vielleicht noch die Genehmigung des Bundeszuchtwartes eingeholt werden, dann heisst es Warten auf die Hitze des Weibchens, schliesslich auf seine Paarungsbereitschaft, und, und, und … eine komplizierte Angelegenheit also. Und dann muss der Z?chter nat?rlich die ganze Zeit hinterher sein, dass kein fremder R?de den Deckakt vollzieht - siehe meine Mutter. Sonst war die ganze M?he umsonst und aus der Traum vom Pr?miumnachwuchs. Aber ich schweife ab.

Festzuhalten bleibt: W?hrend der Wirbel unter Dackelz?chtern eher den handfesten Grund hat, den Zucht-und Eintragungsbestimmungen des Deutschen Teckelklubs Gen?ge zu tun, geht es den Menschen doch anscheinend noch um etwas ganz anderes. Um etwas, was gravierender ist als ?rger mit dem Stammbuchamt. Denn sonst w?re die Angelegenheit doch wohl nicht dazu geeignet, Paare, respektive Carolin und Thomas, auseinanderzubringen.

»Tr?umst du?«, will Beck wissen.

»Nein, ich frage mich nur, warum das den Menschen so wichtig ist. Also, die Frage, wer warum mit wem.«

»Wegen der Liebe nat?rlich!«

»Wegen der Liebe? Was hat die denn damit zu tun?«

»Mann, Herkules, bei dir muss man ja wirklich ganz von vorne anfangen. Also, wie Sex und Liebe zusammengeh?ren, das ist nun eine ganz elementare Frage bei Menschenpaaren. Aber das kann ich dir nicht eben nebenbei erkl?ren. Daf?r brache ich viel Zeit. Und die haben wir gerade nicht. Denn wichtiger ist im Moment, wie wir Carolin beweisen k?nnen, dass Thomas sie betr?gt. Alles andere kommt sp?ter.«

Na gut, wo der Kater Recht hat, hat er Recht. Da kommt mir eine Spitzenidee.»Okay, wenn wir kein Foto haben, dann m?ssen wir eben etwas anderes mitnehmen.«

Beck schaut mich?berrascht an. »Etwas mitnehmen? Was denn?«

»Irgendetwas, was eindeutig ist. Woran Carolin gleich erkennt, was passiert ist. Etwas wie …«, ich schaue mir die Szenerie noch mal gr?ndlich an, »… genau - ich hab’s!«

»Du mieses, mieses Schwein!«

Carolin ist v?llig ausser sich. Ich bin begeistert. Unser Plan funktioniert tats?chlich!

»Aber, Schatz, jetzt lass mich doch mal erkl?ren …«, stammelt Thomas. »Das ist ein ganz dummer Zufall, mehr nicht!«

»Ich finde in deiner Jackentasche einen schwarzen Spitzenslip, und das ist ein dummer Zufall? F?r wie bl?d h?ltst du mich eigentlich?«

Sie sollte sich lieber fragen, wie bl?d Thomas ist. Es kam ihm nicht mal komisch vor, dass ich eben seine Jacke durch den Flur geschleppt habe. So ist das eben, wenn man Haustieren keine Beachtung schenkt. Es r?cht sich bitterlich. Carolin hingegen hat sich sofort gewundert und nach mir geschaut. Tja, und dann den Zipfel desH?schens entdeckt.

»Glaub mir, Carolin, ich habe nicht die geringste Ahnung, wie der Slip da reinkommt. Nicht die geringste!«

Thomas klingt verzweifelt. Carolin erweicht er damit allerdings nicht.

»Ich habe deine L?gen satt, Thomas. Die ganze Zeit schon hatte ich das Gef?hl, das irgendetwas nicht stimmt. Die seltsamen Anrufe, deine ganzen angeblichen Dienstreisen.«

Mit diesem Gef?hl lag Carolin goldrichtig. Denn dass Thomas das Objekt seiner Begierde nicht erst seit gestern am Wickel hatte, wurde mir in dem Moment klar, als Herr Beck mit dem H?schen im Maul durch die auf Kipp stehende Terrassent?r schl?pfte. Einmal kurz geschnuppert, und ich wusste, woher ich denGeruch kannte: aus dem Bett von Thomas und Carolin. Genau das war es, was ich damals nicht zuordnen konnte: der Geruch dieser Frau. Sie hatte ganz offensichtlich auch schon in Carolins Bett gelegen! Ist es zu fassen? Ohne mich schon l?nger mit der Materie befasst zu haben, bin ich mir ziemlich sicher, dass das eine weitere Steigerungsform der Kategorie »Betrug« ist. Ich hoffe sehr, dass sich Carolin nicht von Thomas erweichen l?sst. Er hat es einfach verdient, hier im hohen Bogen rauszufliegen. Die Chancen daf?r stehen exzellent. Carolins Stimme klingt nicht im Mindesten vers?hnlich.

»Die Hotelbuchung damals auf Herrnund FrauBrodkamp - angeblich ein Versehen deiner Sekret?rin. Der Geruch von einem fremden Parf?m, den ich mir angeblich einbilde. Vergiss es, jetzt ist endg?ltig Schluss! Ich will, dass du gehst. Und zwar sofort! Ich fahre jetzt zu Nina. Wenn ich wiederkomme, bist du weg.«

Sie dreht sich um und geht Richtung T?r.

»Aber, aber - Carolin!« Thomas greift nach ihrem Arm. »Das kannst du doch nicht machen. Du kannst mich hier doch nicht einfach rausschmeissen. Ich dachte, wir lieben uns!«

Carolin blickt ihm direkt in die Augen und sagt dann mit sehr fester Stimme:»Ja, das dachte ich auch. Aber anscheinend habe ich mich get?uscht. Leb wohl, Thomas. Komm Herkules. Nina wartet schon auf uns.«

Carolin, ich bin so stolz auf dich. Klasse hat sie das gemacht. Ohne mit der Wimper zu zucken. Nahezu eiskalt. Von meinem Platz im Fussraum ihres Autos kann ich sie zwar nicht so gut sehen, aber bestimmt hat sie ein Strahlen auf dem Gesicht. Endlich ist sie den Betr?ger los - wenn das kein Grund zum Feiern ist!

Ich jedenfalls bin gl?cklich. Vor meinem inneren Auge sehe ich Carolin und mich beim gem?tlichen Fernsehabend auf dem Sofa rumlungern. Ob ich demn?chst vielleicht auch im Bett schlafen darf? Immerhin ist es f?r einen Menschen doch viel zu gross. Ein kleines Kerlchen wie ich w?rde schon noch gut mit - hoppla! Der Wagen h?lt abrupt an, ich werde sehr unsanft tiefer in den Fussraum gedr?ckt. Aua, hatten wir einen Unfall? Ich hangle mich wieder nach oben. Dort wird mir schlagartig klar, warum Carolin so stark gebremst hat: Sie liegt mit dem Oberk?rper auf dem Lenkrad, das Gesicht in den Armen vergraben und - weint. Nein, sie weint nicht nur, es sch?ttelt sie geradezu. Ihre Schultern beben, und ich h?re ein Schluchzen, das mir richtig Angst macht. Was ist bloss los? Gl?cklich ist Carolin jedenfalls nicht. Stumm sitze ich neben ihr und ?berlege, was ich jetzt tun k?nnte. Wie tr?stet man einen Menschen?

Langsam schiebe ich meine Schnauze unter ihren Armen durch und komme an ihr Gesicht. Es ist ganz warm und nass. Ich beginne, es abzuschlecken. Erst ganz vorsichtig, dann ein bisschen mehr. Hm, sch?n salzig. Erst reagiert Carolin gar nicht, was erstaunlich ist, denn normalerweise hat jeder Mensch eine genaue Meinung zu Hunden, die ihm das Gesicht abschlabbern, und oft ist es keine gute.

Schliesslich richtet sich Carolin aber wieder auf, dreht sich zu mir und streicht mir ?ber den Kopf. »Willst mich tr?sten, nicht? Das ist lieb. Ich bin wirklich froh, dass ich dich habe.«

Ich versuche, irgendeinen zustimmenden Laut von mir zu geben, was mir nat?rlich nicht gelingt. Also lecke ich ihr noch mal die H?nde ab. Sie kichert ein bisschen. Wenigstens das!

»Schon gut, S?sser. Du wunderst dich wahrscheinlich, nicht wahr? Weisst gar nicht, was passiert ist, du Armer.«

Na ja, das w?rde ich so direkt nicht sagen, aber es ist vielleicht ganz gut, dass Carolin ?ber die n?heren Umst?nde der ganzen Angelegenheit nicht so genau informiert ist. Sie wischt sich die Tr?nen aus dem Gesicht.

»Alles gut, keine Sorge, wird alles wieder gut.«

Redet sie jetzt mit mir? Oder mit sich selbst. Auf alle F?lle hat sie aufgeh?rt zu weinen und f?hrt wieder weiter.

Carl-Leopold von Eschersbach, Hoffentlich war es wirklich eine gute Idee, sich in diesen Menschenkram einzumischen.

ACHT

»Herkules, alter Kumpel, ich w?nschte, du k?nntest sprechen.« Daniel hebt mich auf seine Werkbank und schaut mich an. »Ich w?sste zu gerne, was da wirklich passiert ist zwischen Thomas und Carolin.« Er krault mich im Nacken. »Aber sie will es mir nicht sagen - und dukannstes mir nicht sagen.«

Wenn ich ehrlich bin: Selbst wenn ich reden k?nnte, w?rde ich Daniel nicht erz?hlen, was passiert ist. Denn mittlerweile w?nschte ich, Beck und ich h?tten nie die bescheuerte Idee mit dem H?schen gehabt. Als Carolin und ich von Nina kamen, war Thomas zwar schon weg. Aber ansonsten ist nichts von dem, was ich mir erhofft hatte, eingetreten. Wir sitzen nicht gem?tlich auf dem Sofa und kuscheln zusammen. Ich schlafe auch nicht auf Thomas’ Seite im Bett. Nein, seit Thomas weg ist, ist auch Carolin nicht wiederzuerkennen. Sie weint viel. Sie spricht nicht mehr mit mir. Sie spricht eigentlich mit niemandem. Und sie schl?ft kaum. Sie geht in der Wohnung hin und her und h?rt laut Musik. Manchmal so laut, dass es selbst den anderen Menschen zu viel wird - und das will bei denen schon etwas heissen. Aber wenn die Nachbarn klingeln und sich beschweren, guckt Carolin sie nur wortlos an und macht die T?r wieder zu. Zwar dreht sie die Musik dann etwas runter, sonst ?ndert sich aber nichts. Sie l?uft weiter ziellos in der Wohnung umher.

Seit vier Tagen geht sie auch nicht mehr zur Arbeit in die Werkstatt. Hat mich morgens geschnappt und ist mit mir runter zu Daniel. Sie hat kaum etwas gesagt, nur gefragt, ob sich Daniel tags?ber um mich k?mmern k?nne. Also verbringe ich momentan meine Tage mit ihm, abends bringt er mich dann wieder hoch. Dabei versucht er bei jeder Dackel?bergabe, Carolin in ein Gespr?ch zu verstricken, doch das klappt leider nie.

»Echt, Herkules, ich mache mir Sorgen. Dass sie das mit Thomas so mitnimmt, ist doch furchtbar. Ich meine, du wirst mir sicher Recht geben: Der Typ war ein kompletter Idiot, dem man nicht hinterherweinen muss. Erst recht nicht, wenn man so eine Klassefrau wie Carolin ist.«

Wuff, genau! Beim NamenThomasknurre ich ein bisschen, ansonsten wedele ich ob der Daniel’schen Analyse mit dem Schwanz.

Das einzig Nette in der momentanen Situation sind tats?chlich die M?nnergespr?che zwischen Daniel und mir. Na ja, Gespr?ch ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, aber immerhin redet Daniel ziemlich viel mit mir. Ist wahrscheinlich kein Wunder, schliesslich sind wir jetzt meistens allein. Aber ich erfahre dadurch doch eine ganze Menge ?ber die Menschen im Allgemeinen und Carolin im Speziellen. Und nat?rlich ?ber Daniel. Er kannte Carolin schon, bevor Thomas um die Ecke kam. Die beiden haben n?mlich zusammen gelernt, wie man diese Holzdinger, also Geigen und Celli und so, baut. Irgendwo ganz weit weg war das. In einem Ort mit einem wundervollen Namen: Mittenwald.Mitten im Wald.Das muss einfach eine ganz tolle Stadt gewesen sein, wenn sie schon so heisst.

