Sieben

Wenn Lieutenant Iger aus der Geheimdienstabteilung sich meldete, hatte er meistens etwas Interessantes und manchmal etwas sehr Überraschendes zu bieten. Gearys Erfahrungen sagten ihm, dass es nie angenehme Überraschungen waren. Aber was er zu vermelden hatte, entpuppte sich oft als entscheidende Information.

Da Iger keine glückliche Miene machte, als Geary bei ihm eintraf, konnte er sofort davon ausgehen, dass es wieder eine von den unangenehmen Überraschungen werden würde. »Sagen Sie mir bitte, dass der Bürgerkrieg in diesem System uns keinen weiteren Ärger bereiten wird, Lieutenant.«

»Oh … ja, Sir. Der Bürgerkrieg sollte für uns keine weiteren Konsequenzen nach sich ziehen, Sir. Mir geht es um ein ganz anderes Problem.«

»Ah, wunderbar. Ein großes Problem?«

»Ja, Sir, ein sehr großes.«

Geary rieb sich den Nacken und merkte, wie ein leichter Kopfschmerz begann. »Also gut, dann lassen Sie mal hören.«

»Wir haben den Funkverkehr der Syndiks in diesem Sternensystem überwacht, Captain Geary«, begann Iger. »Damit beziehe ich mich auf die Nachrichten, die bereits gesendet worden waren, als wir hier eintrafen. Das ist eine standardmäßige Vorgehensweise, um wichtige Mitteilungen aufzufangen und sie so schnell wie möglich zu entschlüsseln. Zuerst fiel uns dabei auf, dass eine deutlich überdurchschnittliche Zahl an Übermittlungen der höchsten Priorität gesendet wurde. Dabei muss ich noch einmal betonen, dass das bereits vor dem Zusammenbruch der Syndik-Kontrolle über das System so war.«

Geary nickte. Die Grenzen, die die Lichtgeschwindigkeit mit sich brachten, stellten für gewöhnlich ein Problem dar – nur dann nicht, wenn man versuchte, Nachrichten abzufangen, die bereits vor Stunden oder Tagen gesendet wurden, also lange vor dem Moment, da irgendjemand wissen konnte, dass die Allianz-Flotte in diesem speziellen System auftauchen würde. Diese Nachrichten bewegten sich noch immer mit Lichtgeschwindigkeit durch das System und ließen sich empfangen, wenn man wusste, was zu tun war. »Und können Sie etwas zum Inhalt sagen? Die Syndiks haben sich gedacht, wir könnten hier auftauchen, und das würde dieses hohe Aufkommen eigentlich erklären.«

»Aber das gilt nicht für alle, Sir. Wir waren in der Lage, einige der aufgefangenen dringenden Nachrichten zu entschlüsseln.« Iger drehte sich um und betätigte ein paar Tasten, dann tauchten auf einem Display mehrere Textzeilen auf. »Die hier stammen aus Stimmübertragungen und verschiedenen Textübertragungen. Solche informellen Kommunikationen sind üblicherweise die nützlichsten, weil die Leute reden, ohne nachzudenken. Es gibt mehrere Verweise auf eine Sache, von der wir bislang nie etwas gehört haben. Und zwar hier, hier und dort unten.«

Geary las die hervorgehobenen Zeilen und stutzte. »Reserveflotte? Davon haben die Syndiks bis jetzt noch nie gesprochen?«

»Nein, Sir. Eine Suche in unseren Datenbanken hat in den letzten Jahrzehnten nur drei Verweise auf den Begriff in Berichten über die Syndiks ergeben. Es existieren keine tatsächlichen Daten, sondern nur die Identifizierung des Worts ›Reserveflotte‹ ohne irgendeinen Hinweis auf die Bedeutung.« Iger zeigte auf eine andere Zeile. »Das dort ist eine Vorratsanforderung. Wir haben einen Großteil dieser Nachricht entschlüsseln können, weil wir wissen, wie die Syndiks diese Anforderungen formatieren. Dadurch ist klar, was bestimmte Abschnitte bedeuten müssen. Dies hier sind Segmente der kompletten Anforderung, das da stellt den Anteil dar, den Heradao dazu beisteuern sollte. Typisch für die Syndiks ist eine äußerst strikt geregelte Logistik. Wenn man einen Schlachtkreuzer der D-Klasse mit Lebensmittelvorräten für sechzig Tage bestücken will, dann fordert man die Menge X von dieser Speise und die Menge Y von jener Speise an und so weiter und so fort.«

»Ich sehe da Heerscharen von X und Y«, merkte Geary an, als er die abgefangene Anforderung durchlas.

»Ja, Sir.« Iger atmete gedehnt aus. »Unter der Annahme, dass es sich um die Vorräte für sechzig Tage handelt, was bei den Syndiks der Regelfall ist, würde man mit dieser Anforderung eine Streitmacht versorgen können, die sich aus je fünfzehn bis zwanzig Schlachtschiffen und Schlachtkreuzern sowie aus hundert bis zweihundert Schweren und Leichten Kreuzern und Zerstörern zusammensetzt.«

Geary saß wie erstarrt da. Wie konnte eine so große Syndik-Streitmacht immer noch existieren? Seine Flotte hatte heldenhaft gekämpft und schwere Verluste hinnehmen müssen, aber jetzt hatte es so ausgesehen, als sei der Weg nach Hause endlich frei. Bis zu diesem Moment. »Und das hat ganz sicher nichts mit der Flotte zu tun, die wir hier zerstört haben?«

»Nein, Sir, ganz sicher nicht. Diese Nachricht wurde aus dem Sternensystem gesendet.«

»Dann würden Sie sagen, dass eine Syndik-Flotte von der von Ihnen beschriebenen Größe existiert und sich in einem Sternensystem aufhält, das nicht allzu weit von hier entfernt ist?«

»Ja, Sir.« Das musste man Iger lassen: Er versuchte nie, um den heißen Brei herumzureden, wenn er schlechte Neuigkeiten zu verkünden hatte.

