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Pax Tarkas, anfangs ein Monument des Friedens, war ein Symbol des Krieges geworden.

Die Geschichte der gigantischen Festung Pax Tarkas hat ihre Wurzeln in einer Legende, der Geschichte einer zugrunde gegangenen Zwergenrasse, bekannt als die Kal-Tax.

Vor dem Zeitalter der Träume war das Zeitalter der Dämmerung, in dem die Geschichte der Welt in die Nebel ihrer Anfänge eingehüllt ist. Zu jener Zeit lebte in den großen Hallen von Thorbadin eine Zwergenrasse, deren Steinarbeit so vollkommen war, daß der Gott Reorx, der Schmied der Welt, auf sie blickte und staunte. In seiner Weisheit erkannte er, daß das Leben keine Ziele und Bestrebungen mehr bieten würde, nach denen die Sterblichen trachten könnten, wenn sie diese Vollkommenheit erlangt hätten. Reorx nahm also die gesamte Rasse der Kal-Tax zu sich und ließ sie in der Nähe seiner himmlischen Schmiede leben.

Nur wenige Beispiele des uralten Könnens der Kal-Tax blieben erhalten. Diese werden im Zwergenkönigreich Thorbadin aufbewahrt und über alle anderen Dinge geschätzt. Nach der Zeit der Kal-Tax galt das lebenslange Streben eines jeden Zwergs, diese Vollkommenheit in der Steinarbeit zu erreichen, damit auch er von Reorx aufgenommen wurde.

Im Lauf der Zeit wurde dieses achtbare Ziel jedoch zur Besessenheit. Nur noch an Stein denkend und von ihm träumend, wurde das Leben der Zwerge genauso unbeweglich und unveränderlich wie das Medium ihrer Kunst. Sie vergruben sich tief in ihre uralten Hallen unter dem Gebirge und hielten sich von der Außenwelt fern.

Die Zeit verging und brachte die tragischen Kriege zwischen Elfen und Menschen mit sich. Sie endeten mit der Unterzeichnung der Schriftrolle der Schwertscheide und der Selbstverbannung Kit-Kanans und seiner Anhänger aus der uralten Elfenheimat Silvanesti. Gemäß den Vertragsbedingungen der Schriftrolle der Schwertscheide wurde den Qualinesti – was »befreites Volk« bedeutet – das Gebiet westlich von Thorbadin als neue Heimat überlassen.

Damit waren sowohl die Menschen als auch die Elfen einverstanden. Unglücklicherweise machte sich niemand die Mühe, die Zwerge zu befragen. Den Zustrom der Elfen als Bedrohung ihrer Lebensweise unter dem Gebirge betrachtend, griffen die Zwerge an. Kit-Kanan fand zu seinem Kummer, daß er von einem Krieg weggegangen war, nur um in einen anderen verwickelt zu werden.

Nach vielen Jahren gelang es dem klugen Elfenkönig, die dickköpfigen Zwerge zu überzeugen, daß die Elfen kein Interesse an ihrem Stein hegten. Sie wollten nur die lebendige Schönheit ihrer Wildnis. Obgleich diese Liebe zu etwas Wechselhaftem und Wildem den Zwergen völlig unbegreiflich war, akzeptierten sie sie schließlich. Die Elfen wurden nicht mehr als Feinde betrachtet.

Zu Ehren dieser Übereinkunft wurde Pax Tarkas gebaut. Die Festung, die den Gebirgspaß zwischen Qualinesti und Thorbadin bewacht, wurde als Monument der Unterschiede geweiht – ein Symbol der Eintracht und der Verschiedenheit.

In jenen Zeiten vor der Umwälzung hatten Elfen und Zwerge gemeinsam die Zinnen der mächtigen Festung bemannt. Aber jetzt hielten allein die Zwerge Wache auf den zwei hohen Türmen. Denn die böse Zeit hatte wieder zu einer Spaltung zwischen den Rassen geführt.

Die Elfen verließen Pax Tarkas und zogen sich in ihre Waldheimat Qualinesti zurück. Geborgen inmitten ihrer Wälder, schlossen sie ihre Grenzen. Unbefugte – ob Mensch oder Goblin, Zwerg oder Oger – wurden unverzüglich getötet.

Dunkan, König von Thorbadin, dachte darüber nach, während er die Sonne beobachtete, die hinter den Bergen versank. Er hatte eine plötzliche Vision von den Elfen, die die Sonne angriffen, da diese in ihr Land eingedrungen war, und er schnaubte verächtlich. Nun, sie hatten gute Gründe, verrückt zu sein, sagte er sich, und die Welt auszusperren. Was machte die Welt auch mit ihnen?

Sie war in ihre Gebiete eingefallen, hatte ihre Frauen vergewaltigt, ihre Kinder ermordet, ihre Häuser angezündet, ihre Nahrung geraubt. Und waren es Goblins oder Oger, hervorgebracht von dem Bösen? Nein! Dunkan brummte grimmig in seinen Bart. Es waren jene, denen sie vertraut hatten, jene, die sie als Freunde begrüßt hatten – Menschen.