In Daniels und Carolins Geigenbauklasse gab es ganz viele M?dchen, aber keines war so wie Carolin. Daniel hat das gleich erkannt, und bald waren sie die besten Freunde. Sie haben sogar zusammen gewohnt. Viele Sachen, die jeder von ihnen zum ersten Mal im Leben gemacht hat, haben sie zusammen erlebt: der erste grosse Hausputz, der erste selbst gekochte Sonntagsbraten, das erste Weihnachten ohne Eltern. Nur die erste grosse Liebe, die hatte jeder f?r sich. Was auch den Vorteil hatte, sich dann gegenseitig tr?sten zu k?nnen.

Wenn Daniel erz?hlt, habe ich fast das Gef?hl, als sei ich selbst ein Mensch. Zumindest bilde ich mir ein, dass ich langsam begreife, wie die Zweibeiner ticken. Sicher, Herr Beck hat mir auch schon so manches erkl?rt. Aber aus dem Munde des Studienobjektes selbst klingt das doch irgendwie … glaubw?rdiger. Bei Beck bin ich mir jedenfalls nicht immer ganz sicher, ob er sich nicht einen Teil einfach ausdenkt, um die Geschichte interessanter zu machen.

Daniel t?tschelt mich noch einmal, dann setzt er mich wieder auf den Boden. »So, jetzt muss ich mal einen Schlag reinhauen, sonst versinken wir hier langsam, aber sicher im Chaos. Gleich kommt eine besondere Kundin. F?r dich als Dackel wahrscheinlich nicht so leicht zu erkennen - aber als Mann kann ich dir versichern: eine Augenweide! Eine exzellente Musikerin noch dazu. Und ein Temperament - o l? l?! Nicht von schlechten Eltern, die Dame. Manchmal muss man sie ein bisschen bremsen, aber es ist immer sch?n, sie zu sehen.«

Er f?ngt an, eine Melodie zu summen und seine Werkbank aufzur?umen.

Das ist nun wirklich langweilig. Und wohlm?glich spielt diese exzellente Musikerin auch gleich Geige, das ist dann erst recht nichts f?r mich. Ich trotte Richtung Terrassent?r. Vielleicht treffe ich im Garten Herrn Beck. So ein nettes Gespr?ch unter Haustieren, das h?tte jetzt was.

Aber leider von Beck keine Spur, weder hinter dem Haus noch im Vorgarten. Daf?r mache ich eine andere interessante Entdeckung: Direkt auf dem M?uerchen, das unseren Vorgarten umgibt, hat eine junge Frau Platz genommen. Sie sitzt da und macht irgendetwas mit ihrem Gesicht. Ich trabe n?her heran, um besser sehen zu k?nnen. Sie beachtet mich gar nicht, so besch?ftigt ist sie mit … ja, mit was eigentlich? Oberfl?chlich betrachtet, w?rde ich sagen, sie malt sich an. Jedenfalls h?lt sie erst ein Schw?mmchen in der Hand, auf dem helle Farbe aufgetragen ist, und dann schmiert sie sich diese Farbe auf die Nase. Einen Moment sp?ter nimmt sie einen Stift und streicht eine rote Paste auf ihren Mund. Hm, seltsam.

Die Frau packt ihre Malinstrumente wieder in ihre Tasche und steht auf. Dann beugt sie sich rasch nach vorne und sch?ttelt ihre Haare ?ber den Kopf. Sieht ziemlich genau so aus, wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt und sich trockensch?ttelt. Dass Menschen das auch ohne Wasser machen: ein weiterer Beweis, dass Zweibeiner v?llig irrational handelnde Wesen sind. Ohne Sinn und Verstand. Sie wirft die -v?llig trockenen Haare - zur?ck ?ber die Schultern. Sie sind sehr lang, sehr schwarz und sehr lockig. Erinnert entfernt an den ungarischen Hirtenhund, der mal bei uns auf Schloss Eschersbach zu Besuch war. Da habe ich mich spontan gefragt, wie der ?berhaupt die Schafe sieht, auf die er aufpassen soll.

Jetzt sehe ich, dass die Frau neben der Tasche noch einen Koffer dabei hat. Eindeutig ein Geigenkasten, wie ich mittlerweile weiss. Dann ist das wohl die Musikerin, von der eben die Rede war. Ob sie nun f?r das menschliche Auge besonders h?bsch ist, kann ich nicht einsch?tzen. Ist ja auch schwer zu sagen, schliesslich hat sie sich ihr Gesicht so bemalt, dass es in seiner urspr?nglichen Form nicht mehr zu erkennen ist. Die sch?nste Frau auf der Welt ist ausserdem Carolin, und der Rest interessiert mich nicht.

Die Angemalte geht auf den Eingang zu, ich laufe durch den Garten wieder zur?ck zur Terrassent?r und stehe schon neben Daniel, als der die Werkstattt?re ?ffnet.

»Daniel, mein Bester!«

Sie f?llt ihm um den Hals und k?sst ihn. Ich gebe mir gr?sste M?he, zu erkennen, ob mit oder ohne Zunge. Habe schliesslich dazugelernt. Leider kann ich es so recht nicht sehen, ihre bauschigen Locken verdecken beide Gesichter. Im eigenen Interesse hoffe ich aber, dass dies hier nur eine normale Begr?ssung war, denn etwas anderes kann ich momentan nicht gebrauchen. Auch wenn ich an den j?ngsten Entwicklungen nicht unschuldig bin. Bisher war die Werkstatt ein guter R?ckzugsort vor menschlichen Gef?hlswirrungen, und das soll doch bitte so bleiben.

»Wow, Aurora, du siehst wie immer fantastisch aus! Komm rein, ich habe schon auf dich gewartet. Carolin ist leider krank und diese Woche nicht in der Werkstatt.«

»Die Arme! Was hat sie denn?«

T?usche ich mich, oder klingt diese Anteilnahme irgendwie unecht? Ich w?rde einen gr?sseren Fleischwurstzipfel darauf verwetten, dass diese Aurora froh ist, Carolin nicht zu sehen.

»Ach, sie ist ziemlich erk?ltet. Hat einen ganz dicken Kopf, und ich habe ihr geraten, sich mal richtig auszukurieren.«

»Ja, gute Idee.« Aurora hebt die Hand und macht eine drohende Geste mit dem Zeigefinger. »Nicht, dass sie dich noch ansteckt. Jetzt, wo ich dich so dringend brauche, mein Lieber.« Endlich bemerkt sich auch mich. »Seit wann hast du denn einen Hund?«

»Carolin hat ihn im letzten Monat aus dem Tierheim mitgebracht. S?sses Kerlchen, nicht? Ich bet?tige mich ein bisschen als Hundesitter, solange sie krank ist.«

»Nett von dir. Ich bin eigentlich kein Hundefreund, Katzen sind mir lieber. Aber der ist wirklich ganz niedlich.«

Grrr, Katzen sind ihr lieber? Vielleicht zwicke ich die Dame gleich mal in die Hacken, dann hat sie wenigstens einen guten Grund f?r ihre Katzenliebe.

»So, dann lass mich das Schmuckst?ck mal sehen, ich bin schon ganz gespannt.« Daniel hilft Aurora aus dem Mantel und f?hrt sie in seinen Werkstattraum.

»Das kannst du auch sein, Daniel. Sie ist wirklich wundersch?n.«

Sie reicht ihm den Geigenkasten, er legt ihn auf seine Werkbank und?ffnet ihn vorsichtig, nimmt die Geige heraus und dreht sie hin und her. Dann pfeift er anerkennend.

»Alle Achtung! Cremoneser Schule, unverkennbar!«

»Ich war ganz aufgeregt, als der Vermittler bei mir anrief. Ich habe so lange nach einem solchen Instrument gesucht. Letzte Woche war das Gutachten fertig, und gestern ist sie per Express aus London gekommen. Meinst du, du bekommst sie wieder hin?«

»Na ja, in der Decke ist ein Riss, die W?lbungen sind verzogen - aber alles in allem scheint es nicht so dramatisch zu sein. Ich w?rde sagen: Es gibt Hoffnung.«

Aurora gibt einen Jauchzer von sich und f?llt Daniel schon wieder um den Hals.

»Ich wusste es, du bist einfach der Beste! Danke, danke, danke!«

Mit einer gewissen Genugtuung bemerke ich, dass Daniel sie sanft von sich schiebt.

»Keine Ursache, ist schliesslich mein Job.«

»Wann kannst du damit anfangen?«

Daniel schaut Richtung Kalender, der an der gegen?berliegenden Wand h?ngt.

»Hm, warte mal. Also diese Woche wird es nichts mehr, weil ich momentan ganz allein bin. Aber f?r n?chste Woche hatte ich dich schon prophylaktisch eingeplant, da werde ich auf alle F?lle anfangen. Wie lange es dann dauert, kann ich noch nicht genau sagen. Kommt auch drauf an, was ich noch entdecke, wenn ich sie aufmache.«

Aurora nickt und legt eine Hand auf Daniels Arm.»Ruf mich einfach an, wenn du klarer siehst. Kommst du eigentlich zu meinem Konzert in der Musikhalle n?chste Woche?«

»Ich weiss noch nicht, ob ich es hinbekomme. Hier ist so viel los …«, er hebt entschuldigend die H?nde.

»Dann hoffe ich einfach mal, dass die arme Carolin bald wieder auf dem Damm ist. Du w?rdest echt etwas verpassen. Wir k?nnten danach essen gehen, ein bisschen feiern. Die neue Violine muss doch begossen werden. Wie klingt das?«

»Mensch, Aurora, das klingt unglaublich gut. Ich werde sehen, was ich machen kann. So, jetzt muss ich aber wieder.« Mit freundlicher, aber unmissverst?ndlicher Geste f?hrt er Aurora zum Ausgang und hilft ihr wieder in den Mantel.

»Also sehen wir uns n?chste Woche, mein Lieber! Ich z?hle auf dich, gib dir bitte M?he!«

Daniel l?chelt. »Mache ich. Und deswegen werde ich gleich mal wieder fleissig sein.«

Er?ffnet ihr die T?r; bevor sie rausgeht, haucht sie ihm noch ein K?sschen auf die Wange. Ohne Zunge.

Carolin macht uns die T?r auf und sieht irgendwie seltsam aus. Sie riecht auch seltsam. Ein Geruch, den ich schon das ein oder andere Mal beim alten von Eschersbach geschnuppert habe.

»Nabend ihr beiden, kommt rein.«

»Alles in Ordnung bei dir?«, will Daniel wissen.

»Sicher, sicher, alles in Ordnung.«

Kaum zu glauben: Auch Carolins Stimme klingt seltsam. So schleppend und verwaschen. Ich f?hle mich mit einem Schlag sehr unwohl.

Daniel geht hinter mir in die Wohnung, ich laufe zu meinem K?rbchen, er setzt sich auf das Sofa im Wohnzimmer.

»Aurora Herwig war heute da«, berichtet er dann.

»Oooh - die sch?ne Geigerin! Wie geht es ihr denn?«

»Es geht ihr ausgezeichnet - sie hat in London einen alten italienischen Meister recht g?nstig bekommen. Cremona, glaube ich. Habe allerdings das Gutachten noch nicht gelesen. Aurora war jedenfalls total happy.«

Carolin f?ngt an, zu kichern. »Na, das ist doch toll, dass die Aurora so happy ist. Dann ist ja alles bestens.«

»Sag mal, Carolin, ist wirklich alles in Ordnung? Du wirkst etwas angeschlagen. Ich mache mir echt Sorgen um dich, davon abgesehen, vermisse ich dich nat?rlich sehr in der Werkstatt.«

Carolin setzt sich neben Daniel und legt ihm eine Hand auf die Schulter.»Brauchste nicht, ehrlich. Kommt alles wieder hin. N?chste Woche bin ich bestimmt wieder die Alte, ich muss mich nur ein bisschen erholen.«

Daniel z?gert, dann steht er auf. »Na gut, dann fahre ich nach Hause. Aber versprich mir, mich anzurufen, wenn es dir nicht gutgeht.«

»Ja, ja, machich machich. Nu fahr mal. Bin auch m?de und gehe gleich ins Bett.«

»Also, gute Nacht!«

Daniel will sich zu Carolin herunterbeugen, aber sie weicht ihm aus.

»Jaja, gute Nacht.«

Daniel geht, ich bleibe allein mit Carolin zur?ck. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber aus dem Unwohlsein wird langsam Angst. Irgendetwas stimmt hier nicht. Am liebsten w?rde ich Daniel hinterherlaufen und ihn zur?ckholen, aber wie soll ich das anstellen? Mist, irgendetwas sagt mir, dass Carolin momentan nicht allein sein sollte. Also, »allein« im Sinne von »ohne andere Menschen«. Ich will meine Gesellschaft nicht untersch?tzen, aber hier braucht es mehr als einen kleinen Hund. Definitiv.

