10. Reine Männersache

»Ich war mir nicht sicher, ob Euch das Haus immer noch gehört, sonst hätte ich mich namentlich nach Euch erkundigt.« Grey ließ sich auf dem Sessel nieder, auf den sein Gastgeber zeigte, und nutzte die Gelegenheit, das unerwünschte Portweinglas neben sich auf einem Tisch mit Nippes abzustellen.

»Wohl überrascht, dass ich noch lebe«, sagte Caswell trocken und setzte sich selbst auf die andere Seite des Kamins.

Das stimmte. Grey gab sich keine Mühe, es zu leugnen. Das Feuer brannte nicht sehr hell und verlieh Caswells ausgezehrten Gesichtszügen einen trügerischen Rotschimmer, doch Grey hatte ihn in der Bibliothek bei hellem Kerzenlicht gesehen. Er sah schlechter aus als bei ihrer letzten Begegnung vor Jahren - aber nicht viel schlechter.

»Ihr seht keinen Tag älter aus als tausend, Mutter Caswell«, sagte Grey scherzhaft. Auch das stimmte; unter seiner modischen Perücke und seinem extravaganten Anzug aus gestreifter blauer Seide hätte der Mann genauso gut eine ägyptische Mumie sein können. Knochige, braune Handgelenke und Hände, die an Bündel aus trockenen Stöckchen erinnerten, ragten aus den Ärmeln, und der Anzug war zwar mit Sicherheit von einem exzellenten Schneider angefertigt worden, doch er umschlotterte ihn wie der Jutesack eine Vogelscheuche.

»Ihr schamloser Schmeichler.« Caswell betrachtete ihn von Kopf bis Fuß, und in seinen Augen glitzerte die Belustigung. »Das kann ich von Euch nicht behaupten. Ihr seht noch genauso frisch und unschuldig aus wie an dem Tag, als ich Euch zum ersten Mal gesehen habe. Wie alt wart Ihr da, achtzehn?« Caswells Augen sahen wie damals aus; klein, schwarz und schlau, permanent blutunterlaufen von Rauch und kurzen Nächten, in tief violette Tränensäcke eingebettet.

»Ich habe einen gesunden Lebenswandel. Das hält die Haut rein.«

Caswell lachte, dann begann er zu husten. Mit einer geübten Handbewegung zog er ein zerknittertes Taschentuch aus dem Hosenbund und hielt es sich vor den Mund. Er zog eine seiner schütteren Augenbrauen hoch und zuckte halb mit den Achseln, als wollte er sich für die Verzögerung in ihrer Unterhaltung entschuldigen. Unterdessen erduldete er den Hustenkrampf mit der Gleichgültigkeit alter Gewohnheit.

Als er schließlich zu Ende gehustet hatte, inspizierte er die frischen Blutflecken auf dem Taschentuch. Da er sie offenbar nicht für schlimmer befand als erwartet, warf er das Tuch ins Feuer.

»Ich brauche etwas zu trinken«, sagte er heiser. Er erhob sich von seinem Sessel und steuerte auf den großen Mahagonischreibtisch zu, auf dem ein Silbertablett mit einem Dekanter und mehreren Gläsern stand.

Anders als Magdas Allerheiligstes enthielt Caswells Zimmer nichts, was auf den Charakter des »Lavender Houses« oder seiner Besucher hingedeutet hätte; es hätte einem Bankdirektor gehören können, so nüchtern und elegant war es ausgestattet.

»Dieses Gesöff da schmeckt Euch doch nicht etwa, oder?« Caswell wies kopfnickend auf das weggestellte Portweinglas. Er füllte ein Paar kristallene Weingläser mit einer tiefroten Flüssigkeit und hielt Grey eines davon hin. »Hier, probiert das.«

Grey nahm das Glas mit einem surrealen Gefühl entgegen; er hatte hier in diesem Zimmer Wein getrunken, als George ihn zum ersten Mal in das »Lavender House« mitgenommen hatte -bevor sie sich in eines der Zimmer im ersten Stock zurückgezogen hatten. Diesem Gefühl leichter Orientierungslosigkeit folgte ein kleiner Schock, als er den ersten Schluck trank.

»Das ist sehr gut«, sagte er und hielt das Glas ins Licht des Feuers, als wollte er die Farbe prüfen. »Was ist es?«

»Die Marke weiß ich nicht«, sagte Caswell und roch beifällig an seinem Wein. »Aus Deutschland, nicht übel. Habt Ihr ihn schon einmal getrunken?«

Grey schloss die Augen und trank einen tiefen Zug. Er runzelte die Stirn und gab vor, ihn über seine Zunge spülen zu lassen, um ihn einordnen zu können. Nicht, dass er den leisesten Zweifel gehabt hätte. Er hatte einen guten Riecher, was Wein betraf, und sein Geschmackssinn war noch besser - und er hatte genug von diesem Tropfen mit Nessie getrunken, um mehr als sicher zu sein, dass er ihn richtig wiedererkannte.