»Wie ist das möglich? Wie können die Syndiks noch immer über eine so große Flotte verfügen, von der unsere Geheimdienstquellen nichts wissen?«

»Da können wir nur raten, Sir, aber ich glaube, damit liegen wir gar nicht so sehr daneben.« Abermals deutete Iger auf die angezeigten Nachrichten. »Wir glauben, dass ein Teil der Nachrichten, die diese Reserveflotte erwähnen, in die Syndik-Systeme Surt und Embla geschickt wurden.«

»Surt? Embla?« Die Namen kamen ihm irgendwie bekannt vor, aber er konnte sich nicht an den Zusammenhang erinnern, in dem er sie gehört hatte. »Ich wüsste auf Anhieb nicht, wo die liegen sollen.«

»Das hängt damit zusammen, dass sie weit vom Allianz-Gebiet entfernt liegen.« Iger wechselte zum Sternendisplay. »Hier, an den Grenzen des Syndik-Territoriums, die am weitesten von der Allianz entfernt sind.«

In diesem Moment ergab alles einen Sinn. »Eine Reserveflotte an der Grenze zu den Aliens als Schutz für den Fall, dass die sie angreifen.«

»Richtig, Sir«, stimmte Iger ihm zu. »Das ist die überzeugendste Erklärung. Eine Flotte, die so weit von der Allianz entfernt ist, dass wir keine Hinweise darauf finden konnten und somit auch nichts von ihrer Existenz wussten. Aber jetzt fürchten die Syndiks, wir könnten mit einem ihrer Hypernet-Schlüssel nach Hause gelangen. Also bringen sie die Reserveflotte ins Spiel, um uns aufzuhalten.«

»Verdammt. So was können wir nun wirklich nicht gebrauchen.«

»Ich weiß, Sir.«

»Irgendeine Ahnung, wo diese Flotte jetzt ist?«, fragte er mit Blick auf das Sternendisplay.

»Nicht weit von hier entfernt. Ein Sternensystem, das mit ein oder zwei Sprüngen zu erreichen ist. Zumindest dürften sie vor Kurzem dort gewesen sein.«

»Kalixa? Das war ein mögliches Ziel, das wir von Dilawa aus hätten ansteuern können. Dort hätten sie das Hypernet-Portal verteidigen können, und das Portal würde ihnen ermöglichen, schnell den Standort zu verändern, sollten wir dort nicht eintreffen.«

Iger nickte. »Durchaus möglich, Sir. Aber die Wachschiffe, die uns beobachtet haben, werden in Kürze Kalixa erreichen und sie davon in Kenntnis setzen, dass wir uns für Heradao entschieden haben. Also werden sie wahrscheinlich in ein Sternensystem wechseln, in dem sie uns aufhalten können.«

Also noch eine weitere große Schlacht, und das vermutlich gegen eine erfahrene Streitmacht, die über reichlich Brennstoffzellen und Munition verfügte. Seine Wut über diese Wendung des Schicksals ließ etwas nach, als Geary sich ausmalte, was hätte geschehen können, wären sie dieser Flotte ohne Vorwarnung in die Arme geflogen. »Lieutenant Iger, Sie und Ihre Leute haben hervorragende Arbeit geleistet. Das sind extrem wichtige Informationen. Vielen Dank.«

Iger strahlte ihn an. »Danke, Sir. Ich werde dafür sorgen, dass jeder in dieser Abteilung erfährt, was Sie gesagt haben.« Dann aber ließ der Offizier Unbehagen erkennen. »Sir, ich weiß, unsere vorrangige Aufgabe ist es, uns Gedanken über die möglichen Konsequenzen zu machen. Aber wenn die Syndiks die ganze Zeit über eine so große Streitmacht an der Grenze zu diesen Aliens stationiert hatten, dann muss es doch einen Grund geben, die Aliens zu fürchten. Was, wenn die Aliens nun merken, dass diese Streitmacht abgezogen wurde?«

»Gute Frage, Lieutenant. Allerdings bin ich mir sicher, dass sie das bereits wissen. Wenn diese Aliens Schiffe im Hypernet umleiten können, dann sind sie immer auf dem Laufenden, sobald das Netz benutzt wird. Die Reserveflotte kann von so weit entfernt nur das Hypernet benutzen, wenn sie eine Chance haben will, uns aufzuhalten. Das heißt, die Aliens haben längst mitbekommen, was los ist.«

»Dann wissen sie auch, dass sich ihnen jetzt eine günstige Gelegenheit für einen Schlag gegen die Syndiks bietet.« Iger biss sich auf die Lippe. »Und wenn wir diese Reserveflotte zerstören, was wir machen müssen, wenn wir ihr begegnen, dann wird das für die Aliens eine noch bessere Gelegenheit.«

Geary betrachtete die Darstellung der Syndikatwelten auf dem Display und malte sich aus, was passieren könnte, wenn die Syndik-Führer abtrünnige Sternensysteme nicht schnell wieder unter ihre Kontrolle brachten, wenn ihre Flotte vorübergehend zu geschwächt war, um das eigene Territorium zu verteidigen, und wenn die Aliens diesen Moment nutzten und angriffen. Eine unumstößliche Lehre aus der die Geschichte war die Erkenntnis, dass ein Imperium nur so stark war, wie seine Fähigkeit, das Volk im Zaum zu halten. Geht diese Fähigkeit verloren, dann neigt jedes Imperium dazu, sehr schnell zu zerfallen.

Er musste diese Reserveflotte vernichten, wenn er seine eigene Flotte nach Hause bringen wollte. Doch damit löste er womöglich eine Entwicklung aus, durch die viele von den Syndiks kontrollierte Systeme so enden würden wie Heradao.

»Sir?«, riss Iger ihn aus seinen Gedankengängen. »Ist irgendetwas über die Absichten dieser Aliens bekannt?«

»Nein, Lieutenant. Es gibt nur Mutmaßungen, die auf zu wenigen Fakten beruhen. Von den Absichten einmal abgesehen, wissen wir ja nicht mal, wozu sie fähig sind. Im Grunde genommen wissen wir überhaupt nichts über sie. Lieutenant Iger, wenn wir auf diese Reserveflotte stoßen, müssen wir so viele Senioroffiziere wie möglich festnehmen, um sie zu verhören. Ganz sicher werden sie Informationen darüber besitzen, was die Syndiks über die Aliens herausgefunden haben.«

»Sehr wahrscheinlich, Sir«, bestätigte Iger, fügte dann aber hinzu: »Allerdings würde es Sie wohl überraschen, wie oft jemand so völlig darauf konzentriert ist, ein Geheimnis für sich zu behalten, dass er die wichtigsten Informationen nicht mal denjenigen überlässt, die sie dringend benötigen, nur weil er Angst hat, irgendetwas davon könnte gegen ihn verwendet werden.«

»So was kommt immer noch vor? Ach, natürlich tut es das. Vermutlich gab’s das schon, als die echten persischen Esel Lärm gemacht haben.«

Es war wieder einmal Zeit für eine Flottenkonferenz. Sie waren Geary längst nicht mehr so zuwider wie zu Beginn, aber er hatte auch nicht vergessen, dass einige der virtuell anwesenden Offiziere hinter seinem Rücken Pläne gegen ihn schmiedeten. Allerdings machten die meisten Teilnehmer einen gut gelaunten Eindruck, da nach dem letzten Sieg einer Heimkehr nichts mehr im Weg zu stehen schien.

