Sie ritten durch weißes Dünengebirge. Dem Pferd kam Sand in die Kugellager. Es knirschte und quietschte ganz abscheulich. Und der Onkel hielt sich die Ohren zu.
»Ich werde verrückt!« rief Konrad, weil er Ringelhuth aufziehen wollte. Aber der Onkel konnte es, weil er sich die Ohren zuhielt, natürlich gar nicht verstehen. Schließlich hörten die Dünen auf, und das Meer begann. Es war marineblau und schien kein Ende zu nehmen. Da standen nun die drei Freunde vorm Indischen Ozean und guckten, obwohl die Sonne brannte, in den Mond. Das Pferd sagte, es habe es ja gleich gesagt, und wollte wieder einmal umkehren. Doch da kam es bei den ändern schief an. Und so knirschte es unentwegt den Strand entlang, weil Ringel-huth gemeint hatte, vielleicht träfen sie irgendwo einen Kutter.
Einen Kutter trafen sie zwar nicht, aber sie entdeckten etwas noch viel Merkwürdiges: Sie sahen ein zwei Meter breites Stahlband, das weit ins Meer hinausreichte und ebenso endlos zu sein schien wie der Ozean selber. Es glich fast einer schmalen Gasse, die übers Meer führte, oder einem Bündel Mondstrahlen, das sich nachts im Wasser spiegelt.
Auf diesem Stahlband, nicht weit vom Strand entfernt, stand eine einsame Frau, hielt einen Borstenbesen und schrubbte.
»Was machen Sie denn da?« fragte der Onkel.
»Ich scheuere den Äquator«, gab ihnen die Frau zur Antwort.
»Was? Das ist der Äquator?« rief Konrad und zeigte ungläubig auf das stählerne Band.
»Und wozu scheuern Sie denn das Ding?« fragte das Pferd.
»Wir hatten drei Tage Monsun«, sagte die Scheuerfrau. »Es gab haushohe Wellen, und heute morgen war der Äquator rostig. Und nun schrubbe ich den Rost weg. Denn wenn er sich festfrißt, könnte der Äquator platzen, und dann ginge der Globus in die Brüche.«
»Das beste ist, Sie pinseln Ihren blöden Äquator mit Mennige an«, sagte das Pferd. »Dann kann er gar nicht erst rosten.«
»Er muß doch aber ein bißchen rosten«, antwortete die Frau. »Sonst verlier ich meine Anstellung.«
»Dann entschuldigen Sie gütigst«, meinte das Pferd. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
»Oh, das macht fast gar nichts«, sagte die Frau bescheiden und scheuerte ihres Wegs.
Onkel Ringelhuth zog den Hut, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. »Ehe Sie sich völlig in Ihre Lebensaufgabe verlieren, noch eine Frage. Wie kommen wir am schnellsten zur Südsee?«
»Rauf auf den Äquator, und dann immer geradeaus!« rief die Frau.
»Ganz wie Sie wünschen«, sagte der Onkel und setzte sich zögernd den Hut wieder auf.
»Also los, du oller Mustang!« schrie Konrad außer sich vor Freude. Dem Pferd lief eine Gänsehaut übers Fell. »Ich soll auf das Wellblech?« fragte es ängstlich. »Wenn uns dort ein Sturm erwischt, mit Wasserhosen und
solchen Sachen, gehen wir glatt übern Harz. Ihr reitet mich auf eigene Gefahr. Seit ich stellungslos bin, bin ich nicht mehr versichert.«
»Hau ab, du schwarzer Schimmel!« rief der Onkel.
Da sprang das Pferd geräuschvoll auf den Äquator schmiegte sich an der schrubbenden Scheuerfrau vorbei und zockelte südseewärts. Der Äquator schaukelte. Es war zum Seekrankwerden.
Das Festland war verschwunden. Sie sahen nur noch marineblaues Meer ringsum und die stählerne Schiene vor sich. Manchmal plätscherte eine kleine Welle über den Äquator hin. Dann wurde er naß, und das Pferd kam so ins Rutschen, daß sie im Chor losbrüllten und bei sich dachten: »Guten Morgen, Feierabend!«
Und als sie gar einem Schild begegneten, auf dem zu lesen stand: »Es wird gebeten die Haifische nicht zu nek- ken!«, da fiel ihnen das Herz senkrecht in die Hosen. Auch dem Pferd, das gar keine Hosen anhatte.