»Möglich«, sagte er. Er öffnete die Augen und erwiderte Caswells durchdringenden Blick mit einem unschuldigen Blinzeln. »Kann mich nicht erinnern. Trotzdem, ein guter Wein. Wo habt ihr ihn aufgetan?«

»Eines unserer Mitglieder hat eine Vorliebe dafür. Er bringt ihn fassweise mit, und wir lagern ihn für ihn im Keller. Ich mag ihn auch.« Caswell trank noch einen Schluck, dann stellte er sein Glas ab. »Nun. Mylord. Auf welche Weise kann ich Euch zu Diensten sein?« Seine fleischlosen Lippen zogen sich zu einem Lächeln hoch. »Ersucht Ihr um Mitgliedschaft im Lavender Club? Ich bin mir sicher, dass das Komitee Eurem Begehren mit größtmöglicher Gunst entgegenkommen würde.«

»Handelt es sich um das Komitee, dem ich in der Bibliothek begegnet bin?«, fragte Grey trocken.

»Teilweise.« Caswell stieß ein kurzes Lachen aus, würgte es aber ab, um nicht einen erneuten Hustenanfall auszulösen. »Allerdings ist es möglich, dass sie darauf bestehen würden,

Euch einer Reihe persönlicher Befragungen zu unterziehen, doch dagegen hättet Ihr doch sicherlich keine Einwände?«

Das Glas in seiner Hand fühlte sich schlüpfrig an. Er hatte einmal mit angesehen, wie sich ein junger Mann in dieser Bibliothek über eine Lederottomane gebeugt einer Reihe persönlicher Befragungen unterzog, zur hemmungslosen Belustigung sämtlicher Anwesenden. Die Ottomane gab es noch; das war ihm aufgefallen.

»Dieser Vorschlag schmeichelt mir außerordentlich«, sagte er höflich. »Im Augenblick bin ich allerdings zufällig mehr an Information als an Gesellschaft interessiert, so herrlich diese Vorstellung auch ist.«

Caswell hustete und setzte sich ein wenig gerader hin.

Das Lächeln war immer noch da, doch das Funkeln in den schwarzen Augen hatte etwas zugenommen.

»Ja?«, sagte er. Grey konnte das Flüstern von Stahl, der aus einer Scheide gezogen wurde, beinahe hören. Das Vorgeplänkel war vorbei; mochte das Duell beginnen.

»Der Ehrenwerte Mr. Trevelyan«, sagte er und kreuzte seine Klinge mit Caswells. »Er kommt regelmäßig hierher; das weiß ich bereits. Ich möchte wissen, mit wem er sich trifft.«

Caswell kniff tatsächlich die Augen zu, da er mit einem solch unmittelbaren Angriff nicht gerechnet hatte, doch er gewann mit einem geschickten Ausfallschritt wieder an Boden.

»Trevelyan? Ich kenne niemanden, der so heißt.«

»Oh, Ihr kennt ihn. Ob er diesen Namen hier benutzt, spielt keine Rolle; Ihr wisst alles von Interesse über jeden Eurer Besucher. Mit Sicherheit kennt Ihr ihre wirklichen Nachnamen.«

»Schmeichler«, sagte Caswell noch einmal, obwohl er diesmal weniger belustigt aussah.

»Die Herren in der Bibliothek waren nicht sehr zurückhaltend«, sagte Grey, um seinen Vorteil wieder zu erlangen. »Wenn ich sie außerhalb Eures Hauses aufsuche, könnte ich mir vorstellen, dass mir der eine oder andere erzählt, was ich wissen möchte.«

Caswell lachte so herzhaft, dass er eine kleine Hustenattacke auslöste.

»Nein, das werden sie nicht«, keuchte Caswell und tastete nach einem frischen Taschentuch. Er betupfte sich die Augen und den vertrockneten Mund, der sich erneut zu einem Lächeln verzogen hatte. »Sicher würden Euch ein oder zwei von ihnen alles Mögliche erzählen, wovon sie glauben, dass Ihr es gern hören würdet, wenn es nur den Verschluss Eurer Hose löst. Aber das werden sie Euch nicht erzählen.«

»Nicht?« Grey gab sich gleichgültig und nippte an seinem Wein. »Hinter Trevelyans Treiben muss mehr stecken, als ich dachte, wenn es so wichtig ist, dass Ihr Eure Mitglieder bedroht, um seine Geheimnisse zu bewahren.«

»Oh, wo denkt Ihr hin, wo denkt Ihr hin?« Caswell wedelte mit seiner Knochenhand. »Drohungen? Ich? Ihr wisst, dass das nicht stimmt, mein lieber Junge. Wenn ich zu Drohungen greifen würde, wäre ich schon lange mit eingeschlagenem Schädel im Fleetkanal gelandet.«

Ein alarmiertes Kribbeln durchfuhr Grey bei dieser Bemerkung, obwohl er sein Gesicht mit aller Kraft von jedem Ausdruck frei hielt. War dies eine bloße Übertreibung oder eine Warnung? Caswells verwitterte Züge verrieten nicht das Geringste, obwohl seine glitzernden Augen Grey genau beobachteten, um vielleicht einen Hinweis auf seine Absichten zu erhäschen.

