»Und Marc war nicht ganz mit deiner Reaktion einverstanden, richtig?«

Nina nickt.»Das kann man so sagen. Er war regelrecht geschockt und hat mich angeblafft, dass ich mich mal beruhigen soll. Das seien schliesslich kleine Kinder, und es sei ja keine Absicht gewesen. Vor den anderen Leuten hat er mir das gesagt. Es war ein sehr peinlicher Moment. Ich bin aufgestanden und habe Marc mit dem ganzen sandigen Kartoffelsalat einfach sitzenlassen. Oben an der Strasse habe ich den n?chsten Bus genommen. Tja. Und das ist im Wesentlichen auch schon die ganze Geschichte. Seitdem habe ich erst wieder etwas von Marc geh?rt, als er mich neulich abends auf der Suche nachdir anrief.«

»Auweia! Das ist wirklich eine furchtbare Geschichte! Und er hat sich nicht mehr gemeldet?«

Nina sch?ttelt den Kopf. »Nein. Und ich mich auch nicht. Gut, ich w?re vielleicht dran gewesen, aber ich konnte nicht. Und dann treffe ich ihn wieder, und es stellt sich heraus, dass er sich mit dir verabredet hat. Das war ein bisschen viel f?r mich.«

»Das glaube ich, und es tut mir leid. Ich hatte echt keine Ahnung.«

Die Kellnerin kommt noch einmal an den Tisch.»Darf’s bei Ihnen noch etwas sein?«

Carolin und Nina schauen sich an und kichern. Dann antworten beide wie aus einem Mund:»Ja, bitte noch zwei Glas Sekt!«

DREIUNDZWANZIG

Ich bin mir nicht sicher, ob man das als Hund?berhaupt sein kann. ABER: Falls dieses Gef?hl nicht ausschliesslich f?r Zweibeiner reserviert ist, dann bin ich frustriert. Und zwar v?llig.

Ich liege auf meinem Lieblingsplatz im Garten, das Wetter ist sch?n, und die V?gel zwitschern. Gerade gab es etwas Leckeres zu essen, und spazieren war Carolin mit mir heute auch schon. Es herrscht auch einigermassen Harmonie in der Werkstatt: Daniel und Carolin reden jedenfalls wieder miteinander. Und trotzdem ist mir zum Heulen zumute. Was ich jetzt auch mache. Von meinem Gejaule aufgeschreckt leistet mir Herr Beck Gesellschaft.

»Was ist denn los mit dir?«, will er wissen. »Schmerzen?«

»Ja. Seelische Schmerzen.«

»Warum denn das?«

»Nichts klappt. Ich habe mir so viel M?he gegeben, einen Mann f?r Carolin zu finden. Und sie macht alles kaputt. Jetzt wird sie auch noch Jens einen Korb geben. Dann sind wir wieder am Anfang.«

Herr Beck setzt sich neben mich.»Na ja, aber sieh es doch mal so: Du wolltest einen Mann f?r Carolin, weil sie als Single so ungl?cklich war. Nun hat sie sich aber ?berlegt, es erst mal allein zu versuchen. Also ist sie doch gar nicht mehr ungl?cklich. Und du brauchst nicht mehr suchen. Passt doch.«

»Nein! Passt ?berhaupt nicht. Dennichbin ungl?cklich. Ich will ein Herrchen. Weisst du, der Tag an der Elbe mit Jens und Carolin war unglaublich sch?n.Som?sste es sein: als Hund bei einem gl?cklichen Paar. Und seitdem ich das weiss, habe ich einfach gehofft, dass sich Carolin bald richtig verliebt. Muss nicht mal Jens sein. Aber kann ruhig. Weisst du, ich glaube, ich will eine richtige Familie. Ein Rudel.«

Herr Beck seufzt.»Ihr Hunde lernt es aber auch nicht! Warum h?ngt ihr euer Herz immer an Menschen? Das gibt nur ?rger! Ein Mensch kann doch niemals deine Familie sein, Herkules. Das ist Unsinn, sieh es endlich ein!«

»Aber ich w?nsche es mir so!«

»Dann sei ruhig weiter frustriert. Es wird nicht dein letztes Frusterlebnis mit den Menschen bleiben, das garantiere ich dir.« Mit diesen Worten dreht sich Herr Beck um und wandert wieder davon.

Soll er ruhig. Ein grosser Trost war er sowieso nicht.

Ich setze mich auf und beschliesse, Herrn Becks weise Ratschl?ge einfach zu ignorieren. Nat?rlich kann ein Hund Teil einer menschlichen Familie sein. Ich bin mir sogar sehr sicher, dass eine Katze das auch k?nnte, sie m?sste nur wollen. Das bringt mich aber wieder zu meiner Ausgangs?berlegung: Wie komme ich selbst an eine Familie? Aber vielleicht ist es ja f?r Jens und Carolin noch nicht zu sp?t. Immerhin sind sie heute Abend verabredet. Vielleicht kann ich da irgendwie f?r gute Stimmung sorgen? Immerhin hat Carolin selbst gesagt, dass sie den Tag mit Jens toll fand. Auf alle F?lle muss ich mich irgendwie in diese Verabredung mit reinmogeln, komme, was da wolle! Den restlichen Nachmittag verbringe ich also damit, mich auf die Lauer zu legen. Nicht, dass Carolin noch ohne mich das Haus verl?sst.

Tats?chlich macht sie heute etwas fr?her Schluss als sonst und geht hoch, um sich umzuziehen. Ich hefte mich an ihre Fersen und weiche auch nicht von ihr, als sie noch einmal ins Badezimmer verschwindet.

»He, Herkules! Was ist denn heute los mit dir? Du bist so anh?nglich.« Sie scheucht mich vor die Badezimmert?r und schliesst ab.

Nun gut, wenn sie wieder rauskommt, muss sie an mir vorbei, es sei denn, sie klettert aus dem Fenster.

Tut sie nat?rlich nicht - nach einer ganzen Weile taucht sie wieder auf und hat jetzt das schwarze, kurze Kleid an, ?ber das wir neulich Abend schon einmal diskutiert haben. Ausserdem hat sie ihre Haare auf ihrem Kopf zu einem kleinen Berg aufget?rmt. Ich sch?pfe Hoffnung - wenn Carolin so viel Arbeit auf ihr Aussehen verwendet, will sie sich das mit Jens vielleicht doch noch mal ?berlegen.

Es klingelt, und kurz darauf steht Jens vor unserer T?r. Carolin begr?sst ihn mit einem K?sschen auf die Wange, dann beugt sie sich zu mir herunter.

»So, Herkules, du bleibst heute hier. Also sei sch?n brav und spring vor allem nicht wieder vom Balkon!«

Nix da! Ich will nicht hierbleiben. Ich laufe her?ber zu Jens und mache M?nnchen. Der lacht am?siert.

»Scheint so, als wolle uns dein Kumpel unbedingt begleiten. Hat mich wohl seit der Wurstaktion ins Herz geschlossen.«

»Das kommt gar nicht infrage. Der bleibt sch?n hier.«

Pfui! Wie herzlos von dir! Aber ganz so einfach lasse ich das nicht mit mir machen. Als Carolin die Wohnungst?re ?ffnet, renne ich einfach los und an ihr vorbei ins Treppenhaus. Unten angekommen, habe ich Gl?ck: Die Wellensittich-Meyer kommt gerade ins Haus, und ich kann an ihr vorbei ins Freie. Dort steht auch schon das Auto ohne Dach und l?chelt mich einladend an. Wenn ich nicht so kurze Beine h?tte, k?nnte ich gleich reinspringen, so muss ich noch auf Jens und Carolin warten.

»Sag mal, du ungezogener Hund!« Carolin kommt auf mich zu und schimpft. »Wenn ich sage, du bleibst hier, dann bleibst du auch hier!«

Sie greift nach mir, aber bevor sie mich am Halsband packen kann, laufe ich zu Jens und reibe mich schwanzwedelnd an seinen Beinen. Dazu versuche ich, m?glichst freundlich zu bellen. Jens b?ckt sich und hebt mich hoch.

»Tja, mein Kleiner, ich w?rde dich ja mitnehmen, aber dein Frauchen ist heute ganz streng. Ich habe fast ein bisschen Angst vor ihr.«

Carolin lacht.»Gegen zwei M?nner, die sich einig sind, komme ich wohl nicht an. Dann nimm ihn von mir aus mit.«

»Siehst du, Kumpel, Gl?ck gehabt. Dann wollen wir mal los.«

Er setzt mich in den Fussraum der Beifahrerseite, dann steigen beide ein, und wir fahren los. Hartn?ckigkeit lohnt sich eben doch!

Als wir im Restaurant ankommen, frage ich mich, warum Carolin mich nicht mitnehmen wollte. Schliesslich handelt es sich um ein Gartenlokal, und schon auf den ersten Blick sehe ich zwei Hunde unter anderen Tischen liegen: einen alten Boxer und eine sehr h?bsche RetrieverDame, die mir huldvoll zunickt, als wir am Nachbartisch Platz nehmen. Ich lege mich so hin, dass ich sie gut sehen kann. Vielleicht sollte ich nicht immer nur an Carolins Herz denken, sondern zur Abwechslung auch mal an mein eigenes. Andererseits muss ich gerade heute nat?rlich die ?hrchen spitzen, wenn ich mitbekommen will, was Carolin so erz?hlt. Ich will schliesslich eingreifen, wenn sie wieder mit ihrem Ich-muss-mich-selbst-finden-Murks anf?ngt.

Noch kreist das Gespr?ch aber unverd?chtig um die Auswahl der Speisen und Getr?nke. Carolin bestellt sich ein Wasser, Jens lacht.

»Ich dachte eigentlich, wir bestellen zur Feier des sch?nen Abends etwas, das ein bisschen prickelt. Und damit meine ich nicht die Kohlens?ure in deinem Mineralwasser.«

»Du wirst es nicht glauben, aber ich habe heute Morgen schon zwei Glas Sekt mit Nina getrunken. Quasi ein Vers?hnungsritual, wir hatten n?mlich ein bisschen Stress. Deswegen bleibe ich erst mal bei nichtalkoholischen Getr?nken.«

»Wie du meinst. Ich will dich zu nichts ?berreden. Warum hattet ihr denn Streit?«

»Ach, eine bl?de Geschichte. Ich hatte mich mehr oder weniger aus Versehen mit jemandem verabredet, den sie sehr mag. Das fand sie bl?d.«

»Mehr oder weniger aus Versehen? Das klingt ja interessant. Wie macht man das denn?«

»Na, es war nicht wirklich als Date geplant. Sondern eher … ach, ich weiss auch nicht. Jedenfalls war Nina sauer.«

»So, so, ein ungeplantes Date. Mir war gleich klar, dass du eine begehrte Frau bist.«

Er lacht und greift nach Carolins Hand. Sie z?gert, aber bevor sie die Hand richtig offensichtlich wegziehen kann, springe ich auf und fange einfach mal an zu bellen. Carolin beugt sich zu mir.

»Pst, Herkules, was hast du denn?«

»Vielleicht ein anderer Hund?«

»Hm, eigentlich ist Herkules kein Kl?ffer. Hat ihn bestimmt irgendetwas erschreckt.«

Ja, klar hat mich etwas erschreckt. N?mlich die Aussicht, dass Carolin hier gleich den n?chsten Mann vergrault. Immerhin habe ich diese Situation zwar brachial, aber wirkungsvoll umschifft. Hoffe nur, dass das nicht den ganzen Abend so weitergeht.

Es geht den ganzen Abend so weiter. Immer, wenn ich das Gef?hl habe, Carolin steuert das falsche Thema an, werde ich unruhig. Und das ist so alle zehn Minuten der Fall. Carolin ist schon schwer genervt.

»Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?«, zischt sie mich an. »Ich wollte ja, dass du zu Hause bleibst, und das w?re auch besser gewesen. Du bist unglaublich ungezogen! Wenn du so weitermachst, sperren wir dich gleich ins Auto ein.«

Okay, das w?re schlecht. Vielleicht muss ich mal ein bisschen vom Gas gehen. Ich lege mich wieder ganz brav unter Carolins Stuhl. Die RetrieverH?ndin am Nachbartisch mustert mich interessiert.

»Sag mal, Kleiner, hast du eine Blasenschw?che?«

»N?, ich? Weso?«

»Weil du die ganze Zeit so rumhampelst.«

Wie peinlich. Diese sch?ne Frau denkt, ich sei inkontinent. Das kann ich nat?rlich nicht auf mir sitzen lassen.

»Also, ich bin so unruhig, weil ich mein Frauchen gerade vor einem grossen Fehler bewahren will.«

»Wie, vor dem Typen da? Der sieht doch gar nicht so schlimm aus. Hat eine nette Stimme.«

»Das finde ich auch. Wir haben aber das umgekehrte Problem. Ich f?rchte, sie will ihn loswerden.«

»Aha. Na, sie wird ihre Gr?nde haben.«

»Finde ich nicht. Sie mag ihn, aber sie will erst sich selbst finden. Das ist v?llig gaga, oder?«

»Kleiner, darf ich dir einen Rat geben?«

»Gerne.«

Von einer attraktiven Frau verspreche ich mir gerade in dieser Angelegenheit einen guten Tipp. Wahrscheinlich war sie schon einmal in der gleichen Situation wie Carolin.

»Halt dich aus den Menschensachen raus. Das gibt nur ?rger. Und sieht auch ziemlich albern aus, die Show, die du gerade abziehst.«

Rums. Das hat gesessen. Man k?nnte fast meinen, die Dame sei von Herrn Beck gebrieft worden. Beleidigt trolle ich mich wieder unter Carolins Stuhl. Dann eben nicht! Dann macht doch alle, was ihr wollt. Aber sagt hinterher nicht, ich h?tte euch nicht gewarnt.

Den restlichen Abend verbringe ich so gut wie stumm unter Carolins Stuhl. Allerdings macht Carolin auch keine weiteren Anl?ufe, Jens die schlechte Nachricht zu ?berbringen. Ob sie es sich wohl anders ?berlegt hat? Als die beiden schliesslich aufstehen, um zu gehen, macht Jens einen Vorschlag, der mir besonders gut gef?llt.

»Was h?ltst du davon, wenn wir noch ein bisschen mit Herkules spazieren gehen? Das letzte Mal waren wir an der Elbe, jetzt k?nnten wir ihm doch mal die Alster zeigen, oder? Und immerhin war er die letzte Stunde bemerkenswert ruhig. Deine kleine Gardinenpredigt schien also gewirkt zu haben.Das sollten wir belohnen. So vonwegen positiver Verst?rkung.Was meinst du?«

»Ja, warum nicht? Eine gute Idee.«

Mein Herz schl?gt schneller. Bestimmt hat es sich Carolin anders ?berlegt, da bin ich mir nun ganz sicher. Sonst h?tte sie bestimmt dankend abgelehnt.

Der See, der sich Alster nennt, liegt direkt neben dem Lokal. Wir schlendern auf dem breiten Weg direkt am Ufer entlang. Normalerweise w?rde ich mal eben losrennen und die Gegend erkunden, aber nat?rlich will ich auch h?ren, wor?ber die beiden sich unterhalten. Also bleibe ich erst mal da. Und dann - legt Jens seinen Arm um Carolin! Mittlerweile rast mein Herz richtig, so aufgeregt bin ich. Wie wird Carolin reagieren?

Sie macht erst einmal nichts. Ein gutes Zeichen. Die beiden schlendern weiter, ich immer hinterher.

»Weisst du«, setzt Carolin an, etwas zu sagen, verstummt dann aber wieder. Oh, oh! Doch kein gutes Zeichen?

»Was denn?« Jens bleibt stehen. Die beiden gucken sich nun direkt an, und er nimmt ihre H?nde.

»Also, ich finde dich sehr nett, Jens. Aber ich glaube, ich bin noch nicht so weit. Und ich habe Angst, dir falsche Hoffnungen zu machen.«

»Wie meinst du das?«

»Na ja, wir hatten einen sehr romantischen Tag an der Elbe, und der heutige Abend war bis auf die Herkules’schen Ausf?lle auch sehr sch?n. Aber ich denke, dass du dir jetzt vielleicht mehr erhoffst, als ich momentan geben kann. Und ich will dich nicht entt?uschen. Deswegen finde ich es besser, gleich Klartext zu reden. Ich glaube, ich kann mich gerade nicht verlieben. Bevor ich wieder ?ber eine Beziehung nachdenke, muss ich erst einmal ein paar Sachen ?ber mich selbst herausfinden.«

Jens l?sst ihre H?nde los. »Aha.«

Mehr sagt er nicht. Auweia. Am liebsten w?rde ich mich unter irgendeinem Busch verstecken, so unangenehm ist mir die Situation.

»Bist du jetzt sauer?«

»Nein. Ich bin nur erstaunt.«

»Ja, das glaube ich. Das h?tte mir nat?rlich auch eher einfallen k?nnen.«

»Nein, so meine ich das gar nicht. Ich bin erstaunt, dass du hier allen Ernstes ?ber eine Beziehung nachgedacht hast und dir Sorgen machst, dass ich eine solche will.«

»Ja, willst du denn nicht?«

Jens lacht.»Ne, nat?rlich nicht. Ich habe schliesslich schon eine Freundin.«

WIE BITTE? Vor uns steht offensichtlich Thomas Nr. 2.

»Ja … aber … das wusste ich nicht.« Carolin klingt v?llig fassungslos. Zu Recht.

»Na h?r mal, M?dchen, liest du etwa nie dieGala?Oder dieBunte?«

»Nein, offen gestanden nicht.«

»Gut«, sagt Jens in g?nnerhaftem Ton, »dann eben nicht. Aber wenn du sie lesen w?rdest, w?sstest du, dass ich seit vier Jahren mit Alexa von Sch?ning zusammen bin, einem sehr erfolgreichen Model.«

»Ja, aber … was wolltest du denn von mir? Warum hast du dich mit mir ?berhaupt getroffen?«

»Weil ich dich super niedlich finde. Und weil ich gerne etwas Spass habe. Alexa weiss das, es ist okay f?r sie. Ich dachte nat?rlich, du w?sstest das auch.«

Gut, dass ich nicht sprechen kann. Denn mir fehlen die Worte. Der ist ja schlimmer als Thomas! Der hat ja nicht mal ein schlechtes Gewissen. Carolin hat es auch die Sprache verschlagen.

»Du sagst ja gar nichts mehr. Ich meine, jetzt, wo du weisst, dass ich in festen H?nden bin, spricht doch nichts gegen ein bisschen Spass, oder? Musst dir doch gar keine Sorgen machen, dass ich was Ernstes will. Das m?sste dir doch sehr entgegenkommen.« Carolin sagt nichts, sondern starrtihn nur an.

»He, Carolin, lach mal!« Jens gibt ihr einen Stupps. Ich knurre ihn an. Finger weg von dieser Frau, und zwar sofort!

»O Mann, jetzt nervt der K?ter aber echt. Was hat der bloss heute? Ich dachte, der mag mich.«

»Ja«, sagt Carolin fast tonlos, »ich dachte auch, ich mag dich. So kann man sich t?uschen. Ich w?rde jetzt gerne nach Hause fahren.«

»Okay, dann machen wir das. Ich weiss allerdings nicht, warum du jetzt beleidigt bist. Ich meine, ist doch noch gar nichts passiert. Was allerdings sehr schade ist.« Jens grinst, Carolin guckt ihn sehr b?se an.

Wir fahren im offenen Wagen zur?ck. Meine Ohren wehen im Wind, was ein sehr sch?nes Gef?hl ist. Ansonsten f?hlt sich gerade gar nichts gut an. Ich komme mir wie ein Riesenidiot vor. Mit diesem Mann wollte ich Carolin verkuppeln. Unfassbar! Ich habe anscheinend ?berhaupt keine Menschenkenntnis. Gut, Carolin auch nicht, aber das ist nur ein schwacher Trost.

Vor dem Haus h?lt Jens an. Carolin will sich gerade verabschieden, da beugt sich Jens nach vorne und r?ckt ihr ziemlich nah auf die Pelle.

»Carolin, jetzt mal im Ernst. Du und ich - das knistert doch richtig. Lass es uns doch wenigstens mal versuchen. Ich will ehrlich sein - ich habe richtig Lust auf dich. Dass du dich jetzt ein bisschen str?ubst, macht die Sache nur noch interessanter.«

Carolin sagt nichts und greift nach dem T?rgriff. Da packt sie Jens auf einmal, dr?ckt sie wieder in den Sitz und f?ngt an, sie auf den Mund zu k?ssen. Carolin schreit auf und will ihn wegstossen, aber Jens h?lt sie an den H?nden fest und k?sst sie weiter.

Ich bin v?llig geschockt - das darf doch nicht wahr sein.

Der Schreck h?lt aber nicht lange an: Ich springe aus dem Fussraum hoch zu den beiden und beisse Jens in genau die Stelle, die schon beim letzten Mal Wunder bewirkt hat. Er br?llt und versucht, nach mir zu schlagen. Dabei muss er Carolin nat?rlich loslassen. Die nutzt den Moment, reisst die T?r auf, greift mich und springt aus dem Auto. Jens kr?mmt sich vor Schmerzen. Carolin schmeisst die Beifahrert?r zu und l?uft Richtung Haus, dann ?berlegt sie es sich aber anders und dreht sich noch einmal zum Auto.

»Einen sch?nen Gruss an Alexa. Sie soll sich keine Sorgen machen. Eine Tetanusimpfung h?lt meines Wissens locker zehn Jahre.«

VIERUNDZWANZIG

»Ah, da ist der Heldenhund!« Nina kommt auf mich zu, b?ckt sich und ?berreicht mir mit grosser Geste ein St?ck Fleischwurst. »Das hast du richtig gemacht, und ich hoffe, der Herr Uhland muss noch sehr, sehr lange an dich denken. Brav!«

Ich muss zugeben, dass ich diese Reaktion durchaus angemessen finde. Auch die Tatsache, dass ich letzte Nacht in Carolins Bett schlafen durfte, erscheint mir die passende Belohnung f?r einen mutigen Dackel wie mich. Zufrieden kaue ich auf der Wurst herum, w?hrend sich Nina noch einmal alle Details des Vorabends schildern l?sst. Ab und zu st?sst sie ein»Unfassbar!«oder»Gibt’s doch nicht«aus, und immer wieder streichelt mich eine der beiden. Mittlerweile liege ich n?mlich zwischen Carolin und Nina auf Carolins Sofa und habe alle viere von mir gestreckt. Herrlich! Ich liebe es, am Bauch gekrault zu werden! Das Leben kann so sch?n sein. Wahrscheinlich brauchen wir doch keinen Mann.

»Hast du das auch schon Daniel erz?hlt?«

»Nein, und ich glaube, das mache ich auch nicht. Wir haben uns zwar wieder vertragen, und er sagt, es sei okay. Aber trotzdem ist die Stimmung irgendwie angespannt. Da muss ich ihn nicht noch mit einer Schilderung meines grandios verungl?ckten Rendezvous behelligen.«

»Hm, stimmt. Aber das wird sich schon wieder einrenken, ganz sicher.«

In diesem Moment klingelt es an der Wohnungst?r.

»Erwartest du noch Besuch?«

»Ne, ich hatte nur dich eingeladen. Komisch.«

»Vielleicht Fleurop mit einem Entschuldigungsstrauss von Herrn Uhland?«

»Um neun Uhr abends? Eher unwahrscheinlich. Ausserdem hat der Typ mit Sicherheit kein Unrechtsbewusstsein.«

Es klingelt noch einmal. Carolin steht auf und geht zu dem Telefon, mit dem man h?ren kann, wer unten vor dem Haus steht.

»Hallo?«

Jetzt klopft es auch noch.

»Ich bin’s, Daniel. Ich stehe schon vor deiner T?r.«

Carolin wirft Nina, die mittlerweile auch in den Flur gekommen ist, einen fragenden Blick zu, dann?ffnet sie. Tats?chlich. Daniel. Allerdings sieht er irgendwie anders aus als sonst. Irgendwie - traurig. Und entschlossen.

»Hallo, Carolin. Entschuldige die sp?te St?rung, aber ich muss unbedingt mit dir sprechen.«

Jetzt erst sieht er Nina.»Oh, hallo!«

»Hallo, Daniel! Alles in Ordnung bei dir?«

»Ja, klar. Ich muss allerdings etwas Wichtiges mit Carolin besprechen. W?rde es dir etwas ausmachen, uns allein zu lassen? Ich weiss, das ist nicht gerade h?flich, aber es ist wirklich wichtig.«

Ich merke, wie meine Nackenhaare anfangen, sich zu str?uben. Der Ton in Daniels Stimme verheisst nichts Gutes. ?hnliches scheint auch Nina zu denken. Sie schaut fragend zu Carolin.

»Ist schon okay, Nina.«

»Na gut, dann r?ume ich das Feld. Tsch?ss ihr beiden, bis bald.«

Als sie gegangen ist, h?ngt Daniel seine Jacke an die Garderobe und setzt sich auf das Sofa. Carolin folgt ihm, setzt sich aber in den Sessel gegen?ber.

»Was gibt es denn so Wichtiges?«, will sie wissen.

»Ich will nicht lange darum herum reden: Ich werde im n?chsten Monat f?r ein Vierteljahr verschwinden.«

»Was?«

»Ja. Aurora hatte mich schon vor einiger Zeit gefragt, ob ich sie auf einer Konzertreise begleiten w?rde. Ich soll dabei gleichzeitig Geigen pr?fen, die ihr angeboten werden.«

»Du willst drei Monate mit Aurora verreisen? Das ist nicht dein Ernst!«

»Doch. Ich muss mal raus. Weisst du, ich habe gedacht, ich w?rde das schon hinkriegen. Das mit dir und mir. Aber ich habe mich geirrt. Ich schaffe es nicht, es tut mir zu weh, dich jeden Tag zu sehen. Und deshalb brauche ich Abstand.«

Carolin schluckt.»Das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist.«

»Es muss dir nicht leidtun, ich wusste es ja auch nicht. Ausserdem kannst du nichts daf?r, dass du nicht so verliebt in mich bist wie ich in dich. So ist es nun einmal.«

»Wirst du wiederkommen? Ich meine, nach den drei Monaten?«

»Ehrlich gesagt: Ich weiss es noch nicht. Aber dar?ber will ich mir jetzt noch keine Gedanken machen. Ich zahle nat?rlich meinen Werkstattanteil weiter, mach dir dar?ber keine Sorgen.«

Carolin steht auf und setzt sich neben Daniel. Dann nimmt sie seine Hand und dr?ckt sie fest. »Daniel, das ist nun wirklich das Letzte, wor?ber ich mir gerade Gedanken mache. Ich bin traurig, dass es so kommt, denn du bist mein engster Freund.«

»Ich weiss. Aber gerade jetzt kann ich nur schwer ertragen, dein Kumpel zu sein.«

Ich schlafe schon tief und fest, als jemand an meinem K?rbchen r?ttelt. Ich blicke nach oben. Es ist der alte von Eschersbach! B?se funkelt er mich an.

»Los, aufstehen, Nichtsnutz! Du hast es dir hier lang genug bequem gemacht. Ich habe beschlossen, dass Carolin Abstand braucht von dir. Mindestens drei Monate. Also nimm deinen Kauknochen und raus mit dir!«

Mein Herz f?ngt an zu rasen. Ich will mich verstecken. Aber wo? Von Eschersbach greift nach mir, es gibt kein Entkommen. ?ngstlich jaule ich auf und versuche, mich unter meine Kuscheldecke zu ducken, aber da hat er mich schon am Schlafittchen. O nein! Ich werde wieder im Tierheim landen!

»Herkules, wach auf! Du tr?umst!«

Vorsichtig schaue ich hoch - und blicke in die Augen von Carolin, die mich verwundert anschaut.»Meine G?te, du machst so einen L?rm. Tr?umst du wieder von der Kaninchenjagd?«

Kaninchenjagd? Wenn die w?sste. Ich h?pfe aus meinem K?rbchen und kauere mich ganz eng an Carolin.

»Du zitterst ja, du Armer. Ist wohl eher ein Alptraum gewesen, was? Aber tr?ste dich. Ich kann auch nicht richtig gut schlafen. Das mit Daniel nimmt mich doch ziemlich mit. Warum muss bloss alles immer so kompliziert sein?« Sie seufzt. Ich auch. Dass bei Menschen immer alles kompliziert ist, habe ich schliesslich auch schon festgestellt. Zum Trost schlecke ich ihr die nackten Zehen ab. Sie kichert. »Das kitzelt, Herkules!«

Mit einem Griff unter mein B?uchlein nimmt sie mich auf den Arm. »Ich habe eine sehr gute Idee, wie wir beide den Rest der Nacht etwas ruhiger verbringen k?nnen. Du darfst heute noch einmal bei mir schlafen. Mir ist jetzt auch nicht so nach allein sein. Wahrscheinlich verziehe ich dich total, aber das ist mir jetztwurscht.«

Genau. Wurscht ist immer gut!