Bedauerlicherweise würde er mit der neuesten Feststellung des Geheimdienstes dieser guten Laune ein jähes Ende bereiten. »Ich habe Lieutenant Iger vom Geheimdienst gebeten, bei dieser Konferenz anwesend zu sein, damit er Sie alle über etwas unterrichten kann, was er bereits mit mir besprochen hat.« Er deutete auf Iger und setzte sich hin. Da er wusste, was der Lieutenant zu berichten hatte, konzentrierte er sich stattdessen darauf, die Reaktionen der anderen Offiziere zu beobachten.

Die gute Laune verwandelte sich in Unglauben, dann folgte Wut.

Captain Armus fasste die Stimmung als Erster in Worte: »Wie kann sich unser Geheimdienst so völlig irren?«

»Wie Lieutenant Iger bereits erklärt hat«, antwortete Geary, »war diese Reserveflotte so weit vom Allianz-Gebiet entfernt stationiert, dass wir keine Hinweise auf ihre Existenz feststellen konnten.«

»Wieso?«, warf der befehlshabende Offizier der Daring ein. »Das sind sehr viele Schiffe, und ich weiß, dass die Syndiks sie in der Vergangenheit bei vielen Gelegenheiten hätten einsetzen können. Warum halten sie sie so weit weg in einem entlegenen System an der gegenüberliegenden Grenze zurück?«

»Über die Gründe können wir nur spekulieren«, erwiderte Geary. Genau genommen war das auch die Wahrheit, denn alles, was die Aliens auf jener Seite des Syndik-Systems anging, war die reine Spekulation. »Tatsache ist, dass sich die Flotte dort aufhielt, und jetzt sieht es so aus, dass sie den Befehl erhalten hat, uns zu stoppen.«

»Und wo ist die Flotte jetzt?«, wandte sich der Befehlshaber der Dragon an Iger.

»Wir glauben, dass sie sich in einem System aufhält, das ein oder zwei Sprünge von Heradao entfernt ist.«

Geary vergrößerte das Sternendisplay, um diese Region anzeigen zu lassen. »Als wir Heradao erreicht hatten, da haben Captain Desjani und ich uns gewundert, warum die hier wartende Syndik-Flotte uns den Weg nach Kalixa freihält. Wären wir nach Kalixa geflogen, dann wären sie uns gefolgt, und wir hätten uns zwischen ihnen und der Reserveflotte wiedergefunden.«

»Ein typischer Syndik-Trick«, meinte Captain Badaya. »Wie lange werden die bei Kalixa auf uns warten?«

Desjani zeigte auf das Display. »Nachdem wir die Flotte hier geschlagen hatten, hat sich ein Syndik-Jäger sofort auf den Weg nach Kalixa gemacht. Ein weiterer Jäger wartet in der Nähe des Sprungpunkts, um zu sehen, welche Richtung wir einschlagen. Und natürlich warten zwei weitere Jäger nahe dem Sprungpunkt nach Padronis.«

Nachdem er sich das Display genauer angesehen hatte, nickte Badaya. »Atalia. Sie erfahren es, wenn wir nach Padronis springen. Sie wissen, dass wir von Padronis nicht nach Kalixa kommen, also werden sie Kurs auf Atalia nehmen und versuchen, uns dort zu stoppen, weil wir den Sprung in dieses System machen müssen.«

»Eine gute Einschätzung«, stimmte Geary zu. »Zu diesem Schluss sind Lieutenant Iger und ich auch gekommen.«

»Wir scheinen hier über einige grobe Fehlleistungen hinwegzusehen«, wandte Captain Kila in einem sanften Tonfall ein, der im Widerspruch zu ihren Worten stand. »Jemand hat eine Syndik-Flotte übersehen, die unter anderem aus zwanzig Schlachtschiffen und zwanzig Schlachtkreuzern besteht?« Lieutenant Iger, der sich sichtlich unbehaglich fühlte, setzte zu einer Erwiderung an, aber sie redete weiter: »Nein, Lieutenant, ich will mir keine Ausflüchte anhören. Wären Sie ein Frontoffizier, dann würde man Sie jetzt wegen Pflichtverletzung vom Dienst …«

»Captain Kila.« Gearys Tonfall ließ Kila abrupt innehalten. »Lieutenant Iger dient unter mir, nicht unter Ihnen. Ohne seine Anstrengungen und die seiner Untergebenen wüssten wir jetzt noch immer nicht, dass diese Flotte existiert.«

Kila drehte sich zu ihm um. »Nur damit es keine Missverständnisse gibt, Captain Geary. Sie halten es nicht für richtig, Leute für ihr Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen?«

Ihr Tonfall ließ ihn die Beherrschung verlieren. »Würde ich das machen, Captain Kila, dann würde ich Sie wegen des Verlustes des Schlachtkreuzers Opportune zur Verantwortung ziehen.«

Totenstille machte sich breit.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Geary Desjanis warnenden Blick. Er wusste sofort, was sie am liebsten laut ausgesprochen hätte: Sie können keinem Offizier dieser Flotte einen Vorwurf daraus machen, dass er zu aggressiv handelt. Keiner Ihrer Offiziere wird das akzeptieren – auch jetzt noch nicht.

Kila schien noch nach der passenden Erwiderung zu suchen, doch bevor sie etwas sagen konnte, ging Captain Caligo dazwischen: »Wir müssen uns auf das konzentrieren, was vor uns liegt, nicht auf die Vergangenheit. Nicht die Kameraden sind unsere Feinde, sondern die Syndiks.«

Die Bemerkung sagte eigentlich etwas ganz Selbstverständliches aus, aber sie bewirkte, dass die Anspannung sich legte.

