Zehn

Als er die Darstellung auf seinem Display veränderte, sah er sie. Fast vier Lichtstunden entfernt lieferten sich Kriegsschiffe der Allianz und der Syndiks ein heftiges Gefecht. Der Sprungpunkt nach Varandal lag vom Stern des Systems etwa so weit entfernt wie der Sprungpunkt, durch den die Allianz-Flotte soeben nach Atalia gekommen war, er befand sich aber für Gearys Flotte so gut wie am anderen Ende des Systems. Geary schaute angestrengt auf sein Display, das laufend aktualisiert wurde, je mehr Daten die Sensoren erfassten. Fast wäre er zusammengezuckt, als er sah, dass eine Gruppe von Allianz-Schiffen sich praktisch vor seinen Augen in Luft auflöste, doch dann wurde ihm klar, dass sie nicht zerstört worden waren, sondern mit einem Sprung das System verlassen hatten.

Weitere Allianz-Schiffe verschwanden, und er fragte sich, wie viele es insgesamt gewesen sein mochten. Nur ein einzelnes Schlachtschiff verblieb, das sich abmühte, den Sprungpunkt zu erreichen, während eine überwältigende Anzahl von Syndik-Kriegsschiffen es im Vorbeiflug beschossen.

»Das System identifiziert dieses Schiff als die Intractable«, ließ Desjani ihn wissen. »Sie war eines der Schlachtschiffe, die zurückblieben, um das Allianz-Gebiet zu schützen, während diese Flotte sich auf den Weg ins Syndik-Heimatsystem machte.« Nach kurzem Zögern ergänzte sie: »Als wir aufbrachen, gehörte die Intractable zur gleichen Schlachtschiffdivision wie die Dreadnaught

Die Dreadnaught, das Schiff, das von Jane Geary befehligt wurde, seiner Großnichte. War die Dreadnaught bereits auf dem Sprung nach Varandal, oder trieben ihre Trümmer irgendwo durch dieses Sternensystem?

Wenn man den Flottensensoren genug Zeit ließ, würden sie auch die Überreste jüngeren Datums analysieren und Schätzungen anstellen können, wie viele Schiffe hier bei den letzten Gefechten gestorben waren. Für den Augenblick konnte Geary nichts anderes tun, als sich vier Stunden alte Bilder anzusehen. Er wusste, dass er der Intractable nicht helfen konnte, die den Rückzug ihrer Flotte aus dem System sicherte.

»Lange wird es nicht mehr dauern«, murmelte Desjani, die die gleichen Bilder betrachtete wie Geary. »Die Intractable ist das einzige Allianz-Schiff, das sich noch in der Nähe des Sprungpunkts befindet. Alle anderen sind bereits entkommen.«

»Wie stehen die Chancen, dass sie inzwischen auch den Sprungpunkt erreicht hat?«

»Dazu müssten die Syndiks schon den Beschuss eingestellt haben.«

Rione beugte sich vor und sagte aufgeregt. »Wir müssen etwas unternehmen. Irgendwie müssen wir die Syndiks ablenken!«

»Madam Co-Präsidentin«, erwiderte Geary ernst. »Die Syndiks werden unsere Flotte erst in vier Stunden bemerken, und dann wird die Intractable bereits fast genauso lange zerstört sein.«

»Verdammt«, flüsterte Rione.

Auf den vier Stunden alten Bildern schien das Schlachtschiff seine Steuerkontrolle verloren zu haben, da es seitwärts abdriftete und durch die Treffer der Syndiks immer weiter vom Kurs abgebracht wurde. »Die Crew verlässt das Schiff«, meldete Desjani, als Rettungskapseln ins All geschossen wurden. »Allerdings scheinen ein paar Waffen noch zu funktionieren.«

Vier Stunden zuvor war von den Syndiks eine Salve Flugkörper abgefeuert worden, die eine Kurve flogen, um in den Rumpf der Intractable einzuschlagen, die zu dem Zeitpunkt bereits so gut wie wehrlos war. Die Hülle war aufgerissen und der vordere Teil drehte sich um sich selbst, während er davontrieb, die Heckpartie zerfiel unterdessen in kleinere Trümmerteile. Geary kniff einen Moment lang die Augen zu. Als er sie wieder aufschlug, sah er, dass die Überreste des Schlachtschiffs sich in alle Richtungen verteilt hatten und keine Lebenszeichen mehr angezeigt wurden. Mögen eure Vorfahren euch willkommen heißen und die lebenden Sterne euren Geist trösten.

»Wir werden sie rächen«, sagte Desjani so energisch, dass es fast wie ein Fauchen klang.

»Ja, das werden wir. Offenbar haben wir die Reserveflotte entdeckt.« Geary begann einen Abfangkurs zu berechnen, der von der Annahme ausging, dass die Syndiks zu diesem Sprungpunkt hier zurückkehren würden. »Wie lange noch, bis die Flottensensoren uns etwas darüber erzählen können, was hier geschehen ist?«

»Das dürfte jeden Moment der Fall sein.« Kaum hatte sie ausgesprochen, reagierte auch schon das Display. Desjani presste die Lippen aufeinander, als sie sah, welche Ergebnisse die Sensoren und die Bewertungssysteme der Flotte lieferten. »Die Trümmer jüngsten Datums dürften von zwei bis drei Schlachtkreuzern der Allianz stammen, ferner von neun bis dreizehn Zerstörern, ein oder zwei Leichten Kreuzern und vier bis sechs Schweren Kreuzern. Außerdem von zwei Schlachtschiffen, darunter die Intractable.« Sie atmete gedehnt aus. »Die Intractable hat die Syndiks aufgehalten, damit der Rest entkommen konnte. Die Sensoren sind aber nicht in der Lage, uns etwas darüber zu verraten, wie vielen Schiffen das gelungen ist.«

»Zumindest war es keine einseitige Angelegenheit«, entgegnete Geary, auf dessen Display neue Schätzungen auftauchten. »So wie es aussieht, haben die Syndiks ein oder zwei Schlachtkreuzer verloren, ein Schlachtschiff, zehn bis zwanzig Jäger, sechs oder sieben Schwere Kreuzer, außerdem zwischen acht und elf Leichten Kreuzern. Dazu kommt das, was zu schwer beschädigt war, um die Flotte zum Sprungpunkt zu verfolgen.« Ein Schlachtkreuzer, drei Schwere Kreuzer und ein Leichter Kreuzer bemühten sich schwerfällig, den zweiten Planeten im System anzusteuern. In der Nähe des Sprungpunkts war ein weiterer Schlachtkreuzer vom letzten Aufbegehren der Intractable so schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, dass er offenbar auch zu diesem Planeten unterwegs war.

Die Sensoren der Flotte streckten sich vier Lichtstunden weit bis an den Rand des Sternensystems aus, um jenseits der Trümmerteile die Größe der verbleibenden Syndik-Streitmacht zu bestimmen. Dann endlich wurden die Ergebnisse angezeigt. »Sechzehn Schlachtschiffe, vierzehn Schlachtkreuzer, zwanzig Schwere Kreuzer, fünfundvierzig Leichte Kreuzer.« Er hatte gehofft, Lieutenant Iger würde mit seinen Schätzungen viel zu hoch liegen, doch nun zeigte sich, dass er kaum präziser hätte kalkulieren können. »Das ist das, was von dieser Reserveflotte noch einsatzbereit ist.«

»Wir können es mit ihnen aufnehmen«, beteuerte Desjani.

»Das werden wir auch müssen. Allerdings kann ich keinen Abfangkurs berechnen, solange sie nicht wenden und auf neue Vektoren einschwenken.«

Er wartete ungeduldig, während die Allianz-Flotte weiterflog in Richtung des Sprungpunkts, der nun keine zwei Tagesreisen mehr entfernt war. Plötzlich rief Desjani: »Sie machen nicht kehrt! Sie formieren sich neu, um den Allianz-Schiffen zu folgen, die eben durch den Sprungpunkt entkommen sind.«

»Sie springen nach Varandal?« Schlimmer als ein Kampf gegen die Syndiks hier im System wäre es, das Gefecht in Varandal austragen zu müssen, nachdem die Syndiks dort bereits hatten wüten können, bis die Allianz-Flotte sie einholte.

