»Warum mögen sie mich nicht?« fragte Mary Rob. »Ich weiß es nicht.« Er versuchte nicht, es zu leugnen; sie war nicht dumm. Als die jüngste Halevi-Tochter vom Nachbarhaus zu ihnen watschelte, lief ihre Mutter Judith, die dem fremden Juden kein warmes Fladenbrot mehr schenkte, zu der Kleinen, hob sie wortlos auf und flüchtete wie vor einem verderblichen Einfluß. Rob nahm Mary auf den jüdischen Markt mit und stellte fest, daß man ihn nicht mehr anlächelte, weil er der Jude mit dem calaat war, und daß er auch bei der Händlerin Hinda nicht mehr der bevorzugte Kunde war. Sie kamen an ihrer Nachbarin und deren draller Tochter Lea vorbei, und die beiden Frauen blickten ostentativ beiseite, als hätte Jakob ben Rashi nicht anläßlich eines Abendessens am Sabbat Rob zu verstehen gegeben, daß er ein Mitglied der Schuhmacherfamilie werden könne. Wo immer Rob durch die Jehuddijeh ging, verstummten plaudernde Juden und starrten ihn an. Er redete sich ein, daß es ihm nichts ausmache: Was bedeuteten ihm die Leute im Judenviertel wirklich? Bei Mirdin Askari war es etwas anderes; Rob bildete sich nicht nur ein, daß Mirdin ihm aus dem Weg ging. Wenn er ihm jetzt begegnete, zeigte ihm Mirdin jedesmal ein steinernes Gesicht, grüßte kurz und ging weiter.
Schließlich suchte Rob Mirdin auf, der im Schatten eines Kastanienbaums auf dem Gelände der madrassa den zwanzigsten und letzten Band des »Al-Hawi« von Rhazes las. »Rhazes war gut. Al-Hawi behandelt die gesamte Medizin«, erklärte Mirdin verlegen. »Ich habe bisher zwölf Bände gelesen. Zu den anderen komme ich bald.«
Rob sah ihn an. »Ist es schlimm, daß ich eine Frau gefunden habe, die ich liebe?«
Mirdin erwiderte seinen Blick. »Wie konntest du eine Andersgläubige heiraten!« »Sie ist ein Juwel, Mirdin.«
»Ja, die Lippen einer fremden Frau tröpfeln wie eine Honigwabe, und ihr Mund ist glatter als Öl. Sie ist eine Nichtjüdin, Jesse! Du Dummkopf, wir sind ein verstreutes, umzingeltes Volk, das um sein Überleben kämpft.
Sobald einer von uns außerhalb unseres Glaubens heiratet, bedeutet dies das Ende zukünftiger Generationen der Unsrigen. Wenn du das nicht einsiehst, bist du nicht der Mann, für den ich dich gehalten habe, und ich kann nicht dein Freund sein.«
Er hatte sich getäuscht - die Menschen des Judenviertels waren ihm nicht gleichgültig, denn sie hatten ihn bereitwillig aufgenommen. Und dieser Mann war ihm am wichtigsten, denn er hatte ihm seine Freundschaft geschenkt, und Rob besaß nicht so viele Freunde, daß er auf Mirdin verzichten konnte. »Ich bin nicht der Mann, für den du mich gehalten hast.« Er fühlte sich verpflichtet, alles zu gestehen, glaubte felsenfest, daß er Mirdin gefahrlos ins Vertrauen ziehen konnte. »Ich habe nicht außerhalb meines Glaubens geheiratet.« »Sie ist Christin.« »Ja.«
Aus Mirdins Gesicht wich das Blut. »Soll das ein dummer Scherz sein ?« Als Rob nichts erwiderte, griff er nach dem Buch und stand auf. »Du Schurke! Sollte das wirklich wahr sein — falls du nicht verrückt bist -, setzt du nicht nur dein Leben aufs Spiel, sondern auch meines. Wenn du imfiqh nachliest, wirst du erfahren, daß du, indem du mir dies erzählt hast, mich zum Verbrecher und Mitschuldigen gemacht hast, wenn ich dich nicht anzeige.« Er spuckte aus. »Du Ausgeburt des Bösen, du hast meine Kinder in Gefahr gebracht, und ich verfluche den Tag, an dem wir einander kennengelernt haben!« Und Mirdin eilte davon. Tag um Tag verging, ohne daß die Männer des kelonter Rob holten. Mirdin hatte ihn nicht angezeigt.
