Und in der Luft liegt auf einmal eine Spannung, als h?tte der alte von Eschersbach den Trafo am Zaun der Pferdekoppel richtig auf Anschlag gedreht.

ZW?LF

»Er ist so s?ss! Ehrlich! Ich glaube, ich habe schon lange nicht mehr so einen tollen Mann kennengelernt.«

Ninas Augen strahlen, und wenn sie erz?hlt, reden ihre H?nde gleich mit. Mag auch unsere Aktion »Ein Prinz f?r Carolin« noch nicht von Erfolg gekr?nt sein - zumindest ihre beste Freundin scheint endlich f?ndig geworden zu sein. Jedenfalls sitzt Nina seit einer geschlagenen Stunde auf unserer Couch und schw?rmt von Dr. Wagner. Brrr, allein die Vorstellung, dass Nina ihre Zeit freiwillig mit diesem Hundeschinder verbringt, ist abenteuerlich. Ein Mann, an dessen H?nden mit Sicherheit Blut klebt! Wenn nicht sogar mein eigenes! Andererseits kann es mir auch egal sein, wichtig ist f?r mich schliesslich nur Carolins Wohlergehen.

W?hrend Ninas Stimme im Hintergrund weiterplappert, schweifen meine Gedanken ab. Wenn das Wetter besser wird, wollen Herr Beck und ich gleich wieder loslegen. Immerhin kann man die Sache mit Willi nicht als totalen Flop bezeichnen. Beck hatte Recht - es war eine sch?ne ?bung, und wir sind ziemlich weit gekommen. Gut, warum Carolin dachte, dass Willi ein Einbrecher sein k?nnte, ist mir nicht klar. Hatte es vielleicht mit seinem seltsamen Geruch zu tun? Aber den hat Carolin doch bestimmt nicht bemerkt. Daf?r ist ihre Nase viel zu schlecht, und Willi stand nie direkt neben ihr.Irgendwas m?ssen Beck und ich da noch verbessern. Ich werde gleich mal im Garten nach ihm suchen. Vorausgesetzt, Nina kommt irgendwann zu einem Ende, und ich kann wieder mit Carolin in die Werkstatt. Danach sieht es momentan aber leider nicht aus; Nina sprudelt wie ein Wasserfall.

»Und wie er aussieht - einfach toll! Eine super Figur! Und dann diese vollen braunen Haare! Ein bisschen wie Hugh Grant. Findest du nicht?«

Ich spitze die?hrchen. Vielleicht ist das Gespr?ch doch nicht so langweilig. Dr. Wagner sieht also gut aus. Womit wir bei einem f?r Hunde ziemlich undurchschaubaren Thema sind: Wann sieht ein Mensch f?r andere Menschen gut aus? Muss er besonders viele Haare haben? Oder lieber wenige? Ist gross sch?n -oder lieber klein? Gilt f?r M?nner etwas anderes als f?r Frauen? O je, wenn ich genau dar?ber nachdenke, habe ich mir mit dem Projekt »Partnervermittlung« ganz sch?n viel vorgenommen. Umso interessanter, was Nina jetzt erz?hlt.

»Ist dir nicht auch gleich aufgefallen, was f?r unglaublich blaue Augen er hat?« Aha! Die Augenfarbe. Offensichtlich ein wichtiger Punkt. »Ne, ist mir nicht aufgefallen.«

Mir auch nicht. Allerdings kann ich Farben sowieso nicht so gut auseinanderhalten.

»Das musst du doch gesehen haben, die sind total auff?llig. Kornblumenblau ! «

»Nina, ich weiss nicht, ob du dich noch dran erinnerst - aber als wir in der Praxis waren, hatte ich einen sehr schlecht gelaunten Herkules dabei, der erst die ganze Zeit jaulte und dann versuchte, zwei niedliche Kaninchen zu killen, woraufhin ein v?lliges Chaos ausbrach. Verzeih, dass ich keine Gelegenheit hatte, einen Blick in die tiefblauen Augen von deinem Superdoc zu werfen.«

Carolin klingt leicht genervt. Ob das an der Erinnerung an den schrecklichen Besuch beim Tierarzt liegt? Weil ich mich dort so schlecht benommen habe? Peinlich, peinlich.

»Meine G?te, bist du schlecht gelaunt. Ich dachte, es interessiert dich, wenn deine beste Freundin ein Date hatte.«

»Entschuldige, du hast Recht. Tut mir leid, dass ich so schlecht drauf bin. Ich gelobe Besserung! Also, mal abgesehen von den kornblumenblauen Augen: Wie k?sst er denn so?«

Das scheint ein besonders wichtiger Punkt zu sein, sonst w?rde Carolin nicht als Erstes danach fragen. Aber woran sieht man das bloss? Wie finden Beck und ich einen Mann, der gut k?sst?

Nina kichert.»Das wirst du mir jetzt nicht glauben - aber ich weiss es nicht. Wir haben uns noch nicht gek?sst.«

Verstehe. Ist also keine Eigenschaft, die man Menschen ansehen kann. Muss man selbst ausprobieren.

»Ihr habt euch noch nicht gek?sst? Ich denke, ihr wart den ganzen Abend unterwegs?«

»Waren wir auch. Und wir haben uns super unterhalten. Marc war sehr charmant und witzig. Aber wir haben uns nicht gek?sst. Macht aber nichts. Ich will es mal ruhiger angehen lassen.«

»Hm«, meint Carolin, und es klingt zweifelnd.»Mal ruhiger angehen lassen?Du? Das ist eine v?llig neue Taktik. Seit wann wendest du die denn an? In seiner Praxis war davon noch nichts zu merken. Da sah es eher nachdie Sache schnell klarmachenaus. Ich meine, du lagst schliesslich schon in seinen Armen.«

Nina schnaubt emp?rt. »Na h?r mal - ich bin einfach ?ber deinen bl?den Hund gestolpert! Und was heisst hier neue Taktik? Das klingt so, als ob ich die Typen immer mit der Schrotflinte erlegen w?rde.«

»Tja, also zimperlich warst du bisher nicht gerade, wenn dir jemand gef?llt. Schon eher Schrotflinte als Pr?zisionssch?tze.«

»Carolin, man merkt, dass du lange nicht mehr am Markt warst. Ich bin jung, ich bin Single. Und wenn mir ein Typ gef?llt, warte ich nicht darauf, dass er auf einem Schimmel bei mir vorbeigeritten kommt, sondern nehme die Sache selbst in die Hand. Von mir aus nenn es Prinzip Schrotflinte - aber was spricht dagegen?«

Markt? Schimmel? Schrotflinte? Nina spricht in R?tseln. Carolin scheint allerdings zu verstehen, wovon sie redet.

»Schon gut, schon gut. Du hast Recht, ich war wirklich lange nicht mehr unterwegs. Ich muss mich erst mal wieder daran gew?hnen.«

Nina nickt heftig.»Ja, und ich sage dir - warte besser nicht, dass der passende Typ einfach so bei dir auftaucht! Das passiert n?mlich nur im M?rchen.«

Falsch, meine Liebe! Das passiert auch, wenn sich Carl-Leopold von Eschersbach pers?nlich darum k?mmert. Dann muss man sich auch nicht die Abende mit einem Tierarzt um die Ohren schlagen. So, M?dels, und nun kommt mal zum Ende, damit ich Herrn Beck meine neuesten Erkenntnisse erz?hlen kann!

»Sag mal, meinst du, Herkules muss mal?« Nina schaut mich nachdenklich an.

»Wieso?«

»Na, der tigert hier auf einmal so unruhig herum. Nicht, dass er gleich ein kleines Gesch?ft unter deinem Sofa platziert.«

»Eigentlich war ich kurz mit ihm Gassi, bevor du gekommen bist. Aber vielleicht langweilen wir ihn auch. Ich kann ihn ja in den Garten lassen, ich muss sowieso noch einmal in die Werkstatt.«

»Schade, ich dachte, du kannst dir ein bisschen freinehmen, und wir gehen noch einen Kaffee zusammen trinken.«

»W?rde ich gerne - aber ich habe Daniel in den letzten Wochen echt h?ngen lassen. Habe schon ein total schlechtes Gewissen.«

»Ach komm. Dir ging’s nicht gut, und Daniel hat dir bestimmt gerne geholfen.« Nina grinst Carolin an und klopft ihr auf die Schulter.

»Du brauchst gar nicht so zu grinsen. Nat?rlich hat Daniel mir gerne geholfen, aber ich m?chte ihn nicht weiter strapazieren. Er hat selbst genug auf dem Zettel. Wenn ich allein an die Rekonstruktion von Auroras Geige denke. Das wird eine Ewigkeit dauern.«

»Mir kommen gleich die Tr?nen. Offen gestanden ist es mir einfach lieber, wenn sich Daniel um dich als um so eine bl?de Geige von einer noch viel bl?deren Geigerin k?mmert.«

»Aurora ist eine hervorragende Musikerin.«

»Sie ist eine bl?de Kuh und baggert noch dazu st?ndig an deinem Partner herum«, l?sst Nina nicht locker.

»Daniel ist nur mein Gesch?ftspartner. In seiner Freizeit kann ihn anbaggern, wer will.«

Nina verdreht die Augen und seufzt.»Ja, ja, wer’s glaubt, wird selig. Und wer’s nicht glaubt, kommt auch in den Himmel.«

»Nina, nicht schon wieder die Leier. Daniel und ich sind Freunde, mehr nicht. Herkules, auf geht’s!«

»Unser idealer Kandidat hat blaue Augen und kann gut k?ssen.« Ich sitze neben Herrn Beck in der Sonne und berichte von meinen j?ngsten Erkenntnissen in Sachen Menschen und Partnerwahl.

»Dann ist die Sache so gut wie geritzt. Das wird ja ein Kinderspiel. Ich schaue mir die Augen genauer an, und du k?sst den Typen. Hoffe allerdings, du kannst beurteilen, was alsgut k?ssendurchgeht.«

Ich werfe Beck einen b?sen Blick zu. »Wieso bloss habe ich das Gef?hl, dass du mich gerade nicht ernst nimmst?«

»Weil es so ist. Dein Gefasel bringt uns ?berhaupt nicht weiter. Zumal wir noch nicht einmal wissen, ob Carolin auch auf blaue Augen steht. Vielleicht mag sie braune lieber? Oder gr?ne? Und ausserdem ist so ein menschliches Auge auch nicht gerade riesig. Von unserer Perspektive aus d?rften wir kaum aus f?nf Metern erkennen, welche Augenfarbe ein Mann hat. Und dann die Sache mit dem K?ssen - also so weit sind wir noch lange nicht. Wenn wir einen Typen so nah an Carolin rankriegen, dass sie ihm die Hand sch?ttelt, dann sind wir schon richtig gut.«

»Also gut, wenn ich denn so ein kleiner, dummer Hund bin, dann schlage ich vor, du ?bernimmst hier einfach mal das Kommando, und ich dackel nur noch hinter dir her.« Jawoll, der kann mich mal, der bl?de Kater.

»Sei doch nicht wieder gleich beleidigt! Unser Plan ist doch gut. Wir gehen wieder in den Park, und dann ziehen wir noch mal die gleiche Nummer ab wie bei Willi. Irgendwann wird schon der Richtige dabei sein. Prinzip Schrotflinte.«

»Komisch, davon hat Nina eben auch gesprochen.«

»Siehste! Und die kennt sich aus damit. Seitdem ich in diesem Haus wohne, habe ich Nina bestimmt schon mit f?nf bis sechs verschiedenen Herren hier aufkreuzen sehen. Wir machen es einfach genauso - schleppen so viele M?nner wie m?glich an. Wie Nina. Glaub mir, die ist Expertin.«

Ich gucke ihn zweifelnd an.»Ach ja? Und warum hat sie dann noch keinen Mann? So toll scheint ihr Auswahlverfahren nicht zu funktionieren. Jetzt kommt sie sogar mit diesem furchtbaren Tierarzt an.«

»Wer weiss? Vielleicht will sie die M?nner gar nicht dauerhaft behalten? Vielleicht sind die einfach nach einiger Zeit irgendwie … aufgebraucht. Und dann muss ein neuer her.«

»Das w?re das erste Mal, dass ich so etwas ?ber menschliche Partnerschaften h?re. Ich dachte, das Konzept ist eher ewige Treue. Hast du selbst gesagt. Sonst h?tte sich Carolin auch ?ber die Sache mit dem H?schen nicht so aufgeregt, oder?«

Herr Beck legt den Kopf schief.»Hm, hast du auch wieder Recht. Ja, was weiss denn ich? Ich bin auch nur ein alter Kater, der sich redlich M?he gibt, die Menschen zu verstehen. Muss aber nicht immer klappen. Also, was ist jetzt? Gehen wir in den Park?«

»Na gut.«

Aktion Schrotflinte kann beginnen.

Das Wetter ist heute sch?n, deswegen tummeln sich im Park mehr Menschen, als man sich in Ruhe ansehen kann. Wir beschliessen, es vor allem bei den Parkb?nken in der N?he unseres Hauses zu versuchen. Dann m?ssen wir die M?nner nicht ?ber die halbe Wiese locken, wenn sie uns tats?chlich folgen. Leider sitzen auf den beiden n?chsten B?nken entweder nur Frauen, oder aber Willi mit seinen Plastikt?ten. Der uns ?brigens freundlich zuwinkt. So hat’s keinen Sinn.

Bei der dritten Parkbank werden wir schliesslich f?ndig: Ein junger Mann hat sich dort niedergelassen und bindet sich die Schn?rsenkel zu. Seine Augenfarbe kann ich zwar nicht erkennen, aber die wollten wir im ersten Anlauf sowieso unber?cksichtigt lassen. Herr Beck und ich schleichen n?her heran, dann beginnen wir mit der Show.

Das heisst - wollen mit ihr beginnen. Denn bevor ich noch so richtig loslegen kann, steuert auf einmal eine junge Frau auf die Bank zu, beugt sich zu dem Mann herunter und k?sst ihn. Dann setzt sie sich neben ihn. Ich rapple mich wieder vom Boden auf, sch?ttle mich kurz und setze mich neben Beck.

»Mist, der hat schon eine Frau.«

Beck kichert.»Aber die k?nnten wir fragen, ob der Typ gut k?ssen kann. Das war doch eines deiner neu entdeckten Kriterien.«

»Ha, ha! Sehr lustig.«

Ich bin ein bisschen entt?uscht, weil der Mann f?r meinen Dackelgeschmack sehr nett aussah. Das Letzte, was ich da brauche, sind h?mische Kommentare eines ?bergewichtigen Katers.

»Wie w?re es, wenn du den n?chsten Mann aussuchst?«, schlage ich vor und klinge dabei eingeschnappter, als ich eigentlich zugeben wollte.

»Gerne, mein Lieber, gerne. Ich habe auch schon einen gesichtet - guck mal, da vorne!«

Er l?uft ein St?ckchen die Wiese entlang, dann h?lt er vor einer Bank neben einem sch?nen Blumenbeet. Okay, ich muss zugeben, der Mensch sieht auch nicht schlecht aus. Er liest Zeitung, was schon mal ein Zeichen von gewisser Bildung zu sein scheint und es uns ausserdem erm?glicht, uns unbemerkt direkt vor seine F?sse zu legen. Ich rolle mich also wieder auf den R?cken und beginne zu kl?ffen. Und zwar so richtig j?mmerlich.

Nach einer Weile schaut der Mann von seiner Zeitung auf und beobachtet mich aufmerksam. Meine ich jedenfalls, denn nat?rlich kann ich das von meiner Warte aus nicht so genau sehen. Mir scheint allerdings, dass der Mann leider nicht die geringste anteilnehmende Regung auf meine Darstellung eines todkranken Hundes zeigt. Mist! Bei Willi hat das doch gleich geklappt. Ich winde mich mittlerweile direkt vor seinen F?ssen und jaule so mitleiderregend, wie ich nur kann. Vor lauter Jaulen und Japsen bildet sich sogar ein wenig Schaum vor meinem Fang. Trotzdem guckt der Mann mich nur gelangweilt an und zieht seine F?sse ein St?ck zur Seite, um kurz darauf aufzustehen. Dann dreht er sich um und geht einfach weg. Ich bin sprachlos. Das gibt’s doch nicht! Beck kommt auf mich zugetrabt.

»He, was war denn das? Ist der einfach abgehauen? Und hat dich deinem traurigen Schicksal ?berlassen? Unglaublich, wie herzlos diese Menschen manchmal sind!«

Wir schauen dem Mann hinterher. Jetzt bleibt er allerdings stehen und guckt noch einmal in unsere Richtung. Ob ihn doch die Reue packt? Er nestelt an seiner Tasche. Vielleicht Fleischwurst? Nein - er holt sein Handy heraus und f?ngt an zu telefonieren. Ich pirsche mich etwas n?her an ihn heran, denn mein Gef?hl sagt mir, dass es gleich um mich gehen wird.

»Hallo, Polizei? Ja, Diekamp hier. Also, Sie werden sich vielleicht wundern, aber ich m?chte einen akuten Tollwutverdacht melden.« Er macht eine Pause. »Ja, ja. Richtig, hier in Hamburg. Gut, verbinden Sie mich.«

Eine weitere Pause, der Mann steht da und horcht angestrengt in sein Telefon.»Guten Tag, Diekamp mein Name. Ich habe es eben schon Ihrem Kollegen erz?hlt - ich m?chte Sie ?ber einen Verdachtsfall von Tollwut informieren. Bei einem Dackel. In Hamburg. Genau. Mhm, mhm …«

Der Mann geht auf und ab und starrt in unsere Richtung. Als er sieht, dass ich n?her gekommen bin, weicht er ein paar Schritte zur?ck.

»Tja, wie es sich ?ussert? Ich w?rde sagen, pl?tzliche distanzlose Anh?nglichkeit, Kr?mpfe, fast ein bisschen Schaum vorm Mund. Aha, Hamburg ist kein Tollwutgebiet? Bei Haustieren ist ganz Deutschland kein Tollwutgebiet? Verstehe - aber vielleicht schicken Sie vorsichtshalber doch jemanden vorbei?«

Mittlerweile steht auch Herr Beck neben mir.»Sag mal, mit wem redet der Typ denn da so aufgeregt?«, will er wissen.

»Ich glaube, mit der Polizei. Er hat ihnen erz?hlt, dass ich Tollwut habe. Bin eben ein verdammt guter Schauspieler - wenn mich die Leute sogar f?r tollw?tig halten! Weisst du, normalerweise bekommen das n?mlich nur F?chse. Hat mir Opili erz?hlt. Das ist sehr gef?hrlich, und ein guterJ?ger muss dann immer sehr vorsichtig sein, um nicht gebissen zu werden. Ein guter Jagdhund sieht sich nat?rlich auch vor.«

Meine Stimme hat einen leicht angeberischen Ton bekommen, aber das ist in Ordnung, schliesslich kenne ich mich mit der Jagd wirklich gut aus. Theoretisch wenigstens.

»Wie bitte?« Herr Beck sch?ttelt den Kopf und lacht auf.

»Ja, komisch, nicht? Und nun will er noch, dass die extra vorbeikommen.«

Beck h?rt auf zu lachen. »Ehrlich? Auweia. Dann sollten wir aber ganz schnell von hier abhauen.«

»Warum? Jetzt wird’s doch endlich mal spannend. Offensichtlich bin ich dem Kerl doch nicht egal, und vielleicht m?chte er, dass die Polizei herausfindet, wo ich wohne.«

Ich w?rde sagen, Herr Beck ist schlicht eifers?chtig auf mein schauspielerisches Talent und die grosse Wirkung, die ich mit ihm erziele.

»So ein Quatsch, du doofer Hund. Was denkst du denn, was die Bullen mit einem Tier machen, das m?glicherweise an einer sehr gef?hrlichen Krankheit wie Tollwut leidet? Das bringen sie nicht nach Hause, das kassieren sie ein! Vielleicht schl?fern sie es auch gleich ein!«

»Sie schl?fern es ein?«, echoe ich ein wenig unsicher.

»Genau. Sie t?ten es. Rucki zucki. Da kennen die gar nichts!«

Ich h?re ein erschrecktes Quieken und will mich gerade wundern, was f?r seltsame T?ne Beck machen kann, als ich feststelle, dass ich es bin, der hier quiekt. Herr Beck guckt mich eindringlich an.

»Genau, mein Freund. Du h?rst ganz recht. Und wenn du mich fragst, gibt es jetzt genau eine Option, die wir noch haben.«

Wie aus einem Mund rufen wir gleichzeitig»Abhauen!« und rennen los, ohne uns noch einmal nach dem Mann umzusehen. So schnell wir k?nnen, flitzen wir Richtung Parkausgang, vorbei an Willi, der auf seiner Stammparkbank sitzt und uns erstaunt hinterherschaut.

Als wir vor unserem Haus ankommen, bin ich schweissgebadet. Nicht vor Anstrengung, sondern vor Angst.Einschl?fern.Was f?r ein furchtbares, furchtbares Wort! Wir schl?pfen durch die Gartent?r und legen uns beide in den Schatten des grossen Baumes. Ersch?pft schweigen wir eine Weile. Dann richte ich mich wieder auf.

»Ich weiss nicht, Herr Beck. Mein Plan war wohl doch nicht so toll. Oder jedenfalls in dieser Form nicht zur M?nnersuche geeignet.«

Beck wiegt den Kopf hin und her.»Jetzt mal nicht so schnell aufgeben. Die Grundidee ist auf alle F?lle richtig. Vielleicht m?ssen wir unsere Auswahl einfach ein bisschen st?rker einschr?nken. Also, nicht jeder Mann, der bei gutem Wetter im Park sitzt, ist automatisch ein Kandidat.«

»Aber das war doch genau unser Ansatz - und nebenbei bemerkt: dein Vorschlag. Ich sag nurSchrotflinte.«

»Na und? Was interessiert mich mein Gew?sch von gestern? Man darf ruhig mal schlauer werden. Ich glaube, das Geheimnis unseres Erfolges wird in der gezielten Vorauswahl liegen. Und dann schlagen wir zu!«

»Ich weiss nicht«, maule ich, »wie soll denn das klappen mit der Vorauswahl?«

Beck?berlegt - aber nur kurz. »Wir m?ssen die M?nner mit Carolins Augen sehen.«

»Na toll, wie soll das denn gehen?«

Anstelle einer Antwort springt Beck auf.»Komm!«, ruft er mir ?ber die Schulter zu. »Ich habe gerade eine Eingebung.«

DREIZEHN

Ich komme mir zwar ein bisschen bl?d vor, mit der Leine im Maul vor Carolin auf und ab zu springen. Denn immerhin hasse ich es eigentlich, an der Leine zu laufen. Aber wenn Becks Theorie richtig ist, dann lassen sich die passenden M?nner im Park einfacher identifizieren, wenn wir Carolin dabeihaben. Der Plan ist also, mitihr spazieren zu gehen und zu schauen, wen sie sich so anguckt. Und dann … ja, was dann passiert, ist noch ein wenig unklar. Die bisherige Nummer kann ich schlecht abziehen, wenn Carolin daneben steht. Aber irgendetwas wird mir schon einfallen, und ausserdem werden wir von Herrn Beck beschattet, der sich, wie er es ausdr?ckt, ein Bild von der Lage machen wird. Von Vorteil w?re allerdings, wenn Carolin nun endlich kapieren w?rde, dass ich mit ihr spazieren gehen will.

Ich springe noch einmal so hoch ich kann und kratze mit meinen Vorderl?ufen an Carolins Hose. Sie guckt herunter und lacht.

»Herkules, nicht so st?rmisch! Ich weiss, was du willst, aber lass mich doch noch eben meine Sachen hier fertig machen. Dann gehen wir auch raus, versprochen!«

Sie nimmt eines dieser kleinen Holzpl?ttchen von ihrem Tisch und klemmt es zwischen den Boden und die Saiten einer Geige. Menno! Immer geht hier die Arbeit vor. Dabei ist meine Sache doch viel wichtiger. Ich knurre ein bisschen.

»Na, will Herkules raus?« Daniel steht auf einmal neben Carolin.

»Ja, das ist wohl eindeutig. Aber ich kann es ihm nicht verdenken. Das Wetter ist wirklich toll, eigentlich viel zu sch?n, um den ganzen Tag in der Werkstatt rumzuh?ngen. Ich werde gleich mal mit ihm in den Park gehen. Ist auch besser f?r die eigene Stimmung.«

Daniel nickt.»Du hast Recht. Was h?ltst du davon, wenn ich euch ein bisschen begleite?«

Och n?! Das passt mir gar nicht. Schliesslich mache ich das hier alles nur, um einen neuen Mann zu finden. Mit Betonung aufneu.Da ist es doch eher hinderlich, wenn man schon einen Mann mitbringt.

Aber mich fragt sowieso keiner, und so kommt es, dass Carolin mir zwar endlich die Leine ans Halsband hakt, aber Daniel auch nach seiner Jacke greift und wir schliesslich zu dritt die Werkstatt verlassen. Im Garten kommen wir an Herrn Beck vorbei, der sich f?r seine Beschattung bereits positioniert hatte.

»He, was soll das denn? Kommt der etwa mit? Man nimmt doch kein Bier mit in die Kneipe!«, raunt er mir zu.

»Meinst du etwa, das war meine Idee?«, fl?stere ich zur?ck. »Aber sag mir mal, wie ich das h?tte verhindern k?nnen?«

Beck zuckt mit den Schultern und scheint noch etwas sagen zu wollen, aber da sind wir schon an ihm vorbei.

W?hrend wir Richtung Park laufen, ?berlege ich, ob sich mein Plan unter diesen Umst?nden ?berhaupt noch umsetzen l?sst. Wird Carolin andere Menschen noch bemerken, wenn sie sich die ganze Zeit mit Daniel unterh?lt? Es ist doch zum Haare ausreissen - den kranken Hund kann ich nicht mimen,weil Carolin dabei ist, und auf Carolin achten bringt nichts, weil Daniel dabei ist. Grrr!

»Schon komisch - da arbeite ich direkt neben so einem sch?nen Park, und trotzdem bin ich fast nie hier.«

Genau, Daniel, m?chte ich sagen, und warum dann ausgerechnet heute?

»Ja, man macht das eigentlich viel zu selten. Wobei ich mit Herkules nat?rlich viel mehr draussen bin als fr?her. Allerdings habe ich ihn in letzter Zeit str?flich vernachl?ssigt. Ich habe deswegen ein ganz schlechtes Gewissen, und eben kam er sogar schon mit seiner Leine an, um mich an meine Frauchen-Pflichten zu erinnern.« Sie beugt sich im Gehen zu mir herunter und streichelt meinen Kopf. »Gell, Herkules, du hast es in letzter Zeit auch nicht leicht mit deinem Frauchen. Aber das wird jetzt alles wieder besser, wirst schon sehen. Ich hoffe, du sehnst dich nicht nach demTierheim zur?ck!«

Ich? Sehnsucht nach dem Tierheim? Was f?r ein absurder Gedanke! Auch wenn die Herrchensuche gerade nicht wirklich rund l?uft - Carolin scheint nicht klar zu sein, wie ungem?tlich es auf zehn Quadratmeter mit Typen wie Bozo und Boxer sein kann.

Weil das Wetter wirklich sch?n ist und wir Daniel nun sowieso nicht loswerden, beschliesse ich, diesen Spaziergang einfach so zu geniessen, wie er ist. Tats?chlich war Carolin in letzter Zeit wenig mit mir unterwegs. Eigentlich gar nicht. Wir traben einen der verschlungenen Kieswege entlang, und ich schnuppere voller Genuss an jedem Baum, der am Wegesrand steht. Herrlich! Hier sind schon wichtige Hunde vorbeigekommen, ich rieche es genau. Und Dank meines Trainings im Garten kann ich nun gekonnt meine Duftmarke hinzuf?gen. Was ich auch ausgiebigst tue. Carolin und Daniel schlendern n?mlich eher, als dass sie wirklich bestimmt gehen, ich habe also genug Zeit f?r die wichtigen Dinge im Dackelleben.

Nun allerdings werden sie selbst f?r meinen Geschmack zu langsam. Wahrscheinlich, weil sie so in ihr Gespr?ch vertieft sind. Nervig. St?ndig m?ssen Menschen reden. Ich zerre ein bisschen an der Leine. He, weitergehen! Hier habe ich nun schon jeden Strauch angepinkelt!

Aber Carolin und Daniel beachten mich gar nicht. Stattdessen steuern sie die n?chste Parkbank an und setzen sich. Tja, von wegen:Ich habe Herkules so vernachl?ssigt und muss das dringend ?ndern… so wird das nichts! Aber dann k?nnte mir Carolin wenigstens mal die Leine abmachen, dann gehe ich eben allein ein bisschen weiterschn?ffeln. Ich springe also zu den beiden hoch auf die Bank und lege meinen Kopf auf Carolins Schoss.

Hm, bilde ich mir das ein, oder liegt schon wieder diese seltsame Spannung in der Luft? Daniel scheint nerv?s zu sein, und auch Carolin riecht aufgeregt. Verwunderlich w?re es nicht, denn wenn ich so lange nicht draussen gewesen w?re wie die beiden, k?nnte ich mich kaum halten vor Unruhe. Irgendwie sind Menschen eben doch grosse Tiere. Sie wollen es nur nicht wahrhaben. Ich schn?ffele nach Carolins H?nden und will sie ein bisschen abschlecken. Vielleicht wirkt das beruhigend auf sie.

