8. Auftritt des Sänftenträgers

Am Montag kam Grey spät zum Frühstück hinunter. Die Gräfin hatte das ihre längst beendet und das Speisezimmer verlassen, doch seine Cousine saß am Tisch; zwanglos in einen Morgenrock aus Musselin gekleidet, das Haar zu einem Zopf geflochten, der ihr über den Rücken hing, öffnete sie Briefe und knabberte dabei Toast.

»Lange Nacht?«, sagte er und nickte ihr zu, während er sich auf seinen Stuhl gleiten ließ.

»Ja.« Sie gähnte und bedeckte ihren Mund geziert mit ihrer kleinen Faust. »Ein Fest bei Lady Quinton. Und bei dir?«

»Leider nicht annähernd so amüsant.« Nachdem er lange und herrlich erholsam geschlafen hatte, hatte er den Sonntagabend bei Bernard Sydell verbracht und sich endlose Beschwerden über den Mangel an Disziplin in der modernen Armee angehört, über die moralischen Defizite der jüngeren Offiziere, die Kleinlichkeit der Politiker, die erwarteten, dass Kriege ohne die entsprechende Ausrüstung ausgefochten wurden, und die Kurzsichtigkeit der derzeitigen Regierung, dazu Klagen über den Rücktritt Premier Pitts - der ebenso vernichtend kritisiert worden war, als er sich noch im Amt befand - und weitere Bemerkungen ähnlichen Stils.

Irgendwann im Lauf dieser Deklamationen hatte sich Malcolm Stubbs zur Seite gelehnt und Grey zugemurmelt: »Warum holt eigentlich niemand eine Pistole und erlöst ihn von seinem Elend?«

»Ich zahle einen Shilling für die Ehre«, hatte Grey zurückgemurmelt, woraufhin sich Stubbs an den widerlichen Sherry verschluckt hatte, den Sydell an solchen Abenden für angemessen hielt.

Harry Quarry war nicht da gewesen. Grey hoffte, dass Harry mit dem beschäftigt war, was er »in die Wege geleitet hatte«, anstatt sich einfach nur vor dem Sherry zu drücken - denn wenn nicht bald etwas Eindeutiges in Bezug auf O'Connells Tod herausgefunden wurde, war es wahrscheinlich, dass nicht nur Sydell auf die Sache aufmerksam wurde, sondern auch Leute, die die Macht besaßen, sehr viel mehr Ärger zu verursachen.

»Was hältst du hiervon, John?« Olivias Stimme unterbrach seine Gedankengänge, und er wandte seine Aufmerksamkeit von seinem gekochten Ei ab, um zur anderen Seite des Tisches zu blicken. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn musterte sie zwei schmale Spitzenstreifen - der eine war über die silberne Kaffeekanne drapiert, der andere hing über ihrer Hand.

»Mm.« Grey schluckte sein Ei und versuchte, sich zu konzentrieren. »Wofür?«

»Spitzenkanten für Taschentücher.«

»Die da.« Er wies mit seinem Löffel auf das Muster auf der Kaffeekanne. »Die andere ist zu maskulin.« In Wirklichkeit erinnerte ihn das erste Muster lebhaft - wenn auch nicht unangenehm - an die Spitzenkanten des Kleides, das Magda getragen hatte, die Herrin des Bordells an der Meacham Street.

Olivia brach in ein strahlendes Lächeln aus.

»Genau das habe ich auch gedacht! Exzellent; ich möchte ein Dutzend Taschentücher für Joseph nähen lassen - ich lasse dir auch ein halbes Dutzend machen, ja?«

»Gibst du jetzt schon Josephs Geld aus?«, neckte er sie. »Der Arme geht noch Bankrott, bevor ihr auch nur einen Monat verheiratet seid.«

»Ganz und gar nicht«, sagte sie leicht empört. »Es ist mein eigenes Geld, von Papa. Ein Geschenk der Braut an den Bräutigam. Meinst du, es gefällt ihm?«

»Er wird bestimmt bezaubert sein.« Und Spitzentaschentücher passten so gut zu smaragdgrünem Samt, dachte er, von plötzlichen Gewissensbissen berührt. Überall um ihn herum schritten die Hochzeitsvorbereitungen voran, als würde eine Schlachtordnung mit Regimentern von Köchen, Bataillonen von Näherinnen und Dutzenden von Menschen aufgestellt, die zwar keine erkennbare Funktion erfüllten, aber täglich unter dem Anschein großer Wichtigkeit und Geschäftigkeit durch das Haus schwärmten. Fünf Wochen bis zur Hochzeit.