»Immer noch fast vier Lichtstunden entfernt.« Desjani schlug mit der Faust auf die Armlehne ihres Sessels. »Die verlassen das System, bevor sie überhaupt wissen, dass wir hier sind.«

»Dann könnten wir sie bei Varandal überraschen.« Sein Blick kehrte zurück zu den Anzeigen der geschätzten Allianz-Verluste. Zwei Schlachtschiffe. War eines davon die Dreadnaught gewesen? War seine Großnichte Jane gestorben, unmittelbar bevor er sie hätte kennenlernen können? Oder befand sie sich in einer der Rettungskapseln, von denen es im System wimmelte?

Weitere Symbole gesellten sich zu denen, die bereits das Display übersäten, und zeigten die Positionen der Rettungskapseln im Atalia-System an. Die zerstörten Allianz-Kriegsschiffe hatten jede Menge Kapseln ausgestoßen. Geary lehnte sich zurück, während er zunächst die Syndik-Flotte betrachtete, die sich auf den Sprung nach Varandal vorbereitete, und dann die schwer beschädigten Syndik-Kriegsschiffe, die sich in Sicherheit schleppten und noch immer nichts von der Ankunft der Allianz-Flotte im System ahnten. Schließlich kehrte seine Aufmerksamkeit zu den Rettungskapseln zurück. Dann überprüfte er den Stand der Brennstoffzellen, über die die Flotte noch verfügte.

»Ich brauche Ihren Rat, Tanya.« Sie drehte sich zur Seite und sah ihn fragend an. »Wir können problemlos unseren Kurs so legen, dass wir an den beschädigten Syndik-Schiffen vorbeifliegen, um ihnen den Rest zu geben. Andererseits rechnen die Allianz-Matrosen damit, dass wir sie einsammeln, doch das macht es erforderlich die Schiffe abzubremsen, was auf Kosten unserer Brennstoffzellen geschehen würde. Außerdem erreichen wir dann den Sprungpunkt nach Varandal noch später.«

Desjani trommelte mit den Fingern auf die Armlehne, dann wandte sie sich an ihren Maschinenraum-Wachhabenden. »Wenn diese Rettungskapseln auf die Vektoren unserer Flotte einschwenken und dann ihren restlichen Treibstoff komplett verbrennen, welche Geschwindigkeit könnten sie dann erreichen?«

Der Ingenieur kalkulierte in aller Eile. »Captain, wenn ich berücksichtige, wie lange sie sich wahrscheinlich schon im All befinden und wie viel sie beim Start verbraucht haben, dann sollten sie in der Lage sein, 0,01 Licht zu erreichen.«

»Das hilft uns zwar, aber es reicht nicht. Die Flotte müsste immer noch abbremsen.« Desjani schüttelte den Kopf. »Selbst wenn wir uns den Verbrauch an Brennstoffzellen leisten könnten, kostet das nach wie vor zu viel Zeit. Außerdem sind die meisten unserer Schiffe ohnehin fast schon überbelegt. Wenn sie noch mehr Personal an Bord nehmen, dann könnte das problematisch werden, falls diese Schiffe bei Varandal evakuiert werden müssen. Dann sind nicht genug Rettungskapseln vorhanden. Was wir brauchen, sind zwei Flotten.« Ihr Blick wanderte zum Display, da eine Warnlampe zu blinken begann. »Vor drei Stunden und fünfundvierzig Minuten ist die Syndik-Reserveflotte nach Varandal gesprungen.«

»Zu schade, dass wir nicht vier Stunden früher hier eingetroffen sind. Hätten sie uns vor dem Sprung bemerkt, wären sie womöglich hier geblieben. Das hätte uns das Ganze viel leichter gemacht.« Geary musterte das Display, das den Flottenstatus anzeigte. »Zwei Flotten. Vielleicht ist das ja die Lösung. Ich lasse einen Teil hier, der die Kapseln einsammelt, die anderen fliegen weiter.«

»Auf wen können wir verzichten?«

»Eigentlich auf kein Schiff. Aber einige von ihnen werden ohnehin Schwierigkeiten haben, mit der Flotte mitzuhalten.« Die Wahl schien einfach zu sein, doch das Ganze war nicht nur eine Frage der Physik. Er rief die Illustrious. »Captain Badaya, ich habe eine Bitte an Sie.«

Sechs Sekunden später meldete sich Badaya bei ihm. Er sah erschöpft aus, aber das war auch kein Wunder, hatte er sich und seine Crew doch dazu angetrieben, rund um die Uhr zu arbeiten, damit die Schäden an der Illustrious vor der zu erwartenden Schlacht so gut wie möglich behoben wurden. Dass mit diesen Reparaturen nur das Notwendigste zu schaffen war, das war allen Beteiligten klar. »Was brauchen Sie, Captain Geary?«

»Die Rettungskapseln der Allianz müssen eingesammelt werden, aber ich kann es mir nicht leisten, die gesamte Flotte dafür abbremsen zu lassen. Auf dem Weg zum Sprungpunkt nach Varandal können wir die Gefahr eliminieren, die von den verbliebenen Syndik-Schiffen ausgeht, doch jeder von uns, der langsamer wird, um die Kapseln zu bergen, benötigt dennoch genug Feuerkraft, um sie zu beschützen, falls sich noch irgendetwas Unvorhergesehenes ereignet.«

Nach sechs Sekunden nickte Captain Badaya. »An wen dachten Sie, Captain Geary?«

»An die Hilfsschiffe Orion, Incredible und Resolution, an die am schwersten beschädigten Eskortschiffe, und an die Illustrious, weil diese Schiffe einen zuverlässigen und fähigen Commander benötigen.«

Wieder nickte Badaya. »Wir haben unser Bestes gegeben, die Illustrious wieder zusammenzuflicken, aber sie wird in einem Gefecht nach wie vor im Nachteil sein. Ich verstehe Ihre Logik. Allerdings fällt es mir schwer, mir vorzustellen, dass wir die Schlacht bei Varandal versäumen werden.«

»Ich weiß.« Badaya hatte seine Fehler, aber er hatte sich das Recht verdient, dass sein Stolz und seine Ehre nicht übergangen wurden. »Darum bitte ich Sie ja auch, diesen Auftrag zu übernehmen. Wenn Syndik-Schiffe den Sprungpunkt nach Varandal verlassen, bevor Sie ihn erreichen, werden Sie sich den Weg freischießen müssen. Diese Streitmacht muss jemand befehligen, von dem ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Außerdem überlasse ich Ihnen zwei Schlachtschiffe und zwei Schlachtkreuzer, damit Sie sich vernünftig verteidigen können.« Er musste Badaya nicht erst darauf hinweisen, dass diese vier beschädigten Schiffe nicht mal zusammengerechnet die Gefechtsfähigkeit eines einzelnen unbeschädigten Schlachtschiffs besaßen.

»Die Chancen stehen nicht gut, dass irgendwelche Syndiks hier auftauchen, bevor wir das System verlassen«, meinte Badaya, »auch wenn es nicht auszuschließen ist. Aber wenn Sie die Syndiks bei Varandal ordentlich in die Mangel nehmen, dann werden einige vielleicht versuchen, zum Sprungpunkt zu entkommen, und da können wir uns ihnen dann in den Weg stellen und sie ausradieren.«

»Ja, das stimmt.«

»Das ist ein ehrenvoller Auftrag«, folgerte Badaya. »Wir werden keine Allianz-Soldaten hier zurücklassen, die Illustrious wird die anderen Schiffe dieser Flotte nicht aufhalten, und wir folgen der Flotte mit genügend Abstand, um die Syndiks zu stoppen, die aus Varandal entkommen wollen. Danke für Ihr Vertrauen, Captain Geary.«

»Das haben Sie sich verdient, Captain Badaya.« Das entsprach voll und ganz der Wahrheit. Von dieser fixen Idee abgesehen, ihn zum Diktator zu machen, war Badaya gar kein so übler befehlshabender Offizier. Er neigte zwar dazu, mehr auf Impulse von außen zu reagieren, anstatt eigene Vorschläge ins Spiel zu bringen, aber wenn man ihm einen Befehl erteilte, führte er ihn auch aus. Vor allem glaubte Badaya mittlerweile so sehr an ihn, dass er jetzt einen Auftrag übernahm, den er vor sechs Monaten vermutlich noch abgelehnt hätte.