»Caligo hat recht«, erklärte der Captain der Warspite. »Es ist völlig egal, woher diese Reserveflotte kommt. Tatsache ist, dass wir bei Atalia auf sie treffen werden, und das ist das Einzige, was mich interessiert.«

Geary atmete tief durch. »Ganz genau. Bevor wir von Padronis nach Atalia springen, werden wir unsere endgültige Gefechtsformation einnehmen. Im schlimmsten Fall müssen wir bei Verlassen des Sprungraums sofort kämpfen, aber es sieht so aus, als hätten die Syndiks diese Taktik aufgegeben. Sobald wir Gelegenheit hatten, ihre Position und Formation zu analysieren, werden wir vorrücken und ihnen wehtun.«

»Der Bestand unserer Brennstoffzellen wird sehr niedrig sein«, gab Tulev zu bedenken. »Der Verlust der Goblin ließ sich nicht verhindern, aber das hat die Lage nur noch ernster gemacht.«

»Ich weiß. Das bedeutet, dass wir dieser logistischen Problematik zum Trotz gewinnen müssen.« Das mochten zwar anfeuernde Worte sein, aber letztlich waren sie völlig nutzlos. Dennoch wollte ihm nichts Besseres einfallen.

»Wir sind besser als die Syndiks«, meldete sich Desjani zu Wort. »Wir können härter und klüger kämpfen als sie.« Einzelnen Offizieren ringsum am Tisch schienen diese Aussagen Mut zu machen, und Badaya nickte ihr zustimmend zu, auch wenn Desjani das nicht zu bemerken schien. Kila sah sie verächtlich an, doch das ignorierte sie ebenso. »Wir werden wieder gewinnen, weil diese Flotte einen Befehlshaber hat, mit dem es kein Syndik aufnehmen kann.«

Das kam ausgesprochen gut an und entlockte sogar Tulev ein flüchtiges Grinsen. »Ich kann Captain Desjani nicht widersprechen. Ich habe vollstes Vertrauen in Captain Geary. Seine bisherige Bilanz im Kampf gegen den Feind spricht Bände.«

»Vielen Dank«, sagte Geary. »Nun wissen Sie alle, was uns erwartet. Wir werden uns diese Syndik-Flotte vornehmen, wie wir es mit all ihren Vorgängern auch gemacht haben. Ich halte die Chancen, dass die Reserveflotte schon bei Padronis auf uns wartet, für sehr gering, dennoch werden wir auch gefechtsbereit sein, wenn wir dort eintreffen. Bei Padronis sehe ich Sie alle wieder.«

Als alle virtuellen Teilnehmer verschwunden und Lieutenant Iger erleichtert über das Ende der Konferenz aus dem Raum gestürmt war, wandte sich Geary zu Desjani um und zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Tut mir leid. Ich weiß, bei Kila ist mein Temperament mit mir durchgegangen.«

»Genau das will sie ja erreichen«, machte Desjani ihm klar. »Sie ist Ihr Feind, Sir, und Sie müssen Ihr gegenüber nach den gleichen Regeln vorgehen, wie Sie es bei den Syndiks machen. Lassen Sie sich nicht von ihr in einen Hinterhalt locken.«

»Okay, schon klar. Wenn ich das nächste Mal irgendetwas Dummes sagen will, dann verpassen Sie mir einen Tritt gegen das Schienbein.«

Desjani zog die Augenbrauen hoch. »Das würde mir bestimmt eine ganze Reihe von neugierigen Blicken einbringen. Die ernte ich in letzter Zeit sowieso, sobald ich nur den Mund aufmache.«

»Oh. Na ja, vielleicht sollten Sie mir stattdessen einfach diesen Blick zuwerfen, der sagt: ›Das sollten Sie lieber nicht sagen.‹«

»Habe ich so einen Blick?«

»Verdammt, ja. Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht, wovon ich rede.«

»Ich habe keine Ahnung.« Desjani ging auf die Luke zu. »Achten Sie nur darauf, was Sie in Kilas Gegenwart sagen. Sie lauert darauf, dass sich ihr eine Gelegenheit bietet, Ihnen in den Rücken zu fallen.«

»Ach, da wäre noch was.« Desjani blieb wieder stehen und wartete, dass Geary weiterredete. »Co-Präsidentin Rione hat mich gebeten, Ihnen ihren Dank dafür auszurichten, wie Sie mit Commander Fensin verfahren sind. Das hat ihm sehr geholfen.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur meine Pflicht getan, Sir, aber es freut mich, dass ich ihm behilflich sein konnte.«

»Soll ich Co-Präsidentin Rione irgendetwas von Ihnen ausrichten?«, hakte er nach, da er hoffte, so vielleicht die eisige Atmosphäre zwischen den beiden ein wenig zum Tauen zu bringen.

»Nein, Sir. Sie sollen sich nicht verpflichtet fühlen, meinetwegen mit ihr reden zu müssen.«

Er sah ihr nach, wie sie den Raum verließ. Dass das böse Blut zwischen den beiden Frauen zum Teil sein Fehler war, wusste er nur zu gut. Allerdings hatte er keine Ahnung, was er dagegen unternehmen sollte.

Bevor die Flotte Heradao verließ, gab es noch eine Sache zu erledigen. Es hatte sich in jedem Sternensystem abgespielt, in dem es zum Kampf gegen die Syndiks gekommen war, doch das machte einem die Angelegenheit nicht leichter. Geary trug seine Galauniform und stand mit gestrafften Schultern vor einer Ehrengarde aus Marines und Matrosen, die gleichfalls in Galauniform erschienen waren. Schwarze, mit Goldborte abgesetzte Armbinden schmückten den linken Arm eines jeden Anwesenden.

Geary räusperte sich und versuchte, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Jeder Sieg fordert seinen Preis. Viele unserer Kameraden sind in diesem Sternensystem gefallen, als sie für ihr Zuhause, ihre Familie und für ihre Überzeugung eintraten. Nun müssen wir uns von den sterblichen Überresten jener verabschieden, die in dieser Schlacht eines ehrenhaften Todes gestorben sind. Möge alle Ehre ihrem Andenken zuteil werden, und möge jenen Trost gespendet werden, die sie hinterlassen. Ihr Geist hat sich bereits ihren Vorfahren angeschlossen, und nun wird ihr Körper sich zu einem der Leuchtfeuer begeben, die uns die lebenden Sterne gewähren. Unsere Gebete und unser Dank werden sie begleiten.«

Captain Desjani trat mit ernster Miene vor und drehte sich zu den Marines um. »Bereit.« Die Marines legten ihre Waffen an. »Feuer.« Die Waffen, die auf die niedrigste Entladung eingestellt waren, erzeugten über ihnen helle Lichter. »Feuer.« Weitere Lichter. »Feuer.«

Desjani kehrte an ihren ursprünglichen Platz zurück.