Eine Weile sitzt Carolin noch auf dem Sofa, dann steht sie auf, geht zur Anlage und macht wieder Musik an. Es ist zum verr?ckt werden: Diese Musik h?rt sie beinahe schon eine Woche, ich k?nnte mir die Ohren zuknoten. Ich laufe zu ihr und zerre ein bisschen an ihrer Jeans. Hey, jetzt beachte mich mal, ich bin schliesslich auch noch da! Aber sie guckt mich nur kurz mit glasigen Augen an und geht dann in die K?che. Ich laufe hinterher. Zwar hat mich Daniel schon gef?ttert, aber gegen ein St?ck Vers?hnungswurst h?tte ich jetzt nichts einzuwenden. W?re doch sch?n, wenn Carolin auch mal an mich denken w?rde, langsam bin ich n?mlich etwas beleidigt.

Tats?chlich ?ffnet sie den K?hlschrank - aber nur, um eine Flasche herauszuholen. Sie nimmt ein Glas und giesst etwas ein. Aha, daher kommt der Geruch! Offenbar hat sie schon mehr von dem Zeug getrunken. Als sie wieder Richtung Wohnzimmer geht, tritt sie mir fast auf die Pfoten. Autsch! Ich belle laut auf. So geht das hier aber nicht! Ich beschliesse, mich ins K?rbchen zu verziehen.

Eine ganze Weile sp?ter h?re ich ein Rumpeln. Neugierig springe ich auf und laufe Richtung Ger?usch. Im Wohnzimmer angekommen, sehe ich, wie sich Carolin gerade aufrappelt. Auweia, ist sie etwa gest?rzt? Ich trabe zu ihr und lecke ihre H?nde ab. So b?se bin ich ihr dann doch wieder nicht.

»Hui, danke der Nachfrage, Herkules. Allesinordnung, allesinordnung. Wollte nur was von dem Bord da oben holen, aber der Stuhl war so wackelig.«

Ich blicke nach oben. Auf besagtem Bord stehen noch mehr Flaschen. Carolin steht auf, stellt den Stuhl wieder hin und klettert noch mal drauf. Diesmal klappt es, und sie holt eine der Flaschen herunter. Die Fl?ssigkeit hat eine sch?ne goldbraune Farbe, aber als Carolin die Flasche ?ffnet, schwappt ein stechender Geruch zu mir her?ber. Urks, das ist doch wohl eher zur ?usserlichen Anwendung bestimmt - das will Carolin doch wohl nicht trinken.

Sie will. Sie giesst die Fl?ssigkeit in ihr Glas und nimmt entschlossen einen sehr grossen Schluck.

»Na, auch mal probieren, Herkules?«

Sie h?lt das Glas in meine Richtung, ich ziehe den Schwanz ein und jaule. Pfui Teufel!

»Na, dann eben nicht. Prost!« Sie hebt das Glas noch mal in meine Richtung, dabei schwappt ein Teil auf den Teppich. Carolin kichert.

»Endlich kriegt der Scheiss-Hochflorflausch mal ein interessantes Muster. Cognac auf Creme, das isses doch. Ich mochte den ja nie, aber Thomas stand ja auf diesen Sch?ner-Wohnen-Mist. Was meinst du, Herkules, soll ich ihn auf die passende Gr?sse schneiden und in dein K?rbchen legen? Ist sch?n kuschelig.« Sie grinst und giesst sich noch ein Glas ein.

Das kann sie doch nicht ernst meinen, das ist doch bestimmt wieder menschliche Ironie. Auch wenn auf dem Teppich nun ein hellbrauner Fleck ist, muss man ihn doch nicht gleich zur K?rbchenmatte verarbeiten. Ich h?tte zwar nichts dagegen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das wirklich macht. Tats?chlich geht sie zum Schrank, holt eine Schere heraus und kniet sich auf den Teppich.

»So, wolln mal sehen, ob man aus dem Teil noch etwas Sinnvolles machen kann.« Sie hebt einen Rand hoch, nimmt die Schere und schneidet hinein. »Huch, ganz sch?n schwer. Aber so leicht gebe ich nicht auf, ich nicht!«

Mit?chzen und St?hnen macht sie sich weiter mit der Schere an dem Teil zu schaffen - ich staune wirklich Baukl?tze. Bald hat der Teppich seine vormals runde Form eingeb?sst und sieht aus, als h?tte ein sehr grosses, sehr w?tendes Tier ein paar Mal abgebissen. Carolin macht eine kleine Pause und schenkt sich noch ein Glas ein. Die Flasche, die eben noch ziemlich voll war, ist jetzt fast leer. Carolin schaut mich an.

»Du S?sser, du bleibst bei mir, oder?«, fl?stert sie.

Bilde ich mir jedenfalls ein, denn mittlerweile spricht Carolin so undeutlich, dass es kaum noch zu verstehen ist. Ich lege meinen Kopf auf ihren Schoss. Nat?rlich bleibe ich bei dir, Carolin! Selbst wenn meine empfindliche Dackelnase gerade ganz sch?n unter deinem penetranten Geruch leidet. Ich hoffe, der geht wieder weg.

Fast mechanisch krault mich Carolin im Nacken. Dann murmelt sie»muss mal Nachschub holen«, will aufstehen -und f?llt ziemlich unvermittelt um. Himmel, was hat sie denn jetzt? Sie versucht sich aufzurappeln, aber das will nicht recht klappen.

»Mir iss garnichgut«, murmelt sie, beginnt kurz darauf zu w?rgen. Ihr ganzer K?rper kr?mmt sich, und es sieht aus, als h?tte sie Schmerzen.

Ich bekomme auf einmal furchtbare Angst. Was mache ich bloss? Was ist hier los?

Carolin w?rgt immer mehr, und ich sehe, dass sie dabei auf den hellen Teppich - oder das, was von ihm ?brig geblieben ist - spuckt. Jetzt ist mir alles klar: Carolin hat sich vergiftet! Wahrscheinlich mit dem Zeug aus dieser Flasche! Das letzte Mal, dass ich gesehen habe, wie sich jemand ?bergeben hat, handelte es sich um Mamas Schwester Luise, und der hatte ein b?ser Nachbar etwas ins Futter gemischt. Wir brauchen sofort einen Arzt, sonst ist das Schlimmste zu bef?rchten!

Ich renne aufgeregt hin und her, schliesslich wieder zum Kopf von Carolin, die mittlerweile regungslos neben ihrem Erbrochenen liegt. Ich belle laut, damit sie wieder aufwacht - aber sie r?hrt sich nicht. Was soll ich bloss machen? Carolin braucht Hilfe, und zwar sofort.

Vielleicht kommt wieder ein Nachbar, wenn ich nur mehr L?rm mache? ?ber die Musik haben die sich schliesslich auch beschwert. Ich belle und knurre, springe auf und ab. Drei Minuten, f?nf Minuten, bestimmt zehn Minuten lang. Aber nichts passiert. Ersch?pft mache ich eine Pause. Verdammt, ist denn ausgerechnet heute niemand ausser uns im Haus?Nicht mal Beck?

Carolin ist immer noch bewusstlos und langsam ganz bleich im Gesicht. Ich robbe an sie heran und horche angestrengt hin. Gott sei Dank, sie atmet noch. Ich lege mich an ihr Kopfende, die Schnauze auf meine Vorderl?ufe und lausche ihrem Atem. Manchmal stockt der kurz, und Carolin gibt ein St?hnen von sich. Was f?r eine furchtbare Situation. Und ich habe uns da reinman?vriert. Es ist n?mlich alles meine Schuld - h?tte ich Thomas nicht die Falle gestellt, dann w?re er noch hier, und Carolin h?tte sich nicht vergiftet.

Ich nehme noch einmal einen Anlauf, richtig Krach zu machen. Diesmal springe ich direkt vor der Balkont?r auf und ab, w?hrend ich belle. Die steht auf Kipp, vielleicht h?rt mich ja draussen jemand? Ich bin schliesslich so besch?ftigt mit Herumspringen und Bellen, dass ich fast ?berh?re, als das Telefon klingelt. Ruft einer der Nachbarn vielleicht an? O nein, und ich weiss doch bis heute nicht, wie Menschen das so genau machen mit dem Telefonieren! Aber vielleicht ist das meine einzige Chance, jemanden zu alarmieren. Ich muss es also versuchen, und zwar schnell, bevor es nicht mehr klingelt. So viel habe ich vom Telefonieren immerhin schon verstanden.

Das Telefon steht auf einem Tischchen im Wohnzimmer. Carolin nimmt es beim Telefonieren immer in die Hand, also renne ich hin?ber und versuche, es mit der Schnauze hochzuheben. Aber das ist gar nicht so einfach, das Telefondings ist doch ziemlich gross. Beim ersten Mal erwische ich es nicht richtig, beim zweiten Mal f?llt es mir herunter. Grrr, heute klappt aber auch gar nichts. Hoffentlich habe ich es jetzt nicht kaputt gemacht. Vorsichtig beschn?ffele ich das schwarze Teil, das jetzt auf dem Boden vor mir liegt. Ob man mit ihm noch telefonieren kann? Und falls ja, wie? Als ich es genauer be?uge, h?re ich, dass aus ihm eine Stimme kommt, die sehr weit weg klingt. Ich belle aufgeregt! Wenn ich die Stimme h?ren kann, kann die Stimme vielleicht auch mich h?ren. Mir ist zwar nicht ganz klar, ob die Stimme auch weiss, wo ich gerade bin, aber egal, ich gebe alles: belle, knurre, fiepe, jaule, hechle - immer sch?n in Richtung Telefon. Ab und zu horche ich noch mal nach der Stimme: Sie scheint noch da zu sein. Leider verstehe ich nicht, was sie sagt, bilde mir aber ein, einmal meinen Namen geh?rt zu haben. Ob das Telefon tats?chlich weiss, wie ich heisse?

Dann auf einmal ist die Stimme weg, stattdessen nur noch ein Tuten. Frustriert knurre ich das Dings an. Wahrscheinlich hat das ganze Gebelle nichts gebracht. Ich trotte zur?ck zu Carolin und lege mich neben sie. Wenn es ihr schon so schlechtgeht, soll sie wenigstens nicht allein da liegen.

In der Wohnung ist es ganz still. Zum ersten Mal seit l?ngerer Zeit w?re ich jetzt sehr gerne wieder auf Schloss Eschersbach.

NEUN

War ich etwa eingeschlafen? Ich weiss es nicht so genau. Jetzt jedenfalls bin ich hellwach, denn endlich, endlich passiert etwas. Erst klingelt es an der Haust?r, nach einer Weile dreht sich ein Schl?ssel im Schloss, und die T?r wird ge?ffnet. »Carolin, bist du da?«

Bei der Mutter aller Fleischw?rste - es ist Daniel! Sofort renne ich zu ihm, springe an ihm hoch und w?rde ihn am liebsten abschlecken.

»Ho, hoppla, Herkules! Das ist ja eine nette Begr?ssung. Wo ist denn dein Frauchen? Wir machen uns ein bisschen Sorgen um sie.«

Wir? Nun erst bemerke ich, dass auch Nina im Hausflur steht.

»Daniel, ich hab ein ganz schlechtes Gef?hl. Ich meine, das ist doch nicht normal, dass Herkules ans Telefon geht und man Carolin nicht mehr erreicht. Und wie das hier riecht - total ekelhaft!«

»Okay, dann sehen wir mal nach.«

Er kommt in die Wohnung, ich renne vor zum Wohnzimmer. Los, folgt mir! Neben Carolin halte ich an und belle laut.»O Gott, Carolin!«

Schon ist Daniel hinter mir und kniet sich neben Carolin. Auch Nina kommt ins Wohnzimmer. Als sie Carolin dort liegen sieht, schl?gt sie die H?nde vor das Gesicht. »O nein, was ist bloss passiert!«

Daniel nimmt Carolins Hand.»Also, sie hat zumindest einen Puls. Carolin!«, er r?ttelt an ihrer Schulter, »Carolin! Wach auf.«

Sie bewegt sich nicht. Er dreht sie zur Seite, weg von dem Erbrochenen, und wischt ihr Gesicht mit einem Taschentuch ab, das er aus der Hosentasche zieht.

»Das gef?llt mir gar nicht, ich rufe jetzt einen Krankenwagen.«

Er steht auf und geht r?ber zum Telefon, das immer noch dort liegt, wo ich es habe fallen lassen. Er spricht kurz mit jemandem, dann kommt er zu uns zur?ck. Auch Nina setzt sich neben uns auf den Fussboden.