»Du hast Ei am Kragen, Johnny.«

»Ja?« Er sah an sich hinunter und schnippte sich den Krümel des Anstoßes aus den Rüschen. »So, ist es fort?«

»Ja. Tante Bennie sagt, du hast einen neuen Kammerdiener«, sagte sie, während sie ihn weiter abschätzend betrachtete. »Dieser merkwürdige kleine Mensch. Ist er nicht etwas jung -und ungehobelt - für eine solche Stellung?«

»Es mag Mr. Byrd ein wenig an Jahren und Erfahrung mangeln«, gab Grey zu, »aber er beherrscht die Kunst einer guten Rasur.«

Seine Cousine sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an -wie seine Mutter war auch sie ein wenig kurzsichtig -, dann beugte sie sich über den Tisch, um ihm über die Wange zu streichen, eine Vertraulichkeit, die er sich gutwillig gefallen ließ.

»Oh, das fühlt sich wirklich gut an«, sagte sie beifällig. »Wie Satin. Hält er deine Garderobe gut in Ordnung?«

»Wunderbar«, versicherte er ihr und sah vor seinem inneren Auge Tom Byrd stirnrunzelnd beim Flicken des zerrissenen Rocksaumes. »Sehr dienstbeflissen.«

»Oh, gut. Dann musst du ihm sagen, dass er dafür sorgen soll, dass dein grauer Samtrock in gutem Zustand ist. Ich hätte gern, dass du ihn zum Abendessen vor der Hochzeit trägst, und als du ihn das letzte Mal anhattest, ist mir aufgefallen, dass der Saum am Rücken im Begriff war, sich zu lösen.«

»Ich werde ihn darauf aufmerksam machen«, versicherte er ihr ernst. »Ist dies nur Sorge, dass meine Erscheinung eine Schande für deine Hochzeit ist, oder übst du dich schon in der häuslichen Sorgfalt, um dich auf die Übernahme deines eigenen Haushalts vorzubereiten?«

Sie lachte, errötete jedoch, was ihr sehr gut stand.

»Tut mir wirklich Leid, Johnny. Wie anmaßend von mir! Ich gebe zu, dass ich mir Sorgen mache. Joseph sagt mir zwar, dass ich mir um nichts Gedanken machen muss, weil sein Butler ein wahres Wunder ist - aber ich möchte nicht die Sorte Ehefrau werden, die nicht mehr als ein Schmuckstück darstellt.«

Sie sah ihn mit einem Ausdruck bangen Eifers an, und eine böse Vorahnung regte sich tief in ihm. Ganz von seinen eigenen Verantwortlichkeiten beansprucht, hatte er sich kaum die Zeit genommen, sich Gedanken darum zu machen, wie seine Nachforschungen über Joseph Trevelyan seine Cousine persönlich berühren würden, sollte sich herausstellen, dass der Mann tatsächlich krank war.

»Du bist niemals weniger als ein Schmuckstück«, sagte er ein wenig schroff, »aber ich bin mir sicher, dass jeder Mann, der etwas taugt, die wahre Natur deines Charakters erkennen kann und sie weitaus mehr schätzt als deine äußerliche Erscheinung.«

»Oh.« Sie errötete noch tiefer und senkte ihre Wimpern. »Oh, danke. Wie liebenswürdig von dir, das zu sagen.«

»Aber nicht doch. Soll ich dir einen Hering holen?«

Sie aßen einige Zeit in kameradschaftlichem Schweigen, und Johns Gedanken hatten begonnen, sich seinen Plänen für den Tag zuzuwenden, als Olivias Stimme ihn in die Gegenwart zurückholte.

»Hast du noch nie selbst daran gedacht zu heiraten, John?«

Er nahm ein Brötchen aus dem Korb auf dem Tisch und zwang sich, nicht die Augen zu verdrehen. Die frisch Verlobten und Verheirateten beiderlei Geschlechts hielten es unweigerlich für ihre heilige Pflicht, andere dazu zu drängen, sich ihrem Glückszustand anzuschließen.

»Nein«, sagte er gleichmütig und brach ein Stück von seinem Brötchen ab. »Ich sehe keinen dringenden Grund, mir eine Frau zuzulegen. Ich habe weder ein Anwesen noch einen Haushalt, der einer Herrin bedürfte. Und was den Erhalt des Familiennamens angeht, macht Hal seine Sache doch angemessen.« Hals Frau Minnie hatte ihrem Mann gerade den dritten Sohn geschenkt - Jungen lagen bei den Greys in der Familie.

