Drei

Heradao.

Als die Schiffe der Allianz-Flotte von Dilawa kommend den Sprungraum verließen, war Gearys erster Gedanke, dass es bis nach Hause nur noch drei Sprünge waren.

Sein zweiter Gedanke galt der Frage, wie schwierig es wohl würde, das Heradao-Sternensystem zu durchqueren. Die Antwort darauf sollte er schon bald bekommen.

Die Sensoren der Flotte, die empfindlich genug waren, um auch winzige Objekte über Entfernungen von mehreren Lichtstunden zu erfassen, suchten die Umgebung ab und aktualisierten hektisch das vor Geary befindliche Display.

»Sie sind hier«, stellte Desjani gelassen fest, auch wenn ihre Augen aus Vorfreude auf das bevorstehende Gefecht aufblitzten. »Aber nicht in unserer unmittelbaren Nähe.«

Geary zwang sich ruhig und gleichmäßig zu atmen, während auf seinem Display immer mehr Lichtpunkte aufleuchteten, die feindliche Schiffe darstellten. Die Hauptflotte der Syndiks, die ihre gewohnte Kastenformation eingenommen hatte, war fast vier Lichtstunden entfernt und hielt sich in einem Orbit um den Stern Heradao selbst auf. Eine zweite, deutlich kleinere Flotte befand sich mit rund fünf Lichtstunden noch etwas weiter von den Allianz-Schiffen fort. Wie Desjani bereits gesagt hatte, konnte man nicht von einer unmittelbaren Nähe zu seiner Flotte reden. Selbst wenn die größere Syndik-Flotte sofort aufbrach und auf einen Abfangkurs zu den Allianz-Schiffen ging, würde immer noch mehr als ein Tag vergehen, ehe die beiden Streitkräfte sich einander so weit angenähert hatten, um den Kampf zu beginnen. »Ich dachte, wir würden hier auf mehr Verteidigungsanlagen stoßen, wo wir doch so dicht an der Grenze sind.«

Desjani machte eine vage Geste. »Ja und nein. Es war eigentlich zu erwarten, dass sie mehr und größere Kriegsschiffe in dieses System schicken, um uns aufzuhalten. Diese kleinere Flotte dürfte wohl die Streitmacht darstellen, die üblicherweise Heradao bewacht. Aber es wundert mich nicht, dass hier keine festen Verteidigungseinrichtungen zu entdecken sind. Wir sind noch immer zwei Sprünge von einem an der Grenze gelegenen Syndik-System entfernt. Die Grenzsysteme haben bei der Verteidigung Vorrang. Ganz bestimmt würden die Syndiks auch die weiter von der Grenze entfernten Systeme besser ausstatten, aber sie stehen vor dem gleichen Problem wie wir: die nötigen Ressourcen und finanziellen Mittel fehlen.« Sie rief eine Anzeige auf, die ein riesiges Gebiet des Weltalls zeigte und in deren Zentrum der Grenzverlauf zu erkennen war. »Das ist umso problematischer, da man mit nur einem Sprung hinter die Grenze gleich die Auswahl zwischen verschiedenen anschließenden Systemen hat. Und die wird mit jedem weiteren System immer größer. Das sind schlichtweg zu viele Sternensysteme, als dass es möglich wäre, sie alle mit gleichwertigen Verteidigungsanlagen auszurüsten.«

»Wir waren davon ausgegangen, dass Kalixa stärker verteidigt sein würde«, stimmte Geary ihr zu, »weil es dort ein Hypernet-Portal gibt und das System wohlhabender ist als Heradao.«

»Ja, und wenn wir Padronis erreichen, werden wir vermutlich feststellen, dass dort niemand auf uns wartet, weil es dort nichts gibt, was zu verteidigen sich lohnt. Atalia wird uns viel mehr abverlangen.« Desjani gab einen verärgerten Laut von sich, dann deutete sie auf ihr Display. »Ich habe den Kurs zum Sprungpunkt nach Padronis berechnet. Die Syndik-Verbände befinden sich in Umlaufbahnen, von denen aus es ihnen möglich ist, uns abzufangen, sobald wir den Sprungpunkt ansteuern.«

Geary stutzte, sein Verstand konzentrierte sich auf die Hauptstreitmacht. Während die Allianz-Flotte über zwanzig Schlachtschiffe und sechzehn Schlachtkreuzer verfügte, konnten die Syndiks mit dreiundzwanzig Schlachtschiffen und einundzwanzig Schlachtkreuzern aufwarten, zudem mit etlichen Schweren und Leichten Kreuzern sowie mit Zerstörern, sodass sie auch in dieser Hinsicht einen deutlichen Vorteil hatten. Die zweite feindliche Flotte war erheblich kleiner, sie setzte sich aus einem Dutzend Schwerer Kreuzer und einigen Leichten Kreuzern und Zerstörern zusammen. Die anstehende Konfrontation würde keine Leichtigkeit werden, und wenn er einen Fehler machte, konnte es schlimmer enden als bei Lakota und Cavalos. »Warum stört Sie das?«, fragte er Desjani. »Wir haben damit gerechnet, dass sie versuchen werden uns daran zu hindern, das nächste System zu erreichen.«

»Weil sie uns in dieser Umlaufbahn nicht davon abhalten können, den Sprungpunkt nach Kalixa zu erreichen«, antwortete sie. »Wenn unsere Berechnungen der Verluste der Syndiks, die unsere Flotte ihnen in den letzten Monaten zugefügt hat, auch nur annähernd den Tatsachen entsprechen, dann dürfte das da so ziemlich alles sein, was sie noch aufzubieten haben. Warum stört es sie nicht, dass wir nach Kalixa springen könnten? So gut kann das System auch nicht geschützt sein.«

Dann wurde ihm klar, worauf sie hinauswollte. »Kalixa besitzt ein Hypernet-Portal. Vielleicht wollen sie es hochgehen lassen, sobald wir dort eintreffen.« Unwillkürlich zuckte er zusammen, als er sich vorstellte, ein weiteres bewohntes Sternensystem könnte durch ein kollabierendes Portal verwüstet oder sogar völlig ausgelöscht werden. Angesichts der Taktiken, zu denen die Syndik-Führung in der Vergangenheit gegriffen hatte, war nicht auszuschließen, dass genau das passieren würde.

»Könnte sein«, stimmte Desjani ihm widerstrebend zu. »Es wirkt fast so, als wollten sie, dass wir den Sprungpunkt nach Kalixa ansteuern. Dann könnten sie uns folgen und das beseitigen, was von der Flotte nach dem Kollaps des Hypernet-Portals noch übrig sein wird. Aber die Syndiks wissen auch, dass wir den Zusammenbruch des Portals bei Lakota ohne schwere Schäden überstanden haben, also können sie keine Gewissheit haben, dass ihre Taktik unsere Flotte tatsächlich kampfunfähig machen wird. Wenn wir das überleben, dann wäre diese Flotte dort uns zwar dicht auf den Fersen, könnte uns aber nur einholen, wenn wir absichtlich trödeln. Warum sollten sie so ein Risiko eingehen?«

Sie dachte intensiv darüber nach, und was sie dann sagte, das glich erschreckend dem, was Geary durch den Kopf ging: »Was könnte bei Kalixa noch auf uns warten?«

»Keine Ahnung, aber wenn die Syndiks wollen, dass wir dorthin springen …«

»Dann werden wir genau das erst recht nicht machen.« Hatten die Syndiks mit den Aliens gemeinsame Sache gemacht? Würden sie die Allianz-Flotte das Hypernet-Portal bei Kalixa benutzen lassen, weil sie wussten, die Aliens würden die Allianz-Kriegsschiffe im Hypernet unbemerkt umleiten, damit sie nicht zu Hause auskamen, sondern irgendwo tief im Syndik-Territorium? Diese Flotte konnte es sich nicht erlauben, noch einmal eine langwierige Reise durch von Syndiks kontrollierte Gebiete zu unternehmen. »Unter dem Strich sieht es so aus, dass unsere Überlegungen uns zusätzliche Argumente liefern, warum wir an diesen Schiffen vorbei nach Padronis gelangen sollten, anstatt den Sprung nach Kalixa anzutreten.«

»Ganz meine Meinung«, stimmte Desjani ihm zu. »Außerdem mag ich es nicht, auf Syndik-Schiffe zu treffen und sie unversehrt zurückzulassen. Übrigens … deren Formation sieht diesmal ein wenig verändert aus.«

»Das ist mir auch aufgefallen.« Auch wenn die Syndiks ihre Schiffe insgesamt in einer Kastenformation angeordnet hatten, setzte sich dieser Kasten aus fünf deutlich erkennbaren Unterformationen zusammen, jeweils eine an den vier vorderen Ecken, die fünfte in der Mitte. »Interessant.«

»Ich frage mich, wo sie das wohl gelernt haben«, merkte Desjani ironisch an.

»Die Frage ist, ob sie tatsächlich versuchen werden, diese fünf Unterformationen unabhängig voneinander manövrieren zu lassen, oder ob die sich wie eine geschlossene Formation bewegen werden.« Sollten die Syndiks Ersteres versuchen, dann sprach viel dafür, dass sie ein Fiasko erleben würden, weil man diese Flugmanöver nur durch hartes Training und viel Erfahrung zu beherrschen lernte. Es war unmöglich, dass die Syndiks sich dieses Können in der kurzen Zeit hätten aneignen können. Falls sie dagegen wie eine einzige Formation vorrückten, dann befanden sich die fünf Untergruppen nur noch so gerade eben in genügender Reichweite zueinander, um sich gegenseitig Rückhalt zu geben.

Er löste sich vom Anblick der Syndik-Flotten und wandte sich dem System als Ganzem zu. »Sie haben Wachposten aufgestellt«, sagte er und deutete auf die Sprungpunkte nach Padronis und Kalixa, wo die Sensoren Syndik-Jäger festgestellt hatten. Es würden noch einige Stunden vergehen, bevor einer der Jäger die Lichtwellen zu sehen bekam, die die Bilder von der eintreffenden Allianz-Flotte zeigten, doch sobald das geschah, würden sie zweifellos zum Sprung übergehen, um in den anderen Systemen von der Ankunft des Feindes zu berichten. »Ich schätze, so nahe an der Grenze werden wir keine von den Billig-Korvetten zu sehen bekommen.«

»Vor Corvus hatte ich noch nie eine im Einsatz erlebt«, betonte Desjani.

Die Erwähnung des ersten Sterns, den sie bei ihrem Rückzug aus dem Syndik-Heimatsystem erreicht hatten, ließ Geary an diese Zeit zurückdenken, während sein Blick den Teil des Displays erfasste, der die Allianz-Flotte darstellte. Bei Corvus hatte er noch voller Entsetzen mitansehen müssen, wie seine Flotte förmlich zerfiel, da jedes Schiff auf eigene Faust losraste, um sich auf die schwächeren Syndik-Verteidiger zu stürzen. Doch diese Zeiten lagen weit hinter ihnen. Heute behielt die Flotte ihre Formation bei, da jeder wusste, dass der Gegner unter Gearys Kommando ausgelöscht werden würde. Unwillkürlich fragte er sich, inwieweit die kleinen Gesten wie die Wiedereinführung des Salutierens dazu beigetragen hatten, Disziplin einkehren zu lassen. Die Tapferkeit dieser Besatzungen hatte nie zur Diskussion gestanden, aber jetzt kämpften sie ebenso intelligent wie mutig.