»Vielen Dank, Captain Geary«, wiederholte er. »Wegen dieser anderen Sache, über die wir gesprochen haben und die die Optionen nach der Heimkehr betrifft, möchte ich Sie wissen lassen, dass alle Eingeweihten über Ihre Wünsche informiert worden sind und zugesichert haben, sich nicht darüber hinwegzusetzen. Selbst wenn die Illustrious es nicht nach Varandal schaffen sollte, wird nichts gegen Ihren Willen geschehen.«

»Gut zu wissen, Captain Badaya.« Geary dankte stumm den lebenden Sternen, dass Badaya zur Abwechslung daran gedacht hatte, auf seine Wortwahl zu achten und keine missverständlichen Formulierungen zu verwenden. Er hatte offenbar verstanden, dass mutmaßlich private Unterhaltungen für gewöhnlich alles andere als privat waren. »Ich werde die Befehle für die Schiffe vorbereiten, die die Illustrious begleiten sollen. Wir sehen uns bei Varandal.«

»Die Orion wird sich darüber nicht freuen«, urteilte Desjani, als sie Gearys Planung sah.

»Die Orion muss sich darüber auch nicht freuen. Sobald wir daheim sind, werde ich empfehlen, die Crew auf eine ganze Reihe anderer Schiffe zu versetzen und die Orion mit einer komplett neuen Besatzung auszustatten. Es hat einfach nichts funktioniert, um diese Crew zu vernünftigen Leistungen anzuspornen.«

»Vielleicht fühlen sie sich ja motiviert, wenn sie zusehen können, wie Numos nach seinem Kriegsgerichtsverfahren erschossen wird«, meinte Desjani gut gelaunt.

»Vielleicht ja.« Seine Verärgerung, weil die Crew der Orion mit den Reparaturen ihres Schiffs einfach keine Fortschritte machte, war inzwischen so groß, dass er sich einen Moment lang an diesem Gedanken erfreuen konnte. »Andererseits … seit die Orion-Crew miterlebt hat, wie die Majestic bei Lakota in Stücke geschossen wurde, hat sie bei der Panzerung und den Waffen deutliche Fortschritte gemacht.«

»Aber nicht beim Antrieb«, gab Desjani zurück. »Vielleicht sollten Sie mal den Hinweis fallen lassen, dass sich das Schiff jetzt zwar besser verteidigen, aber noch immer nicht vor dem Feind davonfliegen kann.«

»Ich werde so tun, als hätte ich das nicht gehört, Captain Desjani.« Seine Bemerkung ließ sie nur weiter grinsen, woraufhin er weiterredete: »Allerdings glaube ich, die Resolution und die Incredible werden sich nicht allzu lautstark beklagen.«

»Hauptsache, Sie trennen die beiden Schiffe nicht voneinander«, sagte sie. »Die beiden scheinen bei Heradao den Bund fürs Leben eingegangen zu sein.«

»Wieso sind Sie so exzellenter Laune, Captain Desjani?«

»Weil die Syndiks mit ihrer Reserveflotte nach Varandal gesprungen sind, Captain Geary, und sie dort zwischen die Fronten geraten wird. Dort wartet die Streitmacht, die von hier geflohen ist, wir sitzen ihnen im Nacken, und nicht zu vergessen, Varandal verfügt über Verteidigungseinrichtungen, mit denen sie sich auch noch abplagen müssen.« Desjani grinste wölfisch. »Die sind erledigt.«

»Mag sein, aber das haben die Syndiks auch des Öfteren von uns gedacht.«

Trotz der immensen virtuellen Größe des Konferenztischs entging es Geary nicht, dass der Raum seit den allerersten Flottenbesprechungen deutlich kleiner geworden war. Es gab weniger Schiffe und damit weniger befehlshabende Offiziere. Aber zumindest hatten die Ereignisse bei Padronis dafür gesorgt, dass die Unruhestifter zum Schweigen gebracht worden waren, und von nun an würde wieder offen und ehrlich diskutiert werden. »Ich kann davon ausgehen, dass Sie alle mit der momentanen Situation vertraut sind. Die Syndik-Reserveflotte hat sich auf den Weg nach Varandal gemacht, noch bevor sie wusste, dass wir Atalia erreicht haben. Sie verfolgen jetzt eine Allianz-Streitmacht, über deren Größe uns keine Angaben vorliegen, und sie werden zweifellos versuchen, die Allianz-Einrichtungen bei Varandal unschädlich zu machen und die verbliebenen Schiffe zu vernichten. Wir müssen schnellstens dieses System erreichen, um unseren Kameraden auf den Schiffen, den Planeten und den Orbitaleinrichtungen beizustehen.«

Er deutete auf das Display, das über dem Tisch schwebte. »Der größte Teil der Flotte bleibt auf Kurs zum Sprungpunkt nach Varandal, dabei werden wir so schnell fliegen, wie unser Bestand an Brennstoffzellen es zulässt. Auf dem Weg zum Sprungpunkt werden wir an den beschädigten Syndik-Kriegsschiffen vorbeikommen und sie unschädlich machen können. Illustrious, Incredible, Resolution, Orion, Titan, Jinn, Witch und die meisten schwerer beschädigten Kreuzer und Zerstörer werden Bremsmanöver einleiten, um die Rettungskapseln der Allianz in diesem Sternensystem einzusammeln, danach folgen sie uns nach Varandal.«

Alle Blicke wanderten zu Captain Badaya, da man zweifellos damit rechnete, dass er jeden Moment vor Empörung explodierte, doch er nickte nur entschlossen. »Die Illustrious fühlt sich geehrt, die Verantwortung für diese wichtige Aufgabe zu übernehmen. Sorgen Sie nur bitte dafür, dass Sie bei Varandal noch ein paar Syndiks für uns übrig lassen.«

»Seien Sie lieber vorsichtig mit dem, was Sie sich wünschen«, warnte Commander Parr von der Incredible ihn. »Aber wir freuen uns darauf, an der Seite der anderen Schiffe zu kämpfen.«

Duellos wirkte so müde und erschöpft wie Badaya. »Die Chancen stehen nicht besonders gut, was Varandal angeht, und wie ich sehe, treffen wir bei Ihren vorgesehenen Flottenbewegungen mit weniger als zwanzig Prozent Reserve in den Brennstoffzellen ein.«

»Das ist richtig«, versuchte Geary so beiläufig wie möglich zu bestätigen, als sei es ganz normal, mit einem so geringen Bestand an Brennstoffzellen gegen eine überlegene Streitmacht anzutreten und dabei zu riskieren, dass den Kriegsschiffen während des Gefechts die Energie ausging. »Was unsere Situation hinsichtlich der Brennstoffzellen angeht, müssen wir mit dem leben, was wir haben. Die verbleibenden Hilfsschiffe setzen ihre Shuttles ein, um die Zellen zu verteilen, die während des letzten Sprungs hergestellt worden sind. Danach müssen wir darauf zählen, dass wir unsere Bestände werden auffüllen können, nachdem wir die Syndiks bei Varandal geschlagen haben. Wie unsere Chancen stehen, werden wir besser einschätzen können, sobald uns die Rettungskapseln der Allianz mit einer Liste der Kriegsschiffe versorgt haben, die diese Schlacht hier schlugen. Im Moment können wir nur überschlagsweise schätzen, wie viele Allianz-Schiffe das Gefecht nicht überlebt haben.«

Alle überprüften die Uhrzeit. »Die ersten Kapseln müssten uns inzwischen gesehen haben«, meinte Captain Armus. »Aber wir werden noch eine halbe Stunde warten müssen, ehe uns die erste Nachricht von ihnen erreichen kann.«

»Bedauerlicherweise trifft das zu. Aber wir brauchen ja auch noch mehr als einen Tag, ehe wir den Sprungpunkt nach Varandal erreichen. Wir haben Zeit. Eigentlich zu viel Zeit, aber daran lässt sich nichts ändern.«

Es blieb nichts anderes zu tun, als auf der Brücke der Dauntless zu sitzen, mit 0,12 Licht durch das All zu jagen und darauf zu warten, was das Allianz-Personal in den Rettungskapseln über die Geschehnisse in diesem System berichten würde.

Die erste Stimme, die aus einer Rettungskapsel kommend aus dem Lautsprecher drang, war von Freude, Unglauben und Stress derart verzerrt, dass sie nicht allzu deutlich zu verstehen war. »Hier spricht Lieutenant Reynardin. Ich glaube, ich bin der dienstälteste Offizier des Schlachtkreuzers Avenger. Sie können sich nicht vorstellen, wie gut es ist, die Allianz-Flotte hier zu sehen. Die Syndiks haben behauptet, sie hätten die Flotte zerstört, aber alle haben gesagt, dass das nicht stimmen kann. Nicht unsere Flotte. Gesegnet seien unsere Vorfahren und die lebenden Sterne …«

Geary versuchte, seine gereizte Stimmung zu kontrollieren, während der Lieutenant immer noch redete. Desjani trommelte mit den Fingern auf die Armlehne und machte keinen Hehl aus ihrer Ungeduld. Man konnte sich gut vorstellen, was sie in diesem Moment Lieutenant Reynardin an den Kopf geworfen hätte, hätte der sich in Rufweite aufgehalten.