An allen Ecken und Enden tauchten Herden von Menschenhaien auf. Die Viecher waren groß wie Unterseeboote, steckten die gefährlichen Mäuler aus dem Wasser und sperrten sie auf, als ob sie gähnten. Sie hatten aber Hunger.
»Das könnte denen so passen«, murmelte der Onkel.
»Herr Apotheker«, sagte das Pferd, »die Tierchen haben sich in Ihren Bauch verliebt. Die wissen, was gut schmeckt.«
»Werden Sie ja nicht frech«, rief Konrad. »Mein Onkel
hat keinen Bauch! Merken Sie sich das!«
Ringelhuth war gerührt.
»Du bist ein braver Junge«, sagte er. »Und wenn Sie«, jetzt meinte er das Pferd, »wenn Sie ein Roß mit Gymnasialbildung sein wollen, dann könnte ich das ganze Zutrauen ...«
In diesem Moment schnellte einer der Haifische aus dem Wasser hoch in die Luft und schnappte gierig nach Ringelhuth. Aber Konrad traf, als gelte es einen Elfmeter, das bedauernswerte Tier mit der Stiefelspitze klar am Unterkiefer, und der Haifisch kehrte reumütig und mit einem komplizierten Kieferbruch in die salzigen Fluten zurück.
Daraufhin wandten auch die anderen Haie dem Äquator den Rücken, und die drei Reisenden hatten Ruhe.
»Wenn du nicht schon mein Neffe wärst, würde ich dich umgehend dazu ernennen«, erklärte der Onkel mit zitternder Stimme.
Das Pferd hustete ironisch.
Dann sagte es: »Sie werden sich mit Ihrer Freigebigkeit noch ruinieren.«
»Spotten Sie nur!« rief der Onkel. »Mein Neffe ist ideal
veranlagt und weiß meine Bemerkung voll zu würdigen!«
»Wenn ich offen sein soll«, meinte Konrad, »‘ne Mark wäre mir lieber gewesen. Ich spar nämlich für ‘ne Dampfmaschine.«
»So ein geldgieriger Knabe«, knurrte Ringelhuth. »Nach meinem Tode erbst du ja doch alles.«
»Dann spielt er aber nicht mehr mit Dampfmaschinen«, sagte das Pferd und kicherte. Was blieb dem Onkel weiter übrig? Er holte sein Portemonnaie aus der Tasche und drückte dem Jungen eine Mark in die Hand.
»Hoffentlich will dich noch so ‘n Haifisch fressen«, meinte Konrad. »Dann verdien ich mir noch ‘ne Mark.« Es kam aber keiner mehr.
»Du hast keinen feinen Charakter«, sagte Ringelhuth. »Aber das ist nicht zu ändern. Es liegt bei uns in der Familie.«
Es konnte gar nicht mehr weit bis zur Südsee sein. Zu beiden Seiten des Äquators sah man schon Palmeninseln mit vorgelagerten Korallenriffen. Und vor den Reisenden tauchte eine mit tropischen Urwäldern versehene Küste auf. Das Pferd fuhr wie ein Schnellzug drauflos. Es hatte den schaukelnden Äquator und das Wasser satt.
Endlich standen sie auf dem Festland. Zwischen zwei riesigen Eukalyptusbäumen hingen aus Lianen geflochtene Girlanden. Und an einer der Girlanden baumelte ein Schild mit folgendem Text:
Südsee, Westportal!
Eintritt auf eigene Gefahr!
Reklamationen können nicht berücksichtigt werden!
Ein bißchen eingeschüchtert ritten sie unter den Girlanden hin und kamen auf eine herrliche Orchideenwiese, die von Palmen umgeben war. Über diese Wiese rannte ein Gorilla auf sie zu, gab ihnen die Hand, drehte sich dann nach den Palmen um und winkte. Im gleichen Augenblick brach ein wüstes Geschrei los. Affenherden, die in den Palmen hockten, kreischten auf. Papageien, die Notenblätter zwischen den Zehen hielten, plärrten dazwischen. Ein Elefant hatte den Rüssel um einen Palmenstamm geschlungen und schüttelte den Baum, daß die Kokosnüsse klapperten. Der Gorilla schwang seine langen Affenarme im Takt, als sei er der Kapellmeister und dirigiere den Heidenlärm.