Er atmete tief durch, um seinen rasenden Herzschlag zu verlangsamen, und trank noch einen Schluck Wein. Es war gut möglich, dass es nicht mehr als ein Zufall gewesen war, eine unglückliche Wortwahl; der Fleet war schließlich nicht weit -und Caswell hatte tatsächlich Recht; seine Kunden waren

Männer von großem Reichtum und Einfluss, und wenn er sich auf Drohungen oder Erpressung verlegt hätte, hätte man ihn längst irgendwie in aller Stille aus dem Verkehr gezogen.

Doch Informationen waren etwas anderes. George hatte einmal zu ihm gesagt, dass Informationen Caswells wichtigstes Handelsgut waren - und der Profit, den das »Lavender House« abwarf, reichte wohl kaum aus, um die großzügige Ausstattung von Caswells Privaträumen zu finanzieren. Jeder kennt Dickie Caswell, hatte George gesagt und sich träge auf dem Bett in einem der Zimmer im ersten Stock geräkelt. Und Dickie kennt jeden - und weiß alles. Was auch immer du wissen möchtest - für Geld.

»Euer Takt und Eure Diskretion ehren Euch«, sagte Grey, der Bodenhalt für einen neuen Angriff suchte. »Aber warum sagt Ihr, dass sie es mir nicht erzählen werden?«

»Nun, weil es nicht stimmt«, erwiderte Caswell prompt. »Sie haben nie einen Mann namens Trevelyan hier gesehen - wie sollten sie Euch etwas über ihn erzählen?«

»Einen Mann nicht, nein. Ich gehe eher davon aus, dass sie ihn als Frau gesehen haben.«

Er erlebte eine Sekunde des Jubels, als er sah, dass sich Caswells violette Tränensäcke noch mehr verdunkelten, während ihm die Farbe aus den Wangen wich. Das erste Blut; er hatte seinen Gegner angeritzt.

»In einem grünen Samtkleid«, fügte er hinzu, um seinen Vorteil auszunutzen. »Ich habe Euch doch gesagt - ich weiß, dass er hierher kommt; das steht gar nicht infrage.«

»Ihr irrt Euch völlig«, sagte Caswell, doch sein Husten brach an die Oberfläche durch und verlieh den Worten einen zittrigen Klang.

»Gebt auf, Dickie«, sagte Grey mit einem etwas unverschämten Schwung seines Rapiers. Er lehnte sich ein wenig zurück und blickte geduldig über den Rand seines Glases

hinweg.

»Ich sage, ich weiß Bescheid; Ihr werdet mich kaum davon überzeugen, dass es nicht so ist. Mir fehlen nur einige wenige kleine Details.«

»Aber -«

»Ihr braucht Euch nicht zu sorgen, dass man Euch Vorwürfe machen wird. Wenn ich die wichtigsten Informationen über Trevelyan aus einer anderen Quelle habe - was in der Tat der Fall ist -, warum sollte ich dann nicht alles von dieser Quelle erfahren haben?«

Caswell hatte den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, runzelte stattdessen jedoch die Stirn und spitzte nachdenklich die Lippen.

»Zudem braucht Ihr nicht zu fürchten, dass ich Mr. Trevelyan schaden will. Er steht schließlich kurz davor, ein Mitglied meiner Familie zu werden - vielleicht ist Euch bekannt, dass er mit meiner Cousine verlobt ist?«

Caswell nickte kaum merklich. Sein Mund war so fest zugekniffen, dass er größte Ähnlichkeit mit dem Anus eines Hundes hatte, was Grey ausgesprochen widerlich fand. Dennoch, es spielte wohl kaum eine Rolle, wie der teuflische alte Kerl aussah, solange er mit den nötigen Details herausrückte.

»Ihr versteht sicherlich, dass meine Bemühungen in dieser Angelegenheit einzig dem Schutz meiner Familie dienen.« Grey wandte den Blick ab und richtete ihn auf eine Silberschale auf dem Tisch, die mit Treibhausfrüchten gefüllt war, dann wieder auf Caswell. Zeit, ihm den Rest zu geben.

»Nun denn«, sagte er und breitete mit einer eleganten Geste die Hände aus. »Bleibt nur noch der Preis zu entscheiden, nicht wahr?«

Caswell röchelte aus tiefster Kehle und spuckte dicken

Schleim in ein frisches Taschentuch, das er dann zusammenballte und seinen Vorgängern ins Feuer nachwarf. Grey dachte zynisch, dass er eine ganze Menge Geld allein dazu benötigen musste, sich mit Leinentüchern einzudecken.

»Der Preis.« Caswell trank einen großen Schluck Wein, dann stellte er das Glas ab und leckte sich die Lippen. »Was habt Ihr denn anzubieten? Immer vorausgesetzt natürlich, dass ich etwas zu verkaufen habe.«

Keine vorgetäuschte Ahnungslosigkeit mehr. Das Duell war vorbei. Grey konnte einen kurzen Seufzer nicht unterdrücken und stellte überrascht fest, dass nicht nur seine Handflächen feucht waren, sondern dass er unter seinem Hemd in Schweiß gebadet war, obwohl es in dem Zimmer nicht warm war.

»Ich habe Geld -«, begann er, doch Caswell unterbrach ihn.