In Carolins Bett angekommen, kuschle ich mich gleich in eines der Kissen. Carolin legt sich auch wieder hin und streichelt mich.

»Weisst du, vielleicht war das auch alles Unsinn mit meiner Selbstfindung. Ich meine, es f?hlte sich ungef?hr einen Tag gut an, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher, ob das richtig war. Gut, Jens war ein Totalausfall. Aber Daniel ist erst mal weg. War das falsch? Ich meine, ihn gehen zulassen? Ich w?nschte, du k?nntest sprechen, Herkules. Deine Meinung w?sste ich nur zu gerne. Andererseits: Was h?tte ich anders machen k?nnen? Das, was sich Daniel w?nscht, ist einfach nicht drin. Ich bin nicht verliebt in ihn. Ich hatte selbst gehofft, ich k?nnte es sein. Aber es funktioniert nicht.«

Eine Weile ist sie ganz still, so dass ich schon denke, dass sie eingeschlafen ist. Aber dann redet sie weiter.

»Und bei Marc brauche ich mich wahrscheinlich auch nicht mehr zu melden. O Mann, ich glaube, ich hab’s total versaut. Dabei fand ich ihn schon sehr spannend. Warum habe ich ihm bloss gesagt, dass ich ihn nicht mehr sehen will?«

Ja. In der Tat. Warum eigentlich? Kein geschickter Schachzug. Ich hab’s ja gleich gesagt bzw. h?tte, wenn ich denn sprechen k?nnte. Aber auf mich h?rt doch sowieso kein Mensch.

»Der Marc ist schon nett, oder?« Ich schlecke wie zur Best?tigung einmal an ihrer Wange. »lieh, Herkules! Ich glaube dir auch so, dass du ihn magst. Ich mag ihn ja auch. Ehrlich gesagt hatte mich vor allem diese Sache mit Nina gest?rt. Sie ist eben meine beste Freundin. Und das Gef?hl zu haben, dass sie noch so in ihn verknallt ist, war nicht gerade sch?n. Verstehst du das?«

Pl?tzlich sch?pfe ich wieder Hoffnung f?r meinen Plan vom gl?cklichen Familienleben. M?glicherweise kommen wir doch noch ans Ziel. Wie genau, weiss ich zwar nicht, aber das ist erst mal zweitrangig. Auf alle F?lle kann es nicht schaden, mich als Frauenversteher zu positionieren. So erz?hlt Carolin vielleicht noch ein bisschen ?ber Marc. Ich gebe mir also M?he, Carolin m?glichst treu ins Auge zu blicken.

»Herrje, das ist ja ein richtiger Dackelblick. Du findest, das mit Marc war ein Fehler, nicht? Na ja, aber bei Nina hat er echt ein bisschen ?berreagiert. Die Arme. Gut, sie ist nicht die kinderfreundlichste, aber sie vor allen abzukanzeln? Auch nicht okay, oder?« Ich blinzele wieder und schn?ffele an ihr. »Das macht ihn doch irgendwie etwas unsympathisch.«

Brrr, auf keinen Fall! Ich sch?ttle den Kopf und knurre ein bisschen.

»Gut, dann sind wir da eben nicht einer Meinung. Ich finde schon, dass es ihn ein wenig unsympathisch macht. Insofern war es vielleicht doch die richtige Entscheidung. Ich meine, nach Thomas ist mein Bedarf an Cholerikern echt gedeckt.«

Wuff! Was redet sie sich da bloss wieder ein? Wer weiss schon, was genau Marc zu Nina und vor allem Nina zu Marc gesagt hat. Wenn ich es recht bedenke, passt Marc von allen mit Abstand am besten zu uns. Wenn es also nach mir geht, dann sollte Carolin ihn schleunigst anrufen und die Sache mit der Selbstfindung erst einmalauf Eis legen. Das kann sie doch hinterher immer noch machen. Ich stupse sie noch einmal in die Seite. Keine Reaktion. Unglaublich. Carolin ist tats?chlich eingeschlafen. Mitten in unserem interessanten Gespr?ch.

Aber ich kann nicht einschlafen. Noch nicht. In meinem Kopf rattern die Gedanken. Was sagen mir die Dinge, die ich?ber Menschen in den letzten Wochen gelernt habe, ?ber Carolin und die M?nner? Erstens: Sie findet Marc nett. Zweitens: Sie will aber nicht mit ihm sprechen, weil ihr das Gespr?ch im Caf? mittlerweile unangenehm ist. Und drittens: Deswegen redet sie sich ein, dass es sowieso nichts geworden w?re. Genau, so muss es sein! Daraus folgt viertens: Ich muss Marc dazu bringen, mit ihr zu sprechen. Aber wie mache ich das? Wie mache ich das bloss?

F?NFUNDZWANZIG

Also, deine Theorie ist, dass Marc doch der richtige Mann f?r Carolin ist und sie es nur nicht zugeben will. Denn dann m?sste sie ihn ja ansprechen, und das ist ihr peinlich. Und deswegen hat sie sich etwas zurechtkonstruiert, was angeblich an ihm nicht passt. Hm.« Herr Beck schaut sehr nachdenklich. »Donnerwetter. Du hast viel gelernt. Was allerdings kein Wunder ist, denn du hattest einen exzellenten Lehrmeister.«

»Ja, du bist toll. Aber was denkst du, sollte ich jetzt tun? Immerhin ist die Sache sehr kompliziert. Ich kann leider nicht einfach zu Marc marschieren und sagenHe, ruf endlich an!Andererseits f?rchte ich, wenn er nicht auftaucht, dann wird das nie etwas mit den beiden.«

Herr Beck nickt.»Tja. Kompliziert. Wirklich.«

Wir schweigen. Dann setzt Beck wieder an:»Im Grunde genommen kannst du nur eines machen: Lauf zur Praxis und hoffe, dass Marc das als Zeichen nimmt.«

»Als Zeichen? F?r was denn? Dass ihn ein Dackel verfolgt?«

Herr Beck kichert.»Siehst du! Alles hast du dann doch noch nicht ?ber die Menschen gelernt. Also: Wenn Menschen sich etwas sehr w?nschen, neigen sie dazu, in allem ein Zeichen zu erblicken. Was es meistens gar nicht ist. Also, nehmen wir mal an, der Mensch m?chte gerne Kinder haben. Dann wird er mit Sicherheit bald ?ber einen Kinderwagen stolpern. Und es f?r ein Zeichen halten, dass eigener Nachwuchs angezeigt ist. In Wirklichkeit ist es nat?rlich nur ein Zeichen daf?r, dass ihm jemand einen Kinderwagen in den Weg gestellt hat.« »Aha.«

Irgendwie verstehe ich Herrn Beck nicht ganz. Was hat denn jetzt ein Kinderwagen mit Marc und Carolin zu tun? Offensichtlich gucke ich bel?mmert, denn Herr Beck sch?ttelt den Kopf und wird g?nnerhaft.

»Es ist doch ganz einfach, Herkules: Wenn Marc sich nach Carolin sehnt und dann dich sieht, wird er es f?r ein Zeichen halten, dass er Kontakt mit ihr suchen sollte.«

»Ja, aber so ist es doch von mir auch gemeint. Das w?re doch Absicht.«

Herr Beck schnaubt ungeduldig.»Sicher. Aber das weiss doch Marc nicht. Der kommt nicht auf die Idee, dass ein Dackel einen Plan hat. Der sieht in dir doch nur ein einf?ltiges Tier. Und deswegen wird er glauben, es sei ein Zeichen. Verstanden?«

Ehrlich gesagt nein, aber das traue ich mich nicht zuzugeben.

»Also laufe ich jetzt zu Marc und hoffe, dass er mich irgendwie sieht?«

»Genau. So machst du es.«

Vor der Praxis angekommen, wird mir klar, dass unser Plan einen entscheidenden Sch?nheitsfehler hat: Um diese Zeit ist die Strasse hier ziemlich laut, einen bellenden Hund wird Marc wahrscheinlich gar nicht h?ren. Ausserdem wird er kaum zu Hause sein, sondern vielmehr in der Praxis arbeiten. Selbst wenn ich da reinkomme, werde ich mich wohl nicht an der Frau am Tresen vorbeimogeln k?nnen. Und ohne begleitenden Hundebesitzer schmeisst die mich wahrscheinlich gleich raus. Seit meiner Jagd auf Bobo und Schneeweisschen geniesse ich bei ihr bestimmt einen zweifelhaften Ruf.

Ich sitze also eine Weile auf dem B?rgersteig vor dem Hauseingang und denke nach. Weder nach Hause? Beck zur Hilfe holen? Nein, meine einzige Chance ist, in das Wartezimmer zu kommen und dort von Marc gesehen zu werden.

Als eine Frau mit einer Katze auf dem Arm den Hauseingang ansteuert, mache ich mich startbereit. Sie klingelt, die T?r geht auf, und ich schl?pfe hinter den beiden her. Die Katze beobachtet mich am?siert. »Na, Kleiner? Heimlich zum Tierarzt? Will Frauchen nicht glauben, dass du krank bist?«

Ich sch?ttle den Kopf. »Ne, ich bin quasi in geheimer Mission unterwegs. Und wenn man ?berhaupt von Krankheit sprechen kann, dann w?rde ich sagen: herzkrank. Aber nicht ich, sondern mein Frauchen. Und der Herr Doktor auch.«

»So, so. Verliebt ist er also. Die Nachricht wird in dieser Praxis ja einschlagen wie eine Bombe. Sch?tze, die H?lfte der Patienten hier wird nur angeschleppt, weil Frauchen sich mit dem Tierarzt unterhalten will. Ich zum Beispiel werde auch deutlich h?ufiger entwurmt, seit Wagner die Praxis von seinem Vater ?bernommen hat.«

Das freut mich nat?rlich. Schliesslich ist das Beste respektive der Beste f?r Carolin gerade gut genug, und man will sich ja keinen Ladenh?ter einhandeln. Es verdeutlicht mir aber auch, dass ich schnell handeln muss. Die Konkurrenz steht schon in den Startl?chern.

Vor dem Tresen macht die Katzenbesitzerin schliesslich Halt, um ihren Liebling anzumelden. Die junge Frau dahinter guckt erst zur Katze, dann zu mir.

»Oh, haben Sie jetzt auch einen Hund, Frau Urbanczik?«

Die sch?ttelt den Kopf. »Nein, warum?«

»Das kleine Kerlchen hier ist doch mit Ihnen hereingekommen.« Sie deutet auf mich.

»Ach, den habe ich gar nicht bemerkt, der muss mir einfach hinterhergelaufen sein. Aber das ist nicht mein Hund.«

Die junge Frau im Kittel schaut in den Warteraum.»Geh?rt irgendjemand dieser Hund?«

Auf den aufgereihten Plastikst?hlen sitzen drei Menschen, sie alle sch?tteln wortlos den Kopf. So, wenn Wagner nicht gleich auftaucht, ist mein Plan gescheitert. Denn die Helferin wird mich bestimmt gleich rausschmeissen. Ich setze meinen mideidigsten Blick auf.

»Hm, irgendwie kommt mir der Hund bekannt vor. Aber ohne Besitzer kann ich die meisten Tiere gar nicht zuordnen.« Sie ?berlegt. »Was machen wir denn jetzt mit dir? Ich will dich auch nicht einfach vor die T?r setzen. Wenn du allerdings ganz allein bist, sollten wir dich vielleicht ins Tierheim bringen, bis sich dein Herrchen findet.«

WUFF! Tierheim? Auf keinen Fall! Mist, ich habe mich offensichtlich gerade selbst ans Messer geliefert. Auweia, wie komme ich hier wieder raus? Und wo bleibt eigentlich Dr. Wagner? In diesem Moment geht die T?r des Sprechzimmers auf. Ich will schon meinem Sch?pfer danken, doch statt Marc Wagner kommt ein kleines M?dchen durch die T?re. Heute klappt aber auch nichts. Das kleine M?dchen guckt mich an. Es hat ganz grosse blaue Augen, braune lockige Haare und viele kleine braune Punkte auf derNase.

»Na, bist du der N?chste? Wie heisst du denn?«

»Wir wissen gar nicht, wie er heisst. Er scheint einfach so hereingekommen zu sein«, erkl?rt die Helferin dem M?dchen. »Ich werde gleich mal beim Tierheim anrufen.«

»Och n?!«, ruft das M?dchen. »Der ist doch so s?ss!« Sie b?ckt sich zu mir und krault mich hinter den Ohren. »Dann will ich ihn behalten. Warte, ich frage gleich mal Papa!«

Die Helferin l?chelt. »Aber, Luisa, so einfach geht das nicht. Ich bin mir sicher, dass der Kleine schon l?ngst ein Herrchen oder Frauchen hat, die ihn wahrscheinlich bald vermissen werden. Das Tierheim passt nur auf, bis sich die Besitzer melden.«

Das M?dchen, das Luisa heisst, verzieht den Mund. »Er ist so niedlich. Ich will ihn behalten!« Spricht’s und stampft davon in Richtung Sprechzimmer. Durch die halb ge?ffnete T?r h?rt man sie mit jemandem sprechen.

»Papa, draussen sitzt ein niedlicher Hund, der ganz allein ist. Guck doch mal, ich glaube, der braucht unsere Hilfe. K?nnen wir ihn nicht behalten? Frau Warnke will ihn ins Tierheim bringen.«

Papa? Mit wem spricht das Kind da bloss?

Die T?r zum Sprechzimmer schwingt jetzt wieder ganz auf und heraus kommen Luisa - und Marc Wagner! Wagner ist »Papa«? Heisst das etwa, Wagner hat ein Kind? Und demnach auch eine Frau? V?llig verwirrt lasse ich mich auf den Po plumpsen.

»Herkules! Was machst du denn hier?«

»Sie kennen das Tier?«

»Ja, Frau Warnke. Das ist der Hund von Frau Neumann. Ist er wirklich allein hier?«

»Ja, er ist eben mit reingekommen, als Frau Urbanczik ihre Katze anmelden wollte. Ich dachte schon, ich m?sste das Tierheim anrufen. Aber wenn Sie den Hund kennen, dann rufe ich jetzt einfach die Besitzerin an.«

Marc Wagner?berlegt kurz. »Warten Sie damit noch einen Augenblick. Und du kommst mal mit rein, Herkules.«

»Ich will auch mit!«, ruft Luisa und l?uft hinter Wagner her. Als wir alle im Sprechzimmer sind, schliesst Wagner die T?r hinter uns. Dann hebt er mich auf den Untersuchungstisch und mustert mich.

»So, Herkules. Dann erz?hl mal. Wieder jemand in Not?«

Luisa kichert.»Aber, Papa, Hunde k?nnen doch nicht sprechen.«

»Du wirst dich wundern, mein Schatz. Dieser schon!«

Genau! Zur Best?tigung belle ich einmal kurz. Luisa macht grosse Augen.

»Also, weiss Carolin, dass du hier bist?«

Ich sch?ttle den Kopf, so gut ich kann. Dann packe ich mit meinem Fang vorsichtig einen Armel von Wagners Kittel und ziehe daran.

»Ich soll mitkommen? Zu Carolin?«

Ich kl?ffe zweimal. Ich weiss zwar nicht, ob man als Zeichen so direkt sein darf, aber Herrn Beck kann ich schlecht fragen.

»Also, Herkules, ich weiss nicht, ob das so eine gute Idee ist.«

Aha. Er hat n?mlich schon eine Frau. Wahrscheinlich ist es das. Ich lasse deprimiert den Kopf sinken.

»Ach komm, sei nicht traurig. Ich w?rde liebend gerne mitkommen. Aber dein Frauchen hat eindeutig gesagt, dass sie mich nicht mehr treffen will. Glaube mir, dagegen zu verstossen, kommt bei Frauen gar nicht gut an.«

Doch keine andere Frau? Sondern Taktik? Ich bin einigermassen verwirrt, beschliesse aber, mich davon nicht ablenken zu lassen. Offenbar hat Wagner nach wie vor Interesse an Carolin, das soll mir reichen. Vielleicht gibt es auch f?r alles eine gute Erkl?rung.

»Ich habe eine viel bessere Idee. Daf?r musst du jetzt aber mal ehrlich zu mir sein. Weisst du noch, als ich dich nach deinem Anfall neulich untersucht habe?«

Wie k?nnte ich das vergessen? Ich versuche also wieder zu nicken.

»Sehr gut. Ich hatte damals offen gestanden den Eindruck, dass es dir ganz hervorragend geht. Ist es denkbar, dass dieser Anfall Ausdruck deines enormen schauspielerischen K?nnens war?«

Ertappt. Wie peinlich.

»Also, Papa, jetzt verstehe ich gar nichts mehr.« »Warte mal ab, Luisa. So, Herkules, komm: Mach den Anfall!«

Bitte, soll das etwa ein Kommando sein?»Mach den Anfall, los!«

Na, wenn er meint. Das kann er haben. Ich lasse mich auf die linke Seite kippen und fange an, mit Vorder-und Hinterl?ufen gleichzeitig zu zucken. Winde mich, sch?ume, jaule -und achte gleichzeitig darauf, nicht vom Untersuchungstisch zu fallen. Ich finde, es ist eine ziemlich beeindruckende Vorstellung. Luisa reisst die Augen noch ein St?ck weiter auf, Wagner grinst.

»Donnerwetter. Unser Dackel ist ein Staatsschauspieler. Ich hab’s ja gewusst. So, braver Hund, kannst aufh?ren.«

Ich bleibe ruhig liegen, Luisa krault mich am Bauch.

»Das war ja wie im Zirkus, Papa!«

»Richtig.«

»Und was passiert jetzt?«

»Jetzt soll der liebe Herkules mal wieder nach Hause laufen. Und dort, Herkules, wirst du diesen sch?nen Anfall noch mal deinem Frauchen vorf?hren. Es sollte mich sehr wundern, wenn sie sich darauf nicht bei mir meldet. Und dann erscheine ich als Retter in der Not. Alles klar?«

Alles klar! Ein Spitzenplan. Er k?nnte glatt von mir und Herrn Beck sein. Ich springe wieder auf und belle einmal kurz. Dann hebt mich Wagner vom Tisch und bringt mich nach draussen.

»So, du weisst, was du zu tun hast. Ich warte auf Carolins Anruf!«

Ich winde mich in furchtbaren Kr?mpfen. Dies muss einfach die ?berzeugendste Darstellung sein, die ich jemals abgeliefert habe. Kaum war Daniel heute weg, schon habe ich mich noch in der Werkstatt praktisch direkt vor Carolins F?sse geworfen. Die scheint mir den Anfall abzukaufen, sie ist vor Schreck ganz weiss um die Nase. Ich hoffe, sie reagiert so, wie Wagner es vorausgesagt hat.

Tats?chlich - sie holt das Telefon!

»Neumann hier. Ist Dr. Wagner zu sprechen? Danke.« Sie wartet kurz. »Hallo, Marc, hier ist Carolin. Es tut mir leid, dich zu st?ren, aber Herkules hat gerade wieder einen ganz furchtbaren Anfall. Viel schlimmer als beim letzten Mal. Ja? Du kommst gleich vorbei? Vielen Dank, das ist furchtbar nett von dir. Wir sind in der Werkstatt.«

Ziel erreicht! Ich kann meinen Anfall also langsam ausklingen lassen. Wurde auch ein bisschen anstrengend. Ruhig liege ich auf dem R?cken und mime den v?llig Ersch?pften. Carolin setzt sich neben mich auf den Boden und krault mich.

»Armer Herkules. Du tust mir so leid. Aber gleich kommt Dr. Wagner, und dann wird alles gut. Bestimmt.«

Kurz darauf klingelt es schon an der T?r. Wagner muss sofort losgest?rmt sein. Er kommt rein und stellt seinen Arztkoffer neben mir ab. Dann untersucht er mich genau so wie beim letzten Mal, macht ab und zuhm, hmund setzt sich dann neben Carolin.

»Also, ich kann eine Epilepsie nun tats?chlich nicht mehr ausschliessen. Ich mache dir deswegen folgenden Vorschlag:

Ich bin morgen Vormittag sowieso auf Schloss Eschersbach. Was h?ltst du davon, wenn ich euch beide morgen fr?h einsammle und wir fahren zusammen. Dann werden wir schnell herausfinden, ob Herkules wirklich ein geb?rtigervon Eschersbachist und ob es erbliche Epilepsie sein k?nnte.«

»Ja«, sagt Carolin leise, »das klingt nach einer sehr guten Idee. Ich komme gerne mit, vielen Dank.«

Schloss Eschersbach? Mit Carolin und Marc! Sensationell! Ich m?chte am liebsten vor Freude hoch in die Luft springen, lasse es aber. Das s?he wahrscheinlich nicht sonderlich ersch?pft aus.

Der Himmel ist strahlend blau. Ganz so, wie er an einem so wichtigen Tag sein muss. Und wichtig ist dieser Tag, daran habe ich keinen Zweifel. Ich werde Schloss Eschersbach und meine Familie wiedersehen. Und wenn Wagners Plan aufgeht, dann gibt es doch noch eine Chance f?r ihn und Carolin. Wie genau er sich das vorstellt, habe ich nicht verstanden. Aber ich verlasse mich mal darauf, dass er sich ausreichend Gedanken gemacht hat. Wie sagte Herr Beck so sch?n? Ein Typ, der einen Hund braucht, um die Frau seines Herzens zu gewinnen, der hat schlechte Karten. Also halte ich mich ab jetzt fein raus.

Ungeduldig warte ich darauf, dass Wagner endlich kommt. Carolin scheint auch nerv?s zu sein. Sie schaut immer wieder auf die Uhr. Da klopft es an die Fensterscheibe der Terrassent?r. Wagner - und er hat Luisa mitgebracht.

Carolin?ffnet die T?r.

»Hallo! Und? Bereit f?r unseren Ausflug?«

»Hallo, ja, ich bin schon fertig.« Sie schaut zu Luisa. Wagner folgt ihrem Blick.

»Ich habe heute jemanden mitgebracht, den ich dir gerne vorstellen w?rde. Das ist Luisa, meine Tochter. Luisa, das ist Carolin.«

Na, wenn das mal eine gute Idee war. Der Nachwuchs von fremden Dackeldamen ist bei H?ndinnen jedenfalls nicht gut gelitten. Hoffentlich ist das bei Menschen anders. Ein Blick auf Carolins Gesicht sagt mir, dass es in der Menschenwelt ?hnliche Spannungsfelder gibt.

»Deine Tochter? Ich verstehe nicht ganz …«

»Ich war schon einmal verheiratet. Luisa ist meine Tochter. Sie lebt meistens bei Sabine, ihrer Mutter. Aber momentan sind Schulferien, und die verbringt Luisa immer bei mir.« Er holt tief Luft. Irgendetwas Bedeutsames muss er wohl noch sagen. »Tja, und weil ihr mir beide so wichtig seid, wollte ich, dass ihr euch kennt.«

»Du hast eine Tochter.« Carolin wiederholt es noch einmal, als h?tte sie nicht richtig verstanden.

»Ja. Und was f?r eine. Ein tolles M?dchen.«

Luisa streckt Carolin die Hand entgegen.»Hallo!«

Jetzt l?chelt Carolin. Von meinem Herzen f?llt ein ziemlich grosser Stein.

»Hallo, Luisa. Sch?n, dich kennenzulernen.«

»Darf ich mal in den Garten? Ich habe da eine Schaukel gesehen.«

»Nat?rlich, geh nur.«

Als Luisa gegangen ist, sagen beide erst einmal nichts. Dann r?uspert sich Marc.

»Luisa ist so oft es geht bei mir. Ich m?chte n?mlich kein Wochenendpapa sein. Das wollte ich nie. Unter der Trennung sollte sie so wenig wie m?glich leiden. Sabine und ich ?berlegen auch, ob Luisa demn?chst ganz zu mir zieht. Sabine ist Stewardess und will jetzt wieder mehr arbeiten. Ehrlich gesagt, freue ich mich schon sehr darauf. Es wird zwar stressiger werden, aber ich m?chte gerne den Alltag meines Kindes mit ihm teilen. Sie werden so schnell gross, und dann ist die Zeit vorbei und kommt nicht wieder.«

»Hast du dich deswegen so mit Nina gestritten? Weil sie dir gesagt hat, wie ?tzend sie Kinder findet?«

Wagner nickt.»Auch. Aber es war nicht nur das. Schon beim zweiten Treffen war mir eigentlich klar, dass der Funke nicht so richtig ?berspringen will. Aber ihr Ausraster am Strand war dann schon ziemlich heftig. Ich hatte ihr noch nicht von Luisa erz?hlt, wollte es aber eigentlich gerade tun. Na ja. Du kennst ja die Geschichte. F?r mich sind Kinder eben sehr wichtig. Mir war sofort klar, dass das keinen Sinn hat.«

»Ja, ich verstehe, dass dich das getroffen hat.«

»Tja, und als du sagtest, dass du mich erst mal nicht sehen willst, da h?tte ich dir am liebsten die ganze Geschichte aus meiner Sicht erz?hlt. Aber du klangst so entschlossen, und ich wollte auch nicht schlecht ?ber deine beste Freundin reden.«

Carolin greift nach seiner Hand und dr?ckt sie. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Im Nachhinein habe ich mich ?ber mich selbst ge?rgert. Denn eigentlich bin ich sehr gerne mit dir zusammen.«

Wagner l?chelt. »Na, dann haben wir ja Gl?ck im Ungl?ck, dass Herkules so schwach bei Gesundheit ist.« Er zwinkert mir zu.

»Apropos Gesundheit: Meinst du, f?r Herkules ist es schlimm, wieder dorthin zu fahren? Ich meine, immerhin haben diese Leute ihn ins Tierheim gegeben?«

»Im Gegenteil. Er hat doch jetzt einen grossen Auftritt.«

»Ach ja?«

»Na, immerhin ist er m?glicherweise der angehende Hund des Tierarztes.«

Carolin schaut ihn an.»So, meinst du?«

»Ja. M?glicherweise.« Er z?gert kurz. »Quatsch! Ich bin mir ganz sicher.«

Dann zieht Marc Carolin dicht an sich heran und k?sst sie ganz sanft auf die Nase. In diesem Moment kommt Luisa wieder aus dem Garten zur?ck.

»Mensch, Papa! Du bist echt peinlich!«

Marc l?sst Carolin los. »Ne, ich bin verliebt!«

Carolin stellt sich auf die Zehenspitzen und fl?stert Marc etwas ins Ohr. Aber so leise kann sie gar nicht fl?stern, dass ich es mit meinen hervorragenden Ohren nicht geh?rt h?tte:»Ich bin es auch.«

Ich schaue mit dem Kopf aus dem offenen Wagenfenster, und meine Ohren wehen im Wind. Heute ist wirklich ein ganz hervorragender Tag. Carl-Leopold von Eschersbach darf auf Schloss Eschersbach zur?ckkehren. Ich horche kurz in mich hinein. Nein. Es ist in Wirklichkeit ganz anders, viel sch?ner: Herkules Neumann erweist Schloss Eschersbach die Ehre seines Besuchs.

2. KATZENJAMMER

EINS

Mein Leben ist sch?n. Und es wird t?glich sch?ner. Zufrieden r?kle ich mich auf dem kleinen Rasenst?ckchen unseres Vorgartens und beobachte drei M?nner dabei, wie sie schwere Kartons aus unserem Haus heraustragen und in dem grossen Lastwagen verstauen, der auf der Strasse davor parkt.

Ein tiefes Seufzen neben mir erinnert mich daran, dass nicht alle mit dem heutigen Tag so gl?cklich sind wie ich. Ich schaue ?ber meine Schulter und sehe meinen Freund, den Kater Herrn Beck, der langsam auf mich zugeschlichen kommt.

»So. Und das soll nun also das vielbeschworene Happy End sein. Na ja.« Becks negative Ausstrahlung macht mich noch wahnsinnig! Warum kann er sich nicht einfach mal mit mir freuen?

»Ja, das ist das Happy End, Punkt!«

»Meiner Erfahrung nach gibt es das bei Menschen gar nicht. Gl?ckliche Enden, meine ich. Die finden immer ein Haar in der Suppe.«

»Okay, von mir aus. Auf alle F?lle ist es MEIN Happy End.« Beck seufzt und sch?ttelt den Kopf. Das sieht bei einem dicken schwarzen Kater immer sehr fatalistisch aus. »Also dann wird es jetzt ernst, oder?« Er setzt sich neben mich.

»Ja, ich sch?tze mal noch zehn Kartons, dann sind sie fertig. « Beck nickt und schweigt. Vielsagend, wie mir scheint.

»Nun komm schon! F?r uns wird sich gar nichts ?ndern. Wir bleiben weiterhin die besten Freunde.« Beck sagt nichts. »Okay, ich verstehe ja, dass es f?r dich netter w?re, wenn wir weiterhin im gleichen Haus wohnen w?rden. Aber ich habe mir immer eine richtige Familie gew?nscht. Und dazu geh?ren f?r mich eben mehrere Menschen. Und Kinder. Ich bin so froh, dass Carolin gl?cklich mit Marc ist, ich w?re mit ihr auch sonst wohin gezogen. Und jetzt ist es doch nur die andere Seite des Parks.« Beck sagt immer noch nichts. Ich unternehme einen letzten Anlauf. »Ausserdem bin ich tags?berimmer noch da. Ihre Werkstatt beh?lt Carolin schliesslich hier im Haus. Es geht doch nur um die Wohnung.« Becks Schwanzspitze zuckt.