Rione musste Geary und Desjani angemerkt haben, wie ungehalten sie waren. »Lieutenant Reynardin hat sein Schiff und vermutlich viele Freunde und Kameraden verloren. Er wird bestimmt unter Schock stehen.«

»Er ist ein Offizier der Flotte«, gab Desjani schroff zurück. »Vielleicht wird er uns ja dann endlich etwas Nützliches berichten, wenn er die Nachricht von Captain Geary erhält, mit der er um Informationen zur Lage bittet.«

Dass er sie erhalten hatte, war wenige Minuten später zu merken, da Lieutenant Reynardin abrupt verstummte. »Captain Geary. Sir, das ist mir eine Ehre … ich … Ihre Befehle. Ja, Sir. Was geschehen ist. Wir haben einen Überraschungsangriff auf die Syndiks gestartet. Das war Admiral Tagos’ Idee. Um die Syndiks aus der Ruhe zu bringen.«

»Tagos?«, murmelte Desjani und schüttelte den Kopf. »Wie zum Teufel hat sie es bis zum Admiral geschafft?«

»Admiral Tagos war auf der Auspicious«, fuhr der Lieutenant fort. »Ich habe nicht alle Treffer gesehen, die das Schiff einstecken musste, aber auf jeden Fall ist es explodiert, und ich bin mir sicher, es gab keine Überlebenden.«

Geary nickte betrübt und konnte sich nur zu gut vorstellen, dass Tagos ihres »Kampfgeistes« wegen zum Admiral befördert worden war, den sie sogleich unter Beweis gestellt hatte, indem sie sich kopfüber in ein völlig aussichtsloses Gefecht stürzte.

»Avenger und Auspicious. Das sind zwei Allianz-Schlachtkreuzer«, merkte Desjani an, während Reynardin wie ein Wasserfall redete und redete. »Vielleicht übernimmt ja mal ein anderer die Komm-Verbindung.«

»Wollen wir’s hoffen.« Da die nächsten Rettungskapseln immer noch über zwei Lichtstunden entfernt waren, würde es sich zu einem langen und ermüdenden Prozess hinziehen, ihn dazu zu bringen, sich nur auf die gestellten Fragen zu konzentrieren und diese zu beantworten.

»Es war einfach schrecklich«, fuhr Reynardin unverändert fort. »Einfach … alles. Und dann …«

»Kann nicht irgendjemand diesen Mann erschießen?«, grummelte Desjani.

»Er steht unter Schock«, verteidigte Rione den Lieutenant beharrlich.

Ihr Einwand wurde jäh unterbrochen, da der Komm-Wachhabende rief: »Captain, eine andere Kapsel ruft uns.«

»Stellen Sie sie durch!«, rief Desjani im Tonfall eines Menschen, der soeben vor weiterer Folter bewahrt worden war.

Dieser Offizier hörte sich gleich nach einem gefassteren Individuum an. »Hier spricht Ensign Hochin, Sir. Offizier der Höllenspeer-Batterie der Peerless. Ich fürchte, ich kann nur etwas über den Status der Allianz-Streitmacht in dem Moment sagen, als wir die Peerless evakuierten.«

»Das ist doch schon mal etwas.« Desjani sah zu Geary. »Die Peerless war ein Schlachtschiff aus der gleichen Division wie die Dreadnaught

Was bedeutete, dass die Dreadnaught entweder erst gar nicht mitgekommen war oder – was wahrscheinlicher war – dass sie die Flucht nach Varandal hatte antreten können. Geary verspürte tiefe Erleichterung angesichts der Erkenntnis, dass das Schiff seiner Großnichte nicht hier zerstört worden war. Sogleich regte sich sein schlechtes Gewissen, denn das bedeutete, dass stattdessen ein anderes Schiff dieses Schicksal erlitten hatte.

»Wir hatten fünf Schlachtkreuzer«, berichtete der Ensign weiter. »Ich weiß, wir haben die Avenger verloren. Sechs Schlachtschiffe. Soweit mir bekannt, wurde von denen nur die Peerless zerstört.«

»Oh verdammt!«, fluchte Desjani plötzlich. »Daran habe ich ja gar nicht gedacht. Die Rettungskapseln, die uns am nächsten sind, stammen von jenen Allianz-Schiffen, die als Erste zerstört wurden. Die Kapseln verfügen nur über rudimentäre Sensoren, also werden sie nicht viel davon mitbekommen haben, was geschehen ist, nachdem ihre Schiffe zerstört wurden. Um mehr darüber zu erfahren, wie viele Allianz-Schiffe es zurück zum Sprungpunkt geschafft haben, müssen wir warten, bis wir von einer Kapsel der Intractable hören.«

»Also noch eine Stunde länger?«, fragte Geary.

»Mindestens.«

Unterdessen redete Hochin weiter. »Ich nehme an, Sie beabsichtigen, die im System gebliebenen Syndiks zu vernichten, aber Sie sollten wissen, dass wir von einigen Überlebenden der Mantle das Gerücht gehört haben, einer der Schweren Kreuzer der Syndiks habe Rettungskapseln von der Peerless an Bord genommen. Man redet von vierzig bis sechzig von unseren Leuten, aber es könnten auch weniger gewesen sein.«

»Verdammt!« Geary musterte die Positionen der gegnerischen Schweren Kreuzer auf dem Display. »Auf welchem sind sie?«

»Soweit wir das nach den Positionen der Rettungskapseln der Mantle und nach deren Beschreibungen über den Kurs des Syndik-Kreuzers bestimmen können«, redete Hochin weiter, als hätte Geary gar nichts gesagt, »sollte sich das Schiff ungefähr eineinhalb Stunden vom Stern Atalia entfernt aufhalten, leicht oberhalb der Systemebene, relativ nahe an einer geraden Linie zwischen dem Sprungpunkt von Kalixa und dem Stern. Die Leute von der Mantle sprachen davon, dass der Syndik-Kreuzer im Bugbereich schwer beschädigt sein soll.«

»Der da!«, rief der Wachhabende der Gefechtssysteme plötzlich triumphierend. »Wir müssen den Kurs noch zurückberechnen, aber es muss der da sein.«

»Ist der Bug beschädigt?«, wollte Desjani wissen.

»Ja, Captain, sehr sogar.«

»Exzellent.« Desjani nickte Geary zu. »Dieser Ensign hätte eine Beförderung zum Lieutenant verdient.«

»Erinnern Sie mich später daran.« Der fragliche Schwere Kreuzer war im vorderen Bereich massiv aufgerissen, während seine Antriebseinheiten immer noch funktionstüchtig zu sein schienen. Seit man die Allianz-Flotte bemerkt hatte, hatte er auf 0,06 Licht beschleunigt. »Können wir ihn abfangen?«

»Nicht mit der Illustrious-Formation, Sir«, meldete der Ablauf-Wachhabende. »Wenn die erst mal abgebremst hat, um die anderen Rettungskapseln zu bergen, wird sie nicht schnell genug beschleunigen können, um den Kreuzer noch zu erreichen.«

»Und wie sieht es mit uns aus?«, wollte Geary wissen.

Der Wachhabende berechnete Kurs und Geschwindigkeit, dann folgte eine unzufriedene Geste. »Das Achte Leichte Kreuzergeschwader an der Steuerbordseite unserer Formation könnte die Syndiks mit dem geringsten Aufwand erreichen. Das Dreiundzwanzigste Zerstörergeschwader könnte es dabei begleiten.«

Geary verglich die Waffensituation dieser Schiffe mit dem Bestand, über den der Schwere Kreuzer der Syndiks vermutlich noch verfügte. »Das sollte genug Feuerkraft sein, aber hier geht es nicht nur darum, diesen Kreuzer außer Gefecht zu setzen. Wir müssen unsere Leute von diesem Schiff holen, aber Leichte Kreuzer und Zerstörer haben keine Marines an Bord.«

»Fordern Sie sie auf, sich zu ergeben«, drängte Rione.