»Geld bekomme ich von Trevelyan. Viel Geld. Was könnt Ihr mir denn sonst noch anbieten?«

Die kleinen, schwarzen Augen waren starr auf ihn geheftet, und er sah, wie sich Caswells Zungenspitze kaum sichtbar ins Freie stahl, um einen Tropfen Wein aus dem Mundwinkel zu lecken.

Grundgütiger! Er saß einen Moment völlig verblüfft da, gefangen von diesen Augen, dann senkte er den Blick, als sei ihm plötzlich eingefallen, dass er ja auch Wein hatte. Er hob sein Glas und senkte die Wimpern, um seine Augen zu verbergen.

Zur Verteidigung von König, Vaterland und Familie hätte er nötigenfalls Nessie ohne Zögern seine Tugend geopfert. Lautete die Frage jedoch, ob Olivia einen Mann mit Syphilis heiratete und die halbe britische Armee im Krieg ausgelöscht wurde oder ob er eine »persönliche Befragung« durch Richard Caswell über sich ergehen ließ, so war er der Meinung, dass Olivia und der König ihre Schäfchen selbst ins Trockene bringen konnten.

Er stellte sein Glas hin und hoffte, dass sich dieser Schluss

nicht in seinem Gesicht widerspiegelte.

»Ich habe noch etwas anderes als Geld«, sagte er und sah Caswell direkt ins Gesicht. »Wollt Ihr wissen, wie George Everett wirklich gestorben ist?«

Wenn es ein Aufflackern der Enttäuschung in den schwarzen Marmoraugen gab, so erlosch es augenblicklich unter einer Woge des Interesses. Caswell versuchte zwar, dies zu verbergen, doch er konnte das Aufglitzern der mit Habsucht vermischten Neugier nicht verbergen.

»Ich habe gehört, dass es ein Jagdunfall war und er sich irgendwo auf dem Land das Genick gebrochen hat. Wo war das noch? Wyvern?«

»Francis Dashwoods Anwesen - die Abtei von Medmenham. Es war nicht das Genick, und es war auch kein Unfall. Er wurde absichtlich getötet - ein Schwertstich ins Herz. Ich bin dabei gewesen.«

Diese letzten vier Worte fielen in die Stille wie Kiesel in einen See; er konnte spüren, wie ihr Auftreffen in der Luft des Zimmers Wellen warf. Caswell saß reglos da und atmete kaum, während er die Möglichkeiten abwägte.

»Dashwood«, flüsterte er. »Der Hellfire Club?«

Grey nickte. »Ich kann Euch sagen, wer dort gewesen ist -und was in dieser Nacht in Medmenham geschehen ist. Alles.«

Caswell zitterte geradezu vor Aufregung, und seine schwarzen Augen waren feucht.

George hatte Recht gehabt. Caswell gehörte zu den Menschen, die Geheimnisse liebten, Information horteten, sie gar für sich behielten um der schieren Freude willen, Dinge zu wissen, die sonst niemand wusste. Und wenn die Zeit kam, in der man solche Dinge gewinnbringend verkaufen konnte.

»Sind wir im Geschäft, Dickie?«

Diese Worte brachten Caswell wieder ein Stück weit zu sich.

Er holte tief Luft, hustete zweimal und schob dann kopfnickend seinen Stuhl zurück.

»Das sind wir, Schätzchen. Dann kommt mit.«

Die oberen Stockwerke beherbergten größtenteils private Zimmer; Grey konnte nicht sagen, ob sich viel verändert hatte -bei seinen vergangenen Besuchen im »Lavender House« war er nicht imstande gewesen, viel mitzubekommen.

Heute Abend war alles anders; ihm entging nicht das Geringste.

Es war merkwürdig, dachte er, während er Caswell durch einen der oberen Flure folgte. Die Atmosphäre dieses Hauses war ganz anders als die des Bordells, obwohl beide Etablissements dem gleichen Zweck dienten. Er konnte unten Musik hören und in einigen der Zimmer, an denen sie vorbeikamen, erklangen intime Geräusche und doch war es ganz und gar nicht das Gleiche.

Magdas Haus war viel weniger subtil gewesen, und alles darin diente der Provokation lüsterner Absichten. Das gab es in keinem Haus für Männer, in dem er je gewesen war - es gab selten irgendwelche Dekorationsgegenstände oder auch nur viele Möbel, abgesehen von den einfachen Betten. Manchmal gab es nicht einmal die; viele Häuser waren nicht mehr als Wirtshäuser mit einem Hinterzimmer neben dem Schankraum, in das sich Männer zum Zeitvertreib zurückziehen konnten, oft unter dem Applaus und den Anfeuerungsrufen der Zuschauer in der Wirtschaft.

Er war überzeugt, dass selbst die ärmlichsten Bordelle Türen hatten. Lag es daran, dass Frauen auf der Zurückgezogenheit beharrten?, fragte er sich. Und doch bezweifelte er, dass es viele Huren gab, die sich von den Gegenständen stimulieren ließen, die Madga zur Freude ihrer Kunden zur Verfügung stellte. Ob es wirklich einen Unterschied gab zwischen Männern, die von

Frauen angezogen wurden, und solchen, die die Berührung ihres eigenen Geschlechts vorzogen? Oder waren es die Frauen - war es für sie vielleicht wichtig, das Geschäft zu beschönigen?