Das Schlachtfeld, auf dem sie dem Feind diesmal gegenübertreten würden, bestand zum größten Teil aus leerem Raum, und was den Rest anging, so war Heradao kein allzu außergewöhnliches bewohntes Sternensystem. Vier Planeten zogen im inneren System ihre Bahnen. Der innerste wies eine Nähe von nur gut zwei Lichtminuten zu seinem Stern auf und raste durch den Orbit, als würde er versuchen, der Hitze und Strahlung zu entkommen, die auf ihn einwirkten. Die anderen drei Planeten waren drei, sieben und neuneinhalb Lichtminuten vom Stern entfernt. Angesichts der Intensität, mit der Heradao strahlte, wies die sieben Lichtminuten entfernte Welt zwar nicht ideale, aber erträgliche Bedingungen für menschliches Leben auf. Also hatten sich Menschen dort niedergelassen, obwohl die Strahlung, mit der der Stern sie bombardierte, hoch genug war, um gesundheitliche Probleme hervorzurufen. Städte und Dörfer übersäten die Planetenoberfläche, und obwohl Heradao vom Syndik-Hypernet ignoriert worden war, musste dieser dritte Planet interessant oder reich genug sein, um erstaunlich gut besiedelt zu sein. Noch überraschender für ein System, das nicht über ein Hypernet-Portal verfügte, war die Erkenntnis, dass auf der kalten vierten Welt mehr menschliche Aktivitäten zu verzeichnen waren als noch zu der Zeit, aus der die erbeuteten alten Unterlagen der Syndiks stammten, die sie bei Sancere in ihren Besitz gebracht hatten. »Finden sich irgendwelche Hinweise darauf, dass auf diesem dritten Planeten immer noch ein Arbeitslager existiert?«

Der Ablauf-Wachhabende nickte. »Jawohl, Sir. Es besteht noch, es wird noch benutzt, und nach den Übermittlungen zu urteilen, die wir empfangen können, befindet sich dort auch nach wie vor Allianz-Personal.«

»Dann sieht es so aus, dass wir dem dritten Planeten einen Besuch abstatten werden, wenn wir diese Syndik-Flotten erledigt haben.« Der mittlere Abschnitt des Systems war leer, wenn man von ein paar Asteroiden und einem Syndik-Schiff absah. Beim nächsten Planeten handelte es sich um einen Gasriesen, der über drei Lichtstunden von der Sonne entfernt seine Bahn zog. Mit seinen zahlreichen Monden wirkte der Gasriese wie sein eigenes Sternensystem, zumal er fast schon groß genug war, um selbst zu einem braunen Zwerg zu werden. Offenbar hatte dieser Riese alles geschluckt, was sich einmal in den äußeren Regionen des Sternensystems befunden hatte. Geary fragte sich, ob die größeren Monde, die in einem weiten Orbit ihre Bahnen zogen, wohl Planeten gewesen waren, bevor der Riese sie an sich gerissen hatte.

Rund um den Gasriesen herrschte viel Aktivität durch die Syndiks, die sich in diesem Moment auf der von der Allianz-Flotte aus gesehen entlegenen Seite des Sterns befanden. Die Anzeigen deuteten auf orbitale Bergbau- und Produktionsanlagen hin, doch ein Umweg zum Gasriesen, um die Rohstoffe zu plündern und an Bord der Hilfsschiffe zu laden, hätte die Flotte zu weit vom Sprungpunkt nach Padronis abweichen lassen.

»Müssen wir kämpfen?«, fragte Rione plötzlich. »Können wir nicht einfach an den Syndiks vorbeifliegen? Sie haben mir doch erzählt, dass Geschwindigkeiten über 0,2 Licht so große relativistische Verzerrungen mit sich bringen, dass die Zielerfassungssysteme der Allianz und der Syndiks das nicht ausreichend ausgleichen können, um noch Treffer zu landen. Wenn diese Flotte schnell genug zum Sprungpunkt nach Padronis fliegt, werden die Syndiks uns keinen Schaden zufügen können.«

»Und wir ihnen auch nicht«, murmelte Desjani so leise, dass Rione davon nichts hören konnte.

Geary dachte kurz darüber nach, schüttelte dann aber den Kopf. »Das wäre zu einfach«, sagte er, und noch bevor sich Rione über seine Antwort ereifern konnte, deutete er auf das Display. »Die Syndiks wissen, dass wir um jeden Preis den Sprungpunkt nach Padronis erreichen wollen. Sie wissen auch, dass wir versuchen könnten, einfach an ihnen vorbeizufliegen, also konnten sie sich entsprechend vorbereiten.«

»Was sollen sie gemacht haben?«, wollte Rione wissen, kam dann aber selbst schnell auf die Antwort: »Minen?«

»Ja, Minen. Sehen Sie sich diese kleine Syndik-Flotte an, genau zwischen der Hauptgruppe und dem Sprungpunkt. Die befindet sich genau in der richtigen Position, um uns Minen in den Weg zu legen. Würden wir so schnell fliegen, dass die Zielerfassungssysteme der Syndiks uns nicht mehr wahrnehmen können, dann wären wir auch zu schnell, um die Minen oder irgendwelche anderen Hindernisse zu erkennen, die uns womöglich den Weg versperren. Sie könnten ihre Minen so dicht anordnen, dass wir keine Chance hätten und genau hineinrasen würden.«

Desjani machte eine nachdenkliche Miene. »So viele Minen dürften sie eigentlich gar nicht mehr haben. Allerdings könnten sie alle Bestände von den anderen Kriegsschiffen auf diese kleinere Flotte umverteilt haben.«

»Wenn wir in ein Minenfeld geraten, lässt sich nicht abschätzen, welche Schiffe getroffen werden«, ergänzte Geary. »Und die höhere Geschwindigkeit würde die Sprengkraft der Minen noch erhöhen.«

Rione schaute einen Moment lang an ihm vorbei, die Stirn in Falten gelegt. Er musste nicht aussprechen, dass es auch die Dauntless sein konnte, die von einer solchen Mine getroffen wurde, und die Dauntless musste unbedingt nach Hause zurückkehren. »Und wie sieht Ihr Plan aus?«

»Ich habe noch keinen.«

»Ihnen war klar, dass wir sehr wahrscheinlich auf Syndiks stoßen würden, wenn wir hier eintreffen. Da werden Sie ja wohl irgendwas geplant haben.«

Geary verspürte einen allzu vertrauten Kopfschmerz, während Desjani neben ihm so die Augen verdrehte, dass Rione davon nichts sehen konnte. »Madam Co-Präsidentin, ich wusste, wir würden hier wahrscheinlich auf Syndiks stoßen, aber ich konnte nichts darüber wissen, in welcher Stärke sie vertreten sein und wo sie sich aufhalten würden. Hätten sie unmittelbar vor dem Sprungpunkt auf uns gewartet, wären wir sofort zum Angriff übergegangen. In allen anderen Fällen war mir klar, dass ich einen Plan erst ausarbeiten konnte, wenn ich ein Bild von der Situation bekam.«

»Und wie lange wird das dauern?«, hakte Rione nach.

»Madam Co-Präsidentin, hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie manchmal sehr anstrengend sein können?«

Sie reagierte mit einem gespielt süßlichen Lächeln. »Danke für das Kompliment, aber wir reden im Moment über Ihren Plan, nicht über mich.«

»Ich werde Sie wissen lassen, wenn es so weit ist. Wir haben noch Zeit zum Nachdenken, und die will ich nicht sinnlos vergeuden.« Er stand auf und nickte Desjani zu. »Wir bleiben auf Kurs zum Sprungpunkt nach Padronis. Ich muss mal ein paar Schritte gehen, um in Ruhe nachzudenken. Wenn Ihnen irgendwas einfällt oder wenn sich da draußen was tut, dann rufen Sie mich.«

»Jawohl, Sir.«

Geary musterte sie argwöhnisch, aber in diesem Fall schien ihr »Jawohl, Sir« nichts anderes zu bedeuten.

Er spazierte durch die Korridore der Dauntless und reagierte fast gedankenverloren, wenn ihm ein Matrose salutierte oder ihn grüßte. Das Grundproblem bestand darin, dass die Syndiks von seinen Taktiken gelernt und sich daran angepasst hatten. Er konnte nicht länger darauf hoffen, dass sie blindlings auf das Zentrum seiner Flotte zuhielten, was ihn in die Lage versetzt hatte, sie mühelos unter Beschuss zu nehmen.

Natürlich gab es Mittel und Wege, die Syndiks zu verwirren und ihnen auszuweichen, aber das würde die Brennstoffzellen seiner Schiffe noch schneller aufbrauchen. Eine Flotte sollte sich nicht in einer solchen Situation wiederfinden, aber wie bei so vielen Dingen, die nicht so sein sollten, wie sie waren, musste er sich auch in diesem Punkt damit abfinden, dass er sich an die realen Umstände halten musste.

Sein Weg führte ihn durch viele Korridore, vorbei an Wohnbereichen und an Höllenspeer-Batterien, aber die Eingebung wollte sich einfach nicht einstellen. Auch hörte er nichts von Desjani, was bedeutete, dass ihr auch keine Lösung in den Sinn gekommen war. Er fand, dass sie in gewisser Weise viel zu sehr darauf baute, Black Jack Geary werde mit der Hilfe der lebenden Sterne schon etwas einfallen, um genau dann ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern, wenn dieses Kaninchen am dringendsten gebraucht wurde.

Schließlich blieb er stehen, orientierte sich kurz und machte sich dann auf den Weg zu jenem Ort, an dem er vielleicht auf weise Worte stoßen würde.

Hier unten, so tief im Inneren der Dauntless wie kein anderes Abteil und ebenso gut geschützt, befanden sich jene kleinen Räume, in denen man Trost und Führung finden konnte. So ganz genau wusste Geary nicht, warum er hergekommen war, doch es konnte nie schaden, wenn die Besatzung den Flottenkommandanten sah, wie der eine angemessene Pietät zur Schau stellte. Dennoch hatte er sich schon immer an allem gestört, was man als öffentliche Zurschaustellung von Anbetung hätte auslegen können. Außerdem konnte so ein Versuch nach hinten losgehen, wenn man in der Flotte den Schluss zog, dass er nicht gläubig, sondern verzweifelt auf der Suche nach einem Ratschlag war. Vor allem, weil da etwas Wahres dran war.