»Lass gut sein, Kumpel. Ich hatte mich eben doch mehr an dich gew?hnt, als ich es selbst f?r m?glich gehalten h?tte. An einen Dackel! Das muss man sich mal vorstellen. H?tte man mir das vor einem Jahr geweissagt, ich h?tte es mit Abscheu und Emp?rung von mir gewiesen. Offensichtlich werde ich altersmilde.«

»Nee, ich w?rde sagen, du bist einfach schlauer geworden und hast erkannt, dass der Hund nicht nur der beste Freund des Menschen, sondern auch des Katers ist. Ist doch nicht das Schlechteste.« F?r diese Bemerkung ernte ich einen weiteren abgrundtiefen Seufzer. Gut, das hat wohl keinen Sinn. Dann soll er eben weiter hier rumh?ngen und Tr?bsal blasen. Das ist f?r mich an diesem aufregenden Tag nat?rlich keine Alternative, und ich beschliesse nachzuschauen, wie weit Carolin schon mit dem ganzen Krimskrams ist, der nicht in Kartons gepackt wurde. Vielleicht kann ich noch irgendwas aus demK?hlschrank abstauben? Ich bilde mir ein, dass der heute Morgen noch gut gef?llt war. Zumindest roch es ganz vielversprechend, als Carolin ihn ?ffnete, um eine T?te Milch herauszunehmen.

Die Wohnung– unsere Wohnung! – sieht ganz seltsam aus: Das Sofa, auf dem Carolin und ich so oft zusammen gekuschelt haben, fehlt, ebenso alle anderen M?bel. Nur das kleine Tischchen mit dem Telefon steht noch im Wohnzimmer, einsam und verlassen. Ansonsten wirkt der Raum nun wie eine Halle. Ich gebe es ungern zu, aber bei diesem Anblick wird mir doch ein bisschen mulmig, und ich hoffe, dass Becks Bemerkung ?ber Menschen und das Fehlen von gl?cklichen Enden nur sein ?bliches Geunke war. Carolin und Marc werden sich das schon gr?ndlich ?berlegt haben.

In diesem Moment packen mich zwei riesige H?nde und wuchten mich nach oben. Autsch! Nicht so grob!

»Na, Kleiner? Was stromerst du denn noch hier rum?« Ich blicke direkt in die Augen eines dunkelhaarigen Mannes, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Er geh?rt offensichtlich zu den Menschen, die gerade die Wohnung ausr?umen, jedenfalls tr?gt er die gleichen Arbeitsklamotten wie die anderen undriecht nach Schweiss. Jetzt wiegt er mich ein wenig hin und her, als w?rde er ?berlegen, was er mit mir anstellen soll.Sofort runterlassen!, m?chte ich am liebsten laut rufen, ich bin schliesslich kein M?belst?ck. In Ermangelung einer menschlichen Stimme muss ich mich aber leider darauf beschr?nken, den Typen anzuknurren. Der zieht die Augenbrauen hoch.

»Nanu? Wirste etwa frech?«

Bitte? Wer r?ckt denn hier wem auf die Pelle? Ich knurre noch lauter. Vorsicht! Normalerweise beisse ich nicht, aber wenn es gar nicht anders geht …

»Also gut, du hast es nicht anders gewollt.«

Mit diesen Worten setzt mich Herr Grobian in den Umzugskarton, der noch neben dem Telefontischchen steht. Bevor ich auch nur daran denken kann herauszuh?pfen, schliesst er den Deckel. Um mich herum wird es dunkel, und der Geruch von Pappe und Staub steigt in meine Nase. Sofort schwappt eine Woge der Erinnerung ?ber mich hinweg: Schloss Eschersbach, mein Geburtsort, und der alte von Eschersbach, der mich in einen ebensolchen Karton hebt. Mich, den Dackelmischling Carl-Leopold, den er in seiner Zucht nicht duldet. Mein Erstaunen, als ich beim Verlassen des Kartons feststelle, dass ich nicht mehr zu Hause, sondern an einem Ort namens Tierheim bin. Und mein Entsetzen, als sich dieser Ort als wahrer Alptraum herausstellt, aus dem mich Carolin allerdings schon nach einem Tag rettet. Und mich fortan Herkules nennt. Ich beginne zu winseln.

»He, Sie! Haben Sie da etwa gerade meinen Hund in einen Karton gesteckt?«

Durch die Pappe klingt Carolins Stimme ganz dumpf, trotzdem erkenne ich sie nat?rlich sofort. Der Deckel wird wieder aufgeklappt, Carolins Gesicht erscheint am oberen Rand, mit ihren grossen, hellen Augen schaut sie mich mitleidig an.

»Du Armer! Kein Wunder, dass du weinst! Ganz allein in diesem dunklen, engen Karton!«

Sie hebt mich heraus und streichelt mir?ber den Kopf.

»Alles wieder gut, Herkules. Und Sie merken sich mal eines«, faucht sie den Mann an, »Finger weg von meinem Hund, sonst gibt es gleich richtig ?rger!«

Der guckt sie so bl?d an, wie es tats?chlich nur Menschen k?nnen. Nat?rlich – wenn denkende Wesen dem Stumpfsinn anheimfallen, ist es eben viel dramatischer, als wenn beispielsweise ein Goldfisch komplett unterbelichtet ist.

»Is ja gut, is ja gut – ich wollte dem Kleinen doch nichts tun. Nur ein bisschen mit ihm spielen!«

Aha, der wollte nur spielen. Unter Hundebesitzern ja angeblich eine beliebte Ausrede f?r verzogene Vierbeiner. Dass jetzt schon Zweibeiner darauf zur?ckgreifen, sagt so einiges ?ber den Zustand aus, in dem sich die Menschheit befindet. Carolin setzt mich wieder auf den Boden, und ich ?berlege kurz, ob ich an dem Idioten mein Bein heben soll – verwerfe den Gedanken aber als niveaulos. Ein Carl-Leopold von Eschersbach pinkelt nicht aufs Parkett.

Der Mann verzieht sich, und Carolin kniet sich neben mich und streicht sich eine Str?hne ihres langen blonden Haares aus dem Gesicht.

»So, Herkules, den sind wir erst mal los. Aber vielleicht gehst du trotzdem wieder in den Garten? Nicht, dass dir gleich der N?chste auf die Pfoten tritt.«

Auf keinen Fall! Meine Mission lautet schliesslich K?hlschrank! Ich laufe also Richtung K?che. Dort angekommen, warte ich, bis Carolin mir gefolgt ist, setze mich auf meinen Po und gucke sie so treuherzig an, wie es mir als Dackel nur m?glich ist. Zur Unterstreichung meiner Bed?rftigkeit fiepe ich noch ein bisschen und hebe eine Vorderpfote. Carolin lacht.

»Aha, daher weht der Wind! Monsieur hat Hunger. Na gut, ein kleiner Snack ist wohl okay.« Sie ?ffnet die K?hlschrankt?r und nimmt ein Sch?lchen heraus. Hm, obwohl die Portion kalt ist, breitet sich ein verf?hrerischer Geruch in der K?che aus. Lecker! Herz!

»Also, die Mikrowelle ist schon verpackt, die T?pfe auch. Frisst du es auch kalt?«

Klaro! Immer her damit! Sie stellt mir das Sch?lchen vor die F?sse, und ich mache mich gleich dar?ber her.

»Ach, hier steckst du!« Marc steckt seinen Kopf durch die K?chent?r. Carolin dreht sich zu ihm herum und strahlt ihn an.

»Herkules hatte ein bisschen Hunger, und den K?hlschrank muss ich sowieso noch ausr?umen. Hast du auch Appetit auf irgendetwas?«

Marc stellt sich neben sie.

»Hm, lass mal ?berlegen. Ja, es gibt tats?chlich etwas, worauf ich richtig Appetit habe.« Blitzschnell packt er Carolin, zieht sie in seine Arme und gibt ihr einen langen Kuss. Mir wird ganz warm und wohlig. Von wegen »kein Happy End« – die beiden sind gl?cklich miteinander, das sieht ein Blinder mit Kr?ckstock. Selbst, wenn er ein Kater ist.

Carolin kichert und strampelt sich los.

»He, so werden wir hier nicht fertig! Also, m?chtest du nun noch einen Joghurt oder vielleicht ein St?ck Salami?«

Marc sch?ttelt den Kopf.

»Nein, danke! Ich wollte eigentlich nur schauen, wie weit ihr hier seid. Meinst du, ihr schafft den Rest in einer halben Stunde? Oder brauchen die Jungs noch l?nger? Denn dann w?rde ich jetzt schon mal Luisa von der Schule abholen. Sie war heute Morgen ziemlich aufgeregt, ich habe ihr versprochen, dass sie heute nicht in den Hort zu gehen braucht.«

Carolin nickt.

»Ja, das ist eine gute Idee, mach mal. Wenn sie auch nur ansatzweise so aufgeregt ist wie ich, braucht sie bestimmt ein bisschen v?terlichen Beistand. Und ich glaube, wir kommen in der n?chsten Stunde auch ohne dich aus.«

»Alles klar, dann d?se ich mal los.« Er dreht sich, um zu gehen, ?berlegt es sich dann aber anders und nimmt Carolin wieder in den Arm.

»Glaub mir, ich bin auch verdammt aufgeregt. Aber auch verdammt gl?cklich.« Dann k?sst er sie noch einmal und verschwindet aus der K?che. Carolin schaut ihm eine ganze Weile versonnen hinterher, dann sch?ttelt sie kurz den Kopf.

»So, Herkules. Genug getr?umt! Wenn wir in einer Stunde fertig sein wollen, gibt es noch einiges zu tun.« Sie ?ffnet wieder die K?hlschrankt?r und beginnt, diverse Flaschen und Schalen herauszur?umen. Einige verstaut sie in einem Karton, der neben ihr auf dem Boden steht, andere wirft sie in den grossen M?llsack neben der K?chent?r.

Gut, etwas zu fressen scheint es also nicht mehr zu geben, dann kann ich eigentlich auch wieder in den Garten. Menschen beim Aufr?umen zuzusehen ist nicht wirklich interessant.

Unten angekommen, halte ich kurz Ausschau nach Herrn Beck, sehe ihn aber nirgends. Daf?r komme ich an Marc vorbei, der offenbar noch nicht losgefahren ist, sondern zwei M?belpackern irgendwelche Anweisungen gibt. Als er mich sieht, beugt er sich zu mir herunter.

»Sag mal, Herkules, hast du vielleicht Lust mitzukommen, wenn ich Luisa abhole? Ich glaube, sie w?rde sich freuen, dich zu sehen.«

Ich wedele mit dem Schwanz– nat?rlich habe ich dazu Lust! Luisa ist ein wirklich nettes M?dchen, und seitdem Carolin und ich so viel Zeit bei Marc verbringen, habe ich seine Tochter schon richtig ins Herz geschlossen. Schliesslich hat sie auch noch Lust, mit mir spazieren zu gehen, wenn alle anderen Menschen l?ngst streiken.

»Gut, Kumpel, dann mal ab ins Auto, die Schule ist gleich aus.«

Kurze Zeit sp?ter h?lt Marc vor einem grossen Geb?ude, das wie ein riesiger Schuhkarton mit Fenstern aussieht. Nein, eigentlich eher wie vier riesige Schuhkartons, von denen man zwei aufeinandergestapelt und die beiden anderen links und rechts davon platziert hat. Marc steigt aus und ?ffnet mir die T?r, ich h?pfe direkt auf den B?rgersteig. Wir laufen los und kommen auf eine grosse Wiese, die direkt vor dem Schuhkarton-Haus liegt. Ein paar Kinder spielen hier mit einem Ball, die Sonne scheint, eine Mutter sitzt mit ihrem Baby auf dem Arm auf einer Bank. Ein friedliches Bild. Das Leben mit Kindern muss einfach sch?n sein.

Keine drei Sekunden sp?ter ist es mit der Ruhe vorbei. Erst ert?nt eine Klingel, und dann bricht ein wahrer H?llenl?rm los: Durch die gl?serne Eingangst?r des Hauses kann ich sehen, wie Kinder geradezu rudelweise auf den Flur st?rzen und sich ihren Weg Richtung Ausgang bahnen. Die Glast?r schwingt auf, die Kinder schubsen und dr?ngeln nach draussen, sie lachen und singen – und das alles in einer ohrenbet?ubenden Lautst?rke.

Das ist nun wirklich?berhaupt nicht mein Fall, Dackelohren sind schliesslich sehr empfindlich. Aber gerade, als ich ?berlege, schon mal allein zum Auto zur?ckzulaufen, kommt Luisa aus dem Geb?ude. Sie sieht uns sofort und kommt her?bergelaufen.

»Papa! Herkules!« Marc bekommt einen schnellen Kuss, dann beugt sich Luisa sofort zu mir herunter und krault mich unter der Schnauze.

»Herkules, mein S?sser! Das ist aber lieb, dass du mich abholst. Seid ihr denn schon fertig mit Packen?« Sie stellt sich wieder auf.

»Ich glaube, ein bisschen braucht Caro noch«, antwortet Marc, »aber heute Nachmittag sollte alles ?ber die B?hne sein.« Luisa nickt, und ihre dunklen, lockigen Z?pfe wippen lustig hin und her.

»Dann k?nnen wir doch schnell nach Hause fahren. Ich habe eine ?berraschung f?r Carolin gebastelt.«

Eine?berraschung? Das klingt gut. Aber warum eigentlich nur f?r Carolin? Schliesslich zieht nicht nur sie bei Marc und Luisa ein – ich bin auch mit von der Partie.

»Was ist es denn f?r eine ?berraschung?«, will Marc wissen.

»Das wird nicht verraten, Papa. Fahr uns einfach nach Hause, dann wirst du es gleich sehen.«

Marc l?chelt.

»Na gut. Stets zu Diensten, meine Prinzessin.«

»Herr Dr. Wagner, da sind Sie ja endlich!« Die junge Frau, die Marc immer in seiner Tierarztpraxis hilft, st?rzt sich gleich auf ihn, kaum dass wir das Haus betreten haben. »Frau Deithard hat schon dreimal angerufen, weil sie sich solche Sorgen um Caramel macht. K?nnen Sie sie kurz zur?ckrufen? «

Marc rollt genervt mit den Augen.

»Ich habe doch gesagt, dass die Praxis heute geschlossen ist und Sie mir nur die absoluten Notf?lle auf den Hals hetzen d?rfen und sich ansonsten mal um die Buchhaltung k?mmern sollen, Frau Warnke. Und wir wissen doch wohl beide, dass Caramel kein absoluter Notfall ist.«

Frau Warnke guckt schuldbewusst, aber nur circa drei Sekunden lang. Dann l?chelt sie.

»Na ja. Aber wir wissen auch beide, dass immerhin Frau Deithard selbst ein absoluter Notfall ist. Ohne Sie, lieber Herr Doktor, ist diese Frau wirklich kreuzungl?cklich. Also seien Sie nett und rufen Sie sie an.«

B?se Stimmen behaupten, dass einige Frauchen nur mit ihren Tieren in die Praxis kommen, weil Marc so gut aussieht. Und ganz offensichtlich ist auch diese Frau Deithard Marcs vollen, dunklen Haaren und blauen Augen verfallen. Aber nix da! Der geh?rt zu uns!

Luisa mischt sich ein.

»Nee, zuerst gehen wir nach oben in die Wohnung. Ich muss noch meine ?berraschung auspacken, bevor Carolin kommt.«

»Sie h?ren es, Frau Warnke. Ich werde an anderer Stelle viel dringender ben?tigt. Denn falls hier nicht alles fertig ist, wenn der M?belwagen meiner Freundin ankommt, dann habe ich gleich mit zwei Frauen Stress.«

Frau Warnke grinst.

»Aye, aye, Chef. Aber ich erinnere Sie sp?ter nochmal an Frau Deithard. Die bringt es n?mlich sonst fertig und steht h?chstpers?nlich vor der T?r – geschlossene Praxis oder nicht. Und das w?re Ihnen dann bestimmt auch nicht recht.«

Marc seufzt.

»Okay, ich rufe sie nachher an. Versprochen. Und jetzt zeig mir mal, was es mit deiner ?berraschung auf sich hat, Luisa.«

Im ersten Stock angekommen, stellt Luisa ihre Tasche in den Flur und nestelt am Verschluss. Neugierig komme ich etwas n?her. Lustig, so eine grosse bunte Tasche mit Schlaufen. Ich schn?ffele daran. Sie riecht ein bisschen nach Butterbrot und Apfelsaft – und ganz viel nach Luisa.

»Das ist mein Schulranzen, Herkules.«

Sie?ffnet eine Klappe und holt etwas heraus, das wie eine Rolle Papier aussieht. Also ziemlich unspektakul?r. Und das soll nun die grosse ?berraschung sein? Ich bin entt?uscht. Ich hatte etwas erwartet, das mindestens auf der Stufe von Fleischwurst oder Kauknochen rangiert, was auch immer das f?reinen Menschen sein k?nnte. Sie gibt Marc das Papier, er rollt es auf. Es ist ziemlich lang, und Marc schaut es sich gr?ndlich an. Leider kann ich von unten nicht sehen, was er sieht – aber es muss dann doch etwas Tolles sein. Jedenfalls f?ngt er auf einmal an zu l?cheln, legt das Papier zurSeite und nimmt Luisa in den Arm.

»Vielen Dank, mein Schatz. Das bedeutet mir ganz viel. Und Carolin mit Sicherheit auch. Es ist auch wirklich sehr sch?n geworden.« Luisa nickt.

»Nicht wahr? Ich habe mir auch echt viel M?he gegeben und die ganzen zwei Stunden Kunstunterricht daf?r gebraucht. Eigentlich sollten wir einen Leuchtturm malen, aber als ich Frau Spengler erkl?rt habe, was ich machen will und wof?r ich es brauche, war sie gleich einverstanden.«

Na toll. An mich denkt nat?rlich wieder keiner. Hallo, ihr beiden Menschen! Ich will endlich wissen, wor?ber ihr redet! Zeigt mir doch auch mal die Rolle! Vielleicht muss ich mir ein bisschen mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Ich fange also an zu fiepen und springe an Marc hoch.

»Musst du mal raus, Herkules?«

Ignorant. Und du willst Tierarzt sein? Dann solltest du doch ein Mindestmass an Einf?hlungsverm?gen f?r Vierbeiner besitzen. Aber wenigstens Luisa scheint zu haben, was ihrem Vater fehlt. Sie schnappt sich die Rolle und h?lt sie mir vor die Nase.

»Hier, guck mal, Herkules. Sch?n, oder?«

Das ganze Papier ist bunt bemalt und beklebt, ausserdem glitzert es. Schaut h?bsch aus, auch wenn ich als Dackel wirklich nicht der Farbenspezialist bin. Aber was genau soll das sein?

»Guck mal: hier stehtHerzlich Willkommen, Carolin! Sch?n, dass du da bist! Und daneben habe ich uns alle gemalt, auch dich, Herkules.«

Stimmt. Ich erkenne eindeutig drei Figuren, die wohl ein Mann, eine Frau und ein Kind sein sollen– und daneben einen kleinen Hund mit langen Ohren. ?ber die Proportionen m?ssten wir uns nochmal unterhalten, aber nat?rlich f?hle ich mich geschmeichelt, dass mich Luisa hier verewigt hat. Der Sinn der Rolle ist mir allerdings immer noch nicht ganz klar. Und warum sich Marc dar?ber so freut, auch nicht.

»So«, verk?ndet dieser, »dann wollen wir das Begr?ssungsplakat mal an geeigneter Stelle aufh?ngen. Wo h?ttest du es denn gerne?«

Luisa?berlegt kurz.

»Vielleicht gleich unten? Wenn man von der Praxis ins Treppenhaus kommt? Dann sieht es Carolin sofort, wenn sie reinkommt. Das w?re doch sch?n.«

Aha. Eine Begr?ssung. Das ist nat?rlich nett. Wenn auch ein bisschen albern, schliesslich sind Carolin und ich mittlerweile doch fast jeden Tag hier. Warum nun gerade jetzt dieses Plakat aufgeh?ngt werden muss, verstehe ich nicht ganz.

»Gut. Ich glaube, ich habe noch irgendwo Teppichklebeband, damit m?sste es gut halten.«

Gesagt, getan. Kurz darauf stehen wir zusammen mit Frau Warnke vor dem Aufgang zur Wohnung und bewundern Luisas Werk. Und keine Sekunde zu fr?h, denn in diesem Moment ert?nt eine Hupe, die offensichtlich zu Carolins M?belwagen geh?rt. Jedenfalls verschwinden Marc und Luisa sofort nach draussen, ich schliesse mich den beiden an.

Tats?chlich. Der gelbe Lastwagen h?lt vor der T?r, und neben dem Fahrer, der sich als der Bl?dmann von heute Mittag herausstellt, springt auch Carolin heraus.

»So! Endlich fertig!«

»Dann malWelcome Home, meine Liebe. Ich w?rde dich jetzt gerne ?ber die Schwelle tragen, aber ich f?rchte, ich habe mich heute Morgen an deinem Klavier verhoben.«

Carolin t?tschelt Marcs Wange.

»Du Armer, man wird eben nicht j?nger. Aber ich weiss den Gedanken zu sch?tzen.«

Jetzt zupft Luisa sie ungeduldig am?rmel.

»Komm mal mit rein!«

Carolin l?chelt und nickt, dann gehen die drei ins Haus. Bevor ich noch hinterherlaufen kann, h?re ich schon Carolins Stimme.

»Oh, Luisa, wie sch?n! Das ist ja ein toller Empfang, vielen Dank!«

Ich biege um die Ecke und sehe, wie Marc Luisa und Carolin umarmt. Was er sagt, kann ich nicht h?ren, aber ich bin mir sicher, dass es irgendetwas ist, was Herrn Beck ?berhaupt nicht gefallen w?rde. Etwas Nettes eben. Hat einfach keine Ahnung, der bl?de Kater. Nat?rlich ist das hier ein Happy End. Wir sind endlich eine richtige Familie. Ein Mann, eine Frau und ein Kind. Und ich. Ein kleiner Dackel.

ZWEI

Wirklich, Marc. Entweder du trennst dich endlich mal von ein paar dieser Uralt-Klamotten, oder wir brauchen einen neuen Kleiderschrank. Du hast selbst gesagt, du wolltest mal ausmisten.«

Carolin und Marc stehen vor dem grossen Schrank im Schlafzimmer der neuen Wohnung. Vor Carolin liegt ein grosser blauer Plastiksack, in den sie gerade ein paar von Marcs Sachen aus dem Schrank gelegt hat. Oder besser gesagt: legen wollte. Denn schon das erste Teil hat Marc umgehend wieder aus dem Sack gefischt.

»Dieses Hemd ist noch so gut wie neu. Guck mal, da ist sogar noch das Preisschild dran.«

»Marc, es sieht aus wie ein K?chenhandtuch. Blau-gr?n karierter Flanell, gekauft bei Tchibo. Das ist jetzt nicht dein Ernst.«

Das Teil wandert wieder in den M?llsack. Carolin greift erneut in den Schrank und holt etwas hervor, was mich von der Form entfernt an einen der Kittel erinnert, die Marc bei der Arbeit tr?gt. Es hat allerdings eine Art Bl?mchenmuster. Sehr ungew?hnlich.

»So. Was spricht f?r dieses Teil?«

Marc schnappt emp?rt nach Luft.

»Hallo? Das ist ein echtes Designerst?ck. Habe ich mal von einem Kurztrip nach London mitgebracht.«

»Und? Schon mal getragen?«

»?h, na ja …«

Der Bl?mchenkittel wandert in den Sack. Der n?chste Kandidat ist eine Hose. Marc sieht sie und richtet sich spontan zu voller Gr?sse auf.

»Also echt jetzt! Das ist meine absolute Lieblingshose! Und die sieht doch noch super aus!«

»Marc, wenn es deineabsolute Lieblingshose ist, wieso habe ich sie dann noch nie an dir gesehen? Wir kennen uns jetzt ein Jahr, ich w?rde sagen, du hattest sie noch nie an. Und offen gestanden glaube ich, sie passt dir auch gar nicht mehr.«

»Entschuldige mal! Nat?rlich passt die mir noch!«

»Ja? Das will ich sehen.«

Carolin h?lt ihm die Hose unter die Nase. Marc seufzt und zieht seine aktuelle Hose aus. Er schl?pft in die andere, zieht sie hoch und l?chelt triumphierend.

»Da siehst du’s. Passt!«

Carolin verzieht keine Miene.

»Zumachen.«

»Bitte?«

»Du musst sie zumachen. Sonst z?hlt es nicht.«

Marc sch?ttelt unwillig den Kopf und macht sich daran, die vielen Kn?pfe zu schliessen. Gar nicht so einfach. Jedenfalls schnappt er auf einmal nach Luft und zieht den Bauch ein, dann erst ist die Hose endg?ltig zu. Ich bin wahrlich kein Experte f?r Hosen, aber es sieht relativ unbequem aus, so, als sei Marc in seiner eigenen Hose eingeklemmt. Jetzt l?chelt Carolin.

»Also, wenn du damit leben kannst, den ganzen Tag keine Luft zu holen, dann sitzt die Hose in der Tat noch wie angegossen. «

Marc rollt mit den Augen, zieht die Hose wieder aus und schleudert sie zur Seite. Dabei wirft er sie mir direkt auf die Nase, ich jaule?berrascht auf und springe zur?ck.

»Ups, tschuldige, Herkules. Ich habe dich gar nicht gesehen. Aber du kommst gerade recht. Du kannst hier etwas lernen, was auch f?r dich als Haustier interessant sein d?rfte: die Domestizierung des Mannes. Will sagen: vom Mann zum Milchbr?tchen.«

H?? Milchbr?tchen? Wovon spricht Marc? Und was hat das mit Haustieren zu tun. Carolin holt Luft.

»Also echt, Marc. Was soll denn das? Wir waren uns einig, dass Nina meinen Kleiderschrank behalten sollte, weil in deinem angeblich genug Platz f?r uns beide sei und mein Schrank auch gar nicht in dieses Zimmer passt. Und wenn du schon dieses olle Teil, das dir noch dazu viel zu eng ist, behaltenwillst, dann sehe ich f?r den Rest wirklich schwarz.«

»Ist ja gut, ist ja gut. Reg dich nicht auf. Es ist eben nur so, dass ich mit dieser Hose viele Erinnerungen verbinde. Ich habe sie mir gleich im ersten Semester in M?nchen gekauft, und sie war damals schweineteuer und supersexy. Auf Partys kam ich damit sensationell an.«

»Tja, das war dann doch wohl eindeutig noch zu D-Mark-Zeiten. Ich finde, du solltest kleidungstechnisch langsam mal in der Eurozone ankommen. Aber ich habe auch gar keine Lust, mich hier mit dir ?ber deine alten Hosen zu streiten. Ich schlage vor, ich gehe eine Runde mit Herkules einkaufen, und du sortierst deinen Schrank selbst neu. Und wenn es dann eben doch keinen Platz f?r meine Sachen gibt, dann fahre ich nachher zu Ikea und kaufe einen neuen Schrank f?r mich. Ich habe jedenfalls keine Lust, noch die ganze Woche aus dem Koffer zu leben.«

Spricht’s, dreht sich um und geht aus dem Zimmer. Hoppla, das klang sch?rfer, als Carolin sonst mit Marc spricht. Offensichtlich scheint diese Kleiderschranknummer irgendwie wichtig zu sein. Ich folge Carolin, die sich ihre Jacke schnappt und Richtung Treppenhaus steuert. Marc guckt noch einmal aus dem Schlafzimmer.

»He, bist du jetzt sauer?«

Carolin bleibt stehen.

»Nein. Na ja. Vielleicht ein bisschen.«

Marc kommt uns hinterher, nimmt sie kurz in den Arm und k?sst sie.

»Ich gelobe hiermit feierlich: Wenn ihr vom Einkaufen zur?ckkommt, hast du mindestens die H?lfte des Kleiderschranks f?r dich. Und wenn ich daf?r alle Hosen, die ich vor 1975 gekauft habe, rituell verbrennen muss. Ehrenwort.«

Carolin kichert und erwidert seinen Kuss.

»Ich bin gespannt.«

Nach dem Einkaufen treffen wir einen alten Bekannten: Willi. Er steht direkt am Eingang vom Supermarkt und baut gerade einen Stapel mit Zeitungen neben sich auf. Willi ist ein?lterer Herr, der auf einer Bank in unserem Park wohnt und mich einmal aus einem Kaninchenbau gerettet hat. In letzter Zeit habe ich ihn allerdings kaum noch gesehen, umso mehr freue ich mich, ihn hier zu treffen.