Im Krankenhaus brachte Robs Heirat keine Schwierigkeiten. Die Neuigkeit, daß er eine Christin geehelicht hatte, hatte sich unter dem Stab des maristan verbreitet, aber er galt ohnedies als Sonderling - der Ausländer, der Jude, der vom Gefängnis zu einem calaat gekommen war -, und diese ungehörige Verbindung wurde hier als eine weitere Verirrung betrachtet. Ansonsten war der Umstand, daß jemand eine Frau nahm, in der mohammedanischen Gesellschaft, die jedem Mann vier Frauen zugestand, nichts Außergewöhnliches. Dennoch schmerzte ihn der Verlust Mirdins zutiefst. Zudem sah er in
diesen Tagen auch Karim nur selten: Der junge hakim war von den Adeligen des Hofes mit Beschlag belegt worden und ließ sich Tag und Nacht bei Empfängen feiern. Sein Name war seit dem chatir in aller Munde.
Somit war Rob mit seiner Frau so alleine wie sie mit ihm, und sie gewöhnten sich mühelos an ihr gemeinsames Leben. Sie war die Frau, die das Haus gebraucht hatte: Es war ein wärmerer, behaglicher Ort geworden.
Hingerissen verbrachte er jeden freien Augenblick mit ihr, und wenn sie getrennt waren, dachte er an ihr rosiges, feuchtes Fleisch, an die lange, zartgeschwungene Linie ihrer Nase und an ihre lebhaften, intelligenten Augen.
Sie ritten in die Hügel und liebten sich in dem warmen, schwefelhaltigen Wasser in Aläs geheimer Höhle. Er ließ das alte Buch mit den Bildern an einer Stelle liegen, wo sie es finden mußte, und als er die verschiedenen Stellungen ausprobierte, die dort abgebildet waren, merkte er, daß sie es studierte hatte. Manche dieser Praktiken waren angenehm, andere reizten sie eher zum Lachen. Sie lachten oft und ausgelassen auf ihrer Bettmatte und trieben seltsame, sinnliche Liebes-spiele.
Er blieb dabei immer der Wissenschaftler. »Was bringt dich bloß dazu, so feucht zu werden? Du bist wie ein Brunnen, der mich allmählich einsaugt.«
Sie stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. Aber ihre eigene Neugierde war ihr nicht peinlich. »Er gefällt mir, wenn er so klein ist - schlaff und schwach und sich anfühlt wie Atlasseide. Was bringt ihn dazu, sich so zu verwandeln ? Ich hatte einmal eine Amme, die mir erzählte, er werde lang, schwer und kräftig, weil er sich mit Luft füllt.« Er schüttelte den Kopf. »Nicht mit Luft. Er füllt sich mit Pulsaderblut. Ich habe einen Gehängten gesehen, dessen steifer Schwanz so voller Blut war, daß er rot leuchtete wie ein Lachs.« »Dich habe ich aber nicht gehängt, Robert Jeremy Cole!« »Es hat mit den Gerüchen und dem Anblick des Partners zu tun. Einmal habe ich nach einer anstrengenden Reise ein Pferd geritten, das fast lahm war, so ermüdet war es. Aber der Wind trug dem Hengst den Geruch einer Stute zu, und noch bevor wir sie sahen, waren sein Geschlechtsorgan und seine Muskeln hart wie Stein, und er rannte so wild auf sie zu, daß ich ihn kaum zügeln konnte.«
Er liebte sie so sehr, und sie war jedes Opfer wen. Dennoch vollführte sein Herz einen Sprung, als eines Abends eine vertraute Gestalt unter ihrer Tür auftauchte und grüßend nickte. »Komm herein, Mirdin!«
Als Mary dem Besucher vorgestellt wurde, betrachtete sie ihn neugierig. Dann stellte sie Wein und Süßigkeiten auf den Tisch und verließ sie mit dem wachen Instinkt, den er an ihr liebte, um die Tiere zu füttern. »Du bist wirklich ein Christ?« Rob nickte.