Olivia lachte.

»Nun, das ist wahr«, pflichtete sie ihm bei. »Und wahrscheinlich genießt du es ja, den lustigen Junggesellen zu spielen, wo doch die ganze Damenwelt bei deinem Anblick in Ohnmacht fällt. Das ist wirklich wahr.«

»Oh, das.« Er winkte mit dem Buttermesser ab und wandte seine Aufmerksamkeit erneut dem Brötchen zu. Olivia schien seinen Wink zu verstehen und widmete sich den Mysterien einer Portion Fruchtkompott, sodass er seine Gedanken ordnen konnte.

Die Nachforschungen über die Familie Stokes hatten erbracht, dass sie ein polyglotter Haufen war und von einem griechischen Matrosen abstammte, der etwa vierzig Jahre zuvor sein Schiff in London im Stich gelassen hatte, woraufhin er prompt ein Mädchen aus Cheapside kennen gelernt und geheiratet hatte, ihren Namen angenommen hatte - klugerweise, da sein eigener Aristopoulos Xenokratides lautete - und sich niedergelassen hatte, um sodann zahlreiche Nachkommen in die Welt zu setzen, von denen die meisten prompt zur See zurückgekehrt waren wie

laichende Wassermolche. Iphigenia, durch den Zufall ihres Geschlechts an Land verbannt, verdiente sich ihren Lebensunterhalt dem äußeren Anschein nach mit der Nähnadel, hatte sich aber von den diversen Herren, mit denen sie im Lauf der Zeit zusammengelebt hatte und von denen Sergeant O'Connell der letzte gewesen war, bei Gelegenheit finanziell unter die Arme greifen lassen.

Grey hatte Malcolm Stubbs darauf angesetzt, die weiteren Verbindungen der Familie auszukundschaften, hatte jedoch wenig Hoffnung, dass dies etwas Hilfreiches zutage fördern würde.

Was Finbar Scanion und seine Frau betraf.

»Bist du je verliebt gewesen, John?«

Er blickte erschrocken auf und sah, dass Olivia ihn ernst über die Teekanne hinweg anschaute. Offensichtlich hatte sie ihre Nachfragen doch nicht eingestellt, sondern war nur mit der Vertilgung ihres Frühstücks beschäftigt gewesen.

»Nun. ja«, sagte er gedehnt, unsicher, ob dies nur verwandtschaftliche Neugier war oder möglicherweise mehr.

»Aber ihr habt nicht geheiratet. Warum nicht?«

Warum nicht, in der Tat. Er holte tief Luft.

»Es war nicht möglich. Der Tod hat es verhindert.«

Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht, und ihre vollen Lippen zitterten vor Mitgefühl.

»Oh«, murmelte sie und sah auf ihren leeren Teller hinunter. »Das ist furchtbar traurig, Johnny. Es tut mir so Leid.«

Er zuckte schwach lächelnd mit den Achseln, um sich für ihr Mitgefühl zu bedanken, ohne sie jedoch zu weiteren Fragen zu ermuntern.

»Irgendwelche interessanten Briefe?«, fragte er und wies mit dem Kinn auf den kleinen Papierstapel neben ihrem Teller.

»Oh! Ja, das hätte ich fast vergessen - hier sind deine.« Sie

blätterte den Stapel durch, beförderte zwei an ihn adressierte Schriftstücke ans Tageslicht und reichte sie ihm hinüber.

Die erste Note, die von Magruder stammte, war kurz, aber fesselnd. Sergeant O'Connells Uniform - oder zumindest der Rock - war gefunden worden. Der Händler, in dessen Laden man sie entdeckt hatte, sagte, ein irischer Soldat, der ebenfalls eine Uniform trug, habe ihn gebracht.

»Ich habe mich persönlich zu ihm begeben, um ihn zu befragen«, schrieb Magruder, »aber der Mann konnte nicht mit Sicherheit sagen, welchen Rang dieser Ire bekleidet hatte oder welchem Regiment er angehörte - und ich wollte keinen Druck auf ihn ausüben, weil ich Angst hatte, dass seine Erinnerung den Mann in einen walisischen Korporal oder einen Grenadier aus Cornwall verwandeln würde. Er hat geglaubt, der Mann verkaufe einen seiner eigenen Röcke, was auch immer von dieser Beobachtung zu halten ist.«

Obwohl er ungeduldig nach weiteren Details gierte, sah sich Grey gezwungen, Magruders instinktive Vernunft und Umsicht anzuerkennen. Übertrieb man es beim Befragen eines Zeugen, erzählte einem dieser, was er glaubte, das man hören wollte. Es war viel besser, wiederholt wenig zu fragen als den Zeugen beim Verhör zu bombardieren doch die Zeit war knapp.