Und jetzt sind wir an der Reihe, dachte Dunkan und schritt an den Zinnen vorbei, ein Auge auf den Sonnenuntergang gerichtet, der den Himmel in Blut tauchte. Jetzt sind wir an der Reihe, unsere Türen zu verschließen und uns von der Welt zu lösen!

In seine Gedanken verloren, nahm Dunkan nur allmählich die andere Person wahr, die sich zu ihm gesellt hatte; eisenbeschuhte Schritte hielten Takt mit seinen. Der andere Zwerg überragte seinen König um Haupteslänge, und mit seinen langen Beinen konnte er zweimal so schnell gehen wie dieser. Aber er hatte aus Respekt seinen Schritt verlangsamt und sich dem seines Monarchen angepaßt.

Dunkans Blick verdunkelte sich vor Unbehagen. Zu jeder anderen Zeit wäre ihm die Gesellschaft dieser Person willkommen gewesen. Jetzt erschien sie ihm wie ein böses Omen. Sie warf einen Schatten über seine Gedanken, so wie die untergehende Sonne die eisigen Berggipfel veranlaßte, ihre Schatten auf Pax Tarkas auszustrecken.

»Sie werden unsere westliche Grenze gut bewachen«, sagte Dunkan in der Absicht, eine Unterhaltung zu eröffnen; sein Blick ruhte auf den Grenzen von Qualinesti.

»Sicher«, antwortete der andere Zwerg, und Dunkan warf ihm einen scharfen Blick zu. Obgleich der größere Zwerg seinem König zugestimmt hatte, lag eine Kühle im Tonfall des Zwergs, die auf sein Mißfallen hindeutete.

Verärgert aufschnaufend, wirbelte Dunkan herum, steuerte in eine andere Richtung und hatte die Befriedigung, den anderen Zwerg überrumpelt zu haben. Aber der größere Zwerg blieb einfach stehen und starrte traurig über die Zinnen von Pax Tarkas in das nun schattige Elfenland, anstatt sich umzudrehen und seinen König einzuholen.

In seiner Verärgerung erwog Dunkan zuerst, einfach ohne seinen Begleiter weiterzugehen, dann blieb er stehen, um dem größeren Zwerg Zeit zum Aufholen zu geben. Jedoch rührte sich dieser nicht, und aufgebracht drehte sich Dunkan schließlich um und stapfte zurück.

»Beim Barte Reorx’, Kharas«, knurrte er, »was ist los?«

»Ich finde, du solltest dich mit Feuerschmied treffen«, erwiderte Kharas langsam. Seine Augen waren auf den Himmel gerichtet, der sich nun purpurrot verdunkelte.

»Ich habe ihm nichts zu sagen«, erwiderte Dunkan.

Kharas strich über die silbernen Locken seines langen, sich kräuselnden Bartes, der im Licht der Fackeln glänzte, die an den Mauern hingen. Er wollte gerade etwas erwidern, als sich die Luft mit Lärm füllte, dem Dröhnen von Stiefeln, dem Ertönen von Stimmen, dem Aufschlagen von Äxten gegen Stahl: die Wachablösung. Hauptleute schrien Befehle, Männer verließen ihre Stellungen, andere nahmen sie ein.

Kharas, der den Vorgang schweigend beobachtete, benutzte ihn als bedeutungsvolle Unterstützung für die Erklärung, die er schließlich gab. »Ich finde, du solltest anhören, was er dir zu sagen hat«, sagte er. »Es gibt Gerede, daß du unsere Verwandten in den Krieg treibst...«

»Ich?« brüllte Dunkan vor Zorn. »Ich treibe sie in den Krieg? Sie sind es doch, die aufmarschieren, wie die Ratten aus ihren Löchern schwärmen! Sie waren es, die das Gebirge verlassen haben. Wir haben sie niemals aufgefordert, ihre uralte Heimat aufzugeben! Aber nein, in ihrem halsstarrigen Stolz...« Er schimpfte weiter und gab lange Geschichten von Kränkungen von sich, die sowohl wirklich als auch eingebildet waren. Kharas ließ ihn reden und wartete geduldig, bis Dunkan den Großteil seines Zornes abgelassen hatte.

Dann sagte der große Zwerg geduldig: »Es wird dich nichts kosten zuzuhören und könnte uns langfristig großen Nutzen bringen. Nicht nur unsere Verwandten, auch andere Augen halten Ausschau, dessen kannst du sicher sein.«

Als einem von sieben Königen, die über die sieben Sippen des Zwergenkönigreichs herrschten, war es Dunkan gelungen, die anderen Könige unter seiner Führerschaft zu vereinen. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten hatten die Zwerge von Thorbadin einen einzigen König. Selbst die Dewaren erkannten Dunkan, wenn auch widerwillig, als ihren Anführer an.

Die Dewaren, die sogenannten Dunkelzwerge, lebten tief unter der Erde, in schwach beleuchteten, übelriechenden Höhlen, die selbst die Bergzwerge von Thorbadin, die den größten Teil ihres Lebens unter der Erde verbrachten, nur zögernd betraten. Vor langer Zeit hatte sich bei dieser Sippe Wahnsinn bemerkbar gemacht, so daß sie von den anderen gemieden wurden. Jetzt, nach Jahrhunderten der Inzucht, die ihnen durch ihre Isolation aufgezwungen wurde, trat ihr Wahnsinn noch stärker hervor, während jene, die als geistig gesund eingestuft wurden, ein verbitterter, mürrischer Haufen waren.