»Was hat das alles zu bedeuten? Carolin bewusstlos, der Teppich da dr?ben in St?cke geschnitten. Wie lange liegt sie hier wohl schon?«

»Na ja, ich bin vor zwei Stunden nach Hause gefahren. Vorher habe ich Herkules bei ihr abgegeben. Da machte sie offen gestanden schon einen alkoholisierten Eindruck - aber okay, das kann ja mal sein. Gerade bei Liebeskummer. Sie war allerdings auch schon vier Tage nicht mehr in der Werkstatt, weil sie so down war. Hatte mir aber versprochen, n?chste Woche wieder zu kommen. Mist, ich h?tte mehr nachhaken sollen.«

»Was meinst du, welche Vorw?rfe ich mir mache. Ich wusste, dass es ihr wegen Thomas schlechtgeht. Aber sie wollte nicht dr?ber reden, und dann habe ich gedacht, vielleicht braucht sie auch erst mal ihre Ruhe. Aber als ich eben hier anrief und nur den bellenden Herkules am Rohr hatte …« Sie schweigt und greift nach Carolins Hand.

»Ja, gut, dass du mich gleich angerufen hast.«

»Und gut, dass du einen Schl?ssel hast! Herkules h?tte uns wohl kaum die T?re ?ffnen k?nnen. Wobei«, sie langt zu mir her?ber und zieht mich auf ihren Schoss, »du bist ein ganz schlauer Dackel. Hast gemerkt, dass die Carolin Hilfe braucht, nicht?«

»Genau, Herkules«, pflichtet ihr Daniel bei, »wenn du nicht ans Telefon gegangen und so ein Theater gemacht h?ttest, w?ren wir bestimmt nicht vorbeigekommen.«

»Wie hast du es denn geschafft, das Telefon von der Station zu nehmen? Das stelle ich mir gar nicht so leicht f?r ein Kerlchen mit so kurzen Beinen vor. Schade, dass du nicht sprechen kannst.«

Wie Recht sie hat, anderenfalls k?nnte ich sie gleich mal daraufhinweisen, dass meine Beine f?r einen Dackel mitnichten kurz sind, sondern Idealmass haben.

Es klingelt wieder an der T?r, und Daniel l?sst drei M?nner in die Wohnung. Die drei sehen aus, als h?tten sie sich verkleidet: Sie tragen Jacken, die stark an die M?llabfuhr erinnern - nur dass ich mir ziemlich sicher bin, es hier nicht mit M?llm?nnern zu tun zu haben. Der eine geht sofort zu Carolin. Bevor er sich zu ihr kniet, dreht er sich kurz zu Daniel.

»Wie heisst sie?«

»Carolin Neumann.«

»Ihre Frau?«

»Nein, eine gute Freundin.«

Der Mann macht jetzt im Wesentlichen genau das Gleiche wie Daniel - er r?ttelt erst mal an ihr.

»Frau Neumann, k?nnen Sie mich h?ren?«

Nat?rlich nicht! So weit waren wir auch schon. Er nimmt ihre Hand und tastet an ihrem Handgelenk herum, genau wie Daniel. Herrje, warum haben wir den denn angerufen? Dem f?llt ja so gar nichts Neues ein. Ich versuche, m?glichst nah an ihn heranzukommen. Der soll ruhig wissen, dass er beobachtet wird. Jetzt allerdings macht er etwas, auf das wir noch nicht gekommen sind: Er ?ffnet ihre Augen mit seinen Fingern und schaut hinein, dann holt er etwas aus seiner Jackentasche, was zun?chst wie ein Stift aussieht.

»Hm, Puls ist da, aber schwach. Ziemlich weite Pupillen.«

Er?ffnet noch mal eines ihrer Augen und zielt mit dem Stift in die Richtung. Aha, eine Taschenlampe! Seltsam, was macht der da?

»Hm, sehr langsame Reaktion. Erbrochen hat sie sich auch. Wissen Sie, was Ihre Freundin getrunken hat?«

Daniel sch?ttelt den Kopf. Ha, aber ich! Ich sause los und finde unter den rausges?belten Teppichst?cken tats?chlich noch die leere Flasche, schnappe sie mir und apportiere sie fachgerecht. Der Mann mit der Taschenlampe pfeift anerkennend.

»Na, wenn das mal nicht ein Hund ist, der mitdenkt! Sehr gut! Dann lass mal sehen:Hennessy VS.O.P.- zumindest hat die Dame einen guten Geschmack. Ob man deswegen gleich eine ganze Flasche trinken muss, ist nat?rlich eine andere Frage. Mal ganz offen: Neigt sie dazu?«

Jetzt mischt sich Nina ein.

»Nat?rlich nicht! Was glauben Sie denn! Frau Neumann trinkt normalerweise h?chstens mal abends ein Glas Wein. Aber es geht ihr momentan nicht gut, sie hat gerade ihren Freund rausgeschmissen, das miese Schwein!«

»Nina, bitte«, geht Daniel dazwischen, »das tut hier doch gar nichts zur Sache.«

Herr M?llmannjacke l?chelt und sch?ttelt den Kopf. »Nein, ist v?llig in Ordnung. Und tut ?brigens sehr wohl etwas zur Sache - halten Sie es f?r m?glich, dass Ihre Freundin noch etwas anderes als Alkohol genommen hat? Tabletten vielleicht?«

Daniel und Nina zucken mit den Schultern.

»Ich glaube nicht«, sagt Daniel schliesslich, »aber ich drehe mal eine kurze Runde durch die Wohnung. Vielleicht finde ich etwas.«

Kurz darauf ist er wieder zur?ck und sch?ttelt den Kopf. »Nichts gefunden. Aber das halte ich eigentlich auch f?r ausgeschlossen.«

Der Mann nickt.»Okay, meine Kollegen und ich nehmen Frau Neumann jetzt mit. Sie hat mit Sicherheit eine ziemliche Alkoholvergiftung.«

Alkoholvergiftung?Ob das sehr gef?hrlich ist?

»Ich werde ihr im Rettungswagen gleich eine Infusion dranh?ngen, um die Alkoholkonzentration etwas runterzubringen, im Krankenhaus sehen wir dann weiter. Die n?chsten drei Tage bleibt sie wahrscheinlich da. So, Jungs«, er wendet sich an die beiden anderen M?nner, »dann mal los.«

Die beiden M?nner holen eine Trage aus dem Flur und stellen sie neben Carolin ab, heben sie zu zweit drauf. Dann marschieren sie mit ihr los. Die dritte M?llmannjacke verabschiedet sich kurz von uns, dann ist auch sie verschwunden. Ich merke, wie sich nach all der Aufregung pl?tzlich ein anderes Gef?hl anschleicht: Traurigkeit. Und Einsamkeit. Ein kleiner Kerl wie ich braucht doch sein Frauchen! Ob ich jetzt wieder ins Tierheim muss?

»Was machen wir jetzt?« Nina schaut Daniel fragend an.

»Ich finde, einer von uns sollte auch ins Krankenhaus fahren. Damit jemand da ist, wenn Carolin wach wird.«

Nina nickt.»Gute Idee. Sie sollte in dieser Situation wirklich nicht allein sein. Was h?ltst du davon, wenn du schon vorf?hrst? Ich r?ume hier ein bisschen auf, dann komme ich nach.«

»Okay. Was machen wir mit Herkules?«

Die beiden schauen mich an.Nicht ins Tierheim!,will ich am liebsten laut rufen, es wird allerdings nur ein kl?gliches Jaulen daraus.

»Schau mal, wie kl?glich er aussieht! Er muss auch furchtbare Angst gehabt haben. Wir k?nnen ihn unm?glich allein hierlassen. Ausserdem ist er Carolins Retter, da hat er ja eigentlich eine Belohnung verdient.«

Endlich mal ein vern?nftiger Gedanke von Nina.

»Ich schlage vor, ich nehme ihn nachher mit. Von mir aus kann er auch heute Nacht bei mir bleiben, ich w?rde ihn dir dann morgen in die Werkstatt bringen.«

»Gut. Dann mache ich heute Nachtschicht bei Carolin - falls es n?tig ist. Und morgen ?bernehme ich Herkules. Bis sp?ter dann!«

Als er gegangen ist, macht sich Nina mit Eimer und Schrubber daran, die Bescherung im Wohnzimmer zu beseitigen. Als sie damit fertig ist, steht sie ratlos vor den Resten des weissen Teppichs.

»Kannst du mir vielleicht erkl?ren, was hier passiert ist?«, will sie von mir wissen und hebt eines der Teppichst?cke hoch. Sie dreht es hin und her, dann f?ngt sie an zu grinsen. »Den Teppich kenne ich doch - Thomas wollte ihn unbedingt haben, Carolin fand ihn scheusslich. Noch dazu war er sauteuer. Sieht fast so aus, als sei hier jemand stellvertretend in kleine St?ckchen geschnitten worden.« Sie legt das St?ck wieder hin. »Recht so, ich habe Hoffnung auf baldige Genesung der Patientin.«

Was nun wiederum das mit der kranken Carolin zu tun hat, leuchtet mir nicht ein. Aber es ist ja beruhigend zu h?ren, dass Nina es f?r ein gutes Zeichen h?lt.

Bevor wir losfahren, geht Nina noch einmal durch die ganze Wohnung, um zu schauen, ob sonst alles in Ordnung ist. Dabei entdeckt sie etwas, an das ich die Erinnerung schon l?ngst verdr?ngt hatte: Sie kommt mit der Plastik-Halsmanschette aus dem Schlafzimmer, Carolin hatte sie dort auf die Fensterbank gelegt.

»Schau mal, was ich hier habe, Herkules!«

Ja, ich sehe es. Ganz toll. Was willst du denn mit der? Du hast doch gar keinen Hund, und um einen Menschenhals passt das Ding sicherlich nicht.

»Das m?ssen wir dringend zu Dr. Wagner zur?ckbringen, der vermisst sie sicherlich schon.«

Das glaube ich zwar nicht, aber wenn Nina so ein ordentlicher, gewissenhafter Mensch ist - bitte sch?n. Hauptsache, ich muss nicht wieder mitkommen und mich foltern lassen.

Ins Krankenhaus fahren wir dann doch nicht mehr. Daniel ruft an und sagt, dass alles so weit in Ordnung ist und er noch l?nger bleiben kann. Mir f?llt ein sehr grosser Stein vom Herzen. Allein die Vorstellung, dass Carolin ganz krank sein k?nnte, ist schauderhaft. Was war das bloss f?r ein Zeug, das sie da getrunken hat? Ich beschliesse, in Zukunft besser auf sie aufzupassen, damit das nicht noch mal passiert.

Ninas Wohnung ist viel kleiner als die von Carolin und riecht auch v?llig anders. Fast ein bisschen staubig, aber trotzdem ganz gut. Muss wohl an den vielen B?chern liegen, die hier ?berall sind. Fast an jeder Wand ist ein Regal, und jedes ist bis oben hin voll mit B?chern. Grosse, kleine, dicke, d?nne. Kaum zu glauben, dass sie die alle gelesen hat. Kann man sich nur schwer vorstellen, vor allem, wenn man selbst gar nicht lesen kann. Mir ist immer noch nicht ganz klar, wie das eigentlich funktioniert. Fest steht, dass man daf?r unglaublich lange auf ein Blatt mit einem seltsamen Muster gucken muss. Irgendetwas passiert dabei mit den Menschen.

In ihrem Kopf, meine ich. Denn ab und zu fangen sie an zu lachen, wenn sie so ein Blatt betrachten - obwohl niemand etwas gesagt hat und auch sonst nichts passiert ist. Oder sie weinen sogar. Das habe ich bei Emilia ab und zu beobachtet. Die las n?mlich auch sehr viel. Was macht das Papier also mit dem menschlichen Kopf? Erzeugt es da irgendeine Art Halluzination? Oder Traum? Sollte ich Beck irgendwann mal wieder sehen, muss ich ihn das unbedingt fragen.

Die n?chste wichtige Frage ist nat?rlich, wo ich schlafen werde. Denn ich merke gerade, dass ich unglaublich m?de bin. In ihrem Bett l?sst mich Nina bestimmt nicht schlafen. So wie ich diese Frau einsch?tze, k?nnte selbst mein sch?nster Dackelblick sie nicht erweichen. Oder soll ich es dochmal versuchen? Immerhin, sie hat es selbst gesagt: Ich verdiene eine Belohnung.

Also mache ich mich auf und zupfe Nina ein bisschen am Bein.

»Na, S?sser, auch m?de, nicht wahr? Ich ?berlege gerade, wo du schlafen k?nntest. Ich habe ja kein K?rbchen f?r dich.«

Jetzt ist genau der richtige Moment, den Kopf schief zu legen und unglaublich s?ss zu gucken. Ich versuche es. Nina schaut mich erstaunt an.