»Das war bislang nicht besonders oft von Erfolg gekrönt, Madam Co-Präsidentin.«

»Vielleicht wird es diesmal anders sein. Was haben Sie zu verlieren, wenn Sie deren Kapitulation fordern?«

»Nicht viel«, räumte Geary ein.

»Sie könnten ihnen vorschlagen«, fuhr sie fort, »dass Sie ihren Schweren Kreuzer nicht in Stücke schießen werden, wenn sie unsere Leute freilassen.«

Geary spürte, wie die Stimmung auf der Brücke umschlug. Desjani meldete sich zu Wort, hörte sich aber eher so an, als führe sie ein Selbstgespräch: »Der Dauerbefehl besagt, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um den Feind zu vernichten. Es ist untersagt, Streitmächte der Syndiks entkommen zu lassen, solange sie noch über irgendwelche Art von Gefechtstauglichkeit verfügen.«

Als Flottenbefehlshaber konnte er sich über solche Befehle hinwegsetzen, doch in diesem Fall erschien ihm das nicht als der richtige Weg. Was konnte er den Syndiks sonst bieten?

Rione sah sich frustriert um. »Verhandeln Sie mit ihnen, Captain Geary! Wenn Sie ihnen schon nicht ihr Schiff lassen wollen, dann liegt immer noch das Leben der Besatzung in Ihren Händen.«

Er schnaubte aufgebracht. »Syndik-Befehlshaber sind nicht dafür bekannt, großen Wert auf das Leben ihrer Besatzung zu legen.«

»Manche schon! Sie haben selbst angemerkt, dass manche Crew viel zu früh die Rettungskapseln aufgesucht hat. Warum sollten die Kommandanten den Befehl dazu geben, wenn ihnen das Schicksal ihrer Leute egal wäre?«

Das war ein gutes Argument. In diesen Fällen konnte es sein, dass an Bord Panik ausgebrochen war, aber es war auch möglich, dass der jeweilige Captain um das Wohl seiner Untergebenen besorgt gewesen war. »Und auch wenn der Kommandant sich nicht um seine Crew schert, sind die Leute selbst vielleicht daran interessiert zu überleben.« Er zeichnete eine Forderung auf und schickte sie ab, dann befahl er dem Achten Leichten Kreuzergeschwader und dem Dreiundzwanzigsten Zerstörergeschwader, ein wenig mehr zu beschleunigen und auf einen Abfangkurs zu dem Schweren Kreuzer der Syndiks zu gehen. Schließlich lehnte er sich nach hinten und bemühte sich, Ruhe zu bewahren, obwohl er sich zunehmend rastlos fühlte.

»Captain?«, meldete sich auf einmal der Wachhabende der Gefechtssysteme zu Wort. »Der Schaden an dem Syndik-Kreuzer, der unsere Rettungskapseln an Bord genommen hat, ist irgendwie eigenartig.«

Desjani sah den Wachhabenden an. »Was verstehen Sie unter ›eigenartig‹?«

»Wir haben die Sensoren darauf gerichtet, und die Analyse des Schadens ergibt, dass der nicht durch eine Vielzahl von Einschlägen verursacht wurde, sondern durch einen einzigen Treffer.«

»Ein einziger Treffer?« Desjani machte eine nachdenkliche Miene. »Was könnte das gewesen sein?«

»Unbekannt, Captain. Keine Waffe, über die die Allianz verfügt, könnte so etwas bewirken.«

Desjani dachte nach. »Könnte es ein Zusammenstoß gewesen sein?«

Der Wachhabende führte einige Berechnungen durch. »Theoretisch wäre das möglich, Captain. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, dass die Folgen nicht noch gravierender ausfallen würden. Was immer es auch gewesen sein mag, es ist genau in den Bug eingeschlagen, und da der gesamte Bug in Mitleidenschaft gezogen wurde, kann es kein kleines Objekt gewesen sein.«

»Hmm, das ist wirklich eigenartig. Aber solange wir keinen konkreteren Hinweis auf die Ursache finden, werden wir davon ausgehen, dass das Schiff mit irgendetwas kollidiert ist. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie eine bessere Erklärung für diesen Schaden finden.« Plötzlich drehte sie sich zu Geary um, als sei ihr aufgefallen, dass er etwas sagen wollte. »Sir?«

»Warum sind sie nach Varandal gesprungen?«, fragte er sie.

»Die Syndik-Reserveflotte? Um den Teil der Allianz-Streitmacht zu zerstören, der aus dem System entkommen ist.«

»Aber der Befehl muss gelautet haben, uns zu stoppen, bevor wir nach Varandal gelangen können. Syndiks improvisieren nicht, wenn es um ihre Befehle geht.« Geary musterte sein Display, als sei dort irgendwo die Antwort auf seine Überlegungen zu finden. »Warum sind sie nicht geblieben, um uns anzugreifen, sobald wir hier eintreffen?«

»Dann müssen sie den Befehl gehabt haben, nach Varandal zu springen. Die Allianz-Schiffe, die herkamen, trafen zufällig auf die Syndik-Flotte, die auf dem Weg zum Sprungpunkt war.« Desjani gab einige Befehle ein, dann nickte sie. »Ja, das passt zu der Verteilung der Trümmer im System. Die Reserveflotte sollte also gar nicht hier auf uns warten, sondern Varandal angreifen und uns dort auflauern, damit sie uns attackieren können, wenn wir nicht mehr mit ihnen rechnen, und wenn unsere Brennstoffzellen fast ganz am Ende sind.«

Das klang überzeugend, auch wenn da immer noch irgendwas war, das ihm nicht gefiel. »Es wäre viel einfacher gewesen, das hier bei Atalia zu erledigen.« Niemand sagte etwas dazu, also lehnte er sich zurück und ließ seine Gedanken schweifen, die diesmal kein Ziel fanden.

Ihm war nicht bewusst, wie viel Zeit verstrichen war, als der Komm-Wachhabende ihn auf einmal ansprach: »Captain Geary, Sir. Der befehlshabende Offizier des Syndik-Kreuzers hat sich gemeldet. Sie bietet uns an, die Gefangenen an uns auszuliefern, wenn Sie sich einverstanden erklären, nicht auf ihre Rettungskapseln zu schießen.«

»Das ist eine Falle«, erklärte Desjani sofort. »Oder ein Trick.«

»Könnte sein«, stimmte Geary ihr zu, während er die eingehende Mitteilung annahm.

Auf dem Display tauchte das Gesicht der Befehlshaberin des feindlichen Schiffs auf. Sie hatte einen trotzigen Gesichtsausdruck, aber über ihren Augen lag ein glasiger Schimmer, als stünde auch sie noch unter Schock. »Mein Schiff kann sich gegen einen Angriff nicht zur Wehr setzen. Ich bin bereit, Ihnen meine Gefangenen zu übergeben, wenn Sie meine Crew nicht angreifen. Ich werde als Geisel mit den Gefangenen an Bord bleiben, nachdem meine Besatzung sich in den Rettungskapseln in Sicherheit gebracht hat. Ich werde keinen Widerstand leisten, wenn Ihr Personal an Bord kommt, damit Sie Ihre Leute abholen können. Sollten Sie allerdings versuchen, mein Schiff in Ihre Gewalt zu bringen, dann werde ich es zerstören. Das sind meine Bedingungen. Wenn Sie nicht damit einverstanden sind, werde ich bis zum Tod meines Schiffs und aller an Bord befindlichen Personen kämpfen.«

»Ein besseres Angebot bekommen Sie nicht«, urteilte Rione.