Geary schloss die Tür und setzte sich in einem der winzigen Räume auf die traditionelle Holzbank. Den Blick hielt er auf die flackernde Kerze gerichtet, die er angezündet hatte, um den Geistern seiner Vorfahren Wärme zu spenden. »Soweit ich weiß«, sprach er schließlich laut, »war keiner von euch ein legendärer Befehlshaber des Militärs. Ich weiß noch immer nicht, wie ich eigentlich an diesen Titel geraten bin. Die Chancen stehen hier gegen uns. Die Brennstoffvorräte der Flotte sind so niedrig, dass ich mir keine großen Tricks leisten kann, um die Syndiks in eine Falle zu locken. Außerdem hat sich der Feind sehr genau angesehen, was ich im Gefecht mache, und jetzt versucht er, darauf zu reagieren. Ich fürchte, im besten Fall wird es hier zu einem Gemetzel kommen, aus dem diese Flotte als Sieger, aber auch erheblich dezimiert hervorgehen wird. Im schlimmsten Fall …«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich benötige etwas Neues, etwas Unerwartetes. Das Einzige, was mir einfallen will und was unsere logistische Situation hergibt, ist ein Angriff in der Art, an den sich diese Flotte gewöhnt hat, nämlich mit aller Macht mitten in die Syndik-Flotte hinein. Aber selbst wenn das funktionieren würde, wäre der Preis dafür viel zu hoch. Meine Schlachtkreuzer sind bereits so in Mitleidenschaft gezogen, dass sie ein solches Gegenfeuer nicht überstehen. Außerdem habe ich nicht genug Schlachtschiffe, um einen Schild vor den Schlachtkreuzern aufzubauen.«

Eine Zeitlang saß Geary da und schaute zu, wie die Kerze herunterbrannte. »Zu schade, dass ich nicht einfach ein paar Schlachtschiffe auf die Syndiks hetzen kann, aber selbst die benötigen bei dieser feindlichen Feuerkraft irgendwelche Unterstützung von anderen Schiffen. Die Schlachtkreuzer müssten an ihrer Seite sein, auch wenn es keinen Sinn ergibt, sie in ein solches Wespennest zu schicken. Allerdings habe ich bereits miterlebt, dass die Captains meiner Schlachtkreuzer so etwas entgegen meinen Befehlen dennoch machen, weil sie glauben, dass die Ehre das von ihnen verlangt. Ich muss verhindern, dass die Schlachtkreuzer unmittelbar auf den Feind losstürmen. Ich muss die Syndiks mit meinen Schlachtschiffen treffen. Schließlich muss ich dafür sorgen, dass die Syndiks weiterhin raten müssen, was ich als Nächstes machen werde. Aber wie soll ich das alles gleichzeitig bewerkstelligen, ohne die Schlacht dabei so kompliziert zu machen, dass ich sie nicht länger kontrollieren kann? Bei Cavalos habe ich die Übersicht verloren, und ich konnte zu lange keine Entscheidung treffen, weil das Gefecht zu komplex geworden war. Wenn mir das hier noch mal passiert, könnten die Folgen um einiges schlimmer sein. Ich muss das Ganze aus einer anderen Richtung angehen.«

Eine andere Richtung, aber welche sollte das sein? Welche Vorteile hatte er gegenüber dem Feind? Nicht die Zahl der Schiffe, nicht die Feuerkraft, nicht die Munition und auch nicht der Bestand an Brennstoffzellen. Keine uns freundlich gesinnten Raumbasen, die wir anfliegen könnten. Schiff für Schiff betrachtet, waren die Syndik-Kriegsschiffe in etwa mit denen der Allianz vergleichbar, auch wenn die Syndik-Jäger deutlich kleiner und leistungsschwächer waren als die Zerstörer der Allianz. Aber die Syndiks verfügten üblicherweise über eine überlegene Anzahl an Jägern, weil die kleiner und in der Produktion viel billiger waren. Die Kriegsschiffe der Allianz waren mit erheblich besseren Möglichkeiten zur Schadenskontrolle und Reparatur ausgestattet, aber selbst das kostete Zeit, die irgendwie herausgeholt werden musste, bevor die Syndiks ein schwer beschädigtes Allianz-Schiff erneut beschossen.

Es dauerte einen Moment, bis er einen Vorteil der Allianz-Flotte gegenüber den Syndiks fand. Meine Matrosen befinden sich auf einem außerordentlich hohen Niveau, sie haben mehr Erfahrungen gesammelt als der Durchschnitt, da in den vergangenen Jahrzehnten der Trend vorgeherrscht hatte, dass Schiffsbesatzungen bei einer Schlacht ums Leben kamen, bevor sie überhaupt Erfahrungen hatten machen können. Ich habe meine Matrosen überleben lassen.

Jedenfalls die meisten von ihnen.

Sie kämpfen wie der Teufel, und sie kämpfen bis zum Tod. Einige meiner Untergebenen sind auch gute Führer. Alle Schiffskommandanten werden auf mich hören, ich kann darauf zählen, dass sie meine Befehle ausführen. Jedenfalls fast alle meine Befehle. Er hielt kurz inne und überlegte, welchen Vorteil er noch auf seiner Seite hatte. Dann musste er auf einmal an die Syndik-Wachschiffe denken, die das Hypernet-Portal bei Lakota zerstört hatten, als die Allianz-Flotte noch viele Lichtstunden entfernt war. Und die Syndiks haben Angst vor mir. Gib es zu, das ist ein Vorteil für uns. Sie erwarten, dass ich das Unerwartete tue. Dass ich Dinge mache, zu denen niemand sonst in der Lage ist.

Wie kann ich das ausnutzen? Welche Überraschungen kann ich ihnen noch bieten, wenn die Möglichkeiten meiner Flotte so eingeschränkt sind? Zu schade, dass ich keinen Weg kenne, wie ich die Flotte so kämpfen lassen kann, wie sie es vor meinem Kommando gemacht hat, als sie noch geradewegs auf den Feind losging. Nachdem sie von Kaliban bis Cavalos mitangesehen haben, wie ich eine Schlacht befehlige, würden die Syndiks niemals erwarten, dass …

Kann ich das machen?

Er sah, wie die Flamme tanzte, während Ideen durch seinen Kopf wirbelten. Es könnte eine Lösung geben. Die würde die Brennstoffzellen zwar nicht schonen, aber sie auch nicht so sehr beanspruchen wie die Alternativen. Vorausgesetzt, die Schiffe und die Steuersysteme kommen damit zurecht. Und vorausgesetzt, ich kann die entsprechenden Befehle formulieren, bevor wir die Syndiks erreichen.

Und vorausgesetzt, Desjani bringt mich nicht um, wenn ihr klar wird, was mein Plan für die Dauntless bedeutet.

Danke, Vorfahren, ich habe verstanden.

Geary stand auf, verbeugte sich vor der Kerze, dann blies er die Flamme aus und beeilte sich, um in sein Quartier zu kommen. Vor ihm lag noch viel Arbeit mit dem Simulator.

Es dauerte eine Weile. Er musste verschiedene Ansätze versuchen, außerdem waren die Manöver für einen Menschen viel zu kompliziert, wenn er dabei nicht von den Gefechtssystemen des Schiffs unterstützt wurde. Als er sich die letztendlichen Steuerbefehle ansah, ergab das schwindelerregende Durcheinander aus Vektoren- und Geschwindigkeitsänderungen alles andere als ein geschlossenes Bild. Sobald er jedoch die Befehle durch den Simulator laufen ließ, funktionierte alles so, wie es sollte, auch wenn seine Erfahrungen und seine Ausbildung Geary zusammenzucken ließen, wenn er sich vorstellte, bei welchen Geschwindigkeiten die Schiffe ihren Kurs änderten, unmittelbar bevor es zum Kontakt mit dem Feind kam. Trotzdem bewegte sich alles im Rahmen der Möglichkeiten seiner Schiffe, was auch für die trägen Hilfsschiffe und die beschädigten Kriegsschiffe galt, die nur ein Minimum an Kurs- und Geschwindigkeitsveränderungen vornehmen mussten.

Er konnte sich gut vorstellen, wie seine alten Lehrer auf diesen Plan reagiert hätten. Das Konzept ist viel zu simpel, die Ausführung viel zu kompliziert. Sein Protest, es sei die beste Option, die ihm noch zur Verfügung stehe, hätte ermahnende Worte nach sich gezogen, er solle es doch vermeiden, in eine derartige Situation hineinzugeraten, wenn er so etwas als eine beste Option bezeichnete. Theoretisch oder in Friedenszeiten waren solche Ratschläge schön und gut, aber die Realität, ein Jahrhundert Krieg und der langwierige Rückzug aus dem Heimatsystem der Syndiks hatten dafür gesorgt, dass er sich nun in dieser Situation befand.

Er überprüfte die Zeit und die Positionen der Syndiks, wobei er diesmal ausnahmsweise für die langen Verzögerungen dankbar war, die durch die immensen Entfernungen im Weltall verursacht wurden. Desjani hatte sich bei ihm gemeldet. Kaum hatten die Syndiks entdeckt, dass die Allianz-Flotte den Sprungpunkt verlassen hatte, hatten sie einen Vektor eingeschlagen, der ihren Kurs kreuzen würde, falls sie unverändert auf den Sprungpunkt nach Padronis zuhielten. Eine Lichtstunde nach ihnen hatte auch die kleinere feindliche Flotte reagiert und war auf Abfangkurs gegangen. Beide Formationen waren mit 0,08 Licht unterwegs; die gleiche Geschwindigkeit, mit der sich auch die Allianz-Flotte vorwärtsbewegte. Das bedeutete, dass beide Seiten sich beständig einander näherten. Bei einer Gesamtgeschwindigkeit von 0,16 Licht würde es noch zwanzig Stunden dauern, ehe sich die Flotten endlich begegneten.

Der Nachteil an der Entscheidung der Syndiks, nicht schneller als mit 0,8 Licht vorzurücken, bestand darin, dass sie ganz offensichtlich versuchten, möglichst gut platzierte Treffer zu landen, wenn sie in Feuerreichweite gelangten. Sie waren tatsächlich bereit, geduldig abzuwarten, um der Allianz-Flotte maximale Schäden zuzufügen.

Geary setzte sich, rief die Gefechtsbefehle auf und sah sie sich noch einmal kritisch an, ehe er sich an die Brücke der Dauntless wandte: »Richten Sie bitte Captain Desjani aus, dass ich sie in meinem Quartier erwarte.«

Er wartete ab, beobachtete den Feind und überlegte, wie die Syndiks wohl manövrieren würden, wenn der Kontakt erfolgt war. Plötzlich wurde die Türglocke betätigt, und er ließ Desjani eintreten.

Die richtete ihren Blick sofort auf das Display über dem Tisch. »Wie sieht der Plan aus?«, fragte sie. Nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, hatte sie ihre Neugier so lange gezügelt, wie es ihr nur irgend möglich gewesen war.

»Kompliziert.« Das entsprach den Tatsachen. Und richtig kompliziert würde es werden, wenn Desjani sah, wo sich die Dauntless aufhalten sollte, wenn die Flotten aufeinandertrafen.

»Ich kann es mir ansehen.«

»Dafür wäre ich Ihnen sogar dankbar.« Er verzog den Mund, unglücklich darüber, dass er wusste, wie sie reagieren würde. »Ich habe mal etwas Neues ausprobiert.« Dann verstummte er und betrachtete die Darstellung seiner Strategie.