Was die Erotik anging, so vibrierte das Haus förmlich vor Sexualität. Überall Männerstimmen und Männergerüche; am Ende des Korridors umarmten sich zwei Liebende, verschlungen an eine Wand gelehnt, und seine Haut kribbelte und zuckte; er konnte einfach nicht aufhören zu schwitzen.

Caswell führte ihn zu einer Treppe, vorbei an dem Paar - einer von ihnen war Goldlöckchen Neil, das Flittchen, der zerzaust aufblickte und ihm mit geschwollenem Mund ein laszives Lächeln schenkte, bevor er sich wieder seinem Begleiter zuwandte - der nicht der braunhaarige Junge war. Er zwang sich, nicht zurückzublicken, als sie die Treppe hochzusteigen begannen.

In der oberen Etage des Hauses war es ruhiger. Auch das Mobiliar schien luxuriöser zu sein; ein breiter Orientteppich lief über die gesamte Länge des Flurs, und geschmackvolle Bilder über kleinen Tischchen mit Blumenvasen zierten die Wände.

»Wir haben hier oben einige Zimmersuiten; manchmal kommt ein Gentleman aus der Provinz, um ein paar Tage oder eine Woche zu bleiben.«

»Ganz die kleine Zweitwohnung. Ich verstehe. Und Trevelyan benutzt dann und wann eine dieser Suiten?«

»Oh, nein.« Caswell blieb vor einer lackierten Tür stehen und schüttelte seinen Schlüsselbund, bis sich ein großer Schlüssel löste. »Diese Suite unterhält er dauerhaft.«

Die Tür schwang auf. Dahinter lag Dunkelheit, in der man das Fenster an der gegenüberliegenden Wand als blasses Rechteck erkannte. Es hatte sich bewölkt, und Grey konnte den Mond sehen, der jetzt hoch und klein am Himmel stand und sich in den nebligen Wolkenschichten fast verlor.

Caswell hatte einen brennenden Docht mitgebracht; er hielt ihn an eine Kerze neben der Tür, und die Flamme wuchs und warf ihr flackerndes Licht auf ein großes Zimmer mit einem Himmelbett. Das Zimmer war sauber und leer; Grey holte Luft, roch aber nichts außer Wachs und Bodenpolitur und dem schwachen Hauch längst erloschener Feuer. Der Kamin war frisch gefegt und ein Feuer vorbereitet, doch es war kalt im Zimmer; hier war eindeutig in letzter Zeit niemand gewesen.

Grey strich durch das Zimmer, doch es gab keine Spur von seinen Benutzern.

»Kommt er jedesmal mit derselben Person?«, fragte er.

Die Tatsache, dass Trevelyan die Suite gemietet hatte, sprach für eine langfristige Affäre.

»Ja, ich glaube schon.« Caswells Stimme hatte einen seltsamen Unterton, der ihn den Mann scharf anblicken ließ.

»Ihr glaubt es? Ihr habt diese Person noch nie zu Gesicht bekommen?«

»Nein - er nimmt es sehr genau, unser Mr. Trevelyan.« Caswells Stimme war ironisch. »Er trifft stets zuerst ein, zieht sich um und geht dann vor die Tür, um zu warten. Er geht mit der Person ins Haus und sogleich die Treppe hinauf; alle Bediensteten haben Anweisungen, sich anderswo aufzuhalten.«

Das war eine Enttäuschung. Er hatte auf einen Namen gehofft. Dennoch bewog ihn sein Hang zur Gründlichkeit, sich erneut an Caswell zu wenden und noch einmal nachzubohren.

»Ich bin mir sicher, dass Eure Bediensteten Euren Anweisungen aufs Wort folgen«, sagte er. »Aber Ihr, Dickie! Ihr erwartet doch wohl nicht, dass ich glaube, dass irgendjemand Euer Haus betritt, ohne dass Ihr alles Wissenswerte über ihn herausfindet. Soweit ich weiß, kanntet Ihr bis jetzt nur meinen Vornamen - und doch wisst Ihr offensichtlich, wer ich bin, wenn Ihr von Trevelyans Verlobung mit meiner Cousine wisst.«

»Oh, ja - Mylord.« Caswell hatte die Lippen scherzhaft

gespitzt. Jetzt, da der Handel abgemacht war, genoss er seine Enthüllungen genauso wie zuvor seine Zurückhaltung.

»Ihr habt Recht, aber nur zum Teil. Ich kenne den Namen von Trevelyans Inamorata tatsächlich nicht; er ist sehr vorsichtig. Allerdings weiß ich etwas sehr Wichtiges über sie.«

»Und zwar?«

»Dass es tatsächlich eine Inamorata ist - kein Inamorato.«

Grey starrte ihn einen Moment an, während er diese Botschaft entschlüsselte.

»Was? Trevelyan trifft sich mit einer Frau? Einer echten Frau? Hier?«

Caswell neigte den Kopf, die Hände vor dem Bauch gefaltet wie ein Butler.

»Woher wisst Ihr das?«, wollte Grey wissen. »Seid Ihr sicher?«

Der Kerzenschein tanzte wie Gelächter in Caswells kleinen, schwarzen Augen.