»Auch kein riskanteres«, wandte Desjani ein. »Sie könnte warten, bis wir nahe genug sind, und dann ihr Schiff in die Luft jagen.«

Es war keine einfache Entscheidung. Bislang hatten sich die Syndiks selten als vertrauenswürdig erwiesen. »Irgendetwas ist mit ihr los«, überlegte er. »Sehen Sie sich diesen Blick an. Sie wirkt zutiefst erschüttert.«

Desjani kniff die Augen zusammen, während sie die Syndik-Befehlshaberin musterte. »Die haben hier gewonnen. Es ist seltsam, dass sie so dreinschaut. Vielleicht ist sie verletzt worden.«

»Ja, vielleicht.« Alle warteten gebannt. Nur er konnte die Entscheidung treffen – wieder einmal. Er musste an Colonel Carabalis Bemerkung denken: darüber entscheiden zu müssen, wer leben durfte und wer zu sterben hatte. Er wollte das nicht erneut tun, doch es führte kein Weg daran vorbei. »Also gut, ich werde auf ihre Bedingungen eingehen. Nur so können wir die Gefangenen retten. Ansonsten müssten wir sie auf dem Kreuzer ihrem Schicksal überlassen und zusehen, wie der uns entkommt.«

Desjani verzog keine Miene, während sie etwas auf ihrem Display eintippte. »Ich empfehle Ihnen, die Rifle und die Culverin aus der Gruppe der Zerstörer zu nehmen, die ohnehin auf Abfangkurs zu diesem Schweren Kreuzer sind. Sie müssen dicht heranfliegen und ihre Vektoren anpassen, dann müssen sie Leinen spannen und die Gefangenen manuell an Bord holen. Der Rest des Geschwaders soll die Rettungskapseln der Syndiks in Schach halten.«

Geary nickte zustimmend. »Und was ist mit den Leichten Kreuzern?«

»Die würde ich um den Schweren Kreuzer herum verteilen«, schlug Desjani vor. »Sie sollen den Eindruck erzeugen, dass sie noch näher herankommen werden. Falls die Syndiks planen, ihr eigenes Schiff in die Luft zu jagen, werden sie mit etwas Glück damit warten, weil sie hoffen, noch ein paar von unseren Leichten Kreuzern mit in den Tod zu nehmen.«

»Alles klar.«

Nicht ganz zwei Stunden später glitten die Rifle und die Culverin in ihre Positionen und passten Geschwindigkeit und Kurs an das Syndik-Schiff an. Als das Manöver abgeschlossen war, bewegten sich die drei Kriegsschiffe immer noch mit beträchtlicher Geschwindigkeit durchs All, blieben aber relativ zueinander so exakt auf ihren Positionen, dass es schien, als stünden sie erstarrt im Raum. Nicht weit entfernt war eine kleine Anzahl von Syndik-Rettungskapseln unterwegs, mit denen sich die Crew des Kreuzers in Sicherheit brachte.

Die Dreiergruppe war zu dem Zeitpunkt bereits fast vierzig Lichtminuten von der Hauptflotte der Allianz-Schiffe entfernt. Die Gruppe um die Illustrious hatte sich sogar noch weiter zurückfallen lassen, sodass die Distanz zu ihr mehr als eine Lichtstunde betrug. Die Hauptflotte hatte unterdessen längst einen weiteren Schweren und einen Leichten Kreuzer der Syndiks flugunfähig geschossen und war nur noch gut fünf Lichtminuten von einem beschädigten Syndik-Schlachtkreuzer entfernt, der sich mit finsterer Entschlossenheit in sein Schicksal gefügt zu haben schien.

Ohne eingreifen zu können, sah Geary mit an, wie zwischen dem Syndik-Kreuzer und den beiden Zerstörern Leinen gespannt wurden und sich Matrosen in Schutzanzügen auf das Syndik-Schiff zubewegten. Quälende Minuten vergingen, dann legten deutlich mehr Personen in Schutzanzügen die Strecke in umgekehrter Richtung zurück. Als Ruhe einkehrte und die Leinen eingeholt wurden, fragte er: »Wie viele?«

»Die Flottensensoren zählen sechsunddreißig Personen mehr, als auf das Syndik-Schiff gegangen sind, Sir.«

»Sechsunddreißig.« Er sah zu Desjani. »Sieht so aus, als hätte diese Syndik Wort gehalten.«

»Wir werden sehen, was die Befehlshaber der Rifle und der Culverin zu berichten haben, wenn ihre Nachrichten in gut vierzig Minuten eintreffen«, brummte Desjani.

Fünf Minuten darauf befanden sich die Leichten Kreuzer und Zerstörer auf dem Rückflug zu den übrigen Allianz-Schiffen, und die Rettungskapseln der Syndiks entfernten sich stetig weiter von ihrem Mutterschiff, als auf einmal der Schwere Kreuzer in einer Feuerwolke verging. »Eine Überladung des Hauptantriebs. Aber wieso jetzt?«, überlegte Desjani. »Eine verspätet aktivierte Sprengfalle?«

»Vielleicht. Falls ja, können wir von Glück reden, dass sie so lange verzögert wurde, bis alle in Sicherheit waren.« Er fragte sich, was mit der Syndik-Befehlshaberin geschehen sein mochte, die versprochen hatte, an Bord ihres Schiffs zu bleiben.

Keine zwanzig Minuten später kreuzte die Allianz-Flotte die Flugbahn des ersten beschädigten Schlachtkreuzers der Syndiks. Da sie weder Zeit noch Brennstoffzellen vergeuden wollten, befahl Geary einfach einem halben Dutzend Schlachtschiffe, den Kurs gerade weit genug zu ändern, um dicht am gegnerischen Kreuzer vorbeifliegen zu können. Obwohl die Syndiks noch über einige funktionstüchtige Waffen verfügten, konnten die Schlachtschiffe der Allianz mühelos mit Höllenspeeren aus nächster Nähe die Schilde durchdringen und den Kreuzer systematisch schrottreif schießen. »Alle Systeme auf dem feindlichen Schlachtkreuzer sind tot. Crew verlässt das Schiff.«

Desjani summte eine Melodie vor sich hin, als sie zusah, wie das Wrack hinter der Allianz-Flotte steuerlos durchs All trudelte.

Kurz darauf ging eine Meldung von der Rifle ein. Der Captain des Zerstörers blickte irritiert drein. »Wir haben fünfzehn befreite Gefangene an Bord, Captain Geary. Etliche von ihnen habe schwere Verletzungen davongetragen, aber nur eine Erstversorgung erfahren. Außerdem ist die Befehlshaberin des Kreuzers bei uns. Sie bat darum, von uns festgenommen zu werden. Ich bitte um Anweisungen, wohin wir mit ihr und dem verletzten Allianz-Personal sollen.«

Desjani starrte auf das Nachrichtenfenster ihres Displays. »Erst wollen ein paar von unseren befreiten Kriegsgefangenen verhaftet werden, und jetzt kommt eine Syndik-Offizierin mit dem gleichen Anliegen daher? Ist das Universum verrückt geworden?«

»Sie muss irgendeinen Grund dafür haben«, beharrte Rione. »Captain Geary, wir müssen die Syndik auf dieses Schiff holen, damit sie verhört werden kann. Ich bin sicher, dass wir dringend erfahren müssen, was sie über die Dinge weiß, die sich hier abgespielt haben.«

Geary warf Desjani einen fragenden Blick zu, sie nickte sofort. »Die Dauntless kann die Verwundeten aufnehmen, und für die Syndik haben wir eine Zelle übrig.«

Daraufhin schickte Geary seine Antwort an die Rifle, die sich der Dauntless nähern sollte, um ein Shuttle mit dem Personal von Schiff zu Schiff wechseln zu lassen. Die Culverin sollte unterdessen die Amazon anfliegen, die relativ wenig Verletzte zu beklagen hatte.

»Das hat uns einiges gekostet«, merkte Desjani an. »Die Leichten Kreuzer und die Zerstörer, die wir losgeschickt haben, werden deutlich unter zwanzig Prozent der Brennstoffzellen liegen, die Rifle vielleicht sogar bei fünfzehn Prozent.« Dann machte sie eine wegwerfende Geste. »Ach, was soll’s. Wenn unsere Schiffe erst mal bei null angekommen sind, können sie nicht mehr tiefer sinken.«

»Ich hoffe, das war ein Witz«, knurrte Geary.

»Ja, Sir. Leider wurde die Pointe von einem Schwarzen Loch verschluckt.«

»Wie lauteten Ihre Befehle?«

Die gefangene Syndik-Befehlshaberin betrachtete Lieutenant Iger von ihrem Platz im Verhörraum der Dauntless. »Ich bin eine Bürgerin der Syndikatwelten.«

»Gehörte Ihr Schiff zur Reserveflotte?«

Diesmal benötigte sie einen Moment länger, ehe sie wieder antwortete: »Ich bin eine Bürgerin der Syndikatwelten.«

Der Chief am Verhörpult lachte leise. »Erwischt. Lieutenant«, sprach er ins Komm. »Gehirnmuster und physiologische Reaktionen zeigen Erstaunen und Besorgnis. Sie fragt sich, woher wir von der Existenz der Reserveflotte wissen.«

»Wie lange gehörte Ihr Schiff zur Reserveflotte?«

»Ich bin eine Bürgerin der Syndikatwelten.«

Der Chief runzelte beim Anblick der Anzeigen die Stirn. »Lieutenant, ich bekomme kein klares Bild. Es gibt zwar emotionale Reaktionen, aber ich kann nicht sagen, was sie bedeuten. Versuchen Sie, sie mit einer Charakterisierung der Reserveflotte zu ködern.«

Lieutenant Iger nickte, als würde er der letzten Aussage der Befehlshaberin zustimmen, doch in Wahrheit galt seine Reaktion den Worten des Chiefs. »Stimmt es«, fragte er, »dass die Reserveflotte sich aus der Elite der Syndikatflotte zusammensetzt?«

Sogar Geary konnte die Reaktion erkennen, die diese Frage auslöste.