»Gut, Sir«, erwiderte Desjani schließlich. »Das ist kein Problem. Aber wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann muss ich das Manöver ganz sehen.«

Wenn Desjani einmal ein Ziel ins Auge gefasst hatte, dann ließ sie nicht mehr locker. Andererseits wollte er ja auch ihre Meinung wissen. Am besten war es, das Ganze schnell hinter sich zu bringen. »Okay, aber ich muss Sie noch mal warnen, dass das ein ganz anderer Ansatz ist.«

Sie war erkennbar verwirrt über seine Worte, also senkte er den Blick, seufzte und tippte die Befehle ein, mit denen die Simulation gestartet wurde. Desjani schaute sich an, was da ablief, und machte verwundert große Augen, als sie sah, wie die Formation der Allianz-Flotte mit einem Mal in einen scheinbar wilden Haufen zerfiel, als der Feindkontakt erfolgte. Während sich die Kriegsschiffe im letzten Moment neu formierten, erstarrte plötzlich Desjanis Miene. »Sie …« Es schien ihr den Atem verschlagen zu haben, denn erst nach einer Pause redete sie weiter, und das in einem fast stimmlosen Tonfall: »Sir, ich muss Sie respektvoll fragen, ob Sie Ihr Vertrauen in mich oder mein Schiff verloren haben.«

»Nein, keineswegs.«

»Sir, dieser Plan …«

»… wird es den Schlachtschiffen erlauben, das zu tun, was sie am besten können.«

Desjanis Gesicht lief rot an. »Schlachtkreuzer ziehen nicht hinter anderen Schiffen ins Gefecht! Wir führen die anderen Schiffe an!«

»Diesmal nicht.« Ihm entging nicht, wie sie vor Wut die Fäuste ballte. »Captain Desjani, ich muss die Syndiks auf eine Weise treffen, mit der sie nicht rechnen. Und ich muss verhindern, dass dabei meine eigene Flotte ausgelöscht wird. Die Schlachtkreuzer sollen bei diesem Gefecht nicht in der zweiten Reihe verharren. Sehen Sie sich die nächsten Befehle an.«

Sie kam seiner Aufforderung nach, dann atmete sie tief durch. »Wie Sie schon sagten, das ist ein ungewöhnlicher Plan.«

»Das ist der Sinn der Sache.«

»Mir ist klar, warum Sie das den anderen Schlachtkreuzern nicht im Voraus mitteilen wollen. Die werden allesamt sehr unzufrieden sein. So wie ich. Aber ich werde meine Befehle ausführen, Captain Geary.« Desjani wirkte ein klein wenig besänftigt, aber sie starrte noch immer finster vor sich hin.

»Vielen Dank, Captain Desjani. Ich möchte unter keinen Umständen auf einem anderen Schiff als der Dauntless sein.« Sie reagierte nicht auf seine Worte, und er überlegte, ob er mehr sagen sollte. Aber er hatte nur ausgesprochen, woran er glaubte. »Halten Sie den Plan für durchdacht?«

Er sah ihr an, dass sie versuchte, ihre Gefühle zu kontrollieren und sich auf den Plan wie auf etwas Abstraktes zu konzentrieren. »Wenn unsere Schiffe diese Manöver tatsächlich in der vorgegebenen Zeit ausführen können, werden die Syndiks sehr überrascht sein … so wie auch einige von unseren eigenen Schiffen.«

»Die Steuersysteme sagen, es ist machbar.«

»Theoretisch ja.« Sie sah Geary ernst an. »Das muss komplett von den automatischen Steuerkontrollen erledigt werden. Kein Steuermann in der gesamten Flotte könnte solche Manöver ausführen, ohne dabei eine Katastrophe auszulösen.«

»Ich verstehe.«

»Sir, bitte! Die Dauntless kann weiter vorne platziert werden.«

»Das wird sie auch sein, wenn wir die Formation teilen. Tanya, es ist nur eine einzige lausige Angriffswelle. Wie viele Schlachten haben wir schon gemeinsam auf diesem Schiff ausgetragen? Wie oft hat dabei die Dauntless die Flotte angeführt und den Mittelpunkt der Formation dargestellt, während die Syndiks auf uns gezielt haben?«

Desjani sah wütend nach unten. »Vermutlich hätte ich nicht davon ausgehen dürfen, dass Sie das verstehen würden.«

»Verdammt, Tanya, unter normalen Umständen würde ich Himmel und Erde in Bewegung setzen, um Sie glücklich zu machen. Ich habe aber eine Verantwortung gegenüber der Flotte und gegenüber der Allianz. Das wäre alles viel einfacher, wenn das hier ein anderes Schiff wäre und ich mit einem anderen Captain reden könnte. Aber ich darf nicht zulassen, dass meine persönlichen Gefühle diese Entscheidung beeinflussen.«

Desjani versteifte sich, und er presste die Lippen zusammen. Seine letzte Bemerkung konnte sich auf dienstlichen Respekt und Freundschaft beziehen, es mochte aber auch eine Anspielung auf etwas sein, zu dem keiner von ihnen sich bekennen konnte.

Geary richtete seine Argumentation auf die unpersönliche Realität aus. »Die Dauntless muss es nach Hause schaffen, weil sie den Hypernet-Schlüssel an Bord hat. Ich kann die Dauntless nicht in eine Position bringen, die ihre Zerstörung praktisch garantiert. Und ich muss das auch nicht, weil niemand auf die Idee kommen könnte zu behaupten, die Dauntless oder ihre Befehlshaberin hätten sich in irgendeinem Gefecht nicht ehrenhaft verhalten.«

Eine Weile schwieg Desjani, dann warf sie ihm einen Seitenblick zu. »Sie würden Himmel und Erde in Bewegung setzen?«

Verdutzt nickte er. »Wenn ich es könnte.«

»Vielleicht werde ich Sie noch beim Wort nehmen.« Dann straffte sie die Schultern und salutierte. »Die Dauntless wird ihrer Pflicht nachkommen, und das gilt auch für den Captain. Es ist ein guter Plan, Sir. Er wird den Feind verwirren, und was noch wichtiger ist: Er wird dem Feind wehtun.«

»Danke.« Er erwiderte den Salut und seufzte erleichtert, als Desjani gegangen war.

Allerdings machte er sich ein wenig Sorgen über ihre Bemerkung, ihn »beim Wort nehmen« zu wollen, da ihm nicht klar war, was genau sie damit meinte.

»Ich darf davon ausgehen, dass Sie jetzt einen Plan haben?«, fragte Rione.

Geary, der auf seinen Platz auf der Brücke der Dauntless zurückgekehrt war, drehte sich um und nickte ihr zu. »Es ist eine Überraschung.«

»Großartig. Aber so wie es aussieht, wollen Sie damit nicht nur den Feind, sondern auch Ihre eigenen Schiffe überraschen. Sehe ich das richtig?«

»In gewisser Weise.«

»Da es nur noch eine Stunde bis zum Kontakt ist, nehme ich an, dass wir in Kürze erfahren werden, was Sie sich ausgedacht haben.« Desjani verzog keine Miene, doch wie es schien, konnte Rione sogar daraus etwas herauslesen. »Natürlich nur diejenigen, die Sie nicht längst eingeweiht haben.« Mit diesen Worten nahm Rione Platz und gab sich äußerlich völlig ungerührt.

Desjani wartete ein paar Minuten, dann beugte sie sich zu Geary, um innerhalb der Energieblase mit ihm zu reden, die nichts von ihrer Unterhaltung nach außen dringen ließ. »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«

»Nein, müssen Sie nicht. Um ehrlich zu sein, hatte ich mit einer noch viel heftigeren Reaktion gerechnet.«

»Das meine ich nicht.« Sie schaute an ihm vorbei zu Rione. »Ich hatte mich gefragt, ob Sie die Dauntless auf ihr Drängen hin zurückhalten wollten, damit der Schlüssel der Syndiks in Sicherheit ist. Mir hätte klar sein sollen, dass Sie so etwas nicht tun würden. Es tut mir leid, dass ich so etwas gedacht habe.«

»Ist schon in Ordnung. Jetzt konzentrieren Sie sich lieber auf das kommende Gefecht, Tanya. Das wird ziemlich hart werden, und ich brauche von Ihnen wirklich das Beste.«

»Sie bekommen immer mein Bestes, Sir«, meinte sie grinsend und lehnte sich auf ihrem Platz zurück.

Noch eine halbe Stunde bis zum Kontakt. Vor zwölf Stunden hatte Geary absichtlich die Allianz-Formation zu einem Spiegelbild der Syndik-Formation angeordnet, mit einer größeren und vier kleineren Unterformationen. Bald würde er eine erneute Umordnung vornehmen lassen müssen. Bald, aber jetzt noch nicht. Die Syndiks blieben auf ihrem Kurs und behielten ihre Geschwindigkeit bei, als wollten sie geradewegs mit der Allianz-Flotte kollidieren. Tatsächlich jedoch ging Geary davon aus, dass sie mit einer Änderung seiner Flottenvektoren in letzter Minute rechneten.

»Möchten Sie ein paar Worte an die Flotte richten?«, fragte Desjani in einem Tonfall, der nahelegte, dass er das in der Tat so machen wollte, ob es ihm nun bewusst war oder nicht.

»Gute Idee.« Er hielt einen Moment inne, um seine Gedanken zu ordnen, dann öffnete er den Kanal, der ihn mit allen Schiffen verband. »An alle Schiffe der Allianz-Flotte, diese Syndik-Flotte blockiert unseren Weg zurück nach Hause. Was uns an Vorräten fehlt, werden wir durch Erfahrung und Kampfgeist wettmachen.« Er wollte damit nicht in die Fußstapfen von Captain Falco treten, der der Meinung gewesen war, die Erwähnung des »Kampfgeistes« würde die Gefechtsfähigkeiten einer Streitmacht wie von Zauberhand vervielfältigen. Aber es war wichtig. Es bewirkte etwas, solange man nicht dem Irrglauben erlag, damit mystischen Schutz gegen Feindbeschuss zu erlangen. Erfahrung dagegen konnte von entscheidender Bedeutung sein. »Diese Syndiks werden uns nicht aufhalten, weil wir am heutigen Tag einen weiteren Sieg erringen werden, der in die Annalen der Allianz-Flotte eingehen wird.«

Er beendete die Übertragung und verspürte angesichts solch hochtrabender Worte ein deutliches Unbehagen. Dann jedoch bemerkte er Desjanis zustimmenden Blick. »Vor einem Gefecht halten Sie immer gute Ansprachen, Sir. Kurz und knapp, direkt und kraftvoll.«

Tatsächlich? »Danke, Captain Desjani. Ich habe jedes Wort so gemeint, wie ich es gesagt habe.« Er fragte sich, ob der Satz wie eine Rechtfertigung geklungen haben mochte.

Desjani schien das wohl so aufgefasst zu haben. »Aber natürlich. Das weiß jeder von uns, und Sie haben es bewiesen. Wir alle haben mehr als genug Erfahrung darin, uns lange Reden anhören zu müssen. Ich hatte dabei immer das Gefühl, wenn die Redner wirklich an das glaubten, was sie uns erzählten, dass sie es auch mit weniger Worten hätten ausdrücken können.«

»Damit könnten Sie recht haben.«

»Damit hat sie sogar recht«, warf Rione überraschend ein.

Ohne sich umzudrehen legte Desjani die Stirn in Falten, dann schaute sie zu Geary und bedeutete allen auf der Brücke, ruhig zu sein.

Er bekam davon kaum etwas mit, da er sich viel zu sehr auf die Bewegungen der feindlichen Flotte konzentrierte, die näher und näher kam. Die Steuersysteme ließen einen empfohlenen Countdown ablaufen, aber Geary verließ sich lieber auf seine Erfahrung und sein Gefühl, das ihm sagte, wann der richtige Moment gekommen war, die Steuerbefehle umzusetzen. Dabei berücksichtigte er auch die Zeit, die erforderlich war, um den Befehl an seine Schiffe zu senden, die das Datenpaket mit den automatischen Manövern alle längst erhalten hatten.