»Willst du mir etwas sagen? Du schaust so … so seltsam.«

Seltsam? Unversch?mtheit? Ich schaue total goldig, zum Anbeissen, zum sofort Verlieben! Nun guck doch mal genauer hin! Ich neige den Kopf noch st?rker und fiepe ein bisschen.

»Hm, wirst du krank? Oder - willst du etwas Bestimmtes?«

Ich belle kurz und laufe los. Irgendwo muss hier doch das Schlafzimmer sein, die Bude ist ja alles andere als weitl?ufig. Hinter der n?chsten T?r finde ich es schon. Ich trabe hinein und setzte mich auf meinen Hundepo. Nina kommt hinterher.

»Also, das klingt jetzt ein bisschen gaga und nachPrinz Charles spricht mit den Pflanzen-aber willst du mir vielleicht sagen, dass du in meinem Bett schlafen m?chtest?«

Ich werfe ihr einen weiteren treuherzigen Blick zu und biete nun ein Kunstst?ck, das ich noch nicht h?ufig zum Vortrag gebracht habe: Ich mache M?nnchen! Und es klappt sogar, ich stehe mindestens eine Minute wie in Stein gehauen. Also, wenn das nicht zieht, weiss ich auch nicht.

Nina guckt - und bricht in schallendes Gel?chter aus. »Das ist ja k?stlich! Herkules, wo hast du das denn her?«

Beleidigt setze ich mich wieder. Diese Frau hat offensichtlich keine Ahnung von Kunst. Und sie weiss offenbar auch nicht, wie schwierig es f?r einen Hund ist, sich in die Senkrechte zu begeben. Ja, als Mensch, da ist das ja gar nichts. Da k?nnen das alle. Aber f?r mich war das eben schon ziemlich gut. Schnepfe! Zu der will ich gar nicht mehr ins Bett. Da schlafe ich lieber auf der Fussmatte und ?berhaupt…

»Na komm, du Strolch! H?pf rein!« Mit einer schnellen Handbewegung schl?gt Nina die Bettdecke am Fussende zur?ck und klopft einladend auf die Matratze.

Sagte ich Schnepfe? So ein Quatsch. Eine ganz Nette ist sie, die Nina.

»Guten Morgen, ihr beiden. Na, ich weiss jetzt nicht, wer schlechter aussieht - du oder Daniel.«

Nina und ich sind am n?chsten Tag nicht in die Werkstatt, sondern direkt ins Krankenhaus gefahren. Daniel hat n?mlich die ganze Nacht an Carolins Bett gewacht. Entsprechend zerknittert sieht er in der Tat aus. Das ist dann wieder der Nachteil, wenn man kein Fell im Gesicht hat: Ein ungesunder Lebenswandel l?sst sich eindeutig schlechter verbergen.

Carolin ist zwar sehr, sehr blass um die Nase, aber immerhin ist sie nicht mehr bewusstlos. Sie sitzt in ihrem Bett und ringt sich sogar zu einem L?cheln durch.

»Hallo, Nina, sch?n, dass du da bist. Und danke, dass du Herkules mitgebracht hast.«

»Na ja, Tiere sind auf der Station eigentlich verboten, aber als ich der Oberschwester erkl?rt habe, dass Herkules gewissermassen dein Lebensretter ist, hat sie ein Auge zugedr?ckt.«

Carolin nickt.»Daniel hat es mir schon erz?hlt. Komm her, Herkules, lass dich mal ein bisschen kraulen.«

Nur zu gern! Nina setzt mich auf den Stuhl neben Carolins Bett und dann schmusen wir eine Runde.

»Ach Leute, das ist mir alles so wahnsinnig peinlich! Wie konnte das nur passieren? Leider kann ich mich auch an gar nichts mehr erinnern - wobei, ist vielleicht auch besser so.«

Daniel nimmt Carolins Hand.»Komm, vor uns muss dir echt nichts peinlich sein. Wir sind doch deine Freunde. Ausserdem erwarten wir nat?rlich, dass du auch zu uns h?ltst, wenn wir dereinst eine Flasche Cognac niedermachen und seltsame L?cher in Teppiche schneiden.«

Unter ihrer Bl?sse wird Carolin ein bisschen rot. »H?r bloss auf, ich kann es gar nicht h?ren. Esistpeinlich!«

Daniel lacht.»So, ihr Lieben. Ich fahre nach Hause. Auf meiner Werkbank stapelt sich die Arbeit, gerade gestern hat mir Aurora eine wichtige Restaurationsarbeit vorbeigebracht, ich weiss gerade echt nicht, wo mir der Kopf steht. Aber vorher muss ich mich noch mal kurz aufs Ohr hauen, nicht, dass ich noch aus Versehen L?cher in Auroras Fundst?ck bohre, wo gar keine hingeh?ren.«

Als Daniel gegangen ist, sitzen Nina und Carolin erst einmal eine Weile schweigend da. Ich habe meinen Kopf auf Carolins Schoss gelegt und geniesse es, von ihr hinter den Ohren gekrault zu werden.

»Carolin, ich mache mir ernsthaft Sorgen um dich«, sagt Nina schliesslich.

»Na ja, ich bin eben nichts gewohnt. Das war schliesslich keine Absicht. Aber ich war nicht gut drauf, und da habe ich eben ein bisschen zu viel getrunken.«

»Hallo? Du hast nichtein bisschen zu viel getrunken.Ich meine, 3,2 Promille - noch ein Cognac mehr und du w?rst vielleicht ins Koma gefallen. Das ist dir nicht einfach so passiert.«

Carolin h?rt auf, mich zu kraulen. »Was meinst du denn damit?«

»Das weisst du genau. Daniel hat erz?hlt, dass du die ganze Woche nicht in der Werkstatt warst. Und dass er sich tags?ber um Herkules k?mmert, weil es dir so schlechtgeht.«

Carolin schweigt.

»Ist doch wohl klar, dass ich mir da Sorgen mache. Mensch, Carolin, ich weiss, du willst es nicht h?ren, aber Thomas ist doch keine einzige Tr?ne wert. Seit Jahren hat der Typ dich schlecht behandelt, ich war richtig froh, dass du ihn endlich rausgeschmissen hast. Nat?rlich f?hlst du dich nicht gut, aber das ist normal, und du wirst dar?ber hinwegkommen. Bilde dir bitte nicht ein, dass dein Leben nun f?r immer triste sein wird. Das stimmt n?mlich nicht.«

Carolin f?ngt an zu schluchzen, Nina gibt ihr ein Taschentuch.

»Seit Thomas weg ist, bin ich so einsam. Ich habe Angst, dass ich nie wieder gl?cklich sein werde. Ich wollte immer eine Familie, Kinder. Aber davon bin ich weiter entfernt, als ich jemals gedacht h?tte. Im Grunde genommen habe ich nur noch Herkules.«

Was heisst denn hier »nur«? Lieber ein treuer Hund als ein betr?gerischer Schurke! Ich werde Carolin garantiert niemals so entt?uschen. Schnell schlabbere ich ihre H?nde ab. Nina nickt mir zu.

»Das hast du verstanden, Herkules, nicht wahr? Aber so niedlich du bist - ich kann Carolin verstehen. Ein Hund ist einfach kein Mensch.«

Zum Gl?ck!,m?chte ich rufen, denn auf mich ist wenigstens Verlass.

»Weisst du, nat?rlich war Thomas nicht perfekt. Aber wer ist das schon? Bin ich ja auch nicht. Mittlerweile denke ich, dass ich ihm vielleicht h?tte verzeihen sollen. Vielleicht war ich zu hart.«

Nina schnaubt ver?chtlich. »Also bitte! Das klingt doch sehr nachlieber einen Idioten als gar keinen Mann.Ich verstehe nicht, wie so eine tolle Frau wie du sich dermassen unter Wert verkaufen kann. Du wirst den richtigen Mann noch treffen, da bin ich mir ganz sicher. Und dann wirst du feststellen, dass das heute r?ckblickend dein Gl?ckstag war. Der Tag, ab dem es wieder bergauf ging!«

Carolin guckt zweifelnd.»Na, wenn du meinst. Wo ich diesen tollen Typen treffen soll, ist mir allerdings noch v?llig schleierhaft.«

Nina lacht.»Wenn das Schicksal es so will, kannst du deinen Prinzen auch im Park hinterm Haus treffen. Da musst du gar nicht lange suchen.«

Nat?rlich, das ist es! Mir kommt eine geniale Idee. Ein Prinz muss her! Und wer ist hier der Adelsexperte? Richtig! Carolin hat mich gerettet, als ich in h?chster Not war. Und jetzt werde ich sie retten. Und wenn ich den ganzen Park daf?r umgraben muss.

ZEHN

Hoffentlich fahren wir gleich nach Hause. Ich muss unbedingt Beck von meinem sensationellen Plan erz?hlen. Das grobe Ger?st steht zwar schon, aber f?r die entscheidenden Details brauche ich einen profunden Menschenkenner. Eben so jemanden wie Herrn Beck.

Endlich h?lt Nina an, geht um das Auto herum und ?ffnet mir die T?r. In dem Moment, in dem ich heraush?pfe, sehe ich es: Wir sind nicht zu Hause. Und schlimmer noch: Nina holt von der R?ckbank meinen Plastikkragen hervor. O nein - ich ahne B?ses. Wir sind wieder beim Tierarzt!

Die Autot?r ist noch nicht zu, und so h?pfe ich schnell wieder auf den Beifahrersitz zur?ck. Dieses bl?de Plastikteil kann Nina nun wirklich allein abgeben, daf?r braucht sie mich doch gar nicht.

»Herkules, was ist denn mit dir los? Komm da raus, wir wollen doch zu Dr. Wagner.«

Ich knurre und fletsche die Z?hne. Vonwirkann hier?berhaupt nicht die Rede sein. Ausserdem geht es mir ausgesprochen gut. Mein Ohr tut l?ngst nicht mehr weh, andere Leiden habe ich nicht. Was soll das also?

»Nun komm schon, S?sser, spring raus!«, fordert mich Nina auf.

Ich sch?ttle entschlossen den Kopf. Nina seufzt, kramt dann in ihrer Handtasche. Schliesslich holt sie meine Hundeleine heraus. Will sie mich etwa gewaltsam da reinschleifen?

Sie will - denn kurz darauf macht sie die Leine mit einemKlickan meinem Halsband fest und zieht mich sanft, aber entschlossen Richtung B?rgersteig. Offensichtlich meint sie es ernst. Ich ?berlege kurz, ob ich mich richtig mit ihr streiten m?chte und wer dann wohl den K?rzeren zieht. Angesichts unseres Gr?ssenverh?ltnisses wohl ich. Es ist zum Heulen!

In der Praxis angekommen, marschiert Nina mit mir zum Tresen und reicht der Sprechstundenhilfe den Kragen.

»Ich w?rde auch gerne den Doktor sprechen. Er sollte sich Herkules schon noch einmal ansehen.«

»Das ist aber eigentlich nicht n?tig«, entgegnet ihr die Hilfe l?chelnd.

Richtig, braves M?dchen!

»Trotzdem. Ich m?chte, dass Dr. Wagner Herkules noch einmal untersucht. Er ist so ein empfindliches, sensibles Kerlchen, ich mache mir immer grosse Sorgen um ihn. Sicher ist sicher.«

Ich glaube, ich h?re nicht richtig. Nina macht sich Sorgen um mich? Das glaube, wer will. Ich nicht. Da muss irgendetwas anderes dahinterstecken. Die Hilfe zuckt mit den Schultern.

»Gut, wenn Sie darauf bestehen. Dann m?ssen Sie aber einen Moment warten. Es sind noch einige Patienten vor Ihnen dran.«

In diesem Moment streckt Dr. Wagner seinen Kopf durch die T?re des Behandlungsraums.

»Oh, hallo, Frau Bogner!«, begr?sst er Nina. »Wieder Probleme mit… ?h …«

»Herkules«, hilft ihm Nina auf die Spr?nge.

Na toll, ihren Namen weiss er noch, meinen hat er schon vergessen. Vielleicht sollte Wagner von Tier-auf Frauenarzt umsatteln.

»Richtig, Herkules. Der Dackelmix.« Grrrr!

»Also Probleme w?rde ich nicht direkt sagen. Aber ich k?mmere mich momentan um das Kerlchen, weil Frau Neumann erkrankt ist. Und da will ich nat?rlich keinen Fehler machen. Deswegen w?re es mir sehr wichtig, dass Sie noch einmal einen Blick auf Herkules werfen, ob wieder alles in Ordnungmit ihm ist.«

Dr. Wagner grinst. Ja, zu komisch das, ha, ha!