»Habt Ihr schon einmal eine Frau gerochen? Aus der Nähe, meine ich?« Caswell schüttelte den Kopf, sodass die losen Hautfalten an seinem Hals wackelten. »Ganz zu schweigen von einem Zimmer, in dem es jemand stundenlang mit einer dieser Kreaturen getrieben hat? Natürlich bin ich sicher.«

»Natürlich seid Ihr das«, murmelte Grey, abgestoßen von der Vorstellung, dass Caswell in den verlassenen Zimmern seines Hauses wie eine Ratte zwischen den Laken und Kissen herumschnüffelte und Information wie Krümel aus dem Durcheinander pickte, das sorglose Liebe hinterlassen hatte.

»Sie hat dunkles Haar«, war Caswells nächste hilfreiche Feststellung. »Fast schwarz. Eure Cousine ist meines Wissens blond?«

Grey machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten.

»Und?«, fragte er knapp.

Caswell spitzte nachdenklich die Lippen.

»Sie ist stark geschminkt - aber ich kann natürlich nicht sagen, ob das ihre Gewohnheit oder ob es Teil der Verkleidung ist, die sie anlegt, wenn sie hierher kommt.«

Grey nickte, denn er verstand. Jene Männer, die sich gern als Frauen verkleideten, schminkten sich im Allgemeinen wie französische Adelsfrauen; eine Frau, die hoffte, dafür gehalten zu werden, würde natürlich das Gleiche tun.

»Und?«

»Sie benutzt einen teuren Duft. Zibet, Vetiver und Orange, wenn ich mich nicht irre.« Caswell blickte zur Decke und überlegte. »Oh, ja - sie hat eine Vorliebe für diesen deutschen Wein, den ich Euch zu trinken gegeben habe.«

»Ihr habt gesagt, Ihr lagert ihn für ein Mitglied. Trevelyan, nehme ich an? Woher wisst Ihr, dass er ihn nicht allein trinkt?«

Caswells behaarte Nasenlöcher bebten vor Belustigung.

»Ein Mann, der so viel tränke, wie in diese Suite hinaufgebracht wird, wäre tagelang außer Gefecht gesetzt. Und den Spuren nach zu schließen -«, er nickte andeutungsweise zum Bett, »- ist unser Mr. Trevelyan alles andere als einsatzunfähig.«

»Sie kommt in einer Sänfte?«, fragte Grey, ohne diese Anspielung zu beachten.

»Ja. Allerdings jedesmal mit anderen Trägern; wenn sie selbst Träger eingestellt hat, benutzt sie sie nicht, um hierher zu kommen - was für extreme Diskretion spricht, nicht wahr?«

Eine Dame, die viel zu verlieren hatte, falls die Affäre entdeckt wurde. Doch Trevelyans Arrangements waren so komplex, dass er das bereits wusste.

»Und das ist alles, was ich weiß«, sagte Caswell in endgültigem Tonfall. »Was nun Euren Teil unserer Abmachung angeht, Mylord.?«

Obwohl sein Verstand wie betäubt von den schockierenden Enthüllungen war, erinnerte sich Grey an das Versprechen, das er Tom Byrd gegeben hatte, und riss sich so weit zusammen, dass er noch eine Frage stellen konnte, die er beinahe wahllos aus dem Strudel aus Fakten und Vermutungen zog, der gegenwärtig seinen Schädel füllte.

»Alles, was Ihr über die Frau wisst. Was aber Mr. Trevelyan angeht - habt Ihr ihn je in Begleitung eines Mannes gesehen, eines Bediensteten? Etwas größer als ich, hageres Gesicht, dunkle Haare, und links fehlt ihm ein Eckzahn?«

Caswell machte ein überraschtes Gesicht.

»Ein Bediensteter?« Er runzelte die Stirn und kramte in seinem Gedächtnis. »Nein. Ich. nein, halt. Ja, ja, ich glaube, ich habe den Mann gesehen, obwohl ich glaube, dass er nur einmal hier gewesen ist.« Er blickte auf und nickte entschlossen.

»Ja, so ist es gewesen; er ist gekommen, um seinen Herrn zu holen, mit einem Brief - irgendein Notfall im Geschäft. Ich habe ihn hinunter in die Küche geschickt, um dort auf Trevelyan zu warten -, er war ein hübscher Kerl, trotz des Zahns, aber ich hatte sehr den Eindruck, dass er für den Zeitvertreib, den er oben möglicherweise zu Gesicht bekommen hätte, nichts übrig gehabt hätte.«

Tom Byrd wäre erleichtert, diese Expertenmeinung zu hören, dachte Grey.

»Wann ist das gewesen? Wisst Ihr das noch?«

Caswell spitzte nachdenklich die Lippen, und Grey musste kurz den Blick abwenden.

»Ende April, glaube ich, obwohl ich nicht genau - oh. Doch, ich kann es genau sagen.« Er grinste und stellte triumphierend seine verfaulenden Zähne zur Schau. »Das war es. Er hat die Nachricht von der Niederlage der Österreicher bei Prag überbracht, die per Spezialkurier eingetroffen war. Es stand zwar innerhalb von Tagen in den Zeitungen, doch natürlich hatte

Trevelyan ein Interesse daran, es als Erster zu erfahren.«

Grey nickte. Für einen Mann mit Trevelyans Geschäftsinteressen war eine solche Nachricht das Gewicht des Überbringers in Gold wert - oder sogar mehr, je nachdem, wie zeitig sie eintraf.