Noch immer ließen die Syndiks keine Änderung ihrer Taktik erkennen. So waren sie bei Cavalos auch vorgegangen. Womöglich war dem Befehlshaber der feindlichen Flotte bekannt, dass Geary in jenem System damit Probleme bekommen hatte. Jedenfalls wandte er die gleiche Strategie an, um Geary bis zur letzten Sekunde zu ärgern.

Noch eine Minute bis zum empfohlenen Beginn der Flugmanöver. Er nahm den Countdown mit einem leichten Stirnrunzeln zur Kenntnis, da der Ablauf seiner Meinung nach zu knapp bemessen war. Er musste das richtig abpassen, auch wenn er die ganze Zeit über keine Ahnung hatte, wie der Syndik-CEO handeln würde. Allerdings hatte er inzwischen oft genug mit den Syndiks gekämpft, um sich auf seinen Instinkt verlassen zu können, wann der richtige Moment gekommen war. Also wartete er ab.

Und wartete.

Zehn Sekunden vor dem empfohlenen Zeitpunkt zuckte sein Daumen wie von selbst gelenkt vor und öffnete die Komm-Leitung. »Formation Indigo zwei, Formation Indigo drei, führen Sie sofort Befehlspaket eins aus.« Er wartete, dann wandte er sich wieder an die Flotte: »Formation Indigo eins, führen Sie sofort Befehlspaket eins aus.« Abermaliges Warten. Sekunden verstrichen, in denen sich der Bug der Dauntless nach oben bewegte. »Formation Indigo vier, Formation Indigo fünf, führen Sie sofort Befehlspaket eins aus.«

Auf dem Display konnte Geary sehen, wie die kleineren Unterformationen unterhalb und oberhalb der Hauptformation ihre Form verloren und in die Hauptformation zu stürzen schienen, die sich ihnen näherte, um sich mit ihnen zusammenzuschließen. Die Kriegsschiffe verließen ihre Position, als sie den Kurs änderten.

Der Syndik-CEO würde das alles mit ein paar Minuten Verzögerung auf seinem Display sehen können, da die Flotten noch immer weit voneinander entfernt waren. Er würde glauben, dass die Allianz-Flotte entweder über die Syndik-Kastenformation hinwegfliegen wollte, um sie von oben unter Beschuss zu nehmen, oder dass sie an der Spitze der Syndik-Flotte vorbeijagen würde. Der CEO wusste, dass ihm nur Minuten blieben, um zu entscheiden, ob er den Kurs seiner Schiffe auch leicht nach oben ausrichten sollte.

Womit er nicht rechnen würde, war eine erneute Kurskorrektur der Allianz-Flotte, um geradewegs auf das Zentrum der Syndik-Flotte zuzuhalten. Das war die Art von kopfloser Attacke, die auf beiden Seiten Einzug gehalten hatte, als zunehmend blutiger werdende Schlachten dafür sorgten, dass die Fähigkeiten in Vergessenheit gerieten, die notwendig waren, um komplexere Manöver zu fliegen. Befehlshaber, die nur diese Methode kannten, wandten auch nur diese Methode an und verließen sich dabei ganz auf den »Kampfgeist«, um die eigene Unterlegenheit und die feindliche Feuerkraft doch noch irgendwie zu überwinden. Mut und Ehre waren die Schlagwörter, die entsetzliche Gemetzel möglich machten, bei denen die eine oder andere Seite irgendwann den Sieg davontrug, dafür aber teuer mit Schiffen und Personal bezahlte.

Geary hatte das nie getan. Er hatte aus einem anderen Jahrhundert das Wissen mitgebracht, wie man komplexe Schlachten in den Weiten des Alls führte. Er wusste noch wie man die Bewegungen verschiedener Formationen auf die Sekunde genau aufeinander abstimmte, auch wenn aufgrund ihrer Entfernung die Kommunikation um Sekunden, Minuten oder sogar Stunden verzögert wurde. Trotz des anfänglichen Widerstands hatte sich die Flotte schließlich seiner Denkweise angeschlossen; zumindest der größte Teil der Flotte. Nur einmal hatte er einen direkten Angriff auf den Feind befohlen, nachdem bei Lakota eine ganze Serie von Manövern die Syndiks so in Verwirrung gestürzt hatte, bis ihre Formation derart weit auseinandergezogen worden war, dass das Zentrum geschwächt und keine Flanken vorhanden waren, die zum Schutz hätten herbeieilen können.

Nein, die Syndiks wussten: Geary eröffnete kein Gefecht damit, dass er seine Schiffe mitten in die feindliche Formation fliegen ließ. Sie wussten, dass von allen verfügbaren Optionen er niemals zu dieser greifen würde.

Und genau deshalb machte er das jetzt.

Die Hauptformation und die beiden oberen Formationen lösten sich weiter auf und verschmolzen zusehends miteinander. Jedes Schiff gab dabei seine relative Position zur Dauntless auf und vollzog eine ganze Serie von Geschwindigkeits- und Vektorenwechseln, während sich der Rumpf mal nach oben und dann wieder nach unten bewegte. Die Hauptantriebseinheiten des Schlachtkreuzers erwachten kurz zum Leben und bremsten das Schiff ab, sodass andere Allianz-Kriegsschiffe auf der Seite in Position gehen konnten, die dem herankommenden Feind am nächsten war.

Unterhalb der Dauntless hatten sich die beiden anderen Unterformationen ebenfalls aufgelöst. Ihre Schiffe stiegen nun auf, um zur Hauptgruppe zu stoßen und dort eine neue Position einzunehmen.

»Bekommen wir das wirklich noch vor dem Kontakt hin?«, wollte Desjani mit tonloser Stimme wissen.

»Ich will es hoffen.«

»Warum glauben Sie, dass die Syndik-Flotte ihren Kurs nach oben ändern wird, um sich Ihrer scheinbaren Flugbahn in den Weg zu stellen?«, fragte Rione.

Gearys Blick war weiter auf die Bewegungen der Schiffe konzentriert, während er antwortete: »Das ist ein natürlicher menschlicher Instinkt. Wenn jemand Anstalten macht, sich vor uns aufzubauen, dann bauen wir uns ebenfalls auf, um auf gleiche Höhe zu gelangen oder um ihn noch zu überragen.« Selbst Menschen, die ausschließlich im All aufgewachsen waren, legten ein solches Verhalten an den Tag, obwohl die Frage danach, wo oben und unten war, nichts weiter als eine Vereinbarungssache ist. Was sich oberhalb der Ebene eines Sternensystems befindet, ist oben, alles darunter ist unten. »Wenn der CEO-Syndik sich von seinem Instinkt leiten lässt, dann haben wir ihn.«

Während die übrigen Schiffe der Flotte abbremsten, schoben sich die Allianz-Schlachtschiffe mit ihren gewaltigen Rümpfen zwischen ihnen hindurch, um eine leichte gewölbte Wand zu bilden, die die Flotte anführte und dabei von Schwärmen aus Zerstörern und Schweren Kreuzern umgeben war.

Rings um die Dauntless gingen weitere Schlachtkreuzer in Stellung, deren Befehlshaber erst jetzt erkannten, dass sie sich ein ganzes Stück hinter den Schlachtschiffen befanden. Geary konnte sich gut die Entrüstung vorstellen, die auf diesen Kreuzern losbrach, aber keiner hatte vor dem Feindkontakt noch genug Zeit, um etwas dagegen zu unternehmen.

Gleich hinter den Schlachtkreuzern fanden sich die vier Hilfsschiffe, die ihrerseits von den vier am schwersten beschädigten Schlachtkreuzern, anderen in Mitleidenschaft gezogenen Kriegsschiffen und allen Schweren Kreuzern vor dem Feind abgeschirmt wurden.

»Geschätzte Zeit bis zum Kontakt zwanzig Sekunden. Eingehende Nachrichten für Captain Geary von der Daring, der Victorious, der Illustrious, der Inspire, der Intrepid …«

Offenbar hatte er die Entrüstung seiner Captains ebenso unterschätzt wie deren Bedürfnis, ihren Zorn auf ihn zu entladen. Dass Desjani sich ein Ich hab’s ja gleich gesagt verkniff, war ihr deutlich anzumerken. Er betätigte die Komm-Kontrollen, um alle Nachrichten abzuweisen, dabei ruhte sein Blick weiter auf der Syndik-Formation, die sich seinen Erwartungen entsprechend leicht nach oben gedreht hatte. Der Syndik-Commander hatte gehofft, die Allianz-Flotte massiv unter Beschuss zu nehmen, wenn die über seine Formation hinwegflog, wie Geary es schon so oft gemacht hatte. Doch diesmal hatten die Flugmanöver dafür gesorgt, dass die konzentrierte Allianz-Flotte auf einen Vektor eingeschwenkt war, der mitten ins Herz der Syndik-Formation zielte.

Und den Syndiks blieb keine Zeit mehr für eine Korrektur ihrer Entscheidung.

»An alle Einheiten: Keine zwanzig Sekunden mehr bis zum Kontakt mit dem Feind. Alle Schlachtschiffe konzentrieren ihr Feuer auf große feindliche Schiffe. Wir müssen deren Schilde zum Abschalten bringen. Die Schlachtkreuzer versetzen dann diesen Schiffen den Todesstoß. Wenn alle großen Schiffe in Feuerreichweite unschädlich gemacht worden sind, zielen Sie auf die nächstbesten feindlichen Schiffe. Aber gehen Sie mit den Phantomen sparsam um.« Gearys Blick zuckte zur Zeitanzeige. Er musste die nächsten Steuerbefehle erteilen, noch bevor die Flotte die feindliche Formation passiert hatte, auch wenn die Befehle erst danach zur Anwendung kommen sollten. »Alle Einheiten, führen Sie das Befehlspaket zwei bei Zeit eins vier aus.«

»Geschätzte Zeit bis zum Kontakt zehn Sekunden. Fünf Sekunden.«

Die Syndiks waren gerade noch voraus, und dann befanden sie sich bereits hinter ihnen, da der Kontakt nur einen unglaublich kurzen Moment dauerte. Automatische Zielerfassungssysteme feuerten auf den Gegner, der mit einer Gesamtgeschwindigkeit von fast 60 000 Kilometer pro Sekunde vorbeizuckte. Der Rumpf der Dauntless erzitterte, als feindliches Feuer die Schilde traf. Während Wachhabende Statusmeldungen riefen, versuchte Geary, sich auf das Gesamtbild zu konzentrieren.

Der Feind hatte Flugkörper und Kartätschen in großen Stückzahlen in die Richtung abgeschossen, wo sich die Allianz-Flotte hätte befinden müssen, wäre sie dem angedeuteten Kurs tatsächlich gefolgt. Der größte Teil dieser Salven ging ins Leere, da die Allianz-Schiffe unter ihnen hinwegtauchten. Im Gegensatz dazu konnten die Kartätschen der Allianz ihre Ziele nicht verfehlen, als sie in den vergleichsweise schwachen Kern der Syndik-Flotte einschlugen. Auf die kurze Distanz und angesichts einer so kompakten Aufstellung der Allianz-Schiffe löschte das Sperrfeuer aus Stahlkugeln mühelos die Leichten Kreuzer und die Jäger aus, die in deren Flugbahn lagen. Aufquellende Feuerwolken zeugten vom Tod der Begleitschiffe. Weitere Lichtblitze zuckten durch die Schwärze des Alls, als die Kartätschen in die Schilde der Schweren Kreuzer, der Schlachtschiffe und der Schlachtkreuzer in der Mitte der Syndik-Formation einschlugen. Als die Kriegsschiffe beider Seiten einander passierten, bohrten sich die Höllenspeere in ihre Ziele. Zudem setzten die Schlachtkreuzer und Schlachtschiffe der Allianz die Null-Felder ein, um den Feind weiter zu dezimieren.