Geary drehte sich zu ihr um. »Schicken Sie die sterblichen Überreste der geehrten Toten auf ihre letzte Reise.«

Desjani salutierte, wandte sich ab und gab den Befehl weiter an jedes Schiff in der Flotte, das Verluste zu beklagen hatte.

Hunderte von Kapseln mit Leichen verließen die Schiffe und flogen wie eine Flotte der Toten auf den Stern Heradao zu.

Geary hörte, wie Desjani flüsternd betete, und auch die anderen murmelten leise etwas. Er selbst wartete respektvoll ab, schickte ein paar Worte an seine Vorfahren und rief dann den letzten Befehl: »Weggetreten.«

Marines und Matrosen zogen sich so wie alle, die zur Zeremonie gekommen waren, langsam zurück, während Geary schweigend dastand und ein großes Display betrachtete, auf dem zu sehen war, wie die Kapseln mit den Toten sich zielstrebig von der Flotte entfernten.

Desjani stellte sich neben ihn. »Das ist immer das Schwierigste«, sagte sie, »der Abschied.«

»Ja. Ich wünschte, wir könnten sie nach Hause mitnehmen, damit jeder auf seiner Heimatwelt beigesetzt wird.«

»Das ist nicht machbar«, meinte sie kopfschüttelnd. »Wir müssten die Toten an der Außenhülle unserer Schiffe festmachen, und das wäre einfach nur pietätlos. Auf diese Weise erhalten sie die ehrenvollste Bestattung, die wir ihnen geben können. Wir übergeben sie der Umarmung eines Sterns.«

»Weltraumbestattungen waren zu meiner Zeit die Ausnahme«, erklärte Geary. »Allerdings hatten wir es auch nicht mit so vielen Toten zu tun.«

»Es ist die bestmögliche Ruhestätte«, beteuerte Desjani und legte eine Hand auf ihr Herz. »Alles, woraus wir geschaffen wurden, kommt von den Sternen. Jetzt kehren diese Toten zu den Sternen zurück, und eines Tages werden diese Sterne die in ihnen befindlichen Elemente herausschleudern, so wie sie es von Anbeginn an gemacht haben, und im Lauf der Zeit werden diese Elemente neue Sterne bilden, neue Welten und neues Leben. ›Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen kehren wir zurück‹«, zitierte sie. »Das ist ein gutes Schicksal, eine ehrliche letzte Ehre, die wir denen erweisen können, die an unserer Seite gestorben sind.«

»Ja, Sie haben recht.« Selbst der militanteste Agnostiker konnte nichts gegen die Wahrheit einwenden, die Desjani ausgesprochen hatte. Und auch wenn Geary den Zeitraum, der dafür notwendig war, für unerträglich lang hielt, tröstete es ihn dennoch, Teil eines ewigen Kreislaufs zu sein, den die Goldborte an den beiden Rändern der Armbinde symbolisierte. Licht, Dunkel, Licht. Das Dunkel war nur ein Intervall.

»Und Sie dürfen nicht vergessen«, ergänzte Desjani, »dass ohne Sie längst jeder Mann und jede Frau in dieser Flotte tot wäre – oder zumindest in einem Arbeitslager der Syndiks, wo sie nichts anderes erwarten würde als der ewige Tod fernab von allen, die sie liebten.«

»Ich habe das nicht allein geschafft. Ohne den Mut und die Anstrengungen aller Angehörigen dieser Flotte wäre das niemals möglich gewesen. Trotzdem vielen Dank. Sie geben mir Kraft, wenn ich sie am nötigsten habe.«

»Gern geschehen.« Ihre Hand ruhte für einen kurzen Moment auf seinem Arm, dann verließ Desjani ihn ohne ein weiteres Wort.

Er blieb noch eine Weile und beobachtete die Kapseln, wie sie ihren Weg zum Stern fortsetzten.

Etliche Stunden später ging die Allianz-Flotte zum Sprung nach Padronis über, während hinter ihr auf den Welten von Heradao der Bürgerkrieg weitertobte.

Padronis war ein weiteres von der Menschheit aufgegebenes System, das der Allianz nichts von Nutzen bieten konnte. Geary schüttelte den Kopf, als er sah, wie die Flottensensoren das bewerteten, was die Syndiks auf einer kleinen Rettungsstation zurückgelassen hatten, als sie sich aus diesem System zurückzogen. Hier konnte es nichts geben, was es wert gewesen wäre, die Fahrt auch nur eines Schiffs zu verlangsamen.

Allerdings hatten sie auch nicht erwartet, in irgendeiner Weise fündig zu werden. Padronis war ein weißer Zwerg, der allein in der Leere des Alls vor sich hin strahlte, ganz ohne die Ansammlung von Planeten und Asteroiden, die üblicherweise um einen Stern kreisten. So wie jeder weiße Zwerg sammelte sich in der äußersten Hülle zu viel Helium an, woraufhin er zur Nova wurde und diese Hülle abstieß, um dann für kurze Zeit viel heller zu leuchten. Diese gelegentlichen Novae bewirkten, dass alle Welten und Felsbrocken, die sich jemals im Orbit befunden hatten, längst zertrümmert und in die Dunkelheit zwischen den Sternen geschleudert worden waren. Nur die noch relativ neue und nun verlassene Orbitaleinrichtung der Syndiks zog noch ihre Bahn um den Stern. Eines Tages würde Padronis wieder zur Nova werden und auch dieser Station ihr Ende bereiten. Die Sensoren hatten die Hülle des Sterns analysiert und den Schluss gezogen, dass dieses Ereignis noch lange nicht eintreten würde.