»Gr?sse Sie, Willi!« Auch Carolin scheint sich zu freuen.

»Hallo, Frau Neumann!«

»Wie geht es Ihnen denn?«

»Pr?chtig! Ich habe endlich wieder eine Wohnung – und auch einen Job! Sehen Sie mal«, er h?lt Caro eine Zeitung unter die Nase, »ich bin jetzt Zeitungsverk?ufer. Ist ein Projekt extra f?r Obdachlose, von jedem verkauften Exemplar bekomme ich auch Geld.«

»Klasse, da kaufe ich Ihnen gleich mal eine ab.«

»Danke.« Dann beugt er sich zu mir hinunter. »Und du, Kleiner? Hast du mich schon vermisst?«

Ich wedele mit dem Schwanz. Na klar!

»Weisst du, dem Willi geht’s jetzt wieder richtig gut. Deswegen bin ich so selten in eurer Ecke. Aber ich komm dich mal besuchen.«

Ich schlecke ihm die H?nde ab, er lacht, und Caro verabschiedet sich. Sie will unserer alten Wohnung noch einen Besuch abstatten. Oder besser gesagt: Nina, die in Carolins Wohnung gezogen ist. Nina ist ihre beste Freundin und ganz anders als Carolin: Gross und dunkelhaarig – und w?hrend Carolin f?r mich die Sanftmut in Person darstellt, ist Nina meist sehr bestimmt und energisch.

Sie?ffnet die T?r, sieht uns und strahlt.

»Mensch, das ist ja eine nette ?berraschung! Komm rein, ich bin mal gespannt, wie es dir gef?llt.«

Sie winkt uns ins Wohnzimmer, das nun mit Ninas Sofa und einem einzigen B?cherregal sehr mager best?ckt und so kaum wiederzuerkennen ist. Nina und Carolin setzen sich, und ich lege mich auf mein ehemaliges Lieblingsfleckchen vors Sofa. Schon komisch, der Raum ist nat?rlich derselbe geblieben, aber er riecht schon ganz anders. Eben deutlich nach Nina, auch wenn ich noch eine leichte Note Carolin erschnuppere.

»Willst du vielleicht etwas trinken?«

Carolin sch?ttelt den Kopf.

»Nee, danke. Ich war einfach nur neugierig, wie meine Wohnung aussieht, wenn sie deine ist.«

»Tja, so richtig viel kann man noch nicht erkennen. Ich hatte zwar l?ngst nicht so viele Kartons wie du, trotzdem habe ich sie noch nicht alle ausgepackt. Wahrscheinlich brauche ich auch noch jede Menge neuer M?bel, meine alte Wohnung war deutlich kleiner als deine. Gut, dass ich deinen Kleiderschrank behalten konnte.«

Carolin lacht.

»Du wirst es nicht glauben. ?ber das Thema Kleiderschrank hatten wir eben unsere erste kleine Kabbelei.«

»Wirklich? Ich hoffe doch, nicht meinetwegen?«

»Nein, nein. Marc ist nur der Ansicht, dass er s?mtliche Klamotten horten muss, die er seit seinem Eintritt in den Stimmbruch angeschafft hat. Also, da sind Sachen dabei – unglaublich. Aber wir haben im Schlafzimmer keinen Platz f?r einen weiteren Schrank, und deswegen muss er jetzt mal ausmisten, sonst passen meine Sachen da definitiv nicht rein.«

»Aha. Also zeigt Marc eindeutiges Revierverhalten.«

»Ist das die Diagnose der Psychologin?«

»Gewissermassen.«

Revierverhalten. Das klingt f?r mich endlich mal nachvollziehbar, und jetzt verstehe ich auch, warum die Stimmung im Schlafzimmer eben so angespannt war. Sein Revier muss man nat?rlich verteidigen, das leuchtet jedem Hund sofort ein. Nicht umsonst habe ich vor noch nicht allzu langer Zeit als Welpe eifrig das Beinchenheben ge?bt. Das ist n?mlich gar nicht so einfach, wie es aussieht. Aber sehr, sehr wichtig. Eine eindrucksvolle Duftmarke zu setzen ist eben die effektivste Methode, das eigene Revier zu kennzeichnen. So weit, so gut. Eine Sache gibt mir dennoch zu denken: Warum verteidigt Marc das gemeinsame Schlafzimmer gegen Carolin? Also gewissermassen gegen sein eigenes Weibchen? Das macht aus Hundesicht nun ?berhaupt keinen Sinn. Es gilt zwar, das Revier von l?stiger Konkurrenz freizuhalten, die Mitglieder des eigenen Rudels sind aber willkommen. Insbesondere die Weibchen. Im Grunde genommen veranstaltet der R?de den ganzen Zirkus doch nur f?r die H?ndin. Ob bei Menschen auch Paare miteinander konkurrieren k?nnen? Und falls ja, um was? Es ist und bleibt r?tselhaft mit diesen Zweibeinern.

W?hrend ich noch dar?ber sinniere, ob Marc Carolin demn?chst auch den Zugang zum K?hlschrank erschweren k?nnte – denn schliesslich geht es da ums Futter! –, gibt Nina ein paar praktische Tipps, um das Kleiderschrank-Problem aus der Welt zu r?umen.

»Vielleicht schmeisst du seine Sachen einfach heimlich weg oder spendest sie der Kleiderkammer, wenn er in der Praxis ist?«

F?r meinen Geschmack ein etwas simpler Plan. Dass Marc das nicht merkt, halte ich f?r geradezu ausgeschlossen. Auch Carolin scheint nicht ?berzeugt.

»Also, das klingt doch etwas rabiat. Ich setze lieber erst einmal auf Freiwilligkeit. Marc hat versprochen, radikal aufzur?umen, bis ich wieder zu Hause bin.«

»Dann lass dir lieber ein bisschen Zeit. Musst du heute nochmal in die Werkstatt?«

»Wo ich gerade hier bin, schau ich mal kurz nach der Post. Ansonsten hatte ich mir die Tage f?r den Umzug eigentlich freigehalten.«

Wenn Carolin in die Werkstatt m?chte, kann ich bestimmt noch ein Weilchen im Garten verbringen. Nicht, dass sich da nun fremde Hunde aus dem Park breitmachen, Stichwort Revierverteidigung. Direkt an den Garten hinterm Haus grenzt n?mlich ein Park, und manchmal verirrt sich der ein oder andere Artgenosse auf die falsche Seite des Tors, das unseren Garten vom Park trennt. Da kann ich gleich mal nach dem Rechten sehen und Besuchern n?tigenfalls freundlich, aber bestimmt, klarmachen, wer hier Herr im Haus beziehungsweise Hund im Garten ist. Ausserdem schwirrt Herr Beck bei dem sch?nen Wetter bestimmt auch irgendwo durch die Gegend, und mich w?rde interessieren, wie er die letzten beiden Tage so verbracht hat. Mit Sicherheit ist ihm ohne mich entsetzlich langweilig.

Von der Werkstatt aus f?hrt eine Terrassent?r direkt in den Garten, es sind nur drei Stufen nach oben, schon sitzt man im Gras. Das ist nat?rlich enorm praktisch, denn manchmal arbeitet Carolin stundenlang an einer Geige und hat keine Zeit, mit mir spazieren zu gehen. Meist ist mir das ganz recht, denn ohne Frauchen durch den Park zu stromern ist eindeutig spannender, als an der Leine hinter ihr herzulaufen. Ich erschn?ffele Kaninchen, jage Eichh?rnchen oder Amseln – kurz: Ich bin ganz ich. Eigentlich ist das total verboten, und wenn Carolin mich dabei erwischt, schimpft sie. Aber als Dackel bin ich nun einmal ein Jagdhund – geboren f?r das grosse Abenteuer, nicht f?r das Leben auf der Etage.

Im Garten riecht es wie immer im Sommer: nach Gras, den grossen Blumen im Beet und eben nach mir. Der Duft von Herrn Beck schwebt ?ber dem Rasen, allerdings nur so schwach, dass er wohl schon l?nger nicht mehr hier war. Komisch, normalerweise ist Herr Beck im Sommer fast immer hier unterwegs. Ich muss spontan daran denken, wie wir uns kennengelernt haben. Dieses denkw?rdige Ereignis fand n?mlich genau vor dem grossen Baum direkt am Haus statt. Kaum zu glauben, dass der Kater und ich uns bei unserem ersten Treffen fast gepr?gelt h?tten. Er hatte mich beim Pinkeln beobachtet und sich ?ber mein noch relativ wackeliges Beinchenheben lustig gemacht. Was nat?rlich eine Frechheit war. Dass ich ihm dannversehentlich in den Schwanz biss, war nat?rlich auch nicht so nett. Schon erstaunlich, dass wir trotzdem noch die besten Freunde geworden sind. Aber wo steckt der fette Kater jetzt?

Ich suche hinter dem grossen Blumenbeet, auf der Wiese vor dem Zaun zum Park, beim Komposthaufen, laufe in den Vorgarten – selbst die Nische mit den M?lltonnen lasse ich nicht aus. Aber nirgends eine Spur von Herrn Beck, ich kann ?berhaupt keine Witterung aufnehmen. Betr?bt schleiche ich zur?ck und trolle mich mit h?ngenden ?hrchen in die Werkstatt. Schade, ich h?tte Beck so gerne von meinem neuen Zuhause berichtet.

»Nanu, Herkules, was ist los? Keine Lust mehr auf Garten ?«

Carolin hebt mich hoch und setzt mich auf den Tisch, vor dem sie gerade steht.

»Oder bekommst du Heimweh nach deinem alten Zuhause? Du guckst irgendwie so traurig. Aber mach dir nichts draus, ich fand es eben auch ein bisschen seltsam, inmeiner Wohnung aufNinas Couch zu sitzen. Ich denke, wir werden uns schon dran gew?hnen, oder?«

Ich lege mich hin und lasse den Kopf auf meine Vorderl?ufe sinken. Tja, werden wir uns daran gew?hnen? Vermutlich schon, auch wenn es sich gerade anders anf?hlt. Schliesslich haben wir uns wirklich nicht verschlechtert. Marcs Wohnung ist viel gr?sser als die von Carolin, es gibt ebenfalls einen tollen Garten und, auch nicht ganz unwichtig: Da im Erdgeschoss gleichzeitig Marcs Tierarztpraxis ist, f?hle ich mich seinen Patienten gegen?ber wie der Chefdackel. Es ist ja nun auch mein Haus, und all die anderen Hunde, Katzen, Meerschweinchen und was sonst noch so zu Marc gekarrt wird, sind eindeutig nur von mir geduldete G?ste. Ein sehr erhabenes Gef?hl.

Auch die ganze Hin-und Her-Schlepperei unseres halben Hausstands entf?llt zuk?nftig. In den letzten Wochen und Monaten haben Carolin und ich zwar schon fast jede Nacht bei Marc und Luisa geschlafen, aber meist hatten wir irgendwas in unserer eigentlichen Wohnung vergessen: Mal Carolins Haarspange, ein bestimmtes Buch oder – noch viel schlimmer – meinen neuen Kauknochen. Das kann nun nicht mehr passieren. Und es wohnt auch kein Fremder in unserer alten Wohnung, sondern Nina. Wir k?nnen also jederzeit zu Besuch kommen.

»Weisst du, ich bin hier gleich fertig, und dann machen wir etwas Sch?nes zusammen. Wir k?nnten zum Beispiel eine Runde durch den Park drehen. Wie findest du das?«

Nat?rlich grossartig! Meine schlechte Laune ist sofort wie weggeblasen, ich springe auf und wedele mit dem Schwanz.

»Siehst du, wusste ich es doch. Also, abgemacht: Wir gehen spazieren, sobald ich alles auf meinem Tisch wegsortiert habe. Die Eink?ufe lassen wir einfach hier, die k?nnen wir auch noch sp?ter nach Hause bringen.«

Sie kichert.

»Dann hat Marc auch wenigstens genug Zeit f?r das Projekt Kleiderschrank.«

Als wir am fr?hen Abend wieder nach Hause kommen, duftet es schon im Flur verf?hrerisch nach Essen. Hm! Verheissungsvoll! Hoffentlich hat der Koch auch an mich gedacht. Es klappert hinter der K?chent?r, und einen kurzen Moment sp?ter erscheint Luisa mit einem Stapel Teller in den H?nden.

»Hallo ihr beiden! Papa hat euch schon vermisst. Wir haben n?mlich f?r euch gekocht.«

Carolin l?chelt und stellt die Einkaufst?ten ab.

»Wie nett! Es riecht auch schon sehr lecker. Was gibt es denn?«

»Rahmgeschnetzeltes mit Reis. Ein Rezept von Oma. Das schmeckt immer.«

Das glaube ich nur zu gerne. Ob ich etwas davon abbekomme? Marc ist da leider immer ein wenig streng und behauptet, menschliches Essen sei f?r Dackel g?nzlich ungeeignet.

»Wir haben sogar eine kleine Portion f?r Herkules zubereitet. Ohne Gew?rze oder so. Zur Feier des Tages wollte Papa ihm auch etwas g?nnen.«

Juchhu! Eine echte Spitzenidee vom Herrn Doktor! Der biegt in diesem Moment selbst um die Ecke.

»Hallo, S?sse! Ihr wart ja ganz sch?n lange weg. Hattest du Angst, ich h?tte sonst nicht genug Zeit zum Entr?mpeln?« Er grinst.

»Nee, aber ich war noch in der Werkstatt und habe bei Nina vorbeigeschaut.«

»Aha. Schon Sehnsucht nach der alten Wohnung?«

»Tja, ein bisschen komisch war es schon. Ich hatte auch den Eindruck, dass Herkules etwas wehm?tig war. Falls Tiere so etwas sein k?nnen.«

Marc nickt.

»Klar k?nnen sie das. Gerade Hunde binden sich meist sehr an den Ort, an dem sie leben. Es gibt immer wieder Berichte von Tieren, die erstaunliche Distanzen ?berwinden, um in ihre alte Heimat zur?ckzukehren. Aber nachdem Hunger ja bekanntlich schlimmer ist als Heimweh, haben Luisa und ich jetztdas perfekte Mittel gegen beides parat. Ich bin gespannt, wie es euch schmeckt.«

Im Esszimmer f?llt Marc die Teller auf, Luisa stellt mir ein Sch?lchen mit besagtem Geschnetzelten neben den Tisch. Ich probiere und bin begeistert! Das Fleisch ist ganz zart und saftig, der Bratensaft ist l?ngst nicht so salzig wie das, was Carolin immer in der Pfanne zaubert. Wenn Marc von nun an jeden Abend f?r mich kocht, ist die Sehnsucht nach unserer alten Heimat bestimmt schnell Geschichte. Oder ich lade Herrn Beck mal zum Essen ein? Vielleicht zieht er dann auch noch bei uns ein.

Auch Carolin scheint es zu schmecken.

»Hm, k?stlich. Deine Mutter scheint ja eine gute K?chin zu sein.«

»Meine Mutter? Wie kommst du denn da drauf?«

»Luisa sagte, es sei ein Rezept deiner Mutter.«

Luisa lacht.

»Nee, nicht von Oma Hilde. Das ist ein Rezept von Oma Burgel.«

»Oma Burgel?«

Carolin schaut Marc fragend an.

»?h, das ist ein Rezept von Burgel, Sabines Mutter. Also quasi meine Ex-Schwiegermutter. Und die kann in der Tat ausgezeichnet kochen. Sie hat mir das Rahmgeschnetzelte mal gezeigt, weil ich es so gerne bei ihr gegessen habe.«

»So, hast du das.«

Carolin wirft Marc einen Blick zu, den ich von hier unten nicht richtig deuten kann. Irgendetwas in Carolins Stimme aber sagt mir, dass er nicht allzu freundlich ausgefallen ist. Komisch, was spricht denn auf einmal gegen die Weitergabe von Kochrezepten? Scheint mir doch eine sehr sinnvolle Aktion zu sein.

Den Rest des Essens schweigen Marc und Carolin gr?sstenteils, stattdessen erz?hlt Luisa von der Schule und von etwas namens Pyjamaparty, das sie dringend veranstalten m?chte. Was das wohl sein mag?

»Ach bitte, Papa! Das ist sooo cool! Und wenn ich nicht bald mal selbst etwas mache, dann laden mich die anderen M?dels nicht mehr ein. Bei Lenas Geburtstag war ich auch nicht dabei, das war voll doof! Die waren n?mlich beim Ponyreiten, und ich h?tte so gerne mitgemacht.«

Marc seufzt.

»Na gut. Wenn es unbedingt sein muss. Aber gib uns wenigstens noch zwei Wochen Zeit, um den Umzug zu bew?ltigen. Dann kann deine Party von mir aus steigen, oder, Carolin?«

Die nickt.

»Super, Papa! Vielen Dank! Dann werde ich gleich mal Einladungskarten basteln!«

»Gut, aber hilf uns zuerst, den Tisch abzur?umen.«

»Lass sie ruhig schon basteln, Marc. Schliesslich habt ihr zusammen gekocht. Jetzt kann ich mich mal ums Aufr?umen k?mmern.«

Luisa ruft kurz:»Danke!«, und springt geradezu aus dem Zimmer. Carolin f?ngt an, die Teller zusammenzur?umen. Marc steht auf und stellt sich neben sie.

»Lass mal, die K?che k?nnen wir nachher auch noch saubermachen. Erst will ich dir etwas anderes zeigen. K?nnte auch deine Laune verbessern.«

»Meine Laune ist gar nicht schlecht!«

Marc l?chelt.

»Nat?rlich nicht.«

Dann geht er aus dem Zimmer, Carolin folgt ihm. Ich auch, denn ich bin schliesslich neugierig, was Marc vorhat. Er geht Richtung Schlafzimmer.

Dort angekommen, schaltet er mit einem lauten»Tataa!« das Licht an.

Ich sehe den Kleiderschrank. Seine T?ren sind ge?ffnet – und anders als heute Morgen ist die linke Seite tats?chlich komplett leer. Jedenfalls fast. Das Einzige, was sich noch darin befindet, ist eine ziemliche Menge Blumen. Dem Duft nach eindeutig Rosen. Pflanzen im Kleiderschrank? Was hat das nun wieder zu bedeuten? So passenda Carolins Sachen doch erst recht nicht rein. Also eine besonders perfide Art der Revierverteidigung?

Carolin scheint das aber nicht zu st?ren, denn sie f?llt Marc um den Hals und k?sst ihn.

»Danke, Marc!«

Er streicht ihr?bers Haar und guckt sie ganz ernst an.

»Ich liebe dich. Sch?n, dass du da bist.«

He! Und was wird jetzt mit dem Blumenbeet??ber die naheliegenden Dinge denken Menschen einfach nicht nach. Typisch.

DREI

Immer noch keine Spur von Herrn Beck. Eine Stunde habe ich nach ihm gesucht und nichts entdeckt. Keine frische F?hrte, keine Duftnote, nichts, rein gar nichts. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Langsam fange ich an, mir Sorgen zu machen.

Dabei hat der Tag eigentlich gut begonnen: Nach einem sehr friedlichen gemeinsamen Familienfr?hst?ck ist Marc in seine Praxis gegangen, Luisa Richtung Schule gestartet, und Carolin und ich haben uns auf den Weg in die Werkstatt gemacht. Sie auf dem Fahrrad, ich immer nebenher. Bei strahlendem Sonnenschein durch den Park – besser geht’s nicht.

Aber jetzt sitze ich hier vor Carolins Werkbank und zermartere mir das Hirn dar?ber, wo ich noch nach Herrn Beck suchen k?nnte. Selbst vor seiner Wohnungst?r im zweiten Stock bin ich schon auf und ab geschlichen, immer in der Hoffnung, etwas zu erschn?ffeln oder zu ersp?hen. Ob es vielleicht wirklich so etwas wie Tierf?nger gibt? B?se Menschen, die harmlose Haustiere einfangen und wegsperren? Mein geliebter Opili, der schlauste und ?lteste Dackel auf Schloss Eschersbach, hatte einmal so etwas erz?hlt. Meine Schwester Charlotte und ich waren ausgeb?chst, lange hatten Mama, Opili und Emilia, die K?chin, nach uns gesucht. Wir hockten derweil hinter den grossen B?schen neben der Auffahrt zum Schloss, f?hlten uns wild und gef?hrlich und genossen das Abenteuer. Als wir wieder nach Hause kamen, gab es ein ziemliches Donnerwetter. Und Opilis unheimliche Geschichte von den b?sen Tierf?ngern, die nur auf kleine dumme Hunde warten, die sie einfangen und verkaufen k?nnen. Und die dann nie wieder gesehen werden. Charlotte und ich taten so, als w?rden wir Opili das Schauerm?rchen nicht abkaufen. Aber insgeheim gruselten wir uns sehr, und hin und wieder muss ich immer noch an die Geschichte denken.

Zum Bespiel jetzt. Ob also die Tierf?nger auch Katzen fangen? Oder sind das reine Hundef?nger? Oder gibt es die in Wirklichkeit gar nicht, und Herr Beck macht nur ein paar Tage Urlaub mit seinem Frauchen? Von dem fehlt n?mlich auch jede Spur. L?sst sich Herr Beck also wom?glich den frischen Wind um die Nase wehen und die M?use schmecken? Wie finde ich das bloss heraus? Wahrscheinlich kann ich Carolin noch so sehnsuchtsvoll angucken, ich glaube nicht, dass sie mir diese Frage von den Augen ablesen kann.

Es klingelt. Ich flitze zur T?r. Obwohl es eigentlich blanker Unsinn ist zu vermuten, bei dem Besuch k?nnte es sich um Herrn Beck handeln. Er ist zwar wie alle Katzen ein echtes Bewegungswunder, aber an den Klingelknopf wird er trotzdem kaum rankommen. Vielleicht gibt uns der n?chste Besucher aber doch einen Hinweis auf Becks Verbleib?

Fehlanzeige. Vor der T?r steht Nina.

»Ich habe gerade etwas gekocht. Hast du vielleicht Lust hochzukommen? Allein essen ist doof.«

Carolin l?chelt und nickt.

»Mensch, ich wusste gar nicht, dass du so eine h?usliche Seite hast. Und m?sstest du eigentlich nicht an der Uni sein?«

Nina sch?ttelt den Kopf.

»Nein, es sind Semesterferien. Da habe ich deutlich weniger zu tun. Meine Privatpatienten kommen sowieso zu mir nach Hause, und die Sprechstunden in der Klinik laufen zwar weiter, aber daf?r fallen die Seminare weg. Ich muss also erst sp?ter los.«

»Klingt entspannt. Was gibt’s denn?«

»Einen Maultaschenauflauf. Mindestens 5000 Kalorien pro Person, aber sehr lecker.«

»Okay, in zehn Minuten bin ich oben.«

Was heisst hierich? Mich gibt’s schliesslich auch noch, und ich habe ebenfalls Hunger! Ich presse mich gegen Carolins Bein und belle. Nina schaut zu mir herunter.

»Oh, Herkules, f?r dich gibt es nat?rlich auch etwas. Ihr habt noch eine Packung Hundekuchen bei mir stehen lassen. «

Na also. Geht doch.

Hundekuchen ist eindeutig keine Alternative zum Geschnetzelten von Oma Burgel, so viel steht schon mal fest. W?hrend sich Nina und Carolin ihre 5000 Kalorien – was auch immer das sein mag – in die B?uche hauen, kaue ich missmutig auf einem trockenen Rindfleischkringel herum. Wann hat Carolin das Zeug bloss gekauft? Das muss ja direkt zu Beginn ihrer Hundehalterkarriere gewesen sein. Genau so schmecktes auch: Als ob es schon ein Jahr irgendwo rumsteht. Bah!

Nina und Carolin unterhalten sich angeregt. Carolin erz?hlt von unserem Fr?hst?ck, wies???ss Marc den Tisch gedeckt hat, was f?r ein tolles Begr?ssungsplakat Luisa gemalt hat und nat?rlich von den Rosen im Kleiderschrank. Offenbar sind gerade Letztere der Beweis f?r Marcs Liebe zu Carolin. Warum, leuchtet mir immer noch nicht ein, denn Carolin begr?ndet das vor allem mit der Tatsache, dass die Rosen rot waren.Rote Rosen, ist das nicht toll? Nun ist das Auseinanderhalten von Farben sowieso nicht meine St?rke, und warum gerade in Rot der Liebesbeweis liegen soll, ist mir nicht klar. Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass auch Nina eher skeptisch guckt. Dann seufzt sie.

»Also ist das nun das Happy End, oder wie?«

Carolin nickt heftig.

»Auf alle F?lle!«

»Ich will ja nicht zu negativ klingen – aber nach meiner Erfahrung gibt’s so etwas gar nicht. Also, ausser bei den Gebr?dern Grimm.«

Moment– das kommt mir aber sehr bekannt vor! Es ist doch fast das gleiche Gespr?ch, was Beck und ich beim Umzug gef?hrt haben. Ich habe es schon manches Mal gedacht – mit ihrer negativen Art sind Herr Beck und Nina tats?chlich so etwas wie Seelenverwandte. Schlimm, so was. Nur gut, dass Carolin soein sonniges Gem?t hat und sich davon nicht beeindrucken l?sst.

»Dann nenn mich von mir aus Schneewittchen, und Herkules den siebten Zwerg. Auf alle F?lle ist Marc mein Prinz.«

»O nein, meine Liebe. Du bist die b?se Stiefmutter, und Luisa f?hlt sich bestimmt bald wie Aschenputtel. Du wirst es schon noch merken. Patchwork ist mit Sicherheit schwieriger, als du jetzt glaubst. Es gibt ja Untersuchungen, dass gerade die Rolle der neuen Frau an der Seite eines Vaters sehr problematisch …«

Mit einer schnellen Handbewegung unterbricht Carolin Nina.

»Mann, jetzt h?r endlich auf mit der Schwarzseherei. Manchmal glaube ich echt, du bist noch eifers?chtig, weil du Marc am Anfang auch ganz niedlich fandest.«

Nina schnappt nach Luft.

»Bitte?! Das ist jetzt nicht dein Ernst! Also wenn du das wirklich denkst, dann …«

Bevor Nina noch ausf?hren kann, was genau dann passiert, klingelt es. Ich bin ganz froh ?ber diese Unterbrechung, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass die beiden Damen hier gerade auf einen handfesten Streit zugesteuert sind.

Nina steht vom Tisch auf und geht zur T?r, ich lasse meinen trockenen Hundekuchen zur?ck und trabe hinterher. Vor der T?r steht ein junger Mann.

»Guten Tag, Frau Bogner?«

»Ja, die bin ich. Was gibt’s?«

»Martin Wiese mein Name. Ich bin der Neffe von Frau Wiese, Sie wissen schon, die ?ltere Dame, die direkt ?ber Ihnen wohnt.«

Genau, Frau Wiese, Herrn Becks Frauchen. Klar kenne ich die. Herr Beck wohnt schon ziemlich lange mit ihr zusammen und hat sich eigentlich noch nie?ber sie beschwert. Und das, obwohl er ja ein durchaus kritischer Zeitgenosse ist. Nina allerdings hat Frau Wiese nat?rlich noch nie zu Gesicht bekommen.

»Tut mir leid, ich kenne Ihre Tante nicht, ich bin erst letzte Woche hier eingezogen.«

Jetzt kommt auch Carolin dazu.

»Aber ich kenne Ihre Tante. Hallo, ich bin Carolin Neumann, ich habe vorher in dieser Wohnung gewohnt. Was ist denn mit Ihrer Tante?«

Martin Wiese seufzt.

»Tja, meine Tante hatte am Wochenende einen Schlaganfall. «

Was auch immer das ist– mich beschleicht das Gef?hl, dass meine dunkle Vorahnung sich bewahrheiten k?nnte: Herr Beck steckt in Schwierigkeiten.

Carolin holt Luft.»Wie furchtbar! Das tut mir leid!«

»Gott sei Dank war sie nicht allein, als das passiert ist, meine Frau war gerade mit den Kindern zu Besuch. Meine Tante ist auch gleich ins Krankenhaus gekommen, es geht ihr inzwischen etwas besser. Allerdings wird sie auf absehbare Zeit nicht in die Wohnung zur?ckkommen. Deswegen wollte ich fragen, ob vielleicht einer der Nachbarn ab und zu nach der Post und den Pflanzen schauen k?nnte.«

Nach der Post und den Pflanzen? Aber was ist denn mit Herrn Beck passiert? Der ist doch wohl viel wichtiger als ein bisschen Papier und das Gr?nzeug. Ich beginne, unruhig hin und her zu laufen. Leider ignorieren mich die Zweibeiner komplett.