»Na, dann kommen Sie gleich mal mit rein.«

Einen Augenblick sp?ter finde ich mich auf dem Untersuchungstisch wieder, und Dr. Wagner hat mein ?hrchen in der Hand. Routiniert streicht er ?ber das Fell und f?hrt noch einmal ?ber die Stelle, an der die Zecke sich festgesetzt hatte.

»Ich kann Sie beruhigen, es sieht alles sehr gut aus. Herkules ist wieder v?llig auf dem Damm.«

»Hm, sind Sie sicher? Was ist denn zum Beispiel mit Borreliose? Ich habe neulich erst gelesen, dass auch Hunde das bekommen k?nnen.«

Borrel…was? Ich spitze die?hrchen.

»Dann w?re doch eine engmaschige ?berwachung sinnvoll, oder? Ich meine, nicht, dass Herkules etwas passiert! Das k?nnte ich mir nie verzeihen. Lieber komme ich n?chste Woche noch einmal zur ?berwachung. Vielleicht nehmen Sie ihm auch gleich mal Blut ab?«

Was? ! Mit einem Satz springe ich vom Tisch, starre die beiden b?se an und belle kurz, aber laut.

Wagner lacht.»Da sehen Sie’s, Frau Bogner. Herkules h?lt von Ihrem Vorschlag rein gar nichts. Und ich ehrlich gesagt auch nicht. Borreliose ist bei uns in Hamburg sehr selten, und Herkules wirkt v?llig gesund. Wir sollten ihn also nicht unn?tig qu?len.«

»Ach so.«

Nina sieht sehr entt?uscht aus. Sie ist ganz offensichtlich Sadistin.

»Aber ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag: Bevor Sie nun diesen armen Dackel immer wieder zu mir schleppen - fragen Sie mich doch einfach, ob ich etwas mit Ihnen trinken gehe, wenn Sie mich noch mal sehen m?chten.«

Nina schnappt nach Luft und sieht v?llig entsetzt aus. Warum nur? Ich finde den Vorschlag super.

»Also wirklich, ich … ich …«, dann bricht Nina in Gel?chter aus und kann sich kaum noch beruhigen. »Okay, Sie haben mich. Dann aber N?gel mit K?pfen: Heute Abend? Acht Uhr? ImCavallol«

Wagner nickt.»Sehr gerne, Frau Bogner. Sehr gerne.«

Nina f?hrt Auto und pfeift dabei laut und gut gelaunt. Immer wieder lacht sie in sich hinein. Dann dreht sie sich kurz zu mir.

»Meine G?te, es ist wirklich unglaublich. Ich habe ihnwirklichgefragt, ob er mit mir heute Abend insCavallogeht. Herkules, du bringst mir Gl?ck. Das ist eindeutig.«

Sch?n zu h?ren, aber irgendwie ist mir nicht ganz klar, was an der ganzen Angelegenheit so sensationell ist. Wagner hat doch gesagt, dass sie ihm sagen soll, wenn sie ihn mal sehen will. Und wieso hat sich Nina dar?ber so erschreckt? Es scheint, dass die Kommunikation zwischen M?nnern und Frauen komplizierter ist, als ein Hund auf den ersten Blick vermuten w?rde. Also nicht einfach»er sagt was, sie sagt was«.Es muss noch ein geheimes Regelwerk geben, das mir bisher verborgen ist.

Wir halten neben unserem Haus. Endlich wieder daheim! Gut, lange weg war ich nicht, aber ich brenne darauf, mich mit Herrn Beck zu beratschlagen, wie man meinen Spitzenplan in die Tat umsetzen kann. Nina und ich laufen durch den Garten zur Hintert?r der Werkstatt. Sie klopft gegen die Scheibe, zwei Sekunden sp?ter ?ffnet Daniel.

»Na, ausgeschlafen?«, will Nina wissen.

»Ja, geht so. Ich werde heute einfach ein bisschen fr?her ins Bett gehen, dann wird das schon wieder.«

»Sag mal, kannst du heute Herkules mitnehmen? Ich bin heute Abend verabredet, und es ist definitiv einOhne-Haustiere-Termin.«

»Oh, ein Date?«

»Sozusagen.«

»Und, Details?«

»Vielleicht sp?ter mal.«

»Dann w?rde ich sagenHalaliundWaidmannsheil!«

»Waidmannsdank !«

Ich bin wie elektrisiert!Halali!Wie oft habe ich diesen Ausspruch auf Schloss Eschersbach geh?rt. Und immer war er der Auftakt zu einem grossen Abenteuer, f?r das ich noch zu klein war. Nur Mama und ihre Schwester durften mit. Opili war schon zu alt, aber er blieb mit uns zu Hause und erz?hlte von der grossartigen Sache, die f?r einen Dackel das sch?nste Erlebnis auf der Welt ist: die Jagd. Er schm?ckte die Schilderungen der Jagd immer so aus, dass ich stets das Gef?hl hatte, selbst dabei gewesen zu sein. Der Duft der Kaninchen, die Spur des Rotwilds, der Geruch von Aufregung und Freude - herrlich! Wie sehr freute ich mich damals auf meine erste Jagd. Ich sp?rte, dass das meine wahre Bestimmung sein w?rde: Seite an Seite mit meinem J?ger durch die W?lder zu streifen!

Durch meine Nase f?hrt ein feines Kribbeln - Nina und Dr. Wagner gehen also zur Jagd! Ich bin so aufgeregt, dass mir mein Gespr?ch mit Herrn Beck auf einmal herzlich egal ist. Dr. Wagner erscheint mir pl?tzlich in einem ganz anderen Licht. Ein J?ger - kein Wunder, dass Nina ihn gerne wiedersehen wollte! Aber wieso nehmen sie mich dann nicht mit? Ich lege mich direkt vor Ninas F?sse und jaule. Ich will mit! Unbedingt!

»Eins steht mal fest: Herkules fr?herer Besitzer war J?ger. Guck mal, wie er auf das Halali reagiert - richtig aufgeregt ist das Kerlchen!« Daniel b?ckt sich zu mir herunter und krault mich am Bauch. »Aber das hast du leider falsch verstanden. Die Sorte Pirsch, auf die Nina heute Abend geht, ist f?r kleine Dackel v?llig langweilig. Du verpasst ?berhaupt nichts, wenn du bei mir bleibst.«

Da ist es wieder, mein Kommunikationsproblem. Und es besteht ganz offensichtlich nicht nur zwischen M?nnern und Frauen, sondern auch zwischen Frauen und Dackeln. Genervt beschliesse ich, den anderen Vierbeiner im Haus zu suchen. Wenigstens einer, der mich versteht. Und was noch wichtiger ist: den ich verstehe.

»Nu lass mal den Kopf nicht h?ngen! Ich glaube nicht, dass Nina wirklich zur Jagd geht. Jedenfalls jagt sie garantiert keine Hasen. Sondern eher diesen Tierarzt.« Beck grinst.

Ich st?hne innerlich. Jetzt f?ngt der auch schon an, in R?tseln zu sprechen! Menschen tun uns Tieren einfach nicht gut.

»Wenn M?nner oder Frauen in Bezug auf das andere Geschlecht von der Jagd reden«, doziert Beck jetzt, »dann geht es nicht darum, gemeinsam in den Wald zu fahren und das n?chste Wildschwein abzuknallen. Sondern dann geht es in der Regel um die Kunst der Partnersuche. Du verstehst? M?nner jagen Frauen, und Frauen jagen M?nner. Aber nicht w?rtlich gemeint. Das sagen die Menschen einfach nur so.«

Ich sch?ttle ungl?ubig den Kopf. »Aber warum? Warum sagen sie nicht einfach, was sie meinen?«

Beck zuckt mit den Schultern»Keine Ahnung. Aus irgendeinem Grund darf derjenige, den der andere als Partner haben will, auf keinen Fall davon erfahren. Im Gegenteil - man muss sich so verhalten, als wolle man mit ihm nichts zu tun haben.«

»Aha. Das ist dann aber doch wie bei der Jagd. Langsames, lautloses Anschleichen. Die Beute bis zum Schluss in Sicherheit wiegen. So erlegt man selbst die Schlausten.«

»So gesehen hast du Recht.«

»Also, diese ganze Partnergeschichte ist demnach eher Pirsch als Treibjagd«, sinniere ich. »Dazu passt nat?rlich, dass es Nina unangenehm war, als der Tierarzt gleich gemerkt hat, dass sie ihn erlegen will. Um mal im Bild zu bleiben.«

»Richtig. Gerade der Mann darf anscheinend niemals merken, dass die Frau es auf ihn abgesehen hat. Sonst klappt es nicht.«

Als Beck das sagt, f?llt mir sofort wieder ein, was ich ihm eigentlich erz?hlen wollte. »Hast du eigentlich mitgekriegt, wie schlecht es Carolin geht?«, will ich von ihm wissen.

»Tja, Liebeskummer. Das wird schon wieder.«

»Ja, aber sie ist im Krankenhaus!«

»Oh, ich wusste gar nicht, dass Menschen wegen so etwas ins Krankenhaus kommen k?nnen. Das tut mir nat?rlich leid.«

»Das sollte es auch - es war schliesslich deine Idee!«

»Moment mal: Was soll das heissen, es war meine Idee?«

»Wenn du nicht die Sache mit Thomas eingef?delt h?ttest, dann w?re Thomas noch da, und Carolin w?re nicht so ungl?cklich.«

Beck schnaubt w?tend. »Also h?r mal - das haben wir doch alles nur f?r dich getan! Du hattest Angst, dass Thomas dich rausschmeisst, schon vergessen? Ausserdem war Carolin vorher auch schon ungl?cklich. Sie hat es nur nicht so gemerkt.«

Na gut, ganz unrecht hat der Kater nicht, und ich will mich schliesslich nicht mit ihm streiten. Also schlage ich vers?hnliche T?ne an.

»Beruhige dich - ich erz?hle dir das nicht, um mich mit dir zu streiten. Sondern weil ich eine sensationelle Idee habe.«

Beck be?ugt mich misstrauisch, sagt aber nichts. Daf?r wippt seine Schwanzspitze hektisch auf und ab. Um meinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, recke ich mich und mache mich ein St?ckchen gr?sser, dann hole ich tief Luft.

»Also, hier kommt der Plan: Wir finden einen neuen Mann f?r Carolin. Und zwar einen Prinzen. Zumindest einen ganz tollen.«

Tata! Ich bin gespannt auf die Beck’sche Reaktion. Leider kommt keine.

»Hey, immer noch sauer?«

»Nein. Aber die Idee ist Schwachsinn.«

»Wieso? Ich finde sie grossartig.«

»Ja, weil du keine Ahnung von Menschen, respektive Frauen, hast.«

Jetzt bin ich derjenige, der beleidigt guckt.

»Herkules, wie stellst du dir das denn vor, einen Mann f?r Carolin finden? Ich bin mir ziemlich sicher, dass der M?nnergeschmack von jungen Frauen und kleinen Hunden so ziemlich unvereinbar ist.«

»Aber das ist doch gerade der Punkt! Carolins M?nnergeschmack! Der ist nicht nur schlecht, der ist katastrophal! Wenn wir warten, bis sie sich wieder selbst einen aussucht, dann haben wir wom?glich bald den n?chsten Thomas im Haus. Sie weiss einfach nicht, was gut f?r sie w?re.«

»Ach, aber du weisst das, oder wie?«

»Genau. Ich weiss das. Wir suchen einfach einen Mann, mit dem ich bedenkenlos zur Jagd gehen w?rde. Einen standesgem?ssen nat?rlich, Carolin ist schliesslich nicht irgendwer. Aber auch einen, der treu zu seinem Hund halten w?rde. Ihn gut behandeln, regelm?ssig f?ttern und viel mit ihm spazieren gehen w?rde. Denn wer seinen Hund so behandelt, der wird doch erst recht seine Frau so behandeln. Aber auf diese grundlegenden Dinge achtet Carolin einfach nicht.«

Herr Beck seufzt.»Nat?rlich achtet sie nicht auf so etwas. Sie ist ein Mensch, kein Dackel. Schon vergessen? Ausserdem m?gen Frauen keine netten M?nner.«

»H??«

Der arme Beck, das muss die Alterst?deligkeit sein.