»Eine letzte Frage noch. Als er so hastig aufgebrochen ist - ist die Frau dann auch gegangen? Und ist sie mit ihm zusammen gegangen, anstatt sich ein eigenes Transportmittel zu nehmen?«

Darüber musste Caswell, der an der Wand lehnte, kurz nachdenken.

»Jaa, sie sind zusammen gegangen«, sagte er schließlich. »Ich meine, mich erinnern zu können, dass der Bedienstete losgelaufen ist, um eine Mietdroschke zu holen, und sie sind zusammen eingestiegen. Sie war natürlich vollkommen verschleiert. Ziemlich schmal allerdings; ich hätte sie leicht für einen Jungen halten können, wenn ihre Gestalt nicht die richtigen Rundungen gehabt hätte.«

Jetzt richtete sich Caswell gerade auf und ließ einen letzten Blick über das leere Zimmer schweifen, als wollte er sich überzeugen, dass es keine weiteren Geheimnisse herausrücken würde.

»So, damit habe ich meinen Teil der Abmachung erfüllt, Herzchen. Wie steht's mit dem Euren?« Seine Hand schwebte über der Kerze, eine hagere Klaue im Begriff, die Flamme auszudrücken. Grey sah die glänzenden Obsidianaugen einladend auf sich geheftet und war sich des großen Bettes dicht hinter ihm nur allzu bewusst.

»Natürlich«, sagte Grey und schritt gezielt zur Tür. »Wollen wir uns in Euer Büro zurückziehen?«

Man hätte Caswells Gesichtsausdruck ein Schmollen nennen können, wären seine Lippen voll genug gewesen, um Derartiges zuwege zu bringen.

»Wenn Ihr darauf besteht«, sagte er seufzend und löschte die Kerzenflamme, die in duftendem Rauch verpuffte.

Die Dämmerung begann über den Dächern von London aufzusteigen, als Grey Caswells Allerheiligstes verließ, allein. Er blieb am Ende des Korridors stehen, lehnte die Stirn gegen das kühle Glas des Fensters und sah zu, wie die Stadt in unmerklichen Schritten aus ihrem nächtlichen Umhang auftauchte. Gedämpft durch die Wolken, die im Lauf der Nacht aufgezogen waren, nahm das Licht in Graustufen zu, die nur fern über der Themse durch einen schwachen Hauch von Rosa aufgelockert wurden. In seiner gegenwärtigen Stimmung erinnerte es Grey an die letzten Spuren des Lebens, das aus den Wangen einer Leiche wich.

Caswell war entzückt über seinen Teil der Abmachung gewesen, und er hatte auch allen Grund dazu. Grey hatte ihm nichts von seinen Abenteuern in Medmenham verschwiegen außer dem Namen des Mannes, der George Everett getötet hatte. An dieser Stelle hatte er nur gesagt, dass der Mann eine Kutte getragen hatte und maskiert gewesen war; unmöglich mit Gewissheit zu sagen, wer es gewesen war.

Er hatte keine Bedenken, Georges Namen auf diese Weise zu beschmutzen; seiner Meinung nach hatte George das bestens selbst hinbekommen - und wenn eine posthume Enthüllung seiner Handlungen dabei helfen konnte, Unschuldige zu retten, so war dies vielleicht eine kleine Kompensation für die unschuldigen Menschenleben, die Everett als Preis seiner Ambitionen ausgelöscht oder ruiniert hatte.

Was Dashwood und die anderen anging. sollten sie doch für sich selbst einstehen. Wer mit dem Teufel speist, muss einen langen Löffel mitbringen. Grey lächelte schwach, als er in Gedanken dieses schottische Sprichwort hörte. Jamie Fraser hatte das bei ihrer ersten gemeinsamen Mahlzeit gesagt - und

Grey dabei in der Rolle des Teufels gesehen, vermutete er, obwohl er nicht gefragt hatte.

Grey war kein gläubiger Mensch, doch er hatte eine hartnäckige Vision: einen Racheengel, der eine Waage beaufsichtigte, auf der die Taten eines Menschen abgewägt wurden - die guten auf der einen Seite, die schlechten auf der anderen. Und vor diesem Engel stand George Everett, nackt, gefesselt, die Augen weit aufgerissen, während er wartete, auf welcher Seite das Zünglein schließlich zur Ruhe kommen würde. Er hoffte, dass das, was er in dieser Nacht getan hatte, George gutgeschrieben würde, und fragte sich flüchtig, wie lange dieses Abwägen wohl weitergehen mochte und ob es stimmte, dass die Taten eines Mannes ihn überdauerten.