»Na ja, ich habe nach wie vor meine Werkstatt im Haus. Ich k?nnte nat?rlich schon alle drei, vier Tage nach dem Rechten sehen.«

Das war ja klar, dass sich meine grundgute Carolin hier gleich wieder opfert, w?hrend Nina wahrscheinlich im Leben nicht auf die Idee k?me, helfend einzuspringen. Erstaunlich, wie unterschiedlich die Menschen sind. Eine grunds?tzliche Charakterfestigkeit, wie sie Dackeln oder Terriern zu eigen ist, geht ihnen leider v?llig ab. Es ist offenbar Zufall, ob ein Mensch edel und hilfreich oder mies und gemein ist. Wobei ich damit nat?rlich nicht gesagt haben will, dass Nina mies und gemein ist, nur edel und hilfreich ist sie eben nicht, obwohl sie durchaus …

»Sagen Sie, Herr Wiese, Ihre Tante hat doch eine Katze, oder?«

Hoppla, Nina erinnert sich an Herrn Beck. Das h?tte ich nicht gedacht. Es untermauert meine These von der Seelenverwandtschaft allerdings ungemein.

»?h, ja, das stimmt. Sie hat tats?chlich einen Kater. Blecki oder so. Der ist momentan bei uns zu Hause. Ist aber auch keine Dauerl?sung, meine Frau hat eine leichte Tierhaarallergie. «

»Was halten Sie denn davon, wenn ich mich um Blecki k?mmere, solange, bis es Ihrer Tante wieder besser geht? Dann muss sich das Tier nicht gross umgew?hnen.«

»Oh, das ist ja ein nettes Angebot! Wir haben tats?chlich schon ?berlegt, was wir mit ihm machen. Meine Tante h?ngt sehr an ihm, das Tierheim w?re also keine Alternative.«

Ach du Schreck– das Tierheim! Nein, das w?rde ich Beck nicht einmal in seinem missmutigsten Zustand w?nschen. Meine eigenen Erfahrungen dort waren mehr als gruselig. Nur gut, dass Nina auf einmal ihre Tierliebe entdeckt hat. Auch wenn das eine v?llig ?berraschende Entwicklung ist. Offenbar muss ich meine Meinung ?ber Nina noch einmal ?berdenken. Der Punkt mit der fehlenden Charakterfestigkeit war vielleicht ein bisschen voreilig. Aber konnte ich das ahnen? Selbst Carolin scheint erstaunt.

»Du willst dich wirklich um die Katze k?mmern?«

»Klar, warum nicht? Du die Post, ich das Viech. Passt doch.«

Herr Wiese l?chelt.

»Danke, das ist sehr nett. Da haben wir auf einen Schlag ein paar Sorgen weniger.«

»Keine Ursache. Eigentlich habe ich schon immer mit einer Katze gelieb?ugelt. Jetzt kann ich das mal ein bisschen ?ben.«

»Sehr gut! Dann bringe ich Ihnen die Katze morgen vorbei. «

Nina nickt.

»Ja, machen Sie mal. Falls ich nicht da bin, klingeln Sie doch einfach in der Werkstatt bei Frau Neumann.«

Nina, die verkappte Tierfreundin. Fragt sich nur, wie ich ihr klarmache, dass Herr Beck nicht Blecki heisst.

»Sag mal, meinst du, Luisa hat wirklich nichts dagegen, dass wir zusammengezogen sind?«

Carolin und Marc sitzen auf dem Sofa, in der Hand jeweils ein Glas von dem f?rchterlichen Zeug, das sich Rotwein nennt. Luisa ist l?ngst ins Bett gegangen, ich bin eigentlich auch schon ziemlich m?de. Aber nat?rlich ist meinem feinen N?schen nicht entgangen, dass sich hier ein menschliches Beziehungsgespr?ch anbahnt. Und weil ein kleiner Hund wie ich dabei in aller Regel viel ?ber Zweibeiner lernen kann, verziehe ich mich nicht ins K?rbchen, sondern bleibe h?bsch neben dem Sofa liegen. Beziehungen zwischen Hunden sind ja meist recht simpel gestrickt: Ober sticht Unter, und R?de liebt Weibchen. Wobei mir bei Letzterem noch die praktische Erfahrung fehlt, aber wenn ich den ?lteren Hunden im Park bei ihren wilden Geschichten zuh?re, dann muss es wohl so sein. Also einfach und ?berschaubar.

Nicht so nat?rlich beim Menschen. Das fiel mir schon auf, als ich noch nach dem passenden Mann f?r Carolin Ausschau hielt. Ihr Exfreund Thomas war wirklich der letzte Heuler, aber kaum waren wir ihn los, wurde es erst richtig kompliziert. Denn das Beuteschema von Menschenfrauen ist voller R?tsel. Merke: M?nner sollen nett sein, aber keinesfalls zu nett. Als Herr Beck mir das zum ersten Mal erkl?rte, war ich mir sicher, er wolle mich auf den Arm nehmen. Aber am Ende haben wir ja Gott sei Dank Marc dingfest gemacht.

Umso wichtiger, mal hinzuh?ren, was die beiden nun zu besprechen haben. Nur f?r den Fall, dass die Beck’sche Theorie, wonach es beim Menschen immer kompliziert bleibt, stimmen k?nnte.

»Aber warum sollte Luisa denn auf einmal etwas dagegen haben, dass du hier eingezogen bist? Im Gegenteil, wir haben doch vorher alles miteinander besprochen, und sie hat sich gefreut.«

»Na ja, aber es k?nnte ja sein, dass sie immer noch hofft, dass es mit Sabine und dir doch wieder etwas wird, und dann w?rde ich nur st?ren.«

»Sag mal, wie kommst du denn auf einmal auf so eine absurde Idee? Sabine und ich sind seit drei Jahren getrennt und seit zwei Jahren geschieden.«

»Na, ich sage ja nicht, dass ich das denke. Ich sage ja nur, dass Luisa das vielleicht hofft.«

Marc rutscht vom Sofa und kniet sich vor Carolin.

»Spatzel, was ist heute eigentlich mit dir los? Warum machst du dir auf einmal solche Gedanken?«

»Ach, ich habe heute mit Nina Mittag gegessen. Und dann haben wir uns fast gestritten, weil sie schon wieder damit anfing, ob ich mir das mit dem Zusammenziehen gut ?berlegt habe. Gott sei Dank bekam sie dann Besuch, und wir konnten es nicht weiter ausdiskutieren. Aber zum Abschied hat sie mir einen ganzen Stapel B?cher ?ber Patchworkfamilien in die Hand gedr?ckt. Da habe ich ein bisschen drin gebl?ttert. Und jetzt ist mir irgendwie mulmig.«

Marc sch?ttelt den Kopf.

»Und die will deine Freundin sein.«

»Sie hat es bestimmt nicht b?se gemeint. Und sie ist als Psychologin schliesslich vom Fach.«

Richtig, Nina ist Psychologin. Es hat eine Weile gedauert, bis ich kapiert habe, was das bedeutet. Denn sie macht nichts, was man sehen kann, also so wie Carolin, die Geigen baut. Und es ist auch nicht wie bei Marc, der sich als Tierarzt um kranke Kollegen von mir k?mmert: Hund krank, Marc ran, Hund gesund. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann besch?ftigt sich Nina mit Menschen, die ein Problem in ihrem Kopf haben. Also nicht Kopfschmerzen oder so. Eher Schmerzen beim Denken. Das ist bei Menschen nat?rlich ein grosses Problem, weil sie ja ?ber so vieles nachdenken. Und wenn das nicht mehr so rund l?uft, dann kommt Nina ins Spiel. So jedenfalls erkl?re ich mir das. Und deswegen ist es auch logisch, dass Carolin auf sie h?rt, wenn siedenkt, dass Luisa irgendwasdenkt. Puh– mir wird schon bei diesen wenigen Gedanken ganz schwindelig. Gut, dass ich ein Dackel bin.

»Darf ich die B?cher mal sehen? Vielleicht kann ich da ja auch noch was lernen. Bestimmt mache ich seit Jahren alles falsch.«

Marc klingt genervt, Carolin rutscht vom Sofa herunter, setzt sich neben ihn auf den Boden und k?sst ihn.

»Komm, du unsensibler Veterin?r, sei nicht so grummelig. «

»Tut mir leid. War nicht so gemeint. Aber die B?cher interessieren mich wirklich.«

»Moment.«

Carolin steht auf und holt einen Stapel B?cher aus ihrer Tasche, die noch auf der Fensterbank steht.

»Hier.«

Sie reicht Marc ein Buch.

»Hm.Im Schatten der Ersten. Wie Partnerschaft mit einem geschiedenen Mann gelingen kann. Aha.«

Er bl?ttert darin.

»Kapitel 2: Von Gl?cksgriffen und Traumata – der Gebrauchte Mann als Partner. So, ich bin also ein›Gebrauchter Mann‹, oder wie. Das klingt ja nicht gerade ermutigend. Bin ich denn eher ein Gl?cksgriff oder ein Trauma?«

Jetzt kichert Carolin.

»Das, mein Lieber, muss sich noch erweisen.«

Trauma?Traumata? Wor?ber reden die? Ich verstehe kein Wort. Oder meinen dieTraummann? Und warum?rgert sich Marc dann? Klingt doch gut. Vielleicht ist es aber auch die Sache mit dem »gebraucht«, die ihn aufregt. Aber auch das verstehe ich nicht. Ist doch gut, wenn man gebraucht wird. Selbst als Mann. Hm. Hoffentlich kommt Herr Beck bald wieder nach Hause. Ohne einen versierten Menschenkenner wie ihn gerate ich ganz sch?n ins Schwimmen.

VIER

Du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie schrecklich diese kleinen Monster sind. F?rchterlich! Grausam!« Herr Beck sitzt vor mir und schnauft gequ?lt. Seine Augen wirken tr?b, und ich bilde mir sogar ein, dass seine Schnurrbarthaare nach unten h?ngen. Keine Frage – die drei Tage bei Familie Wiese haben ihm schwer zugesetzt. Nicht einmal das tolle Wetter und ein gemeinsamer Plausch im Garten k?nnen ihn aufmuntern.

»Hm. Luisa ist eigentlich sehr nett zu mir. Ich kann da nichts Negatives berichten.«

Beck starrt mich an.

»Ha! Luisa! Das ist ja nurein Kind. Ein einigermassen grosses noch dazu. Aber dieser nichtsnutzige Neffe hat gleich drei St?ck davon – alles noch kleine Hosenscheisser und eines verzogener als das andere!«

»Hosenscheisser?«

»Ja, mein Lieber, da staunst du! Menschen sind nicht automatisch stubenrein – nein, und es dauert bei ihnen auch nicht nur ein paar Wochen, bis sie kapiert haben, dass man nicht einfach auf den n?chsten Teppich pinkelt. Stell dir vor – diese Menschen brauchen JAHRE, um das zu lernen, was unsereins eigentlich ratzfatz raushat. Also tragen die kleinen Menschlein sogenannte Windeln in der Hose, in die sie einfach … na, du weisst schon. Das nur mal, um zu verdeutlichen, wie DUMM Kinder eigentlich sind.«

Ach, das ist in der Tat interessant.

»Also, das ist mir bei Luisa noch nie aufgefallen.«

»Nat?rlich nicht. Ich sagte doch: Die ist ja schon gross f?r ein Kind. Aber die G?ren von diesem Wiese – einfach schrecklich. Stell dir vor: Sie haben mich angezogen. In Puppenkleidung haben sie mich reingequ?lt. Sogar eine M?tze haben sie mir aufgesetzt, auf meine empfindlichen Ohren! Und dann wurde ich in den Puppenwagen gestopft. Ich konnte mich nicht wehren, die waren ja zu dritt. Durch die Gegend haben sie mich gefahren. Ach was: geschleudert! Mir ist richtig schlecht geworden, ich dachte, mein letztes St?ndlein h?tte geschlagen.«

Der arme Herr Beck! Was f?r ein Alptraum. Nur gut, dass ihn Nina aus dieser H?lle befreit hat. Dagegen scheint ja selbst das Tierheim ein Hort der Stille und des Friedens zu sein. Ich beschliesse, ihn ein wenig abzulenken.

»Ist es nicht toll, dass du jetzt bei Nina wohnst? Quasi in meiner alten Wohnung?«

Er schaut mich stumpf an.

»Was soll daran toll sein?«

»Du bist wieder hier! Bei deinen Freunden!«

»Ich vermisse mein Frauchen.«

Das allerdings wundert mich fast. Bisher dachte ich, Herr Beck ist niemand, der sein Herz an einen Menschen h?ngt. Stark und unabh?ngig. Im Grunde genommen eher Wildkatze als Hauskater.

»Sieh es doch mal so: die ist bestimmt bald wieder gesund, und so lange ist Nina nicht die schlechteste Adresse. Ich finde, ihr passt richtig gut zusammen.«

Wieder dieser stumpfe Blick.

»Wieso?«

»Na ja, weil ihr beide immer so schlecht gelau… ?h, weil ihr so ?hnliche Ansichten ?ber die Welt und eure Mitmenschen und -tiere habt. Das verbindet euch bestimmt, du wirst schon sehen.«

Herr Beck schnaubt.»Warum sollte ich denn mit der verbunden sein wollen? Du bist doch eigentlich nicht gerade Ninas gr?sster Fan. War die nicht eine Zeitlang auch hinter Carolins Tierarzt her?«

»Ja, aber das spielt doch jetzt keine Rolle. W?rst du lieber im Tierheim gelandet? Oder h?ttest noch gern ein paar Tage bei den Mini-Monstern verbracht?«

Beck sch?ttelt den Kopf. »Nat?rlich nicht. Wahrscheinlich bin ich einfach schlecht drauf. Wie gesagt: Ich vermisse Frau Wiese. Sie ist wahrlich nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber enorm zuverl?ssig. Bei Menschen ein unsch?tzbarer Wert. Was n?tzt dir das ganze Rumgekuschel, wenn das Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch steht? Respektive im Fressnapf landet?«

»Immerhin kann Nina gut kochen. Gestern hat sie uns zum Mittagessen eingeladen.«

»Nun lass mal gut sein. Du brauchst sie mir nicht anzupreisen. Ich bin in der Tat froh, dass sie mich aufgenommen hat. Ich dachte immer, sie sei so eine Zicke, aber offenbar hat sie doch einen guten Kern.«

»Freut mich, dass du das so siehst. Ich finde Nina wirklich ganz in Ordnung.«Und sie ist nicht zickiger als du, f?ge ich in Gedanken hinzu.

»Aber wie l?uft’s denn jetzt in der neuen Wohnung? Noch alle gl?cklich? Oder gab’s schon den ersten Zoff?«

Ich sch?ttele den Kopf.

»Nein, alles in bester Ordnung. Und damit es noch besser l?uft, hat Nina den beiden sogar ein Buch geschenkt, in dem drinsteht, wie sehr so jemand wie Marc gebraucht wird.«

»Aha. Eine Abhandlung ?ber Tiermedizin?«

»Nein, nein, mit Tieren hatte das nichts zu tun. Es ging um M?nner. Genauer gesagt, um gebrauchte M?nner.«

»Du weisst aber schon, dass es zwischen ›brauchen‹ und ›gebraucht‹ einen Riesenunterschied gibt?«

War ja klar. Wenn hier jemand f?r eine Wortklauberei gut ist, dann Herr Beck.

»Brauchen,gebrauchen– das ist doch v?llig egal. Carolin braucht Marc, und selbst Nina ist dieser Meinung. Das ist doch toll. Du willst ja nur nicht zugeben, dass diese ganze Familiennummer eine Supersache ist. Ist f?r dich als Einzelg?nger wahrscheinlich einfach nicht zu verstehen, wie sch?n das Zusammenleben mit anderen ist.«

Bl?de Katze. Jetzt rutscht Beck mit den Pfoten nach vorne, legt sich auf den Bauch und mustert mich durchdringend.

»Ich sage es wirklich nicht gern, aber: Du musst noch viel lernen, Kleiner.«

Was genau ist es eigentlich, was ich an Beck so nett finde? Seine?berheblichkeit bestimmt nicht. Ich drehe mich um und lasse den Bl?dmann einfach unter dem grossen Baum liegen. Da turne ich lieber noch ein bisschen durch die Werkstatt, als mich hier weiter belehren zu lassen.

»He, nun sei doch nicht gleich beleidigt! Bleib hier!«

Ich sch?ttle den Kopf und trotte weiter.

»Mensch, Carl-Leopold, ich habe mich total gefreut, dich wiederzusehen. Lass mich bitte nicht allein hier sitzen!«

Alle Achtung– wenn sich Herr Beck dazu aufrafft, mich mit meinem urspr?nglichen Namen anzureden, ist es ihm wirklich ernst. Dann will ich mal nicht so sein. Und eigentlich geht es mir ja genauso wie Beck: Ich habe mich auf das Wiedersehen sehr gefreut. Ich drehe mich um und lege mich genau vor Becks Nase.

»Dann gilt in Zukunft aber Folgendes: Du begr?ndest deine Einsichten ?ber Menschen im Allgemeinen und meine Familie im Besonderen mal n?her, oder aber: Klappe halten. Verstanden? Dein Rumgest?nker nervt mich n?mlich gewaltig. «

Herr Beck seufzt und nickt.»Na gut. Vielleicht bin ich in letzter Zeit wirklich etwas griesgr?mig. Ich werde zuk?nftig darauf achten, nicht zu verschroben zu werden.«

»Eine gute Idee. Ich werde dich beizeiten daran erinnern.«

»Mach das. Aber wenn du unbedingt Klartext willst, dann muss ich dir schon sagen, dass Nina mit ihrem Buch ?ber gebrauchte M?nner bestimmt nicht sagen wollte, dass Carolin Marc braucht. Vielmehr wollte sie darauf hinweisen, dass M?nner, die schon mal eine Familie hatten, nicht der beste Griff f?r die eigene Familiengr?ndung sind. Und der gute Marc ist eben so ein gebrauchter Mann. Schliesslich war er schon mal verheiratet und hat bereits ein Kind. Frauen wollen aber meist lieber einen Mann ohne Anhang und Vergangenheit. «

Tja, und da sieht man wieder deutlich, wie verr?ckt die Menschen sind. Kein Z?chter k?me doch auf die Idee, dass der ideale Kandidat f?r den Aufbau einer neuen Zucht ein Dackel sein k?nnte, der noch keinen Nachwuchs hat. Da kann man doch gar nicht beurteilen, ob der das ?berhaupt hinkriegt mit ansehnlichen Kindern. Marc hingegen hat mit Luisa bewiesen, dass er Vaterkann.

Ich sch?ttele den Kopf und schnaufe in meinen nicht vorhandenen Bart.

»Gut, wenn du es so sagst, wird es Nina schon so gemeint haben. Aber Unsinn ist es allemal.«

»Weiss nicht. Ich …«

Bevor Herr Beck noch n?her ausf?hren kann, wie er denn zu der ganzen Geschichte steht, kommt Carolin die beiden Stufen von der Werkstatt zum Garten hoch.

»So, mein Lieber, jetzt mal nicht faul in der Sonne rumliegen. Action ist angesagt! Wir sind mit Marc und Luisa an der Alster verabredet, also auf, auf!«

Lachhaft! Als m?sste man mich besonders motivieren, um mich zum Laufen zu kriegen.

An der Alster sind wir an einem sch?nen Sommertag nat?rlich nicht allein. Wahre Menschenmassen schieben sich ?ber die Sandwege beim See: M?nner, Frauen und Kinder, Babys in Kinderwagen, ?ltere Herrschaften sind mit Gehstock unterwegs, kurz: Jeder Mensch, der sich halbwegs fortbewegen kann, hat offensichtlich beschlossen, dies auch zu tun. Das wiederum ist ungew?hnlich, denn eigentlich laufen die Zweibeiner nur ungern. Jedenfalls mit ihren eigenen F?ssen. Mit Auto oder Fahrrad sieht die Sache schon wieder anders aus. Woran das wohl liegt? Zu weiteren philosophischen Gedanken bleibt mir allerdings keine Zeit, denn ich binangeleint und muss daher sehen, dass ich im passenden Tempo hinter Carolin herkomme, die gerade recht schnell ist.

»Komm, Herkules, gib mal ein bisschen Gas! Wir sind schon sp?t dran und wollen doch nicht, dass die anderen auf uns warten m?ssen.«

Das ist ja mal wieder typisch! Was kann ich denn daf?r, wenn wir nicht rechtzeitig aufbrechen? Bin ich hier etwa f?r die Verabredungen zust?ndig? Nervig, so was. Die menschliche Zeitrechnung ist sowieso ziemlich undurchsichtig, wenn man dann noch von ihr abh?ngt und deswegen total hetzen muss, wird es richtig unangenehm. ?berhaupt finde ich, dass es in letzter Zeit ziemlich viel Zeitplan und ziemlich wenig Streicheleinheiten von Carolin gab. Ich setze mich auf meinen Po.

»Was wird das? Ein Sitzstreik?«

Carolin klingt vorwurfsvoll. Ich lasse meine?hrchen h?ngen und fiepe ein wenig. Sie kniet sich neben mich.

»Herkules, S?sser, was ist denn los mit dir?«

Ich lege meinen Kopf auf ihre Knie und drehe ihn leicht. Ohne ein bisschen Z?rtlichkeit werde ich mich nicht von der Stelle r?hren. Basta. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass mich Carolin mustert. Offensichtlich denkt sie nach, jedenfalls kneift sie ihre Augen leicht zusammen – ihr klassisches Denkergesicht. Dann f?hrt sie mir mit einer Hand ?ber den Kopf und krault mich hinter den Ohren.

»War ein bisschen stressig in letzter Zeit, oder? Aber ich verspreche dir, dass es bald wieder ruhiger wird. Du hast auch alles ganz toll mitgemacht, ehrlich! Da bin ich schon ein bisschen stolz auf meinen kleinen Dackel.«

Gut. Das will ich gelten lassen. Ich nutze die Gelegenheit und schlecke Carolin einmal quer?bers Gesicht. Ich weiss, sie mag das nicht. Ich aber umso mehr! Sie kichert.

»He, mein Make-up! Das muss ich wohl gleich nochmal ?berpr?fen. Wenn du mir jetzt den Gefallen tun w?rdest?«

Sie macht eine einladende Handbewegung in die Richtung, in der sich wohl unsere Verabredung befindet.

Gerade will ich aufstehen und Carolin hinterhertrotten, da geschieht ES. Ich sehe SIE und bin– ?berw?ltigt! Denn sie ist sch?n. Nein, sie ist wundersch?n. Ich bin fassungslos. Sie geht direkt an mir vorbei, streift mich dabei fast und wirft mir einen kurzen Blick ?ber ihre Schulter zu. Sie ist mir so nah, dass ich sofort in einer Woge ihres unglaublich wunderbaren Geruchs gefangen bin. Ich sagegefangen, weil ich in diesem Moment absolut unf?hig bin, mich zu regen. Ich bin gel?hmt. Aber gl?cklich. Denn mir ist gerade ein Engel begegnet.

Ein unsanfter Ruck an meinem Halsband erinnert mich daran, dass ich nicht im Himmel, sondern an der Alster bin.

»Hallo, Erde an Herkules! Du wolltest doch brav sein, oder?«

H?? Wer? Herkules? Ich sch?ttele mich kurz und starre dem Wesen hinterher, das mich gerade verzaubert hat. Blonde, lange Haare, schlank, aber sportlich, und ein Gang, der eigentlich mehr ein Schweben ist, kurzum: eine absolute Wahnsinnsfrau. Mir wird schwindelig, ich glaube, ich muss mich kurz hinlegen. Mittlerweile steht Carolin direkt ?ber mir und grinst mich an.

»Du hast Gl?ck, mein Kleiner, wir wollen in die gleiche Richtung wie der h?bsche Golden Retriever, der dich so aus den Socken gehauen hat.«

Ertappt! Wie hat sie das bloss gemerkt?

»Also nicht mehr sabbern und jaulen – sondern schnell aufstehen und nichts wie hinterher!«

Wie peinlich! Habe ich tats?chlich gesabbert und gejault? Was ist bloss aus meinen guten Manieren geworden? Es spricht vieles daf?r, dass sie sich im Angesicht dieses Naturschauspiels verabschiedet haben. Ich rappele mich auf und laufe sofort hinter Carolin her, die mittlerweile ein paar Schritte vorgegangen ist. Tats?chlich, sie geht in Richtung Traumfrau. Ich mache einen Satz nach vorne und ?berhole Carolin. Kann die nicht mal schneller machen? Was schleicht sie denn hier lang? Ich dachte, wir h?tten es eilig!

»Wow, Herkules – du hast ja dein Gaspedal wieder entdeckt. Wenn du noch schneller wirst, muss ich joggen.«

Carolin legt zwar noch einen Zahn zu, zu laufen beginnt sie allerdings nicht. Mist, gleich ist der Engel verschwunden, und bei den vielen anderen Menschen und Hunden wird es einigermassen schwierig werden, ihrer Witterung zu folgen.

»Autsch! Halt mal, ich habe mir den Fuss verknackst!«

Auch das noch! Carolin bleibt stehen und reibt sich den Kn?chel. Muss das denn sein? Da kann man sich doch wohl mal einen Moment zusammenreissen.

»H?r mal auf, an der Leine zu zerren, ich habe mir wirklich weh getan. Komm zu mir und mach Sitz!«

Missmutig trabe ich zu Carolin und setze mich neben sie. Die soll bloss nicht glauben, dass ich nun den Rettungshund gebe. Wegen ihr habe ich gerade die Chance meines Lebens verpasst. Wer weiss, ob ich Carolin das ?berhaupt jemals verzeihen kann. Noch nie zuvor habe ich eine so sch?ne H?ndin gesehen. Und wie toll sie roch! Mein Herz beginnt schneller zu schlagen,und in meiner Magengegend macht sich ein Gef?hl breit, das ich noch nie zuvor hatte. Ob ich krank werde?

Carolin hat sich hingesetzt, den Schuh ausgezogen und betrachtet ihren Fuss. Zugegebenermassen sieht der dazugeh?rige Kn?chel auf einmal ziemlich dick aus. Wahrscheinlich tut es auch wirklich weh. Hm. Ich m?sste schon sehr hartherzig sein, um das zu ignorieren. Was ich nat?rlich nicht bin. Wenn es meinem Frauchen schlecht geht, f?hle ich mich auch nicht wohl. Schliesslich sind meine Ahnen in grader Linie 300 Jahre lang ihrem J?ger treu gefolgt. Und das vermutlich auch, wenn sie gerade einen wundersch?nen anderen Hund erblickt hatten. Ich kuschle mich also an Carolins Beine und schlecke ihr die H?nde ab, mit denen sie gerade ihren Kn?chel abtastet.

»Aua, also das hat mir gerade noch gefehlt! So was Bl?des, ich bin richtig umgeknickt und kann mit dem linken Fuss gar nicht mehr auftreten. Hoffentlich kommen wir ?berhaupt bis insCliff. Das ist bestimmt noch ein halber Kilometer, und es tut richtig weh.«

Sie st?hnt, und ich merke, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme. Wenn ich nicht so an der Leine gezogen h?tte, w?re das vielleicht nicht passiert. Ein Hund, der sein Frauchen in Schwierigkeiten bringt: Ich will gar nicht wissen, was Opili dazu sagen w?rde. Vielleicht kann ich zum Ausgleich Hilfe holen? Marc alarmieren? Andererseits – keine Ahnung, wo der steckt.

Ein Fahrradfahrer h?lt neben uns.

»Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie Probleme?«

Er steigt ab. Ein junger Kerl mit einer wirklich riesigen Umh?ngetasche. Seltsam, dabei dachte ich, grosse Taschen seien ein Privileg von Menschenfrauen. Der Typ riecht ein bisschen nach Pfefferminz – und irgendwie abenteuerlustig. Ich knurre. Diese Frau ist bereits vergeben, verzieh dich, Freundchen.

»Hoppla, keine Gewalt, Kleiner!«

Er grinst. Ich knurre lauter.

»Herkules, also wirklich! Wo ist dein Benehmen? Der Herr will mir doch nur helfen.«

Nee, schon klar. Und ich trete demn?chst dem Verein der Freunde des Zwergkaninchens bei. Der will nicht helfen, der will Beute machen, Carolin! Und wenn ich das ganze Alsterufer nach Marc absuchen muss – so leicht sind wir doch wohl nicht zu haben!

Das Raubtier nimmt den Fahrradhelm ab. Ziemlich viele Haare kommen zum Vorschein.

»Tja, da passt einer gut auf sein Frauchen auf. Ist ja nicht das Schlechteste. Ich bin ?brigens Robert.«

Er reicht Carolin die Hand und zieht sie zu sich hoch. Grrrrr!

»Danke. Ich bin Carolin. Ich glaube, ich habe mir den Fuss verstaucht. Und jetzt muss ich noch die 500 Meter bis zumCliff schaffen– leider weiss ich gerade nicht, wie.«

»Da helfe ich doch gerne. Was halten Sie davon: Sie setzen sich auf mein Fahrrad, ich schiebe Sie hin. Wenn Sie dort erwartet werden, kann Ihre Begleitung vielleicht den n?chsten Transport organisieren.«

Er l?chelt, Carolin l?chelt zur?ck. Das passt mir zwar nicht, aber eine brauchbare Alternative f?llt mir auch nicht ein. Carolin kann schlecht auf meinem R?cken zumCliff reiten. Daf?r bin ich eindeutig zu klein. Dann lieber das Fahrrad von Mr. Raubtier. Er hebt Carolin auf den Sattel und schiebt los. Ich trotte hinterher und komme mir komplett ?berfl?ssig vor. Traumfrau weg, Frauchen verletzt, Dackel hilflos. Was f?r ein ?tzender Nachmittag.