»Ganz recht: Sie m?gen keine netten M?nner. Denn wenn es anders w?re, w?re Carolin doch l?ngst mit Daniel zusammen. Der ist n?mlich ziemlich verliebt in Carolin, jede Wette. Und sie mag ihn auch gerne. Aber er ist einfach zu nett zu ihr. Viel zu nett. So wird das nichts. Thomas hingegen hat im Grunde genommen alles richtig gemacht. Na ja, fast alles. Merk dir mal eins: Wenn du zu nett bist, nehmen dich die anderen Menschen nicht f?r voll. Und erst recht nicht die Frauen. Meine jahrzehntelangen Studien sagen mir: Nette M?nner kommen bei Frauen nicht sonderlich gut an.«

»Du meinst, die Frauen suchen sich absichtlich so ?tzende Typen wie diesen Thomas aus?«

»Exakt.«

»Aber das ist ja furchtbar.«

»Tatsache ist: Wenn Daniel oder sonst ein Mann bei Carolin landen will, dann muss er sie schlechter behandeln.«

Ich bin fassungslos - und verwirrt. Das kann doch nicht wahr sein! Es w?rde im Endeffekt bedeuten, dass Frauen gerneschlecht behandelt werden. Herr Beck muss sich einfach irren, sonst ist meine Prognose f?r Carolins k?nftiges Liebesleben mehr als d?ster. Andererseits: In einem Punkt hat Beck Recht. Daniel ist wirklich sehr nett, und ich habe auch das Gef?hl, dass er Carolin unglaublich gerne mag. Es passt eigentlich alles. Es muss also einen Grund geben, warum Carolin sich in Thomas undnicht in Daniel verliebt hat.

Eine Weile sitzen Beck und ich schweigend nebeneinander. Ich muss erst einmal verdauen, was ich gerade geh?rt habe. Mein sch?ner Plan - traurig lege ich meinen Kopf auf die Vorderl?ufe.

»Allerdings«, meint Beck dann, »wenn ich es mir recht ?berlege: M?glicherweise ist deine Idee doch nicht so bl?d. Es ist nun mal eine Tatsache, dass wir Tiere eine sehr viel bessere Menschenkenntnis besitzen als die Menschen selbst. Vielleicht k?nnen wir Carolin also doch vor der n?chsten Pleite bewahren. Wir m?ssen sie nur vor ihrem eigenen Geschmack bewahren.«

»Und wie kriegen wir das hin? Du hast doch gerade selbst gesagt, dass das wohl nicht funktionieren wird.«

»Tja«, sagt Beck und legt dabei den Kopf schief, »das wird das Interessante an unserer neuen Aufgabe.«

ELF

»Also los! Hier ist das ideale Revier!« Beck guckt mich zweifelnd an. »Wie kommst du denn auf die Idee?«

»Nina hat gesagt, dass es hier vor Prinzen nur so wimmelt.«

»Hat sie das?«

»Na ja, nicht so direkt. Aber so ?hnlich. Also vielleicht hat sie nicht>wimmeln< gesagt, aber auf alle F?lle laufen hier einige rum.«

Wir stehen im Park und sehen uns nach M?nnern um. Was genau wir machen wollen, wenn wir einen gefunden haben, wissen wir noch nicht so recht, aber wir haben beschlossen, uns von der Situation inspirieren zu lassen und dann zu improvisieren. Allerdings nervt mich Becks pessimistische Haltung heute ganz gewaltig. Er findet, ein verregneter Tag sei kein guter Moment, um im Park einen Mann zu finden.

Aber langsam m?ssen wir damit mal anfangen, denn Carolin ist seit drei Tagen wieder zu Hause. Richtig gl?cklich sieht sie zwar immer noch nicht aus, aber immerhin arbeitet sie wieder jeden Tag in der Werkstatt. Ich werte das mal als Zeichen, dass es allm?hlich wieder bergauf geht.

»Da! Ich sehe einen! Da hinten!«

Aufgeregt renne ich in die Richtung, in der ich eben ein Paar Menschenbeine unter einem Regenschirm gesehen habe. Nach zwei Metern merke ich, dass Beck offensichtlich nicht vor hat, hinter mir her zu kommen. Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm um.

»He, was soll das? Wo bleibst du denn?«

»Herkules, du verr?ckter Dackel! Das ist doch eindeutig eine Frau!«

»Woher willst du das wissen? Man sieht doch nur die Beine. Und bei dem Regen kann ich nicht riechen, ob Mann oder Frau. Da m?ssen wir schon nachschauen. Los, gib dir doch wenigstens mal ein bisschen M?he!«

Es ist heute wirklich furchtbar mit dem Kater. Der wirkt nicht im Geringsten schuldbewusst, sondern grient mich breit an.

»Du musst noch viel lernen, mein Lieber. Unter dem Schirm steckt eine Frau, garantiert. Da muss ich gar nicht erst durch den halben Park hechten.«

»Ach, und woher willst ausgerechnet du das wissen? F?r jemanden, der einen Plastikkameraden nicht von einem echten Piepmatz unterscheiden kann, machst du dich ganz sch?n wichtig.«

Beck ignoriert meinen Seitenhieb komplett, stattdessen macht er mit seiner Pfote eine Bewegung Richtung Zielperson.

»Schau mal genau hin. Der Schirm hat ein ganz auff?lliges Blumenmuster.«

Hm, stimmt, grosse und kleine Blumen bilden aparte Kreise.

»So, und hier wieder eine Lektion inVerstehe den Menschen:Blumen sind ein Frauenmuster. Da brauchst du gar nicht erst hinterher. Ich habe noch nie einen Mann getroffen, der mit einem Bl?mchen-Schirm losgezogen w?re. Sparen wir also unsere Energien f?r den Ernstfall.«

Interessantes Konzept, Muster f?r Frauen und Muster f?r M?nner. Ich frage mich, wof?r das gut sein soll. Ob sich M?nner und Frauen sonst nicht gleich erkennen? Immerhin sind ihre Nasen so gut wie taub, da muss man vielleicht auf Hilfskriterien zur?ckgreifen.

Wir lungern weitere ereignislose zehn Minuten im Park herum. Er ist zwar sehr gross, aber auch ziemlich rund, so dass man von der Mitte aus einen sehr guten ?berblick hat. Man sieht: nichts. Kein einziger Mensch ist unterwegs. Langsam beginne ich trotz meines dichten Fells durchzuweichen. Vielleicht hat Herr Beck Recht, und wir sollten wieder nach Hause traben. Gerade will ich Beck meine Niederlage eingestehen, als sich doch noch ein unerschrockener Zweibeiner blicken l?sst. Und diesmal ist es eindeutig ein Mann - er hat keinen Schirm in der Hand, sondern joggt ziemlich locker von der rechten Ecke des Parks direkt auf uns zu.

»Nanu, will der zu uns?«, wundere ich mich.

»Scheint so zu sein. Wahrscheinlich will er abk?rzen. Ist ja kein Vergn?gen, bei dem Wetter durch die Gegend zu rennen«, stichelt Beck. »So, gleich ist er da. Du wolltest doch improvisieren. Dazu hast du jetzt reichlich Gelegenheit, ich habe n?mlich ?berhaupt keinen Plan, wie wir uns den Kerl genauer anschauen k?nnen. Und wir wollen doch nicht einfach irgendwen f?r Carolin aufgabeln, oder?«

Also echt, der nervt. Warum ist er dann?berhaupt mitgekommen, wenn er sowieso alles doof findet? Als Jagdhund w?re Beck wahrscheinlich schon l?ngst wegen Def?tismus von seinem Herrchen erschossen worden. Andererseits ist der Jogger wirklich gleich da. Und ja, ich habe noch keinen tollen Plan. Fieberhaft gr?ble ich nach.

Der Jogger hat uns schon fast passiert, da schmeisse ich mich kurzentschlossen und mit einem herzzerreissenden Jaulen direkt vor seine F?sse. Es sieht mit Sicherheit so aus, als h?tte ich furchtbare Schmerzen und brauchte dringend Hilfe. Wolln doch mal sehen, ob der Herr Tierfreund ist und sich um mich k?mmert. Das mit dem Prinzen k?nnen wir dann immer noch herausfinden.

Zwei Sekunden sp?ter bin ich mir nicht mehr so sicher, dass meine Idee so gut war: Der Mann versucht, mir auszuweichen, stolpert und f?llt direkt vor Herrn Beck auf die Nase. Er bleibt kurz liegen, dann rappelt er sich auf, sch?ttelt sich und reibt sich den rechten Arm. Als er wieder steht, geht er auf mich zu, guckt mich kurz an - und br?llt los: »Pass gef?lligst auf, wo du hinspringst, du bl?de Scheisst?le!«

Okay, ganz offenkundig kein Gentleman im engeren Sinne. Er holt mit dem rechten Bein zu einem Tritt aus, aber bevor er mir den verpassen kann, rennen Beck und ich auch schon los und verstecken uns hinter dem n?chsten Busch. Auweia! Was f?r eine Pleite! Beck sagt erst einmal nichts, bis wir beide wieder Luft geholt haben, dann sch?ttelt er langsam den Kopf.

»Wirklich, was war das denn f?r eine Aktion? Das konnte ja nur in die Hose gehen.«

»Ich habe wenigstens etwasgemacht.Du st?nkerst hier nur die ganze Zeit rum!«, verteidige ich meine unkonventionelle Vorgehensweise bei der Herrchensuche.

»Ha! Operative Hektik war das, nichts weiter! Ich frage mich, was du gemacht h?ttest, wenn dich der Typ eben gleich einkassiert h?tte. Oder wenn er auf dir gelandet w?re. Dann w?rst du jetzt aber platt wie ein Pfannkuchen. Mir ist das zu bl?d, ich gehe jetzt.«

Ich lasse die Ohren h?ngen. Irgendwie ist an dem, was Beck sagt, schon was dran. Dabei hatte ich mir die ganze Sache gar nicht so schwer vorgestellt. Als Nina von der Prinzensuche im Park erz?hlte, klang es ganz einfach. Mist.

Offensichtlich sehe ich sehr niedergeschlagen aus, denn Beck stupst mich in die Seite und schl?gt geradezu tr?stende T?ne an.

»Nu, nu - die Welt geht doch nicht unter, nur weil es am ersten Tag nicht klappt. Du untersch?tzt auch die Wirkung von Regen auf Menschen. Die meisten m?gen ihn eben nicht besonders und bleiben lieber zu Hause. Sieh sie dir doch an - von Bewegungsdrang keine Spur. Von den paar Joggern mal abgesehen, h?lt ein Mensch es m?helos mehrere Tage auf einem Sofa aus. Selbst mir als Kater w?re das zu langweilig! Aber du wirst sehen: Sobald die Sonne scheint, ist es hier im Park wieder knallvoll. Dann schlendern wir unauff?llig von Bank zu Bank und suchen uns die besten Kandidaten aus. Und dann kannst du noch mal mit deiner>Ich bin ein armer, kranker Dackel-Nummer< ankommen. Die war im Grunde gar nicht so schlecht.«

Ich blicke Herrn Beck erstaunt an.»Ehrlich? Du fandst den Plan nicht so schlecht?«

»Nein. Annehmbar. Jedenfalls f?r einen, der von einem Hund ausgeheckt wurde.«

Die Luft scheint wieder rein zu sein, also verlassen wir unser Versteck und trotten Richtung Heimat. Mittlerweile hat es aufgeh?rt zu regnen, und tats?chlich lassen sich nun ein paar Menschen mehr blicken. Gut, immer noch nicht umwerfend viele, aber es ist auch egal, denn momentan habe ich sowieso keine Lust mehr auf Kontaktanbahnung. Mit gesenktem Kopf schleiche ich ?ber den Schotterweg - und falle fast ?ber Herrn Beck, der sich direkt vor mir postiert hat.

»Hey, Kleiner, stopp mal! Da vorne sehe ich genau die Situation, auf die wir die ganze Zeit gewartet haben.«

Erstaunt blicke ich hoch. Tats?chlich: Auf der n?chsten Parkbank sitzt ein Mann. Obwohl die Bank bestimmt noch ziemlich nass ist, hat er es sich dort gem?tlich gemacht und bereitet offensichtlich ein kleines Picknick vor, eine Flasche hat er jedenfalls schon neben sich gestellt und gerade jetzt kramt er in einer mitgebrachten T?te herum. Ich trabe n?her an die Bank heran, um den Mann besser betrachten zu k?nnen. Wie ein Prinz sieht er nicht gerade aus. Irgendwie ein bisschen zerknittert. Seine Haare sind grau und etwas l?nger, wirr fallen ihm einzelne Str?hnen immer wieder ins Gesicht. Ausserdem hat er einen Bart, der fast ein wenig wie Rauhaardackelfell aussieht.