Aber sie hatten auch ihr Gutes. Schnell zornig, grausame Mörder mit Spaß am Töten, machten sie einen wertvollen Teil der Armee des Königs aus. Aus diesem Grund, und weil Dunkan im Innersten ein gerechter Zwerg war, behandelte er sie gut. Aber er war klug genug, ihnen nicht den Rücken zuzuwenden.

Gleichermaßen war Dunkan klug genug, die weisen Worte von Kharas in Erwägung zu ziehen. »Andere Augen halten Ausschau.« Das war nur allzu wahr. Er warf einen Blick nach Westen, dieses Mal einen achtsamen. Die Elfen wollten keinen Ärger, in dieser Hinsicht fühlte er sich sicher. Trotzdem, wenn sie annahmen, daß die Zwerge einen Krieg wollten, würden sie schnell handeln, um ihre Heimat zu schützen. Er wandte sich um und sah nach Norden. Es gab Gerüchte, daß kriegerische Menschen aus den Ebenen Abanasinias ein Bündnis mit den Hügelzwergen in Erwägung zogen und in ihren Gebieten Lager errichten wollten. Soweit Dunkan wußte, konnte dieses Bündnis bereits bestehen. Zumindest konnte er das herausfinden, wenn er mit dem Hügelzwerg Feuerschmied redete.

Und dann gab es noch dunklere Gerüchte, Gerüchte von einer Armee, die aus dem zerstörten Land Solamnia anmarschierte, eine Armee, die von einem mächtigen, schwarzgekleideten Zauberer angeführt wurde...

»Na schön!« knurrte König Dunkan. »Du hast wieder einmal gewonnen, Kharas. Sag dem Hügelzwerg, daß ich ihn zur nächsten Wacht in der Halle der Lehnsmänner treffen werde. Sieh zu, daß du Vertreter der anderen Lehnsmänner auftreibst. Wir werden ehrlich und offen vorgehen, da es ja das ist, was du empfiehlst.«

Lächelnd verbeugte sich Kharas; sein langer Bart fegte fast über seine Stiefelspitzen. Mit einem verdrießlichen Nicken drehte sich Dunkan um und stapfte nach unten; das laute Geräusch seiner Stiefel gab den Grad seines Mißfallens bekannt. Die Zwerge an den Zinnen verbeugten sich, als ihr König vorbeiging, aber fast unverzüglich wandten sie sich wieder der Beobachtung zu. Zwerge sind ein unabhängiges Volk, in erster Linie ihren Sippen ergeben, jeden anderen an zweiter Stelle einstufend. Dunkan wurde zwar von allen respektiert, aber nicht verehrt, und das war ihm wohl bewußt. Die Aufrechterhaltung seiner Position war ein tagtäglicher Kampf.

Unterhaltungen, die durch das Vorbeigehen des Königs unterbrochen worden waren, wurden fast unverzüglich wiederaufgenommen. Diese Zwerge wußten, daß der Krieg nahte; in der Tat waren sie erpicht darauf. Als er ihren tiefen Stimmen lauschte, ihre Gespräche über Schlachten und Kämpfe hörte, stieß Kharas einen weiteren Seufzer aus.

Er wandte sich in die entgegengesetzte Richtung und machte sich auf die Suche nach der Abordnung der Hügelzwerge. Sein Herz war fast so schwer wie der gigantische Kriegshammer, den er trug – ein Hammer, den nur wenige Zwerge heben konnten. Auch Kharas sah den Krieg kommen. Er fühlte sich, so wie er sich einmal gefühlt hatte, als er im Kindesalter in die Stadt Tarsis gereist war und am Strand gestanden und verwundert die Wellen beobachtet hatte, die am Ufer zerbarsten. Daß der Krieg nahte, schien genauso unvermeidbar und unaufhaltsam wie die Wellen. Aber er war trotzdem entschlossen, alles zu tun, um ihn zu verhindern.

Kharas machte keinen Hehl aus seinem Haß gegen den Krieg, er machte sich für den Frieden stark. Viele Zwerge fanden das merkwürdig, denn Kharas galt als der anerkannte Held seiner Rasse. In den Tagen vor der Umwälzung war er als junger Zwerg unter jenen gewesen, die gegen die Legionen der Goblins und Oger in den Großen Goblinkriegen gekämpft hatten, die von Istars Königspriester entfacht worden waren.

Es war eine Zeit gewesen, in der noch Vertrauen unter den Rassen geherrscht hatte. Mit den Rittern verbündet, waren die Zwerge ihnen zu Hilfe gekommen, als die Goblins in Solamnia einmarschierten. Zwerge und Ritter hatten Seite an Seite gekämpft, und der junge Kharas war vom ritterlichen Verhalten tief beeindruckt gewesen. Die Ritter wiederum waren vom Kampfgeschick des jungen Zwergs beeindruckt gewesen.