»Stellen Sie sich vor, Sie hätten zu der Besatzung auf dieser Station gehört«, sagte Geary zu Desjani. »Hier war eine Notfallstation erforderlich, immerhin sind hier zurzeit des Sprungantriebs etliche Schiffe durchgeflogen. Aber das Personal der Station muss sich schrecklich isoliert gefühlt haben. Das hier ist das reinste Nichts.«

Sie verzog den Mund und nickte. »Schlimmer könnte es nur sein, in einem System mit einem Schwarzen Loch festzusitzen, aber das dürfte ja ohnehin nur Wissenschaftsfreaks widerfahren. Ich möchte wetten, die Syndiks haben die Station mit Kriminellen besetzt. Sie haben sie bestimmt vor die Wahl gestellt, für ein paar Jahre ins Arbeitslager zu gehen oder hierher nach Padronis zu kommen. Ich frage mich, wie viele wohl dem Arbeitslager den Vorzug gaben.«

»Ich glaube, das hätte ich auch gemacht«, sagte Geary und wollte gerade noch etwas anfügen, da begann sein Display zu flackern und erlosch gleich darauf komplett, während die Brückenbeleuchtung dunkler wurde.

»Was ist passiert?«, wollte Desjani von ihrer Brückencrew wissen, während sie auf ihr eigenes Display tippte. Das aber war genauso tot wie Gearys.

»Notfallabschaltung der Systeme«, meldete ein Wachhabender erschrocken. »Soweit ich das feststellen kann, hat sich auf dem Schiff alles abgeschaltet, ausgenommen die Notfallreserven.«

»Wieso?«

»Ursache unbekannt, Captain. Ich … Warten Sie. Der Maschinenraum benutzt das lautgesteuerte Komm-System, um uns auf dem Laufenden zu halten. Sie sagen, der Hauptantrieb hat einen Notfallabsturz vorgenommen. Sie analysieren momentan jedes System, bevor sie es wieder hochfahren.«

Desjani ballte die Fäuste. »Was kann diesen Notfallabsturz ausgelöst haben?«

Der Maschinenraum-Wachhabende wirkte in der schwachen Notbeleuchtung leichenblass. »Bislang nicht bekannt. Den lebenden Sternen sei Dank, dass der Antrieb sich noch abschalten konnte, Captain. Alles, was einen Notfallabsturz bewirken kann, ist sehr ernst.«

Geary sprach in die sich anschließende Stille: »Das heißt, wir sind gerade eben nur knapp einem Versagen des Hauptantriebs entgangen?«

»Sieht so aus, und zwar einem verheerenden Versagen.« Mit mürrischer Miene wandte sich Desjani ihren Wachhabenden zu. »Ich will schnellstens von allen Abteilungen einen Statusbericht sehen, außerdem brauche ich eine Schätzung vom Maschinenraum, wie lange es dauern wird, den Antrieb neu zu starten.«

»Können wir mit dem Rest der Flotte Kontakt aufnehmen?«, wollte Geary wissen.

»Die Notsysteme sind aktiv, Sir. Nur Sprache, keine Daten.«

»Teilen Sie dem Rest der Flotte mit, was gerade passiert ist.«

»Jawohl Sir.« Dann hielt der Komm-Wachhabende inne, lauschte und schnappte erschrocken nach Luft. »Sir, die Daring meldet, dass es auf der Lorica in dem Moment, als sich unsere Systeme abschalteten, zu einem Versagen des Hauptantriebs gekommen ist. Die Lorica wurde vollständig zerstört, keine Anzeichen für Überlebende.«

Ein einzelner Zwischenfall dieser Art war ein zwar sehr seltenes, aber nicht unmögliches Ereignis. Zwei solche Zwischenfälle zur gleichen Zeit konnten nur mit Sabotage erklärt werden. Derjenige, der für die Verbreitung der Würmer in den Flottensystemen verantwortlich war, hatte wieder zugeschlagen.

»Bastarde«, hauchte Desjani mit verbissener Miene. Als sie lauter weiterredete, fand Geary, dass sie sich erstaunlich gut unter Kontrolle hatte. »Informieren Sie den Maschinenraum, dass ein Wurm in den Betriebssystemen der wahrscheinliche Grund für den Notfallabsturz ist.«

Alle Wachhabenden sahen sie erschrocken an, dann reagierte der Maschinenraum-Verantwortliche hastig: »Jawohl, Captain.«

»Captain Geary«, rief der Ablauf-Wachhabende. »Die Daring fragt an, welche Anweisungen sie an den Rest der Flotte weiterleiten soll. Sollen alle Schiffe ihre relative Position zur Dauntless auch dann beibehalten, wenn sie vom Kurs abdriftet?«

Das war wenigstens eine relativ leichte Frage. Ein einzelnes Schiff in seine alte Position innerhalb der Flotte zurückzubringen, verbrauchte wesentlich weniger Energie, als wenn die gesamte Flotte nun eine Kurskorrektur vornahm, um in der Nähe der Dauntless zu bleiben, solange die weder über Antriebs- noch Steuersysteme verfügte. »Sagen Sie der Daring, sie soll unsere Rolle als Führungsschiff übernehmen, bis die Dauntless wieder da ist.«

Nach nicht einmal zwanzig Minuten rief der Offizier für Systemsicherheit die Brücke, aber für Geary waren das die längsten zwanzig Minuten seines Lebens gewesen. Er vergaß schnell, wie sehr er sich daran gewöhnt hatte, sein Display zu benutzen, um alle Informationen zu erhalten, die er benötigte – bis dieses Display auf einmal nicht mehr dort war und er nichts weiter sehen konnte als den Ausschnitt der Brücke, der sich vor seinem Kommandosessel befand. Natürlich gab es keine Fenster, weder hier tief im Inneren der Dauntless noch in der Außenhülle. Das Fehlen von Fenstern trug schließlich erheblich zur Stabilität und Integrität der Hülle bei. Aber in Augenblicken wie diesem wäre sogar ein winziger Sehschlitz wünschenswert gewesen, um den Rest der Flotte wenigstens sehen zu können.

»Wir haben ihn gefunden«, meldete der Systemoffizier, der sich über die lautgesteuerte Notverbindung seltsam weit entfernt anhörte. »Der Wurm hat versucht, ein Versagen des Hauptantriebs herbeizuführen, aber unsere Sicherheitssysteme waren schneller und haben einen Notfallabsturz ausgelöst.«

»Können Sie sich erklären, warum das bei der Lorica nicht funktioniert hat?«, fragte Desjani.