Bevor ich aber mit meiner Zunge einmal?ber Carolins Handr?cken schlabbern kann, landet ?berraschend Daniels Hand auf meiner Nase. He - was soll das? Bei meiner Nase kenne ich keinen Spass, da bin ich echt empfindlich. Ich knurre kurz, Daniel zieht seine Hand blitzschnell zur?ck. Offensichtlich habe ich ihn erschreckt. Er mich aber auch. Was will er denn mit meiner Nase? Ich blinzele hoch zu ihm, aber er tut so, als w?re nichts geschehen. Seltsam. Ein paar Minuten ist es jetzt ganz still, weder Carolin noch Daniel sagen ein Wort. Eigentlich sehr sch?n. Dann r?uspert sich Daniel.

»Sag mal, was h?ltst du davon, wenn wir diese Woche mal etwas zusammen machen?«

Was redet der Mann da bloss f?r einen Unsinn? Die beiden machen doch jeden Tag etwas zusammen. Carolin sieht das offensichtlich genauso. Sie kichert.

»Und an was hattest du da so gedacht? An ein Cello oder eine Violine?«

»Ha, ha, sehr komisch.«

»Komm, kleine Revanche f?r deinen Cognac-Spruch von neulich.«

»Okay, dann sind wir jetzt quitt.« Weder Schweigen.

»Kochen«, sagt Carolin dann, »wir k?nnten doch zusammen etwas kochen. So wie fr?her in unserer WG in Mittenwald. Das haben wir schon ewig nicht mehr gemacht, und es war immer sehr lustig.«

Sie l?chelt Daniel an. Es ist genau dieses L?cheln, das mir schon im Tierheim aufgefallen ist. Unverwechselbar und wundersch?n. Mit einem Mal ist es viel w?rmer auf unserer Bank. Herrlich! Ich kuschle mich eng an Carolin und geniesse den Moment.

Diesmal sehe ich Daniels Hand rechtzeitig, bevor sie auf meiner Nase landen kann, und ducke mich weg. Der spinnt ja wohl! Wobei - offensichtlich hat er gar nicht mich im Visier, sondern Carolin. Denn?ber meinen R?cken hinweg greift er jetzt nach ihrer Hand und zieht sie zu sich her?ber. Carolin guckt erstaunt, zieht ihre Hand aber nicht zur?ck. Was hat das schon wieder zu bedeuten? Wann h?lt ein Mann die Hand einer Frau? Schade, dass Beck nicht hier ist, der weiss das bestimmt. Ich beschliesse, dass es eigentlich nur ein gutes Zeichen sein kann - so sparsam, wie Menschen sonst mit K?rperkontakt sind. Ich bin gespannt, was nun passiert.

»Hey, Sie!«, poltert in diesem Moment eine laute Stimme unfreundlich los.

Carolin und Daniel zucken zusammen, er l?sst ihre Hand wieder los.

»Ja, genau Sie meine ich!«, bellt die Stimme weiter.

Jetzt ist auch der Besitzer der unfreundlichen Stimme zu sehen: Er steht direkt vor unserer Bank. Ich belle kurz - merkt der Typ nicht, dass er gerade extrem st?rt? Aber er bleibt wie angewurzelt stehen und starrt Carolin und Daniel an. Oder starrt er doch eher mich an? Eine b?se Vorahnung steigt in mir hoch.

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie hier so angehe. Holger Diekamp mein Name. Aber der Hund, den Sie da auf dem Schoss haben, der hat sich hier gestern ausgesprochen seltsam benommen - ich f?rchte, er hat irgendeine b?sartige Krankheit. Offen gestanden halte ich selbst Tollwut nicht f?r ausgeschlossen, auch wenn die Polizei das gestern anders beurteilt hat.«

»Die Polizei?«, echoen Carolin und Daniel wie aus einem Mund.

»Ja, ich habe nat?rlich gleich die Polizei informiert. Aber bevor die kommen konnten, war der Hund schon verschwunden. Gemeinsam mit dem dicken Kater, der die ganze Zeit dabei war. Ich war aber alarmiert und habe mir dann vorgenommen, weiter nach dem Hund Ausschau zu halten. Schliesslich ist die Tollwut eine t?dliche Krankheit. Gut, das werden Sie vielleicht f?r ?bertriebene Sorge halten, aber der kleine Kerl da wand sich in Kr?mpfen und hatte Schaum vor dem Mund. Ausserdem erschien er mir anh?nglich bis distanzlos - alles ganz typische Zeichen. Waren Sie mit dem Tier in letzter Zeit vielleicht in Nordafrika?«

Ich merke, dass ich vor Schreck langsam ganz starr werde - was, wenn ich jetzt doch noch zur Polizei muss? Und die mich dann wirklich einschl?fern wollen? O nein, und alles nur wegen unseres bl?dsinnigen Plans! Ich versuche, mich so klein wie m?glich zu machen und dr?cke mich ganz fest zwischen Daniel und Carolin. Dicht gekauert an Daniels Hosenbein merke ich, wie dieser anf?ngt zu zittern. Wie furchtbar! Offenbar hat er grosse Angst vor mir - mein Schicksal ist besiegelt, gleich werden mich die beiden an die Polizei ausliefern. Ich senke meine Schnauze und beginne zu jaulen.

»Tollwut!«, st?sst Daniel gepresst aus und zittert noch st?rker. »Das ist ja der gr?sste Unsinn, den ich jemals geh?rt habe.«

Uff! Daniel schlottert nicht vor Angst, sondern er sch?ttelt sich vor Lachen! Vor Erleichterung springe ich spontan auf seinen Schoss und schlecke ihm ?bers Gesicht.

»Hoppla, Herkules! Sie sehen, Herr Diekamp - dieses kleine Kerlchen ist ganz munter. Was auch immer er gestern hatte, Tollwut war es bestimmt nicht. Vielleicht haben Sie ihn auch mit einem anderen Hund verwechselt.«

Diekamp schaut mich b?se an.

»Nein, eine Verwechslung war das mit Sicherheit nicht. Aber wenn Sie mit Ihrer Sorglosigkeit auch Ihre eigene Gesundheit gef?hrden wollen, bitte sehr!« Diekamp gibt noch ein w?tendes Schnauben von sich, dann macht er auf dem Absatz kehrt und l?uft Richtung Parkausgang.

Daniel sch?ttelt den Kopf. »Also wirklich, es sind doch ganz sch?ne Spinner unterwegs. Tollwut - so ein Schwachsinn.«

»Hm, ein bisschen Sorgen mache ich mir aber langsam schon.«

»Sorgen? Warum? Herkules ist mit Sicherheit pumperlgesund. Sieh ihn dir einfach an. Dem fehlt nichts.«

»Ja, aber erinnerst du dich noch an letzte Woche? Der Penner? Der hat doch auch gesagt, dass Herkules sich so seltsam aufgef?hrt hat. Vielleicht ist er ja doch krank.«

Carolins Stimme klingt ganz beunruhigt. Mist - was habe ich da bloss angezettelt!

»Ich meine, Kr?mpfe, Schaum vor dem Mund - ich habe mal irgendwo gelesen, dass Hunde auch epileptische Anf?lle haben k?nnen. Und wenn man das weiss, kann man es auch behandeln, genau wie beim Menschen.«

Daniel seufzt.»Also gut, dann lass uns doch eben bei deinem Tierarzt vorbeischauen, wenn du dich dann besser f?hlst. Ist von hier aus bei dem sch?nen Wetter auch ein netter Spaziergang - also so oder so eine gute Idee.«

Carolin nickt.»Ja, ich rufe gleich bei Dr. Wagner an.«

»Schon mal etwas Beruhigendes vorweg, Frau Neumann: Auf den ersten Blick ist Herkules in ausgezeichneter Verfassung. Klare Augen, eine kalte Nase, gute K?rperspannung - also einen Infekt w?rde ich ausschliessen wollen.«

Ich hocke mal wieder auf dem kalten Metalltisch des Wagner’schen Untersuchungszimmers und lasse Wagner gottergeben an mir herumhantieren. Ich f?hle mich so mickrig, dass ich nicht mal die Gelegenheit nutze, Dr. Wagner auf seine blauen Augen zu ?berpr?fen. Aber was soll ich sagen? Ich bin selbst schuld. Gerecht w?re es nat?rlich, wenn auch Herr Beck hier seine Portion abkriegen w?rde, aber so ist die Welt nun einmal nicht. Wagner streicht mir ?ber den Kopf, dann dreht er sich wieder zu Carolin und Daniel, die neben dem Tisch stehen und das ganze Procedere aufmerksam beobachten.

»Was die Epilepsie anbelangt: Also tats?chlich gibt es das bei Hunden. Sie ist leider gar nicht so leicht zu diagnostizieren. Allerdings wird sie h?ufig vererbt. Wissen Sie, ob es in der Familie von Herkules F?lle von Epilepsie gibt?«

Carolin zuckt mit den Schultern.»Nein, tut mir leid. Ich habe Herkules aus dem Tierheim geholt. Ich weiss eigentlich gar nichts ?ber seine Familie, aber er soll von einem sehr gewissenhaften Z?chter stammen. Er ist halt nicht reinrassig, deswegen hat man ihn abgegeben.«

Dr. Wagner betrachtet mich nachdenklich.»Hm, gewissenhafter Z?chter … also, ich hatte gleich das Gef?hl, dass ich Herkules schon einmal irgendwo gesehen habe. Muss ja eine Dackelzucht gewesen sein - und die kenne ich fast alle. Vielleicht beim alten von Eschersbach?«

VON ESCHERSBACH!!! Allein die blosse Erw?hnung dieses Namens haut mich fast vom Tisch. Ich springe auf und belle laut los. Genau! Ich bin es! Ein echter von Eschersbach! Und was f?r einer!

»Hoppla!«, ruft Wagner, w?hrend er mich sanft wieder in die Mitte des Tisches schiebt. »Da freut sich aber einer! Den Namen kennst du offenbar gut, mein Kleiner. Ich w?rde mal sagen: Bingo!«

Welche Rolle Bingo in diesem Zusammenhang spielt, ist mir v?llig unklar, aber zum ersten Mal seit unserer ersten Begegnung ist mir Dr. Wagner fast sympathisch. Endlich ein Mensch, der meine wahre Herkunft erkennt.

»Die von Eschersbach’sche Zucht hat schon mein Vater betreut. Ich selbst war allerdings erst ein paar Mal da, die Hunde sind ja Gott sei Dank sehr gesund. Aber ich kann von Eschersbach fragen, ob er schon jemals ein Problem mit Epilepsie bei seinen Hunden hatte. Die Diagnostik ist n?mlich zum Teil sehr aufwendig und teuer, da sollten wir schon einen etwas handfesteren Verdacht haben. Vielleicht haben die Kr?mpfe ja eine ganz andere Ursache. Schildern Sie mir doch bitte m?glichst genau, wie so ein Anfall abl?uft.«

»Na ja, so genau kann ich das gar nicht sagen. Ich war selbst n?mlich noch nie dabei.«

»Hm.« Dr. Wagner blickt fragend zu Daniel.

Der sch?ttelt den Kopf. »Ich leider auch nicht.«

»Aber woher wissen Sie dann, dass Herkules Krampfanf?lle hat?«

»Es klingt jetzt wahrscheinlich ein bisschen seltsam, aber wir sind in den vergangenen f?nf Tagen nun schon zweimal von Leuten auf diese Anf?lle angesprochen worden. Das erste Mal brachte jemand Herkules vom Park zu uns nach Hause und berichtete uns davon. Na, und heute war es wieder das Gleiche: Ein Herr sprach uns im Park an und sagte, Herkules habe sich gestern vor ihm in Kr?mpfen gewunden und gejault, ausserdem habe er Schaum vor der Schnauze gehabt. Der Herr f?rchtete sogar, es k?nne Tollwut sein, weil Herkules auf einmal so anh?nglich bei ihm war.«

Dr. Wagner lacht.»Also Tollwut ist es bestimmt nicht. In dem Stadium, in dem Kr?mpfe auftreten, ist das Tier schon so gut wie tot. Ausserdem kann ich mich an keinen einzigen Tollwutfall bei Hunden in Deutschland erinnern, seit ich Tierarzt bin. Aber ich gebe Ihnen Recht, seltsam ist das nat?rlich schon.« Er dreht sich wieder zu mir um und krault mich unter dem Kinn. »Hm, anh?nglich und sonderbar bist du also? Hat Herkules in letzter Zeit vielleicht irgendetwas Traumatisches erlebt, das ihn stark verunsichert haben k?nnte? Ich bin kein Tierpsychologe, aber so etwas kann ein Tier schon einmal im Verhalten beeintr?chtigen. Sie sagten ja, er k?me aus dem Tierheim. Vielleicht Verlust?ngste? Haben Sie ihn mal aus Versehen ausgesperrt oder so was?«

Carolin schaut betreten zu Boden.»Ich war vor kurzem ein bisschen krank.« Sie fl?stert mehr, als sie spricht.

»Richtig, ich erinnere mich. Frau Bogner erw?hnte es, als sie mit Herkules zur Nachuntersuchung kam.«

»Oh, hat sie das?« Carolin wird rot.

»Also, Sie meinen, dass Herkules m?glicherweise darauf reagiert?«, will Daniel wissen. »Das ist echt interessant. Vielleicht macht er sich ja Sorgen um dich und will einen Besch?tzer f?r dich finden - immerhin hat er die Nummer bisher nur vor M?nnern abgezogen.«

Ertappt! Ich ziehe schuldbewusst den Schwanz ein.

Carolin funkelt Daniel b?se an. »Ich glaube kaum, dass es da einen Zusammenhang gibt.«

»Mensch, Carolin, das war doch nur ein Scherz.«

Dann bin ich beruhigt! Es w?re mir doch sehr unangenehm, hier so aufzufliegen. Carolin f?nde das bestimmt nicht gut.

»Nun«, mischt sich Dr. Wagner ein, »so abwegig finde ich den Gedanken nicht. Hunde entwickeln f?r ihr soziales Rudel schon einen ziemlichen Besch?tzerinstinkt. Also wenn es einen Verdacht in die Richtung gibt, w?rde ich ihm auf alle F?lle mal nachgehen. Was genau ist denn bei Ihnen passiert?«

»Ich glaube nicht, dass uns das irgendwie weiterbringt«, kanzelt Carolin ihn schnippisch ab. »Bei mir ist alles in Ordnung. Aber fragen Sie mal diesen Z?chter, das scheint mir erfolgversprechender zu sein.«

»Also wirklich, was f?r eine Frechheit, mich so auszufragen! Dieser Wagner ist echt unm?glich. M?chte mal wissen, was Nina an dem so toll findet«, regt sich Carolin auf, als wir wieder auf dem Weg nach Hause sind.

Ich trabe neben ihr und Daniel her und lausche dabei gespannt. Immerhin geht es auch um mich.

»Beruhige dich, er hat es doch nicht b?se gemeint. Er wollte nur eine m?glichst fundierte Diagnose stellen. Er kann ja nicht wissen, dass du so empfindlich in diesem Punkt bist.«

»Ich bin nicht empfindlich!«, ruft Carolin emp?rt.

»Na ja, ein bisschen schon«, widerspricht Daniel.

»Und wenn schon - ist das ein Wunder? Das muss man sich mal vorstellen: Mein Tierarzt vermutet, dass Herkules sich psychopathisch benimmt, weil ich so ein schwerer Fall bin.«

»He, das hat nun wirklich niemand behauptet. Und abgesehen davon, ist es auch v?llig abwegig.«

»Ach ja?« Carolin dreht den Kopf zu Daniel, der grinst.

»Ich hoffe doch sehr, dass Herkules erst einmal mich als deinen Retter in Erw?gung zieht, bevor er irgendwelche wildfremden Kerle anschleppt.«

Nun muss auch Carolin lachen.»Stimmt, das hoffe ich doch auch!«

Aha, so ist das also. Vielleicht ist Daniel doch nicht zu nett f?r Carolin. Ich muss dringend mit Beck sprechen. Unser Plan braucht vielleicht eine grundlegende Korrektur. Ach was - unser Plan ist hoffentlich bald ?berfl?ssig.

VIERZEHN

»Ich glaube, wir brauchen gar nicht mehr zu suchen: Wir haben unseren Mann!«

Mit wichtiger Miene verk?nde ich Herrn Beck am n?chsten Tag meine neue Erkenntnis in Sachen Partnerwahl von Carolin. Wir sitzen unter unserem Baum im Garten und geniessen die warme Nachmittagssonne.

»Wie kommst du denn darauf? Erst wart ihr mit Daniel im Park, dann beim Tierarzt, heute ist Carolin den ganzen Tag ohne dich unterwegs - wie kannst du da einen Prinzen f?r sie gefunden haben?«

»Ganz einfach: Wir hatten den Prinzen die ganze Zeit dabei.«

»H?? Versteh ich nicht.«

»Daniel. Ich glaube, Daniel ist der Richtige.«

»Ach komm, das habe ich dir doch schon erkl?rt: Daniel scheidet aus. Wegen Zu-Nettsein in besonders schwerem Fall, strafsch?rfend kommt noch Gutm?tigkeit hinzu.«

Herr Beck, der Anwalt. Wenn er so ist, mag ich ihn eigentlich nicht besonders.

»Hast du schon mal dar?ber nachgedacht, dass deine Theorie falsch sein k?nnte? Ich habe die beiden genau beobachtet: Erstens liegt so eine Spannung in der Luft, wenn sie zusammen sind. Ich kann es nur schwer beschreiben, aber es ist eindeutig da, auch wenn man es nicht sieht. Wie Strom aufdem Weidezaun.«

Herr Beck guckt unbeeindruckt und r?kelt sich ausgiebig. »Strom auf dem Weidezaun? Du bist echt ein Landei, mein Lieber. Ich weiss ?berhaupt nicht, was du meinst.«

Seinen Einwand ignorierend, z?hle ich meine weiteren Indizien auf: »Und zweitens hat Daniel Carolins Hand gehalten. Auf der Parkbank - sogar ?ber meinen R?cken hinweg.«

»Na und? Die beiden kennen sich eine Ewigkeit. Was heisst das schon?«

»Und drittens hat Carolin selbst gesagt, dass sie Daniel gerne als ihren Retter h?tte.«

So, Kater, und jetzt kommst du!

»Du musst noch viel lernen, mein Hundefreund. Was Menschen sagen und was sie dann tats?chlich denken und folglich auch machen, sind zwei v?llig unterschiedliche Dinge. V?llig. Manchmal denke ich sogar, dass das Sprachverm?gen an den Menschen komplett verschwendet ist, denn er nutzt es so gut wie nie f?r sinnvolle Dinge. Ehrlich, wenn die Menschen sich nicht miteinander unterhalten k?nnten, w?rde sich im Grunde genommen nichts ?ndern. Sie sagen sich ja doch nie die Wahrheit.«

»Das ist Quatsch. Ich glaube, du willst einfach nur Recht behalten.«

»Ich will nicht Recht behalten - ich habe Recht.«

Meine G?te, ist der heute wieder stur. Ich seufze und sage nichts mehr. Es ist schliesslich wurscht, was dieser Kater denkt. Hauptsache, bei Carolin kommt wieder alles ins Lot, und wir sind bald wieder eine gl?ckliche Familie mit Herrchen, Frauchen und Hund. Eine Weile noch schweigen Beck und ich uns an, dann beschliesse ich, wieder in die Werkstatt zu trotten. Carolin ist zwar auf irgendeinem Termin unterwegs, aber vielleicht kann ich bei Daniel ein paar Streicheleinheiten abstauben.

Ich komme gerade rechtzeitig, um einen grossen Auftritt von Aurora mitzuerleben. Mit weit ausholenden Armbewegungen erz?hlt sie ?ber ihr letztes Konzert. Offenbar ein grandioser Erfolg, daran l?sst sie keinen Zweifel. Nach meiner Kenntnis von menschlicher Erziehung ist so viel Eigenlob unfein. Der alte von Eschersbach h?tte Aurora jetzt jedenfalls sehr tadelnd angeschaut.»Man tut nicht gross. Das schickt sich nicht.«,war ein beliebter Ratschlag von ihm an alle Menschen, die im Schloss ein und aus gingen. Allerdings ist von Eschersbach nat?rlich deutlich ?lter als Aurora, es ist also m?glich, dass seine Ansichten schon etwas altmodisch sind. Oder aber die Sache mit dem Eigenlob gilt bei K?nstlern nicht so direkt.

»Begeistert - die Leute waren einfach begeistert, Daniel. Aber ich habe mich an diesem Abend auch wirklich selbst ?bertroffen. Schade ?brigens, dass du nicht da warst.«

»Ja, schade. Das n?chste Mal komme ich - sp?testens, wenn ich deine neue Geige fertig habe, versprochen.«

Aurora zieht die Nase kraus, was sehr interessant aussieht.»Hm, da habe ich doch glatt das Gef?hl, dass du nur wegen der Geige kommst und nicht wegen mir.«

»Also bitte, das ist doch Unsinn, Aurora. Du weisst genau, wie gerne ich dich spielen h?re. Ich bin in letzter Zeit einfach zu besch?ftigt.«

»Und zwar damit, deine Kollegin zu pflegen, oder?«

»Mit Verlaub, das geht dich ?berhaupt nichts an.«

Daniel klingt jetzt fast ein bisschen b?se. Gut so!

»Aber Recht habe ich schon! Seitdem Carolin diesen Thomas los ist, geht es bei euch drunter und dr?ber. Man kriegt dich kaum noch an die Strippe, Termine zu vereinbaren ist so gut wie unm?glich … nichts gegen Liebeskummer, aber ihr habt eine Werkstatt, kein Reha-Zentrum f?r gebrochene Herzen.«

»Aurora, wir kennen uns jetzt f?nf Jahre. Habe ich jemals schlechte Arbeit bei dir abgeliefert?« »Nein, so meinte ich das …«

»Na also. Und hat Carolin jemals schlechte Arbeit abgeliefert?«

»Du willst mich einfach nicht verstehen - was ich sagen wollte, ist nur …«

»Dass du dich vernachl?ssigt f?hlst. Ja, das habe ich schon verstanden.«

»Daniel!« Auroras Stimme bekommt einen weinerlichen Unterton. »Sei doch nicht gleich sauer. Ich bin nur etwas entt?uscht, dass wir momentan so wenig Kontakt haben, das ist alles. Ich dachte, du interessierst dich f?r meine Kunst.«

Oh, ich w?nschte, ich k?nnte mit den Augen rollen! Selbst ohne die professionelle Einsch?tzung von Herrn Beck ist mir klar, dass Aurora keinesfalls Daniels Interesse f?r ihre Kunst vermisst. Aber Daniel scheint diese Bemerkung ignorieren zu wollen, jedenfalls schwenkt er mit einem Mal Richtungvers?hnlich.

»Lass uns nicht streiten. Ich verspreche hoch und heilig, zu deinem n?chsten Konzert zu kommen. Ob mit oder ohne neuer Geige.«

Sofort strahlt Aurora ihn an und sieht dabei aus wie ein Kind. Hm, ob das bei Menschenm?nnern gut ankommt? Als Dackel finde ich es reichlich albern.

»Oh, danke, Daniel! Das bedeutet mir so viel! Und falls das wieder nicht klappen sollte: Zum Herbst suche ich noch jemanden, der mich auf meiner n?chsten Konzertreise begleiten kann. Es geht nach Italien, und ich m?chte mir gleichzeitig ein paar Geigen anschauen, die mir dort angeboten werden. Was meinst du?«

»Na ja, jetzt hast du gerade erst ein Meisterst?ck gekauft.

Ausserdem kann ich die Werkstatt nicht so lange allein lassen.«

»Ich sehe schon, du willst nicht gleich zusagen. Aber eine Absage akzeptiere ich jetzt auch noch nicht. Da warte ich lieber noch ein bisschen.« Sie t?tschelt seinen Arm. »Dann muss ich auch mal wieder los. Ich habe echt viel auf dem Zettel.«

Sie dreht sich um - und tritt mir einfach auf die Schwanzspitze. Gut, wahrscheinlich nicht in b?ser Absicht. Und richtig weh tut es auch nicht, daf?r hat sie mich nicht genug erwischt. Aber diese Gelegenheit kommt wahrscheinlich nicht so schnell wieder, und deshalb jaule ich sofort erb?rmlich und schnappe dann kurz, aber herzhaft zu. Zack. Grrr. Herrlich!

Aurora st?sst einen spitzen Schrei aus und springt in die Luft. »Aua! Verdammt - spinnst du?!«

Sie starrt mich an, und ich versuche, m?glichst unschuldig zu schauen und jaule prophylaktisch noch ein bisschen. Aurora reibt sich die Wade - man kann den Abdruck meiner Z?hne ziemlich gut sehen.

Daniel guckt unger?hrt. »Tja, da bist du dem armen Herkules wohl m?chtig auf den Schwanz gestiegen. Sonst ist er ganz lieb.«

Aurora schnappt nach Luft, will anscheinend etwas B?ses sagen, l?sst es dann aber.

»Ein ganz Lieber, bestimmt. Gr?ss Carolin, bis bald.«

Dann rauscht sie raus. Daniel guckt mich an. Dann b?ckt er sich und streichelt mir ?ber den Kopf.

»Gut gemacht, Dicker.«

»Wie sehe ich aus, Herkules?«

Carolin hat ein knielanges Bl?mchenkleid an und dreht sich vor mir hin und her. Sehr h?bsch, das muss ich schon sagen. Ausserdem freue ich mich nat?rlich, dass sie f?r den gemeinsamen Kochabend mit Daniel ein Blumenmuster w?hlt. Wenn ich Herrn Beck richtig verstanden habe, ist das doch ein klares Frauenmuster. Ichkombiniere: Carolin will eindeutig wie eine Frau aussehen. Ein gutes Zeichen! Ich setze mich vor sie und wedele mit meiner Rute.

»Aha, das gef?llt dir also? Sehr sch?n, dann lasse ich es an. Und Haare offen lassen oder hochstecken?«

Mit einer geschickten Handbewegung dreht sie ihre langen Haare schnell nach oben und h?lt sie auf dem Kopf zu einem Knoten. Ich knurre kurz. Offen ist viel sch?ner - da sieht man die Haare doch viel besser, und kein Hund k?me jemals auf die Idee, sein sch?nes Fell zu verstecken. Erst recht nicht, wenn es so seidig gl?nzt wie das Haar von Carolin. Da kann ein Rauhaardackel-Spross wie ich doch nur neidisch sein. In dieser Beziehung ist Carolin ein echter Setter, oder mehr noch: ein Golden Retriever. Sie l?sst die Haare wieder nach unten fallen.

»Verstehe, offen. Tja, das sieht vielleicht besser aus, ist aber zum Kochen ein bisschen unpraktisch.«

Ich lege den Kopf schief. Ne, offen ist viel sch?ner!

»Okay, wie w?re denn ein Kompromiss: Beim Kochen stecke ich sie hoch, dann mache ich sie wieder auf. Genau. Gute Idee. Danke, Herkules!«

Bitte, gerne. Ich freue mich, wenn ich helfen kann.

Gut gelaunt l?uft Carolin durch die Wohnung und r?umt Sachen hin und her. Sie deckt den Tisch, ?ffnet wieder eine dieser gr?sslichen Flaschen und giesst den Inhalt mit Schwung in eine andere, gr?ssere und rundlichere Flasche. Ein Schwung roter Fl?ssigkeit landet in dem Gef?ss. Sieht ganz h?bsch aus, aber was das soll, ist mir schleierhaft. Ich habe es allerdings auch schon das ein oder andere Mal beim alten Eschersbach beobachtet. Vielleicht ein Ritual? Ein Zauber? F?r einen gelungenen Abend? Als Dackel bin ich nicht besonders abergl?ubisch, aber wenn es heute hilft, soll es mir recht sein. Es w?re zu sch?n, Becks dummen Gesichtsausdruck zu sehen, wenn ich ihm erz?hlen k?nnte, dass Carolin und Daniel doch ein Paar geworden sind.

Es klingelt an der T?r. Das ist bestimmt Daniel. Mann, bin ich aufgeregt! Carolin anscheinend auch, denn sie st?rzt zur T?r, legt aber dann eine Vollbremsung vor dem Spiegel rechts daneben hin und mustert sich noch einmal kritisch, bevor sie aufmacht. Erwartungsvoll hefte ich mich an ihre Fersen und gebe das unterst?tzende Empfangskomitee. Carolin reisst die T?r auf, ich mache M?nnchen - es ist Nina. Och n?! Was will die denn hier?

»Was willst du denn hier?«

»Das nenn ich mal einen herzlichen Empfang! Danke, mir geht es auch gut, und ich komme gerne rein.«

»Du, das passt mir eigentlich gerade nicht so gut.«

»Hm, ich sehe schon. Du bist f?r deine Verh?ltnisse ja regelrecht aufgebrezelt. Wer kommt denn?«

»Daniel. Wir wollen etwas kochen.«

»Ach so, Daniel. Dann kann ich doch wohl einen Moment bleiben. Ich dachte, du h?ttest ein Date.«

Carolin seufzt, dann tritt sie einen Schritt zur Seite.»Was gibt’s denn so Dringendes?«

»Ich glaube, Marc Wagner ist doch nicht so mein Fall.«

»Aha. Wie kommt es denn zu diesem pl?tzlichen Sinneswandel?«

»Hm, erkl?r ich dir gleich. Kann ich ein Glas haben?« Sie deutet auf die bauchige Glasflasche, in die Carolin eben die andere Flasche gegossen hat. »Ich muss erst mal was trinken. Mein gestriger Abend war eine echte Pleite.«

»Ja, aber eigentlich wollte ich wirklich …«

»Danke, das kann ich jetzt gut gebrauchen.« Nina holt sich ein Glas aus dem Schrank, schenkt sich ein und schnuppert kurz an dem roten Zeug. »Hm, lecker, das ist ja ein edler Tropfen. Gibt’s irgendetwas Besonderes zu feiern? Wieder irgendeine Hunderttausend-Euro-Geige f?r Aurora ersteigert?«

»Nein, ich wollte einfach nur nett mit Daniel kochen und ein Glas Wein trinken.« Carolin wirft Nina einen b?sen Blick zu, was die aber nicht sehen kann, weil sie zu sehr mit ihrem Glas besch?ftigt ist.