Ebenso plötzlich, wie er begonnen hatte, hörte der Krach auf. Der Gorilla wandte sich den drei Reisenden zu und fletschte die Zähne.
»Vielen Dank, Sie Affe«, sagte der Onkel. »Es war ergreifend.« Konrad sprang zu Boden, lief zu dem Gorilla hin und klopfte ihm auf die bärtige Schulter. »Wenn ich das dem Oberländer erzähle«, rief er, »zerspringt er. Unter Garantie!«
»Woher soll denn so ein Affe wissen, wer Oberländer ist?« meinte der Onkel.
»Oberländer ist unser Klassenerster«, sagte Konrad. Aber der Gorilla interessierte sich nicht für Konrads Primus, sondern raste eine Palme hinauf. Weg war er! Die ändern Affen folgten ihm.
Der Elefant verneigte sich dreimal feierlich vor den Reisenden. Dann trollte er sich. Er trabte in den Urwald, und man konnte noch sehr lange hören, wie die Bäume unter seinen Füßen zersplitterten.
»Fort mit Schaden!« sagte Ringelhuth. Und dann ritten sie weiter.
Sie folgten einem schillernden Schwärm kleiner bunter Kolibris, der vor ihnen herflatterte, als wollte er ihnen den Weg zeigen.
»Schau dich gründlich um, mein Junge«, riet das Pferd. »Damit sich dein Aufsatz sehen lassen kann.« Der Onkel meinte sogar, Konrad solle Notizen machen. Aber Konrad antwortete nicht einmal. Er betrachtete die Gegend. Es gab prächtige Paradiesvögel zu sehen und kleine komische Tapire, schneeweiße Eichhörnchen und faustgroße Schmetterlinge in allen Farben, Nashornkäfer und fliegende Hunde, goldne Pfauen und Schlangen, die wie zusammengerollte Gartenschläuche am Wege lagen. Am sehenswertesten war aber eine Herde Känguruhs, die unter einem schattigen Bananenbaum saßen. Die Känguruhmännchen spielten Skat. Die Weibchen strickten Socken. Die Wollknäuel hatten sie in ihren Beuteln. Auch Lebensmittel hatten sie drin. Und die Milchflaschen für die kleinen Känguruhs, die im Gras saßen, Bananen schälten und über eine aufgespannte Leine sprangen. Plötzlich griffen die Känguruhweibchen hastig nach ihren Kindern, stopften sie in ihre Beutel und hüpften davon. Die Männchen ließen sogar die Skatkarten liegen.
»Nanu!« rief der Onkel. »Könnt ihr mir vielleicht erklären, warum ... «
Aber da schwieg er schon. Denn dicht vor ihnen kauerten drei Königstiger. Die drei Tiger strichen sich den Schnurrbart, machten je einen Buckel und wollten gerade losspringen, da riß Onkel Ringelhuth seinen Spazierstock an die Backe, als sei er ein geladenes Gewehr, kniff das linke Auge zu und zielte.
Die Tiger erschraken. Der größte von ihnen zog ein weißes Tuch aus der Tasche und hielt es hoch.
»Ergebt ihr euch?« schrie Konrad.
Die drei Königstiger nickten.
»Dann macht gefälligst, daß ihr fortkommt!« rief der Onkel energisch. »Sonst knall ich euch mit meinem Spazierstock über den Haufen!«
»Zurück, marschmarsch!« wieherte das Pferd. Und da rissen die Raubtiere aus. Gleichzeitig ging ein Ruck durch Negro Kaballo. Er stolperte und starrte verwundert auf seine Hufe. Die Rollschuhe waren verschwunden. »Meine Fresse«, rief das Pferd. »Wo sind denn meine Fahrzeuge hin?«
Der Onkel wußte es auch nicht. Aber Konrad sagte: »Habt ihr denn total verschwitzt, was wir im Schlaraffenland erlebt haben?«
»Richtig!« rief das Pferd. »Na, mir soll’s recht sein. Wozu braucht ein Roß Rollschuhe? Ist ja unnatürlich.« Und von nun an galoppierte es wieder, statt zu rollen.