»Ich kann dich in eine entfernte Stadt in Fars bringen, wo der rabbenu mein Vetter ist. Wenn du bei den gelehrten Männern dort Bekehrung suchst, werden sie sich vielleicht dazu bereit erklären. Dann gäbe es keinen Grund mehr für Lügen und Betrug.« Rob sah ihn an und schüttelte langsam den Kopf. Mirdin seufzte. »Wenn du ein charakterloser Mensch wärst, würdest du sofort zustimmen. Aber du bist ein anständiger, ehrlicher Mann und auch ein ungewöhnlicher Heilkundiger. Deshalb kann ich dir nicht den Rücken kehren.« »Danke.«
»Jesse ben Benjamin ist nicht dein Name?« »Nein. Mein wahrer Name ist...«
Doch Mirdin schüttelte warnend den Kopf und hob die Hand. »Der andere Name darf zwischen uns nicht genannt werden. Du mußt Jesse ben Benjamin bleiben.« Er sah Rob prüfend an. »Du bist mit der Jehuddijeh verschmolzen. Irgend etwas hat mich aber immer gestört. Ich nahm an, daß es daher kam, weil dein Vater ein europäischer Jude, ein Abtrünniger war, der sich von unseren Bräuchen abgewendet und sein Geburtsrecht nicht an seinen Sohn weitergegeben hat. Aber du mußt ständig wachsam bleiben, damit du keinen tödlichen Fehler begehst. Wenn man deine Täuschung entdeckt, würde sie eine schreckliche Verurteilung durch ein Gericht von mullahs heraufbeschwören, die zweifellos deinen Tod beschließen würden. Wenn du ertappt wirst, bringst du alle hiesigen Juden in Gefahr, auch wenn sie an deiner Täuschung keinen Anteil haben. In Persien kann es leicht geschehen, daß Unschuldige leiden müssen.«
»Und du, willst du ein solches Risiko eingehen?« fragte Rob leise. »Ich habe darüber nachgedacht. Ich muß dein Freund bleiben.«
»Ich freue mich darüber.«
Mirdin nickte. »Aber ich habe meinen Preis.«
Rob wartete.
»Du mußt verstehen, was zu sein du vorgibst. Um Jude zu sein, genügt es nicht, einen Kaftan anzuziehen und den Bart auf bestimmte Art zu tragen.«
»Wie soll ich dieses Verständnis erwerben?«
»Du mußt die Gebote Gottes studieren.«
»Ich kenne die Zehn Gebote.« Agnes Cole hatte sie jedem ihrer Kinder beigebracht.
Mirdin schüttelte den Kopf. »Diese zehn sind ein Bruchteil der Gebote, aus denen unsere Thora besteht. Die Thora enthält sechshundertdreizehn Gebote. Diese mußt du studieren - zusammen mit dem Talmud, den Kommentaren, die sich mit jedem Gebot befassen. Nur dann wirst du die Seele meines Volkes erkennen.«
»Mirdin, das ist schlimmer als der fiqh. Ich werde an Gelehrsamkeit ersticken«, klagte er verzweifelt.
Mirdins Augen glitzerten. »Das ist mein Preis.«
Rob sah, daß er es ernst meinte. Er seufzte. »Hol dich der Teufel! In Ordnung.«
Nun lächelte Mirdin zum erstenmal an diesem Abend. Er schenkte Wein ein, übersah den europäischen Tisch und die Stühle, setzte sich auf den Boden und blieb mit untergeschlagenen Beinen sitzen. »Also, beginnen wir!
Das erste Gebot lautet: >Du sollst fruchtbar sein und dich vermehren !<«
Rob war so froh, Mirdins freundliches, schlichtes Gesicht wieder in seinem Hause zu sehen. »Ich versuche es, Mirdin«, sagte er grinsend. »Ich gebe mein Bestes.«
»Sie heißt Mary wie die Mutter Jesu«, erklärte Mirdin seiner Frau in ihrer Sprache.