Jamie Fraser hatte ihm einst vom Fegefeuer erzählt, jener katholischen Vorstellung von einem Ort vor dem Jüngsten Gericht, wo die Seelen nach dem Tod eine Zeit verweilten und wo das Schicksal einer Seele noch durch die Gebete und Messen in ihrem Namen beeinflusst werden konnte. Vielleicht war es ja so; ein Ort, an dem die Seele abwartete, während die Handlungen ihres Lebens zu Ende geführt wurden und die unerwarteten Konsequenzen und Komplikationen einander im Lauf der Jahre fo lgten wie eine Reihe purzelnder Dominosteine. Doch das hätte bedeutet, dass ein Mensch nicht nur für das verantwortlich war, was er bewusst getan hatte, sondern auch für alles Gute und Böse, was in alle Ewigkeit daraus folgte, unbeabsichtigt und unvorhergesehen; ein schrecklicher Gedanke.

Er richtete sich auf, fühlte sich kraftlos und überdreht zugleich. Er war erschöpft und doch hellwach - der Gedanke an Schlaf war ihm im Leben noch nicht so abwegig vorgekommen. Jeder Nerv war wund, und seine Muskeln schmerzten vor nervöser Anspannung.

Um ihn herum war es still im Haus, dessen Besucher noch den Schlaf der Betäubung durch Wein und befriedigte Lust schliefen. Regen begann zu fallen, und das leise Klimpern der Regentropfen, die auf das Glas trafen, brachte einen harschen, frischen Geruch mit, der kalt durch die Risse des Fensterrahmens drang und wie ein Messer durch die abgestandene Luft im Haus und den Nebel in seinem Hirn fuhr.

»Nichts, was jetzt besser ist, als ein langer Spaziergang nach Hause, um die Spinnweben wegzufegen«, murmelte er vor sich hin. Er hatte seinen Hut irgendwo liegen gelassen - eventuell in der Bibliothek -, doch er hatte nicht das Bedürfnis, sich auf die Suche danach zu begeben. Er ging über die Treppe hinunter zur ersten Etage und über die Galerie auf die Haupttreppe zu, die ihn zum Eingang führen würde.

Die Tür eines der Zimmer auf der Galerie stand offen, und als er daran vorbeiging, fiel ein Schatten über die Dielen zu seinen Füßen. Er blickte auf und sah einem jungen Mann in die Augen, der in der Tür stand, nur mit seinem Hemd bekleidet, die dunklen Locken lose auf den Schultern. Der junge Mann ließ seine Augen über ihn gleiten, und er spürte ihre Hitze auf seiner Haut.

Er wollte weiterlaufen, doch der junge Mann streckte die Hand aus und griff nach seinem Arm.

»Kommt herein«, sagte er leise.

»Nein, ich -«

»Kommt. Nur einen Moment.«

Der junge Mann trat auf die Galerie hinaus. Seine nackten Füße waren lang und elegant, und er stand so dicht bei Grey, dass sich sein Oberschenkel gegen Greys presste. Er beugte sich vor, die Wärme seines Atems strich über Greys Ohr, und seine Zungenspitze berührte dessen Rundung mit einem knisternden Geräusch wie der Funke, der an trockenen Tagen an den Fingern aufblitzt, wenn man Metall berührt.

»Kommt«, murmelte er. Er trat zurück und zog Grey hinter sich her in das Zimmer.

Es war sauber und schlicht möbliert, doch er sah nichts außer den dunklen Augen dicht vor ihm und der Hand, die jetzt an seinem Arm hinunterglitt, um ihre Finger in den seinen zu verschränken, ihre dunkle Farbe ein verblüffender Kontrast zu seiner hellen Haut, die Handfläche breit und hart an der seinen.

Dann trat der junge Mann zurück. Mit einem Lächeln ergriff er den Saum seines Hemdes und zog es sich über den Kopf.

Grey fühlte sich, als würde er von seiner Halsbinde erwürgt. Es war kühl im Zimmer, und doch brach ihm am ganzen Körper der Schweiß aus, heiß und feucht in der Mulde seiner Wirbelsäule, schlüpfrig in den Falten seiner Haut.

»Was wünscht Ihr, Sir?«, flüsterte der junge Mann nach wie vor lächelnd. Er ließ eine Hand sinken und streichelte sich einladend selbst.

Grey hob langsam die Hand und kämpfte kurz mit dem Verschluss seiner Halsbinde, bis sie sich plötzlich löste und sein Hals entblößt, nackt und verletzlich zurückblieb. Kühle Luft traf auf seine Haut, als er seinen Rock ablegte und sein Hemd öffnete; er spürte, wie sich auf seinen Armen eine Gänsehaut bildete und dann an seiner Wirbelsäule entlangraste.

Der junge Mann kniete jetzt auf dem Bett. Er wandte Grey den Rücken zu und räkelte sich wie eine Katze. Das Regenlicht des Fensters spielte auf den breiten, flachen Muskeln seiner Oberschenkel und Schultern, in der Rinne seines Rückens und auf den gefurchten Pobacken. Er sah sich um, die Augenlider halb gesenkt, ein schläfriger Blick unter langen Wimpern.

Die Matratze gab unter Greys Gewicht nach, und der Mund des jungen Mannes bewegte sich unter dem seinen, sanft und feucht.

»Soll ich reden, Sir?«

»Nein«, flüsterte Grey. Er schloss die Augen und drückte den jungen Mann mit Hüften und Händen nieder. »Seid still. Tut so. als wäre ich nicht hier.«

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