Kurz darauf begegneten sie der kleinen Petersilie. Das kam so: Sie hörten jemanden weinen. Es klang wie ein Kind. Aber sie konnten absolut nichts finden, sosehr sie sich plagten. Schließlich stiegen Onkel und Neffe vom Pferd und gingen vorsichtig in den Urwald hinein. Ringelhuth kam allerdings nicht weit. Er stolperte über eine Luftwurzel, schrie: »Mein Hühnerauge!«, setzte sich auf den Erdboden und streichelte seinen Fuß. Dadurch, daß er in einem Ameisenhaufen Platz genommen hatte, wurde die Sache auch nicht gerade besser. Denn die polynesischen Ameisen sind so groß wie unsere Maikäfer. Und die Flüssigkeit, die sie absondern, ist die reinste Salzsäure.
Konrad kletterte indessen über umgestürzte Baumstämme, strampelte zwischen Schlingpflanzen hindurch und folgte dem Kinderweinen, bis er unter einen
Gummibaum geriet. Das Schluchzen kam aus dem Gipfel des Gummibaumes. Der Junge sah empor. Hoch oben, auf einem Zweig, saß ein kleines Mädchen, kaute an einer Ananas und jammerte vor sich hin.
»Was ‘n los?« rief Konrad.
»Ist er weg?« fragte das kleine Mädchen.
»Wer soll ‘n weg sein?« erkundigte sich der Junge.
»Der Walfisch!« schrie sie herunter.
»Bei dir piept’s ja«, sagte er.
Da kletterte sie wie ein Wiesel von ihrem Gummibaum herab, stellte sich vor Konrad auf und rief empört: »Was fällt dir eigentlich ein, du Lausejunge? Ich bin eine Prinzessin und heiße Petersilie!«
Konrad war nicht fähig, etwas zu erwidern. Denn das Mädchen, das Petersilie hieß, war schwarz und weiß kariert!
»Mensch«, sagte er schließlich. »Auf dir kann man ja Schach spielen!«
Sie gab ihm ein Stück von ihrer Ananas und sagte: »Mein Papa ist ein berühmter schwarzer Südseehäuptling. Und Mutti ist Holländerin. Sie war, bevor sie meinen Papa heiratete, Tippfräulein in einer hiesigen
Kokosflockenfarm. Und deshalb bin ich schwarz und weiß gekästelt. Sieht es sehr scheußlich aus?«
»Das kann ich nicht beurteilen«, entgegnete der Junge. »Mir gefällt’s! Übrigens heiße ich Konrad.«
Die kleine Petersilie machte einen Knicks.
Konrad gab ihr die Hand. Anschließend erkundigte er sich, wieso sie vor einem Walfisch ausgerissen sei. Walfische lebten doch im Wasser.
»Hast du ‘ne Ahnung!« rief sie. »Walfische sind doch Säugetiere. Im Wasser leben sie nur aus Versehen.«
Plötzlich krachte es im Urwald.
»Das ist er!« schrie Petersilie, packte den Jungen am Arm und zerrte ihn vorwärts. Sie rannten wie wild der Straße zu.
Onkel Ringelhuth saß noch immer in dem Ameisenhaufen und schimpfte wie ein Schofför.
»Los!« brüllte Konrad. »Der Walfisch kommt! Die Kleine hier heißt Petersilie!«
Der Onkel traute seinen Augen nicht. Er starrte entgeistert auf das karierte Kind.
»Nun mach schon!« rief Konrad.
»Nur weil ihr’s seid«, sagte der Onkel, bürstete sich die
Ameisen vom Anzug und rannte mit.
Das Pferd, das auf der Straße stand und, um sich die Zeit zu vertreiben, gerade paar Kniebeugen machte, wunderte sich, als die drei atemlos angestolpert kamen.
»Man kann euch nicht allein in den Wald lassen«, knurrte es. »Wen bringt ihr denn da mit?«
»Das kleine Mädchen wird von einem Walfisch verfolgt«, erzählte Konrad. »Er wird gleich eintreffen.«
»Das hat mir noch gefehlt«, sagte das Pferd. »Fische gehören ins Wasser und karierte Kinder auf den Jahrmarkt.«
»Walfische sind doch keine Fische!« rief Konrad. Dann gab er Petersilie eins hintendrauf. Denn sie heulte schon wieder.
»Warum verfolgt er dich denn?« fragte er.
»Ach«, schluchzte sie, »ich hab ihm die Zunge herausgestreckt. Und nun ist er beleidigt. Hilfe! Da kommt er!«
Es knackte in den Palmen. Sie zerbrachen wie Streichhölzer. Ein graues Ungetüm schob sich aus dem Urwald. Es sah aus wie ein zerbeultes Luftschiff und riß sein zahnloses Maul auf.