»Na, da habt ihr ja Gl?ck, dass ich spontan dazustosse, sonst w?rdet ihr doch den ganzen Abend wieder nur ?ber den Job reden.«

Ich merke Carolin an, dass sie dazu gerne etwas sagen w?rde, aber in diesem Moment klingelt es schon wieder an der T?r. Daniel.

»Wow, Carolin, du siehst toll aus!« Er begr?sst sie mit einem K?sschen auf ihre linke und rechte Wange. Das habe ich vorher noch nie bei den beiden gesehen - ich wusste doch, dass meine Theorie richtig ist. Dann sieht er Nina. »Oh, hallo, wusste gar nicht, dass du auch da bist.« Er klingt entt?uscht, und so gut kenne ich die Menschen mittlerweile, um zu wissen, dass er es auch ist. Nur Nina scheint davon rein gar nichts zu bemerken, sie winkt ihm fr?hlich zu.

»Ja, ich habe mich spontan eingeklinkt. Mir war zwar eher nach einem Frauenabend, aber du kannst ruhig dableiben.« Sie lacht.

Daniel ringt sich ein L?cheln ab. »Angesichts der Tatsache, dass ich im Gegensatz zu dir einer Einladung folge, ein sehr grossz?giges Angebot.«

»Bitte sehr.«

Nina strahlt Daniel an. Offenbar ist sie nicht dazu zu bewegen, Leine zu ziehen.»Was kochen wir denn?«

Sie geht Richtung K?che, Carolin guckt Daniel an und zuckt mit den Schultern. Dann folgen beide Nina. Vor dem K?hlschrank angekommen, bleiben die drei stehen.

»Ich habe alles f?r ein Coq au vin vorbereitet. Wir m?ssten nur noch gemeinsam Kartoffeln schnippeln, w?hrend das H?hnchen im Ofen brutzelt. Also dann setzt euch mal, ich gebe euch Sch?lmesser.«

Carolin, du bist echt zu gut f?r diese Welt. So werden wir Nina nie los. Und du und Daniel nie ein Paar. Und ich nie der Super-ich-habs-schon-immer-gewusst-Dackel.

Es kommt wie bef?rchtet: Nach einer halben Stunde ist Nina immer noch da. Kein Wunder, verstr?mt das H?hnchen mittlerweile einen ziemlich verf?hrerischen Duft. Da will sie nat?rlich einen Bissen von abhaben, und ich kann es ihr nicht einmal verdenken. Auch ich spekuliere schon auf einen kleinen Happen. Um meine Ausgangsposition zu verbessern, schl?pfe ich neben Carolin, die mittlerweile auf der K?chenbank sitzt, lege meinen Kopf auf ihren Schoss und gucke sie so herzerweichend wie nur m?glich an. Leider mit m?ssigem Erfolg, denn Carolin, Nina und Daniel sind so in ihr Gespr?ch vertieft, dass sie mich gar nicht bemerken.

»So, und Dr. Wagner ist nun also doch nicht der Traumtyp?«

Wie kann man sich nur st?ndig ?ber einen Tierarzt unterhalten? Und dann mit dieser Diagnose? Mit Verlaub, die stand doch wohl schon vorher fest. Tja, Nina, h?ttest du mich mal gefragt, ich h?tte es dir gleich gesagt. Nina schenkt sich noch ein Glas ein.

»Wir waren jetzt schon dreimal verabredet. Es ist auch jedes Mal nett und witzig - aber ansonsten passiert gar nichts. Und heute war es noch nicht einmal besonders nett, weil unser Strandausflug leider von mehreren Grossfamilien mit ihren ungezogenen G?ren boykottiert wurde. Nervig, das.«

»Mensch, und das, wo du doch eine bekennende Kinderfreundin bist. Dann muss es ja wirklich schlimm gewesen sein.«

T?usche ich mich, oder macht sich Daniel ?ber Nina lustig. Wird wohl so sein, die reagiert n?mlich sehr gereizt.

»Na und? Es tr?umt eben nicht jeder von einer Kinderschar. Nur, weil ich eine Frau bin, muss ich nicht Mutter sein wollen.«

Daniel hebt beschwichtigend die H?nde. »Ist ja gut. Dann eben keine Kinder. Muss ja nicht.«

»Na, jedenfalls passiert bei Marc und mir absolut nichts. Und so hat’s ja keinen Sinn. Ich suche schliesslich keinen Kumpel, sondern einen Lover. Vielleicht ist Marc ja schwul?«

Schwul? Was mag das sein? Ein anderes Wort f?r sch?chtern?

Daniel grinst.»Nicht jeder Mann, der nichts mit dir anfangen will, muss automatisch schwul sein. Sieh mich an, ich bin der lebende Beweis.«

Nina guckt ihn b?se an. Hm, es muss irgendetwas anderes bedeuten als sch?chtern.

»Vielen Dank auch f?r die Blumen. Und keine Sorge, ich werde mich dir nicht unsittlich n?hern.«

»Gut, dann w?re das ja gekl?rt«, ruft Carolin betont fr?hlich. »Ich schlage vor, wir essen jetzt mal was.«

Eine ganz ausgezeichnete Idee. Schnell setze ich wieder meinen treusten Dackelblick auf. Und diesmal reagiert Carolin.

»Sch?tze, Herkules h?tte auch gerne einen kleinen Appetizer. Wenn ich gewusst h?tte, dass wir zu viert sind, h?tte ich mehr gekauft.«

»Na h?r mal, du willst mich jetzt nicht mit einem Hund gleichsetzen, oder? Ausserdem hat mir niemand gesagt, dass heute Abend ein Kochevent stattfindet. Sonst h?tte ich mich ordnungsgem?ss angemeldet. Oder …«, Nina stockt einen kurzen Moment, »oder wolltet ihr allein sein?«

Richtig geraten!,m?chte ich rufen, aber weder Carolin noch Daniel entgegnen hierauf etwas. Stattdessen holt Carolin den Br?ter aus dem Backofen. Eine warme Wolke H?hnchentraum schwebt zu mir her?ber. Hm, lecker! Ich schlecke mit der Zunge einmal um meine Lefzen herum. Nina sieht das und guckt mich nachdenklich an.

»Sag mal, Coq au vin - ist das wohl das Richtige f?r einen Hund? Immerhin ist da Alkohol drin.«

Na, das ist wohl das Letzte! Sich erst selbst einladen und mir dann meine Pordon streitig machen. Frechheit! Ich knurre sie an.

»He, ist ja schon gut! Ich m?chte nur nicht, dass du morgen einen Kater hast.«

In welchem Zusammenhang steht denn Herr Beck nun wieder mit dem H?hnchen? Ich sag mal, wie es ist: F?r meinen Geschmack wird heute Abend entschieden zu viel geredet. Und das ist alles Ninas Schuld. Dabei sah alles so gut aus - ohne die dumme Kuh h?tte Daniel bestimmt wieder nach Carolins Hand gegriffen, vielleicht h?tten sich die beiden sogar schon gek?sst. Ich beschliesse, in den weiteren Verlauf des Abends einzugreifen. Aber erst, nachdem ich endlich auch etwas zu fressen bekommen habe!

Daniel, der alte Hundefreund, bereitet tats?chlich einen kleinen Teller f?r mich vor. Feinstes H?hnerfleisch, ohne Knochen, ohne Sehnen. Es riecht himmlisch, aber auch ein wenig ungewohnt. Das liegt bestimmt an der roten Fl?ssigkeit, die Carolin nicht nur in die andere Flasche, sondern auch reichlich in den Br?ter gegossen hat.Ob das der Alkohol ist? Und warum soll der sch?dlich sein? Oder ist das genau das Zeug, das Carolin ins Krankenhaus bef?rdert hat? Ach, egal, Appetitt siegt ?ber Misstrauen, und nach dem ersten Bissen bin ich wie verzaubert, so grandios schmeckt es. Ich muss mich sehr beherrschen, nicht einfach alles in mich hineinzuschlingen. Nach f?nf Happen ist der Traum leider vorbei, ordentlich lecke ich meinen Teller ab, um nur ja keinen Tropfen der k?stlichen Sauce zu vergeuden.

Den anderen schmeckt es leider genauso gut, ein Nachschlag ist also illusorisch. Macht aber nichts, denn nun startet die AktionFreiheit f?r Carolin und Daniel.Ich flitze aus der K?che zur Garderobe und schnappe mir meine Leine. Mit dieser im Maul renne ich zur?ck und mache direkt vor Nina M?nnchen. Sie guckt mich erstaunt an.

»Willst du etwa mit mir Gassi gehen?«

Aber nat?rlich! Zur Best?tigung h?pfe ich auf und ab.

»Och n?, ich sitze hier gerade so sch?n. Frag doch lieber dein Frauchen - oder noch besser, frag doch mal den Onkel Daniel.« Sie grinst Daniel an.

»Verstehe, ihr wollt noch ein bisschen Hardcore-Frauengespr?che f?hren. Na komm, Herkules, dann drehen wir eine Runde um den Block.«

Nein! Auf keinen Fall! Das ist doch das genaue Gegenteil von dem, was ich wollte! Schnell lasse ich die Leine fallen und renne aus der K?che. Leider deutet Daniel dies v?llig falsch und kommt mit der Leine hinter mir her Richtung Wohnungst?r. Ich knurre kurz, aber es hilft nichts: Daniel zieht sich seine Jacke ?ber, dann leint er mich an und zwei Minuten sp?ter stehen wir auf dem B?rgersteig vor dem Haus. Wortlos marschieren wir los. Als wir im Park ankommen, r?uspert sich Daniel.

»Wahrscheinlich ist es komisch, sich ausgerechnet mit einem Hund dar?ber zu unterhalten - aber du bist momentan der einzige Mann in der N?he, und ich muss dringend meinen Frust loswerden. Denn wenn ich ehrlich bin, habe ich mir den heutigen Abend etwas anders vorgestellt. Romantischer. Inniger. Und vor allem: zweisamer. Was in aller Welt hatte Nina denn bei unserer Verabredung zu suchen? Kannst du mir das mal erz?hlen, Herkules?«

Ich sch?ttle den Kopf und hoffe, dass Daniel diese Meisterleistung an Kommunikation Hund - Mensch erkennt.

»Ach, ich weiss auch nicht - ich dachte, irgendwie sei da mittlerweile mehr zwischen Carolin und mir. Aber offensichtlich war sie heute Abend ganz froh ?ber Ninas Spontanbesuch.«

Ich belle kurz.

»Oder nicht? Aber warum hat sie dann nichts gesagt?«

Betr?bt lasse ich die Ohren h?ngen. Das, mein lieber Daniel, weiss ich ehrlich gesagt auch nicht. Ich finde auch, dass sie Nina h?tte vor die T?r setzen k?nnen. Schweigend laufen wir nebeneinander her.

»Aber es ist wahrscheinlich meine eigene Schuld. Ich muss deutlicher zeigen, dass Carolin f?r mich mehr als nur eine Kollegin und Freundin ist. Sonst wird sie mich ewig nur f?r den netten Kumpel Daniel halten. Ich muss endlich handeln.«

Eine gute Idee! Ich w?re jedenfalls schwer daf?r und springe deswegen kurz an Daniels Bein hoch.

»Das glaubst du auch, was?« Er sieht sich um, dann lacht er auf. »Ob mich jemand dabei beobachtet, wie ich M?nnergespr?che mit einem Dackel f?hre? Und ob man deswegen eingewiesen werden kann? Sieht bestimmt ziemlich gaga aus.

Egal. Wir drehen noch unsere Runde zu Ende, dann werde ich meinen neuen Entschluss in die Tat umsetzen.«

Das ist doch mal ein Wort! Sofort lege ich einen Zahn zu. Ab nach Hause!

Wieder in der Wohnung, ist Nina endlich gegangen. Carolin r?umt die K?che auf und begr?sst uns fr?hlich.

»Da seid ihr ja wieder! Hat dir der Spaziergang gefallen, Herkules? War f?r dich bestimmt ein langweiliger Abend - zu viel Gerede, oder? Aber dass dir mein H?hnchen geschmeckt hat, freut mich nat?rlich.«

»Mir hat es ?brigens auch sehr gut geschmeckt. Nochmals vielen Dank f?r die Einladung. Wollen wir noch ein Glas Wein trinken?«

»Ja, warum nicht. Ich bin allerdings schon ziemlich m?de. Sp?t wird’s bei mir heute nicht.«

Sie holt zwei neue Gl?ser aus dem K?chenschrank und stellt sie neben die Flasche, die noch auf dem K?chentisch steht. Daniel giesst ein und gibt Carolin ein Glas.

»So, bitte sch?n. Auf unseren Kochabend zu zweit!«

Beide lachen.

»Hm, offensichtlich war Nina wild entschlossen, alle unsere Hinweise zu ignorieren. Aber sie hat sich so in diese Tierarzt-Geschichte verrannt, da brauchte sie heute ganz dringend seelischen Beistand. Tut mir leid, ich hatte mir den Abend auch anders vorgestellt.«

»Schon in Ordnung, mit weiblicher Solidarit?t kann ich leben. Ich hatte schon bef?rchtet, dir w?re Ninas Besuch ganz recht gewesen.«

Carolin sch?ttelt den Kopf und g?hnt. »Auf keinen Fall. Aber jetzt muss ich wirklich ins Bett. Habe morgen einen Ausw?rtskundentermin - und das leider schon um acht Uhr. Lass uns mal einen neuen Termin f?r unser Kochevent suchen - und das findet dann an einem geheimen Ort statt.«

Sie steht auf, Daniel ebenfalls. Na super, so viel zum Themaich muss mal handeln.Jetzt geht Daniel nach Hause und passiert ist immer noch nichts. Was f?r eine Pleite. Damit brauche ich mich bei Herrn Beck nicht blicken zu lassen. Er hatte eben doch Recht. Daniel ist echt zu nett. Und zu lahm.

Die beiden stehen im Flur, und Carolin?ffnet Daniel die T?r. Einen kurzen Moment lang sieht es so aus, als w?rde er an ihr vorbeigehen, doch dann z?gert er - und schliesst die T?r wieder.

»Du, Carolin, ich muss dir etwas sagen. Ich, ?h, nein, ich muss etwas machen.«

Dann legt er seine H?nde auf ihre Schultern, zieht sie zu sich heran und - k?sst sie. Auf den Mund. Genauso schnell wie das passiert ist, l?sst er sie dann wieder los, murmelt ein undeutlichesTsch?ssund verschwindet.

F?NFZEHN

Mist! Eigentlich wollte ich Herrn Beck sofort vom gestrigen Abend erz?hlen. Ich hatte mich schon auf seinen Gesichtsausdruck gefreut, wenn ihm klar w?rde, dass ich doch Recht hatte. Aber daraus wird nun leider nichts. Denn anstatt morgens gem?tlich in die Werkstatt zu trotten und mich dann in den Garten zu verkr?meln, laufe ich hinter einer Carolin her, die einen grossen Koffer vor sich her tr?gt und es offensichtlich sehr eilig hat. Jetzt wirft sie mir einen Blick ?ber die Schulter zu.

»Komm, Herkules, gib Gas! Nicht mit jedem Baum Freundschaft schliessen!«

Sie zieht mit Nachdruck an meiner Leine, und das mag ich nun gar nicht. So nicht. Nicht mit mir. Aus Protest setze ich mich erst einmal hin.

»Herkules, was soll denn das? Komm schon, wir sind sp?t dran. Ich muss dieses Ding p?nktlich abliefern.«

Wieder ein Ziehen. Ich lege den R?ckw?rtsgang ein. Carolin schnaubt genervt und stellt den grossen Kasten ab.

»Du bist ein ungezogener Dackel! Frauchen muss arbeiten, damit sie f?r dich Fleischwurst kaufen kann. Wir haben einen Termin, die Leute warten auf uns.«

Pah! Mir doch egal. H?ttest mich ja bei Daniel parken k?nnen, wenn ich st?re. Carolin ?berlegt einen Augenblick, dann kniet sie sich zu mir herunter.

»Herkules, Sch?tzchen, sei ein braver Hund und komm jetzt mit. Ich verspreche dir, es geht ganz schnell. Ich muss nur etwas abliefern, dann gehen wir wieder nach Hause zu Daniel. Bitte! «

T?usche ich mich, oder bekommt ihre Stimme bei dem Namen »Daniel« einen ganz warmen Klang? Ist vielleicht auch Wunschdenken, aber auf alle F?lle bes?nftigt mich der Gedanke an eine baldige R?ckkehr. Ich gebe meinen Widerstand auf und trotte einen Schritt auf Carolin zu. Die krault mich kurz am Hals.

»Danke, S?sser. Ich beeile mich auch.«

Kurz darauf stehen wir vor der Dreht?r eines grossen Geb?udes.

»Willst du draussen warten?«

Ne, will ich nicht. Ich dr?cke mich ganz eng an Carolins Bein.

»Na gut, dann komm mit rein. Aber lass mich kurz die Leine abmachen, nicht, dass du dich noch in der T?r verhedderst.«

Sie b?ckt sich und hakt die Leine von meinem Halsband ab, dann wuchten wir uns mitsamt Kasten durch die T?r, was gar nicht so leicht ist. Schliesslich bin ich zwar klein, aber lang, und eine Dreht?r zu passieren, ohne sich den Schwanz einzuklemmen, ist eine gewisse Herausforderung. Menschen haben das Problem nicht, sonst w?ren sie nicht auf eine so bl?de Konstruktion verfallen. Das Glas touchiert auch leicht die Spitze meiner Rute, aber dann sind wir drin. Vor uns liegt eine riesige Halle, in der ziemlich viele Menschen hin-und herlaufen. Links und rechts ist auf jeder Seite ein S?ulengang, was der Halle gewisse ?hnlichkeit mit dem Ballsaal auf Schloss Eschersbach verleiht.

Ich bin mir sicher, dass ich hier noch nie war, und dennoch kommt mir dieser Ort bekannt vor. Nicht nur wegen Schloss Eschersbach - ich war mit Carolin schon in einem ?hnlichen Raum. An den Seitenw?nden stehen grosse Ger?te, die aussehen wie eine Kombination aus einem Schrank und so einem Fernseher, wie ihn Carolin im Wohnzimmer hat. Wenn Menschen nun vor diesen Schr?nken stehen und etwas unter dem Fernseher eintippen, fangen die Schr?nke an zu rattern und spucken Papierscheine aus, die auch Carolin immer mit sich herumtr?gt. Daf?r gibt es beim Schlachter Pansen und im Restaurant einen Kaffee, das habe ich schon herausgefunden.

Weiter vorn in der Halle stehen Menschen sowohl vor als auch hinter hohen Tischen und reden miteinander. Es scheint sich hier also um eine Art Begegnungsst?tte zu handeln. Nur etwas Essbares habe ich noch nicht erschn?ffelt, was sonderbar ist, denn normalerweise gibt es immer etwas zu essen, wenn Menschen sich gezielt treffen. Aber vielleicht ist das hier auch eher ein Ort, an dem sie zusammen spielen. Na ja, wenn Carolin sich an ihr Versprechen h?lt, sind wir sowieso bald wieder draussen, es lohnt sich also nicht, den genauen Zweck dieser Halle zu ergr?nden.

W?hrend sich Carolin mit einem Mann weiter vorne in der Halle unterh?lt, stromere ich ein bisschen herum, schaue mir die Leute an und hocke mich schliesslich an den Rand. Mir ist langweilig. Wenn Menschen sich unterhalten, verlieren sie offenbar v?llig ihr Zeitgef?hl. Ob ich mal zu Carolintrabe und sie ein bisschen am Hosenbein ziehe? Wobei - momentan sehe ich sie gar nicht mehr. Wo ist sie bloss hin? Vielleicht sollte ich sie suchen, sonst dauert das hier noch eine Ewigkeit.

In diesem Moment gibt es einen unglaublich lauten Knall. Ich quietsche vor Schreck und dr?cke mich an die Wand hinter mir. Was war das? Weiter vorne bei den hohen Tischen entsteht ein Stimmengewirr, Leute laufen durcheinander.

Dann knallt es noch mal und jemand raft:»Alle auf den Boden, aber sofort!«

Und wirklich, wie auf das Kommando»Platz« schmeissen sich die meisten Menschen sofort hin. So muss es auf dem Hunde?bungsplatz zugehen, von dem mir meine Mutter ab und zu erz?hlt hat. Tolle Veranstaltung! Fragt sich nur, was das soll. Und - wo ist Carolin? Liegt sie hier auch irgendwo rum? Langsam schleiche ich weiter nach vorne, bem?ht, diese Auff?hrung nicht zu st?ren. Am Kopfende der Halle scheint der Mann zu sein, der gerufen hat. Jedenfalls ist er der Einzige, der noch steht. Und nicht nur das - er hat auch irgendetwas in der Hand, mit dem er herumfuchtelt und weitere Kommandos zu geben scheint. Was ist das bloss? Ich versuche, seidich von ihm m?glichst unauff?llig n?her zu schleichen, das muss ich mir mal genauer anschauen.

Als ich mich bis auf zwei Meter herangepirscht habe, dreht sich der Mann pl?tzlich in meine Richtung. Jetzt kann ich erkennen, was er in der Hand h?lt: Es ist ein Gewehr. Wie peinlich, das h?tte ich doch schon am Knall erkennen m?ssen! Also wirklich - als Nachfahre ber?hmter Jagdhunde darf mir das eigentlich nicht passieren. Sinn und Zweck dieser ganzen ?bung ist mir allerdings immer noch unklar, denn wie ein J?ger sieht der Mann nicht aus: Er ist ganz schwarz angezogen, zudem kann man sein Gesicht nicht erkennen, weil er auch eine schwarze M?tze tr?gt, die vom Scheitel bis zum Hals reicht und nur einen Schlitz f?r die Augen freil?sst. Sehr seltsam.

Ich bin so abgelenkt von diesem interessanten Szenario, dass ich nicht merke, wie neben mir ein Mann ebenfalls nach vorne robbt. Erst als er aufspringt und sich direkt auf den Mann mit der schwarzen M?tze st?rzt, bekomme ich davon etwas mit. Die beiden rangeln miteinander und gehen schliesslich zu Boden, dort k?mpfen sie weiter. Unglaublich! Hier passiert ja in f?nf Minuten mehr als in Carolins Werkstatt in zwei Wochen. Der Mann ohne M?tze bem?ht sich ganz offensichtlich, an das Gewehr zu kommen, w?hrend sich der M?tzentr?ger nach Kr?ften wehrt. Die beiden kugeln hin und her, so verkeilt ineinander, dass man kaum sagen kann, zu wem die jeweiligen Arme und Beine geh?ren. Dann gibt es pl?tzlich wieder einen lauten Knall - offensichtlich hat sich ein Schuss gel?st. Der Mann ohne M?tze rollt laut st?hnend zur Seite, der andere steht auf und sch?ttelt sich. Dann nimmt er das Gewehr, das mittlerweile auf dem Boden liegt, geht damit auf seinen Angreifer zu und - zielt!

Ich weiss sofort, was das bedeutet: ein Fangschuss. Die M?tze will den anderen Mann t?ten! Nein!, will ich laut rufen. Das ist doch ein Mensch und kein Kaninchen! Mir wird heiss und kalt. Und dann, ohne weiter zu ?berlegen, gehe ich aus der Deckung und springe den Mann mit der M?tze an. Es ist fast, als w?rde ich mich dabei selbst beobachten, so unwirklich ist das alles: Ich springe hoch und verbeisse mich im Hosenbein des Mannes, ehe er noch abdr?cken kann. Der schwarze Stoff der Hose ist nicht besonders fest, ich sp?re sofort, wie er reisst. Und dann h?nge ich mit meinen Z?hnen auch schon im Bein. Der Mann zuckt heftig zur?ck, br?llt vor Schmerz und reisst sein Bein hoch. Ich lasse los und falle vor ihn hin. Er zieht sich die M?tze vom Kopf und starrt mich b?se an.

»Was zum Teufel soll das? Kann mir jemand erkl?ren, wo dieser Hund auf einmal herkommt?«

Pl?tzlich laufen von ?berall her Menschen auf uns zu, das Kommando, auf dem Boden zu liegen, scheint aufgehoben. Aber die gr?sste ?berraschung: Der angeschossene Mann, der sich eben noch in Qualen auf dem Boden wand, hat sich auf einmal aufgesetzt und schaut mitf?hlend zu seinem Peiniger auf.

»Scheisse, Jens, tut’s weh?«

»Und ob!« Der von mir Gebissene schiebt sein Hosenbein hoch, auf seiner Wade ist ein wundersch?ner Gebissabdruck von mir zu bewundern. »Helen! Ich glaube, ich brauche ein Coolpad oder so was.«

Eine junge Frau mit blonden Haaren kommt hinter einer der S?ulen hervor und aus einer Gruppe von Leuten l?st sich ein ?lterer Mann mit silbernen Locken, der eine gewisse ?hnlichkeit mit dem alten Eschersbach hat. Die junge Frau kniet sich vor den Mann namens Jens und betrachtet den Biss, der ?ltere Herr dreht sich zu den anderen Menschen um.

»So, raus mit der Sprache: Wer hat den Hund mit ans Set gebracht?«

Schweigen.

»Wer?«, wiederholt Silberlocke.

Ich w?rde am liebsten abhauen, denn mein Gef?hl sagt mir, dass Silberlocke echt sauer ist und Carolin gleich ziemlichen ?rger bekommen wird. Warum, ist mir immer noch unklar, denn schliesslich habe ich ein Verbrechen verhindert. Aber das scheint hier keinen zu interessieren - alle tun so, als ob es die normalste Sache der Welt w?re, ein Gewehr auf seine Mitmenschen zu richten. Aber bevor ich noch dar?ber nachdenken kann, ob ich mich irgendwie geschickt aus der Angelegenheit herauslavieren kann, h?re ich schon Carolins Stimme: »Ich war das. Ich habe den Hund mitgebracht.«

Jetzt sehe ich sie endlich, sie steht auch neben einer der S?ulen auf der linken Seite.

»Es tut mir leid, ich habe nicht gemerkt, dass Herkules weggelaufen ist. Ich dachte, er steht immer noch neben mir und …«

Sie will noch irgendetwas erkl?ren, aber da br?llt der Mann schon los: »Sind Sie wahnsinnig? Wissen Sie, wie teuer dieser ganze Dreh ist? Jede Stunde, die wir h?ngen, kostet bares Geld! Und dann bringen Sie hier Ihren ungezogenen Dackel mit. Ich hoffe, er hat Jens nicht wirklich verletzt - ohne ihn k?nnen wir die Produktion vergessen, er ist unser Hauptdarsteller!« Er schnaubt noch einmal, dann holt er tief Luft und spricht in etwas ruhigerem Ton weiter. »Wer sind Sie eigentlich?«

Carolin ist mittlerweile ganz blass um die Nase geworden und fl?stert fast, als sie antwortet: »Neumann mein Name. Ich habe den Cellokasten f?r das Gewehr geliefert. Das mit Herkules tut mir echt leid. Er dachte wohl, das sei ein echter Bankraub und wollte den Herrn da dr?ben besch?tzen.«

Genau! Ich bin nicht ungezogen. Ich bin nur hilfsbereit -und ganz sch?n mutig!

Mittlerweile hat sich dieser Jens neben uns gestellt und mustert Carolin neugierig. Ohne die M?tze sieht er eindeutig besser aus. Er hat die f?r M?nnerverh?ltnisse anscheinend so wichtigen blauen Augen, seine Haare sind ganz dunkel und wild verstrubbelt. Letzteres kann nat?rlich auch an der M?tze liegen.

»Lass mal gut sein, Roland. Ich bin okay, der Kleine hat zwar ziemlich zugeschnappt, aber ich glaube, ich komme durch.« Bei diesen Worten zwinkert er Carolin zu, die tats?chlich zur?ckl?chelt. Dann beugt er sich zu mir. »Na, hast gedacht, dass ich hier wirklich eine Bank ?berfalle? Undwolltest dem Uwe helfen? Braver Hund.«

Eine Bank?berfallen? Was zum Teufel ist das? Und warum sind Jens und Uwe offensichtlich Freunde? Eben wollten sie sich doch gegenseitig noch ganz schwer ans Leder. In meinem Kopf macht sich eine sehr grosse Verwirrung breit.

Da soll man als Hund noch durchsteigen. Silberlocke scheint jedenfalls auch genug von dem ganzen Gerede zu haben. Er klatscht kurz und energisch in die H?nde.

»So, Kinder. Damit hier mal wieder Ruhe reinkommt, halbe Stunde Pause. Jens, leg mal einen Moment das Bein hoch. Die Komparsen bitte in zwanzig Minuten wieder auf Position. Und ich trinke jetzt zur Beruhigung mal einen sch?nen Yogi-Tee.« Dann guckt er mich noch mal an. »Und der Hund verschwindet hier ganz schnell.«

Carolin nickt und b?ckt sich, um mich wieder anzuleinen. »So, bevor du noch mehr Chaos stiftest, gehen wir lieber schnell.«

Ich bin beleidigt. Schliesslich weiss ich immer noch nicht, was genau ich falsch gemacht haben soll. Aber weil es mir nat?rlich auch sehr unangenehm ist, f?r so viel ?rger bei Carolin gesorgt zu haben, trotte ich gleich brav neben ihr her.