»Da kann ich nur raten, Captain. Betriebssysteme sind extrem komplex, deshalb unterscheiden sie sich zwischen den Schiffen in Feinheiten voneinander, selbst wenn sie eigentlich identisch sein sollten. Bei den Sicherheitssystemen der Lorica könnte es solche Abweichungen gegeben haben. Oder der Befehl zur Überladung erfolgte genau in dem Teil einer Millisekunde, als unsere Systeme nach etwas Derartigem Ausschau hielten, während ihre Systeme anderweitig aktiv waren. Ich will nicht schlecht über die Toten reden, aber denkbar ist auch, dass die Verantwortlichen auf der Lorica ihren Systemschutz nicht auf den allerneuesten Stand gebracht hatten. All dies ist möglich, aber wir werden wahrscheinlich nie erfahren, was geschehen ist. Ich nehme an, dass von der Lorica nicht genug übrig geblieben ist, um uns noch eine Antwort geben zu können.«

Desjani schloss die Augen, ihre Lippen bewegten sich in einem stummen Gebet. Geary konnte nachempfinden, wie sie sich in diesem Moment fühlen musste. Die Dauntless war nur um Haaresbreite der Vernichtung entgangen. »Sind Sie sich ganz sicher«, wollte sie dann von ihrem Offizier wissen, »dass in den Systemen nicht noch was lauert?«

»Wir haben nichts gefunden, Captain.«

»Danach habe ich nicht gefragt.«

»Ja, Captain! Das heißt … nein, Captain! Wenn es weitere Würmer gäbe, hätten wir sie gefunden. Darauf verwette ich mein Leben.«

Sie verzog den Mund zu einem humorlosen Lächeln. »Genau das tun Sie gerade! Stellen Sie sicher, dass der Wurm vollständig eliminiert worden ist, und durchsuchen Sie alle Systeme nach anderen Bedrohungen. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie und der Chefingenieur es vertreten können, den Hauptantrieb wieder einzuschalten.«

»Jawohl, Captain. Geschätzte Zeit noch einmal fünfzehn Minuten.«

Sie ließ sich nach hinten in ihren Sessel sinken und sah sich auf der Brücke um. »Sie können alle eine Viertelstunde entspannen. Halten Sie sich bereit, sofort in Aktion zu treten, sobald die Energie wieder da ist.«

Geary starrte das nächstbeste Schott an, da ihm die Ablenkung fehlte, sich mit den Problemen befassen zu können, mit denen Desjani und ihre Leute zu tun hatten. »Wir müssen die Verantwortlichen ausfindig machen«, raunte er schließlich Desjani frustriert zu. »Diesmal haben sie es geschafft, eines unserer Schiffe zu zerstören.«

»Aber wieso die Lorica?«, fragte sie sehr leise. »Haben Sie irgendeine Idee?«

»O ja.« Commander Gaes hatte das Kommando über die Lorica gehabt, und von ihr hatte er auch die ursprüngliche Warnung vor einem Wurm in der Flotte erhalten. Sie hatte etwas gewusst, und offenbar war das schon zu viel für diejenigen gewesen, die für den Wurm verantwortlich waren.

Desjani nickte, während sie Geary beobachtete. »Gaes hatte sich zwar zunächst Falco angeschlossen, aber nach der Rückkehr zur Flotte hat sie sich ganz auf Ihre Seite geschlagen. Ihre Kontakte zu abtrünnigen Offizieren müssen für Sie doch nützlich gewesen sein.«

»Das waren sie auch, und so wie es aussieht, habe ich nicht als Einziger so gedacht.«

»Wir werden die Verantwortlichen finden, Captain Geary«, versprach sie ihm. »Irgendjemand wird wissen, wer das getan hat, und jetzt wird er bestimmt nicht länger schweigen.«

Davon war er nicht so überzeugt. Würmer, die zu dem Zweck entwickelt worden waren, Allianz-Schiffe zu zerstören, hätten Widerspruch ausgelöst, wenn mehr als nur eine Hand voll Leute eingeweiht gewesen wäre. Und diese Hand voll Leute war sich jetzt im Klaren darüber, dass ein Erschießungskommando auf sie wartete, sobald sie ihr Wissen offenbarten.

Den Rest der Wartezeit verbrachten sie schweigend. Da nur die Notbeleuchtung funktionierte, war es auf der Brücke recht düster, weshalb Geary sie mit einem Mal als erdrückend klein und eng empfand. Gleichzeitig fragte er sich, ob die Temperatur tatsächlich so stark angestiegen war, wie es die Einbildung ihm weismachen wollte, und ob die Luft abgestanden war. Er wusste, dass die Notfallsysteme die wichtigsten Funktionen eines Schiffs viel länger aufrechterhalten konnten als nur für den Zeitraum, der seit dem Notfallabsturz verstrichen war. Also zwang er sich dazu, sich zu entspannen und einen sorglosen Eindruck zu machen.

»Hauptantriebssysteme sind gesäubert«, ging schließlich die erlösende Meldung ein. »Der Wurm ist erfolgreich getilgt worden. Erbitte Erlaubnis, den Hauptantrieb neu zu starten.«

»Machen Sie schon«, fauchte Desjani. Wenige Minuten darauf wurde die Brückenbeleuchtung heller, und die Ventilatoren der Lüftungssysteme surrten wieder etwas lauter. Nicht mal eine Minute später schalteten sich auch die Displays ein. »Bringen Sie uns auf unsere alte Position zurück«, befahl sie dem Steuer-Wachhabenden. »Vermutlich sind wir ein wenig abgedriftet. Orientieren Sie sich an der Daring, dann übernehmen wir wieder die Führung über die Flotte.«

Das Wiederauftauchen seines Displays war sehr hilfreich. Geary hatte gegen die irrationale Sorge ankämpfen müssen, es könnten mehr Schiffe als nur die Lorica zerstört worden sein. Jetzt bekam er die Bestätigung, dass alle übrigen Schiffe noch vorhanden waren. So gut diese Erkenntnis auch war, so ernüchternd wirkten die Meldungen von den Schiffen, die sich in der Nähe der Lorica aufgehalten hatten, als die explodiert war. »Keine Überlebenden«, murmelte er.