Onkel Ringelhuth legte für alle Fälle seinen Spazierstock an die Backe und brüllte:
»Hände hoch, oder ich schieße!«
Aber der Walfisch fiel nicht drauf rein. Er wälzte sich immer näher und näher. Konrad stellte sich schützend vor Petersilie und den Onkel und hob drohend die Faust.
»Marsch ins Grab mit uns«, murmelte das Pferd.
In diesem Augenblick knallten ein paar Schüsse. Der Walfisch stutzte, nieste laut, machte kehrt und wälzte sich in den Urwald zurück.
Ringelhuth wischte sich die Stirn, betrachtete den Neffen ungehalten und rief:
»Alles wegen eines freien Aufsatzes! Ich werde deinem Lehrer einen groben Brief schreiben.«
Das Pferd holte erlöst Atem. Dann fragte es:
»Wer von uns hat denn nun eigentlich geschossen? Apotheker, hören Sie, vielleicht war Ihr Spazierstock doch geladen, was?«
»Ich habe geschossen!« rief eine Stimme. Alle fuhren herum. Vor ihnen stand ein bronzebrauner Mann. Er trug einen Lendenschurz aus Palmenblättern, andernorts war er bunt tätowiert. »Ich bin der Häuptling Rabenaas, auch >Die Schnelle Post< genannt. Hallo, Petersilie!« Er gab dem Mädchen die Hand, dann auch den übrigen.
»Nicht, daß ich neugierig wäre«, meinte der Onkel.
»Aber womit haben Sie eigentlich geschossen, Herr Rohrspatz?«
»Rabenaas, nicht Rohrspatz«, sagte der Häuptling zurechtweisend.
»Ganz wie Sie wollen«, rief der Onkel. »Von mir aus können Sie Hasenpfeffer heißen. Also, Herr Rabenspatz, womit haben Sie geschossen? Es klang so seltsam.«
»Mit heißen Bratäpfeln«, sagte Häuptling Rabenaas. »Ich wollte den Walfisch nur abschrecken. Ich freue mich, daß ich Ihnen eine kleine Gefälligkeit erweisen durfte.«
»Mit heißen Bratäpfeln?« fragte Konrad. »Und wo haben Sie denn Ihre Flinte?«
»Ich habe kein Gewehr«, erwiderte >Die Schnelle Post<. »Ich pflege mein Taschenmesser mit Bratäpfeln zu laden.«
»Dann natürlich!« sagte Ringelhuth. »Womit Sie aber auch geschossen haben mögen, wir danken Ihnen von Herzen!«
Rabenaas winkte ab. »Nicht der Rede wert«, bemerkte er, nickte gnädig, ging in den Wald zurück und war
verschwunden.
Petersilie brachte die Reisenden zu einem befreundeten Völkerstamm, der an einem reizenden Süßwassersee in hohen Pfahlbauten wohnte. Die Eingeborenen waren tätowiert, trugen Lendenschurze und zentnerschwere Korallenketten. Das Pferd sagte, es interessiere sich nicht für dergleichen. Es trabte statt dessen zu einem wogenden Zuckerrohrfeld und fraß sich wieder mal gründlich satt. Überdies traf es dort ein anderes Pferd, einen kleinen Schimmel, und mit dem schien es sich ausgezeichnet zu verstehen.
Die Eingeborenen zeigten Ringelhuth und seinem Neffen unglaubliche Schwimm- und Taucherkunststücke. Dann erhielt der Onkel einen Lendenschurz aus Palmenblättern als Gastgeschenk und mußte ihn wohl oder übel sofort umschnallen. Da er aber den Anzug anbehielt, sah er nicht eben vorteilhaft aus. Die Frauen der Eingeborenen lachten sich einen Ast und liefen davon.
Die Jünglinge zeigten ihren Gästen, wie man mit Spee- ren Forellen fängt und Vögel mit Lassos. Dann fuhren sie in ihren Auslegerbooten ein Achter-Rennen, daß Konrad zu atmen vergaß. Anschließend wurde ein Festessen
serviert. Die Menükarte lautete folgendermaßen:
Moskito-Ragout Haifischflossen in gegorenem Reiswein Geräucherte Schlangenzungen mit Rohrzuckersalat und Pampelmusengelee Koteletts vom Emu, Schneckenpüree Kokosnußcreme in Walfischtran.