Sie wendet sich noch einmal kurz an Jens.»Es tut mir furchtbar leid, und ich hoffe, Sie haben keine grossen Schmerzen. Wenn ich irgendetwas f?r Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen. Mir ist die ganze Sache sehr peinlich.«

»Halb so schlimm, Frau Neumann. Mit einer Sache w?rden Sie mir allerdings eine grosse Freude machen und meine Schmerzen erheblich lindern.«

Auweia, wahrscheinlich kommt jetzt so etwas wie»Bringen Sie das freche Vieh ins Tierheim«.

Jens w?hlt kurz in seiner Hosentasche, dann dr?ckt er Carolin einen Zettel in die Hand. »W?rden Sie bitte mit mir essen gehen? Da steht meine Telefonnummer drauf. Ich warte auf Ihren Anruf.«

»Wahnsinn! Jens Uhland! Jens UHLAND! Deutschlands angesagtester Nachwuchsschauspieler will mit dir essen gehen! Ich fasse es nicht! Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn!«

Nina ist tats?chlich v?llig aus dem H?uschen. Der Typ mit der M?tze scheint irgendwie wichtig zu sein. Seitdem ihr Carolin beim Mittagessen erz?hlt hat, was heute Morgen passiert ist, hat Nina kein einziges Mal richtig Luft geholt. Stattdessen redet sie fast ununterbrochen. Bei Menschen, speziell Frauen, laut Herrn Beck ein todsicheres Zeichen grosser Aufregung. Warum Nina aber so aufgeregt ist, verstehe ich nicht. Eigentlich ist doch nichts Grossartiges passiert. Jens hat keine bleibenden Sch?den davongetragen, Silberlocke hat auch aufgeh?rt zu schimpfen, und schliesslich sind wir wohlbehalten, wenn auch ohne unseren Cellokasten, wieder zu Hause angekommen. Unklar ist mir nach wie vor allerdings, was der ganze Zauber mit dem Gewehr und dem Schuss sollte. Jens hatte den anderen Mann doch ganz klar angeschossen - aber wieso sprang der sp?ter trotzdem herum wie ein jungesReh? Die Erkl?rung von Carolin habe ich auch nicht verstanden: Film, Set, Dreharbeiten? Was bedeutet das bloss? Nina hingegen scheint sich nur f?r eins zu interessieren: n?mlich f?r besagten Jens. Furchtbar, diese Frau.

»Und hast du ihn schon angerufen?«

»Quatsch - wann denn? Das ist doch gerade mal drei Stunden her.«

»Ach stimmt - aber du wirst ihn doch anrufen?« »Na ja, ich weiss nicht so recht.«

»Du weisst nicht so recht? Ich fasse es nicht - du bist jung, du bist Single: Was gibt es da noch zu ?berlegen?«

»Na ja, nur weil er ein respektabler C-Promi ist, muss er noch nicht gleich mein Typ sein. Sicher, ich fand ihn ganz s?ss, aber mehr auch nicht.«

»Was nicht ist, kann ja noch werden. Und>ganz s?ss< ist wirklich die Untertreibung des Jahrhunderts. Jens Uhland ist ein richtiger Hammertyp. Sieht blendend aus, ist witzig. Und Charme scheint er auch zu haben.«

Carolin verdreht die Augen.»Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass ich momentan gar nicht nach einem neuen Freund suche?«

»Ne, das finde ich v?llig abwegig. Aber selbst wenn - du musst ja nicht suchen, trotzdem kannst du doch zugreifen, wenn der Richtige vorbeikommt.«

Das ist ja alles h?chstinteressant. Nina findet also tats?chlich, dass dieser Jens in die Kategorie »richtig« f?llt. Warum, verstehe ich nicht. Ganz im Gegenteil - ich w?rde ihn eher in die Kategorie »bewaffneter Gewaltt?ter« stecken. Ausser mir scheint das aber niemand bemerkt zu haben. Stattdessen gelte ich jetzt als gewaltbereiter Dackel. Und noch etwas anderes st?rt mich ganz gewaltig: Carolin soll sich keinen Freund suchen. Denn wir haben doch schon den idealen Kandidaten gefunden. Eben Daniel. Diese Nina geht mir langsam gewaltig auf den Zeiger: Erst st?rt sie das traute T?te-?-t?te mit Daniel, und jetzt will sie Carolin noch den doofen Jens aufschwatzen. Unm?glich! Die soll sich lieber mal um ihr eigenes Liebesleben k?mmern, da hat sie genug zu tun.

Ich beschliesse, mich beim Projekt »Jens« querzustellen. Nun habe ich ihn schon gebissen, da werden wir sowieso keine engen Freunde mehr werden. Sollte er noch einmal aufkreuzen, werde ich ihn einfach anpinkeln. Und das ist w?rtlich zu nehmen.

SECHZEHN

Wenn Frauen sehr lange vor ihrem Kleiderschrank stehen, immer wieder ein Teil herausnehmen, es sich an den K?rper halten und dann vor den Spiegel gehen, um sich so zu betrachten, dann hat das aus Dackelsicht etwas enorm Komisches. Gut, ich weiss mittlerweile, dass sich Menschen je nach Anlass gewissermassen ein anderes Fell zulegen - aber nach welchen Kriterien die Fellwahl erfolgt, ist mir immer noch r?tselhaft. Warum gestern ein gebl?mtes Kleid und morgen eine schwarze Hose? Und apropos Kleid: Auch die L?nge scheint hier eine entscheidende Rolle zu spielen. Denn gerade jetzt legt Carolin drei schwarze Kleider nebeneinander auf ihr Bett, die eigentlich v?llig gleich aussehen. Nur, dass sie eben unterschiedlich lang sind. Schweigend betrachtet sie die Kleider, dann dreht sie sich zu mir um.

»Hm, was meinst du, Herkules? Mini, Midi oder Maxi?« Ich bin ratlos. Nat?rlich will ich Carolin gerne beraten, denn wenn sie sich heute Abend wieder mit Daniel trifft, soll es endlich klappen mit den beiden. Und ich bin mir sicher, dass ein entscheidender Schritt zum Erfolg gemacht ist, wenn sich Carolin wohl in ihrer Haut beziehungsweise Kleidung f?hlt. Die Rockl?nge ist allerdings etwas, ?ber das ich mir noch nie im Leben Gedanken gemacht habe. Das w?re bei der L?nge meiner eigenen Beine auch ziemlich unsinnig - selbst wenn es R?cke f?r Dackel gebe, m?ssten die zwangsl?ufig immer sehr kurz sein. Was aber will die Frau als solche mit der L?nge des Rocks sagen? Ich laufe unsicher vor dem Bett hin und her. Was ist wohl besser, viel Bein zeigen oder wenig? Worauf achten Menschenm?nner?

Bei Hunden respektive Dackeln ist das nat?rlich viel einfacher. Da gibt es den Welthundeverband FCI, und der definiert in seinem Rassestandard Nr. 148/ 13.3.2001 D einen sch?nen Dackel wie folgt:Niedrige, kurzl?ufige, langgestreckte, aber kompakte Gestalt, sehr muskul?s mit keck herausfordernder Haltung des Kopfes und aufmerksamem Gesichtsausdruck. Bei einem Bodenabstand von etwa einem Drittel der Widerristh?he soll die K?rperl?nge in einem harmonischen Verh?ltnis zur Widerristh?hestehen, etwa 1 zu 1,8.

Was das Fellkleid des Rauhaardackels anbelangt, so hat der Deutsche Teckelclub von 1888 ganz klare Vorstellungen:Der Rauhhaarteckel zeigt ein kurzes, dichtes, enganliegendes, drahtiges Deckhaar mit gen?gend Unterwolle. Am Fang zeigt sich deutlich ein Bart, die Augenbrauen sind buschig. An den Beh?ngen ist die Behaarung k?rzer als am K?rper, fast glatt. An der Rute entspricht die Behaarung der K?rperbehaarung, sie ist eng anliegend behaart und l?uft verj?ngt aus.

So einfach ist das also bei Dackeln. Woher ich das so genau weiss? Nun, als Mischling musste ich mir auf Schloss Eschersbach oft genug anh?ren, was bei mir nicht stimmt. Meine Beine sind n?mlich eindeutig zu lang, und mein Fell ist zu weich und zu wuschelig f?r einen echten Rauhaar. Und Opili liebte mich zwar innig, aber seiner Tochter hat er den Seitensprung nie verziehen. Waren doch alle seine bisherigen Enkel immer Champions gewesen.

Aber zur?ck zur eigentlichen Frage: Wie sieht denn nun der g?ltige Standard f?r Menschen aus? Denn dass es einen gibt, da bin ich mir ganz sicher. Es w?re anders kaum zu erkl?ren, warum zum Beispiel Carolin vor jeder Verabredung mit anderen Menschen so einen Zinnober mit ihrer Verkleidung treibt. Das w?re dann ja v?llig egal, und sie k?nnte einfach so los, wie sie nun mal aussieht. Leider kenne ich aber diesen Standard nicht. Denn sonst wusste ich, ob man zum Beispiel so lange Beine, wie Carolin sie hat, eher versteckt oder doch lieber betont. Ich setze mich auf meinen Hintern und mustere Carolin genau. F?r meinen Geschmack ist sie ein extrem h?bscher Mensch. Aber ist sie das f?r die anderen Menschen auch?

»He, Herkules, du guckst ja so nachdenklich? Willst dir M?he geben, mich gut zu beraten? Also, es ist so: Ich schwanke zwischen diesem kurzen schwarzen Kleid hier oder dem langen anthrazitfarbenen, das ich eben anhatte. Die schwarze Hose gef?llt mir doch nicht so gut. Schwierig, oder? Meine Oma sagt ja immer, die Sch?nheit liegt im Auge des Betrachters - will heissen, jeder findet etwas anderes sch?n.«

Also bitte, was ist das denn f?r ein Spruch? Das weiss nun wieder mein Opili besser, und Carolins Oma hat offenbar keine Ahnung, sonst w?rde sie nicht so einen Unsinn erz?hlen. Vielleicht gibt es bei Menschen tats?chlich keinen klar definierten Standard, aber so etwas ?hnliches wird schon existieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jeder Mensch wirklich selbst entscheidet, was er sch?n findet. Im ?brigen habe ich neulich Abend mit Carolin eine Sendung im Fernsehen gesehen, die im Wesentlichen wie eine Hundeschau aufgebaut war. Nur ohne Hunde, stattdessen mit Frauen. Wie bei der Hundeschau liefen die Frauen einzeln vor den Richtern im Kreis und dann haben ihnen die Richter gesagt, ob sie sch?n sind oder nicht. Okay, die Wertungsskala reichte nicht von »Vorz?glich« bis »Nicht gen?gend«, aber ansonsten war es exakt dasselbe. Die Frauen, die gut bewertet worden sind, haben anscheinend irgendwas gewonnen - da sagte die Oberrichterin dann solche Sachen wie »Du darfst zum Casting«, und die jeweilige Frau hat sich ganz doll gefreut. Und zu den schlechteren Frauen sagte sie, dass es leider nicht reicht. Die haben dann geweint. Wof?r es nicht reicht? Keine Ahnung. Vielleicht f?r die Zucht? Ist aber nur eine Vermutung. So, wo war ich? Richtig: Die Sch?nheit liegt eben nicht im Auge des Betrachters. Auch bei Menschen nicht. Man kann sie nachmessen.

Also, Jeans oder Rock? Was ist besser? Ich lege den Kopf schief und versuche, mir Carolin in beidem nebeneinander vorzustellen. Carolin nickt mir aufmunternd zu und h?lt sich noch einmal das kurze Kleid vor.

»Was meinst du, worin findet mich Jens am sch?nsten?«

JENS?! Carolin ist gar nicht mit Daniel verabredet? Diese schlechte Nachricht haut mich wortw?rtlich von den Pfoten, und mit einem wehleidigen Jaulen rolle ich mich auf die Seite.

»Herkules!«, ruft Carolin. »Kriegst du jetzt etwa wieder so einen Anfall?«

Sie l?sst das Kleid fallen, kniet sich neben mich und streicht mir ?ber den Kopf. Da kommt mir die Idee: Wenn ich krank bin, sagt sie bestimmt die Verabredung mit diesem Jens ab. Also gebe ich noch einmal meine ber?hmte Parkvorstellung - mit allem drum und dran: Ich jaule und zittere, winde mich unter Kr?mpfen. Carolin sieht mich entsetzt an, dann springt sie auf und rennt aus dem Schlafzimmer. Uff, kurze Verschnaufpause. Ganz sch?n anstrengender Beruf, die Schauspielerei. Ich h?re, wie Carolin offenbar mit Nina telefoniert.

»Nina? Hast du die private Telefonnummer von Marc Wagner? Herkules hat schon wieder so einen Anfall, und die Sprechstunde ist ja l?ngst vorbei …« Eine kurze Pause. »Danke, richte ich ihm aus.«

Sie erscheint mit dem Telefon in der Hand im Schlafzimmer. Mittlerweile liege ich auf dem R?cken und zucke nur ab und zu. Ich glaube, ich bin sehr eindrucksvoll.

»Dr. Wagner? Neumann hier, Sie wissen schon, die Freundin von Nina mit dem Dackel. Tut mir leid, dass ich Sie um diese Uhrzeit st?re, aber Herkules hatte gerade so einen Anfall und jetzt liegt er hier ganz apathisch. Ich mache mir solche Sorgen …« Sie kniet sich wieder neben mich. »O ja, w?rden Sie das machen? Das ist sehr, sehr nett. Helvetiastrasse 12, ein grosses Jugendstilhaus. Genau, bis gleich.«

Kaum hat sie das Gespr?ch beendet, w?hlt sie eine neue Nummer. »Jens? Ich bin’s, Carolin. Du, es tut mir leid, und ich weiss, das klingt jetzt saubl?d: Aber mein Dackel hatte gerade wieder einen epileptischen Anfall, und jetzt kommt der Tierarzt noch vorbei. K?nnen wir es nicht auf einen anderen Abend verschieben? Ich f?hle mich nicht so gut dabei, Herkules heute allein zu lassen. Ja? Danke, ich melde mich morgen. Tsch?ss!«

Wenn ich nicht gerade den kranken Hund mimen w?rde, w?re es jetzt an der Zeit f?r Triumphgeheul. Leider w?rde dann meine Deckung auffliegen, also lasse ich es. Stattdessen liege ich einfach wie hingegossen auf dem Bettvorleger und jaule ab und zu. Carolin streichelt mich und summt vor sich hin. Soll mich wahrscheinlich beruhigen. Dann klingelt es: Dr. Wagner. Auch nicht der Mann, den ich hier gerne sehe, aber bevor Jens meine Pl?ne f?r Carolin und Daniel durchkreuzt, lasse ich mich lieber noch ein paar Mal von diesem Tierarzt durchchecken. Ist schliesslich f?r eine gute Sache.

Carolin l?sst ihn herein und f?hrt ihn gleich ins Schlafzimmer. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind. Sehen Sie mal, wie schlecht es ihm immer noch geht!«

Wagner hat eine Tasche dabei, die er neben mir abstellt.»Hm, dann wollen wir mal sehen, was wir da machen k?nnen.«

Er setzt sich neben mich auf den Boden und greift sich eine Art dicken Stift aus seiner Tasche. Mit diesem zielt er direkt auf meine Augen - ein heller Lichtstrahl blendet mich.

»Pupillenreflexe sind normal.« Er richtet sich wieder auf. »Also, es sieht nicht so aus, als h?tte Herkules gerade einen epileptischen Anfall gehabt. Dann m?ssten seine Pupillen n?mlich weitgestellt sein und w?rden sich bei einem Lichteinfall nicht verengen. Gut, Sicherheit h?tten wirnur bei einem EEG, aber ich glaube nicht, dass das n?tig ist. Was auch immer Herkules hatte - es scheint irgendetwas anderes zu sein. Eine Idee habe ich aber noch.«

Er kramt wieder in seiner Tasche, dann holt er ein Metallding mit zwei Strippen und einer Art Zange heraus und setzt sich wieder neben mich. Die Zange st?pselt er sich in die Ohren, das runde Metallding legt er auf meine Brust. Er scheint auf irgendetwas zu lauschen.

»Tja, das Herz klingt aber auch ganz normal. Sein Herzrhythmus scheint v?llig unbeeintr?chtigt.« Er st?pselt das Dings wieder aus seinen Ohren. »Herzrhythmusst?rungen k?nnen n?mlich auch Anf?lle ausl?sen. Das muss man sich so vorstellen, dass die Rhythmusst?rung zu einem Blutdruckabfall im Hirn f?hrt und daraufhin kann es zu einer Ohnmacht mit Zuckungen kommen.« Er streichelt mich. »Gut, der Anfall ist nat?rlich schon vorbei, aber in der Regel dauert es schon eine Weile, bis der Rhythmus wieder komplett in Ordnung ist. Herkules, was machst du nur f?r Sachen?«

Carolin mustert mich besorgt.»Vielleicht hat er ja irgendeine andere schlimme Krankheit?«

Carolins Stimme klingt so nerv?s, dass ich mich entschliesse, jetzt wieder gesund zu sein. Ich will es auch nicht ?bertreiben, also stehe ich wieder auf und sch?ttle mich kurz.

»Frau Neumann, so wie Herkules jetzt aussieht, wirkt er auf mich v?llig gesund. Sicher, wir k?nnen ihn n?chste Woche in meiner Praxis mal von Kopf bis Fuss durchchecken, aber irgendetwas sagt mir, dass es hier kein gesundheitliches Problem gibt. Nennen Sie es meinetwegen Tierarztinstinkt,aber ich glaube, Herkules geht es gar nicht so schlecht, wie wir denken. Vermutlich machen Sie sich gerade v?llig unn?tig Sorgen.«

Grrr, du Verr?ter - h?r bloss auf, in die Richtung weiterzuforschen! Carolin ist bestimmt sauer, wenn sie merkt, dass das alles nur Show ist. Ich beschliesse, die Nummer mit dem Anfall einzumotten. Ich glaube, Wagner ist mir schon zu dicht auf den Fersen.

»Aber sagten Sie nicht, Sie kennen die Zucht, aus der Herkules stammt? Es w?rde mich doch sehr beruhigen, wenn Sie dort noch mal nachfragen.«

»Ja, gut, dass Sie mich erinnern. Ich bin n?chste Woche sowieso da, dann werde ich mich erkundigen. Aber trotzdem sollten Sie jetzt erst mal davon ausgehen, dass Herkules nichts Ernstes hat.« Er steht wieder vom Boden auf und schnappt sich seine Tasche. »So, dann werde ich mal wieder losd?sen. Sie haben heute sicher auch noch etwas vor. Sie sehen n?mlich irgendwie ganz so aus, als h?tten Sie hier gerade eine kleine Kost?mprobe veranstaltet.«

Carolin lacht und steht ebenfalls auf.»Da haben Sie Recht. Aber wenn Sie m?chten, dann bleiben Sie doch noch auf ein Glas Wein. Schliesslich haben Sie Ihren Feierabend f?r uns geopfert, daf?r w?rde ich mich gerne bedanken.«

Wagner z?gert. Los, Junge, zieh ab - Carolin will nur h?flich sein. In Wirklichkeit legt hier niemand auf deine Anwesenheit wert!

»Aber Sie sind doch noch verabredet, da will ich nicht st?ren.«

Messerscharf erkannt, Wagner. Auf Wiedersehen!

»Im Gegenteil! Ich freue mich, wenn Sie noch bleiben. Und meine Abendverabredung hatte ich sowieso schon wegen Herkules abgesagt.«

»Dann freue ich mich, wenn ich einspringen darf.«

Och n?! Kaum sind wir den einen los, haben wir den n?chsten an der Hacke! Nun gut, wenigstens ist Wagner keine Gefahr f?r Daniel, aber das ist auch schon sein einziger Vorteil. Carolin l?chelt ihn an. »Ich heisse ?brigens Carolin.«

»O ja. Danke! Ich bin Marc.«

Carolin nickt.»Ich weiss.«

Sie lachen beide - etwas sch?chtern, wie ich finde.

»Gehen Sie, ?h, gehst du schon vor ins Wohnzimmer? Es ist gleich gegen?ber der Eingangst?r. Ich ziehe mir nur schnell etwas anderes an.«

»Von mir aus nicht n?tig - ich finde, du siehst bezaubernd aus.«

Carolin lacht verlegen.»Na gut, wenn du mich in Jeans und Schlabberpulli ertr?gst, dann bleibe ich so.« »Sehr gerne, kein Problem.«

Und anstatt dass sich Wagner seinen bl?den Koffer schnappt und sich verkr?melt, sitzt er keine zwei Minuten sp?ter auf unserer Wohnzimmercouch. Schlecht gelaunt lege ich mich direkt davor und beobachte, wie Carolin zwei Gl?ser aus dem Schrank holt. Sie ist einfach zu nett. Warum hat sie Wagner nicht fahren lassen? Stattdessen geht jetzt wieder diese »Weintrinken-Geschichte« los. Ich sage es wirklich nur ungern - aber manchmal sind Menschen einfach uferlos langweilig. Zum Beispiel beim Weintrinken: Gleich wird Carolin wieder die eine in die andere Flasche giessen. Dann werden sie das Zeug von der zweiten Flasche in zwei Gl?ser f?llen. Wenn ich Gl?ck habe, trinken sie dann einfach schnell aus, und wir sind Dr. Wagner bald los. Diese Entwicklung ist leider extrem unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass die beiden eine Ewigkeit auf dem Sofa sitzen und ?ber die Dinge schwadronieren, die im Leben angeblich wichtig sind. Stichwort: reden statt machen. W?re Dr. Wagner Nina, ginge es dann fast nur um M?nner. Das w?re f?r mich wenigstens einigermassen interessant, denn vielleicht w?rde ich noch etwas ?ber Daniels Chancen bei Carolin erfahren. Aber mit Wagner redet sie wahrscheinlich eher ?ber das andere Thema, das Menschen so gerne besch?ftigt: die Arbeit. Oder auch beliebt: vergangene Zeiten. G?hn. Oder auch ein Favorit: die Kombination aus beidem. Arbeit und Vergangenheit. Allein die Frage, wer gerne was als Kind geworden w?re und warum das dann nicht geklappt hat, f?llt locker eine Stunde. Es ist mir unbegreiflich, wie man sich so ausgiebig mit Dingen befassen kann, die nicht mehr zu ?ndern sind. Aber darin sind Menschen ohnehin wahre Meister. Was w?re wenn? Eine Frage, die sich kein vern?nftiger Hund jemals stellen w?rde. Anders gesagt:Weintrinkenist offenbar ein Synonym f?r eine besonders ineffiziente Methode, einen Abend totzuschlagen, wenn man, wie die meisten Menschen, einfach zu bequem ist, eine ordentliche Runde durch den n?chsten Park zu rennen.

Ich seufze innerlich und lege den Kopf auf meine Vorderl?ufe. W?hrend die Stimmen von Carolin und Wagner zu einem leichten Hintergrundrauschen verschwimmen, ?berlege ich, wie ich die Sache mit Daniel dingfest machen kann. K?nnte ich die beiden irgendwie in eine Art Hinterhalt locken, so dass sie endlich einmal allein sind? Dann ergibt sich der Rest vielleicht von selbst. Aber wie?

Ich muss dringend wieder mit Herrn Beck konferieren. Katzen sind ja als Meisterstrategen bekannt, und er hat bestimmt eine Idee, wie das gehen k?nnte. Es ist schon tragisch - erst neulich waren die beiden so nah dran! Wenn Nina nicht gekommen w?re, k?nnten sie schon l?ngst ein Paar sein. Aber seit diesem Abend haben sich Daniel und Carolin kaum gesehen, nur kurz in der Werkstatt, und fast immer waren irgendwelche Kunden dabei. So wird das nat?rlich nichts. Denn eine Sache habe ich mittlerweile gelernt, auch ohne Unterricht von Herrn Beck: Was die Paarung anbelangt, scheinen Menschen eine wirklich scheue Gattung zu sein. Jedenfalls verfl?chtigt sich diese prickelnde Spannung zwischen Daniel und Carolin sofort, wenn andere Menschen dazukommen. Im Park habe ich die gleiche Beobachtung gemacht: Die P?rchen, die sich k?ssen, stehen meist ein wenig abseits oder sitzen auf einer Bank, auf der sonst niemand ist. In Autos k?ssen sich Menschen gerne, im Supermarkt fast nie. Im Fr?hst?ckscafe, in dem Carolin und Nina sich oft treffen und das immer bis auf den letzten Platz voll ist: Fehlanzeige in puncto knutschende Paare. Vielleicht mal ein K?sschen hier oder da, aber definitiv nichts, was nach echter Paarung aussieht, so wie Beck und ich es damals bei Thomas und der anderen Frau beobachtethaben. Da sind wir Hunde schon deutlich forscher. Ein Dackelr?de, der auf der anderen Strassenseite seine Herzensdame entdeckt, wird sich jedenfalls durch ein paar Spazierg?nger von nichts abhalten lassen. Seltsam eigentlich. Schliesslich neigt der Mensch an sich nicht gerade zur Sch?chternheit.

Mittlerweile sind Carolin und Wagner tats?chlich beim Thema Arbeit angelangt. Ich sag’s ja: So langsam habe ich doch schon ein bisschen Ahnung von den Zweibeinern. Wagner jedenfalls erm?det Carolin gerade mit einer detailverliebten Schilderung seines beruflichen Werdegangs:

»Und da war mir klar, dass ich doch lieber Tierarzt werden will. Also habe ich noch von Human-zu Veterin?rmedizin gewechselt. Obwohl ich mir eigentlich geschworen hatte, niemals dasselbe zu machen wie mein Vater. Tja, und jetzt habe ich sogar seine Praxis ?bernommen und wohne, genau wie er damals, im gleichen Haus. Am Anfang war das schon ein seltsames Gef?hl, aber mittlerweile kann ich sagen, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war. Mein Beruf macht mich gl?cklich.«

Und, wen interessiert’s? Mich jedenfalls nicht. Hoffentlich komplimentiert Carolin diesen aufgeblasenen Langweiler gleich hinaus. Gut, ich muss zugeben, dass ich an seiner Anwesenheit nicht ganz unschuldig bin, aber der wesentliche Zweck von Wagners Besuch ist nun erf?llt: Jens ist f?r diesen Abend erst mal verhindert, Wagner also mehr als ?berfl?ssig. Der soll schnell sein Glas austrinken und dann husch ins K?rbchen. Also, im ?bertragenen Sinne. Bestimmt ?berlegt Carolin auch schon, wie sie ihn m?glichst elegant aus der Wohnung bekommt.

»Das finde ich toll, dass du deiner inneren Stimme gefolgt bist. Das sollte man ?berhaupt viel ?fter machen. Apropos ?fter - noch ein Glas Wein?«

Da habe ich mich doch wohl verh?rt - noch mehr Wein? Aber anscheinend geht Wagner Carolin nicht ganz so auf die Nerven wie mir. Mit reiner H?flichkeit ist das jedenfalls nicht mehr zu erkl?ren. Findet sie seine Geschichten etwa spannend?

Carolin f?llt wieder beide Gl?ser, dann setzt sie sich neben Wagner. »Ich wohne auch ?ber meiner Werkstatt. Nina meint immer, sie w?rde es nerven, wenn sie unter einem Dach wohnen und arbeiten w?rde, aber ich finde es ideal.«

Wagner nickt.»Ja, geht mir genauso. Wie bist du denn auf die Idee mit der Werkstatt gekommen? Ist ja nicht gerade ein Beruf wie jeder andere. Oder liegt das bei dir auch in der Familie?«

Carolin sch?ttelt den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht. Mein Vater ist Anwalt, meine Mutter Hausfrau. Aber ich wusste schon als Sch?lerin, dass ich Geigenbauerin werden will. Weisst du - ich liebe Musik, habe selbst viel Geige gespielt, und ich wollte etwas Handwerkliches machen. Dann habe ich ein Praktikum in einer Geigenbauwerkstatt gemacht und gemerkt: Das ist es!«

Carolin strahlt regelrecht, Wagner mustert sie. Ach was, er guckt sie an wie der Fuchs die Gans! Der wird doch wohl nicht auf die Idee kommen, sich hier an meine, respektive Daniels Carolin ranzumachen?

Er r?uspert sich. »Da kommt mir eine Idee. H?ttest du Lust, mit mir n?chste Woche in ein Konzert zu gehen? Ich habe zwei Karten f?r die Musikhalle und noch keine Begleitung.«

Carolin z?gert. Klar, ist ja nicht einfach, dem Retter ihres Hundes hier gleich mal eine klare Abfuhr zu erteilen. »Also, ich, ?h …«

Nun schon raus damit, Carolin! Wird Zeit, dass wir den Kerl loswerden.»Furchtbar gern!«

SIEBZEHN

»Junge, du kannst es nicht ?bers Knie brechen. Vergiss es.«

Okay, Zustimmung klingt anders. Aber so schnell lasse ich mich nicht entmutigen. Ich w?re schliesslich nicht Carl-Leopold von Eschersbach, wenn mich der fade Einwand eines gealterten Katers gleich aus dem Konzept bringen w?rde. Wir sitzen wieder auf unserer Lieblingsstelle unter dem Baum, und ich habe Beck eben ein kurzes Update der Irrungen und Wirrungen der letzten drei Tage in Sachen Carolin und die M?nner gegeben.