Größer und stärker als alle anderen seiner Rasse, schwang Kharas einen riesigen Hammer, den er selbst geschmiedet hatte – in Legenden hieß es, mit der Hilfe des Gottes Reorx —, und unzählige Male kam es vor, daß er das Kampffeld allein behielt, bis seine Männer sich wieder hinter ihm sammeln konnten.

Für seinen Mut belohnten die Ritter ihn mit dem Namen »Kharas«, der in ihrer Sprache »Ritter« bedeutete. Es gab keine größere Ehre, die sie jemand gewähren konnten.

Als Kharas nach Hause zurückkehrte, stellte er fest, daß sich sein Ruhm bereits verbreitet hatte. Er hätte der militärische Anführer der Zwerge werden können. Er hätte sogar König werden können, aber einen derartigen Ehrgeiz hegte er nicht. Er war einer von Dunkans stärksten Unterstützern gewesen, und viele glaubten, daß Dunkan Kharas seinen Aufstieg zur Macht verdankte. Aber wenn dem so war, hatte es ihre Beziehung nicht vergiftet. Der ältere Zwerg und der junge Held wurden enge Freunde – Dunkans steinhartes, praktisches Wesen ergänzte sich gut mit Kharas’ Idealismus.

Und dann kam die Umwälzung. In jenen ersten schrecklichen Jahren nach der Zerstörung des Landes glänzte Kharas’ Mut als Beispiel für sein geplagtes Volk. Es war seine Ansprache gewesen, die dazu führte, daß die Lehnsmänner sich vereinten und Dunkan zum König wählten. Die Dewaren vertrauten Kharas, wenn sie sonst niemand vertrauten. Aufgrund dieser Vereinigung hatten die Zwerge überlebt und es sogar geschafft, zu Wohlstand zu kommen.

Jetzt befand sich Kharas im besten Mannesalter. Er war einst verheiratet gewesen, aber seine Frau war während der Umwälzung umgekommen, und Zwerge bleiben ein Leben lang verheiratet, wenn sie heiraten. Er hatte keine Söhne, die seinen Namen tragen würden, ein Umstand, für den Kharas angesichts der düsteren Zukunft, die er für die Welt voraussah, fast dankbar war.

»Regar Feuerschmied von den Hügelzwergen und Begleiter.« Der Herold verkündete den Namen und stieß seinen Zeremonienspeer auf den harten Granitboden. Die Hügelzwerge traten ein und schritten stolzen Hauptes zu dem Thron, wo Dunkan in der sogenannten Halle der Lehnsmänner saß. Hinter ihm saßen auf kleineren, für diese Gelegenheit eilig herbeigeholten Stühlen die sechs Vertreter der anderen Sippen, um als Zeugen aufzutreten. Sie würden ihren Lehnsherren alles berichten, was gesagt und getan worden war. Da es Kriegszeit war, lag alle Autorität bei Dunkan.

Die Zeugen waren eigentlich nichts weiter als Hauptleute ihrer jeweiligen Sippen. Angeblich eine einzige Einheit, war die Armee nichtsdestoweniger eine Ansammlung von Sippen. Jede Sippe versorgte ihre eigenen Einheiten mit eigenen Anführern; jede Sippe lebte getrennt und abgesondert von den anderen. Kämpfe unter den Sippen waren nicht ungewöhnlich – es gab seit Generationen bestehende Blutfehden. Dunkan hatte sein Bestes versucht, diese siedenden Kessel unter strenger Kontrolle zu halten, aber hin und wieder war der Druck zu stark, und der Kessel explodierte.

Angesichts eines gemeinsamen Feindes waren die Sippen wieder vereint. Selbst der Vertreter der Dewaren, ein schmutziger Hauptmann namens Argat, der seinen Bart nach barbarischer Manier in Knoten geflochten hatte und sich während der Verhandlungen unterhielt, indem er ein Messer in die Luft warf und es wieder auffing, trug eine gemäßigtere Miene höhnischer Verachtung als sonst bei der Beobachtung der Vorgänge zur Schau.

Außerdem war noch der Hauptmann einer Abteilung Gossenzwerge anwesend. Bekannt als der Großgug, war er nur aufgrund von Dunkans Höflichkeit eingeladen. Das Wort »gug« bedeutete in der Sprache der Gossenzwerge »privat«, der Zwerg war also nichts weiter als ein »großer Privater«, ein Rang, der in der restlichen Armee als lächerlich betrachtet wurde. Unter den Gossenzwergen galt er jedoch als eine besondere Ehre, und der Großgug wurde von den meisten seiner Soldaten mit großem Respekt behandelt. Der stets diplomatische Dunkan verhielt sich gegenüber dem Großgug immer höflich und hatte dadurch seine Ergebenheit gewonnen.

Und so war auch der Großgug in der Halle anwesend, obgleich ihn nur wenige sahen. Man hatte ihm einen Stuhl in einer dunklen Ecke zugewiesen und ihn angewiesen, Platz zu nehmen und sich still zu verhalten, Anordnungen, die er selbstverständlich befolgte.

»Zwerge sind Zwerge«, hieß ein altes Sprichwort bei der übrigen Bevölkerung Krynns, wenn man sich auf Unterschiede zwischen Hügelzwergen und Bergzwergen bezog.