»Da siehst du mal wieder, wie nützlich es ist, daß wir donnerstags unseren Magen abhärten!« sagte der Onkel zu Konrad und schluckte alles mit Todesverachtung hinunter.
Bei dem Schneckenpüree wäre ihm allerdings fast schlecht geworden.
Konrad unterhielt sich mit Petersilie. Er war traurig. Das Mädchen hatte ihm nämlich erzählt, sie habe keine Zeit mehr. Sie müsse zu der Diamantenwaschfrau Lehmann nach Bau. Denn Papa sei eine Perle aus der Krone gefallen, und die solle durch einen Diamanten ersetzt werden. Konrad sagte, sie möge doch noch ein Weilchen bleiben. Aber Petersilie schüttelte den Kopf, stand auf, gab dem Jungen die Hand, nickte dem Onkel und dem alten
Häuptling zu und hüpfte davon.
»Heul nicht, mein Sohn«, sprach Ringelhuth. »Iß lieber!« Aber Konrad war der Appetit vergangen. Er schluckte die Tränen hinunter und meinte, sie müßten nun auch gehen. Ohne Petersilie mache ihm die ganze Südsee keine Freude. Außerdem würde sonst der Aufsatz nicht mehr fertig.
Dem Onkel war’s recht. Sie verabschiedeten sich von dem Häuptling, bedankten sich für die herzliche Aufnahme und liefen zu dem Zuckerrohrfeld, um Negro Kaballo abzuholen. Der stand neben dem kleinen Schimmel und sagte: »Herrschaften, nichts für ungut, aber ich bleibe hier. Das Zuckerrohr schmeckt fabelhaft. Außerdem will ich das Schimmelfräulein heiraten. Ist sie nicht süß? Ich will endlich meine eigne Häuslichkeit haben. Ich will die Rollschuhe und den Zirkus und alles vergessen, was mich an Europa erinnert. Auch werd ich nie mehr ein Wort sprechen. Ich schwör’s. Sprechen schickt sich nicht für Pferde. Zurück zur Natur!«
»Machen Sie keine Geschichten!« rief der Onkel. »Das ist doch nicht Ihr Ernst?«
Negro Kaballo schwieg.
»Sie können uns doch nicht zu Fuß nach Hause strampeln lassen«, meinte Ringelhuth. »Nun machen Sie doch das Maul auf, Sie vierbeiniger Dickschädel!«
»Er hat ja eben geschworen, nicht mehr zu sprechen«, sagte Konrad. »Und wenn er das Pferdefräulein heiraten will, wollen wir ihn nicht stören. Wir wollen seinem Glück nicht im Wege stehen!«
Das Pferd nickte.
Ringelhuth war aber noch immer wütend. »Ich werde verrückt!« rief er. »Wozu muß dieses Riesenroß heiraten? Ich bin doch auch Junggeselle.«
»Du hast mich zum Neffen, lieber Oheim«, erwiderte Konrad. »Deswegen brauchst du keine eignen Kinder.«
»Passen Sie auf«, sagte der Onkel zu Negro Kaballo. »Sie werden mit Ihrem Schimmelfräulein lauter karierte Fohlen kriegen. Eine Petersilie nach der ändern. Wollen Sie wirklich nicht mitkommen?«
Das Pferd schüttelte den Kopf.
»Na, dann Hals- und Beinbruch«, rief Ringelhuth. »Aber machen Sie mir nicht weis, daß Sie ein Pferd wären! Ein Rindvieh sind Sie. Verstanden?«
Negro Kaballo nickte.
»In Gruppen links schwenkt, marsch!« kommandierte der Onkel, faßte den kleinen Konrad an der Hand und zog mit ihm von dannen.
»Vielen Dank für alles!« rief der Junge.
Negro Kaballo und seine weiße Braut warfen die Köpfe hoch und wieherten zweistimmig.
»Du hast falschen Tritt«, sagte Onkel Ringelhuth zu seinem Neffen. Es war aber gar nicht wahr. Der Onkel wollte nur nicht zeigen, daß ihm der Abschied von dem Rollschuhpferd sehr, sehr leid tat.