Die Syndiks hatten das Feuer erwidert und die gewaltigen Schilde und Panzerungen der Allianz-Schlachtschiffe bombardiert. Nachdem diese die ersten Salven absorbiert hatten, richtete sich der deutlich abgeschwächte, aber immer noch tödliche Beschuss der Syndiks auf die nachfolgenden Schiffe.

Das alles spielte sich im Bruchteil einer Sekunde ab, während die Menschen nichts weiter tun konnten als zu hoffen, dass die Schilde hielten, dass die automatischen Zielerfassungssysteme präzise arbeiteten – und dass das Glück sie nicht im Stich ließ. Jetzt, da die beiden Flotten sich wieder voneinander entfernten, beobachtete Geary, wie die Flottensensoren die Folgen dieser Konfrontation bewerteten.

Den sieben Schlachtschiffen und drei Schlachtkreuzern im Zentrum der Syndik-Formation hatten dreißig Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer der Allianz gegenübergestanden. Angesichts einer solchen Übermacht und zudem mit den Null-Feldern konfrontiert – die der Allianz einen deutlichen Vorteil im Nahkampf gaben, wenn die Schilde der anvisierten Schiffe bereits geschwächt waren – hatten die Syndiks die unvermeidlichen Verluste erlitten. Alle drei Schlachtkreuzer waren explodiert, außerdem zwei Schlachtschiffe. Ein weiteres Schlachtschiff war in drei Teile zerbrochen, die verbliebenen vier trieben mit schweren Schäden durchs All. Löcher klafften dort, wo die Null-Felder sie getroffen hatten, und den Anzeigen zufolge arbeiteten nur noch wenige Systeme.

Die Liste der außer Gefecht gesetzten oder sogar zerstörten Syndik-Kreuzer und Jäger war erfreulich lang, und der zentrale Bereich der feindlichen Flotte hatte sich komplett aufgelöst.

»Ausführung des Befehlspakets zwei bei Zeit eins vier«, verkündete Desjani, deren Begeisterung für den Kampf jetzt endlich ihren Zorn auf Geary zu vertreiben begann.

Gleichzeitig überprüfte er den Flottenstatus und die Bewegungen der Syndik-Flotte. Die ließen ihre Formation in einer Rechtskurve wenden, wobei alle vier Eckformationen fest an ihrem Platz verharrten. Vermutlich rechneten sie damit, dass die Allianz-Schiffe sofort den Sprungpunkt ansteuerten, doch stattdessen löste sich die Hauptformation abermals auf. Schlachtkreuzer, Leichte Kreuzer und viele Zerstörer ließen sich nach unten sinken, um eine neue Aufstellung anzunehmen, während Schlachtschiffe, Schwere Kreuzer, Hilfsschiffe, beschädigte Schiffe und die restlichen Zerstörer sich zusammenschlossen und nach oben bewegten.

Geary kam es vor, als würde ihm eine Kartätsche im Hals stecken, als auf seinem Display etliche Alarmleuchten aufblinkten, die auf schwere Schäden und Zerstörungen in der eigenen Flotte hinwiesen. Ein großes, grell leuchtendes Symbol gleich hinter der Allianz-Flotte kennzeichnete ein sich ausbreitendes Trümmerfeld, das aus den Überresten der Exemplar, dem letzten noch verbliebenen Scout-Schlachtschiff, bestand. Diese Schiffe, die kleiner als Schlachtschiffe und größer als Kreuzer waren, mussten zu der Zeit, als man ihren Bau in Auftrag gegeben hatte, irgendeinen Sinn ergeben haben, letztlich litten sie aber unter all den Kompromissen, die man bei ihrer Konstruktion hatte eingehen müssen. So wie ihre bei vorangegangenen Kämpfen zerstörten Schwesterschiffe war auch die Exemplar groß genug gewesen, um feindliches Feuer auf sich zu lenken, dem sie aber nicht genügend Widerstand bieten konnte.

Keines der Schlachtschiffe war flugunfähig geschossen worden, doch beim Anflug der Allianz-Schiffe hatten die Syndiks ihren Beschuss auf die Resolution und die Redoubtable konzentriert, weshalb deren Bugbereiche nun besonders stark beschädigt waren. Außerdem hatten die Antriebseinheiten der Resolution einen Treffer abbekommen, was dem Schiff alles abverlangte, um nicht den Anschluss an die Flotte zu verlieren.

Hinter der Flotte trieb der Schlachtkreuzer Incredible, der die Hilfsschiffe beschützt und dabei weitere Schäden erlitten hatte. Einige Waffen funktionierten zwar noch, doch das Schiff saß förmlich auf dem Präsentierteller. Die Crew betete zweifellos dafür, dass sich die Gefechte von ihrem Schiff weg verlagerten, bis der Antrieb wiederhergestellt war.

Die Schweren Kreuzer Tortoise, Breech, Kurtani und Tarian hatten ebenfalls ihre Antriebe verloren, die beiden ersteren Schiffe waren nichts weiter mehr als Wracks. Die Leichten Kreuzer Kissaki, Crest und Trunnion waren zerstört worden, die Zerstörer Barb, Yatagan, Lunge, Arabas und Kururi existierten nicht mehr.

Für die weiteren Schadensberichte über kleinere Folgen des ersten Zusammentreffens beider Flotten fehlte Geary schlichtweg die Zeit.

Dort, wo die Formationen aufeinandergetroffen waren, wimmelte es von Rettungskapseln, sowohl von den zerstörten Allianz-Schiffen als auch von den Syndik-Schiffen, die den Beschuss nicht überlebt hatten.

Das Schlimmste von allem war aber, dass die Syndiks mit einer zweiten Salve im Augenblick des Passierens ausgerechnet einem Schiff etliche schwere Treffer zugefügt hatten, auf das Geary am allerwenigsten verzichten konnte. »Alle Antriebseinheiten der Goblin sind ausgefallen«, meldete der Ablauf-Wachhabende. »Schwere Schäden am Heck, verursacht durch zwei oder drei Treffer mit Flugkörpern. Geschätzte Reparaturzeit, um wenigstens einen Teil der Antriebseinheiten benutzen zu können, liegt bei mindestens einer Stunde.«

Geary sah mit an, wie das Hilfsschiff durchs All trieb und den Wracks und Trümmerteilen folgte, ohne den Kurs ändern oder beschleunigen zu können. Dabei entfernte es sich beständig von den restlichen Allianz-Schiffen. Als er den Pfad der Goblin im Geiste weiterführte und dann sah, auf welchem Kurs sich die Syndiks bewegten, kam er nur zu einem einzigen, sehr unerfreulichen Schluss. »Die Goblin hat keine Chance. Kann mir jemand bestätigen, dass die Syndiks das Hilfsschiff wahrscheinlich in fünfundzwanzig Minuten erreichen werden?«

»Bestätigt, Sir«, antwortete der Ablauf-Wachhabende prompt. »Meine Schätzung liegt bei vierundzwanzig Minuten.«

Viel, viel weniger als die Stunde, die die Goblin benötigte, um wieder manövrieren zu können. Aber selbst wenn die Hälfte der Antriebseinheiten jetzt sofort wie durch ein Wunder wieder arbeiten würde, wäre das für das schwerfällige Hilfsschiff zu wenig, um sich noch zeitig in Sicherheit zu bringen. Aber die Allianz-Flotte war auch nicht in der Lage, sich so schnell schützend vor dem Hilfsschiff in Position zu bringen, um die Syndiks abzuwehren. Seufzend betätigte Geary seine Kontrollen. »Goblin, hier spricht Captain Geary. Ich rate Ihnen, sofort mit der Evakuierung Ihres Schiffs zu beginnen und die Überhitzung des Antriebs so zu programmieren, dass sie in gut zwanzig Minuten erfolgt.« Er wollte dieses Gefecht gewinnen, doch der Ausgang war noch ungewiss, und er konnte es nicht riskieren, dass das Hilfsschiff den Syndiks in die Hände fiel.

Eine halbe Minute später kam die Antwort von der Goblin. »Sir, wir versuchen, die noch an Bord befindlichen Brennstoffzellen auf unsere Schweren Transportshuttles zu verladen. Mit etwas Glück können wir sie noch rausschicken. Unser Reparaturteam versucht, eine der Antriebseinheiten ans Laufen zu bekommen.«

Desjani schnaubte ungläubig. »Diese Shuttles können den Syndiks nicht entkommen. Selbst wenn sie leer sind, können sie nicht so schnell fliegen wie nötig.«

Von Geary kam ein zustimmendes Nicken. »Goblin, die Transportshuttles sind zu langsam und werden den Feindbeschuss wie Magnete anziehen. Sie können den Syndiks nicht entkommen, und alles, was Sie an Bord schaffen, wäre dann sowieso verloren. Mit einer funktionstüchtigen Antriebseinheit kommen Sie nicht von der Stelle, und die Flotte kann nicht schnell genug umkehren, um Sie zu schützen. Sie sind Ingenieur, Sie können sich ausrechnen, was das bedeutet. Schaffen Sie Ihre Leute vom Schiff, solange die Zeit reicht. Wenn es Ihnen die Entscheidung erleichtert, dann betrachten Sie das als einen Befehl.«

Diesmal dauerte es noch länger, ehe von der Goblin eine Antwort kam, die resigniert klang: »Jawohl, Sir. Ich schicke jetzt alles Personal zu den Rettungskapseln. Überhitzung des Antriebs erfolgt in … achtzehn Minuten.«

»Sir, der befehlshabende Offizier der Incredible teilt mit, dass er allem entbehrlichen Personal den Befehl gegeben hat, das Schiff zu verlassen.«

»Gut«, erwiderte Geary. Die Situation machte andere Entscheidungen unmöglich.

»Die Resolution kann nicht mit der Flotte mithalten, sie will sich zur Incredible begeben und sie unterstützen.«

»Einverstanden. Sagen Sie der Resolution und der Incredible, dass wir alles versuchen werden, um die Syndiks von ihnen abzulenken.« Geary konzentrierte sich auf den Feind und seine beiden eigenen Formationen. Alle drei Gruppen flogen ausholende Wendemanöver, die nicht kleiner ausfallen konnten, solange man mit einer Geschwindigkeit von gut 0,08 Licht unterwegs war. Als die Syndiks sich allmählich von rechts näherten, wurde die Lücke in der Mitte ihrer Flottenformation teilweise von anderen Schlachtschiffen geschlossen, die sich aber nicht ganz dem Zentrum näherten.

»Sie sind verwirrt«, meinte Desjani.