»Glaub mir, Herr Beck, da geht was! Du hast die beiden nicht gesehen - immerhin hat Daniel sie gek?sst. Das muss doch etwas bedeuten.«

»Ja. Das bedeutet, dass Daniel in Carolin verliebt ist. Was nicht zwangsl?ufig heisst, sie auch in ihn. Sonst h?tte sie ihn gek?sst, und nicht umgekehrt.«

Langsam beginne ich, mich richtig?ber Beck zu ?rgern. »Das ist nun wirklich Wortklauberei - was macht es schon f?r einen Unterschied, ob er sie k?sst oder sie ihn. Das ist doch das Gleiche - sie haben eben einander gek?sst.«

»Da merkt man, dass du keine Ahnung hast. Es ist ein RIESEN-Unterschied. Ich sag dir was: Daniel ist ein ganz armes Schwein. Schmachtet Carolin die ganze Zeit aus der Ferne an, aber wenn es z?hlt, dann kommt ihm sogar Nina in die Quere.«

»Das war nun wirklich Pech. Daf?r konnte er nichts. Und deswegen m?ssen wir ihm helfen - er braucht einfach noch eine Chance, eine Gelegenheit, mit Carolin allein zu sein.«

»O Mann, kapier es doch mal, Herkules: Ein Typ, der auf einen fetten Kater und eine kurzbeinige Promenadenmischung angewiesen ist, um eine Frau klarzumachen, der ist ein hoffnungsloser Fall. Ein Verlierer. Eine Null. Das habe ich dir ja gleich gesagt.«

Ich sp?re, wie Wut in mir aufsteigt. Meine Stimme klingt ganz heiser, als ich Beck anfahre: »Das nimmst du sofort zur?ck! Sofort! Sonst bist du die l?ngste Zeit mein Freund gewesen!«

»Gott, ja, tut mir leid. Ich entschuldige mich hiermit f?r die Promenadenmischung.«

»Das meine ich nicht.«

»Gut, f?r kurzbeinig entschuldige ich mich auch. Nun zufrieden?«

»Ich meine den Verlierer. Daniel ist kein hoffnungsloser Fall. Er ist ein sehr netter Mensch, der mir zuf?lligerweise einiges bedeutet. Er ist mein Freund.«

Herr Beck verdreht die Augen.»Also ihr Hunde immer mit diesemMein-Freund-der-Mensch-Unsinn! Jetzt mal Klartext: Der Hund ist nicht der beste Freund des Menschen, und umgekehrt ist es genauso. Daniel ist ein Mensch. Und der beste Freund des Menschen ist der Mensch. Und nur weil der ein oder andere Mensch keinen anderen Menschen als Freund findet, heisst das noch lange nicht, dass er auf einmal mit einem Tier befreundet sein kann. Wann immer ein Mensch mit dir redet und dir lauter pers?nlichen Krempel erz?hlt, dann meint er nicht dich, sondern sich. Er f?hrt Selbstgespr?che, kapiert? Aber damit er sich dabei nicht so bescheuert und einsam vorkommt, f?hrt er sie mit dir. Du bist in diesem Moment genau genommen so etwas wie dieser kleine Plastikkollege von dem doofen Wellensittich. Ein Ersatz. Mehr nicht. Also heul hier nicht rum von wegenRede nicht so?ber meinen Freund Daniel -das ist einfach nur l?cherlich.«

Wenn ich weinen k?nnte, jetzt w?re ein guter Moment daf?r. Und wenn ich ein Freund der gewaltt?tigen Auseinandersetzung w?re, auch. Dass Herr Beck so gemein sein kann, h?tte ich nicht gedacht. Aber eines ist mir klargeworden: Mag sein, dass sich Beck einiges Wissen ?ber Menschen zusammengesammelt hat; richtig kennen tut er sie deswegen nicht. Nat?rlich kann ein Mensch ein Freund sein. Die Art, wie Daniel mit mir redet, hat nicht das Geringste mit dem Plastikvogel zu tun, an dem sich der bedauernswerte Wellensittich aus dem zweiten Stock jeden Tag abarbeitet. Daniel meint mich, nicht sich. Ich weiss es - ich sp?re es. Gut, Menschen k?nnen ganz sch?n ?tzend sein, man denke nur an Thomas. Aber gleichzeitig haben sie etwas, das sie f?r mich einzigartig macht. Und wertvoll. Sie haben Gef?hl, Mitgef?hl. Sie k?nnen sich mit anderen freuen und mit anderen traurig sein. Und w?tend sein, wenn der Freund sich ?rgert. Und sie k?nnen lieben. Und zwar auch einen kleinen Hund wie mich. Ich werde niemals Emilias Tr?nen vergessen, als mich von Eschersbach in den Karton setzte und sie wusste, dass sie mich nicht wiedersehen w?rde. Carolin ist mein Freund. Und Daniel ist mein Freund. Ich weiss es genau. Jetzt m?ssen die beiden nur noch ein Paar werden. Und daf?r werde ich sorgen, ob mit oder ohne Beck. In diesem Fall wohl ohne. Und so drehe ich mich um und lasse Beck einfach sitzen.

»Hey, Kleiner, nun hau doch nicht gleich ab! Das war nicht b?se gemeint!«, ruft mir Beck hinterher, aber ich tue so, als ob ich ihn nicht h?re und trotte weiter. Beck kommt hinterher. »Ich mag Daniel doch auch gerne, aber man muss doch mal Realist bleiben. Hey, jetzt bleib doch stehen, Herkules!« Ich bin schon fast an der Terrassent?r. »Carl-Leopold! Es tut mir leid!«

Okay, scheint ihm doch ernster zu sein. Ich bleibe stehen. Soll keiner sagen, ich w?re verbohrt und nachtragend. Herr Beck l?uft um mich herum und setzt sich vor mich.

»Ich wollte dich nicht kr?nken. Wenn du all diese Menschen so in dein Herz geschlossen hast, ist es nat?rlich deine Sache. Bestimmt m?gen die dich auch richtig gerne. Vielleicht bin ich nur ein bisschen neidisch.«

Ich lege den Kopf schief. Gut, das klingt doch schon besser.

»Aber bei einem bleibe ich: Wenn Carolin nicht in Daniel verliebt ist, dann k?nnen wir beide das auch nicht ?ndern. Das menschliche Herz ist da wenig zu beeinflussen und rationalen Erw?gungen nur sehr bedingt zug?nglich. Will sagen: Auch wenn wir beide wissen, dass Daniel ein Super-Typ f?r Carolin w?re, k?nnen wir in diesem Fall wenig ausrichten. Und wenn wir noch so viele Gelegenheiten schaffen, in denen die beiden allein sind.«

Hm, das klingt nun wieder sehr einleuchtend. Trotzdem will ich noch nicht aufgeben.

»Ja, aber wir wissen doch noch gar nicht, ob Carolin nicht doch verliebt ist. Und deswegen dachte ich, wir m?ssen es wenigstens noch mal probieren. Wenn es dann nicht klappt, strecke ich die Waffen, versprochen!«

Herr Beck seufzt.»Mann, bist du hartn?ckig. Ich finde, all diese Beinahe-Verabredungen mit Schauspielern und Tier?rzten sprechen zwar extrem dagegen - aber meinetwegen. Starten wir noch einen Versuch. Wie ist der Plan?«

»Ich habe noch keinen«, r?ume ich etwas kleinlaut ein. »Deswegen habe ich dich ja gefragt. Weil du doch so ein Stratege bist.«

Herr Beck grinst und streckt sich ganz lang vor mich hin.»Ja, das bin ich. Ich werde dr?ber nachdenken.«

In der Werkstatt ist heute nicht viel los. Daniel und Carolin stehen mehr oder weniger schweigend an ihren Tischen und schrauben und hobeln an irgendwelchen Holzst?cken rum. Langweilig. Und ausserdem habe ich das Gef?hl, dass die Stimmung zwischen den beiden nicht mehr spannend, sondern eher angespannt ist. Carolin hat Daniel heute noch kein einziges Mal richtig angesehen - w?hrend er sie umgekehrt immer verstohlen mustert, wenn er denkt, dass siees nicht sieht. Sehr komisch. Vielleicht hat Beck Recht, und wir sollten unseren Plan einmotten, bevor wir ihn richtig entwickelt haben.

Daniel r?uspert sich. »Du, Carolin«, Daniel kommt hinter seinem Tisch hervor und geht auf Carolin zu. Aha! Endlich kommt hier mal Fahrt in die Sache!

»Ja?«

»?h, hast du da dr?ben noch Collophonium liegen? Ich finde hier gerade keins mehr.«

Argh! Was soll das denn? Collophonium? Ich weiss zwar nicht, was das ist, bin mir aber ziemlich sicher, dass es kein Codeword f?r»Ich liebe dich, darf ich dich bitte k?ssen?«ist.

»Ja, habe ich noch. Hier.«

Klonk! Mit einem dumpfen Scheppern f?llt ein kleiner durchsichtiger brauner Block aus dem D?schen, das Carolin Daniel gerade gereicht hat, ohne richtig hinzusehen. Nun liegt beides auf dem Boden. Carolin kniet sich hin, um Block und D?schen aufzuheben. Auch Daniel b?ckt sich. Einen Moment lang sind sich beide ganz nah. Fast Gesicht an Gesicht.Los! Daniel! Tu was!,w?rde ich am liebsten laut rufen. Leider bleibt mir nat?rlich nichts anderes ?brig, als es sehr laut zu denken. Und tats?chlich, sie funktioniert, die Telepathie zwischen Dackel und Mann: Daniel greift nach Carolins Hand und h?lt sie fest.

»Carolin, stimmt etwas nicht?«

Carolin schaut Daniel kurz an, dann blickt sie wieder zu Boden.

»Nein, wieso?«, murmelt sie.

»Du weichst mir aus.« »Gar nicht, das bildest du dir ein.«

»Ist es wegen neulich?« »Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Komm schon, lass uns wenigstens dr?ber reden: Ist es, weil ich dich gek?sst habe?« »Nein, also, ich …«

Daniel seufzt.»Ich wusste es. Ich wusste, dass das ein Fehler war.«

Daniel l?sst Carolins Hand los und setzt sich neben sie auf den Boden. Einen Moment lang schweigen beide, dann knufft Daniel Carolin in die Seite.

»He, Carolin. Komm, nimm es nicht so schwer. Du musst mir nichts erkl?ren. Es ist v?llig in Ordnung. Es war der Moment, du sahst toll aus, und ich war schon ein bisschen beduselt. Da konnte ich nicht anders.«

Carolin nickt.»Ja, es war ein sehr sch?ner Moment. Aber jetzt…«

»Jetzt bei Tageslicht sieht die Sache irgendwie anders aus, ich weiss«, beendet Daniel ihren Satz. »Und du fragst dich, ob das so eine gute Idee ist, mit mir, deinem Kumpel und Partner.«

Carolin nickt.

»Nein, ist es vermutlich nicht«, f?hrt Daniel fort. »Obwohl es eine sehr sch?ne Vorstellung war, du und ich ein Paar. Jedenfalls f?r einen Augenblick.«

»Und du bist nicht sauer auf mich?«

»Nee, die gleichen Gedanken hatte ich auch schon. So, und jetzt h?r sofort auf, weiter so bedr?ppelt hier rumzuschleichen. Das ist ein Befehl!«

Daniel lacht, und schliesslich, wenn auch ein wenig z?gerlich, lacht Carolin auch.

Ich hingegen k?nnte eher heulen. Mein sch?ner Plan! Na ja, Fast-Plan! Dabei w?re es so toll gewesen, mit Daniel und Carolin als Herrchen und Frauchen. Eine richtige kleine Familie. Und das Schlimmste ist: Jetzt geht die Sucherei wieder von vorne los, und die Gefahr, dass wir uns dabei so einen Idioten wie Thomas einfangen, ist alles andere als gebannt. Dabei war ich mir wirklich sicher, dass Daniel der perfekte Mann f?r Carolin ist. Ach, was heisst hier »war« - ichbinmir sicher, dass er es ist. Aber da hat Herr Beck schon Recht: Wenn Carolins Herz das nicht irgendwann von allein einsieht, dann hat es keinen Sinn. Mit gesenktem Kopf schleiche ich wieder Richtung Terrassent?r, um Beck von meiner Niederlage zu berichten. Wenn er wirklich mein Freund ist und die Entschuldigung eben ernst gemeint war, wird er mich vielleicht tr?sten.

Bevor ich allerdings draussen bin, l?utet es an der Werkstattt?r. Eigentlich renne ich dann immer gerne nach vorne und begr?sse die Besucher, aber meine Laune ist so im Keller, dass ich mich selbst dazu nicht recht aufraffen kann. Ist wahrscheinlich wieder die bl?de Aurora, die mit Daniel flirten will. Es klingelt noch einmal, und nat?rlich bin ich doch ziemlich neugierig. Andererseits scheint draussen so sch?n die Sonne und die Vorstellung, unter meinem Baum zu liegen und Herrn Beck mein Leid zu klagen, w?hrend das Gras an meinem Bauch kitzelt, ist auch verlockend. Schliesslich aber siegt die Neugier, und ich renne Richtung T?r.

Carolin hat sie schon ge?ffnet. In unserem Flur steht ein Mann mit brauner Uniform und dr?ckt Carolin ein P?ckchen in die Hand.

»Sind Sie Frau Neumann? Dann brauche ich hier Ihre Unterschrift.«

Carolin stellt das P?ckchen auf den Boden, um zu unterschreiben. Neugierig schn?ffele ich daran. Hmh, riecht irgendwie lecker. Was mag da drin sein? Als Carolin das P?ckchen zu ihrem Tisch im Werkraum tr?gt, laufe ich hinterher.

»War das f?r dich?«, will Daniel wissen.

»Ja.«

»Was ist es denn?«

»Keine Ahnung. Ich habe nichts bestellt.« »Von wem ist es denn?«

»Mal sehen - es ist von …«, sie stockt, »es ist von Jens Uhland.«

Daniel zuckt mit den Schultern.»Kenne ich nicht. Ein Kunde?«

»Gewissermassen. Der geh?rt zu dem Filmteam, das sich neulich den Cellokasten ausgeliehen hat.«

»Aha. Na, vielleicht hast du da was liegen lassen.« »Ja, kann sein.«

Das glaube ich pers?nlich kaum. Schliesslich war ich dabei und bin mir sicher, dass wir mit allen Sachen gegangen sind, mit denen wir auch gekommen sind. Also, ausser dem Kasten nat?rlich, aber der ist in dem P?ckchen garantiert nicht drin. Viel zu gross und riecht auch ganz anders. L?ngst nicht so lecker. Was ist da drin? Ich mache M?nnchen und komme somit immerhin auf Knieh?he von Carolin. Die wundert sich.

»Hey, S?sser, was ist denn mit dir los? Du bist ja ganz wild.«

»Tja, vielleicht schickt dir dieser Jens ein Kilo Koks, und Herkules hat alle Anlagen zu einem Top-Drogensp?rhund.«

Daniel grinst.»Man weiss ja, wie diese Filmtypen sind. Alles schlimme Finger.«

Carolin sch?ttelt den Kopf. »Ein Kilo Koks? Bisschen teuer, um es einer fl?chtigen Bekannten zu schicken. Aber was kann es bloss sein?« Mit einem Messer l?st sie den Klebestreifen von dem Deckel des kleinen Kartons. »Da liegt eine Karte bei. Mal sehen.«

Sie liest und f?ngt an zu grinsen. Daniel kommt zu ihrem Tisch und versucht, ?ber Carolins Schulter mitzulesen. Die will einen Schritt von ihm weg machen, als er blitzschnell zugreift und ihr die Karte wegzieht.

»He, was soll das? Schon mal was vom Briefgeheimnis geh?rt? Das ist nicht f?r dich bestimmt.« Carolin klingt genervt, aber Daniel lacht nur.

»Tja, meine Liebe, f?r dich aber auch nicht. Hier steht eindeutig:Lieber Herkules!«

Was? Die Karte ist f?r mich? Sofort laufe ich zu Daniel hin?ber. Ich habe noch nie im Leben eine Karte bekommen. Aufregend! Aber auch ein bisschen komisch, denn wer schreibt schon an jemanden, der gar nicht lesen kann? Ich setze mich vor Daniel und schaue ihn erwartungsvoll an. Der versteht den Wink und f?ngt an, vorzulesen.

»Lieber Herkules, ich hoffe sehr, dass es dir heute wieder besser geht. Um dir schnell auf die Beine zu helfen, habe ich f?r dich eine Spitzen-Hundewurst besorgt, die bestimmt sehr lecker ist. Meldet euch mal, wenn du wieder auf dem Damm bist. Viele Gr?sse, dein Jens.«

Wow, das muss ja doch ein wahnsinnig netter Mensch sein, trotz des Gewehrs. Ich bin begeistert! Kein Wunder, dass der Karton so gut riecht. Die Wurst muss ich sofort probieren.

»Wieso kommt dieser Jens auf die Idee, dass Herkules krank sein k?nnte?«

»Ah, er hatte wieder so einen Anfall.« Carolins Stimme klingt komisch.

»W?hrend ihr in der Bank wart?«

»Ja, genau. Deswegen mussten die sogar den Dreh unterbrechen.«

He! Das stimmt doch gar nicht! Was erz?hlt Carolin denn da?

Daniel guckt besorgt.»Hm, das klingt nicht gut. Hast du noch mal mit Wagner gesprochen? Der wollte doch beim Z?chter nachfragen.«

»Stimmt, das hatte ich gar nicht mehr auf dem Zettel. Ich rufe nachher in der Praxis an.«

Aha, von Dr. Wagners Rettungseinsatz will sie Daniel anscheinend auch nichts erz?hlen - das wird ja immer mysteri?ser. Das waren zwei faustdicke L?gen in nur zwei S?tzen. So kenne ich Carolin gar nicht. Und dann auch noch Daniel gegen?ber. Gut, sie will ihn offensichtlich nicht als Mann, aber er ist doch trotzdem ihr Freund! Warum macht sie das nur?

Bei dieser Gelegenheit fallen mir zahlreiche Vortr?ge des alten von Eschersbach zum Thema »Verlogenheit« ein. Verlogenheit war f?r ihn einer der gr?ssten Charakterm?ngel des Menschen, wenn nicht gar der gr?sste. L?gen kam deutlich vor Verfressenheit und Kurzatmigkeit.T?uschung und L?ge sind ein Zeichen der Schw?che!,predigte er h?ufig.Der Mutige ist ehrlich, Verlogenheit die Schwester der Feigheit.Kurz und in schlichten Dackelworten zusammengefasst: Schlechte Menschen l?gen, gute sagen die Wahrheit.

Wobei man den schlechten Menschen nat?rlich zugute halten muss, dass sie ?berhaupt auf die Idee kommen, bewusst die Unwahrheit zu erz?hlen. Das ist schon ziemlich schlau, und ich bin mir nicht sicher, ob mir so etwas von allein einfallen w?rde. Aber es hilft nichts: Verlogene Menschen m?gen schlau sein, schlecht sind sie allemal. Gleichzeitig bedeutet das f?r mich, dass Carolin nicht richtig gelogen hat, denn es steht wohl ausser Frage, dass sie ein toller Mensch ist. Aber wenn sie nicht gelogen hat, was war das dann? Vielleicht leidet sie an einer Krankheit und kann sich nicht mehr so recht erinnern, wie das wirklich mit Jens und Dr. Wagner war?

Bevor ich?ber dieses schwierige Thema allerdings noch weiter nachdenken kann, stellt mir Carolin eine Sch?ssel mit einem Haufen kleingeschnittener Hundewurst hin. Sofort schlinge ich los - g?ttlich! Diesen Jens sollten wir uns doch mal n?her angucken. Vielleicht war es ein Fehler, die Verabredung zwischen ihm und Carolin so zu sabotieren. Er scheint immerhin ein grosser Hundekenner zu sein, oder zumindest ein Hundefreund. Ich nehme noch zwei St?cke ins Maul. Lecker! Andererseits - h?tten die beiden sich gestern Abend getroffen, h?tte ich diese k?stliche Wurst nicht bekommen. Es war also kein Fehler. H?chstens ein kleiner Umweg.

»Also, verstehe ich dich richtig: Die Sache mit Daniel ist endg?ltig gegessen, und der neue, hoffnungsvolle Kandidat heisst Jens und ist ein Hundekenner?« »Richtig.«

»Das beweist f?r mich h?chstens eines.« »Was denn?

»Dass du k?uflich bist. Eben jammerst du noch rum, von wegen Daniel ist dein Freund, und wir m?ssen ihm unbedingt helfen und so weiter und so fort. Und jetzt? Kaum schickt dir irgendein dahergelaufener Schauspieler einen Zipfel Wurst, schon ist Daniel Schnee von gestern. Wer hat eigentlichdas Ger?cht in die Welt gesetzt, dass Hunde treu wie Gold sind?« Herr Beck sch?ttelt ver?chtlich den Kopf. »Ich dachte, du wolltest mir von einem tollen Plan berichten, stattdessen muss ich mir diesen Hundewurst-Mist anh?ren. Daf?r ist mir meine Zeit zu schade.«

»Aber, aber«, stottere ich kleinlaut, »du hast doch selbst gesagt, du glaubst nicht, dass es mit Daniel und Carolin etwas wird, und da wollte ich dir eben erz?hlen, dass du v?llig Recht hattest. Warum bist du denn jetzt so sauer auf mich?«

»Vielleicht bin ich ja entt?uscht, dass ich Recht habe? Vielleicht hatte ich irgendwo gehofft, dass du Recht beh?ltst und ein Kater und ein Dackel doch mehr ausrichten k?nnen, als ich je gedacht h?tte. Irgendwie hast du mich mit deinem Optimismus mitgerissen. Ich h?tte mich auch gefreut, wenn es mit den beiden geklappt h?tte. Und jetzt das!«

Ich lasse den Kopf sinken.»Tut mir leid«, fl?stere ich.

»Versteh mich nicht falsch - du kannst nichts daf?r, dass aus Daniel und Carolin nichts wird. Aber dass du gleich zu diesem Jens ?berl?ufst!«

»Ist ja gut! Ich habe mich eben gefreut, dass er sich Sorgen um mich gemacht hat. Und es ist das erste Mal in meinem Leben, dass mir ein Mensch einen Brief schreibt!«

»Gute G?te, bist du naiv! Der hat sich doch keine Sorgen um dich gemacht! Der wollte Carolin beeindrucken! Mehr nicht. Und damit gleich die n?chste Verabredung rausschlagen.«

»Meinst du?«

»Das ist doch wohl offensichtlich. Was hat denn Daniel dazu gesagt? Ist bestimmt auch nicht gerade toll, wenn man selbst einen Korb bekommt und schon steht der N?chste auf der Matte. Muss ihn doch getroffen haben zu erfahren, dass Carolin gestern eigentlich schon mit Jens ausgehen wollte.«

»Tja, das war in der Tat komisch: Carolin hat Daniel gar nicht erz?hlt, dass sie eigentlich mit Jens verabredet war und die Sache wegen meinerKrankheitgeplatzt ist. Sie hat behauptet, ich sei schon in der Bank umgekippt, und das habe Jens mitbekommen.«

»Aha, eine kleine Notl?ge.«

»Notl?ge?«

»Sch?tze mal, Carolin wollte Daniel mit dieser Hundewurst-Geschichte nicht auch noch kr?nken. Er ist schliesslich ihr bester Freund.«

»Und dann darf man l?gen? Obwohl Verlogenheit so etwas Schlechtes ist? Sagte jedenfalls mein altes Herrchen immer.«

»Generell hat er damit Recht. Eine Notl?ge ist immer noch eine L?ge. Aber manchmal l?gen Menschen eben auch, weil sie jemanden nicht verletzen wollen. Und das ist dann nicht ganz so b?se. Es f?llt eher in die KategorieBesch?nigung.«

Langsam schwirrt mir der Kopf. L?gen, Notl?gen, Besch?nigungen - wer soll da noch durchblicken.

»Aber wieso sollte Daniel gekr?nkt sein? Er hat doch selbst gesagt, dass sein Kuss wohl keine gute Idee gewesen ist. Er hat sogar gesagt, es sei nun v?llig in Ordnung.«

Herr Beck sch?ttelt den Kopf. »Herkules, ich dachte, du h?ttest die Menschen mittlerweile schon besser kennengelernt. Hier geht es um eine Herzensangelegenheit. Kein Mensch gibt gerne zu, wenn es ihn hier ganz b?se erwischt hat. Lieber tun sie so, als sei das alles kein Problem. Habe ich dir doch schon mal erkl?rt - der andere darf niemals wissen, wie sehr du ihn liebst. Das ist eine eiserne Regel. Sonst bist du geliefert.«

Ich f?rchte, Herr Beck hat in diesem Punkt schon wieder Recht. Dass in der Liebe so ein Chaos bei den Menschen herrscht, wundert mich ?berhaupt nicht. Ihre Regeln sind einfach v?llig absurd. Auf so einen Unsinn k?me ein Hund niemals.

ACHTZEHN

Heute ist ein v?llig langweiliger, unspektakul?rer Tag. Herrlich! Ich liege in meiner Werkstattkiste herum, schaue ab und zu in den Garten und kehre dann zu einem Nickerchen wieder in besagte Kiste zur?ck. Das Einzige, was gerade zum vollkommenen Gl?ck fehlt, ist ein sch?ner Napf randvoll mit Pansen oder Herz. Eine Weile ?berlege ich, ob ich das aufkommende Hungergef?hl ignorieren soll - eigentlich bin ich zu faul, jetzt zu Carolin zu laufen und meine n?chste Mahlzeit einzufordern. Aber schliesslich grummelt mein Bauch so laut, dass ich auch nicht mehr vern?nftig d?sen kann. Ich rapple mich also auf, laufe zu Carolin, die an ihrem Schreibtisch sitzt, und stupse sie mit der Nase an.

»Zeit f?r dein Fresschen?« Carolin schaut auf ihre Uhr. »Aber ein bisschen musst du dich noch gedulden. Wir haben noch etwas vor.«

Och n?! Ich habe Hunger! Und zwar jetzt! Ich stupse Carolin noch mal an. Die lacht und krault mich am Hals.

»Wart’s ab, Herkules. Wir werden gleich etwas unternehmen, was dir auch gefallen wird. Und dann gibt’s auch etwas zu futtern.«

He! Ich will nichts unternehmen! Ich will jetzt meinen Pansen, und dann will ich weiter rumliegen. Gestern - da h?tten wir doch gut etwas unternehmen k?nnen. Die ganze Zeit hatte ich so ein Bed?rfnis nach frischer Luft, nach Kaninchenschnuppern und Fliegenfangen. Aber stattdessen konnte ich Carolin noch nicht einmal zu einem kleinen Spaziergang im Park loseisen, so besch?ftigt war sie.Morgen ist Samstag, da habe ich mehr Zeit, versprochen.Als ob einen Hund das tr?sten k?nnte. Der Moment ist da, wenn der Moment da ist. Aber das verstehen Menschen einfach nicht.

Ich trotte wieder zur?ck zu meiner Kiste. Eben hatte ich noch so gute Laune, die ist schlagartig verflogen. Mit dem Kopf auf meinem Kuschelkissen brummle ich beleidigt vor mich hin. Immer machen wir, was Carolin will. Das ist so ungerecht. Mittlerweile hat sich das Gef?hl in meinem Bauch von einem gesunden Appetit zu einem ausgewachsenen L?wenhunger gesteigert. Ich beginne ein bisschen zu fiepen. Carolin soll ruhig wissen, dass sie sich haarscharf an der Grenze zur Tierqu?lerei bewegt.

»Mach doch nicht so ein Theater!«, kommt es herzlos aus ihrem Zimmer. »Es geht ja gleich los. Wir m?ssen nur noch etwas aus der Wohnung holen und dann starten wir auch schon. Unser Chauffeur m?sste in ungef?hr dreissig Sekunden vor der Haust?r stehen.«

Unser Chauffeur? Das klingt nun wieder spannend. Das Wort habe ich seit mehreren Monaten nicht mehr geh?rt, und es weckt gleich Erinnerungen an alte Zeiten. Denn selbstverst?ndlich gab es auf Schloss Eschersbach auch einen Chauffeur. Der alte von Eschersbach setzte sich n?mlich nur noch h?chst ungern selbst ans Steuer.»Meine Augen sind einfach zu schlecht geworden, da w?re ich eine Gefahr f?r die Allgemeinheit«,pflegte er gerne zu erkl?ren, wenn er darauf wartete, dass sein Wagen vorfuhr, um ihn zu einer Jagdgesellschaft zu bringen. Die meisten Mitmenschen d?rften sich an dieser Stelle die Frage gestellt haben, ob es eigentlich eine gute Idee war, mit von Eschersbach auf die Jagd zu gehen. Meines Wissens ist allerdingsnie etwas passiert, wahrscheinlich war die Nummer mit dem Chauffeur also nur eine aristokratische Form von Angeberei.

Es klingelt, und Carolin geht an meiner Kiste vorbei, um die T?r zu ?ffnen. Dort steht: Jens!

»Guten Morgen, Carolin. Guten Morgen, Herkules!«, werden wir von ihm begr?sst.

Ich muss zugeben, dass Jens ohne schwarze M?tzenmaske und ohne Gewehr eigentlich sehr nett aussieht.

Er gibt Carolin links und rechts einen Kuss auf die Wangen.»Na, ihr zwei? Alles bereit f?r unser Picknick?«

»Klar, ich muss nur schnell den Korb von oben holen. Ich habe ein paar Sachen kalt gestellt, die packe ich noch ein.«

Sie h?pft die Treppe hoch, ich bleibe neben Jens sitzen.