»Es hätte nur jemand überleben können, der vor der Explosion in einer Rettungskapsel das Schiff verlassen hätte«, betonte Desjani. »Wenn die Befehlshaber der anderen Schiffe dessen gewahr geworden wären, hätten die Überlebenden nicht mehr lange zu leben gehabt.«

Natürlich hatte sie recht, doch das half ihm jetzt auch nicht weiter. Er atmete tief durch, öffnete ein Komm-Fenster und wandte sich an die ganze Flotte: »Hier spricht Captain Geary. Die Dauntless und ihre Besatzung sind unversehrt. Wir untersuchen die Ursache für das Versagen des Antriebs der Lorica und den Grund für den Notfallabsturz auf der Dauntless. Wer Informationen über diesen Vorfall besitzt, wird gebeten, sich unverzüglich mit mir in Verbindung zu setzen.«

Eine Untersuchung der Ursache. Was für eine hochtrabende Bezeichnung für einen Vorgang, der wahrscheinlich keinerlei Ergebnisse liefern würde. Wenn die Verantwortlichen für diesen Wurm genauso gründlich vorgegangen waren wie beim letzten Mal, dann würde es auch dieses Mal keine Möglichkeit geben, den Wurm zu seinem Verursacher zurückzuverfolgen. Diese Erkenntnis war so frustrierend, dass Geary sich zwingen musste, sitzen zu bleiben, anstatt zum nächsten Schott zu eilen und es mit den Fäusten zu traktieren.

Er rief den Nachrichteneingang auf, ohne damit zu rechnen, dort die Antworten zu finden, die er benötigte. Aber zumindest würde er sich so ein wenig ablenken können. Er stutzte, als er lauter Nachrichten aufblinken sah, die alle mit der höchsten Prioritätsstufe versehen waren. Sie mussten ins Flottennetz geschickt worden sein, als die Dauntless ohne Systeme im All trieb, was bedeutete, dass keine von ihnen eine Reaktion auf seine Nachricht an alle Schiffe sein konnte. Es würde eine Ewigkeit dauern, sie alle durchzulesen, zumal er schon jetzt vermutete, dass es sich wahrscheinlich um die Fragen »Was ist passiert?« und »Alles in Ordnung?« in allen denkbaren Varianten handelte.

Plötzlich hielt er inne. Eine der Nachrichten kam von der Lorica.

»Captain Desjani, können Sie die genaue Zeit angeben, als die Lorica zerstört wurde?«

Sie reagierte mit einem verwunderten Blick und fragte sich wohl, was an dieser Information so wichtig sein sollte. »Unser eigener Hauptantrieb erlitt um 1412 seinen Notfallabsturz. Laut den Systemaufzeichnungen, die wir vom Rest der Flotte erhalten haben, explodierte die Lorica 2,7 Sekunden nach 1412.«

Geary überprüfte die Nachricht noch einmal. »Ich habe hier eine Nachricht von der Lorica, die mir um 1415 geschickt wurde.«

»Sir?« Desjani stellte sich zu ihm und beugte sich über seine Schulter, um auf sein Display zu schauen, dann tippte sie auf verschiedene Tasten gleich neben seiner Hand. »Das Komm-Netz der Flotte listet die Nachricht so auf, dass sie nach 1414 zum Senden empfangen wurde. Gesendet wurde sie dann zur nächsten vollen Minute.« Sie richtete sich auf und sah ihren Komm-Wachhabenden an. »Wie kann das Komm-System eine Nachricht von der Lorica empfangen, wenn das Schiff bereits nicht mehr existiert hat?«

»Das kann es nicht, Captain. Selbst wenn die Weiterleitung mit Verzögerung stattfindet, listet das System auf, wann die Nachricht tatsächlich gesendet wurde.« Der Wachhabende war einen Moment lang verblüfft, schließlich nickte er verstehend. »Die Nachricht müsste im System geparkt und versteckt worden sein. Die Leute sollen das eigentlich nicht machen, aber es gibt verschiedene Wege, wie man das hinkriegt. Die Lorica oder jemand auf der Lorica hat die Nachricht zu einem früheren Zeitpunkt ins Komm-System geschickt, sie aber unter einem Protokoll versteckt, das die Nachricht bis zu einem bestimmten Ereignis für das System unsichtbar macht. Beispielsweise bis eine bestimmte Uhrzeit erreicht ist.«

Geary schüttelte den Kopf. »Warum sollte die Lorica so was machen?« Er konnte sich viele Gründe vorstellen, dass jemand eine Nachricht mit einer anderen Zeit versehen wollte, etwa wenn er irgendwas verbockt hatte und sich rauszureden versuchte. Aber warum das jemand auf der Lorica getan haben sollte leuchtete ihm nicht ein. Er rief die Nachricht auf und überflog sie, konnte aber nichts damit anfangen, da der Inhalt offenbar verschlüsselt worden war. »Captain Desjani, wer kann mir sagen, was das hier sein soll?«

Sie sah sich die Zeichen an, dann tippte sie wieder etwas ein. »Mit Ihrer Erlaubnis werde ich das erst mal an meinen Offizier für Systemsicherheit schicken, bevor das irgendwie an Bord gelangt, Sir. Wir wissen nicht, was da drinsteckt.«

»Könnte das der Wurm sein, der uns fast umgebracht hätte?«, fragte er mit einer Mischung aus Angst und Wut.

»Selbst wenn, würde er nicht auf diesem Weg verschickt werden«, gab sie kopfschüttelnd zurück. »Die Filter und die Firewall in diesem Teil des Komm-Systems lassen nichts Aktives passieren. Den Wurm auf diese Weise zu verschicken, wäre in etwa das Gleiche, als würde man uns ein Foto einer Rakete zeigen, anstatt tatsächlich eine Rakete auf uns abzufeuern. Meine Systemfachleute sollten in der Lage sein, das da zu identifizieren.«

Die Antwort kam recht schnell. In dem kleinen Fenster auf ihrem und Gearys Display tauchte das Gesicht von Desjanis Offizier für Systemsicherheit auf. Der Lieutenant Commander machte einen verdutzten Eindruck. »Sir, Captain, ich … ähm … diese Nachricht von der Lorica. Das ist der Code für den ersten Wurm, der uns beinahe Probleme beim Sprungantrieb beschert hätte.«

»Der Wurm kam von der Lorica?« Geary verspürte tiefe Enttäuschung. Er hatte Commander Gaes vertraut, ihr eine zweite Chance gegeben, und trotzdem …

»Nein, Sir. Die Nachricht ist eine Kopie des ersten Wurms, allerdings mit allen Informationen, um den Wurm zurückzuverfolgen, und der Angabe der Identität des Schiffs, von dem der Wurm stammt. Ich habe keine Ahnung, wie die Lorica an diese Kopie gelangt ist.« Der Offizier schluckte nervös. »Laut dieser Übertragung hat der Wurm auf der Inspire seinen Ursprung.«

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