Aber es gab wirklich Unterschiede – riesige Unterschiede im Bewußtsein der Zwerge, obgleich diese einem Außenseiter nicht sofort aufgefallen wären.

Die Zwerge von Thorbadin führten ein streng geregeltes Leben. Jeder kannte seinen Platz in seiner Sippe. Heirat zwischen Sippen war unerhört; die Treue zur Sippe war die bindende Kraft im Leben eines jeden Zwergs. Der Kontakt mit der Außenwelt wurde vermieden – die schlimmste Bestrafung, die einem Zwerg auferlegt werden konnte, war die Verbannung; selbst die Hinrichtung wurde als barmherziger angesehen. Die Zwergenvorstellung eines idyllischen Lebens bestand darin, geboren zu werden, aufzuwachsen und zu sterben, ohne jemals seine Nase außerhalb der Tore von Thorbadin zu stecken.

Unglücklicherweise war dies lediglich ein Traum gewesen. Ständig zur Verteidigung ihrer Besitztümer genötigt, waren die Zwerge gezwungen, sich mit der Außenwelt zu vermischen. Und falls kein Krieg herrschte, gab es immer Leute, die die Zwerge wegen ihres Könnens im Bauwesen anforderten und bereit waren, dafür riesige Summen zu zahlen. Die wunderschöne Stadt Palanthas wurde von einer regelrechten Zwergenarmee liebevoll errichtet, so wie viele andere Städte auf Krynn. So entstand eine Rasse von reiseerfahrenen, freigeistigen und unabhängigen Zwergen. Sie sprachen über Heirat zwischen den Sippen, sie sprachen sachlich über Handelsbeziehungen mit Menschen und Elfen. Und das Abscheulichste von allem: Sie äußerten die Überzeugung, daß es im Leben vielleicht Wichtigeres gebe als das Bearbeiten von Stein.

Dies wurde natürlich von den strengeren Zwergen als Bedrohung der Zwergengesellschaft an sich angesehen, so daß es unausweichlich zu einer Spaltung kam. Die unabhängigen Zwerge verließen ihre Heimat unter dem Gebirge. Der Abschied verlief nicht friedlich. Auf beiden Seiten fielen harsche Worte. Blutfehden begannen, die jahrhundertlang anhalten sollten. Jene, die aufbrachen, ließen sich in den Hügeln nieder, wo das Leben frei war, wenn sich auch nicht alle ihre Hoffnungen erfüllten – sie konnten heiraten, wen sie sich auswählten, kommen und gehen, wann sie wollten, ihr eigenes Geld verdienen. Die zurückgebliebenen Zwerge schlossen die Reihen und wurden noch starrer, falls das überhaupt möglich war.

Die zwei Zwerge, die sich nun gegenüberstanden, dachten darüber nach, während sie sich gegenseitig einschätzten. Sie dachten vielleicht auch, daß dies ein historischer Augenblick sei – das erste Treffen beider Parteien seit Jahrhunderten.

Regar Feuerschmied war der ältere der beiden, ein hochstehendes Mitglied der stärksten Sippe der Hügelzwerge. Obgleich sich sein zweihundertster Geburtstag näherte, war der alte Zwerg immer noch gesund und munter. Er kam aus einer langlebigen Sippe. Das Gleiche konnte jedoch nicht von seinen Söhnen gesagt werden. Ihre Mutter war an schwachem Herzen gestorben; diese Krankheit schien in der Familie zu liegen. Regar hatte seinen ältesten Sohn begraben und konnte die Symptome eines frühen Todes auch bei dem Zweitältesten sehen, einem jungen, frisch verheirateten Mann von fünfundsiebzig.

In Felle gekleidet, stand Regar breitbeinig da und starrte Dunkan an. Seine Augen glitzerten unter seinen Augenbrauen, die so dicht waren, daß viele sich fragten, wie der alte Zwerg überhaupt sehen konnte. Sein Haar wie auch sein Bart waren eisengrau, und er trug den Bart geflochten und gekämmt und nach Mode der Hügelzwerge in den Gürtel gestopft. Umgeben von einer Eskorte Hügelzwerge, die alle ähnlich gekleidet waren, bot der alte Zwerg einen eindrucksvollen Anblick.

König Dunkan erwiderte Regars Blick, ohne zu schwanken. Dieser Wettstreit, bei dem man sich so lange anstarrt, bis der andere verlegen wird, war eine uralte Zwergenpraktik. Falls die Gegner besonders dickköpfig waren, konnte es vorkommen, daß beide Zwerge vor Erschöpfung umkippten, sofern sie nicht von einer dritten Person unterbrochen wurden. Dunkan, grimmig Regar musternd, begann über seinen gelockten silbrigen Bart zu streichen, der frei über seinen dicken Bauch hing. Es war eine Geste der Verachtung, und Regar, der dies bemerkte, wurde zornrot.