»Das sollen sie auch sein.«

Vom hinteren Teil der Brücke ertönte Riones Stimme: »Wieso sind sie verwirrt? Sie haben unsere Flotte nur in zwei Gruppen aufgeteilt, nicht wie zuvor in sechs.«

»Es hängt damit zusammen, wie die Formationen angeordnet sind«, erläuterte Geary. »Eine Formation besteht aus all unseren Schlachtschiffen, die schwerer und langsamer sind und die Aufgabe haben, sich wieder in das Herz der Syndik-Flotte zu bohren. In der anderen Formation stecken alle Schlachtkreuzer, die schnell und beweglich sind und die Ränder der Syndik-Flotte unter Beschuss nehmen sollen.«

»Verstehe.« Rione lächelte schief. »Sie wissen nicht, wo Sie zuschlagen werden, deshalb können sie sich nicht entscheiden, auf welche Formation sie ihre Feuerkraft konzentrieren sollen.«

»Ganz genau.« Als er die Syndiks beobachtete, schüttelte er den Kopf. Sie hatten damit gerechnet, dass die Allianz-Flotte kehrtmachen und den Sprungpunkt nach Padronis anfliegen würde. Stattdessen befanden sich nun die Schlachtschiffe auf der einen Seite über ihnen, während die Schlachtkreuzer sich auf der anderen Seite von unten näherten. »Ich glaube, ich sollte nicht wieder auf die Schlachtschiffe in der Mitte der Formation losgehen, jedenfalls noch nicht. Falls der Syndik-Commander schnell genug reagiert und seine Flotte rings um das Zentrum in sich zusammenfallen lässt, könnte er uns damit verdammt wehtun.«

Nach kurzem Überlegen nickte Desjani. »Das sehe ich auch so. Sollen die Schlachtkreuzer diesmal vorausfliegen, Captain Geary?«

»Ja. Captain Desjani, machen wir es so. In der Zwischenzeit lasse ich die Schlachtschiffe ihren Kurs ändern, um die Syndiks aus einer anderen Richtung anzugreifen.«

»Captain Geary, die Resolution und die Incredible bitten darum, dass Sie ihnen noch genügend Syndiks übrig lassen.«

Desjani begann zu lachen, und selbst Geary konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Sagen Sie ihnen, das dürfte kein Problem sein, Lieutenant.«

Angeführt von Captain Tulev änderte die Zweite Schlachtkreuzerdivision mit ihren verbliebenen fünfzehn Schlachtkreuzern und den sie begleitenden Leichten Kreuzern und Zerstörern den Kurs nach oben und beschleunigte, während Geary den Schlachtschiffen befahl, nach links zu drehen und ebenfalls zu beschleunigen. Die Schlachtschiff-Formation kam nur träge voran, da die Schiffe selbst recht schwerfällig waren, aber auch, weil zu dieser Formation auch die drei überlebenden Hilfsschiffe gehörten. Er konnte nur hoffen, dass er diese Tatsache bei seinen Befehlen ausreichend berücksichtigt hatte.

Die Syndiks flogen weiter ihre Kurve, wobei sie sich ein wenig nach unten neigten. Sofort ließ Geary den Kurs der Schlachtkreuzer anpassen, um den Syndiks keinen Vorteil zu verschaffen. Dabei wurde der Winkel der Allianz-Schiffe noch steiler, sodass sie fast vertikal auf den Feind zuflogen.

Die Schlachtkreuzer kamen von der hinteren Ecke nach oben auf die Syndiks zu. »Sie bremsen!«, rief der Ablauf-Wachhabende im allerletzten Moment vor dem Kontakt, was viel zu spät war, um noch irgendwie reagieren zu können. Bei den Geschwindigkeiten, mit denen die Flotten im All unterwegs waren, nahmen sie die veränderten Vektoren einfach nicht mehr früh genug wahr, um ein Ausweichmanöver in die Wege zu leiten.

Anstatt an der äußersten Ecke der Syndik-Flotte vorbeizufliegen, rasten die Allianz-Schlachtkreuzer mitten in die Formation hinein. Die automatischen Steuersysteme konnten zwar Kollisionen verhindern, bei denen die betroffenen Schiffe auf der Stelle restlos vernichtet worden wären, dennoch flogen die Schlachtkreuzer mit bedenklich geringem Abstand an den feindlichen Schlachtschiffen vorbei.

Die vier Syndik-Schlachtschiffe, die in dieser Ecke platziert waren, ließen ein Sperrfeuer aus Höllenspeeren auf die Allianz-Formation niedergehen, das die Steadfast in Stücke riss, die Intrepid durchlöcherte und auf die Inspire einprasselte. Die Illustrious erlitt neue Schäden, obwohl die im Gefecht bei Cavalos davongetragenen noch gar nicht vollständig behoben worden waren. Die Courageous trudelte unkontrolliert durchs All, nachdem die Allianz-Schiffe die Syndik-Formation hinter sich gelassen hatten.

»Die Intrepid glaubt, mit der Flotte mithalten zu können, allerdings sind alle Gefechtssysteme ausgefallen«, meldete der Gefechtswachhabende der Dauntless. »Die Inspire ist voll manövrierfähig, aber sie hat schwere Schäden an den Waffensystemen erlitten. Die Rettungskapseln, die wir sehen können, stammen von den Überresten der Steadfast

»Was ist mit der Courageous?«, wollte Geary wissen.

»Kein Kontakt, Sir. Sie ist über das Flottennetz nicht zu erreichen. Die Sensoren zeigen an, dass alle Systeme ausgefallen sind.«

Wie viele Besatzungsmitglieder umgekommen waren, konnten die Sensoren noch nicht anzeigen.

»Roberto Duellos lässt sich nicht so leicht unterkriegen«, meinte Desjani.

»Wollen wir’s hoffen.« Geary verdrängte seine Sorge um Captain Duellos und konzentrierte sich mit finsterer Miene auf die Syndik-Flotte. Die Schlachtkreuzer der Allianz hatten einige schmerzhafte Treffer abbekommen, doch es war ihnen auch gelungen, eine Ecke der Formation mit erheblicher Feuerkraft unter Beschuss zu nehmen. Die beiden Syndik-Schlachtkreuzer waren so schwer beschädigt worden, dass sie nicht weiterkämpfen konnten, und eines der Schlachtschiffe hatte so viele Treffer eingesteckt, dass es langsam aus der Formation herausfiel. Ein weiteres Schiff schien so in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein wie die Intrepid. Es konnte zwar noch manövrieren, sah aber sehr mitgenommen aus. Die meisten Leichten Kreuzer und Jäger an dieser Ecke der Formation waren entweder kampfunfähig geschossen oder komplett zerstört worden, auch etliche Allianz-Begleitschiffe befanden sich nicht mehr an ihrem Platz in der Formation. Von manchen war keine Spur zu sehen, andere verloren immer mehr den Anschluss an die Flotte.

Zum Glück hatte das Manöver der Syndiks, durch das die Allianz-Schlachtkreuzer an ihrem geplanten Angriff gehindert worden waren, zugleich dafür gesorgt, dass die Schlachtschiffe sich in einer besseren Position befanden, um eine andere Ecke der Syndik-Formation zu attackieren. Dort waren die vier Schlachtschiffe nicht nur zahlenmäßig deutlich unterlegen, sondern sie standen auch Kriegsschiffen gegenüber, die besser gepanzert waren und durch stärkere Schilde geschützt wurden. Die Gallant und die Indomitable wurden vom Feind besonders massiv beschossen. Beide trugen schwere Schäden davon, da die Schilde an verschiedenen Stellen ausfielen und Kartätschen sowie Höllenspeere bis zur Schiffshülle vordrangen. Doch als sich die beiden Flotten abermals voneinander entfernten, waren drei der vier Syndik-Schlachtschiffe kampfunfähig geschossen worden, außerdem hatte es drei feindliche Schlachtkreuzer in Stücke gerissen.

»Damit ist das Kräfteverhältnis mehr als nur ausgeglichen«, stellte Desjani fest.

Der Rest der Syndik-Flotte nahm Kurs auf die Goblin, die einen Moment später in einem Feuerball verging, als der Countdown zur Selbstzerstörung ablief. Hinter der vormaligen Position der Goblin tauchten die Resolution und die Incredible auf, die die näher kommenden Syndiks mit allem beschossen, was ihnen zur Verfügung stand.

Unwillkürlich schloss Geary die Augen, als eine Ecke der Syndik-Flotte an der Resolution und der Incredible vorbeischoss. Als er die Augen wieder öffnete, stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass beide Allianz-Schiffe sich noch immer dort befanden, wo er sie eben erst gesehen hatte. »Die haben das überlebt? Das ist ja …«

»Unglaublich?«, murmelte Desjani. »Die Resolution hat die Incredible abgeschirmt, so gut sie konnte. Sie hat zahlreiche Treffer abbekommen, und die Incredible wurde ebenfalls erneut getroffen, aber die Syndiks müssen weit genug entfernt gewesen sein, sonst hätten sie beide Schiffe zerstört.«

Das pure Glück hatte der Resolution und der Incredible zur Seite gestanden, aber im nächsten Moment wurden die Syndiks von den Kriegsgöttern begünstigt. »Verdammt«, brummte Desjani. »Das war die Intrepid!«

Beim letzten Vorbeiflug hatten die Syndiks Flugkörper abgefeuert, die auf den erwarteten Kurs der Allianz-Schlachtkreuzer ausgerichtet worden waren. Durch die Veränderung des Vektors in letzter Sekunde waren die Flugkörper viel zu weit von den Allianz-Schiffen entfernt gewesen, sodass sie nach dem verfehlten Ziel ihre Kreise durch das System zogen und den Allianz-Schiffen nachstellten. Viele Flugkörper waren bereits zerstört worden, da sie mit ihrer geringen relativen Geschwindigkeit für die Jäger ein leichtes Ziel waren. Einer hatte es jedoch geschafft, bis zur ohnehin schon stark beschädigten Intrepid vorzudringen. Der Kreuzer schien zusammenzuzucken, als das Geschoss in sein Heck raste und die Antriebssektion zertrümmerte. Dann drehte er sich zur Seite weg, wobei die Belastung durch den Treffer und den abrupten Kurswechsel seiner geschwächten Struktur sehr zu schaffen machte. »Sie ist nicht mehr zu retten, Sir.«

Desjani schien der Verlust der beiden Schiffe nicht zu berühren, aber Geary wusste auch, dass sie in ihrer Karriere Schlimmeres zu Gesicht bekommen haben musste. »Wir werden sie rächen.« Er versuchte sich zu entspannen, während er die Flugbahnen der verschiedenen Schiffe mitverfolgte und dabei versuchte, die Zeitverzögerung von einigen Sekunden einzubeziehen, mit denen die Bilder der Realität hinterherhinkten. »Formation Indigo eins, drehen Sie bei Zeit fünf drei nach rechts zwei fünf Grad, nach unten eins sechs null Grad.« Die Allianz-Schlachtkreuzer folgten dem vorgegebenen Kurs und machten sich für einen weiteren Angriff auf den Gegner bereit.

Der Syndik-Befehlshaber versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was von seiner Flotte noch übrig war, und ordnete seine Schiffe so an, dass sie sich abermals in einer Kastenform befanden, die jetzt allerdings erheblich kleiner war als noch zu Beginn des Gefechts. Gleichzeitig bemühte er sich, ein sehr enges Manöver durchzuführen, indem sich alle Schiffe in der Formation nach oben und nach links zugleich drehten, um sich auf die Schlachtkreuzer der Allianz auszurichten.