Dennoch, Magruder hatte alles herausbekommen, was sich mit Sicherheit sagen ließ. Natürlich war der Rock von sämtlichen Knöpfen und Abzeichen befreit gewesen, doch man konnte noch sehen, dass er einem Sergeant des 47sten gehört hatte. Zwar schrieb die Regierung gewisse Spezifikationen für die Armeebekleidung vor, doch wenn ein Privatier sein eigenes Regiment aufstellte und finanzierte, besaß er das Privileg, die Uniformen für besagtes Regiment zu entwerfen. Im Fall des 47sten war es Hals Frau, die die Muster der Offiziersröcke beigesteuert hatte. Diese hatten einen schmalen Lederstreifen an der Außenseite des Ärmels, der mithalf, die Blicke auf sich zu ziehen, wenn ein Arm zum Kommando geschwenkt wurde. Der

Rock eines Sergeants war zwar aus weniger gutem Material und weniger elegant geschnitten, doch auch er trug diesen Streifen.

Grey nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass jemand die anderen Sergeanten des Regiments überprüfte, um sicher zu gehen, dass keiner von ihnen einen alten Rock verkauft hatte - jedoch nur um der Gründlichkeit willen. Magruder hatte den Rock nicht nur beschrieben und eine grobe Zeichnung des Kleidungsstücks beigefügt, sondern auch angemerkt, dass das Futter des Rocks an der einen Seite abgelöst war und die Stiche anscheinend aufgeschnitten, nicht aufgerissen waren.

Nun, das erklärte, wo O'Connell seine Beute aufbewahrt hatte, wenn auch nicht, wo sie sich jetzt befand. Grey biss in seinen kalten Toast und griff nach dem zweiten Brief, der Harry Quarrys kühne, schwarze Krakelschrift trug. Diese Note war noch kürzer.

»Treffpunkt St.-Martininthe-Fields, morgen sieben Uhr«, stand dort, und die Signatur war nur ein großes, hastiges »Q«. »P.S. Zieht eine alte Uniform an.«

Er hatte den Blick immer noch stirnrunzelnd auf diese knappe Mitteilung gerichtet, als Tom Byrd seinen Kopf entschuldigend ins Zimmer steckte.

»Mylord? Verzeiht, Sir, aber Ihr habt doch gesagt, falls ein kräftiger Schotte kommt.«

Grey war bereits aufgestanden und ließ Olivia mit offenem Mund zurück.

Rab, der Sänftenträger, war groß und kräftig und hatte ein dummes, düsteres Gesicht, das sich auf Greys Begrüßung hin mühsam zu einer mürrischen Miene erhellte.

»Agnes hat gesagt, Ihr würdet für eine Auskunft bezahlen«, brummte er, ohne den Blick so recht von dem bronzenen Planetarium abwenden zu können, das auf dem Tisch am Fenster der Bibliothek stand und auf dessen eleganten Armen und kreisenden Kugeln sich die Morgensonne fing.

»So ist es«, sagte Grey prompt, denn er wollte den Mann loswerden, bevor womöglich seine Mutter herunterkam und anfing, Fragen zu stellen. »Wie lautet die Auskunft?«

Rabs blutunterlaufene Augen erwiderten seinen Blick und legten dabei etwas mehr Intelligenz an den Tag als der Rest seiner Erscheinung.

»Wollt Ihr denn nicht zuerst den Preis hören?«

»Nun gut. Was verlangt Ihr?« Er konnte die Stimme der Gräfin hören, die im ersten Stock ein Lied trällerte.

Der Mann streckte seine dicke Zunge heraus und fuhr sich nachdenklich damit über die Oberlippe.

»Zwei Pfund?«, sagte er und versuchte, trotzig und gleichgültig zu klingen, ohne jedoch den zögerlichen Unterton seiner Stimme verbergen zu können. Zwei Pfund waren offensichtlich ein beinahe unvorstellbares Vermögen; er glaubte zwar nicht, dass es tatsächlich sein Eigen werden würde, war jedoch gewillt, es zu versuchen.

»Wie viel bekommt Agnes davon?«, fragte Grey. »Ich werde sie wieder sehen, und ich werde sie fragen, um sicher zu gehen, dass sie ihren Anteil bekommen hat.«

»Oh. Ah.« Rab kämpfte einen Augenblick mit der Divisionsaufgabe, dann zuckte er mit Achseln. »Gut, dann die Hälfte.«

Grey war überrascht über diese Großzügigkeit - und noch mehr überraschte ihn, dass Rab seine Reaktion bemerkte.