»Na, biste wieder fit?«, will er von mir wissen. Ich schaue ihn neugierig an. »Und hat dir meine Wurst geschmeckt?«

Okay, laut Herrn Beck war die Nummer mit der Wurst reine Bestechung, aber da ich ein h?flicher Dackel bin und die Wurst tats?chlich lecker war, wedele ich ein bisschen mit dem Schwanz. Dann kommt mir der Gedanke, dass, wo eine Wurst ist, wohlm?glich auch zwei W?rste sein k?nnten, und ich wedele noch euphorischer.

»Wusste ich es doch, braver Hund!« Er beugt sich zu mir herunter und krault mich ein bisschen hinter den Ohren. In diesem Moment kommt Carolin mit einem gigantischen Korb die Treppe herunter.

»Das ist ja sch?n, dass ihr euch schon ein bisschen anfreundet. Euer letztes Treffen war schliesslich nicht so harmonisch.«

Jens lacht.»Ich habe immer noch einen blauen Fleck an der Stelle, wo Herkules zugeschnappt hat. Aber Schwamm dr?ber, er wollte euch schliesslich retten. Ausserdem habe ich jetzt endlich wieder einen wirksamen Tetanusschutz. Es stellte sich heraus, dass meine letzte Impfung schon viel zu lange her ist. Hatte die Sache also etwas Gutes. Und mein kleines Pr?sent ist offensichtlich auch bestens angekommen.«

Carolin nickt.»Ja, Herkules hat ungef?hr zwanzig Sekunden gebraucht, um die Wurst aufzufuttern. Hat ihm sehr gut geschmeckt.«

Auweia, wenn die hier noch weiter?ber Hundewurst reden, breche ich zusammen. Vor lauter Hunger ist mir mittlerweile schon ganz schwindelig. Hoffentlich dauert es nicht mehr so lange, bis ich etwas zu fressen bekomme. Wobei der Korb, den Carolin aus der Wohnung geholt hat, auch so riecht, als sei etwas sehr Leckeres darin.Unwillk?rlich fange ich an zu sabbern.

»Dann k?nnen wir los, oder?«

»Jupp, abmarschbereit!«, ruft Carolin fr?hlich und ?ffnet die Haust?r. Jens marschiert an ihr vorbei und auf das Auto zu, das direkt vor dem Haus parkt.

»Bitte einsteigen!« Schwungvoll reisst er die Beifahrert?re auf.

»Komm, Herkules!«, ruft Carolin - doch ich z?gere. Das Auto sieht irgendwie komisch aus. Irgendwie - gef?hrlich. Erst komme ich nicht drauf, was genau mich so st?rt. Aber als mich Carolin hochhebt, um mich in das Auto zu setzen, ist es un?bersehbar. Das Auto: Es hat kein Dach!

Zwanzig Minuten sp?ter sind meine Bedenken, in etwas sehr Schnelles einzusteigen, aus dem man herausfallen k?nnte, verflogen. Ich sitze auf Carolins Schoss, halte die Nase in die herrliche Sommerluft, und meine ?hrchen wehen im Wind. Ein Traum! Jens und Carolin unterhalten sich gut gelaunt. Wor?ber, kannich gar nicht genau sagen, denn es rauscht so in meinen Ohren, dass ich nicht besonders gut h?re. Aber das ist auch egal. In diesem Moment habe ich das Gef?hl zu fliegen, und das f?hlt sich einfach grossartig an. Die B?ume am Strassenrand rauschen nur so vorbei und verschwimmen dabei zu einer hellgr?nen Hecke, der Himmel ?ber uns ist blau und weit; ich k?nnte eigentlich stundenlang so weiterfahren. Eigentlich. Denn leider zwickt mich mein Bauch noch etwas, ich hoffe also, dass gleich der Moment gekommen ist, in dem Carolin den Korb mit Leckereien aus dem Kofferraum holt.

Tats?chlich f?hrt Jens nun langsamer, und die gr?ne Wand wird wieder zu einzelnen B?umen. Schliesslich h?lt er an.

»So, da w?ren wir. Moment, ich helfe dir!«

Jens springt aus dem Auto, l?uft herum und ?ffnet Carolins T?r. Sehr aufmerksam, das muss ich schon sagen. Ich h?pfe von Carolins Schoss, dann reicht Jens Carolin die Hand und hilft ihr hinaus. Hm, hier riecht es gut. Nach Wald und Wasser und irgendwie ein bisschen wild. Mit dem Picknickkorb bewaffnet, marschierenwir auf ein kleines W?ldchen zu, das an einem Abhang liegt. Treppenstufen f?hren hinunter zu einer Lichtung. Dort bleiben wir einen Moment stehen.

»Schau mal«, Jens zeigt nach vorne, »ist das nicht ein toller Blick?«

»Ja, sieht toll aus, wenn die Elbe so in der Sonne glitzert.«

Klingt gut, aber falls es jemanden interessiert: Ich kann leider nichts sehen. Meine kurzen Beine bringen mich genau auf die H?he der Brennnesseln, die links und rechts der Treppenstufen wuchern. Ob mich einer von den beiden hochhebt? Ich will auch mal gucken! Ich mache M?nnchen.

»Ich glaube, Herkules hat langsam echt Kohldampf«, wertet Carolin mein Anliegen v?llig falsch. »Normalerweise bekommt er schon um 11 Uhr etwas zu essen.«

»Wir sind gleich da. Da vorne beginnt schon der Strand.«

Okay, auch gute Nachrichten. Endlich was zu essen. Aber was istStrand?Am Ende des zweiten Treppenabsatzes angelangt, h?rt der Wald komplett auf, und wir ?berqueren einen kleinen Weg. Jetzt kann ich auch sehen, woher der Wassergeruch kommt: Vor uns liegt ein sehr grosser Fluss. Ein wirklich sehr, sehr grosser Fluss, wenn man nach der Gr?sse des Schiffes geht, das gerade an uns vorbeif?hrt. Gigantisch, so etwas habe ich noch nie gesehen! Es sieht aus wie ein riesiges, fahrendes Haus. Ich kl?ffe aufgeregt, Carolin lacht.

»Da staunst du, Herkules! Wir waren bisher nur an der Alster, Herkules kennt maximal Segelboote.«

»Dann war es h?chste Zeit, dass er mal ein richtiges Schiff sieht. Man kann doch nicht in Hamburg leben und die Elbe nicht kennen!«, ruft Jens fast vorwurfsvoll. Wir laufen weiter auf das Ufer zu - und landen in einer gigantischen Sandkiste. Ich mache eine Vollbremsung, denn Sand an meinenPfoten ist f?r mich mittlerweile ein untr?gliches Zeichen, dass gleich eine Menschenmutter um die Ecke biegen wird, um mich ganz doll auszuschimpfen. Aber komisch, ich habe gar keine Holzumrandung gesehen. Unsicher bleibe ich sitzen.

»Jetzt sag bloss, dein Hund war auch noch nie an einem Strand? Er scheint sich fast ein bisschen zu f?rchten.«

»Nein, war er tats?chlich noch nicht. Ich habe ihn ja noch nicht so lange, und bisher war ich mit ihm nur bei uns im Park oder an der Alster. Urlaub haben wir auch noch nicht zusammen gemacht. Es ist also seine Premiere.«

Jens macht einen Schritt auf mich zu und hebt mich hoch.»Guck dich mal richtig um, mein Kleiner. An so einem Tag ist Hamburg mit Sicherheit die sch?nste Stadt der Welt, und dies hier der sch?nste Teil davon. An den Sand an den F?ssen musst du dich einfach gew?hnen, dann wirst du schnell merken, wie toll es hier ist. Von hier aus kannst du eigentlich in jede Richtung so weit laufen, wie du m?chtest. Aber wenn du das erste Schaf auf dem Deich siehst, dann kehr mal besser um, sonst verlierst du uns noch.«

Er setzt mich wieder runter. So weit laufen, wie ich will - ein toller Gedanke. Aber erst mal brauche ich: richtig! Etwas zu fressen.

Carolin hat neben dem Korb noch eine Decke mitgenommen, die breitet sie jetzt auf dem Sand aus. Der Fluss ist gerade so weit weg, dass die Wellen uns nichts anhaben k?nnen, auch wenn wieder so ein grosses Schiff vorbeif?hrt. Dann ?ffnet Carolin den Korb und nimmt die Sachen heraus. Hm, lecker. Da sehe ich schon ein Sch?lchen mit Herz f?r mich. Sie stellt es ein wenig abseits, und ich st?rze mich gleich darauf. W?hrend ich meine Mahlzeit hinunterschlinge, sehe ich aus den Augenwinkeln, dass Carolin m?chtig auftischt: Wurst, K?se, sogar einen Kuchen hat sie mit. Jens setzt den Rucksack ab, den er eben noch auf dem R?cken hatte.

»So, zur Feier des Tages habe ich auch noch etwas Sch?nes mitgebracht.« Er zieht ein St?ck Stoff aus dem Sack und wickelt es auf, zwei langstielige Gl?ser kommen zum Vorschein. Dann greift er noch mal in den Rucksack und bef?rdert eine gr?ne Flasche ans Tageslicht, an der er sich sofort zu schaffen macht. Mit einem lautenPloppspringt der Korken heraus, Jens giesst die Fl?ssigkeit in die Gl?ser. Hellgelb sieht sie aus und sprudelt sehr h?bsch.

»Bitte sehr: Champagner! Ein sch?nes Getr?nk f?r eine sch?ne Frau!«

Carolin kichert ein bisschen verlegen, dann nimmt sie das Glas, das Jens ihr gibt.

»Danke sch?n. Und ?berhaupt - danke f?r die gute Idee.«

»Ich habe zu danken! Sch?n, dass es doch noch mit unserer Verabredung geklappt hat. Und jetzt: auf einen tollen Tag!« Sie stossen mit ihren Gl?sern an. »Ja, auf einen tollen Tag.«

Als wir sp?tabends wieder nach Hause kommen, bin ich m?de, aber bestens gelaunt. Ich bin zum ersten Mal im Leben in einem Fluss geschwommen, was wirklich viel anstrengender ist als in einem See. Ich habe dabei fast einen Fisch gefangen. Ich bin gelaufen, bis ich die Schafe gesehen habe. Jens hat mindestens hunderttausend St?ckchen f?r mich geworfen. Ich habe neben dem Hundefutter auch noch Fleischwurst und Erdbeertorte gemampft. Ich habe mich auf der kuscheligen Picknickdecke gefl?zt, ged?st und Jens und Carolin einfach nur beim Reden zugeschaut. Und irgendwann lagen wir alle drei auf der Decke, guckten gemeinsam in den Himmel, sahen dem Mond beim Aufgehen und sp?ter der Sonne dabei zu, wie sie langsam in dem grossen Fluss versank. Es war der perfekte Tag.

Jetzt l?mmele ich mich sandig, wie ich bin, in unserer Wohnung auf der Couch und bin einfach gl?cklich. Carolin stellt den leeren Picknickkorb wieder in die K?che und geht dann zu dem kleinen K?stchen neben dem Telefon, das einem erz?hlt, wer angerufen hat, w?hrend man nicht da war.Sie haben zwei neue Nachrichten. Erste neue Nachricht.

»Hallo, S?sse, hier ist Nina! Und? Wie war es? Ich bin so neugierig! Ruf mich sofort an.«

Zweite neue Nachricht.

»Hallo, Carolin, Marc Wagner hier. Du weisst schon, der Tierarzt deines Vertrauens. Wollte nur h?ren, ob es mit unserer Verabredung am Mittwoch klappt. Sollen wir vor dem Konzert eine Kleinigkeit essen gehen? Ich habe mittwochs immer etwas fr?her Schluss und k?nnte dich abholen. Melde dich mal.«

Es gibt keine weiteren Nachrichten.

Marc Wagner - den hatte ich schon v?llig vergessen. Und im Sinne einer effizienten Partnersuche k?nnte Carolin den Termin doch eigentlich absagen. Jens macht einen sehr guten Eindruck, ich konnte heute keine M?ngel feststellen. Er riecht gut, war gek?mmt und hatte etwas Sauberes an - wozu also Zeit mit dem unsympathischen Wagner verschwenden? Und Carolin hat es garantiert auch gefallen, ich habe sie schon lange nicht mehr so fr?hlich und locker erlebt. Also los, ruf Wagner an und sag ab! Aber Carolin sieht unschl?ssig aus. Nachdenklich betrachtet sie das schwarze K?stchen, dann greift sie zum Telefon.

»Hallo, Nina. Ich weiss, es ist schon sp?t - aber kann ich vielleicht noch vorbeikommen? Echt? Danke, das ist nett. Ich brauche dringend jemanden zum Quatschen.«

Na super. Auf die Idee, dass sie es auch mir erz?hlen k?nnte, kommt sie nat?rlich nicht. Jetzt noch einmal loszufahren, passt mir eigentlich gar nicht. Ich liege gerade so bequem. Aber als Carolin aufsteht, rapple auch ich mich hoch, will schliesslich kein Spielverderber sein.

»Herkules, leg dich ruhig wieder hin. Ich fahre eben noch zu Nina, aber du bleibst hier.«

Wieso das denn? Haben die etwa Geheimnisse vor mir? Ich springe vom Sofa. So m?de bin ich auch wieder nicht!

»Nein, ehrlich, Herkules. Du kannst auch mal ein St?ndchen allein sein. Guck mal, du bist voller Sand, und ich habe keine Lust, dich jetzt noch zu baden. Und Nina ist bestimmt nicht begeistert, wenn ich mit einem dreckigen Hund ankomme. Also leg dich brav ins K?rbchen. Du hast doch heute schon genug erlebt.«

Hmpf. Sie will mich wirklich nicht mitnehmen. So schmutzig bin ich doch gar nicht. Doofe Nina.

Als Carolin die Wohnungst?r hinter sich zuzieht, lasse ich mich missmutig in mein K?rbchen fallen. Irgendwie ist es gemein, wenn man erst den ganzen Tag zusammen verbringt und dann sp?ter nicht mehr mitkommen darf. Ich f?hle mich so … zur?ckgestuft. Eben geh?rte ich noch dazu und auf einmal bin ich nur nochdas Haustier. Atzend. Zu allem ?berfluss bin ich auch ?berhaupt nicht mehr m?de.

Eine Weile liege ich noch in meinem K?rbchen, dann stehe ich auf und trabe in die K?che. Vielleicht ist noch ein Fresschen in meinem Napf, das k?nnte ich mir dann mal einverleiben. Von Eschersbach sagt immer, dass Langweile dicke Dackel macht. Ich glaube, er hat Recht. Leider ist mein Napf aber so blank gewienert, dass man sich darin spiegeln kann. Fressen ist also auch keine Alternative. Ich trabe wieder zur?ck. Als ich an der Wohnungst?r vorbeikomme, rieche ich einen vertrauten Duft. Herr Beck! Er muss direkt vor der T?r stehen, wahrscheinlich ist er gerade auf dem Weg zu einem n?chtlichen Spaziergang. Einkleiner Plausch mit ihm w?re doch genau die richtige Ablenkung! Ich belle laut los.

»Na, Kumpel?«, h?re ich seine Stimme durch die T?r, »wie geht’s?«

»Geht so. Mir ist total langweilig, und Carolin hat mich einfach allein zu Hause gelassen.«

»Das ist nat?rlich Pech. Ich bin auf dem Weg in den Park. W?rde dich ja mitnehmen, aber ohne Carolin kriegen wir dich nicht aus der Wohnung.«

»Ja, bl?d. Ich w?rde auch sehr gerne mitkommen. Aber durch den Briefschlitz kann ich mich kaum quetschen.«

Ich h?re Herrn Beck kichern. »Ne, das lass man. Da bleibste eher stecken, und das d?rfte dann ziemlich unbequem sein.«

»Tja, was anderes f?llt mir auch nicht ein. Dann muss ich wohl hierbleiben und mich weiter langweilen. Gr?ss mir den Park und die Kaninchen.«

»Hm. Mach ich.«

Es wird wieder still. Aber gerade, als ich mich umdrehen und zu meinem K?rbchen zur?ck will, rieche ich Herrn Beck noch mal ganz deutlich.

»He, Herkules! Eine Idee ist mir noch gekommen. Ist allerdings eher etwas f?r den wagemutigen Dackel.«

Na, also wer, wenn nicht ich!

»Was denn?«, will ich wissen.

»Erinnerst du dich noch an unsere Aktion mit dem H?schen?«

»Wie k?nnte ich die jemals vergessen?«

»Weisst du noch, wie ich da reingekommen bin? Durch das gekippte Fenster. Du l?ufst jetzt mal schnell in Carolins Schlafzimmer. Vielleicht haben wir Gl?ck, und die Balkont?r ist dort ebenfalls gekippt. Da kommst du raus.«

Auf so eine Idee kann auch nur eine Katze kommen.

»Beck, dein Vertrauen in meine artistischen F?higkeiten in allen Ehren, aber das kann ich nicht. Selbst wenn das Fenster auf Kipp steht: Da komme ich nie im Leben durch. Auch wenn du - verzeih - fett bist, du kannst dich auf eine Art und Weise durch L?cken durchzw?ngen, die ich einfach nicht draufhabe. Da bleibe ich garantiert stecken.«

»Du hast ja so gar keinen Ehrgeiz. Lass uns doch wenigstens mal gucken. Ich komme durch den Garten auf euren Balkon, und dann checken wir die Lage. W?re doch toll, so ein abendlicher Spaziergang ganz ohne Menschen.«

Herr Beck beziehungsweise sein Geruch verschwindet.

Dieser Kater. Das wird doch nie im Leben was. Und so langweilig, dass ich hier Kopf und Kragen riskiere, ist mir dann auch wieder nicht. Andererseits - mal allein nachts im Park rumzustromern, ist nat?rlich auch ein reizvoller Gedanke. Ich seufze innerlich, dann trotte ich ins Schlafzimmer.

Tats?chlich, die Balkont?r ist gekippt. Allerdings beginnt der Spalt erst weit oberhalb meines Kopfes, richtig breit zu werden. In diesem Moment springt Herr Beck von der mit Efeu bewachsenen Hauswand auf unseren Balkon.

»Na, das sieht doch gut aus!«, ruft er mir fr?hlich zu.

»Was, bitte, sieht daran gut aus?«

»Die T?r steht auf kipp. Ist doch prima.«

»Ja, aber hier unten passe ich noch nicht durch und weiter oben komme ich nicht ran. Das k?nnen wir vergessen.«

»Kannst du da nicht hochspringen?«

»Ne, wie denn?«

»Und wenn du dich am Vorhang hochhangelst?«

»Herr Beck, du machst dir eindeutig die falschen Vorstellungen ?ber meine Krallen. Mit denen kann ich mich nirgendwo dranhaken, wie du das machst. Daf?r sind die viel zu gerade und zu glatt.«

»Tja, dann wird’s schwierig.«

»Sag ich ja.«

Eine Weile sitzen wir da und gucken uns durch die Balkont?r an. Dann kommt zur Abwechslung mal mir eine gute Idee. Ich sehe mich kurz im Zimmer um und wirklich: In der Ecke steht der Stuhl, auf den Carolin abends immer ihre Klamotten legt, wenn sie ins Bett geht. Er ist ziemlich massiv und hat auch eine hohe Lehne - wenn ich den als Leiter nehme, dann k?nnte es vielleicht klappen. Ich trabe zu dem Stuhl und versuche, ihn zur Balkont?r zu schieben. Puh, ist der schwer!

»Schaffst du es oder soll ich reinkommen?«

»Bleib lieber, wo du bist. Entweder ich kriege es allein hin, oder wir vergessen die Sache mit dem gemeinsamen Ausflug.«

Ich lehne mich mit meinem ganzen Gewicht gegen den Stuhl. Endlich bewegt er sich ein St?ck. Ich lehne mich noch einmal gegen das linke Bein, er r?ckt weiter. Dann rechts, dann wieder links - St?ckchen f?r St?ckchen schiebe ich den Stuhl mit meiner Brust durch das Zimmer. Eine sehr m?hsame Angelegenheit, aber schliesslich ist es geschafft. Der Stuhl steht genau vor dem Spalt der Balkont?r.

Ich h?pfe auf die Sitzfl?che. Tats?chlich. Von hier oben sieht die Sache doch schon sehr vielversprechend aus. Eigentlich m?sste ich schon fast durchpassen.

»Los! Worauf wartest du?«, dr?ngelt Beck.

»Keinen Stress! Ich muss mich konzentrieren.«

Ohne einen kleinen Sprung wird es nicht gehen - schliesslich will ich nicht stecken bleiben. Aber um zu springen, brauche ich ein bisschen Anlauf, und das ist auf dem Stuhl unm?glich. Mist, ich m?sste einfach noch ein St?ck h?her sein, dann w?re es deutlich einfacher.

»Herkules, schau mal, ob du mit der Schnauze an den Griff kommst. Vielleicht kannst du die T?r ganz ?ffnen, wenn du den Griff mit den Z?hnen zu packen kriegst. Dann musst du ihn nur noch nach unten ziehen.«

Was heisst denn hiernur noch?Sind wir hier im Zirkus? Das?ffnen von versperrten T?ren durch kleine Dackel f?llt doch wohl eindeutig untertechnische Kunstst?cke.

»Probier’s einfach mal, das kann doch nicht so schwer sein!«

Der hat gut reden, wie er da auf seinem dicken Hintern sitzt. Andererseits - vielleicht ist die Idee nicht so schlecht. Auf alle F?lle besser, als bei einem Sprung in dem Spalt stecken zu bleiben. Ich mache also M?nnchen, bekomme tats?chlich den Griff der T?r zu fassen, schnappe zu und lasse mich dann wieder auf die Sitzfl?che fallen. Mit einem Ruck bewegt sich der Griff nach unten - und die T?r schwingt auf! Sensationell! Ich, Carl-Leopold von Eschersbach, habe soeben eine Balkont?r ge?ffnet!

Meine Euphorie w?hrt allerdings nur einen kurzen Augenblick. Denn zwei Sekunden sp?ter stehe ich zwar neben Herrn Beck auf dem Balkon, aber schnell wird mir klar, dass unser Spitzenplan nicht bis zu Ende gedacht war. Wie, zum Geier, komme ich von diesem Balkon herunter?

NEUNZEHN

»Ich bin ein Held, ein Supermann, ein Superdackel!« »Hast du diesen Satz gesehen? War das nicht ph?nomenal? Geradezu eine Sensation?« »Ja, war ganz gut.«

»Ganz gut? Es war PERFEKT! Ich habe es einfach drauf, mein Lieber.« Herr Beck scheint nicht ganz zu begreifen, dass dies gerade eine athletische Jahrhundertleistung war. »Ich meine, hast du schon mal einen anderen Dackel gesehen, der aus dem ersten Stock gesprungen ist? Ich w?rde sagen, ich gehe mittlerweile als Katze durch.«

Beck sch?ttelt den Kopf. »Also, wie ich schon sagte: Es war okay. Aber erstens ist das eher Hochparterre und zweitens bist du in den W?schekorb der alten Meyer gesprungen. Wenn ich den nicht gefunden h?tte, w?rdest du immer noch vor dem Balkongel?nder hocken und weinen.«

Ist es denn die M?glichkeit? Dieser fette Kater! Mir ist kein anderer Dackel bekannt, der jemals so ein waghalsiges Man?ver ausgef?hrt h?tte. Allein die Meisterleistung, sich durch die St?be des Balkongel?nders zu zw?ngen, dem sicheren Abgrund entgegen. Und dann der Sprung selbst: zielsicher in den W?schekorb mit Handt?chern von Frau Meyer. Und das im Dunkeln! Gut, wenn die Meyer den Korb nicht draussen h?tte stehen lassen, w?re es in der Tat ein wenig komplizierter geworden. Aber mutig war die Aktion allemal. Ich h?tte schliesslich auch ungl?cklich neben dem Korb landen und mir allePfoten brechen k?nnen.

»So, wenn du dich von deiner Heldentat ausreichend erholt hast, k?nnen wir doch mal los, oder?«

B?se funkele ich Beck an, was der leider nicht sehen kann, weil es schon dunkel ist. Andererseits ist es auch langweilig, hier weiter zwischen den Handt?chern zu hocken. Und so beschliesse ich in einem Akt wahrer Gr?sse, Herrn Beck zu verzeihen, obwohl er sich nicht entschuldigt hat.

Ich h?pfe aus dem Korb und trabe hinter Beck her, der schon Richtung Gartenpforte strebt. Ein leichter Wind weht mir um die Nase, es riecht schon ein bisschen nach Abenteuer. Auch wenn Herr Beck eine bl?de Katze ist, in einem hat er nat?rlich v?llig Recht: So ein Spaziergang ohne Carolin ist die beste Gelegenheit, endlich einmal auf die Jagd zu gehen. Sofort sp?re ich dieses angenehme Kribbeln in der Nase, und meine Rute wippt automatisch nach oben. Nehmt euch in Acht, ihr Kaninchen! Carl-Leopold von Eschersbach will euch an den Kragen - und er wird euch kriegen.

Im Park angekommen, ist von Kaninchen erst einmal nichts zu sehen und zu riechen. Ob die schon alle im Bau liegen und schlafen? Egal, ich werde sie schon aufst?bern. Herr Beck ist eher auf V?gel spezialisiert, da kommen wir uns schon mal nicht ins Gehege. Mit der Nase dicht ?ber dem Boden laufe ich den Kiesweg entlang. Nach ein paar Metern ein sehr vielversprechender Geruch: Hier muss vor kurzem noch ein Kaninchen entlanggehoppelt sein, wahrscheinlich auf dem Weg in seinen Bau. Ich bin ganz aufgeregt! In einem Kaninchenbau sind bestimmt gleich ein paar Kollegen, da werde ich den ein oder anderen schon erwischen. Tats?chlich wird der Geruch immer st?rker. Ich verlasse den Weg und trabe auf die Wiese, in Richtung einiger grosser B?sche.

Genau hier muss es sein! Ich w?hle mit meiner Nase durch das Gras, immer auf der Suche nach der Bau?ffnung. Endlich gibt ein Grasb?schel direkt vor mir nach, dahinter liegt ein tiefes Loch. Der Geruch ist jetzt ganz intensiv, ich kann mir einen lauten Freudenjauchzer nicht verkneifen. Hurra!

»He, alles in Ordnung bei dir, Herkules?«

Herr Beck steht auf einmal neben mir.

»Alles bestens! Ich habe soeben den ersten Kaninchenbau meiner Jagdhundkarriere aufgest?bert!«

»Du weisst aber schon, dass so ein Kaninchenbau ganz sch?n eng ist, oder?«

Was f?r eine saubl?de Frage.

»Nat?rlich weiss ich das. Und jetzt entschuldige mich, ich muss arbeiten.«

Anstatt mich in Ruhe in den Bau zu lassen, setzt sich Herr Beck nun direkt vor mich. Nervig!

»Dir ist hoffentlich bei allem Jagdtrieb klar, dass du kein Dackel bist.«

Ich schnaufe tief durch.»Na und? Da siehst du mal, wie falsch von Eschersbach lag: Ich bin zwar nicht reinrassig, aber habe sofort den Bau gefunden. Alle Vorbehalte mir gegen?ber sind also v?llig aus der Luft gegriffen. Ich bin eben ein Jagdhund durch und durch. W?rdest du jetzt bitte zur Seite gehen?«

»Entschuldige, du verstehst mich falsch. Ich wollte mit dir nicht in deine Stammbaumdiskussion einsteigen. Was ich sagen wollte ist lediglich, dass du doch ein St?ck gr?sser als ein Dackel bist. Nicht, dass du gleich in dem Bau stecken bleibst. Ich w?sste n?mlich nicht, wie ich dich da wieder rauskriegen soll. Und um diese Zeit sind auch nicht gerade viele andere Helfer hier unterwegs.«

»So ein Quatsch. Stecken bleiben - was meinst du, wozu ich meine Krallen habe? Ich kann mich damit vielleicht nicht durch das Efeu hangeln, aber graben geht damit ganz hervorragend. Mach dir also um mich keine Sorgen. Und jetzt muss ich mal loslegen, sonst sind die Kaninchen wieder weg, und wir diskutieren hier immer noch.«

Ich stecke meine Nase tief in das Loch und beginne, den Eingang in den Bau etwas breiter zu buddeln. Es ist ein tolles Gef?hl! Endlich habe ich meine wahre Bestimmung gefunden. Schade nur, dass ich nicht mit einem leidenschaftlichen J?ger unterwegs bin, sondern nur mit dem bedenkentr?gerischen Herrn Beck.

Nach ein paar Minuten bin ich schon fast komplett unter der Erde. Der Kaninchengeruch ist mittlerweile so stark, dass sich meine Nase ganz gespannt und doppelt so gross wie sonst anf?hlt. Das Kribbeln hat sich in meinem ganzen K?rper ausgebreitet, und ich bin so aufgeregt, dass mein Herz richtig rast. Noch ein kleines St?ck, dann habe ich sie! Ich bilde mir ein, dass ich die Kaninchen sogar schon h?ren kann. Wahrscheinlich sitzen sie starr vor Schreckin ihrer H?hle und denken gar nicht an die Flucht. Fast ein bisschen einfach, das Ganze. Ich dr?cke ganz kr?ftig mit meinen Pfoten und der Nase in Richtung der vermuteten H?hle - da gibt die Erde vor mir nach, und ich h?nge pl?tzlich mit meiner gesamten vorderen H?lfte in einem Loch.Horrido! Ich bin in der H?hle!