Die sechs Sippenmitglieder saßen unerschütterlich auf ihren Stühlen, auf eine lange Sitzung vorbereitet. Regars Begleiter stellten sich breitbeinig auf und sahen ins Leere. Der Dewar warf weiterhin sein Messer in die Luft, zur großen Verärgerung der anderen Anwesenden. Der Großgug saß vergessen in seiner Ecke. Wie die Dinge aussahen, schien es wahrscheinlich, daß Pax Tarkas über ihren Köpfen zerfiel, bevor jemand den Mund aufmachte. Schließlich trat Kharas mit einem Seufzer zwischen Regar und Dunkan. Beide konnten den Blick abwenden, ohne das Gesicht zu verlieren.

Nachdem Kharas sich vor seinem König verneigt hatte, drehte er sich um und verbeugte sich mit tiefem Respekt vor Regar. Dann zog er sich zurück. Beide Parteien waren nun frei, auf gleicher Ebene miteinander.

»Ich habe dir eine Audienz gewährt, Regar Feuerschmied«, stellte Dunkan fest, »um zu hören, welche Gründe unsere Verwandten zu einer Reise in ein Reich veranlaßt haben, das sie vor langer Zeit verlassen haben.«

»Ein guter Tag war es für uns, als wir den Staub des modernden alten Grabes von unseren Füßen schüttelten«, knurrte Regar, »um wie ehrliche Männer im Freien zu leben, anstatt wie Echsen unter dem Stein zu schleichen.«

Regar klopfte auf seinen geflochtenen Bart, Dunkan strich über seinen. Beide funkelten sich an. Regars Begleiter wackelten mit den Köpfen, überzeugt, daß ihr Anführer bei dem ersten verbalen Wettkampf besser abgeschnitten habe.

»Welchen Grund haben dann die ehrlichen Männer, zu dem modernden, alten Grab zurückzukehren, wenn nicht als Leichenfledderer?« fragte Dunkan und lehnte sich selbstzufrieden zurück.

Anerkennendes Gemurmel kam von den Bergzwergen, die einstimmig entschieden, daß ihr Lehnsherr einen Punkt gewonnen habe.

Regar wurde rot vor Ärger. »Ist der Mann, der sich zurückholt, was ihm gestohlen wurde, ein Dieb?« verlangte er zu wissen.

»Ich verstehe den Punkt dieser Frage nicht«, erwiderte Dunkan aalglatt, »da ihr nichts vom Wert habt, was jemand stehlen wollte. Es heißt, daß selbst die Kender euer Land meiden.«

Die Bergzwerge lachten zustimmend, während sich die Hügelzwerge vor Zorn schüttelten – das war eine tödliche Beleidigung.

Kharas seufzte.

»Ich erzähle dir etwas über das Stehlen!« knurrte Regar; sein Bart zitterte vor Zorn. »Verträge – die hast du gestohlen! Hast uns unterboten, um uns das Brot aus dem Mund zu nehmen! Und es gab Überfälle in unseren Gebieten – bei denen unser Korn und unser Vieh gestohlen wurden! Wir haben die Geschichte eurer Reichtümer gehört, die ihr angehäuft habt, und wir sind gekommen, um sie als unsere rechtmäßigen in Anspruch zu nehmen! Nicht mehr, nicht weniger!«

»Lügen!« brüllte Dunkan und sprang vor Wut auf die Füße. »Alles Lügen! Den Reichtum, der unten im Gebirge liegt, haben wir mit ehrlichem Schweiß erarbeitet! Und ihr kommt wie verwöhnte Kinder zurück, winselnd, daß eure Bäuche leer sind, nachdem ihr die Tage mit Zechereien verschwendet habt, wenn ihr hättet arbeiten sollen!« Er machte eine beleidigende Geste. »Ihr seht sogar wie Bettler aus!«

»Bettler, was?« brüllte Regar seinerseits. Sein Gesicht war zu einem tiefen Purpurrot angelaufen. »Nein, beim Barte Reorx’! Wenn ich am Verhungern wäre und du mir eine Kruste Brot reichen würdest, würde ich auf deine Schuhe spucken! Streite ab, daß du diesen Ort befestigst, praktisch an unseren Grenzen! Streite ab, daß du die Elfen gegen uns aufgehetzt und veranlaßt hast, ihre Handelsbeziehungen mit uns abzubrechen! Bettler? Nein! Beim Barte Reorx’, bei seiner Schmiede und bei seinem Hammer, wir kommen zurück, aber dann als Eroberer! Wir werden uns nehmen, was uns rechtmäßig zusteht, und erteilen euch obendrein eine Lektion!«

»Ihr werdet kommen, ihr wehleidigen Feiglinge«, Dunkan schnaufte verächtlich, »hinter den Falten eines schwarzgekleideten Zauberers und den Schilden menschlicher Krieger versteckt, gierig auf Beute! Sie werden euch in den Rücken stechen und dann eure Leichen ausrauben!«

»Wer sollte besser über das Ausrauben von Leichen Bescheid wissen als du?« schrie Regar. »Du hast unsere jahrelang ausgeraubt!«

Die sechs Sippenmitglieder sprangen von ihren Stühlen auf, und Regars Eskorte sprang nach vorn. Das schrille Gelächter des Dewars erhob sich über die Schreie und Drohungen. Der Großgug kauerte mit weit geöffnetem Mund in seiner Ecke.