»Hm, meinst du, das ist der Richtige? Da habe ich doch arge Zweifel.«

Aber Beck l?sst das nicht gelten. »Und wenn schon! Es ist zumindest eine Gelegenheit - sollten wir die nicht nutzen? Wenn’s nicht funktioniert, sammeln wir wenigstens Erfahrung. Dann sind wir gut vorbereitet auf die wirklichen Top-Kandidaten.«

So habe ich es noch gar nicht gesehen. Katzen sind eben echte Strategen. Und Beck hat sich noch mehr Gedanken gemacht.

»Also, wir schleichen zu dem Typen r?ber. Dann kommt deine Kranker-Hund-Nummer. Gib ruhig ein bisschen Gas, so mit rumw?lzen, jaulen, das volle Programm. Wenn er sich um dich k?mmert, versuche ich ihm begreiflich zu machen, dass er mit dir zu unserem Haus gehen soll.«

»Und wie willst du das machen?«

»So wie du. Improvisieren!«

Bei der Bank angekommen, suche ich ein strategisch gutes Pl?tzchen f?r meine Showeinlage. Noch hat der Mann mich nicht bemerkt, zu besch?ftigt ist er mit seiner T?te. Ab und zu streicht er sich seine halblangen grauen Haare aus dem Gesicht und steckt sie hinter die Ohren. Ich lege mich links neben seine F?sse und drehe mich auf den R?cken. Dann fange ich an, laut zu winseln, mit meinen Beinen zu strampeln und mich hin und her zu winden. Ein Bild des Jammers und des Elends - wer darauf nicht reagiert, hat ein Herz aus Stein und verdient unsere Caro nicht!

Tats?chlich l?sst der Mann von seiner T?te ab und beugt sich zu mir herunter.

»Sag mal, was bist du denn f?r einer? Und was machst du da eigentlich?«

Ein strenger Geruch weht zu mir her?ber, nach Schweiss und … und … ja, genau: und nach dem Zeug, das Carolin in dieser furchtbaren Nacht getrunken hat. Ungute Erinnerungen steigen in mir hoch, und ich w?rde die ganze Veranstaltung hier liebend gerne abblasen. Aber aus den Augenwinkeln kann ich genau sehen, dass Herr Beck nur einen Meter weiter rechts von uns sitzt und mich mit Argusaugen beobachtet. Scheint ein Riesenspass f?r ihn zu sein. Wenn der meint, dass ich jetzt aufgebe, hat er sich geschnitten. Das ziehe ich durch, wuff!

Ich zappele noch ein bisschen hin und her und versuche, noch mehr Dramatik in die Angelegenheit zu bringen, indem ich die Augen verdrehe und mit der Schnauze zucke.

»M?nsch, du armes Vieh, dir geht’s ja richtig schlecht! Komm, Willi hebt dich mal hoch.«

Mit diesen Worten fasst mich der Mann behutsam mit seinen grossen H?nden unter den Nacken und den R?cken und hebt mich dann vorsichtig auf seinen Schoss. Sofort h?re ich auf zu zappeln. Nicht, dass ich hier noch runterfalle und mir wirklich etwas tue. Der Mann krault mich am Bauch, was eigentlich sehr angenehm ist. Allerdings riecht es hier oben noch st?rker nach dem Zeug, das Carolin getrunken hat. Hrks, das muss ja was ganz Schlimmes sein. Hoffentlich ?bergibt sich der Mann nicht auch gleich, daf?r befinde ich mich n?mlich gerade in einer sehr ung?nstigen Position.

»Na, Kleiner, zitterst ja gar nicht mehr. So geht’s dir gleich besser, oder? Aber was macht Willi jetzt mit dir?«

In der Tat, eine sehr gut Frage. Das ist doch genau der richtige Zeitpunkt f?r Becks Einsatz. Ich hoffe, er verpennt ihn nicht und hat sich vor allem etwas ?berlegt, wie er den Mann zu Carolin lockt. Auch, wenn ich mittlerweile felsenfest davon ?berzeugt bin, dass es sich bei ihm mitnichten um einen Prinzen oder sonst wie akzeptablen Kandidaten handelt. Los, Beck,wo bleibst du?

»Hoppla, da ist ja noch ein kleiner Freund! Wo kommt ihr denn bloss auf einmal alle her?«

Na also, die Gedanken?bertragung unter uns Vierbeinern funktioniert. Ich drehe mich schnell auf den Bauch und sehe Beck, wie er um Willis Beine streicht. Nun springt er auf die Bank und setzt sich direkt neben uns.

»Miau, miauuuu, miauuuuu!«

Okay, Katzen k?nnen einfach nicht richtig heulen. Genauer gesagt k?nnen sie es gar nicht. Beck klingt wie eine der Geigen, die Carolin jeden Tag bearbeitet. Eigentlich sogar schlimmer, ich frage mich, was er damit bewirken will.

»O je, dir geht es wohl auch gar nicht gut. Was ist denn heute los hier? Seid ihr beide krank oder habt ihr euch verlaufen?«

Willi streicht Beck mit einer Hand?ber den Kopf und schaut ihn nachdenklich an. Auch wenn er kein Prinz ist - ein lieber Mensch ist er allemal. Ob das vielleicht auch reicht? Beck legt eine Pfote auf Willis Arm und zieht ein bisschen an ihm.

»Autsch!«

Offenbar benutzt er dazu seine Krallen, jedenfalls zieht Willi erschrocken seinen Arm zur?ck. Beck h?pft wieder von der Bank und langt jetzt nach einem Bein von Willi. So gut es mit einer Pfote eben m?glich ist, zieht er an dem Hosenbein und maunzt dabei immer wieder.

»Jetzt m?sste man mit Tieren sprechen k?nnen. Ich w?sste zu gerne, was du von mir willst. Soll ich etwa mitkommen?«

Begeistert schlecke ich Willi sofort die H?nde ab. Sie schmecken - nun ja - gew?hnungsbed?rftig.

Er lacht.»He, mein Freundchen, du wirst ja ganz wild. War das die Antwort auf meine Frage? Ich soll wirklich mitkommen?«

Irre, wie einfach es ist, mit Menschen zu reden. Das hatte ich mir viel schwerer vorgestellt. Oder aber Willi ist besonders sensibel. Ist im Ergebnis aber egal. Ich springe von seinem Schoss herunter zu Herrn Beck, der Willi erwartungsvoll anschaut und dabei aufgeregt mit seinem Schwanz hin und her wedelt. Willi steht auf und schwankt dabei ein bisschen von links nach rechts. Als er sicher steht, rennt Beck zweimal um ihn herum, dann l?uft er Richtung Carolins Haus. Weil mir nichts Besseres einf?llt, mache ich es genauso.

»So, und da soll ich wohl hinterher? Ein Dackel und ein Kater wollen mit mir spazieren gehen. Wenn ich das der Dame von der Heilsarmee erz?hle, wird sie es gleich wieder auf den Chantre schieben. Dann man los!«

Auf dieses Kommando traben Herr Beck und ich zu dem Parkausgang, der direkt vor unserem Garten liegt. Zwischendurch werfe ich immer wieder einen kurzen Blick?ber die Schulter - Willi folgt uns brav. Erst als wir am Gartent?rchen ankommen, z?gert er kurz.

»Also hier? Ist ja’n sch?nes Haus. Nicht, dass die mich hier f?r einen Einbrecher halten.«

Ha ha! Ein lustiger Gedanke! Ein Wachhund, der den Einbrecher selbst mitbringt! Ich frage mich, wie Willi darauf kommt. Einen Moment sp?ter stehen wir vor der Terrassent?r der Werkstatt. Ich kratze an der Scheibe, Willi steht direkt hinter mir und linst neugierig durch das Fenster, dann klopft er schliesslich. Daniel kommt und ?ffnet die T?r. Allerdings nur einen Spalt. »Ja bitte?«

Willi r?uspert sich. »?hm, ja, wie soll ich sagen - diese beiden hier unten haben mich quasi zu Ihnen gebracht.«

Daniel schaut runter, erst jetzt scheint er uns zu sehen.

»Oh, Herkules und Herr Beck - was macht ihr denn da?«

»Also, der kleine Dackel schien eben ziemliche Kr?mpfe zu haben, jedenfalls ist er vor der Parkbank, auf der ich sass, zusammengebrochen. Und dann kam sein Freund hier und wollte, dass ich mitkomme.«

Daniel schaut durch den T?rspalt und hebt eine Augenbraue, was ziemlich lustig aussieht.

»Ah, ja. Der Kater wollte, dass Sie mitkommen. Verstehe.«

»Gut, ich weiss, das klingt seltsam. Vor allem aus dem Mund von so jemandem wie mir. Aber so war es, k?nnen Sie mir ruhig glauben. Und dann haben mich die beiden hierhin gebracht.«

In diesem Moment taucht Carolin hinter Daniel auf.»Was ist denn hier los?«

»Der … ?h … Herr hier behauptet, Herkules und der Kater h?tten ihn zu uns gebracht, nachdem Herkules im Park einen Schw?cheanfall hatte.«

Carolin tritt neben Daniel und macht die Terrassent?r jetzt weit auf.

»Na ihr beiden? Was habt ihr gemacht? Friedliche Parkbesucher angefallen?«

Sie l?chelt Willi aufmunternd zu. Hm, vielleicht gef?llt er ihr doch? Daniel hingegen rollt genervt die Augen, aber das kann Carolin ja nicht sehen. Willi allerdings schon. Unsicher streicht er sich durch die wirren Haare.

»Ja, also, wie ich Ihrem Mann schon sagte - die beiden haben mich tats?chlich hierhin gef?hrt. Also, ich meine, erst sind sie auf meine Bank gesprungen, und dann hat der Kater mich am Hosenbein gezogen und dann …«, Willi z?gert, die ganze Angelegenheit scheint ihm auf einmal peinlich zu sein. »Ich will dann auch gar nicht weiter st?ren. Dem Hund scheint es wieder gutzugehen, ich werd dann mal.«

Er will sich gerade umdrehen, als Carolin einen Schritt auf ihn zu Richtung Garten macht.

»Vielen Dank, dass Sie die beiden gebracht haben. Irgendwas scheinen sie ja von Ihnen gewollt zu haben, leider k?nnen sie nicht sprechen. Vielleicht fahre ich nachher mal mit Herkules zum Tierarzt. Sicher ist sicher.«

»Ja, sicher ist sicher«, echot Willi. »Ist bestimmt eine gute Idee. Ihnen noch einen sch?nen Tag.« Dann geht er.

O nein! Was f?r ein Eigentor! Zum Tierarzt. Ich h?tte wissen m?ssen, dass mich die ganze Nummer wieder zu Doktor Wagner bringt. Ungl?cklich lasse ich die Nase h?ngen, Beck steht feixend neben mir.

»So, Herkules, komm rein«, sagt Daniel schliesslich und winkt mich durch die T?r. »Und du gehst sch?n aussen herum, Beck. Mir scheint, dass ihr heute schon genug zusammen erlebt habt.«

Daniel scheint sauer zu sein. Ich sehe schnell zu, dass ich mich in meine Kiste verziehe.

»Glaubst du die Geschichte?«, will Carolin wissen. »Ich meine, haben die beiden den wirklich hier angeschleppt? Oder wollte der sich nur mal unseren Hintereingang genauer anschauen, um hier einzubrechen?«

»Der sah mir eigentlich nicht so aus, als ob Wohnh?user f?r ihn interessant w?ren. Eher wie jemand, der im n?chsten Kiosk einbricht, um sich seinen Fusel zu besorgen.«

»Aber warum sollte er sich dann so eine Geschichte ausdenken? Oder kannst du dir ernsthaft vorstellen, dass Herkules und Beck ihn hier angeschleppt haben? Und wenn ja, warum?«

Daniel hebt die H?nde. »Ganz ehrlich? Keine Ahnung! Krank sieht mir Herkules jedenfalls nicht aus. Vielleicht hat der Alte auch halluziniert. Hat man ja mal, nach einer Flasche Cognac. Ist ja nicht gut f?r die Gesundheit, nicht wahr?«

Daniel grinst, Carolin wird rot. Sie dreht sich abrupt um und geht ohne ein weiteres Wort in ihr Zimmer. Daniel z?gert einen Moment, dann l?uft er ihr hinterher.

»Hey, tut mir leid, das war bl?d von mir.«

Carolin antwortet nicht. Sie ist richtig b?se auf ihn, das merkt selbst ein kurzsichtiger Vierbeiner wie ich. Warum, habe ich zwar nicht ganz verstanden. Aber Daniel hat es wohl sofort kapiert. Er steht jetzt ganz dicht neben ihr und scheint zu ?berlegen, was er machen soll. Schliesslich entscheidet er sich f?r die Variante, dieich als Hund in so einer Situation auch gew?hlt h?tte: K?rperkontakt. Er nimmt Carolin in den Arm und dr?ckt sie ganz fest an sich.

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