Wenig sp?ter kommen wir in dem Restaurant an, in dem Carolin und Marc offensichtlich verabredet sind. Sie bedankt sich bei Robert, er hilft ihr vom Fahrrad, und sie humpelt gest?tzt auf ihn Richtung Terrasse. An einem der hinteren Tische sehe ich Marc und Luisa. Er winkt uns zu, Carolin winkt zur?ck. Robert verabschiedet sich – mit einem K?sschen auf Carolins Wange und einem kurzen Griff an ihren Po, so, als m?sse er sie festhalten. Carolin schaut ?berrascht, aber bevor sie etwas sagen kann, hat sich Mister Lebensretter schon zu seinem Fahrrad davongemacht. GRRRR. Aber egal, den sind wir los.

Carolin humpelt zu Marc. Er kommt uns entgegen und fasst Carolin um die H?fte.

»Mensch, Schatz, was ist denn mit dir los?«

»Ich bin umgeknickt, und jetzt tut mein Fuss tierisch weh. Er ist auch schon ziemlich geschwollen. Ohne Hilfe von dem Fahrradkurier h?tte ich es gar nicht mehr hierhin geschafft.«

»Hm. Sollen wir gleich gehen?«

Carolin sch?ttelt den Kopf.

»Nein, lass mal. Ich habe mich auch schon auf das Essen mit euch gefreut. Wenn wir wieder zu Hause sind, werde ich mal den Fuss hochlegen und k?hlen. Aber das hat noch ein bisschen Zeit.«

Sie setzen sich, ich lege mich unter den Tisch. Sofort schweifen meine Gedanken wieder zu meiner Begegnung mit dem Engel ab. Ich muss so sehr an sie denken, dass ich fast das Gef?hl habe, sie zu riechen. Hm, toll, was Phantasie auszurichten vermag. Fast ist es, als l?ge sie unter dem Nachbartisch. Ich schliesse die Augen und beginne zu tr?umen. Was sie wohl f?r ein Hund ist? Sch?chtern? Mutig? Vorlaut? Still? In meinem Traum wird ihr Geruch immer st?rker. Ich muss mich sehr beherrschen, nicht zu jaulen. St?rker und st?rker. Ich ?ffne meine Augen wieder und versuche mir anzuh?ren, wor?ber Carolin, Marc und Luisa reden. Aber gerade jetzt ist der Geruch so stark, dass ich mich beim besten Willen nicht darauf konzentrieren kann. Wie gemein Vorstellungskraft doch sein kann.

»Ich bin ?brigens Cherie.«

Meine Vorstellungskraft kann offensichtlich sprechen. Ich drehe den Kopf Richtung eingebildeter Stimme. WAHNSINN! Dort liegt sie tats?chlich! In voller Sch?nheit. Die RetrieverDame von der Alster. Und sie spricht mich an! Ich bekomme Herzrasen. Und kein Wort heraus.

Die Sch?nheit l?sst nicht locker. »Kennen wir uns nicht? Ich glaube, ich habe dich schon mal gesehen.«

SIE hat MICH schon mal gesehen? Und kann sich daran erinnern? Ich glaube, ich werde ohnm?chtig. Quatsch. Ich werde ohnm?chtig.

F?NF

Kleiner? Alles in Ordnung bei dir?«

Als ich aus meiner Blitzohnmacht wieder erwacht bin, ist Cherie noch ein St?ck n?her an mich heranger?ckt und betrachtet mich neugierig.

»Du warst eben total weggetreten. Geht es dir nicht gut?«

»?h, doch, blendend.«

»Ich kenn dich. Du warst im letzten Jahr mit deinem Frauchen hier. Sie hatte ein Date, und du hattest Angst, sie k?nnte Schluss machen. Was sie wohl auch getan hat, wenn ich mir den Typen neben ihr ansehe. Das ist eindeutig ein anderer.«

Stimmt. Im letzten Sommer bin ich Cherie hier schon einmal begegnet. Sie lag unter dem Nachbartisch, als Carolin eine Verabredung mit Jens, dem Schauspieler, hatte. Damals waren wir noch auf M?nnersuche, und eigentlich erf?llte Jens alle Anforderungen an ein zuk?nftiges Herrchen. Er ging gerne spazieren, brachte Hundewurst mit und hatte auch Eigenschaften, die bei Menschenfrauen f?r Begeisterung sorgen: n?mlich blaue Augen und ein Auto ohne Dach. Leider hatte er ganz vergessen zu erz?hlen, dass er bereits eine Freundin hatte. Das kam bei Carolin nat?rlich nicht so gut an, und so mussten wir Jens dann wieder loswerden.

Wieso ist mir damals nicht aufgefallen, wie sensationell Cherie aussieht und riecht? Dass es sich bei ihr wahrscheinlich um die tollste H?ndin der Welt handelt? Also, h?bsch fand ich sie damals auch, daran kann ich mich noch erinnern. Aber wiedererkannt habe ich sie jetzt trotzdem nicht. Ob sie irgendwie sch?ner geworden ist? Oder hat sich irgendetwas bei mir ge?ndert? Kann ich auf einmal besser sehen und riechen? Mysteri?s.

Schmeichelhaft ist allerdings, dass sich Cherie noch an mich erinnert hat. Ich bin eben ein Mann, der Eindruck hinterl?sst. Klasse! Beste Voraussetzung, um mal ein Rendezvous unter uns Vierbeinern klarzumachen.

»Sch?n, dass du noch weisst, wer ich bin.«

»Wie k?nnte ich das vergessen! Du hast an dem Abend so ein Theater gemacht, dass ich zuerst dachte, du h?ttest eine Blasenschw?che. Mindestens. Wenn nicht etwas Schlimmeres. St?ndig bist du unter dem Tisch hervorgeschossen und hast gebellt. Und dann hast du mir erkl?rt, dass du das nur machst, damit sich dein Frauchen in den richtigen Kerl verliebt. Das war wirklich die verr?ckteste Geschichte, die ich je geh?rt habe. Bellen f?r die Liebe – wie bescheuert ist das denn?«

Sie lacht. Und ich sch?me mich in Grund und Boden. Stimmt, so war das damals. Peinlich. Wie soll ich diesen verheerenden Eindruck wieder wettmachen? Denn dass ich ihn wettmachen muss, steht fest. Cherie ist m?glicherweise die Frau meines Lebens. Ach was, ganz sicher ist sie das. Ich ?berlege fieberhaft, was ich nun Schlaues sagen k?nnte. Leider f?llt mir ?berhaupt nichts ein.

»Nun schau mal nicht so bedr?ppelt, Kleiner. Ich meine, die Idee war bescheuert, aber auch irgendwie ganz romantisch. Und ausserdem warst du doch noch ein halbes Kind. Da kann man schon mal auf solche Gedanken kommen.«

Gut, tr?stlich, dass Cherie mich anscheinend nicht f?r einen Vollidioten h?lt. Nicht ganz so tr?stlich ist, dass sie michKleiner nennt. Ich bin zwar neu im Flirt-Gesch?ft, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die mehrfache Verwendung dieser Anrede ein Zeichen f?r die abgrundtiefe Bewunderung des so Angesprochenen ist.Grosser w?re da vermutlich besser. Mir ist nat?rlich klar, dass ich gemessen an einem Golden Retriever tats?chlich klein bin, aber es muss doch m?glich sein, diese fehlenden Zentimeter irgendwie auszugleichen.

In diesem Moment schiesst etwas an unserem Tisch vorbei. Gross, schwarz und schnell. Ehe ich noch sehen kann, um wen oder was es sich dabei handelt, ist es auch schon verschwunden. Und zwar in der Alster. Mit einem riesigen Satz. Sensationell! Ich springe unter unserem Tisch hervor. Das muss ich mir genauer ansehen. Aufdie gleiche Idee kommt auch Cherie, gemeinsam laufen wir zu dem kleinen Bootssteg, der dem Gartenlokal vorgelagert ist.

Vorne angekommen, starren wir beide neugierig auf die Stelle, wodas Ding eben verschwunden ist. Die vielen Luftblasen verraten, dass sich unter der Wasseroberfl?che mehr befinden muss als ein paar kleine Fische. Und richtig – in diesem Moment tauchtEs auf: ein riesiger schwarzer Labrador, der in der Schnauze eine Art grossen Ring h?lt. Ein paar kr?ftige Schwimmz?ge, schon ist er am Steg angelangt, springt aus dem See und sch?ttelt sich kr?ftig. Wasser spritzt nach allen Seiten, wir werden richtig nass, aber zumindest Cherie scheint das nicht zu st?ren.

»Wahnsinn, was f?r ein toller Typ!«

Ein junger Mann l?uft auf denWahnsinnstypen zu und nimmt ihm den Ring ab.

»Gut gemacht, Alonzo!«

Alonzo. Was f?r ein beknackter Name.

»Alonzo! Was f?r ein toller Name!«

Die letzten Worte sind fast nur ein Hauchen. Cherie ist offensichtlich hin und weg. Verdammt. Wenn der Cheries Vorstellung vom Traummann nahe kommt, bin ich weiter als weit davon entfernt, ihr zu gefallen. Alonzos Herrchen holt jetzt noch einmal aus und wirft den Ring wieder in die Alster. Der Labrador springt sofort hinterher. Cherie h?lt den Atem an. Wenig sp?ter taucht Alonzo mit dem Ring in der Schnauze wieder auf. Ich muss zugeben, dass ich auch ein klein bisschen beeindruckt bin. Wie hat er den Ring im See bloss noch gesehen? Das Wasser der Alster ist nicht gerade das, was man glasklar nennen w?rde.

»Hast du das gesehen, Kleiner? Toll, oder? Wie hat er den Ring so schnell gefunden? Und was f?r ein guter Schwimmer er ist. Wir Golden Retriever sind ja auch nicht schlecht im Wasser, aber dieser Alonzo ist wirklich unglaublich! So sportlich, super!«

Na ja, also sportlich bin ich auch. Vielleicht k?nnte ich auch einen Ring aus dem Wasser fischen? Ob Cherie dann beeindruckt w?re? Und ich in ihren Augen gleich ein St?ck gr?sser? Alonzo hat in der Zwischenzeit den Ring noch zwei weitere Male apportiert. Und immer, wenn er an Land kommt, wirft er Cherie heisse Blicke zu. Der Angeber! Aber der wird sich noch wundern! Als sein Herrchen das n?chste Mal den Ring wirft, z?gere ich keine Sekunde.

Das Wasser ist nicht so kalt, wie ich dachte. Allerdings ist es tats?chlich sehr tr?b. Ich sehe noch kurz, in welche Richtung der Ring sinkt, dann muss ich mich auf meine Intuition verlassen. Schnell tauche ich tiefer und paddle in die Richtung, in der ich den Ring vermute. Meine Schnauze st?sst gegen etwas – das muss er sein! Entschlossen packe ich zu und habe tats?chlich den Ring erwischt. Bravo, Carl-Leopold! Du bist eben doch ein Grosser.

Ich tauche wieder auf und will Richtung Steg schwimmen. Aber das geht auf einmal gar nicht mehr so leicht. Irgendetwas scheint mich zur?ckzuziehen, jeder Schwimmzug f?llt mir schwer. Mit M?he kann ich meinen Kopf noch ?ber Wasser halten, immer wieder dr?ckt es mich unter die Wasseroberfl?che. Wahrscheinlich w?re es besser, den Ring einfach wieder loszulassen, aber das will ich auf keinen Fall. Ich kann Opilis Stimme h?ren:Ein von Eschersbach gibt niemals auf! Verdammt, was ist bloss los? Je mehr ich mich anstrenge, desto schwerer f?llt es mir, Richtung Steg zu paddeln. Das Wasser, das eben noch ruhig und glatt war, hat auf einmal regelrechte Strudel bekommen, die mich immer wieder hinunterziehen.

Ich werfe einen Blick nach hinten– und bekomme Panik: Ein riesiges Schiff f?hrt direkt hinter mir vorbei, und riesige Wellen kommen direkt auf mich zu. Schnell will ich mich wegducken, aber das ist aussichtslos, denn langsam geht mir die Luft aus, und ich werde Richtung Schiff gezogen. Ich paddle noch einmal nach Kr?ften, dannwird mir schwarz vor Augen, und ich merke, wie ich immer tiefer sinke.

In diesem Moment f?hrt mir ein stechender Schmerz in den Nacken, irgendetwas packt mich und reisst mich wieder nach oben. Ich will mich umdrehen, bin aber zu schwach. Alles, was ich sehen kann, sind Sternchen vor meinen Augen. Ich lasse den Kopf wieder sinken und bewege mich nicht mehr. Dann werde ich aus dem Wasser gehoben. Einen Moment bleibe ich regungslos liegen, nach einer Weile ?ffne ich die Augen. Wie auch immer ich wieder hier hingekommen bin: Ich liege auf dem Steg und lebe noch.

»Mensch, Kleiner, was machst du denn f?r Sachen?«

Ich blinzle nach oben ins Licht und sehe direkt in Cheries Augen. Sie ist klitschnass und grinst mich an.

»Also, wenn du das n?chste Mal ins Wasser springst und Hilfe brauchst, sag doch bitte vorher Bescheid. Dann achte ich n?mlich darauf, dass ich keine Leine mehr am Halsband habe. Das war doch sehr l?stig.«

Oh! Mein! Gott! Cherie hat mich gerettet. Okay, die Sache ist durch. Selbst wenn ich doppelt so gross w?re – nach dieser Aktion stehe ich garantiert nicht als Held da. Ich schliesse die Augen wieder und w?nschte, ich w?re einfach auf den Grund der Alster gesunken. Da stupst mich Cherie in die Seite.

»Was mich allerdings wirklich beeindruckt: Du hast immer noch den Ring in der Schnauze.«

Sag ich ja: Ein von Eschersbach ist ein echter K?mpfer! Auch wenn ich mich gerade ?berhaupt nicht so f?hle.

»Herkules! Bist du von allen guten Geistern verlassen?!«

Jetzt sind auch Marc und Luisa am Steg angelangt, und insbesondere Marc scheint irgendwie sauer zu sein.

»Du kannst doch nicht einfach in die Alster springen! Um ein Haar w?rst du abgesoffen! Wenn der Retriever dich nicht im letzten Moment rausgezogen h?tte, w?rst du jetzt tot. Du bist direkt vor den Ausflugsdampfer gesprungen – wie kann man nur so bl?d sein?«

Okay, Marcist sauer. Unter normalen Umst?nden w?rde ich mich jetzt m?glichst schuldbewusst geben, aber ich bin zu ersch?pft und bleibe einfach so liegen, wie mich Cherie auf den Steg geschleppt hat. Wenigstens Luisa scheint Mitleid zu haben, sie kniet sich neben mich und streichelt mich.

»Nicht so schimpfen, Papi. Du siehst doch, wie schlecht es Herkules geht.«

»So eine Dummheit aber auch! Wie ist er bloss auf die Idee gekommen?«

»Schimpfen Sie nicht mit ihm – das war eigentlich nicht seine Schuld.«

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Cheries Frauchen vom Tisch aufgestanden und auch auf den Steg gekommen ist.

»Hier hat eben jemand seinen Labrador st?ndig diesen Ring apportieren lassen. Offensichtlich wollte Ihr Kleiner es auch einmal versuchen. Dass das Schiff so nah an den Steg kommen w?rde, konnte er sicher nicht ahnen. Der Herr mit dem Labrador ist dann ganz fix verschwunden. Wahrscheinlich das schlechte Gewissen. Ist ja auch eine doofe Idee, eine Hundesportstunde im Gartenlokal abzuhalten.«

Genau! So gesehen bin ich gar nicht schuld.

»Da haben Sie Recht. Wenn der Retriever nicht gewesen w?re, h?tte Herkules vielleicht das Zeitliche gesegnet.«

»Ja, unsere Cherie hat eine sehr zupackende Art.«

»Ach, ist das Ihr Hund? Vielen Dank! Da muss ich ja wohl mal eine Fleischwurst springen lassen f?r die Dame! Wissen Sie, unser Herkules neigt ab und zu zur Selbst?bersch?tzung. Ist halt noch ein Teenager.«

Pah! Ist das etwa Solidarit?t mit den eigenen Familienmitgliedern? Und was heisst hier Selbst?bersch?tzung? Immerhin habe ich den Ring sofort erwischt. Wenn das doofe Schiff nicht gekommen w?re, w?re das ein Ia-Auftritt meinerseits gewesen. Ich hebe den Kopf und versuche, Marc m?glichst b?se anzugucken, was der nat?rlich ignoriert. Stattdessen plaudert er auch gleich noch meine finstersten Geheimnisse aus.

»Bestimmt wollte er auch den gr?sseren Hunden imponieren. Wissen Sie, Herkules ist ein Dackelmix, zu einer H?lfte Terrier. Und die f?hlen sich doch gerne mal gr?sser, als sie eigentlich sind. Mutige Hunde, aber manchmal etwas unvorsichtig.«

Vielen Dank, Marc. Jetzt weiss wenigstens auch Cherie, dass ich nicht reinrassig bin. Heute bleibt mir auch nichts erspart. Es mag Einbildung sein – aber ich glaube, Cherie guckt mich bereits absch?tzig an. Ich lege den Kopf wieder auf den Steg. Was f?r ein furchtbarer Tag.

»Hm, er sieht aber noch ganz sch?n schlapp aus. Meinen Sie, er ist okay? Vielleicht gehen Sie besser mit ihm zum Tierarzt.«

Jetzt mischt sich Luisa ein.

»Das brauchen wir nicht. Papa ist selbst Tierarzt.«

»Ach so? Das ist nat?rlich praktisch. Hier in der N?he?«

»Ja, ich habe meine Praxis gleich hinter dem Helvetia-Park. «

»Das ist gut zu wissen – unser Tierarzt ist n?mlich gerade in den Ruhestand gegangen und hat die Praxis aufgel?st. Jetzt suche ich einen neuen, falls mal was mit Cherie sein sollte.«

»Na, das w?re mir nat?rlich eine Ehre, die tapfere Lebensretterin zu behandeln. Warten Sie, ich glaube, ich habe eine Karte dabei.«

Er greift in die Hosentasche und zieht ein St?ck Karton heraus.

»Bitte sehr – Marc Wagner. Ich w?rde mich freuen, Sie beide zu sehen.«

»Danke, ich heisse Claudia Serwe. Ich komme bestimmt bald mal mit Cherie vorbei. Sp?testens bei der n?chsten Wurmkur.«

Hm, das ist nun eine unerwartete, aber ausgezeichnete Wendung. Wenn Cherie erst mal in Marcs Praxis aufkreuzt, kann ich die Scharte von eben vielleicht auswetzen. Als Hund des Tierarztes geniesst man doch ein gewisses Ansehen bei den Patienten. Das ist meine Chance, und ich werde sie nutzen!

SECHS

Komm Schatz, lass mich doch mit Herkules Gassi gehen. Wenn dein Fuss noch so weh tut, solltest du ihn lieber ein bisschen hochlegen, anstatt unserem Kampfdackel hinterherzuhinken.«

»Danke, das ist lieb von dir. Es geht zwar schon viel besser, aber so ganz in Ordnung ist mein Fuss tats?chlich noch nicht.«

Seit ihrem kleinen Unfall an der Alster lahmt Carolin. Und zwar gewaltig. Zudem hat sich herausgestellt, dass Marc sich zwar mit Pferdegelenken bestens auskennt, bei Menschen hingegen passen muss. Viel mehr als ein paar aufmunternde Worte und das Angebot, mit mir spazieren zu gehen, ist vom Herrn Doktor noch nicht gekommen. Das?berrascht mich: Es kann doch nicht sein, dass Marc vom Hamster bis zum Elefanten alles behandelt, was durch seine Praxist?r kommt, bei Carolin aber v?llig ahnungslos ist. Ob er vielleicht keine Lust hat, sich um sie zu k?mmern? Weil er mit seinen Patienten schon ausgelastet ist? Aber ein reines Zeitproblem kann es auch nicht sein: Immerhin hat sich Marc jetzt meine Leine geschnappt und scheint fest entschlossen, eine Runde mit mir zu drehen. Gut, ich muss nehmen, wen ich kriegen kann. Denn nicht nur, dass Caro schw?chelt: Luisa ist dieses Wochenende gar nicht da.

Marc zieht sich eine Jacke?ber, dann geht es los. Wir steuern direkt auf den Park zu, das ist gewissermassen unsere Stammstrecke. Nicht mehr besonders aufregend f?r mich, aber immer wieder gerne genommen. Kaum haben wir allerdings die ersten B?ume passiert, setzt sich Marc schon auf eine Parkbank. Ach n? – was soll das denn? Das ist doch wohl nicht wahr! Soll ich jetzt etwa im Kreis um die Bank laufen? Ich zerre an der Leine und belle.

»Keine Sorge, Herkules, es geht gleich weiter. Ich muss nur mal eben in Ruhe telefonieren. Dauert auch nicht lang.«

Okay, das kann sogar stimmen. Wenn Marc telefoniert, dann tats?chlich meist sehr kurz. Carolin hingegen kann stundenlang in das kleine K?stchen sprechen, das sie sich beim Telefonieren ans Ohr h?lt. Wie ?berhaupt alle Menschenfrauen, die ich bisher beim Telefonieren beobachtet habe, hier wesentlich mehr Ausdauer beweisen als M?nner. Dann kann ich also nur hoffen, dass Marc nicht mit einer Frau telefonieren will. Ich setze mich neben die Bank.

»Hallo Sabine, Marc hier. Du hattest um R?ckruf gebeten.«

Mist. Soweit ich weiss, ist Sabine ein Frauenname. Ich glaube, die eigentliche Mutter von Luisa heisst zum Beispiel so. Die Stimme, die ich dank meiner ausgezeichneten Ohren aus dem Telefon h?ren kann, ist auch tats?chlich die einer Frau. Das kann also dauern. Ich lege mich hin. G?hn. Vielleicht schlafe ich ein bisschen.

Bevor ich jedoch wegd?mmern kann, ?ndert sich die Stimmung schlagartig von »langweilig« zu »explosiv«. Und nicht nur dieStimmung– vor allem MarcsStimme bekommt auf einmal einen ganz schneidenden Ton.

»Ich muss dich gar nichts fragen. Ob meine Freundin bei mir einzieht, geht dich nichts an! Ich kann mich auch nicht erinnern, dass du mich gefragt h?ttest, bevor du mit deinem Flugkapit?n abgehoben bist.«

Auch die Frau klingt auf einmal ganz aufgeregt. Ich kann zwar keine einzelnen Worte verstehen, aber ihre Stimme ist pl?tzlich hell und schrill.

»So, du machst dir Sorgen um deine Tochter? Das ist aber neu. Wo waren denn deine Muttergef?hle, als du ausgezogen bist? Das war f?r Luisa mit Sicherheit schlimm.«

Sabine, Luisa? Marc scheint also tats?chlich mit Luisas Mutter zu telefonieren. Aber warum ist er denn so w?tend? Ich dachte, das Konzept menschlicher Familie sei Harmonie. Davon ist Marc aber meilenweit entfernt: Er br?llt regelrecht. Verschreckt verkrieche ich mich unter der Parkbank. Jetzt springt Marc auf und geht vor der Bank auf und ab. Ich beobachte ihn aus sicherer Entfernung. Seine Aggression ist so greifbar, dass ich ein bisschen Angst bekomme. Sabine schreit auch irgendwas, aber Marc f?llt ihr ins Wort.

»O nein, meine Liebe, so einfach ist es eben nicht. Wir waren uns einig, dass Luisa zu mir zieht. Das war eine gemeinsame Entscheidung. Wenn dir das heute nicht mehr schmeckt, ist das allein dein Problem.«

Jetzt wieder sie– weit kommt sie allerdings nicht. Marc unterbricht sie und schreit in den H?rer.

»Pass mal auf, Sabine: Ich bin endlich wieder gl?cklich, und das stinkt dir. So einfach ist das.«

Dann dr?ckt er auf einen Knopf und steckt das Handy in seine Hosentasche. Er atmet tief durch, dann dreht er sich zu mir um.

»Herkules, was machst du denn unter der Bank? Komm da mal raus.«

Ich z?gere. Er b?ckt sich und streckt mir eine Hand entgegen.

»Nun komm schon. Ich habe mich wieder beruhigt. Keine Schreierei mehr, versprochen.«

Kaum stehe ich neben ihm, nimmt mich Marc auf einmal auf den Arm und dr?ckt mich fest an sich. Hoppla, so kuschelig ist er doch sonst nicht! Ich frage mich, ob diese pl?tzliche Gef?hlsanwandlung mit dem Telefonat zu tun hat. Was hat Luisas Mutter bloss zu ihm gesagt, das ihn so aufgeregt hat? Ich w?rde es wirklich gerne wissen, denn so habe ich Marc noch nie erlebt. Der ist eigentlich ein sehr besonnener Mensch.

Er setzt mich wieder auf den Boden und dreht sich um.

»So, mein Lieber. Jetzt kommst du endlich zu deinem Recht: einem ausgedehnten Spaziergang. Wir werden uns doch von der bl?den Kuh nicht den Tag verderben lassen, Kumpel! Wir sind gut drauf, oder?«

Ich mag mich t?uschen, aber diese pl?tzliche Fr?hlichkeit wirkt auf mich irgendwie … gek?nstelt und Marc eher verzweifelt als guter Dinge. Um ihn aber nicht noch mehr runterzuziehen, gebe auch ich mich nun geradezu k?mpferisch gut gelaunt und belle aufmunternd. Hoffe ich jedenfalls.

»Ich habe dir doch gleich gesagt, dass es mit gebrauchten M?nnern etwas schwieriger wird. Und das liegt unter anderem an den alten Frauen.«

Marc hat gestern kein Wort mehr?ber sein Gespr?ch mit Sabine verloren – selbst Carolin hat er meines Wissens nichts davon erz?hlt. Ich bin also immer noch ratlos, was diesen Gef?hlsausbruch seinerseits verursacht haben k?nnte, und habe mich daher heute umgehend an den Spezialisten in Menschenfragen gewandt: Herrn Beck.

Der liegt neben mir auf dem Rasen und erl?utert mir haarklein die T?cken der menschlichen Familie. Beck ist hier unglaublich versiert: Sein altes Herrchen, der Bruder von Frau Wiese, war Anwalt und als solcher oft mit Familienfragen befasst. Menschen, die ihren Partner loswerden wollten, kamen zu ihm, und auch solche, die sich dar?berstreiten wollten, bei wem die Menschenkinder k?nftig wohnen, z?hlten zu seinen Kunden. Ich mag es kaum glauben, aber das Thema Familie scheint wirklich unglaublich kompliziert zu sein.

»Aber was haben denn alte Frauen mit gebrauchten M?nnern zu tun? Das verstehe ich nun ?berhaupt nicht. Marc ist gebraucht, das habe ich jetzt geschnallt. Aber wenn Sabine die Mutter von Luisa ist, dann ist sie doch wahrscheinlich noch gar nicht so alt.«

»Ich meine doch nichtalt im Sinne vonalt.«

»Nein?«

Okay, vielleicht verstehe ich es auch einfach nicht, weil Beck es so schlecht erkl?rt.

»Ich meine: Wenn Carolin dieneue Frau von Marc ist, dann ist Sabine diealte. Kapiert?«

»Aha. Aber wo ist das Problem? Die Frauen begegnen sich doch nie. Marc wohnt schliesslich nicht mit beiden zusammen. Obwohl das in der freien Wildbahn jeder Dackelr?de so machen w?rde – also, mit all seinen Frauen zusammenleben, neuen, alten, jungen, betagten, einfach allen. Behauptet jedenfalls mein Opili. Und wenn Marc sich das aussuchen kann, dann k?nnte er doch …«

Beck atmet schwer.

»Unsinn. Das kann sich Marc doch nicht aussuchen! Was denkst du denn. Da w?rden ihm die beiden Damen aber aufs Dach steigen!«

»Ja, schon klar. Die Menschen bilden P?rchen, weiss ich doch. Aber dann verstehe ich den ganzen ?rger noch weniger. Marc hat doch dann alles richtig gemacht. Ein neues P?rchen gebildet. Mit Carolin. Damit hat doch dann die alte Frau gar nichts zu tun.«

»Wenn du mir nun endlich mal zuh?ren w?rdest, anstatt hier immer alles zu kommentieren, w?rde ich es dir erkl?ren.«

Ich nicke schuldbewusst.»Okay, ich halt die Klappe.«

»Das Problem mit den alten Frauen ist doch Folgendes: Menschen als denkende Wesen k?nnen die Vergangenheit einfach nicht ruhen lassen. W?hrend der durchschnittliche Hund sich maximal noch daran erinnern kann, was vergangene Woche alles so passiert ist, und selbst eine Katze selten mehr als den vergangenen Monat auf dem Zettel hat, h?ngen Menschen gerne ganzen Jahren nach. Ich habe es bei meinem Herrchen gesehen: Die Menschenpaare trennen sich, aber dann verbringen sie immer noch genauso viel Zeit mit Streitereien. Sie sind wie gefangen in der Vergangenheit. Und besonders schlimm kann das werden, wenn Menschenkinder zu der ganzen Geschichte geh?ren. Weil Mann und Frau dann ja tats?chlich immer noch miteinander zu tun haben, als Vater und Mutter.«

Ein interessantes Konzept. Nat?rlich habe ich auch an meiner Mutter gehangen. Aber man wird als Hund schnell unabh?ngig von den Eltern. Deckr?de und H?ndin wohnen meist sowieso nicht zusammen. Streit ?ber den Aufenthalt des Nachwuchses kann es nicht geben, weil der Z?chter den bestimmt. Kein Wunder, dass Menschen st?ndigProbleme haben. Sie machen es sich einfach zu schwer.