»Sie heißt Fara«, erklärte Rob Mary auf Englisch.
Die beiden Frauen musterten einander.
Mirdin hatte Fara zu Besuch mitgebracht, zusammen mit ihren braunhäutigen kleinen Jungen David und Issachar. Die Frauen konnten sich nicht miteinander unterhalten, weil sie keine gemeinsame Sprache hatten.
Dennoch verständigten sie sich bald kichernd durch Handzeichen, verdrehte Augen und protestierende Ausrufe.
Vielleicht wurde Fara vor allem auf Wunsch ihres Mannes Marys Freundin, aber die beiden in jeder Hinsicht verschiedenen Frauen achteten und schätzten einander von Anfang an.
Fara zeigte Mary, wie sie ihr langes, rotes Haar aufstecken und mit einem Tuch bedecken solle, bevor sie das Haus verließ. Einige jüdische Frauen trugen Schleier nach Art der Mohammedanerinnen, aber viele bedeckten einfach ihr Haar, und durch diese einfache Maßnahme j wurde auch Mary unauffälliger. Fara führte sie zu Marktständen, bei denen die Waren und das Fleisch frisch waren, und sie machte Mary darauf aufmerksam, welche Händler sie besser meiden solle. Fara lehrte sie, das Fleisch koscher zu machen, indem sie es einweichte und salzte, um überschüssiges Blut zu entfernen, und wie sie Fleisch, gemahlenen Paprika, Knoblauch, Lorbeerblätter und Salz in einen zugedeckten irdenen Topf legen solle, auf den dann heiße Kohlen gehäuft wurden, so daß er den ganzen shabhat langsam kochte und würzig und zart wurde: ein köstliches Gericht, das shalent hieß und zu Robs Lieblingsessen wurde.
»Ach, ich würde so gern mit ihr sprechen, ihr Fragen stellen und ihr verschiedenes erzählen!« sagte Mary zu Rob. »Ich werde dir Unterricht in ihrer Sprache erteilen.« Aber sie wollte nichts von der Sprache der Juden und der der Perser hören. »Ich kann nicht so gewandt mit fremden Wörtern umgehen wie du«, sagte sie. »Ich habe Jahre gebraucht, um Englisch zu lernen, und mußte arbeiten wie eine Sklavin, um halbwegs Latein zu beherrschen. Werden wir nicht bald dorthin ziehen, wo ich mein heimisches Gälisch hören kann?«
»Wenn die Zeit dazu gekommen ist«, antwortete er, verlor aber kein Wort darüber, wann das sein würde.
Mirdin nahm es auf sich, durchzusetzen, daß Jesse ben Benjamin von den Bewohnern der Jehuddijeh wieder akzeptiert wurde.
»Seit König Salomon - nein, schon vor Salomon - haben Juden
nichtjüdische Frauen genommen und sind innerhalb der jüdischen Gemeinde geblieben. Es waren immer Männer, die durch ihr tägliches Leben gezeigt haben, daß sie weiter an ihrem Glauben festhielten.« Auf Mirdins Vorschlag machten er und Rob es sich zur Gewohnheit, zweimal täglich zum Gebet in der Jehuddijeh zusammenzutreffen: am Morgen zum schacharit in der kleinen Synagoge, die Haus des Friedens hieß, und am Tagesende zum ma'ariw in der Zion-Synagoge nahe Mirdins Wohnung. Rob empfand dies nicht als lästige Pflicht. Da ihm die Sprache immer vertrauter wurde, vergaß er, daß er die Synagoge als Teil seiner Tarnung aufsuchte, und er hatte manchmal das Gefühl, daß auch hier seine Gedanken Gott erreichten. Er betete nicht als Jesse der Jude oder als Rob der Christ, sondern als einer, der Verständnis und Trost suchte.
Allmählich sahen ihn die Leute immer seltener empört an, und schließlich beachtete man ihn nicht mehr. Die Monate vergingen, und die Bewohner der Jehuddijeh gewöhnten sich an den Anblick des großen englischen Juden, der mit einer duftenden Zitrone in der Hand während des Erntefestes Sukkot im Haus des Friedens Palmzweige schwenkte, zu Jom Kippur mit den anderen Gläubigen fastete, in der Prozession tanzte und den Rollen folgte, wenn die Übergabe der Thora an das Volk durch Gott gefeiert wurde. Jakob ben Rashi vertraute Mirdin an, es sei offensichtlich, daß Jesse ben Benjamin sich bemühe, seine unbesonnene Heirat mit einer ungläubigen Frau zu sühnen.