Dann die grosse Entt?uschung: Es ist zwar stockfinster, aber meine Nase verr?t mir sofort, dass die Kaninchen doch schon auf und davon sind. Der Geruch ist nicht mehr ganz so deutlich, wie noch vor ein paar Minuten. So ein Mist, ich muss sie ganz knapp verpasst haben! Das ist alles Becks Schuld! H?tteich gleich angefangen zu graben, dann h?tte ich die Kameraden hier unten bestimmt noch gekriegt. So hatten sie nat?rlich genug Zeit, sich ein neues Loch zu buddeln und zu fl?chten. ?rgerlich. Es bleibt mir also nichts anderes ?brig, als nach einem anderen Bau zu suchen.

Ich lege den R?ckw?rtsgang ein. Besser gesagt: Ich versuche, den R?ckw?rtsgang einzulegen. Denn tats?chlich ist das gar nicht so einfach, wenn man mit den Vorderl?ufen in der Luft baumelt, wie ich es gerade tue. Ich versuche, mich mit den Hinterl?ufen zur?ckzuziehen, um so auch vorne wieder Halt zu finden. Aber so sehr ich mich auch hinten in die Erde stemme - es tut sich gar nichts. Ich stecke wie in einem Flaschenhals und komme weder vor noch zur?ck. Ein paar Mal versuche ich es noch, dann muss ich eine Pause machen, weil mir schon so warm ist. Verdammt stickig ist es hier unten ausserdem. Meine Nase beginnt wieder zu kribbeln. Allerdings nicht, weil nun das ein oder andere Kaninchen zur?ckgekommen w?re. Nein, was ich jetzt f?hle, ist: Angst. Wie zum Teufel komme ich hier wieder raus?

Hoffentlich steht Herr Beck noch oben. Ich belle, so gut und so laut ich unter den gegebenen Umst?nden kann. Ob er mich ?berhaupt h?ren kann? Er sagt selbst, dass er nicht mehr so gut sieht. Vielleicht h?rt er auch nicht mehr so gut. Das w?re allerdings eine Katastrophe. Mir wird immer heisser, es ist schon fast unertr?glich. Bleib ruhig, Carl-Leopold! Keine Panik! Immerhin weiss jemand, wo du bist. Herr Beck wird sich schliesslich wundern, wenn du nicht wieder hochkommst. Der wird schon nicht ohne dich nach Hause gehen. Und wenn ich ihn eben so vergr?tzt habe, dass er doch schon weg ist? Mit meinem albernen Jagdhundgefasel habe ich ihn bestimmt ganz sch?n genervt. Ich belle weiter. Lieber, lieber Herr Beck, alles Bl?de, was ich jemals zu dir gesagt habe, war garantiert nicht so gemeint. Du bist ein sehr lieber Freund von mir. Im Grunde mein einziger. Hilfe!

»Herkules? Alles klar da unten!«

Hallelujah! Er h?rt mich!

»Nein! Ich stecke fest!«

»Wie bitte? Ich kann dich kaum verstehen.«

»ICH STECKE FEST!«

Hustenreiz, ich muss w?rgen. Los, Herr Beck, tu was!

»Mist. Ich hab’s ja geahnt. Diese Kaninchennummer war eine echte Schwachsinnsidee. Wie kriegen wir dich da jetzt bloss raus?« Er schweigt. »Bist du sehr tief unten?«

»Nein, geht so. Der Tunnel verl?uft relativ weit oben.«

»Ich schaue mal, ob ich irgendwo Hilfe finde.«

»Nein, bitte lass mich nicht allein! Ich habe Angst!«

»Ich muss jemanden suchen, der dich ausgraben kann. Am besten einen Menschen. Anders wird’s nicht gehen, ich selbst schaffe das garantiert nicht. Bleib ganz ruhig, sonst verbrauchst du zu viel Luft. Und versuch dich zu entspannen.«

Entspannen? Sehr witzig. Da m?chte ich mal sehen, wie entspannt Herr Beck an meiner Stelle w?re. Aber er hat nat?rlich Recht. Wir brauchen Hilfe.

»Okay, aber beeil dich!«

»Klar, ich mach so schnell ich kann. Halte durch!«

Wahrscheinlich ist Herr Beck erst seit ein paar Minuten unterwegs, aber es f?hlt sich an wie eine Ewigkeit. Es ist ganz still hier unten, totenstill. Ich habe furchtbare Angst, versuche aber, Becks Rat zu befolgen und ruhig zu bleiben. Wieso war ich nur so bl?d und habe mich in diese Lage gebracht? Beck hatte v?llig Recht. Und ich bin ein Idiot. F?r die Jagd jedenfalls komplett ungeeignet. Wie Opili immer sagte: Leidenschaft ist ein sehr schlechter Ratgeber. Und falscher Stolz auch. Wieso beschr?nke ich mich nicht darauf, ein niedliches Haustier zu sein? Ab und zu mal ein Zipfel Fleischwurst. Vielleicht mal einer Taube hinterherjagen. Nichts Gef?hrliches. Lieber Dackelgott, falls es dich gibt, bitte mach, dass Herr Beck jemanden findet, der mir hilft. Ich verspreche, ich werde fortan immer an der Leine gehen, nie mehr nachts aus der Wohnung ausb?chsen und ?berhaupt der bravste Hund der Welt werden. Und keinem Kaninchen mehr nach dem Leben trachten.

Direkt?ber mir h?re ich auf einmal ein dumpfes Dr?hnen. Menschliche Schritte! Das muss einfach die Rettung sein! Mein Gebet an den Dackelgott wurde offenbar erh?rt, und Herr Beck hat jemanden gefunden.

»Hey, Herkules! Du glaubst nicht, wenn ich mitgebracht habe!«

Dies ist definitiv nicht der Moment f?r R?tselspiele, aber ich verkneife mir diese Bemerkung und bin eigentlich auch schon zu schwach, um noch laut zu rufen.

»Willi. Ich habe Willi gefunden. Er hat zwar ziemlich auf uns beide geschimpft, aber trotzdem ist er noch einmal mitgekommen. Belle noch einmal, damit er kapiert, was wir von ihm wollen.«

Ich nehme all meine Kraft zusammen und belle, so laut ich kann.

»Ach so!«, h?re ich Willis tiefe Stimme von oben brummen. »Dein kleiner Freund steckt da unten fest, richtig?«

Ich kann zwar nicht sehen, was Herr Beck jetzt macht, aber ich hoffe doch sehr, er best?rkt Willi irgendwie in dieser Annahme.

»Dann will ich mal versuchen, ihn da auszugraben. Hoffe, er ist nicht zu tief, ohne Schaufel, nur mit blossen H?nden wird das schwierig.«

Es wummert noch mal ordentlich?ber mir, Willi scheint sich hingekniet zu haben. Erst h?re ich eine ganze Weile nichts mehr, dann beginnt die Erde ?ber mir wieder zu beben. Willi gr?bt. Dackelgott sei Dank!

Ich h?re Willi ?chzen und st?hnen, das Graben scheint f?r Menschen ziemlich anstrengend zu sein. Kein Wunder, so ohne Krallen ist es bestimmt nicht leicht, die Erde zur Seite zu schaffen. Aber das Beben kommt immer n?her und ab und zu f?llt jetzt auch ein wenig Erde von der H?hlendecke auf meine Nase.

»Mensch, da haste dir ja ein prima Pl?tzchen f?r deinen Ausflug unter Tage ausgesucht! Die Erde hier ist so was von lehmig - richtig anstrengend ist das!«, flucht Willi. Dann sagt er nichts mehr, sondern gr?bt still weiter.

»Geht’s noch, Herkules?«, will Herr Beck wissen.

»Ja!«, rufe ich knapp, denn inzwischen bekomme ich kaum noch richtig Luft.

»Du kannst echt froh sein, dass Willi auf seinem Stammplatz sass und noch nicht allzu viel Bier intus hatte. Hat gar nicht so lange gedauert, ihm klarzumachen, was ich will.«

Gerade als ich Herrn Beck antworten will, dass es bei aller Schnelligkeit f?r mich trotzdem langsam eng wird, sp?re ich einen Luftzug an meiner Rute.

»Endlich!«, ruft Willi. »Ich habe den Tunnel. So, gleich ist es geschafft!«

Ich kann zwar noch nichts sehen, aber Willi ist bereits an meinem Hinterteil angelangt. Ich h?re sein Schnaufen und Prusten fast direkt hinter meinem Nacken. Jetzt hat er meine Hinterl?ufe komplett freigelegt und streicht mir ?ber den R?cken.

»M?nsch, mein Lieber, du machst Sachen. Jetzt grabe ich noch vorsichtig dein K?pfchen frei, dann hast du es geschafft.«

Immer mehr Erde f?llt auf meine Nase, aber weil ich weiss, dass das an Willi liegt, der direkt neben meiner Schnauze gr?bt, bleibe ich ruhig. Da! Willi hebt die Decke von der H?hle, und ich bin endlich befreit. Ich sch?ttle mich und schaue nach oben. Oha! Ich sitze doch in einer ziemlich tiefen Grube. Vorsichtig hebt mich Willi hoch und setzt mich an den Rand des grossen Loches, das er f?r mich gebuddelt hat. Dann klettert er selbst raus und setzt sich neben mich.

»So, Willi braucht mal eine Verschnaufpause. Mir ist direkt ein bisschen schwindelig von der ganzen Anstrengung. Bin ja nichts mehr gewohnt in meinem Alter, ha, ha!«

Herr Beck kommt zu uns r?bergetrabt, und so hocken wir zu dritt unter dem funzeligen Licht der etwas entfernt stehenden Parklaterne.

»Da hast du Gl?ck gehabt, dass dein Kumpel mich gefunden hat, mein Freund. So w?rst du nicht mehr rausgekommen. Puh, bin ich schlapp. Bisschen schlecht ist mir. Na ja, kein Wunder, untrainiert wie ich bin.« Willi streicht sich mit einer Hand durch sein wirres Haar. Dann holt er tief Luft und starrt in die Ferne. »Aber jetzt wird’s doch komisch. Und schlecht ist mir auf einmal. Ich f?hle mich so …« Er l?sst den letzten Satz in der Luft h?ngen - und kippt zur Seite ins Gras. Dort bleibt er liegen. Ach du Schreck! Nicht auch noch das!

»Was ist los mit ihm?«

»Was auch immer es ist, es sieht nicht gut aus.« Herr Beck geht n?her an Willi heran und stupst ihn mit der Pfote im Gesicht an. Der regt sich nicht. »Mist, Willi, mach nicht solche Sachen!«

Ich laufe ebenfalls herum,?berlege kurz und springe dann auf Willis Oberk?rper. Wenn er darauf nicht reagiert, ist es ernst.

Es ist ernst: Selbst als ich nach vorne laufe und Willi?bers Gesicht schlecke, r?hrt er sich nicht. Daf?r atmet er ganz schnell und unregelm?ssig. Ich merke, dass ich panisch werde.

»Beck, ich glaube, Willi geht es sehr schlecht. Was machen wir jetzt bloss?«

»Scheisse!«, entf?hrt es Beck. »Das ist alles deine Schuld! W?rst du nicht in den bl?den Bau, und h?tte Willi dich nicht ausgraben m?ssen, dann l?ge er nicht hier. Das war offenbar zu viel f?r ihn. Wir brauchen dringend Hilfe!«

Ich lasse die Ohren h?ngen. Beck hat Recht. Es ist alles meine Schuld. Und weit und breit ist niemand zu sehen.

»Waren da eben noch andere Menschen?«, frage ich Herrn Beck, doch der sch?ttelt nur den Kopf.

»Keine Menschenseele. Nicht mal Liebesp?rchen. Einfach niemand.«

Willi gibt ein kl?gliches St?hnen von sich.Denk nach, Carl-Leopold, denk nach. Wer kann jetzt helfen?Dann endlich der Geistesblitz.

»Ich hab’s!«, belle ich aufgeregt. »Ich habe Willi in diese Lage gebracht - ich hole ihn auch wieder raus. Du bleibst neben ihm, damit er nicht so allein ist. Bis gleich!«

Und bevor Herr Beck noch etwas sagen kann, sause ich auch schon los.

ZWANZIG

Aus dem Park heraus, die kleine Strasse ganz bis zum Ende. Dann links her?ber, zu dem grossen Baum an der Ecke, der so eindrucksvoll nach dem schwarzen Dobermann riecht, den ich schon oft aus der Ferne bewundert habe. Eine gr?ssere Strasse ?berquert, um diese Zeit ohne Autos. Ich laufe, so schnell ich kann, ohne die Orientierung zu verlieren. An der n?chsten Ecke bin ich erst unsicher, aber dann nehme ich den Geruch der B?ckerei auf, an der ich auch mit Daniel und Carolin vorbeigekommen bin. Genau, hier bin ich noch richtig. Diese Strasse ist ziemlich lang, ich muss ihr bis zu einer scharfen Kurve folgen. Alssie endlich kommt, h?ngt mir die Zunge schon aus dem Hals.

Und endlich rieche ich den fast vertrauten Gestank einer Reinigung. Ich bin am Ziel - schr?g gegen?ber ist die Praxis von Wagner. Deren Fenster sind nat?rlich dunkel - aber die Wohnung im Stockwerk dar?ber ist zum Gl?ck hell erleuchtet. Dr. Wagner scheint da und wach zu sein. Ohne zu z?gern, hocke ich mich auf den B?rgersteig vor dem Haus und beginne, laut zu bellen. Ununterbrochen. Irgendwann wird mich schon jemand h?ren. Jetzt nicht aufgeben. Das bin ich Willi einfach schuldig.

Es dauert nicht einmal sonderlich lang: Bald geht ein Fenster auf, leider im zweiten Stock, und eine Frau schaut heraus.

»Was ist denn das f?r ein gottverdammter L?rm! Bl?der K?ter, scher dich gef?lligst weg!«

Unbeeindruckt belle ich weiter, langsam schon etwas heiser.

»Hau ab, oder ich rufe die Polizei!«

Mir doch egal. Zur Abwechslung heule ich nun ein bisschen. Die Frau macht das Fenster wieder zu. Eine Weile passiert nichts. Egal. Durchhalten, Carl-Leopold, durchhalten. Es geht um Willi!

Da klappert es, und die Haust?r ?ffnet sich. Die Frau kommt auf die Strasse - und sie hat Dr. Wagner dabei! Sie sprechen miteinander, w?hrend sie auf mich zugehen.

»Ich weiss zwar nicht, wie Sie darauf kommen, dass das ein Patient von mir sein k?nnte, aber ich gucke mal, wo das Problem ist.«

»Na ja, warum sonst sollte sich ein Hund hier so auff?hren? Also danke, dass Sie mal schauen.«

Die beiden bleiben vor mir stehen. Wagner starrt mich an. Ich starre zur?ck. Hoffentlich erkennt er mich. Sonst rufen sie wohlm?glich wirklich noch die Polizei.

»Tats?chlich. Ich kenne das Tier. Es geh?rt einer Freundin von mir.«

Na, also das stimmt so nun gar nicht. Carolin ist nicht deine Freundin! Aber in dieser Situation will ich mal nicht so sein. Stattdessen springe ich an Wagner hoch und begr?sse ihn schwanzwedelnd. Wagner streichelt mich kurz und guckt mich dann nachdenklich an.

»Was ist denn wieder los bei euch, Herkules?«

Wenn ich das einfach erz?hlen k?nnte, m?sste ich hier nicht so einen Zinnober veranstalten. Ich springe noch einmal an ihm hoch und zerre dabei an seinem ?rmel. Die Frau, die eben noch auf hundertachtzig war, schaut am?siert.

»Sieht so aus, als sollten Sie mitkommen.«

»Ja, k?nnte man glauben, nicht? Ist etwas mit Carolin?«

Ich springe auf und ab. Gut, das ist zwar gelogen, aber Hauptsache, er kommt erst einmal mit. Und da locke ich ihn mit Carolin wahrscheinlich eher. Dass es nicht um eine h?bsche junge Frau, sondern um einen wohl eher h?sslichen alten Mann geht, wird er noch fr?h genug selbst sehen.

»Wo ist Carolin denn? Zu Hause?«

Ich laufe drei Schritte vor, dann drehe ich mich wieder zu Wagner um und wedele mit dem Schwanz. Wagner sch?ttelt staunend den Kopf, dann zieht er ein Handy aus seiner Hosentasche und tippt eine Nummer ein. Er h?lt das Handy an sein Ohr und lauscht hinein. Nach einer Weile nimmt er es wieder herunter und steckt es zur?ck in die Tasche. »Hm, ich erreiche sie nicht, geht nur der Anrufbeantworter ran. Okay, Herkules, dann muss ich dir wohl folgen. Warte einen Moment, ich hole kurz meine Jacke.«

Die Frau schaut Wagner v?llig perplex an.»He, das war eben ein Scherz! Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass der Hund Sie gerade bittet, ihn zu begleiten?«

»Doch, das glaube ich, Frau Loretti. Dieser Hund scherzt nicht. Der meint es bitterernst.«

Dann dreht er sich um und geht wieder ins Haus. Ich bin begeistert. Wagner mag ein Idiot sein. Aber mit Hunden kennt er sich einfach aus.

Einen Augenblick sp?ter steht er wieder neben mir.

»Gut, Herkules. Ich bin wirklich sehr gespannt, was der Grund f?r deinen b?hnenreifen Auftritt ist.«

Ich wedele wieder mit dem Schwanz und trabe los, ein kurzer Blick?ber die Schulter: Wagner kommt brav hinterher. Auf dem R?ckweg muss ich nicht mehr ?berlegen, wo ich eigentlich hinwill, das erleichtert die Sache enorm. Schon bald kommen wir an Carolins Haus vorbei, und Dr. Wagner will in Pachtung Hauseingang abbiegen. Ich belle kurz - nix da!

»Aha, da also nicht. Sondern?« Wagner schaut mich fragend an, ich laufe weiter Pachtung Park. Jetzt nicht schlappmachen, wir haben es gleich geschafft. Schliesslich steure ich direkt auf Herrn Beck zu, der auftragsgem?ss neben Willi sitzt. Willi liegt immer noch so im Gras, wie ich ihn verlassen hatte. Herr Beck starrt mich an.

»Du meine G?te, das ist wirklich eine brillante Idee: Du hast den Tierarzt geholt.«

Nun kommt auch Wagner auf uns zu.»Was ist denn hier passiert? Habt ihr den Mann hier gefunden? Und mich als Hilfe geholt? Das ist einfach unglaublich.« Er kniet sich neben Willi. »Hallo? K?nnen Sie mich h?ren? Hallo?«

Willi reagiert nicht. Wagner schiebt seinen Pullover hoch und legt sein Ohr auf Willis Brust. Dann beginnt er, ihn zu massieren. Nein, eigentlich eher, auf ihn einzuschlagen. Das sieht ziemlich brutal aus. Ich hoffe, Wagner weiss, was er tut! Nach einer ganzen Weile voll massieren und schlagen legt Wagner wieder sein Ohr auf die Brust. Offenbar scheint irgendetwas wieder besser zu funktionieren, denn jetzt l?chelt Wagner zufrieden. Er setzt sich auf und kramt sein Handy hervor. Dann tippt er eine Nummer ein.

»Hallo, hier ist Marc Wagner. Ich habe soeben im Helvetia-Park eine bewusstlose m?nnliche Person gefunden, Alter zwischen f?nfzig und sechzig Jahre. Eine genauere Untersuchung ist schwierig, aber ich sch?tze, es k?nnte ein Herzinfarkt sein. Herzschlag war jedenfalls sehr unregelm?ssig, scheint nach Herzmassage jetzt besser zu sein.«

Er lauscht wieder. Jemand am anderen Ende der Leitung scheint ihn etwas zu fragen.

»Na, nicht so direkt. Ich bin Tierarzt. Ich habe ihn jetzt in die stabile Seitenlage gebracht, Herzmassage ist wohl nicht mehr n?tig. Sie finden uns rechts von dem Kinderspielplatz. Bis gleich!«

Wagner legt auf, dann guckt er Herrn Beck und mich ernst an.»Ich glaube, dieser Mann hatte einen Herzinfarkt. Auf alle F?lle scheint es etwas Ernstes zu sein. Es ist gut, dass ihr Hilfe geholt habt.« Er streichelt erst mich, dann Herrn Beck ?ber den Kopf. »Gut gemacht!« Er schweigt einen Moment. »Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass mir niemand diese abgefahrene Geschichte glauben wird. Wahrscheinlich am wenigsten dein Frauchen, Herkules. Wo steckt die eigentlich? Und warum rennst du nachts allein im Park herum?« Er mustert mich nachdenklich. »Schade, dass du nicht sprechen kannst.«

Er nimmt wieder das Handy und tippt eine Nummer ein.»Hallo, Nina, hier ist Marc. Sag mal, hast du vielleicht die Handynummer deiner Freundin Carolin? Hm. Ja.«

Wie schlau von Wagner - er hat offensichtlich Nina angerufen.

»Nein, ich wollte ihr lediglich etwas erz?hlen, was eventuell von Interesse f?r sie sein k?nnte. Also, wenn du mir den Gefallen tun w?rdest …«, wieder Schweigen. »Ach hallo, Carolin! So ein Zufall - du bist bei Nina. Tja, das klingt jetzt erst mal seltsam, aber ich sitze hier mit Herkules im Helvetia-Park. Willst du vielleicht vorbeikommen?«

Die Rettungssanit?ter wuchten Willi auf eine Trage. Wagner unterh?lt sich noch kurz mit dem Menschenarzt, der Willi gerade untersucht hat.

»Ich denke auch, dass es ein Herzinfarkt war. Hat echt Gl?ck gehabt, dass Sie vorbeigekommen sind, Herr Kollege.«

»Tja, normalerweise sind meine Patienten ja sehr viel kleiner oder sehr viel gr?sser und meist sehr behaart, aber im Notfall geht’s auch mal ohne Fell.« Die beiden lachen.

»So, wir bringen den Herrn jetzt in die Uniklinik. Also, tsch?ss!«

Marc Wagner nickt kurz, dann dreht er sich zu Carolin und Nina um, die mittlerweile neben uns stehen.»Einen sch?nen guten Abend, die Damen!«

Carolin sagt erst mal nichts, sondern nimmt mich auf den Arm.»Herkules! Was machst du hier? Was um Gottes willen ist passiert?«

Wagner l?chelt ein bisschen schief. »Also, ich habe es mir wie folgt zusammengereimt: Herkules war mit dem Kater im Park unterwegs, und dabei haben sie diesen Obdachlosen gefunden. Schlaue Viecher, die sie nun mal sind, haben sie erkannt, dass ein Notfall vorliegt. Und dann hat Herkules den einzigen Arzt geholt, den er kennt: n?mlich mich.«

Nina lacht laut auf.»Entschuldige, Marc, aber merkst du eigentlich, wie bescheuert das klingt, was du hier gerade erz?hlst? Der Dackel und der Kater wollen einen Penner retten und deswegen holen sie dich? Hast du was getrunken?«

Was f?r eine Frechheit! Und wieso klingt das bescheuert? Das ist so ziemlich genau die Wahrheit! Komisch, Nina scheint regelrecht sauer auf Wagner zu sein - sie klingt jedenfalls sehr gereizt. Ich frage mich nur, warum.

Wagner verteidigt sich.»Warum so heftig, Nina? Was glaubst du denn? Dass ich Herkules aus Carolins Wohnung entf?hrt, den Kater mitgenommen und anschliessend diesen armen, alten Mann ?berfallen habe? Oder dass unsere zwei Freunde hier den Mann angefallen haben? Ich kann nur erz?hlen, was ich selbst gesehen habe.Und selbst gesehen habe ich, dass Herkules vor meiner Praxis aufgekreuzt ist und so lange gebellt hat, bis ich rausgekommen bin. Dann hat er mich hierhergelotst, und da lag schon dieser Mann, augenscheinlich bewacht von der Katze. Wie die beiden allerdings aus Carolins Haus in den Park gekommen sind, und was dem Mann passiert ist - keine Ahnung. Ich sch?tze, er hatte einen Herzanfall. Betrunken scheint er jedenfalls nicht zu sein, ich konnte keinen Alkoholgeruch feststellen. Oh, und ich bin es ?brigens auch nicht.«

Nina schnappt h?rbar nach Luft, Carolin dr?ckt mich fest an sich.

»Ich kann mir zwar ?berhaupt nicht erkl?ren, wie Herkules aus der Wohnung gekommen ist, aber zum Gl?ck hat er zu dir gefunden. Ich kenne den kranken Mann - er stand eines Tages bei uns vor dem Haus und schien ein bisschen verwirrt zu sein. Danke, dass du ihm geholfen hast. Wer weiss, was sonst passiert w?re.«

Nina guckt die beiden an und kichert - etwas b?sartig, wie mir scheint. »Warum? Was sollte denn schon passieren? Den Notarzt h?tte auch jeder andere rufen k?nnen. Ich bezweifle, dass Marc sein veterin?rmedizinisches Studium dabei sehr geholfen hat.«

Marc Wagner l?chelt noch breiter. »Liebe Nina, wenn du dereinst bewusstlos im Park liegst, wirst du auch hoffen, dass dich wenigstens ein Tierarzt findet.«

Genau! Besser als eine Psychologin, w?rde ich denken. Auch wenn ich gar nicht genau weiss, was das ist.

»So, die Damen. Das Wesentliche w?re ja gesagt, ich gehe dann mal wieder. Einen sch?nen Abend noch.«

Er nickt Nina und Carolin freundlich zu und geht in Richtung Parkausgang. Als er f?nf Schritte entfernt ist, dreht er sich aber noch einmal um.

»Ach so, Carolin - Mittwochabend, halb sieben? Ich hole dich ab, okay? Bis dann!«

Carolin nickt und winkt ihm kurz zum Abschied. Nina sagt nichts. Jedenfalls nicht, solange wir noch im Park stehen. Auf dem Weg nach Hause redet sie daf?r umso mehr.

»Du bist verabredet? Mit Marc? Warum hast du mir das nicht erz?hlt?«

»Das wollte ich ja, aber …«

»Ich meine, da kommst du extra noch vorbei und schwafelst mich zu von deinem tollen Tag an der Elbe mit Jens und wie romantisch das war und wie gut ihr euch verstanden habt und dein Date mit Marc erw?hnst du mit keinem Wort?«

»Ja, aber …«, setzt Carolin noch einmal an, doch Nina l?sst sie nicht ausreden.

»Und ich dachte wirklich, deinem bl?den K?ter w?rde es schlechtgehen. Dabei wolltest du nur Marcs Nummer! Hast du dich eigentlich mal gefragt, wie ich mich f?hle, wenn ich so davon erfahre? Echt Scheisse, das kann ich dir sagen - echt Scheisse!«

»Ich wollte es dir sagen. Deswegen bin ich heute Abend extra noch zu dir gefahren. Aber dann rief Marc an, und ich bin nicht dazu gekommen.«

»Wer’s glaubt wird selig. Wir haben ja auch erst eine Stunde gequatscht. Das ist nat?rlich viel zu kurz, um so etwas Unwichtiges loszuwerden.«

»Wieso, du hast doch gleich nach Jens gefragt - etwas anderes hat dich doch gar nicht interessiert.«

»Nat?rlich nicht. Woher sollte ich auch wissen, dass es noch etwas anderes zu berichten gibt.«

»Er hat mich in ein Konzert eingeladen, mehr nicht.«

»Ach, das ist ja sch?n. Und wie kunstsinnig.«

»Ausserdem hast du gesagt, dass er doch nicht so dein Fall ist. Ich konnte ja nicht ahnen, dass das nicht stimmt.«

»Richtig. Ahnen konntest du es nicht. Aber wissen h?ttest du es k?nnen, wenn du mich einmal in letzter Zeit gefragt h?ttest, wie es mir eigentlich geht. Aber stattdessen reden wir ja nur ?ber dich. Und deinen Liebeskummer. Und als ich neulich bei dir vorbeigekommen bin und echt mal eine Freundin gebraucht h?tte, da ist dir ein bl?des Kochen mit Kumpel Daniel auf einmal unglaublich wichtig, und ich f?hle mich sogar, als w?rde ich st?ren. Sch?ne Freundin, vielen Dank. Ich werde dich daran erinnern, wenn du das n?chste Mal jemanden zum Quatschen brauchst.« Sie dreht sich um und stapft weg.

Carolin bleibt mit mir zur?ck. »O Mist. Ich habe ja geahnt, dass das ?rger gibt. Ist wohl doch noch nicht alles gegessen mit dem Herrn Doktor.« Sie seufzt. »Na, lass uns mal nach Hause gehen, S?sser. Da kannst du mir mal ganz genau erkl?ren, wie du ?berhaupt hierhergekommen bist.«

Das mache ich doch gerne. Aber k?nnte mir im Gegenzug jemand erkl?ren, was genau gerade zwischen Nina und Carolin passiert ist? Nina fand den Tierarzt doch inzwischen genauso doof, wie ich ihn urspr?nglich fand. Und warum ist sie dann sauer? Und davon mal ganz abgesehen: Was ist jetzt eigentlich mit Jens? War doch ein toller Tag mit ihm. Weiss Carolin eigentlich, was sie will? Ich vermute mal: nein.

In der Wohnung angekommen, laufe ich ganz schuldbewusst ins Schlafzimmer und hocke mich vor Stuhl und ge?ffnete Balkont?r. Carolin schaut mit grossen Augen zwischen mir und Beweisst?ck A und B hin und her.