Wäre Kharas nicht zwischen beide Seiten gegangen, mit seiner großen Gestalt alle überragend, wäre der Krieg sofort an Ort und Stelle ausgebrochen. Stoßend und schiebend zwang er beide Parteien zurück. Aber auch als sie getrennt waren, ließen sie von höhnischen Rufen und von Beleidigungen nicht ab. Nach einem strengen Blick von Kharas hörte dies bald auf, und alle verfielen in ein dumpfes, mürrisches Schweigen.

Kharas sprach, und seine tiefe Stimme war schroff und von Traurigkeit erfüllt. »Vor langer Zeit betete ich zu dem Gott, mir Stärke zu verleihen, damit ich gegen Ungerechtigkeit und das Böse auf der Welt kämpfen könne. Reorx erhörte mein Gebet, indem er mir seine Schmiede überließ, und dort über dem Schmiedefeuer des Gottes stellte ich diesen Hammer her. Seitdem glänzt er in der Schlacht, bekämpft das Böse und beschützt meine Heimat, die Heimat meines Volkes. Und jetzt, mein König, würdest du mich bitten, gegen meine Verwandten in den Krieg zu treten? Und ihr, meine Verwandten, würdet ihr Krieg in unser Land tragen? Soll ich diesen Hammer gegen mein eigenes Blut verwenden?«

Niemand antwortete. Alle funkelten einander unter wirren Augenbrauen an, alle schienen beschämt zu sein. Kharas’ aufrichtige Rede hatte viele gerührt. Nur zwei hörten sie ungerührt an. Beide waren alte Männer, beide hatten vor langer Zeit jede Illusion über die Welt verloren, beide wußten, daß die Kluft zu breit geworden war, als daß sie mit Worten hätte überbrückt werden können. Aber eine Geste mußte geschehen.

»Hier ist mein Angebot, Dunkan, König von Thorbadin«, sagte Regar schwer atmend. »Ziehe deine Männer aus dieser Festung zurück. Gib Pax Tarkas und seine Umgebung uns und unseren menschlichen Verbündeten. Gib uns die Hälfte des Schatzes, der unter dem Gebirge liegt – die Hälfte gehört rechtmäßig uns —, und erlaube jenen von uns, die sich für die Sicherheit des Gebirges entscheiden, zurückzukehren, wenn das Böse in diesem Land größer wird. Als Gegenleistung werden wir in Thorbadin Landwirtschaft betreiben und unsere Ernteerträge billig verkaufen. Wir werden helfen, eure Grenzen zu beschützen, wenn sich die Notwendigkeit ergibt.«

Kharas warf seinem König einen flehenden Blick zu, bettelte, das Angebot in Erwägung zu ziehen.

Aber es schien, daß Dunkan sich jenseits jeglicher Vernunft befand. »Verschwindet!« knurrte er. »Kehrt zu eurem schwarzgekleideten Zauberer zurück! Kehrt zu euren menschlichen Freunden zurück! Laßt uns sehen, ob euer Zauberer mächtig genug ist, die Mauern dieser Festung niederzureißen oder die Steine unseres Gebirges zu entwurzeln. Laßt uns sehen, wie lange eure menschlichen Freunde Freunde bleiben, wenn der Winterwind um die Lagerfeuer wirbelt und ihr Blut in den Schnee tropft.«

Regar warf Dunkan einen letzten Blick zu, der dermaßen haßerfüllt war, daß er hätte töten können, wenn es möglich gewesen wäre. Dann drehte er sich auf den Absatz um und winkte seinen Begleitern zu. Sie schritten aus der Halle der Lehnsmänner und aus Pax Tarkas.

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Als die Hügelzwerge zum Aufbruch bereit waren, hatten die Bergzwerge bereits die Zinnen besetzt und schrien und johlten ihnen höhnisch zu. Regar und seine Eskorte ritten mit grimmigen Gesichtern davon und ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Kharas stand unterdessen allein mit seinem König und dem vergessenen Großgug in der Halle der Lehnsmänner. Die sechs Zeugen waren zu ihren Lehnsherren zurückgekehrt, um die Neuigkeiten zu berichten. Fässer voll Biers und des starken Getränks, das als Zwergenspiritus bekannt war, wurden in jener Nacht angestochen. Gesang und rauhes Gelächter konnten bereits jetzt durch das riesige Steinmonument des Friedens gehört werden.

»Was wäre daran schlimm gewesen, zu verhandeln?« fragte Kharas mit kummervoller Stimme den König.

Dunkan, dessen Zorn verraucht war, sah den größeren Zwerg an und schüttelte den Kopf. Es war sein Recht, eine Antwort auf diese unverschämte Frage zu verweigern. In der Tat hätte niemand sonst als Kharas den Mut gehabt, Dunkans Entscheidung in Frage zu stellen.

»Kharas«, sagte Dunkan und legte die Hand auf den Arm seines Freundes, »sag, haben wir einen Schatz unter dem Gebirge? Haben wir unsere Verwandten ausgeraubt? Haben wir ihr Land überfallen oder das Land der Menschen? Sind ihre Anschuldigungen gerechtfertigt?«

»Nein«, antwortete Kharas.