»Ich habe vor, sie zu heiraten«, sagte der Mann schroff. Er kniff ein Auge zusammen und fixierte ihn mit starrem Blick, als wollte er ihn ermahnen, diese Aussage nur ja ernst zu nehmen. »Wenn sie aus ihrem Kontrakt freigekauft ist, aye?«

Grey biss sich auf die Zunge, um nicht mit einer unvorsichtigen Antwort auf diese verblüffende Enthüllung zu reagieren, und griff nur kopfnickend in seine Geldbörse. Er legte

das Silber auf den Tisch, legte jedoch seine Hand darüber.

»Was wollt Ihr mir also sagen?«

»Ein Haus namens >Lavender< an der Barbican Street. In der Nähe des Lincoln's Inn. Ein großes Haus - macht von außen nicht viel her, aber innen ist es ein Palast.«

Grey spürte plötzlich ein kaltes Gewicht in der Magengrube, als hätte er eine Bleikugel verschluckt.

»Ihr seid in dem Haus gewesen?«

Rab bewegte eine seiner kräftigen Schultern und schüttelte den Kopf.

»Nicht doch. Nur bis zur Tür. Aber ich konnte sehen, dass sie Teppiche wie diesen hier hatten -«, er wies mit dem Kinn auf den seidenen Kermanshah auf dem Boden neben dem Schreibtisch, »- und Bilder an der Wand.« Er hob sein Kinn, das an einen Rammbock erinnerte, und deutete auf das Gemälde über dem Kaminsims, das Greys Großvater väterlicherseits zu Pferde zeigte. Der Sänftenträger dachte so angestrengt nach, dass er die Stirn runzelte.

»Ich konnte ein Stück weit in eins der Zimmer sehen. Da stand ein. Ding. Nicht ganz so wie dieses hier -«, er deutete auf das Planetarium, »aber so ähnlich, versteht Ihr. Wie Teile eines Uhrwerks.«

Das Gefühl der Kälte und Schwere nahm zu. Nicht, dass seit dem Beginn von Rabs Erzählung noch ein Zweifel möglich gewesen wäre.

»Die. Frau, die Ihr dort abgeholt habt«, überwand sich Grey zu fragen. »Wisst Ihr ihren Namen? Habt Ihr sie auch dort hingebracht?«

Rab schüttelte gleichgültig den Kopf. In seinem ochsengleichen Gesicht deutete nichts darauf hin, ob er wusste, dass die von ihm beförderte Person in Wirklichkeit eine Frau war oder dass das >Lavender House< nicht einfach eines von

vielen reichen Londoner Häusern war.

Der Form halber stellte Grey noch ein paar andere Fragen, doch er erfuhr nichts weiter von Wert, und schließlich zog er seine Hand zurück und trat einen Schritt zur Seite. Er signalisierte Rab mit einem Kopfnicken dass er sich seinen Lohn nehmen konnte.

Der Sänftenträger war wahrscheinlich ein paar Jahre jünger als Grey, doch seine Hände waren verknöchert, in der Biegung erstarrt, als führe er fortwährend seinen Beruf aus. Grey sah zu, wie seine dicken Finger die Münzen mühsam einzeln ergriffen, und ballte die Hände in den Falten seines Morgenrocks zu Fäusten, um den Impuls zu unterdrücken, es für ihn zu tun.

Die Haut an Rabs Händen war so dick wie Horn, seine Handflächen voll gelber Schwielen. Die Hände selbst waren breit und von unverhohlener Kraft, und auf den knotigen Gelenken sprossen schwarze Haare. Grey brachte den Sänftenträger persönlich zur Tür und stellte sich dabei voll morbider Verwunderung diese Hände auf Nessies seidiger Haut vor.

Er schloss die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, als sei er um ein Haar einem Verfolger entkommen. Sein Herz schlug schnell. Dann begriff er, dass er sich Rabs brutale Umklammerung an seinen eigenen Handgelenken vorstellte, und schloss die Augen.

Ein Schweißfilm überzog seine Oberlippe und seine Schläfen, obwohl das Gefühl innerlicher Kälte nicht nachgelassen hatte. Er kannte das Haus nahe dem Lincoln's Inn, das man »Lavender« nannte. Und hatte gedacht, er würde es nie wieder sehen oder davon hören.

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