»Ein schlechter Zug.« Desjani grinste erfreut. »Wir sehen nach einer leichten Beute aus, aber wir sind schneller als er. Wir haben es mit keinem sehr erfahrenen Commander zu tun.«

»Das dürfte auch für einige seiner Captains gelten«, merkte Geary an, der zusah, wie sich die Syndik-Schiffe bemühten, die Vektorenänderung auszuführen. Eines der Schlachtschiffe kollidierte dabei mit einem Schweren Kreuzer, der fast vollständig in einem gleißenden Lichtblitz verschwand, während das Schlachtschiff schwer beschädigt zurückwich. »Und wieder einer weniger.«

Die beabsichtigte kompakte Kastenformation driftete auseinander und geriet aus der Form, da die Syndik-Flotte nicht in der Lage war, die geforderten Manöver in die Tat umzusetzen.

»Formation Indigo eins, drehen Sie bei Zeit null sechs nach rechts zwei null Grad, nach oben eins fünf Grad.« Die Schlachtkreuzer hoben ein wenig den Bug an, als sie sich zur Seite drehten, um sich auf eine Seite der mit sich selbst ringenden Syndik-Flotte auszurichten. »Formation Indigo zwei, drehen Sie bei Zeit null acht nach rechts zwei acht fünf Grad, nach oben zwei eins null Grad.« Die Schlachtschiffe, die sich jetzt deutlich unter den Syndiks befanden, drehten sich nach oben, während die Schlachtkreuzer der Allianz sich abermals dem Feind näherten.

Da der gegnerische Captain diesmal die Übersicht über das Geschehen verloren hatte, konnte die Schlachtkreuzer-Formation in nahezu perfekter Reichweite an einer Ecke der feindlichen Flotte vorbeifliegen und damit ihre deutliche lokale Überlegenheit in Sachen Feuerkraft zum Tragen bringen.

Die Dauntless schüttelte sich nach dem Vorbeiflug heftig. »Ein Syndik-Flugkörper ist durchgekommen, Captain. Schaden achtern. Höllenspeer-Batterie Sechs Bravo ausgefallen. Verminderte Leistungsfähigkeit der Hauptantriebseinheit Alpha.«

»Können wir mit den Flugmanövern der Formation mithalten?«, wollte Desjani wissen.

»Der Maschinenraum erhöht die Leistung der anderen Einheiten, Captain. Schadenskontrollteams verstärken momentan die beschädigten Hüllenabschnitte. Die Schadenskontrollzentrale bittet uns darum, in den nächsten zehn Minuten auf größere Flugmanöver zu verzichten.«

»Sagen Sie ihnen, sie haben fünf Minuten!«

»Jawohl, Captain, fünf Minuten.«

Die Illustrious, deren bei Cavalos erlittene Schäden noch immer nicht vollständig repariert worden waren, musste weitere Treffer einstecken, ebenso die Valiant und die Daring. Doch die in diesem Teil der Flotte hoffnungslos unterlegenen Syndiks hatten dafür drei weitere Schlachtkreuzer verloren.

»Was zum Teufel soll denn das?«, wunderte sich Geary, als die Syndiks ihr einmal begonnenes Flugmanöver fortsetzten und sich auf einer Bahn nach oben bewegten, die an einen Korkenzieher erinnerte.

»Keine Ahnung«, musste Desjani einräumen.

»Das ist doch immer wieder das Gleiche … Moment mal, wir haben ihren CEO erwischt. Die befolgen immer noch ihren letzten Befehl, weil bislang niemand das Kommando übernommen hat, der ihnen sagen kann, dass sie aufhören sollen.«

»Wie nett«, schnurrte Desjani amüsiert, während sie zusah, wie sich die Schlachtschiff-Formation der Allianz durch die lichten Reihen des stark dezimierten Gegners fraß. Danach waren nur noch zehn Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer der Syndiks funktionstüchtig, allerdings musste die Allianz-Formation die Gallant hinter sich zurücklassen, als sie zu einer Kurve ansetzte, um den nächsten Angriff einzuleiten.

»Antriebsschaden auf der Gallant, aber sie kann sich noch selbst verteidigen. Sie konzentrieren das Feuer«, merkte Desjani ernst an. »Alles, was sie noch haben, feuern sie jetzt auf die Schlachtschiffe ab, die bereits am stärksten beschädigt sind. Sehen Sie sich nur an, wie sie die Redoubtable zugerichtet haben.«

»Wenigstens kann sie bei der Formation bleiben.«

Desjani drehte sich abrupt zu ihrem Maschinen-Wachhabenden um. »Die fünf Minuten sind um. Kann ich wieder manövrieren?«

»Noch eine Minute, Captain«, bat der Ingenieur sie.

»Ich habe aber keine Minute!«

»Zum Manövrieren bereit«, keuchte der erleichterte Wachhabende, als die Meldung einging.

»Gut«, sagte Geary. »Dann wollen wir mal.« Kaum hatte er ausgesprochen, änderte die Syndik-Flotte radikal ihren Kurs, indem sie kehrtmachte und sich abwärts bewegte. »Wohin …?«

Geary ließ die Schlachtkreuzerformation eine enge Kehre in Richtung der Syndiks fliegen, während er zu erraten versuchte, auf welchen Vektor die letztlich einschwenken würden. Minuten später wurde die Antwort darauf deutlich. »Die verfolgen die Resolution und die Incredible

»Bevor sie sie einholen, können wir sie mindestens noch einmal passieren und beschießen«, betonte Desjani. »Und die Schlachtschiffe ebenfalls.«

»Irgendwas Neues von der Gallant?«, wollte Geary wissen. Er hätte auf seinem Display selbst nach dieser Information suchen können, doch die Zeit benötigte er dringender, um sich auf das Gesamtgeschehen zu konzentrieren.

»Die Gallant meldet, dass die Hälfte der Gefechtssysteme noch funktionstüchtig ist«, meldete der Ablauf-Wachhabende. »Schilde sind geschwächt, erholen sich aber. Mehrere größere Hüllenrisse werden derzeit geschlossen. Geschätzte Zeit, bis die Steuerkontrolle zum Teil wiederhergestellt ist, liegt bei zwanzig Minuten.«

Geary kam zu dem Schluss, dass die Gallant für den Augenblick selbst auf sich aufpassen konnte, und ließ die Schlachtkreuzer geeignete Positionen einnehmen, um die Syndik-Flotte abzufangen. Dann korrigierte er die Flugbahn der Schlachtschiffe noch ein wenig, damit sie wieder genau auf den Feind ausgerichtet waren.

Diesmal verging die Zeit bis zum nächsten Kontakt quälend langsam. Die Resolution und die Incredible trieben hilflos im All. Beide Schiffe waren so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass sie einen weiteren Angriff der Syndiks nicht überstehen würden. Zudem waren so viele ihrer Waffensysteme ausgefallen, dass sie dem Feind nicht einmal nennenswerte Verluste zufügen konnten. Die weiter zusammengeschrumpfte Kastenformation der Syndiks flog ihre Kurve so, dass sie von oben und links auf ihr Ziel zusteuerte. Etwas weiter links und noch ein wenig höher befanden sich die Allianz-Schlachtkreuzer, die auf die Syndiks zurasten, während sich auf fast gleicher Höhe von rechts die Schlachtschiffe näherten.

Den Syndiks musste bewusst geworden sein, dass sie nicht darauf hoffen konnten, der Resolution und der Incredible den Todesstoß zu versetzen, da sie zuvor zwischen die Fronten der beiden Allianz-Formationen geraten würden. Also tauchten sie plötzlich ab und gingen in einen Steilflug über, der sie zu der kleineren Syndik-Flotte führte, die sich bislang aus den Kämpfen herausgehalten hatte.

Geary rasselte in rascher Folge Befehle an die Schlachtkreuzer und die Schlachtschiffe herunter, um auf den Zug der Syndiks zu reagieren.

Als die Allianz-Schiffe auf ihre neuen Vektoren eingeschwenkt waren, ertönten Sirenen, die vor einer Kollision warnten. Geary blieb kaum Zeit, einen Blick auf die Warnmeldungen zu werfen, da die Schlachtkreuzer bereits von einer Seite kommend durch die Syndik-Flotte flogen, während fast im gleichen Moment die Schlachtschiff-Formation von der anderen Seite hinzukam.

Für Sekunden schossen zahlreiche Kriegsschiffe auf völlig verschiedenen Vektoren und mit hoher Geschwindigkeit aneinander vorbei. Automatische Steuersysteme protestierten lautstark, während sie in diesem Mahlstrom aus Kriegsschiffen auf Hochtouren arbeiteten, um Zusammenstöße zu vermeiden. Gleichzeitig machten die automatischen Zielerfassungssysteme auf jedem Schiff eine Fülle von Zielen aus und begannen, in alle Richtungen das Feuer zu eröffnen.

Dann trennten sich die drei Formationen wieder voneinander. Geary atmete tief durch, da ihm auffiel, dass er während der letzten Sekunden gebannt die Luft angehalten hatte.

Sogar Desjani war bleich geworden. »Sir, haben Sie schon einmal die Möglichkeit in Erwägung gezogen, dass man auch zu gut darin sein könnte, die Feindbewegungen auszugleichen?«

»Bis gerade eben nicht.« Wieder atmete er durch, dann musterte er erstaunt sein Display. »Wir haben noch ein paar Zerstörer verloren, aber vermutlich durch Feindbeschuss. Keine Kollisionen?«

»Nein, aber das sollten wir trotzdem nicht noch mal machen, Sir.«

»Okay.« Die Kastenformation der Syndik-Flotte war unter dem massiven Beschuss von mehreren Seiten gleichzeitig komplett zerfallen. Zwei Schlachtschiffe schleppten sich noch auf dem Kurs voran, doch beide waren im Gefecht schwer beschädigt worden. Kein Schlachtkreuzer der Syndiks hatte überlebt, und die Begleitschiffe waren allesamt ausradiert worden. Bei so vielen möglichen Zielen gleichzeitig hatten die Syndiks im Gegenzug ihr Feuer nicht auf bestimmte Schiffe konzentrieren können, weshalb die Allianz-Flotte von ein paar glücklosen Kreuzern und Zerstörern abgesehen keine weiteren ernsten Schäden mehr erlitten hatte.

Geary atmete erleichtert auf. »Formation Indigo zwei«, befahl er. »Formation auflösen, und dann schnappen Sie sich diese beiden Syndik-Schlachtschiffe. Formation Indigo eins, suchen Sie nach anderen Zielen, aber halten Sie sich von den zwei Schlachtschiffen fern, bis die von unseren Schiffen erledigt worden sind.«

Das Letzte, was er wollte, war ein weiterer Verlust wie die Opportune.

Zu seiner Verwunderung befahl Desjani nicht sofort, die Dauntless zu wenden, um nach einem Ziel zu suchen. Sie bemerkte seine Reaktion und zuckte mit den Schultern. »Das Einzige, was es noch zu töten gibt, sind diese beiden Schiffe. Außerdem«, sie deutete auf die Statusanzeige, »sind unsere Brennstoffzellen auf fünfunddreißig Prozent gesunken.«

»Fünfunddreißig Prozent?« In Friedenszeiten hätte man ihn vor ein Kriegsgericht gestellt, weil er zugelassen hatte, dass unter seinem Kommando die Brennstoffreserven auf ein solches Niveau gesunken waren.

»Ein Glück, dass wir die Titan, die Witch und die Jinn retten konnten«, stellte Desjani fest. »Wir werden jede Brennstoffzelle benötigen, die sie auf dem Weg nach Varandal produzieren können.«

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