Dunkan seufzte. »Du hast die Ernte gesehen. Du weißt, daß das wenige Geld in der Schatztruhe ausgegeben werden muß, damit wir den Winter überstehen.«

»Sag ihnen das doch!« riet Kharas aufrichtig. »Sag ihnen die Wahrheit! Sie sind keine Monster! Es sind unsere Verwandten, sie werden verstehen...«

Dunkan lächelte traurig. »Nein, sie sind keine Monster. Aber, und das ist viel schlimmer, sie sind wie Kinder geworden.« Er zuckte die Schultern. »Oh, wir könnten ihnen die Wahrheit sagen – es ihnen auch zeigen. Aber sie würden uns nicht glauben. Sie würden ihren eigenen Augen nicht glauben. Und warum? Weil sie es anders herum glauben wollen!«

Kharas runzelte die Stirn, aber Dunkan fuhr geduldig fort: »Sie wollen glauben, mein Freund. Mehr als das, sie müssen sogar glauben. Das ist ihre einzige Hoffnung. Sie haben nichts außer dieser Hoffnung. Und folglich sind sie bereit, dafür zu kämpfen. Ich verstehe sie.« Die Augen des alten Königs trübten sich, und Kharas, der ihn verblüfft anstarrte, erkannte, daß sein Zorn nur vorgetäuscht worden war.

»Jetzt können sie zu ihren Frauen und ihren hungrigen Kindern zurückkehren und sagen: ›Wir werden diese unverschämten Kerle bekämpfen! Wenn wir gewinnen, werden unsere Bäuche wieder voll sein.‹ Und das wird ihnen eine Zeitlang helfen, ihren Hunger zu vergessen.«

Kharas’ Gesicht verzerrte sich. »Aber deshalb so weit gehen! Sicher, wir haben wenig zu teilen...«

»Mein Freund«, sagte Dunkan sanft, »beim Hammer von Reorx, ich schwöre dir – erklärten wir uns mit ihren Bedingungen einverstanden, würden wir alle umkommen. Unsere Rasse würde ausgelöscht werden.«

Kharas starrte ihn an. »Ist es so schlimm?« fragte er.

Dunkan nickte. »Ja, es ist so schlimm. Es wissen das nur wenige – die Anführer der Sippen und jetzt du. Und ich bitte dich um Geheimhaltung. Die Ernte war katastrophal. Unsere Schatztruhen sind fast leer, und jetzt müssen wir so viel wie möglich horten, um diesen Krieg zu finanzieren. Selbst für unser eigenes Volk werden wir die Lebensmittel in diesem Winter rationieren müssen. Wir rechnen, daß wir es vielleicht gerade schaffen werden.«

Kharas stand grübelnd da, dann hob er seinen Kopf; seine dunklen Augen funkelten. »Wenn das stimmt, dann soll es so sein!« sagte er ernst. »Besser, wir verhungern gemeinsam, als daß wir einander bekämpfen!«

»Ehrenhafte Worte, mein Freund«, antwortete Dunkan. Das Schlagen der Trommeln dröhnte durch den Raum, und tiefe Stimmen erhoben sich zu Kriegsliedern, die älter waren als die Steine von Pax Tarkas. »Du kannst jedoch keine ehrenhaften Worte essen, Kharas. Du kannst sie auch nicht trinken oder um deine Füße wickeln oder sie in deinem Kamin verbrennen oder sie den vor Hunger weinenden Kindern geben.«

»Was ist mit den Kindern, die weinen werden, wenn ihre Väter aufbrechen und niemals zurückkehren?« fragte Kharas ernst.

Dunkan hob eine Augenbraue an. »Sie werden einen Monat weinen«, sagte er, »dann werden sie seinen Lebensmittelanteil essen. Und würde er das nicht so wollen?« Damit drehte er sich um, verließ die Halle der Lehnsmänner und steuerte wieder auf die Zinnen zu.

Während Dunkan Kharas in der Halle der Lehnsmänner die Situation erklärte, führten Regar Feuerschmied und seine Männer ihre kurzbeinigen, zottigen Hügelponies aus der Festung Pax Tarkas hinaus. Das Johlen und Gelächter ihrer Verwandten tönte in ihren Ohren.

Regar sprach lange Stunden kein Wort. Als sie eine Weggabelung erreichten, hielt er sein Pferd an. Er wandte sich zu dem jüngsten Mitglied seiner Gruppe und sagte bitter: »Du reitest weiter in den Norden, Darren Eisenfaust.« Er holte einen Lederbeutel hervor, griff hinein und zog sein letztes Goldstück hervor. Lange Zeit starrte er es an, dann drückte er es dem anderen in die Hände. »Hier. Damit kannst du die Überfahrt über das Neumeer bezahlen. Suche diesen Fistandantilus auf und sage ihm... sage ihm...«

Er verstummte, erkannte die Ungeheuerlichkeit seines Handelns. Aber ihm blieb keine Wahl. Die Entscheidung war gefallen. Mit finsterem Blick knurrte er: »Sag ihm, daß er bei seiner Ankunft hier eine Armee vorfindet, die für ihn kämpfen wird.«

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