»Das hat ihr gar nicht gefallen«, meldete der Chief. »Sieht nach Ablehnung und Wut aus.«

Desjani schnaubte verächtlich. »Ihr Kreuzer gehörte offensichtlich nicht zur Reserveflotte. Es sieht ganz so aus, als ob sich die Reserveflotte für etwas Besseres hält und keine Probleme damit hat, das jeden anderen Syndik spüren zu lassen.«

Lieutenant Iger ließ die nächste Frage folgen. »Welche Pläne hat die Reserveflotte, wenn sie in Varandal eintrifft?«

»Ich bin eine Bürgerin der Syndikatwelten.«

»Lieutenant, es haben keine Täuschungszentren aufgeleuchtet«, ließ ihn der Chief wissen. »Wenn ihr die Pläne bekannt wären, hätte sie daran denken müssen, das mit einer Lüge zu tarnen. Das hätten wir gesehen.«

»Danke, Chief.« Geary sah zu Desjani und Rione. »Wenn ihr Schiff nicht zur Reserveflotte gehört hat, wird man sie wahrscheinlich nicht in den Plan eingeweiht haben. Chief, Lieutenant Iger soll fragen, warum sich niemand von ihrer Crew an ihrem Befehl gestört hat, das Schiff aufzugeben.«

Einen Augenblick später stellte Iger diese Frage. Die Commanderin presste unübersehbar die Lippen zusammen, und der Chief am Verhörpult stieß einen lauten Pfiff aus, als er den Ausschlag auf seinen Anzeigen sah. Da die Syndik diesmal stumm geblieben war, hakte Iger nach: »Wir wissen, dass die Syndikatwelten die Kapitulation verbieten. Hatten Sie keine Angst vor den Folgen Ihres Handelns?«

Der Chief nickte, als weitere Lichter auf dem Scandisplay aufleuchteten. »Sie war besorgt, aber wohl nicht so sehr um sich selbst, Lieutenant.«

Iger schürzte die Lippen, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. »Waren Sie nicht in Sorge, was aus Ihrer Familie werden könnte?«

»Volltreffer, Lieutenant«, meldete der Chief. »Sieht aus, als würde ihr das große Sorgen bereiten.«

»Warum haben Sie Ihr Schiff aufgegeben?«, bohrte Iger nach, während sie ihn nur weiter anstarrte und nichts sagte.

Desjani verzog den Mund, als sie die Offizierin eingehend betrachtete. »Chief, der Lieutenant soll fragen, ob sie irgendwelche Fragen hat.«

Den Chief schien das zu erschrecken, aber er gab die Anweisung weiter.

Nachdem die Frage ausgesprochen worden war, schwieg die Frau ein paar Sekunden lang, dann sagte sie zögerlich: »Sind … meine überlebenden Crewmitglieder unversehrt … so wie vereinbart?«

Das verstand Geary und nickte Desjani zu, die einen zufriedenen Eindruck machte. »Sie wollte ihre Crew retten. Das konnte sie nur, indem sie kapitulierte, aber das durfte sie ihren Leuten nicht sagen. Auch wenn keiner ihrer Offiziere widersprochen hätte, fürchtete sie, die Syndik-Führer könnten ihrer Familie etwas antun, wenn sie erfahren, dass sie sich ergeben hat.«

Er betätigte eine Taste, sodass seine Stimme in den Verhörraum übertragen wurde. »Commander.« Sie und Lieutenant Iger sahen zu dem Schott, in dem sich die Lautsprecher befanden. »Ihre Crew ist in Sicherheit. Möchten Sie irgendeine Nachricht an sie senden?«

Der Chief pfiff leise. »Massiver Angst-Anstieg. Aber nicht auf sich selbst bezogen.«

Die Syndik atmete tief durch. »Nein, meine Crew soll glauben, dass ich auf dem Schiff gestorben bin.«

»Haben Sie das Ihrer Crew gesagt?«, fragte Geary. »Dass Sie auf dem Schiff bleiben, um sich zu opfern? Haben Sie Ihre Crew belogen?«

»Von hier betrachtet sieht das ganz so aus«, warf der Chief ein.

Aufgebracht sah die Syndik Iger an. »Ja, ich habe meine Crew belogen. Ich habe behauptet, ich würde mein Schiff sprengen, sobald die Allianz-Schiffe nahe genug sind. Hätte ich das tatsächlich getan, dann hätten Sie im Gegenzug meine Crew getötet. Ich habe gelogen, damit sie das Schiff verlassen und zu Hause davon erzählen, dass ich in Erfüllung meiner Pflicht ums Leben gekommen bin.« Ihr Blick wanderte im Verhörraum umher, als suche sie die Kamera, die Geary benutzte, um sie zu beobachten. »Ich hätte mein Schiff bis zum Tod verteidigt, wenn damit irgendetwas zu erreichen gewesen wäre. Aber wir waren völlig hilflos. Trotzdem hätte ich mich mit niemand anderen auf diesen Handel eingelassen als mit Captain Geary. Ich habe zu oft mitansehen müssen, wie Rettungskapseln der Syndikatwelten allein zum Spaß abgeschossen wurden.«

Geary bemerkte, dass Desjani einen roten Kopf bekam. »Selbstgerechtes Miststück«, spie sie aus. »Wahrscheinlich hat sie auch unsere Rettungskapseln abgeschossen.«

Hastig überlegte Geary, wie er das Thema wechseln konnte, dann öffnete er das Mikrofon. »Fragen Sie sie, was den Schaden an ihrem Schiff verursacht hat.«

Als die Frage weitergeleitet wurde, sah die Offizierin Iger starr an, ihr Gesicht wurde leichenblass.

»Wow«, staunte der Chief. »Heftige Reaktion. Sie ist sehr aufgebracht über was auch immer den Schaden verursacht hat, Lieutenant.«

Iger wiederholte die Frage.

Sie starrte ihn weiter an. »Sie kennen die Ursache.«

»Nein«, erwiderte Iger ruhig. »Die kennen wir nicht.«

»Mein Schiff kam von Kalixa her! Beantwortet das Ihre Frage?«

Lieutenant Iger sah sie verwirrt an, auch wenn Geary vermutete, dass er diese Gefühle absichtlich erkennen ließ. »Nein, das beantwortet die Frage nicht. Ist bei Kalixa etwas vorgefallen?«

»Spielen Sie nicht den Ahnungslosen! Was bei Kalixa passiert ist, das ist doch Ihr Werk!«

Geary aktivierte abermals das Komm. »Was ist bei Kalixa passiert, Commander?«

Die Frau schaute sich weiter zornig um, antwortete aber nicht.

Erneut begann der Chief zu pfeifen. »Überall Ausschläge. So als ob sie außer sich ist vor Wut, aber nicht so recht weiß, ob sie lügen oder die Wahrheit sagen oder mit Gegenständen um sich schmeißen soll.«

Doch dann schien sich die Befehlshaberin gegen einen Gewaltausbruch entschieden zu haben. Sie saß nur noch da und blickte finster drein. »Also gut, dann tun wir eben so, als wüssten Sie nicht, dass das Hypernet-Portal bei Kalixa explodiert ist und das gesamte Sternensystem verwüstet wurde.«

Geary stockte der Atem, Rione stieß einen erstickten Laut aus, und Desjani konnte die Syndik-Befehlshaberin nur sprachlos ansehen.

Betont langsam erwiderte Lieutenant Iger: »Diese Flotte ist dafür nicht verantwortlich. Wir wissen nichts von diesem Vorfall. Keine Einheit dieser Flotte ist überhaupt nach Kalixa gereist.«

Die Syndik starrte ihn weiter an, aber ihr war deutlich anzusehen, wie aufgewühlt sie war.