Sie marschierten durch den Urwald. Er nahm kein Ende. Wilde Tiere brüllten in der Ferne. Paviane warfen Kokosnüsse auf den Weg. Es war ziemlich lebensgefährlich. Konrad sagte, es sei ein Jammer, daß es in dieser Gegend keine Straßenbahnen gäbe. Schließlich sangen sie: »Das Wandern ist des Müllers Lust.«
Als sie mit dem Lied fertig waren, meinte der Onkel, er fände das Wandern gar nicht lustig.
»Du bist ja auch kein Müller«, erwiderte Konrad. »Sondern ein Apotheker.«
»Stimmt auffallend«, sagte der Onkel, sah auf die Armbanduhr und erschrak. »Menschenskind!« rief er. »Es ist zehn Minuten vor sieben. Wenn wir nicht bald meinem Schrank begegnen, kommst du heute zu spät zum Abendbrot!«
»Wann ich meinen Aufsatz schreiben soll, weiß ich auch nicht«, erklärte der Junge.
»Na, singen wir noch eins«, schlug der Onkel vor. Und jetzt sangen sie: »Horch, was kommt von draußen ‘rein, hollahi, hollaho.«
Dann schaute der Onkel wieder auf die Uhr. »Wenn jetzt nicht sofort ein Wunder geschieht«, sagte er, »können wir getrost hierbleiben und uns einem der benachbarten Stämme als Sonntagsbraten anbieten.«
»Warum soll denn kein Wunder geschehen?« fragte jemand hinter ihrem Rücken.
Sie drehten sich um. Da stand Rabenaas, auch >Die Schnelle Post< genannt, und lächelte.
»Sie waren schon mal so freundlich, uns aus der Patsche zu helfen«, sagte der Onkel. »Könnten Sie wohl meinen ollen Schrank herzaubern, lieber Herr Rabenpost?«
»Rabenaas«, korrigierte der Häuptling. Dann murmelte er:
»Vier mal sechs ist drei mal acht, und null ist null mal hundert.
Die Wunder werden nur vollbracht von dem, der sich nicht wundert.«
Daraufhin klatschte er in die Hände, und schon stand der Schrank da. Mitten im Urwald. Zwischen Palmen und Kakteen.
»Vielen Dank!« rief Konrad. Aber Rabenaas, auch >Die Schnelle Post< genannt, war bereits verschwunden.
»Ein unheimlicher Kerl«, sagte der Onkel. »Aber sehr liebenswürdig. Das muß ihm der Neid lassen.« Dann schob er den Jungen in die offene Rückseite des Schranks und kletterte hinterher. Und als sie vorn zum Schrank herausstiegen, landeten sie wahrhaftig in Ringelhuths Korridor! Auf der Johann-Mayer-Straße!
Konrad machte Licht, weil es schon ein bißchen dunkel war und weil er hoffte, er könne in der Nähe des Schranks noch ein paar Zentimeter echten Urwald entdecken.
Er sah aber nur Wände und Tapeten.
Der Onkel band sich den Lendenschurz ab und hängte ihn und den Spazierstock in den alten Schrank. Dann sagte er: »So, du Strolch, nun scher dich nach Hause! Grüß die Eltern. Und richte aus, ich käme nach dem Abendbrot auf ‘nen Sprung vorbei. Dein Vater soll ein paar Flaschen Bier kaltstellen.«
Der Junge griff nach der Schulmappe, sagte, es sei wunderbar gewesen, gab dem Onkel blitzartig einen Kuß auf die Backe und rannte davon.
»Na, na«, knurrte der Onkel. »Gibt mir der Flegel einen Kuß! Das schickt sich doch gar nicht für Männer.« Dann sah er zum Fenster hinaus. Konrad schoß gerade aus der Haustür und blickte hoch. Sie winkten einander zu.
Anschließend brachte Ringelhuth die Wohnung in Ordnung. Denn das Federbett lag noch vorm Bücherschrank. Und die leergegessenen Teller standen noch auf dem Tisch.
Als er aufgeräumt hatte, ging er auf den Korridor hinaus, öffnete noch einmal den Schrank und blickte neugierig hinein. Er schüttelte den Kopf. Die Rückseite war nicht mehr offen! Eine richtige Schrankwand war davor. Und der Lendenschurz war verschwunden.
»So, und jetzt raucht der weitgereiste Apotheker Ringelhuth eine dicke Zigarre«, sprach der Onkel zu sich selber und spazierte pfeifend in die Stube.