»Du willst mir nicht sagen, dass du diese T?re von allein aufbekommen hast, oder? Das ist unglaublich. Damit kannst du im Zirkus auftreten. Aber wie um alles in der Welt bist du dann vom Balkon gekommen? Bist du etwa gesprungen?« Ich gucke sie sehr treuherzig an und mache M?nnchen. »Herkules! Bist du verr?ckt? Du bist doch keine Katze! Neun Leben hast du auf keinen Fall!«

H?? Neun Leben? Hat die Katze neun Leben? Das w?rde nat?rlich einiges am Verhalten von Herrn Beck erkl?ren. Oder ist das wieder nur so ein Menschensprichwort?

Carolin schliesst die Balkont?r und zieht den Vorhang zu. »Ich bin saum?de, mein S?sser. Und ein bisschen traurig. Wegen Nina und Marc. Und ein bisschen gl?cklich. Wegen Marc und Jens. Was f?r ein Durcheinander! Hoffentlich bringe ich da wieder Ordnung rein. Was meinst du? Aber jetzt gehe ich erst einmal ins Bett. Heute bekomme ich das Problem sowieso nicht mehr gel?st. Gute Nacht, Herkules!«

Ich laufe zu meinem K?rbchen und rolle mich in meiner Kuscheldecke zusammen. M?de bin ich auch. Aber gleichzeitig schwirrt mir der Kopf. Erst Daniel, dann Jens. Oder vielleicht Doktor Wagner? Wie kann es bloss sein, dass es hier vor ein paar Wochen noch gar keinen Kandidaten f?r mein zuk?nftiges Herrchen gab und jetzt gleich drei? Und keinen davon habe ich selbst ausgesucht, obwohl ich doch so einen tollen Plan hatte.

In meinem m?den Hundehirn macht sich eine ern?chternde Erkenntnis breit: der M?nnergeschmack von jungen Frauen und kleinen Dackeln scheint doch sehr weit auseinander zu liegen.

EINUNDZWANZIG

Als wir durch die T?r kommen, richtet sich Willi ?berrascht im Bett auf.

»M?nsch, ihr besucht mich! Das ist ja toll!«

»Tja, ich hoffe, es strengt Sie nicht zu sehr an, aber die Schwester meinte, es sei okay.«

»Nein, ich freu mich. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Sie sind doch die junge Frau mit der Geigenwerkstatt, oder?«

»Richtig. Ich heisse Carolin Neumann.« Sie reicht Willi die Hand, der sie kurz dr?ckt.

»Sehr angenehm. Wilhelm Schamoni mein Name, aber alle nennen mich Willi. Und wie heisst Ihr kleiner Freund da unten?« Er zeigt auf mich.

»Das ist Herkules.«

Carolin zieht sich einen Stuhl neben Willis Bett, setzt sich und nimmt mich auf den Schoss. Willi streckt seinen Arm aus und streichelt mich. Puh! Offensichtlich ist er nicht b?se auf mich. Ich bin erleichtert.

»Du b?sch ja n ganz S?sser! Und nu hast du den Willi noch gerettet, nech?«

Carolin zieht die Augenbrauen hoch.»Ach, woher wissen Sie das denn? Haben Sie gesehen, wie Herkules mit Dr. Wagner angekommen ist?«

»Nein«, ert?nt eine Stimme hinter uns, »ich habe es Willi gerade erz?hlt.«

Carolins Kopf f?hrt herum. Im T?rrahmen lehnt Marc Wagner und grinst uns an. »Da sind wir wohl beide auf die gleiche Idee gekommen. Ich dachte auch, dass ein bisschen Besuch jetzt genau das Richtige f?r Willi w?re.«

»Oh, hallo, Marc.«

Komisch, Carolin klingt wenig euphorisch. Ich dachte, sie mag ihn. Egal, ich f?r meinen Teil versuche, gute Stimmung zu verbreiten, indem ich mit dem Schwanz wedele.

»Na, freust du dich, mich zu sehen?« Marc streichelt mir ?ber den Kopf. »Du bist unser kleiner Heldenhund, nicht wahr?«

Na ja,Heldenhund-das ist mir nun doch ein bisschen zu dick. Ich bin schon froh, dass Willi nicht findet, dass ich an allem schuld bin. Aber Willi l?chelt tats?chlich noch ganz gut gelaunt.

»Ein verr?ckter Tag - gestern haben Herkules und ich uns wohl gegenseitig gerettet: Bevor ich n?mlich den Herzanfall bekam, habe ich Herkules aus einem Kaninchenbau befreit. Er steckte fest und kam nicht mehr raus. Gemerkt habe ich das aber nur, weil auf einmal der fette Kater neben meinerParkbank auftauchte. Ich habe mich zwar erst gefragt, ob wohl langsam mit meinem Kopf etwas nicht in Ordnung ist. Schliesslich ist es ja schon das zweite Mal, dass ich das Gef?hl hatte, der Kater will mich irgendwohin bringen. Aber es hat ja gestimmt. Toll, oder? Ich meine, wie sich Tiere gegenseitig helfen. Das scheinen echte Kumpels zu sein.«

Marc Wagner nickt.»Ja, viele Menschen untersch?tzen Tiere. Und ich gebe zu, dass ich gestern auch ?berrascht war. Hatte fast etwas vonLassie.«

Lassie? Wer oder was ist das? Carolin und Marc lachen, und selbst Willi wiehert schwach, aber fr?hlich. Muss ja komisch sein.

Die T?r klappt auf, und eine Frau mit weissem Kittel kommt herein.

»So, Herr Schamoni, jetzt muss ich Ihren Besuch leider nach draussen bitten. Ich werde Sie gleich noch einmal untersuchen, und ausserdem brauchen Sie auch viel Ruhe.« Sie wendet sich an uns - und ihr strenger Blick bleibt an mir kleben. »Tiere sind hier nicht erlaubt! Bitte bringen Sie denHund nicht mehr mit.«

Carolin schaut schuldbewusst.»Oh, das tut mir leid, wir gehen auch gleich. Aber Herkules hat Herrn Schamoni gestern entdeckt, deswegen dachte ich ausnahmsweise …«

Die Frau sch?ttelt den Kopf. »Nein, keine Ausnahmen. Sie k?nnen gerne morgen wiederkommen, allerdings ohne den Hund.«

Carolin setzt mich auf den Boden und steht auf.»Also, Willi, dann w?nsche ich Ihnen gute Besserung! Vielleicht schaue ich wirklich noch einmal vorbei.«

»Ja, das w?rde mich riesig freuen!« Er dr?ckt noch einmal Carolins Hand zum Abschied.

Auch Marc Wagner reicht ihm die Hand.»Tsch?ss, Willi, gute Besserung!«

»Vielen Dank noch mal f?r den Besuch, lasst euch mal wieder blicken.«

Willi winkt kurz, dann stehen wir wieder auf dem Krankenhausflur.

»Wollen wir noch einen Kaffee trinken gehen?«

Carolin z?gert. »Hm, weiss nicht, mit Hund ist man auf dem Krankenhausgel?nde nicht gerade gern gesehen.«

»Dann lass uns doch zum Hauptausgang gehen. Zwei Ecken weiter gibt es doch schon das erste Cafe.«

Und so kommt es, dass die beiden kurze Zeit sp?ter an einem gem?tlichen Holztisch sitzen, w?hrend ich mich unter der dazugeh?rigen Bank zusammenrolle. Erst plaudern sie ?ber irgendwelche Belanglosigkeiten, dann bekommt Carolins Stimme einen seltsam d?steren Klang.

»Marc, ich w?rde unser Treffen am Mittwoch gerne absagen.«

O nein! Das ist mit Sicherheit kein gutes Zeichen - und gerade jetzt, wo ich beginne, mich an den Tierarzt zu gew?hnen! Mist. Auch Marc ist nicht eben erbaut ?ber diese Wendung.

»Aber warum denn? Ich denke, du hast dich schon auf das Konzert gefreut.«

»Ja, habe ich ja auch.« »Es ist wegen Nina, oder?«

»Nein. Das heisst, ein bisschen vielleicht. Also eigentlich ja.«

Marc sch?ttelt den Kopf. »Ich habe mir schon so etwas gedacht nach ihrem Auftritt im Park gestern. Ganz verstanden habe ich den aber nicht. Da war doch gar nichts zwischen Nina und mir. Gut, wir waren ein paar Mal aus - aber mehr nicht.«

»Das sieht Nina offenbar anders.«

»Ich hab’s gemerkt. Warum, ist mir allerdings ein R?tsel. Ehrlich gesagt war unsere letzte Verabredung eher ein Desaster, danach hat sie sich nie mehr gemeldet.« Marc greift nach Carolins Hand. »Bitte, sag nicht ab. Ich m?chte dich einfach mal privat kennenlernen. Nicht immer nur, wenn irgendein Notfall uns zusammenbringt. Ich finde dich wirklich sehr nett, und ich verspreche dir auch, mich h?chst vorbildlich und wie ein Gentleman zu benehmen. Es wird keinen Grund zur Beanstandung geben.« Er hebt eine Hand in die Luft. »Grosses Indianerehrenwort!«

Carolin l?chelt, zieht aber ihre Hand aus seiner. »Wirklich, Marc. Ich habe mich ?ber deine Einladung gefreut. Aber mein Leben war in letzter Zeit sehr anstrengend und kompliziert, und ich m?chte nicht gleich in das n?chste Problem schlittern. Nina ist meine beste Freundin, sie hat mir geholfen, als es mir sehr schlechtging - und das ist noch nicht allzu lange her. Ich finde dich auch sehr nett, aber vielleicht ist momentan nicht der richtige Zeitpunkt, um sich besser kennenzulernen.«

Jaul! Die bl?de Nina! Es laufen noch genug andere M?nner in der Stadt herum. Und Herr Beck hat doch schon festgestellt, dass Nina bisher nie Schwierigkeiten hatte, eine ganze Menge von ihnen kennenzulernen. Wieso muss sie uns also gerade hier in die Quere kommen? Marc sieht das offenbar genauso. Er guckt so gequ?lt, als ob ihm der alte von Eschersbach gerade eins mit der Hundepeitsche ?bergezogen h?tte.

»Und da kann ich gar nichts machen? Ich k?nnte doch mal mit Nina reden.«

Carolin sch?ttelt heftig den Kopf. »Nein, bitte mach das auf keinen Fall. Es ist ja nicht nur Nina. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, so viele Gedanken gingen durch meinen Kopf. Und dann, so gegen vier Uhr morgens, war mir klar: Ich muss mehr Ruhe in mein Leben bringen. Und erst mal herausfinden, was f?r mich wichtig ist. Herausfinden, wer ich eigentlich bin. Bitte sei mir nicht b?se, ich kann nicht anders.«

Marc guckt traurig, aber sagt nichts mehr. Eine Weile sitzen die beiden schweigend nebeneinander, dann verabschiedet sich Carolin, und wir lassen den armen Wagner allein im Caf? sitzen.

»Sie sagt, sie muss herausfinden, wer sie eigentlich ist. Kann man’s denn fassen?« Wieder zu Hause angekommen, klage ich Herrn Beck mein Leid.

»Hast du so einen Quatsch schon mal geh?rt? Sie ist Carolin Neumann, wer sonst? Sie hat doch bestimmt auch so eine Art Stammbaum, da wird es doch wohl drinstehen, ich meine, mit Namen und allem drum und dran. Oder haben die Menschen das nicht?«

Ich bin wirklich fassungslos. Und das von Carolin - das h?tte ich nie gedacht.

»So, jetzt beruhig dich mal, Kleiner. Du hast das falsch verstanden. Nat?rlich weiss Carolin noch, wie sie heisst.«

Der h?lt mich wohl auch f?r bl?d. Ich weiss doch, was ich geh?rt habe!

»Nein, nein, nein! Sie hat w?rtlich gesagt:Ich muss herausfinden, wer ich eigentlich bin.W?rtlich, Herr Beck, w?rtlich! Ich hab’s doch nicht auf den Ohren.«

Da kommt mir pl?tzlich ein ganz neuer Gedanke: Vielleicht geht es der armen Carolin ja wie mir? Und sie ist auch irgendwie nicht so wirklich reinrassig? Oder wie auch immer das bei Menschen heisst, wenn man seinen Vater nicht kennt? Vor dem Hintergrund ist es nat?rlich einleuchtend, dass sie bei der Partnerwahl nun extrem vorsichtig ist. Sie kann dann ja gar nicht genau wissen, wer besonders gut zu ihr passen w?rde. Aber als ich Beck diese neue Theorie erl?utere, l?sst der sich japsend vor Lachen zu Boden fallen.

»Herkules, du bist einmalig! Nu sieh doch endlich mal ein, dass es ein paar grundlegende Unterschiede zwischen Menschen und Hunden gibt. Menschen sind denkende Wesen!«

Na, sch?nen Dank auch! Als ob ich nicht denken w?rde! Ich knurre ein bisschen.

»War klar, dass du das wieder in den falschen Hals kriegst und beleidigt bist. Nat?rlich denken wir auch. Aber der Mensch - oder besser: der ein oder andere Mensch - ist selbstreflektiert. Will heissen: Er denkt st?ndig ?ber sich selbst nach. Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich?«

»Also, das klingt jetzt noch nicht so besonders, muss ich dir sagen.«

»Ich meine doch im ?bertragenen Sinne! Carolin will wissen, was sie als Mensch ausmacht. Was sie von anderen unterscheidet. Was f?r sie selbst wichtig ist. Solche Sachen eben.«

Herrje, ich komme immer wieder auf meine Ausgangsthese zur?ck: n?mlich, dass der aufrechte Gang nicht gut f?r das Gehirn ist.

»Wie schade, dass ich nicht mit Menschen sprechen kann. Sonst w?rde ich Carolin einfach sagen, was das Besondere an ihr ist, und sie m?sste nicht l?nger dar?ber nachdenken. Es liegt doch auf der Hand: Sie ist ein lieber Mensch. Sie macht sich Gedanken um die anderen Menschen in ihrer Umgebung, um Nina und Daniel, sogar um Marc. Und um Tiere macht sie sich auch Gedanken, sonst h?tte sie mich nicht aus dem Heim geholt. Also, ich finde, das reicht. Mehr muss sie doch nicht ?ber sich wissen, um sich gut zu f?hlen. Jetzt braucht sie dann nur noch den richtigen Mann, und allesist gut. Wenn sie da allerdings so weitermacht, sind wir bald alle Kandidaten los und k?nnen von vorne anfangen. Diesmal denke ich mir dann aber eine andere Masche aus.«

Herr Beck seufzt.»Ne, glaube mir, Herkules. Solange Carolin das Gef?hl hat, sich selbst finden zu m?ssen, k?nnen wir die tollsten Typen anschleppen - es wird nichts n?tzen. Offenbar k?nnen manche Menschen nur gut zu zweit sein, wenn sie auch gut allein sein k?nnen. Und daf?r braucht Carolin wahrscheinlich wirklich Zeit. Fassen wir uns also in Geduld.«

»Ich hoffe, du hast zur Abwechslung mal Unrecht. Aber eine Chance gibt es noch: Jens. Zumindest war unser Ausflug an den Fluss einfach wundersch?n, vielleicht wird es doch etwas mit den beiden.«

»Ja, vielleicht.« Herr Beck nickt bed?chtig - aber sein Blick verr?t, dass er nicht daran glaubt.

ZWEIUNDZWANZIG

»Kannst du mir mal einen vern?nftigen Grund nennen, warum du mir das nicht erz?hlt hast?« Daniel klingt sauer. »Ich verstehe dich nicht, Carolin. Wir haben hier neulich gesessen, und ich war ganz ehrlich zu dir. Da h?tte ich wohl von dir das Gleiche erwarten k?nnen, findest du nicht?«Er istrichtigsauer.

Dabei hat der heutige Tag eigentlich ganz harmlos begonnen. Als wir nach unten in die Werkstatt kommen, steht dort ein grosser Blumenstrauss auf Carolins Werkbank. Carolin freut sich - bis sie Daniel sieht, der mit m?rrischem Gesicht an seinem eigenen Tisch steht. Und dann geht es ganz schnell: Denn es stellt sich heraus, dass der Strauss von Jens stammt. Und das Daniel eifers?chtig ist. Sehr eifers?chtig. »Ich wollte dich eben nicht verletzen.« »Na, Gl?ckwunsch. War ‘ne super Idee. Falls es dich interessiert: Jetzt hast du mich richtig verletzt. Wenn du mir damals gleich gesagt h?ttest, dass du dich f?r jemand anderen interessierst, dann w?re es f?r mich viel leichter gewesen. Aber nunf?hle ich mich wie der Riesendepp.«

Carolin schluckt.»Aber warum denn? Ich hab doch nur …«

»Weil ich mir einen abgebrochen hab von wegenist vielleicht keine so gute Idee mit unsundist vielleicht besser so.Hab den Verst?ndnisvollen gegeben. Mann, was bin ich bl?d! Ich darf gar nicht daran denken, da wird mir schlecht.«

»Also nun beruhige dich mal wieder - ganz so war das schliesslich nicht. Ich fand unser Kochen auch sch?n. Und dass ich mir mehr nicht vorstellen konnte, hat ?berhaupt nichts mit Jens zu tun. Den hatte ich da genau einmal gesehen. Was h?tte ich dir denn da gross erz?hlen sollen? Da war doch ?berhaupt nichts.«

»Nun tu doch nicht so, du weisst genau, was ich meine. Ich hatte keine Chance. Und das h?tte ich gerne gewusst. Ich dachte, wir sind Freunde.«

Auf Carolins Wangen bilden sich kleine rote Flecken.»Nat?rlich sind wir Freunde! Und ich kann mir auch vorstellen, dass die Situation f?r dich schwer ist. Aber f?r mich ist sie es auch, und ich finde nicht, dass ich hier die B?se bin!«

»Das habe ich auch nicht behauptet.«

»Hast du nicht? Finde ich aber doch.«

»O Mann, was f?r eine Scheisse!« Daniel haut mit seiner Faust so laut auf den Tisch, dass ich vor Schreck einen Satz unter die Werkbank mache. Dann rennt er von seinem Tisch weg, aus dem Raum hinaus und knallt hinter sich die T?re zu. Carolin und ich bleiben zur?ck. Sie beugt sich zu mirund holt mich unter der Werkbank hervor.

»Ganz sch?n laut, nicht?« Sie streichelt mich. »Tja, sieht so aus, als w?ren langsam alle meine Freunde sauer auf mich. Gut, dass ich dich noch habe.«

Ich schaue Carolin mit grossen Augen an. Es ehrt mich nat?rlich, dass ich ihr als Freund genauso wichtig bin wie Daniel und Nina. Trotzdem hoffe ich, dass sich hier schnell alles wieder einrenkt. Ich bin doch eher f?r Harmonie zu haben. Carolin scheint meine Gedanken lesen zu k?nnen.

»Mach dir keine Sorgen. Ich verspreche dir, dass wir uns alle wieder vertragen werden. Und damit das m?glichst schnell passiert, rufe ich jetzt auch mal die Nina an und verabrede mich mit ihr. Was meinst du, guter Plan?« Ich wedele mit dem Schwanz. »Aha. Guter Plan. Sehr sch?n, dann wird’s so gemacht.«

Offensichtlich hat Nina auch das dringende Bed?rfnis, mit Carolin zu sprechen. Denn kaum hat Carolin sie angerufen, da sind wir schon unterwegs in unser Stammcafe um die Ecke. Als wir eintrudeln, ist Nina schon da und winkt uns zu. Recht freundlich, wie ich mir einbilde.

»Hallo, Nina! Sch?n, dass es so spontan klappt«, begr?sst Carolin sie.

»Ja, gl?ckliche F?gung. Mir waren auch gerade zwei Patienten ausgefallen. Als du anriefst, dachte ich mir: Das Schicksal will, dass wir endlich miteinander reden.«

Beide lachen. Na, das sieht doch wirklich nach einer Vers?hnung aus. Die Kellnerin kommt an unseren Tisch.

»Ich weiss nicht, wie es dir geht. Aber ich finde, unser Treffen verlangt nach zwei Gl?sern Sekt.«

Nina nickt.»Genau. Besondere Situationen erfordern besondere Massnahmen. Bringen Sie uns bitte zwei Gl?ser?«

Mir bitte auch eins!, w?rde ich gerne sagen. Denn wenn das etwas Besonderes ist, h?tte ich es auch gerne probiert. Aber so bleibt mir gleich lediglich ein Gang zum Hundetrinknapf, den es in diesem Caf? netterweise gleich an der T?r gibt.

Zwei Gl?ser mit einer hellen Fl?ssigkeit kommen, die Damen greifen gleich zu.

»So, meine Liebe, auf uns!« Nina prostet Carolin zu. »Ja, auf uns!«

Die beiden trinken einen grossen Schluck.

»Ehrlich, ich bin froh, dass du endlich angerufen hast. Langsam wurde es unheimlich. Aber morgen h?tte ich auch zum H?rer gegriffen. Ich kann immer noch nicht fassen, dass wir uns im Grunde wegen eines Typen gestritten haben. Ts, ts.« Sie sch?ttelt den Kopf.

Carolin l?chelt. »Ja, aber was mir am meisten leid tut, ist, dass ich dich in letzter Zeit tats?chlich immer mit meinem Ungl?ck zugetextet habe. Damit hast du Recht. Und das tut mir auch leid. Ich werde mich bessern!« Sie hebt ihre rechte Hand. »Versprochen!«

»Na ja, aber so im Nachhinein muss ich sagen, dass ich auch ziemlich zickig reagiert habe. Immerhin hatte ich dir ja wirklich gesagt, dass Marc nichts f?r mich ist. Ich weiss auch nicht, warum ich neulich im Park so ausgeflippt bin. War bestimmt auch eine Menge gekr?nkter Stolz mit dabei.«

»Ehrlich, Nina, wenn ich gewusst h?tte, dass Marc dir noch so viel bedeutet, dann h?tte ich sowieso die Finger von der ganzen Sache gelassen. Und falls es dich beruhigt: Ich habe die Verabredung mit ihm abgesagt.«

»Oh!« Nina klingt, als ob sie sich erschreckt hat. »Aber das solltest du nicht! Jedenfalls nicht wegen mir. Ich gebe zu, ich war sauer, aber wenn es bei euch richtig gefunkt hat, dann kann ich damit leben. Das ist dann h?here Gewalt.«

»Nein, an dir liegt es nicht. Jedenfalls nicht nur. Nat?rlich habe ich nach dem Streit mit dir schon ziemlich viel ?ber Marc nachgedacht. Und dann hatte ich auf einmal das Gef?hl, dass mir alles zu viel wird. Dass ich erst mal zur Ruhe kommen muss nach dem Chaos der letzten Wochen. Ein neuer Mann hat da eigentlich momentan gar keinen Platz. Auch ein so toller wie Marc nicht.«

Was soll ich sagen: Herr Beck hat’s einfach raus. Es ist immer wieder erschreckend, wie gut der fette Kater die Situation einsch?tzen kann.

Nina guckt nachdenklich.»Normalerweise w?rde ich dir jetzt Recht geben. Aber vielleicht solltest du es dir doch noch einmal ?berlegen. Mit tollen M?nnern kann man leider nicht die Strasse pflastern, das sage ich dir. Die sind echt Mangelware.«

»Momentan habe ich aber eher ein gegenteiliges Problem: zu viele interessante M?nner. Und deswegen mach ich jetzt eine Pause, bis ich weiss, was ich wirklich will.«

»Aha. Interessantes Konzept. Nicht, dass sie dann alle weg sind. Wer sind denn die anderen. Gut, Jens. Der ist echt rattenscharf. Aber sonst?«

»Weisst du, der Abend, an dem ich mit Daniel kochen wollte - das war eigentlich schon eher romantisch gedacht. Ich habe es dir bisher nicht erz?hlt, weil ich dachte, dass du mich auslachst. Aber es hat in letzter Zeit ein bisschen geknistert zwischen Daniel und mir. Und da dachte ich mir, ich sollte es einfach mal ausprobieren.«

Nina reisst die Augen weit auf. »Du wolltest etwas mit Daniel anfangen?«

»Also, sooo absurd ist der Gedanke nun auch wieder nicht. Daniel ist ein attraktiver Mann, er ist witzig, nett und gef?hlvoll …«

»Und du kennst ihn seit ungef?hr hundert Jahren! Ne, das ist es doch nicht. Und stell dir mal vor, was passieren w?rde, wenn das schiefgeht.«

Carolin nickt.»Tja, einen kleinen Vorgeschmack davon habe ich heute schon bekommen. Daniel hat mitbekommen, dass ich mich mit Jens treffe. Also, ich habe es ihm selbst erz?hlt, weil Jens mir Rosen in die Werkstatt geschickt hat. Na ja, Daniel war alles andere als begeistert.«

Aha! Jetzt verstehe ich das. Heute Morgen war ich doch etwas verwirrt. Aber offenbar geh?rt das ?berbringen von Geschenken wie Hundewurst oder Blumen in gr?sseren Mengen zum menschlichen Balzritual.

»Das wundert mich nicht. Dass Daniel in dich verliebt ist, war mir schon immer klar. Aber dass du ernsthaft ?berlegt hast … also ne! Seien wir ehrlich, Daniel ist einfach viel zu nett!«

Eines steht fest - sollte Herr Beck jemals ein neues Herrchen beziehungsweise Frauchen brauchen, Nina w?re die perfekte Frau f?r ihn. Selten habe ich erlebt, dass Mensch und Tier so oft einer Meinung sind wie die beiden. Schade nur, dass man Nina nicht ernsthaft als Tierfreundin bezeichnen kann. So wird wohl nichts aus diesem Dreamteam.

»Du bist gemein. Der arme Daniel.«

»Quatsch. Daniel muss mal aus dem Quark kommen. So wird es auch bei allen anderen Frauen nichts. Aber was ich viel spannender finde: Triffst du dich denn jetzt noch einmal mit Jens - oder f?llt der auch unter den Bannstrahl deiner Selbstfindung?«

Carolin seufzt.»Na ja, heute Abend bin ich mit ihm verabredet, dann werde ich ihm wohl sagen, dass ich ihn nicht weiter treffen will.«

Nina schnappt nach Luft.»Bist du des Wahnsinns? Dieser tolle Typ? Nach eurem romantischen Tag an der Elbe? Lass dir bitte mal den Puls f?hlen, da kann etwas nicht stimmen.«

»Wieso denn? Ich habe dir doch erkl?rt, was das Problem ist. Nat?rlich war der Ausflug sch?n, und es war auch sehr romantisch und prickelnd. Aber ich habe vor allem die Situation genossen. Ob ich mich in Jens ernsthaft verlieben k?nnte, weiss ich nicht.«

Nina sch?ttelt den Kopf. »Also, dann gib ihm wenigstens meine Telefonnummer, wenn du ihm heute die schlechte Nachricht ?berbringst. Ich h?tte ja jetzt wieder Verwendung.« Die beiden lachen.

»Apropos: Eines interessiert mich aber doch.« Carolin mustert Nina ?ber den Rand ihres Glases. »Woran genau hat es denn bei Marc gehapert?«

»Ach, das ist eine bl?de Geschichte. Ich hab’s verbockt, w?rde ich sagen.« Nina holt tief Luft. »Also, eigentlich habe ich schon beim zweiten Treffen gemerkt, dass Marc zwar sehr charmant und lustig ist, aber dass der Funke bei ihm nicht so richtig ?berzuspringen scheint. Das hat mich ziemlich frustriert. Na ja, und bei unserem letzten Date haben wir uns dann auch noch in die Wolle bekommen, wegen einer dummen Bemerkung von mir.«

»Echt? Das hast du gar nicht erz?hlt.«

»Ich wollte es dir an dem Abend erz?hlen, als wir mit Daniel gekocht haben. Aber dann war Daniel nur so kurz mit dem Hund draussen, dass ich nicht genug>Anlauf< hatte. Es ist mir auch immer noch ein bisschen unangenehm.«

»Das klingt ja sehr geheimnisvoll. Also, raus mit der Sprache!«

»Wir waren an dem Tag auch an der Elbe. Das Wetter war so sch?n, also wollten wir den Tag in der Strandperle verbringen - du weisst schon, dieser kleine Strandimbiss direkt am Wasser.«

Carolin nickt.»Klar, den kennt doch jeder.«

»Na ja, jedenfalls war ich schon nur so mittel gelaunt, weil eben auch unser letztes Treffen nicht so war, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich war unsicher. Und dann bin ich immer gerne ein bisschen biestig.«

»Ja, ich weiss. Ich kenne dich schon ein paar Tage.«

»Na, jedenfalls sassen wir auf unserer Decke, und Marc hatte im Imbiss Bockw?rstchen und Kartoffelsalat f?r uns geholt. Da hat sich eine Familie direkt neben uns hingesetzt, mit so zwei kleinen Rotzl?ffeln. Ein Baby, das die ganze Zeit schrie, und ein kleiner Hosenscheisser, vielleicht sozwei oder drei Jahre. Der lief immer zwischen den Leuten hin und her und wirbelte jede Menge Sand auf. Also ein Traum.«

Carolin lacht.»Ich ahne schon, was kommt. Ich weiss ja, wie gerne du Kinder magst.«

»Ja, du bist da anders, du hast Kinder gern, ich weiss. Aber es verf?llt nun mal nicht jeder gleich in Verz?ckung beim Anblick zweier kleiner Blagen. Ich meine, wir konnten uns kaum unterhalten, weil das Baby so laut war. Und dann stolperte das andere G?r noch und schaufelte dabei jede Menge Sand auf meinen Kartoffelsalat. Tja, und da bin ich echt mal deutlich geworden und habe den Erziehungsversagern auf der Nachbardecke erz?hlt, was ich von ihren Kindern halte. Gut, vielleicht war ich da ein bisschen laut. Aber meine Nerven waren echt runter.«

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