»Also, so wie du es erz?hlst, wird wohl Folgendes passiert sein: Sabine und Marc haben beschlossen, dass Luisa bei Marc wohnen soll. Leider hat Marc dann vergessen, Sabine zu erz?hlen, dass Carolin bei ihm einzieht. Und jetzt ist Sabine sauer, weil sie nicht will, dass ihr Kind mit einer fremdenFrau zusammenlebt, ohne dass sie vorher gefragt wurde. Vielleicht hat sie auch Angst, dass Carolin ihr die Mutterrolle streitig macht.«

»H??«

»Ja, Letzteres ist f?r Fortgeschrittene. Das erkl?re ich dir ein andermal genauer. Momentan versp?re ich tats?chlich ein leichtes Hungergef?hl. Weisst du, Nina kocht jetzt immer f?r mich, und wahrscheinlich wartet schon etwas ganz Leckeres in meinem Napf. Ich sehe dich sp?ter!«

Spricht’s, steht auf und verschwindet. So, so. Nina kocht f?r Herrn Beck. Und der verbringt seine Zeit offenbar lieber mit seiner neuen Freundin als mit mir. Dabei wollte ich ihm noch von Cherie erz?hlen. Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass Hundedamen nicht gerade in Herrn Becks Kernkompetenz fallen. Trotzdem h?tte ich mich gerne mal mit jemandem ausgetauscht. Oder besser: jemandem von Cherie vorgeschw?rmt. Und nun l?sst mich dieser alte Kater schn?de hier sitzen. Wer h?tte das gedacht? Und warum kocht eigentlich niemand f?r mich?

Bevor ich mich weiter mit dieser Frage befassen kann, streckt Carolin ihren Kopf durch die Terrassent?r und ruft nach mir. Ob sie vielleicht Ninas leuchtendem Beispiel gefolgt ist und auch etwas Leckeres f?r mich vorbereitet hat? Neugierig trabe ich in Richtung Werkstatt.

»So, Herkules, heute machen wir mal fr?her Feierabend. Ich habe Marc versprochen, dass wir Luisa von der Schule abholen. Der Hort f?llt heute aus, wir werden uns also ein bisschen um die junge Dame k?mmern.«

Gut, dagegen ist nichts zu sagen– aber was ist denn mit meinem Mittagessen? Oder bekomme ich nicht nurnicht etwas Selbstgekochtes, sonderninsgesamt nix? Carolins Kinderliebe in allen Ehren und auch wenn mir langsam klar wird, dass die menschliche Brutpflege eine ganz delikate Angelegenheit ist: Das geht nun echt zu weit! Luisa wird schon keinen Schaden nehmen, nur weil sie vielleicht ein bisschen vor der Schule warten muss. Ich werde auch h?ufiger vor dem Supermarkt angebunden und muss mich dann gedulden, bis Carolin mit dem Einkaufen fertig ist. Meines Wissens hat sich noch kein einziger Mensch dar?ber Gedanken gemacht, wie es mir eigentlich damit geht.

Aber so wie es aussieht, f?llt das Essen tats?chlich aus, denn Carolin hat schon ihre Jacke an und wedelt mit dem Autoschl?ssel. Ein eindeutiges Signal zum Aufbruch. Normalerweise erledigt Carolin alles zu Fuss oder mit dem Fahrrad. Werkstatt, Marcs Haus und die Schule liegen schliesslich so dicht beieinander, dass es selbst f?r Menschen keine un?berwindbare Distanz darstellt. Doch mit Hinkefuss ist die sonst so bewegliche Carolin zum Autofahrer mutiert. Nun gut, dann muss ich eben hungern. Wenn ich deshalb gleich die Autositze fresse, ist Carolin selbst schuld. Ich knurre leise vor mich hin, aber dieses Zeichen meines Protests wird von Carolin komplett ignoriert. Stattdessen scheucht sie mich aus der Werkstatt und schliesst die T?r hinter uns. Hier im Treppenhaus riecht es verf?hrerisch lecker nach gekochtem H?hnchen. Wahrscheinlich eigens f?r Herrn Beck zubereitet. So eine Gemeinheit!

Schlecht gelaunt h?pfe ich auf den Beifahrersitz. Eigentlich mag ich Luisa sehr gerne, aber gerade entdecke ich, dass das Zusammenleben mit einem Kind auch ganz offenkundig Nachteile hat. Man spielt als Hund eindeutig nur noch die zweite Geige. Es ist wahrscheinlich der Hunger, aber ich kann mich nicht daran hindern, in Selbstmitleid zu versinken. Was bin ich nur f?r ein armer Hund! Es ist noch nicht so lange her, da gab es nur Carolin und mich. Das war herrlich. Sie hatte jede Menge Zeit f?r mich, wir haben auf dem Sofa gekuschelt, und ab und zu durfte ich in ihrem Bett schlafen. Dann kam Marc dazu. Das war auch noch in Ordnung, immerhin war Carolin seitdem deutlich ausgeglichener und gl?cklicher. Ab und zu hat uns Luisa besucht, und wir waren eine kleine Familie auf Zeit. Vielleicht war das ideal, und es w?re besser so geblieben. Herr Beck hatte Recht. Damals war alles besser: Luisa spielte und schmuste mit mir, f?tterte mich, ich war f?r sie auch etwas Besonderes, denn zu Hause, bei ihrer Mutter, gab es offensichtlich keine Tiere. Das habe ich gleich gerochen. Jetzt bin ich nat?rlich nichts Besonderes mehr, und es spielt nicht einmal eine Rolle, dass ich …

»Herkules, mein S?sser! Komm, lass dich mal richtig knuddeln! «

Luisa reisst die Autot?r auf und nimmt mich sofort auf den Arm. Sie dr?ckt mich fest an sich, vergr?bt ihr kleines Gesicht in meinem Fell und bl?st mir ihren warmen Kinderatem ins Genick. Das kitzelt zwar, ist aber trotzdem ein sch?nes Gef?hl. Dann hebt sie mich hoch und guckt mir direkt in die Augen.

»Weisst du, ich freue mich immer, wenn ich dich sehe! Ich glaube, du bist mein bester Freund.«

Ich merke, wie mein Herz einen kleinen H?pfer macht. Luisa ist einfach ein ganz tolles M?dchen, ich bin wirklich froh, dass es sie gibt. Das mit dem Freund stimmt schon – Kinder und Hunde passen super zusammen. Man ist einfach gleich auf Augenh?he. Ich schlecke ihr einmal quer ?bers Gesicht, und sie quietscht vor Freude.

»Komm, Luisa, steig ein! Ich glaube, Herkules h?ngt der Magen schon auf den Knien, ich hatte eben keine Zeit mehr, ihn zu f?ttern. Wahrscheinlich frisst er mir gleich die Autositze auf.«

So ein Quatsch! Die Autositze? Absurd. So einen riesigen Hunger habe ich nun auch wieder nicht. Ist doch wohl wichtiger, dass Luisa erst mal heil nach Hause kommt.

SIEBEN

Der Hundegott ist doch ein g?tiger: Nach einer sehr reichlichen Portion Pansen sitze ich zufrieden und ein bisschen m?de neben Luisa und lasse mich hinter den ?hrchen kraulen. Die unterh?lt sich gleichzeitig mit Carolin. Gewissermassen ein Gespr?ch von Frau zu Frau. Jedenfalls kommt es mir so vor, denn beide haben einen einigermassen geheimnisvollen Tonfall.

»So, und Pauli ist echt cool?«

»Genau. Eigentlich der einzige coole Junge an der ganzen Schule. Er ist nat?rlich auch schon in der vierten Klasse. Die Jungs in meiner Klasse sind alle kleine Pupsis, voll doof.«

»Na ja,ein netter Typ ist doch auch schon mal was.«

»Ja, aber im n?chsten Schuljahr kommt Pauli aufs Gymnasium – und dann ist er weg, und ich sehe ihn nie wieder.«

»Also, das Gymnasium liegt vermutlich nicht in Australien. Wieso solltest du ihn denn nie wiedersehen?«

»Weil, dann m?sste ich mich schon extra mit ihm verabreden. «

»Na und? Kannst du doch machen.«

»Carolin! Pauli verabredet sich nicht mit M?dchen. Dazu ist er viel zu cool.«

»Aha? Das ist ein Zeichen von Coolness? Das wird sich der Pauli bestimmt noch mal anders ?berlegen.«

»Also selbst wenn er sich mit M?dchen verabreden sollte, dann bestimmt nicht mit kleinen M?dchen. Das ist v?llig aussichtslos. Momentan sehe ich ihn noch auf dem Schulhof, und da unterh?lt er sich sogar mit mir. Aber wenn er erst mal weg ist, ist er weg. Hundertprozentig.«

Schweigen. Carolin legt Luisa einen Arm um die Schulter.

»Und das w?re schon bl?d, nicht wahr?«

Luisa nickt, sagt aber nichts.

»Wie ist es denn sonst so an der Schule?«

Luisa zuckt mit den Schultern.

»Du wolltest doch eine Party machen. Hast du denn deine Freundinnen schon eingeladen?«

Luisa nickt wieder, sagt aber immer noch nichts.

»Und wann findet die Party statt?«

Jetzt f?ngt Luisa endlich an zu sprechen, aber so leise, dass selbst ich mit meinem ausgezeichneten Geh?r sie kaum verstehen kann.

»Die findet gar nicht statt. Die wollten alle nicht kommen. Ich bin n?mlich nicht im Club.«

Luisa hat aufgeh?rt, mich zu kraulen. Ich blinzele nach oben. Sie wischt sich mit einer Hand ?ber die Augen, und ich kann sehen, dass etwas auf ihrer Wange glitzert. Klarer Fall: Luisa weint. Das hat auch Carolin bemerkt, die ihr jetzt ?ber den Kopf streicht.

»Mensch, Luisa, warum hast du das denn nicht erz?hlt?«

»Ich wollte nicht, dass Papi sich Sorgen um mich macht. Er hat sich doch so gefreut, dass ich nach Hamburg gezogen bin.«

Ich bin entsetzt– Luisa geht es schlecht, und ich habe davon rein gar nichts bemerkt. Ein Unding – ein Dackel, der keine Antennen f?r sein Rudel hat! Offenbar kreise ich in letzter Zeit zu sehr um mich selbst. Ob das an Cherie liegt? Sofort schweifen meine Gedanken ab. Wie finde ich bloss heraus, wann sie in Marcs Praxis kommen wird? Ich bin tags?ber immer mit Carolin in der Werkstatt, da w?rde ich sie glatt verpassen. Oder ich bleibe in Zukunft einfach zu Hause und verbringe meine Zeit in der Praxis. Gut, das ist nat?rlich f?r den Fall, dass Cheries Frauchen erst in ein paar Wochen einen Termin macht, eine ziemlich langweilige Variante. In Marcs Haus habe ich n?mlich keine Freunde. Luisa ist tags?ber in der Schule, und die einzigen anderen Tiere sind Marcs Patienten, die aber st?ndig wechseln. Also niemand, mit dem ich mich anfreunden k?nnte. Ein echtes Problem, aber hoffentlich kein unl?sbares.

»Eigentlich ist nur Herkules mein Freund.«

Ich h?re meinen Namen und erschrecke. Ein feiner Freund bin ich! Wenn Luisa das w?sste – sie sch?ttet ihr Herz aus, und ich denke bei n?chstbester Gelegenheit wieder nur an Cherie. Was ist bloss los mit mir?

»Vielleicht musst du die anderen Kinder erst besser kennenlernen? Ich meine, du bist doch erst seit Januar in der Klasse. Manchmal braucht es etwas mehr Zeit, bis man Freunde findet.«

Im Gegensatz zu mir ist Carolin r?hrend um Luisa bem?ht. Ob es das ist, was Herr Beck meinte? Mit »Mutterrolle streitig machen«? Hat Sabine deshalb Angst vor Carolin? Also, falls sie ?berhaupt Angst hat – so genau weiss ich das nat?rlich nicht, denn Marc hat nichts erz?hlt. Und wenn es so ist, welchen Sinn w?rde das machen? Sabine m?sste doch froh sein, dass Carolin sich so gut um Luisa k?mmert.

Wenn ein Z?chter Welpen abgibt, dann sorgt er immer daf?r, dass sie in liebevolle H?nde kommen. Jedenfalls ein gewissenhafter Z?chter tut das. Gut, der alte von Eschersbach hat mich gemeinerweise einfach ins Tierheim verfrachtet, aber w?re ich reinrassig gewesen, h?tte er potenzielle K?ufer auf Herz und Nieren gepr?ft. In ihrem neuen Zuhause sollen sich die Welpen wohl f?hlen, so denkt sich ein guter Z?chter das. Ich sehe zwar ein, dass man die Sache wahrscheinlich nicht eins zu eins auf Menschen ?bertragen kann. Aber nicht wenigstens ein bisschen?

Nachdem ich zu der ganzen Geschichte offensichtlich nichts Sachdienliches beitragen kann, beschr?nke ich mich darauf, Luisa ein wenig die H?nde abzuschlecken. Vielleicht ist das irgendwie tr?stlich. Sie kichert. Na also, wer sagt’s denn?

Carolin guckt nachdenklich. Das heisst, sie legt ihre Stirn in Falten und h?lt den Kopf schief. »Was ist denn das f?r ein Club, in dem du nicht Mitglied bist?«

»Der Tussi-Club.«

Carolin prustet laut los.

»Bitte? Wie heisst der?«

»Tussi-Club.«

Was, bitte, ist daran so komisch?

»Bist du sicher, dass du in einem Club mit einem so bescheuerten Namen Mitglied sein m?chtest? Ich meineTussi– schlimmer geht’s doch nicht. Weisst du ?berhaupt, was das bedeutet?«

Luisa nickt.

»Klar weiss ich das. Tussi ist normalerweise ein Schimpfwort f?r doofe Frauen. Aber das macht es ja gerade so cool, verstehst du?«

Carolin guckt sie mit grossen Augen an.

»Nee, ehrlich gesagt, nicht.«

Mir geht’s genauso.Tussi ist ein Schimpfwort, und trotzdem nennen sich die M?dchen so?

»Ist doch logisch: Pony-Club, Prinzessinnen-Club – das sind alles Namen f?r Clubs von kleinen M?dchen. Weil die immer was Tolles sein wollen. Aber Lena und so – die wollen gar nichts Tolles sein. Diesind toll. Und deswegen nennen sie sichTussi-Club– zum Spass, verstehst du?«

»?h, nicht so ganz. Ist ja aber auch egal. Die Frage ist doch: Wie wird man da nun Mitglied? Bewirbt man sich?«

Luisa seufzt tief.

»Nein, das geht nicht. Die m?ssen einen fragen. Und sie fragen mich einfach nicht.«

»Hm. Verstehe. Das ist nat?rlich ein Problem. Aber ich verspreche dir, ich werde dar?ber nachdenken. Und jetzt lade ich dich erst mal auf ein Eis ins Caf? Violetta ein. Danach sieht die Welt garantiert schon besser aus.«

Luisa ist l?ngst im Bett, als Carolin Marc vom Tussi-Club erz?hlt. Die beiden kuscheln bei einem Glas Wein auf dem Sofa, ich liege davor – alles in allem saugem?tlich.

»Tussi-Club? Ich lach mich schlapp! Und da will Luisa unbedingt Mitglied werden und ist todungl?cklich, weil die sie nicht lassen? Ach komm, die wird sich schon wieder beruhigen. «

Carolin mustert Marc?ber den Rand ihres Glases.

»Hm, ich weiss nicht. Luisa war wirklich sehr traurig. Und sie wollte dir nichts davon erz?hlen. Vielleicht geht das Problem ja auch tiefer, und es gef?llt ihr nicht in Hamburg? Oder unser Zusammenziehen war doch ein bisschen zu schnell f?r sie?«

Sofort richtet sich Marc auf.»Wie kommst du denn darauf? «

»Es ist nur so ein Gedanke. Ich mache mir eben ein wenig Sorgen um das Kind.«

»Ach – und ich nicht, oder wie?« Marc klingt sehr scharf.

»Hey, das habe ich gar nicht gesagt. F?hl dich doch nicht gleich angegriffen.«

»Ich f?hle mich nicht angegriffen. Ich glaube nur, dass das totaler Schwachsinn ist. Luisa f?hlt sich sehr wohl, und mit dir kommt sie blendend aus. Alles ist gut.«

Carolin legt ihre Hand auf Marcs Arm und t?tschelt ihn. »S?sser, alles in Ordnung bei dir?«

»Nat?rlich. Warum?«

»Du wirkst so angespannt.«

»?berhaupt nicht. Ich bin v?llig entspannt. Gewissermassen die Ruhe selbst.«

Ich muss sagen, dass das nicht gerade?berzeugend klingt. Weder wirkt Marc ruhig noch entspannt. Und er riecht auch nicht so.

Am n?chsten Tag bringen Caro und ich Luisa auf dem Weg in die Werkstatt noch bei der Schule vorbei. Die Stimmung ist gut, Luisa und Caro bl?deln miteinander herum, und Luisa scheint wieder so fr?hlich zu sein, wie ich sie eigentlich kenne. Ausserdem stecken in ihrer Jackentasche Leckerlis – ich rieche das genau. Ob ich gleich eins davon bekomme?

Caro stoppt das Auto kurz vor der Schule, und tats?chlich kramt Luisa in ihrer Jacke herum.

»Hier, Herkules, f?r dich. Weil du mich gestern so lieb getr?stet hast!«

Hm, k?stlich! Wo hat sie das bloss her? Und gibt’s dort noch mehr davon?

»Wo du gerade von tr?sten redest – ich habe mir tats?chlich schon ein paar Gedanken ?ber den Tussi-Club gemacht, und ich glaube, mir ist da eine gute Idee gekommen. «

Luisa reisst die Augen auf.

»Ehrlich? Was denn?«

»Na, ich will noch nicht zu viel verraten – aber ich sage mal: Stichwort Ponys und Prinzessinnen. Mal sehen, ob’s klappt.«

Carolin l?chelt geheimnisvoll.

»Och, Carolin, nun sag schon!«

»Nein, lass mich erst mal machen. Aber es wird bestimmt gut.«

»Bitte!«

»Neihein!«

Carolin lacht, und auch Luisa f?ngt an zu kichern. Trotzdem unternimmt sie noch einen letzten Versuch, bevor sie aussteigt.

»Bitte, Carolin! Was hast du dir ?berlegt?«

»Lass dich einfach ?berraschen. Und jetzt schnell – du kommst sonst zu sp?t!«

Nun bin ich aber auch neugierig geworden. Was kann sich Carolin bloss ausgedacht haben, damit Luisa in den Tussi-Club kommt. Mit Ponys und Prinzessinnen. Wobei die dochuncool waren, wenn ich das gestern Abend richtig verstanden habe. Also, nur f?r kleine M?dchen. Oder sollten die Tussis doch kleiner sein, als sie eigentlich zugeben? Es bleibt mir wohl nichts anderes ?brig, als mich ebenfalls ?berraschen zu lassen.

»Frau Wiese kommt nicht wieder. Nie wieder.«

Herr Beck empf?ngt mich mit Grabesstimme, als ich mit Carolin in Ninas Wohnung komme. O je, das klingt gar nicht gut.

»Was ist denn passiert?«

»Der Neffe war gestern Nachmittag hier. Frau Wiese geht es immer noch so schlecht, dass sie nicht mehr allein wohnen kann. Sie kommt in ein Heim.«

In ein HEIM? Ich traue meinen Ohren kaum.

»So etwas gibt es auch f?r Menschen?«

»Ja. Ein Altersheim. Dort kommen die alten Menschen hin, die sich nicht mehr um sich selbst k?mmern k?nnen.«

»Und da gibt es dann auch Pfleger, die sie f?ttern? Und saubermachen und so?«

Becks Schwanzspitze zuckt hin und her, er legt den Kopf schief.

»Ich glaube schon.«

Ich sch?ttele mich.

»Die arme Frau Wiese! Von meinem eigenen eint?gigen Tierheimaufenthalt habe ich heute noch Albtr?ume. Ich bin dort von zwei riesigen K?tern fertiggemacht worden. Boxer und Bozo. Das vergesse ich nie. Wenn mich Carolin nicht gerettet h?tte, dann …«

»Ja, ja, dann h?tte dein letztes St?ndlein geschlagen. Die Geschichte hast du mir schon hundert Mal erz?hlt. Aber es geht hier gerade nicht um Frau Wiese.«

»Geht es nicht?«

Versteh einer diesen Kater.

»Nein. Es geht um MICH. Was wird nun aus MIR?«

Herr Beck macht eine sehr nachdr?ckliche Bewegung mit seiner Tatze. Stimmt, die Frage stellt sich nat?rlich. Wenn Frau Wiese nicht wiederkommt, muss Beck dann ausziehen? Vielleicht ins Menschenheim? Falls Tiere da ?berhaupt erlaubt sind. Jetzt bekomme ich es auch mit der Angst zu tun – ich will meinen Kumpel Beck auf keinen Fall verlieren! Er starrt mich d?ster an.

»Am schlimmsten w?re es, wenn ich wieder zu den drei kleinen Monstern zur?ckmuss. Das ?berlebe ich nicht.« Er holt theatralisch Luft. »Dann haue ich lieber ab und lebe auf der Strasse.«

»Aber meinst du nicht, dass du bei Nina bleiben kannst? Ihr versteht euch doch super. Sie kocht jeden Tag f?r dich!«

Beck nickt.

»Ja, das w?re am sch?nsten. Nur kann ich sie das leider nicht selbst fragen, ich muss darauf vertrauen, dass sie es von allein anbietet.« Er st?hnt. »Gott! Ich f?hle mich so hilflos! Weisst du, eigentlich bin ich sehr gerne ein Tier. Beziehungsweise: gerne ein Kater. Aber als Haustier letztendlich immer von den Menschen abh?ngig zu sein, das geht mir gegen den Strich. Aber gewaltig. Vielleicht sollte ich gleich abhauen.«

»Jetzt w?rde ich mal nichts ?berst?rzen. Ich kann verstehen, dass du dir Sorgen machst. Aber so, wie ich die Sache sehe, will Nina dich bestimmt behalten. Ich wiederhole es nur ungern: Sie kocht jeden Tag f?r dich! Da k?nnte sich Carolin mal eine Scheibe von abschneiden.«

»Hoffentlich hast du Recht.«

»Bestimmt. Lass uns doch mal h?ren, was die Damen zu besprechen haben. Wo stecken die ?berhaupt?«

Wir m?ssen nicht lange suchen. Die beiden stehen in der K?che, Nina hat einen Kaffee aufgesetzt. Der Duft der Kaffeebohnen str?mt langsam durch die ganze Wohnung. Carolin redet, Nina h?rt aufmerksam zu.

»Irgendwas ist komisch mit Marc. Ich habe ihm gestern erz?hlt, dass Luisa Schwierigkeiten hat, neue Freunde zu finden und dass ich mir ein bisschen Sorgen mache – da ist er gleich an die Decke gegangen. Du h?ttest ihn h?ren sollen! Dabei habe ich ihn wirklich nicht kritisiert. Es ging mir nurum Luisa.«

»Ich hab’s dir gesagt: Patchwork ist nicht so einfach, wie du vielleicht denkst.«

»Super, vielen Dank! Mal im Ernst – ich erz?hle dir das nicht, damit du mit einemich hab’s ja gleich gesagt um die Ecke kommst. Damit hilfst du mir?berhaupt nicht.«

»Entschuldige, du hast Recht. Wahrscheinlich steht Marc unter einem gewissen Erfolgsdruck, und deine Vermutung, es k?nne Luisa nicht gut gehen, stresst ihn da noch zus?tzlich.«

»Erfolgsdruck? Warum?«

»Na, immerhin muss er jetzt beweisen, dass er der Superpapi ist.«

»Das ist doch Quatsch. Ich weiss doch, dass er ein toller Vater ist.«

Nina sch?ttelt heftig den Kopf.

»Doch nicht dir, Caro. Seiner Ex, der muss er das beweisen. Schliesslich wohnt das Kind zum ersten Mal seit der Trennung bei ihm, und es ist ja m?glich, dass sie der Sache eher skeptisch gegen?bersteht.«

Was genau mag eine Ex sein? Und was hat sie mit Luisa zu tun? Muss etwas Naheliegendes sein. Carolin jedenfalls weiss sofort, was gemeint ist.

»Kann eigentlich nicht – es war immerhin auch ihre Idee, dass Luisa zu Marc zieht. Sie ist Stewardess und wollte wieder mehr arbeiten. Das ist mit einem Kind zu Hause nat?rlich schwierig, zumal ihr Neuer als Pilot ?hnlich oft unterwegs ist. Marc war nat?rlich begeistert, er wollte schon langemehr Zeit mit Luisa verbringen.«

»Tja, wenn das so ist – dann weiss ich auch nicht, was das Problem ist. Also entweder es ist etwas, was er dir nicht erz?hlen will. Oder aber er hatte einfach einen schlechten Tag.«

Apropos Problem: Wenn sich die Damen mal eben des Anliegens meines besten Freundes annehmen k?nnten? Das w?re ganz reizend. Sonst gehen hier wieder Stunden mit Gespr?chen ?ber den menschlichen Nachwuchs ins Land, und wir wissen immer noch nicht, wo Herr Beck demn?chst sein m?des Haupt betten kann. Der sieht offen gestanden schon ziemlich angeschlagen aus – die Sorge um seine Zukunft scheint ihm wirklich zuzusetzen. Nur: Wie lenken wir die Aufmerksamkeit von Nina und Carolin in diese Richtung?

Ach, ich versuche es einfach mal ganz platt. Ich fange an, zu bellen und mich an Herrn Beck zu reiben. Der springt?berrascht zur Seite.

»Hey, was ist denn mit dir los?«

»Vertrau mir, ich habe jetzt auch schon ein paar Sachen ?ber das menschliche Hirn gelernt. Wenn sich Nina ?berhaupt schon Gedanken gemacht hat, ob sie dich endg?ltig adoptieren soll, dann braucht sie dich bestimmt nur anzugucken und wird Carolin davon erz?hlen.«

»Und deswegen musst du mit mir kuscheln?« Beck faucht mich regelrecht an. Der muss wirklich runter mit den Nerven sein.

»Meine G?te, sei doch nicht so empfindlich. Es ist zu deinem Besten. Und so schlimm ist es auch nicht, mit mir auf Tuchf?hlung zu gehen.«

»Was ist denn mit euch beiden los?«, wundert sich Nina. »Ihr versteht euch doch sonst so gut.« Genau, tun wir eigentlich auch – also, woran wird’s wohl liegen? Komm schon, Nina, denk mal nach. Du kommst bestimmt drauf.

Herr Beck schenkt mir einen Blick, der irgendwo zwischen»so wird das nie was« und»wird’s nun endlich was?« schwankt. Und dann ist es erstaunlicherweise Carolin, die auf die richtige Idee kommt.

»Wie gestaltet sich eigentlich deine WG mit Blecki?«

»Oh, gut. Vor allem habe ich inzwischen herausgefunden, dass das Viech Herr Beck heisst.«

»Stimmt. Jetzt, wo du es sagst, f?llt es mir auch wieder ein. Bist du denn jetzt auf den Geschmack gekommen und schaffst dir auch eine Katze an, wenn Frau Wiese wieder da ist?«

»Die arme Frau Wiese kommt gar nicht wieder. Ihr Neffe war da. Es geht ihr noch so schlecht, dass sie erst einmal in ein Pflegeheim zieht. Die Wohnung wird aufgel?st. Und ich habe mir ?berlegt, Herrn Beck zu behalten. Es ist n?mlich der erste Mann in meinem Leben, mit dem das Zusammenleben richtig Spass macht. Ich glaube, es ist was Ernstes.«

ACHT

Ich habe eine Superidee in Sachen Tussi-Club!«

Carolin f?llt Marc um den Hals und k?sst ihn, kaum dass wir durch die Praxist?r gekommen sind. Normalerweise ist sie diesbez?glich etwas zur?ckhaltender und die Praxis erst recht nicht der Ort f?r innige Zweisamkeit bei den beiden. Aber es sind keine Patienten mit den dazugeh?rigen Menschen mehr da, also scheint das aus ihrer Sicht in Ordnung zu sein. Marc schaut zuerst etwas ?berrascht, dann erwidert er ihren Kuss.