»Woher weiß sie, was bei Kalixa geschehen ist?«, überlegte Rione. »Das muss doch erst vor Kurzem passiert sein.«

»Das ist offensichtlich«, sagte Desjani. »Der beschädigte Bug ihres Schiffs, der aussieht, als stamme er von einem einzigen Treffer. Ihr Schwerer Kreuzer muss weit genug vom Portal entfernt gewesen sein, um zu überleben, aber er ist dabei schwer beschädigt worden. Dieser Kreuzer wurde nicht hier im Atalia-System von den Allianz-Schiffen aus Varandal so zugerichtet. Er traf schon in diesem Zustand hier ein.« Sie schien über etwas nachzudenken. »Wenn ich überlege, wie das Schiff ausgesehen hat, dann muss die Energieentladung aus dem zusammenbrechenden Portal bei Kalixa deutlich größer gewesen sein als bei Lakota.«

»Aber wodurch ist es zusammengebrochen?«, wollte Geary wissen.

Lieutenant Iger stellte genau in diesem Moment die entsprechende Frage. »Commander, hielten sich Allianz-Kriegsschiffe im Kalixa-System auf, als das Hypernet-Portal zusammenbrach?«

»Sie erwägt eine Lüge, Lieutenant«, meldete der Chief. »Nein, jetzt doch die Wahrheit.«

»Nein«, antwortete die Syndik.

»Wessen Kriegsschiffe hielten sich dann bei dem Hypernet-Portal auf, als es kollabierte?«

»Da waren überhaupt keine Kriegsschiffe!«, schrie die Frau, die unter dem Eindruck der Erinnerungen offenbar die Nerven verlor. »Nichts war in der Nähe! Es brach einfach zusammen, die Trossen versagten schlichtweg! Ein Handelsschiff irgendwo im System hatte Bilder gesehen von … von Lakota. Es sendete eine Warnung aus und bat um Hilfe. Alle riefen sie plötzlich um Hilfe! Wir waren weit entfernt, in der Nähe des Sprungpunkts nach Atalia. Wir drehten den Bug zum Hypernet-Portal und verstärkten unsere Schilde. Wir überlebten nur mit knapper Not! Kalixa …« Sie atmete tief durch, ihr schauderte. »Alles wurde zerstört. Alles … alle tot. Alle.«

»Die Wahrheit«, ließ der Chief Iger wissen.

»Kein Wunder, dass sie so erschüttert wirkte, als wir sie das erste Mal sahen«, merkte Desjani leise an. »Schlimmer als Lakota … das ist das erste Mal, dass ich mit einem Syndik Mitgefühl habe.«

Iger starrte die Befehlshaberin an und war jetzt selbst kreidebleich geworden. »Das waren wir nicht.«

Aber sie redete weiter, ihre Stimme schwankte vor Aufregung. »Wir sprangen hierher. Befehle. Geht nach Atalia. Wir fanden hier etliche Schiffe vor. Die Reserveflotte, sagten sie. Wir meldeten den CEOs, was geschehen war. Sie glaubten uns nicht und wollten unsere Aufzeichnungen sehen. Dann befahlen sie uns, unsere zugewiesenen Aufgaben zu erledigen. Die Flotte machte kehrt und nahm Kurs auf den Sprungpunkt nach Varandal. Sie ließen uns einfach zurück. Dann tauchte auf einmal die Allianz auf, und es kam zu einem Gefecht.« Sie schluckte und holte tief Luft. »Danach kreuzten Rettungskapseln der Allianz unseren Kurs. Dauerbefehl. Gefangene machen, wenn es möglich ist. Das haben wir getan.«

Iger wartete ab und wirkte ein wenig hilflos, woraufhin Geary dem Chief ein Zeichen gab. »Sagen Sie dem Lieutenant, er soll der Syndik eine Pause gönnen. Und stellen Sie fest, ob sie medizinisch versorgt werden muss. Captain Desjani, Co-Präsidentin Rione, kommen Sie bitte mit.«

Schweigend folgten sie ihm in den Konferenzraum, wo Geary die Luke hinter ihnen versiegelte. »Es gibt nur eine Erklärung für das, was bei Kalixa geschehen ist.«

»Das waren sie«, sagte Desjani und setzte eine finstere Miene auf. »Die Aliens dachten, wir würden nach Kalixa fliegen. Sie haben das Tor ausgelöscht, das wir hätten benutzen können.«

»Warum haben sie dann nicht damit gewartet, bis wir dort waren? Dann hätte die Energieentladung unsere Flotte getroffen.«

Desjani legte die Stirn in Falten. »Dazu müssten sie wissen, wo wir … ja, genau. Sir, das ist die Antwort. Sie können unsere Bewegungen durch das Syndik-Territorium nicht länger nachverfolgen. Sie wussten immer in Beinahe-Echtzeit, wo wir uns befanden und wohin wir unterwegs waren, und sie konnten entsprechend reagieren. Aber seit wir die Würmer in den Navigations- und Kommunikationssystemen unserer Schiffe entdeckt und sie davon gesäubert haben, geht das auf einmal nicht mehr. Sie haben geschätzt, wann wir in Kalixa eintreffen müssten, falls wir geradewegs dorthin springen, und dementsprechend haben sie das Portal hochgehen lassen.«

»Kann das zeitlich hinkommen?« Geary begann zu rechnen, dann schüttelte er den Kopf. »Vielleicht liegen Sie mit ihrer Annahme richtig. Aber die Aliens haben das Portal vor so langer Zeit hochgehen lassen, dass der Syndik-Kreuzer erst noch in dieses System springen und die Nachricht weiterleiten konnte, bevor wir überhaupt hier eingetroffen sind. Sie hätten also viel zu früh losgeschlagen und uns nicht erwischen können.«

»Allerdings haben wir untypisch viel Zeit bei Dilawa verbracht«, wandte Desjani ein, korrigierte die Reisezeiten um diesen Aufenthalt und zeigte auf das Ergebnis.

Er wollte etwas erwidern, aber ihm kam kein Ton über die Lippen. Die Zahlen ließen keinen Zweifel zu. Bei einem zügigen Transit durch Dilawa und einem anschließenden Sprung der Flotte nach Kalixa wären sie eine Woche früher dort eingetroffen. Perfektes Timing.

Rione schüttelte den Kopf. »Selbst wenn Sie Mist bauen, kommt noch was Gutes dabei heraus.«

»Er wird geführt«, erwiderte Desjani.

»Mag sein«, gab Rione zurück. »Allerdings sehe ich das eher so, dass eine sorgfältige Planung die gleichen Vorteile mit sich bringt wie ein göttliches Einschreiten, allerdings ohne göttliche Kapriolen und göttliche Launen. Aber das soll jetzt auch egal sein. Tatsache ist, dass untypisches Zögern und das typische Vermeiden von Sternensystemen mit Hypernet-Portalen dieser Flotte offenbar gut bekommen ist.« Ihre Miene verhärtete sich. »Ein komplettes Sternensystem wurde ausgelöscht, und mit ihm alles menschliche Leben. Die Aliens haben begonnen, was wir befürchtet haben. Sie lassen die Hypernet-Portale zusammenbrechen.«

»Uns bleibt immer noch Zeit, die Lage zu entschärfen«, beharrte Geary. »Das war ein Schuss ins Blaue, und sie haben uns verfehlt. Bis die Aliens erfahren, dass wir uns gar nicht bei Kalixa …«

»Hier geht es nicht nur um die Aliens! Verstehen Sie das nicht?« Rione sah ihn und Desjani aufgebracht an. »Die Syndik-Reserveflotte hat hier auf uns gewartet. Dann erfuhr sie durch den Schweren Kreuzer von den Ereignissen bei Kalixa und machte sich auf den Weg nach Varandal. Offenbar hat der Zusammenbruch des Hypernet-Portals bei Kalixa dazu geführt, dass sich ihr Einsatzbefehl geändert hat. Und jetzt überlegen Sie mal! Warum sollten sie nach Varandal aufbrechen, nachdem sie erfahren haben, was im Kalixa-System passiert ist?«

Desjani antwortete im Flüsterton. »Das Hypernet-Portal der Allianz bei Varandal! Sie wollen Vergeltung üben und das Portal zerstören, weil sie glauben, Kalixa war unser Werk.«

»Ganz genau.« Rione zitterte leicht, so sehr bemühte sie sich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. »Der Kreislauf der Vergeltungsschläge hat bereits begonnen. Der Wunsch der Aliens hat sich erfüllt. Es hat angefangen, und wir kommen zu spät.«

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