»Na, erz?hl mal. Ich bin gespannt.«

Ja? Ich nicht. Etwas Langweiligeres, als jetzt Carolins Ideen zu dieser Kinderveranstaltung zu lauschen, kann ich mir gerade nicht vorstellen. Viel spannender ist doch, dass Herr Beck nun dauerhaft bei Nina wohnen wird! Warum erz?hlt Carolin denn das nicht als Erstes?

»Luisa hat doch gesagt, dass diese Lena einen Pony-Geburtstag veranstaltet hat. Also offensichtlich stehen Pferde bei den Damen hoch im Kurs. Was h?ltst du davon, wenn wir den gesamten Club zu einem Aussentermin mit Pferden und echtem Schloss einladen? Daf?r m?sstest du allerdings mal deine guten Verbindungen spielen lassen.«

G?hn! Pferde? Wen interessiert’s? Gut, ich weiss, dass meine Vorfahren oft auch J?ger begleitet haben, die mit Pferden unterwegs waren. Opili sagt, dass das immer die tollsten Erlebnisse waren – eine ganze Meute Hunde und die Menschen auf den Pferden nat?rlich viel schneller als sonst zu Fuss. Allerdings bin ich mir sicher, dass Carolin mit dem Tussi-Club keine Treibjagd plant. Ohne Jagd kann ich mit Pferden aber nichts anfangen. Auf Schloss Eschersbach standen auch so einige davon rum, mir pers?nlich kamen die immer ein wenig bl?d vor. Marc runzelt die Stirn. Ob er meine Ansicht ?ber Pferde teilt?

»Ich f?rchte, ich kann dir momentan nicht ganz folgen.«

»Macht nichts, ich erkl?re es dir. Wir waren doch letztes Jahr einmal zusammen mit Herkules bei seinem Z?chter – diesem etwas kauzigen Grafen, oder Herzog, oder was auch immer der ist, auf diesem riesigen Landgut.«

Herkules? Z?chter? Landgut? Mit einem Mal bin ich wie elektrisiert. Carolin muss einfach von Schloss Eschersbach reden. Tats?chlich war ich einmal mit Carolin und Marc dort zu Besuch. Es war das erste und letzte Mal, dass ich meine Familie wieder zu Gesicht bekommen habe, nachdem mich der alte von Eschersbach ins Tierheim abgeschoben hatte. Es war ein traumhafter Tag. Alle haben sich gefreut, mich wiederzusehen: meine Schwester Charlotte und Mama, Emilia, die K?chin, und nat?rlich Opili. Es schien mir, dass selbst von Eschersbach ein bisschen ger?hrt war. Wahrscheinlich hatte er es schon bitter bereut, mich so schlecht behandelt zu haben. Aber das Tollste von allem war fast, als Hund des Tierarztes auf dem Schloss aufzutauchen. Ich habe regelrecht gerochen, wie viel Respekt die anderen auf einmal vor mir hatten. Leider haben wir diesen Ausflug nie wiederholt, ich h?tte riesige Lust dazu gehabt.

»?h, du meinst den alten von Eschersbach?«

»Genau. Du betreust doch seine Dackelzucht, oder?«

»Ja, das hat schon mein Vater gemacht, und ich habe das ?bernommen. Aber was hat das mit dem Tussi-Club zu tun?«

»Wenn ich mich recht erinnere, gibt es auf dem Gut auch Pferde.«

»Richtig. Deswegen war von Eschersbach auch schwer begeistert, als ich Vaters Praxis ?bernommen habe. Schliesslich war ich in M?nchen lange Assistent in der Pferdeklinik der Uni.«

»Ja, du bist ein ganz Toller. Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus.«

Marc grinst, schnappt pl?tzlich nach Carolin und kippt sie in die Waagerechte. »So, wolltest du nicht? Na warte, bevor ich nicht einen Kuss bekomme, lasse ich dich nicht wieder los.«

Hey, Leute, nicht flirten, weitererz?hlen! Ich will jetzt unbedingt wissen, was Carolins Plan mit Schloss Eschersbach zu tun hat. Ob nun Marc auch ein klasse Pferdedoc ist oder nicht, tut doch hier gar nichts zur Sache!

Carolin windet sich lachend aus Marcs Griff.»Nee, nee, mein Lieber, erpressen ist nicht! H?r mir lieber weiter zu.«

Marc seufzt und nickt.»Hat von Eschersbach auch Ponys?«

»Ja, hat er. Beziehungsweise seine Schwiegertochter hat welche. Er war erst ?berhaupt nicht begeistert davon, aber mittlerweile stehen dort meines Wissens auch noch drei oder vier Isl?nder. Viel habe ich mit den Pferden aber nicht zu tun, die sind Gott sei Dank ziemlich gesund.«

»Meinst du, Luisa k?nnte mal mit ein paar M?dchen zum Reiten vorbeikommen?«

Eine echte Knaller-Idee! Und ich komme gleich mit! Grossartig, Carolin! Du bist wirklich zu gebrauchen. Marc allerdings scheint mir nicht ganz so euphorisch. Er zuckt bloss mit den Schultern.

»Weiss nicht. Von Eschersbach ist da immer sehr eigen. Allerdings mag er mich wohl recht gerne. Ich kann ihn mal fragen. Aber was spricht eigentlich gegen einennormalen Reitstall?«

»Echt, Marc – du verstehst auch gar nichts von jungen Damen. Schon gar nicht vonTussis. Schloss Eschersbach ist doch eine sehr exklusive Location. Da werden die M?dchen schon aus purer Neugier nicht Nein sagen. Ich will nicht, dass Luisa noch einmal so eine Schlappe wie mit der Pyjama-Party erlebt.«

»Nein, das will ich auch nicht«, erwidert Marc sehr knapp. Carolin schaut ihn erstaunt an.

»Sag mal, was ist eigentlich mit dir los? Nervt es dich, wenn ich solche Vorschl?ge mache? Findest du, dass mich das nichts angeht? Oder ist es was anderes?«

»?berhaupt nicht. Im Gegenteil, ich freue mich, dass du dir Gedanken um Luisa machst.«

»Aber was ist es dann? Stress mit Sabine?«

Sabine? Da klingelt doch etwas bei mir. Ich muss sofort an Marcs Telefongespr?ch im Park denken.

»Quatsch, wie kommst du denn darauf? Es ist alles in bester Ordnung.«

In bester Ordnung? Wenn das mal stimmt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Marc mit der Sabine, die Luisas Mutter ist, telefoniert hat und dass sich die beiden gestritten haben. Also, entweder ich habe das im Park v?llig falsch verstanden – oder es handelt sich hierbei um eine faustdicke L?ge. Ich tippe auf Letzteres, denn auf einmal beginnt Marc, nach Stress zu riechen. Und ein kleines bisschen nach Angst. Auch Carolin scheint das zu bemerken, obwohl sie wie alle Menschen ziemlich taub auf der Nase sein d?rfte. Sie zieht die Augenbrauen nach oben und mustert Marc eindringlich. Er weicht ihrem Blick aus.

»Also, wie dem auch sei – vielleicht ist deine Idee wirklich gut. Ich werde morgen bei von Eschersbach anrufen und einen Termin machen. Muss sowieso mal wieder nach den Dackeln gucken.«

Ohne weiter nachzudenken, fange ich an zu bellen. Marc und Carolin schauen sich?berrascht an – und lachen gleichzeitig los. Dann b?ckt sich Carolin und streichelt mir ?ber den Kopf.

»Hast du uns etwa verstanden?«

»Ich glaube schon. Keine Sorge, Herkules. Wenn es so weit ist, nehme ich dich mit. Und jetzt habe ich auch einen Wunsch.«

Ach ja? Carolin und ich schauen Marc interessiert an.

»Ich m?chte gerne mit meiner Liebsten ein romantisches Abendessen verbringen. Meinst du, Nina k?nnte spontan babysitten?«

Carolin nickt.»Klar, ich rufe sie gleich mal an. Auf ein Dinner zu zweit h?tte ich auch Lust. Schade, dass Herkules uns im Zweifel nicht anrufen kann. Sonst w?re er bestimmt der perfekte Babysitter f?r Luisa.«

Marc guckt mich an und grinst.»Tja, Herkules ist schon ziemlich gut – aber er ist kein Superdackel.«

Bitte? Bodenlose Frechheit.

Als Nina zwei Stunden sp?ter tats?chlich im Hause Wagner-Neumann aufkreuzt, bringt sie Herrn Beck mit. Luisa ist begeistert, Herr Beck wahrscheinlich weniger.

»Oh, wie s?ss! Eine Katze!«

»Genau genommen ein Kater«, erkl?rt ihr Nina und gibt ihr Herrn Beck auf den Arm. Hoffentlich kriegt unser Kinderfreund da nicht gleich einen Herzinfarkt! Aber zu meiner grossen ?berraschung l?sst sich Beck offenbar ganz entspannt von Luisa kraulen und f?ngt sogar an zu schnurren. Ganz neue T?ne – aber ich freue mich nat?rlich, dass die beiden sich offenbar auf Anhieb verstehen.

»Wie heisst er denn?«, will Luisa wissen.

»Herr Beck. Er ist schon ein etwas ?lterer Herr, ich habe ihn gewissermassen geerbt.«

Luisa l?chelt und wiegt ihn hin und her, Beck schnurrt noch lauter.

»Heuchler!«, zische ich ihm zu, aber er ignoriert mich. Stattdessen schmiegt er sich sogar noch ein bisschen n?her an Luisa.

»Ich glaube, er mag Kinder.«

»Bestimmt!«

Gut, dass ich nicht sprechen kann.

»Dein Vater hat gesagt, dass du noch eine halbe Stunde aufbleiben darfst. Soll ich dir etwas vorlesen?«

Luisa sch?ttelt den Kopf.

»Nein danke, lesen kann ich ja schon selbst, das mache ich nachher im Bett. Lieber spiele ich noch etwas mit Herkules und Herrn Beck. Oder vertragen sich die beiden nicht? Ich meine, so von wegen Hund und Katze?«

»Im Gegenteil, die beiden sind Kumpels. Sozusagen beste Freunde«, beruhigt sie Nina. Luisa seufzt, setzt Herrn Beck neben mich auf den Boden und sich selbst gleich dazu.

»Das ist sch?n, wenn man einen besten Freund hat. Oder eine beste Freundin.«

Auch Nina setzt sich auf den Boden.

»Stimmt. Ich bin auch froh, dass ich Carolin habe. Wer ist denn deine beste Freundin?«

Luisa zuckt mit den Schultern.»Niemand. Johanna war meine beste Freundin in M?nchen, aber hier in Hamburg habe ich noch keine.«

»Verstehe. Das ist nat?rlich doof.«

»Weisst du, ich habe schon versucht, ein paar M?dchen aus meiner Klasse einzuladen, aber die wollten leider nicht kommen. Ich habe es neulich schon Carolin erz?hlt – und die hat sich jetzt etwas ?berlegt, wie ich vielleicht doch noch Freundinnen finde. Ist aber noch geheim, sie will mich ?berraschen.«

»Das klingt doch gut. Bestimmt hat Caro eine richtig tolle Idee, du wirst schon sehen.«

Herr Beck robbt an mich heran.»Muss man sich Sorgen um Luisa machen? Das arme Kind!«

»Sag mal, seit wann bist du denn so ein Kinderfreund? Neulich hast du wegen der G?ren von Wiese junior noch Gift und Galle gespuckt.«

»Was heisst hierGift und Galle? Ich war lediglich ein wenig ungehalten, vielleicht hatte ich auch einen schlechten Tag wegen der ganzen Geschichte mit Frau Wiese.«

H?rt, h?rt. Herr Beck r?umt einen schlechten Tag ein. Eine interessante pers?nliche Entwicklung. Allerdings nicht so interessant wie das Gespr?ch zwischen Luisa und Nina. Letztere kann es sich n?mlich nicht verkneifen, sich mal genauer nach dieser Sabine zu erkundigen.

»Und deine Mama? Wie findet die, dass du jetzt bei deinem Papa wohnst?«

Wenn Marc das w?sste, w?re es ihm bestimmt nicht recht. Ich kann gar nicht genau sagen, warum ich das glaube – aber ich habe das Gef?hl, dass Nina die Familiengeschichte eigentlich nichts angeht.

»Mama findet das gut. Wir haben uns das zusammen ?berlegt.«

»Wer ist dennwir?«

Mann, diese Nina ist aber richtig neugierig. Warum will sie das bloss so genau wissen?

»Na, Mama, Papa und ich. Und auch Jesko. Das ist Mamas Freund. Der wohnt mit ihr zusammen.«

»Aha. Dann ist ja alles gut.«

Eben. Und so hat es ihr doch auch schon Carolin erz?hlt. Aber der wollte Nina das wohl nicht glauben. Wobei – so ganz gut scheint es nicht zu sein, sonst h?tte Marc keinen Streit mit Sabine gehabt. Glaube ich jedenfalls. Und ich k?nnte einen grossen Kauknochen darauf verwetten, dass Nina auf die gleiche Idee gekommen ist.

Luisa ist l?ngst im Bett, und Herr Beck und ich l?mmeln mit Nina vor dem Fernseher auf dem Sofa herum. Eine gute Gelegenheit, Herrn Beck endlich mal von dem Thema zu erz?hlen, das mich am meisten bewegt: Cherie. Ich habe ihm gegen?ber zwar schon die ein oder andere Andeutung gemacht, aber bisher hat er darauf ?berhaupt nicht reagiert. Was ich schon ein bisschen ungerecht finde. Schliesslich habe ich mir auch das ganze Elend ?ber Frau Wiese, Wiese junior, die kleinen Monster und die Sorgen ?ber die Suche nach einer neuen Bleibe von ihm angeh?rt. Da wird er doch mal f?nf Minuten Zeit ?brig haben, sich anzuh?ren, wie es um mein kleines Dackelherz bestellt ist.

»Weisst du, was ich dir schon die ganze Zeit erz?hlen wollte?«

Herr Beck rollt sich herum und dreht den Kopf in meine Richtung.»Nee, was denn?«

»Ich habe jemanden kennengelernt.«

»Ach.« Besonders interessiert klingt Beck nicht, aber das ist mir egal.

»Ja, eine Golden-Retriever-H?ndin. Sie heisst Cherie und ist sch?n. Wundersch?n.«

Herr Beck r?ckt n?her an mich heran. »Sag bloss, du hast dich verliebt?«

»Na ja, also, ich weiss nicht so genau. Aber ein bisschen Herzklopfen kriege ich schon, wenn ich sie sehe. Genau genommen ziemlich viel Herzklopfen.«

Wenn er es k?nnte, w?rde Herr Beck in wieherndes Gel?chter ausbrechen, das sehe ich ihm genau an. So allerdings muss er sich auf etwas beschr?nken, das wie ein heiseres Fauchen klingt.

»Cherie? Golden Retriever? Oh, Mann, Herkules, die ist doch mindestens doppelt so gross wie du! Wenn nicht dreimal! «

Er rollt sich vor Vergn?gen auf dem Boden herum. Irgendwie hatte ich mir von einem guten Freund eine andere Reaktion erhofft.

»Also, ich weiss wirklich nicht, was daran so komisch ist. Sicher, ich bin kleiner, aber eigentlich bin ich doch auch ein Jagdhund und da …«

Es klingelt an der Wohnungst?r. Nanu? Ganz sch?n sp?t f?r Besuch. Wahrscheinlich haben Carolin und Marc nur den Schl?ssel vergessen. Nina l?uft in den Flur, um zu ?ffnen, ich folge ihr.

Aber vor der T?r stehen nicht Marc und Carolin. Sondern eine Frau, die ich noch nie zuvor gesehen habe.

NEUN

Ich habe sie wirklich noch nie gesehen. Da bin ich mir ganz sicher. Und trotzdem riecht sie irgendwie vertraut. Seltsam. Wie kann das sein? Nina scheint es interessanterweise?hnlich zu gehen. Kommt ihr die Frau auch bekannt vor? Sie schaut hin, schaut kurz wieder weg, ?berlegt, schaut nochmal hin. Dann ?ffnet sie die T?r ein St?ck weiter.

»Ja, bitte?«

Die fremde Frau macht einen Schritt nach vorne. Der vertraute Geruch weht mir nun direkt in die Nase. Es riecht ein bisschen nach… hm … nach … Luisa!

»Hallo. Ich bin Sabine. Sie m?ssen Carolin sein. Darf ich reinkommen?«

»Marc ist nicht da«, beeilt sich Nina zu sagen.

»Schade.« Die Frau denkt kurz nach. »Wobei – vielleicht ist es auch gar nicht schlecht, wenn wir beide uns mal unterhalten.«

Hey, Nina, vergiss es! Du bist doch gar nicht Carolin. Und das ist auch gar nicht deine Wohnung– willst du diese Fremde wirklich reinlassen? Ich merke, wie sich jede Muskelfaser in meinem K?rper anspannt. Lass! Sie! Nicht! Rein!, w?rde ich am liebsten laut rufen. Stattdessen muss ich mich aufs Knurren beschr?nken. Dackel sind zwar eigentlich Jagdhunde, aber vielleicht sorgt der Terrieranteil in mir auch f?r gewisse Wachhundqualit?ten.

Die fehlen Nina leider v?llig. Sie z?gert nur kurz, dann ?ffnet sie die T?r ganz. Die Frau betritt unseren Flur und schaut sich fragend um. Ich bleibe bei der T?r stehen und mustere sie aus den Augenwinkeln. Sie ist gross und schlank und hat dunkle, gelockte Haare, genau wie Luisa. Warum sagt Nina dieser Sabine nicht einfach, dass sie heute Abend nur der Babysitter ist, und schmeisst sie dann raus?

»Kommen Sie doch bitte mit ins Wohnzimmer. Hier entlang.«

»Ich weiss. Meine Schwiegereltern haben hier fr?her gelebt. « Der letzte Satz kommt schnell und scharf. Sehr scharf. Meine Nackenhaare beginnen, sich zu str?uben. Diese Frau ist gef?hrlich, das ist eindeutig. Hoffentlich ist sie nicht bewaffnet, immerhin hat sie eine sehr grosse Handtasche dabei. Ich halte mich jetzt dicht an Nina, bereit, sie sofort zu verteidigen.

Noch allerdings geht die Frau nicht in eine Angriffshaltung?ber. Sie mustert Nina.

»Komisch. Ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt.«

Kein Wunder. Das ist ja auch gar nicht Carolin. Nina, was ist los mit dir? Kl?r das auf, und zwar bevor sie dich anf?llt und niederschl?gt. Riechst du die Gefahr etwa nicht?

Nat?rlich nicht. Stattdessen geht sie ins Wohnzimmer vor und bietet der Frau mit einer Handbewegung einen Platz auf dem Sofa an. Wozu haben Menschen eigentlich eine Nase im Gesicht? Die ist komplett ?berfl?ssig. Ich habe mir das schon ?fter gedacht. Meistens st?rt es mich nicht – jeder hat ebenseine Schw?chen. Aber gerade im Moment regt es mich schon auf, dass Nina diesen stechend aggressiven Duft, der die Frau umweht, so gar nicht wahrnimmt.

Wer allerdings auch nichts wahrnimmt, ist Herr Beck. Der liegt nach wie vor auf dem Sofa. Ist anscheinend eingeschlafen. Himmel, bin ich hier denn der Einzige, der den Ernst der Lage erkannt hat? Nur zwei T?ren weiter schl?ft Luisa friedlich in ihrem Bett. Was, wenn die Fremde, die behauptet, Sabine zu sein, unser Kind rauben will?

Nina setzt sich neben Herrn Beck, der tats?chlich angefangen hat zu schnarchen. Ich lege mich vor ihre F?sse. Von hier aus habe ich die potentielle Angreiferin genau im Blick, sie hat sich n?mlich in den Sessel gegen?ber vom Sofa gesetzt.

»Womit kann ich Ihnen denn helfen?«, beginnt Nina das Gespr?ch betont freundlich.

»Sie haben keine eigenen Kinder, oder?«

Ha! Ich hab’s gewusst! Es geht um Luisa! Nina schaut schwer irritiert. Klar, die Frage nach eigenen Kindern w?rde auch die Dackelin krummnehmen. Klingt glatt so, als ob man ihr unterstellt, nicht f?r die Zucht geeignet zu sein.

»?h, nein, noch nicht.«

»Dann k?nnen Sie auch nicht wissen, wie sich das anf?hlt.«

»Was denn?«

»Wenn das eigene Kind zu einer fremden Frau zieht. Das kann sich niemand vorstellen, der es noch nicht erlebt hat.«

Nina legt den Kopf schief.

»Na ja, ich habe zwar keine Kinder, aber ich bin Psychologin, also da …«

»Ach? Ich dachte, Sie seien Geigenbauerin. Hat Marc jedenfalls behauptet.«

»Nat?rlich … ?h … richtig. Ich meinte damit nur, dass ich auch mal ein paar Semester Psychologie studiert habe. Nach meiner Ausbildung, weil es mich so interessiert hat.«

Sabine zieht die Augenbrauen hoch, und Ninas Gesichtsfarbe wird deutlich dunkler. L?gen ist eben gar nicht so einfach. Als Hund sowieso nicht, aber auch als Mensch muss man so einiges beachten, damit man nicht auffliegt. Trotzdem machen sie es sehr oft. Also, ich meine: l?gen. Der alte von Eschersbach wurde seinerzeit nicht m?de, die Schlechtigkeit von l?genden Menschen hervorzuheben, und anfangs hat es mich auch schwer irritiert, wenn ich einen Menschen dabei erwischt habe. Aber mittlerweile bin ich zu der ?berzeugung gelangt, dass es ein wichtiger Bestandteil menschlicher Kommunikation ist und die meisten Menschen die ein oder andere L?ge in ihrem Alltag fest einkalkulieren. Mit einer kleinen L?ge hier und da schummeln sie sich so durch, es macht ihr Leben einfacher.

Ninas L?ge scheint mir aber ein ganz anderes Kaliber zu sein. Nicht die SorteIch war schon mit dem Hund draussen oderNat?rlich habe ich beim Zahnarzt angerufen. Immerhin tut sie einfach so, als sei sie ein anderer Mensch. Ich frage mich nur, warum? Sie k?nnte doch auch einfach zugeben, der Babysitter zu sein, und dann w?ren wir vermutlich auch schnell diese unangenehme Frau los.

»Auf alle F?lle muss ich mit Marc sprechen, wie es nun weitergeht. Dennso geht es nicht weiter, das steht schon mal fest. Ich habe neulich versucht, mit ihm am Telefon dar?ber zu sprechen, aber da hat er mir einfach den H?rer aufgelegt. Hat er Ihnen das erz?hlt?«

Aha, das Telefonat im Park. Nun bin ich auf einmal doch ganz Ohr.

»Nein, das wusste ich nicht.«

»Das wundert mich nicht. Marc ist so ein konfliktscheuer Idiot. Deswegen bin ich jetzt nach Hamburg geflogen. Ich habe mir extra zwei Tage freigenommen.«

»Was ich nicht ganz verstehe – es war doch eigentlich auch Ihre Idee, dass Luisa zu uns zieht. Wo ist denn jetzt das Problem?«

Sabine schnappt h?rbar nach Luft. »Wo das Problem ist? Es war eben nicht meine Idee, dass Luisa zuIhnen zieht. Als ich das mit Marc besprochen habe, war er noch Single. Es war?berhaupt keine Rede davon, dass er mit einer Frau zusammenziehen w?rde. Es gabSie noch gar nicht.« W?tend funkelt sie Nina an, die verschr?nkt die H?nde vor der Brust.

»Sie k?nnen Marc doch nicht verbieten, mit einer Frau zusammenzuziehen. Oder erwarten Sie, dass er im Z?libat lebt?«

Z?li-was?!

»Nat?rlich nicht. Ich erwarte nur, dass er mir erz?hlt, wenn so etwas Wichtiges in seinem Leben passiert. Vor allem, wenn es auchmein Kind betrifft.«

Nina l?sst die Arme sinken.

»Hat er Ihnen das denn nicht erz?hlt?«

»Nein.«

»Oh.«

»Ja.Oh. Ich habe es erst von Luisa bei ihrem letzten Besuch erfahren.«

Nina sch?ttelt den Kopf. »Gut, M?nner gehen einem Streit in der Tat gerne mal durch das klassische Aussitzen aus dem Weg. Aber in diesem Fall war das vielleicht nicht so geschickt.«

Sabine springt von dem Sessel auf.»Nicht so geschickt? Es hat mich extrem gekr?nkt! Mein Kind wohnt nun mit einer fremden Frau zusammen, und ich erfahre es nur durch Zufall. So geht das nicht. Ich kann wohl zu Recht erwarten, dass Marc in diesem Punkt auch auf meine Gef?hle R?cksicht nimmt.«

»Okay, wahrscheinlich hat er sich gedacht, da Sie doch auch mit einem neuen Partner …« Weiter kommt Nina nicht, denn Sabine schiesst auf sie zu und bleibt erst ganz kurz vor ihr stehen. Dabei tritt sie mir fast auf den Schwanz, so dass ich erschreckt aufheule. Das ignoriert die Furie komplett,sie wettert einfach drauflos.

»Ja, ja, damit kommt Marc auch am liebsten um die Ecke: Dass ich diejenige war, die ihn verlassen hat und dass ich ihn Knall auf Fall f?r Jesko habe sitzen lassen. Und daf?r l?sst er mich jetzt b?ssen, oder wie? Meinen Sie, mein lieber Exmann hat sich schon ein einziges Mal gefragt, warum ich ihn verlassen habe? Zu einer Trennung geh?ren immer zwei. Jesko war vielleicht der Anlass, aber er war mit Sicherheit nicht der Grund.«

Tollwut. Ein ganz klarer Fall von Tollwut. Ich kann es jetzt nicht so genau sehen, weil Sabine direkt?ber mir steht, aber ich bin mir sicher, dass sie Schaum vor dem Mund hat. Tragisch, denn eigentlich muss man die Frau bei dieser Diagnose sofort erschiessen. Ich weiss allerdings nicht, ob Marc ein Gewehr im Haus hat. Er ist da sehr schlecht sortiert, f?rchte ich.

»Ja, also«, stottert Nina, »ich weiss gar nicht …«

»Richten Sie Marc einen sch?nen Gruss aus«, unterbricht Sabine sie erneut, »er soll mich anrufen. Wir m?ssen reden. Und wir werden reden.«

Dann macht sie auf dem Absatz kehrt, schnappt sich ihre grosse Tasche und rauscht aus der Wohnung. Als die T?r mit einem lauten Knall ins Schloss f?llt, schreckt Herr Beck hoch.

»Was? Wie? Sprichst du mit mir? Also was war denn nun, als du mit Carolin an der Alster spazieren warst?«

In dieser Nacht schlafe ich sehr schlecht. St?ndig tr?ume ich von Sabine, die versucht, Luisa aus ihrem Bett zu zerren. Und wenn ich zwischen zwei Alptr?umen kurz hochschrecke, horche ich angestrengt, ob irgendjemand durch die Wohnung schleicht. Dabei ist der Abend ganz friedlich zu Ende gegangen. Kurz nachdem die Verr?ckte abgehauen war,kamen auch schon Marc und Carolin. Sie waren gut gelaunt, hatten offenbar einen tollen Abend zu zweit. Marc hat eine Flasche Wein ge?ffnet, gemeinsam mit Nina haben sie noch eine Zeitlang im Wohnzimmer gesessen und gequatscht. Nina hat allerdings kein Wort ?ber unsere unheimliche Besucherin verloren, sondern nur erz?hlt, dass sich Luisa schon auf Carolins ?berraschung freut. Dann hat sie sich Herrn Beck unter den Arm geklemmt und ist gegangen. Sehr seltsam, das Ganze.

Jetzt ist es Morgen, und ich f?hle mich wie ger?dert. Dieser Menschenkram f?ngt an, sehr anstrengend zu werden. Wie hatte Herr Beck gesagt? Ein Happy End gibt es bei Menschen nicht? Langsam ziehe ich wenigstens vage in Betracht, dass er Recht gehabt haben k?nnte. Ich sollte mich aus der Angelegenheit raushalten und mich aufmein eigenes Leben konzentrieren. Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Denn das Leben eines treuen Dackels ist untrennbar verbunden mit dem seines Herrchens. Und das gilt mit Sicherheit auch, wenn der Dackel ein Dackelmix und das Herrchen ein Frauchen ist.

Zumindest k?nnte ich aber versuchen, mich verst?rkt auf hundgerechte T?tigkeiten wie durch den Park stromern und Kaninchen jagen zu verlegen. Oder ich bleibe einfach mal einen Tag faul im K?rbchen liegen. Wir Dackel sind ohnehin nicht die grossen Langstreckenl?ufer. Ein Tag Ruhe wird mir gewiss guttun. Uah, bin ich m?de!

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