Mirdin war klug und kannte den Unterschied zwischen Tarnung und vollkommener Hingabe. »Ich verlange eines von dir«, erklärte er. »Du darfst niemals zulassen, daß du der zehnte Mann bist.« Rob verstand. Wenn Gläubige auf eine minyan, eine Versammlung von zehn Juden, warteten, die ihnen erlaubte, in der Öffentlichkeit eine Andacht zu verrichten, wäre es schrecklich gewesen, wenn er sie um semer Tarnung willen getäuscht hätte. Er gab Mirdin das Versprechen sofort und achtete immer darauf, es zu halten. Fast jeden Tag nahmen er und Mirdin sich Zeit, um die Gebote zu studieren. Sie benutzten dazu kein Buch. Mirdin kannte die Gebote als mündliche Überlieferung. »Man ist sich allgemein darüber einig, daß der Thora sechshundertdreizehn Gebote entnommen werden können«, lehrte er Rob. »Aber über deren genaue Form ist man sich nicht einig. Ein Gelehrter hält eine Vorschrift vielleicht für ein gesondertes
Gebot, ein anderer Gelehrter kann es als Teil des vorangehenden Gebotes sehen. Ich lehre dich jene Version aller Gebote, die seit vielen Generationen in meiner Familie weitergegeben wird und die mich mein Vater, Reb Mulka Askar aus Masqat, gelehrt hat.« Mirdin sagte, daß zweihundertachtundvierzig Gebote positiv waren, die mitzvot, wie etwa die Vorschrift, daß ein Jude für Witwen und Waisen sorgen muß. Die restlichen waren negative Gebote wie zum Beispiel die Ermahnung, daß ein Jude keine Bestechung annehmen darf.
Rob bereitete es mehr Vergnügen, die mitzvot von Mirdin zu lernen, als die Studienfächer zu studieren, weil er wußte, daß er darin keine Prüfungen ablegen mußte. Es gefiel ihm, sich bei einem Becher Wein die jüdischen Gesetze anzuhören, und er stellte bald fest, daß solche Sitzungen ihm auch beim Studium des islamischen/ig/; halfen. Er arbeitete härter denn je, genoß aber seine Tage. Es war das Jahr, in dem er den Galen studierte, und er vertiefte sich in die Beschreibungen anatomischer Phänomene, die er nicht sehen konnte, wenn er einen Patienten untersuchte: den Unterschied zwischen Arterien und Venen, den Puls und die Funktionen des Herzens, das während der Systole wie eine sich immer wieder zusammenpressende Faust Blut hinauspumpte, sich dann entspannte und während der Diastole wieder mit Blut füllte.
Er wurde von seinem Praktikum bei Jalal-al-Din abgezogen und von den Wundhaken, Kopplern und Seilen des Knocheneinrichters zu den Chirurgenbestecken versetzt, denn er war jetzt al-Juzjani zugeteilt. »Er mag mich nicht. Er läßt mich nur die Instrumente reinigen und schärfen«, beschwerte Rob sich bei Karim, der über ein Jahr im Dienst al-Juzjanis verbracht hatte.
»So hält er es am Anfang mit jedem neuen Praktikanten«, tröstete ihn Karim. »Du darfst dich nicht entmutigen lassen.« Karim konnte natürlich leicht Geduld predigen. Ein Teil seines calaat bestand aus einem großen vornehmen Haus, wo er jetzt seine Patienten betreute, die sich größtenteils aus den Familien des Hofes rekrutierten. Es gehörte für einen Adligen zum guten Ton, nebenbei erwähnen zu können, daß sein Medicus Persiens Läuferheld Karim Harun war, und dieser gewann so rasch Patienten, daß er auch ohne das Preisgeld und das Stipendium, das er vom Schah erhalten hatte, ein wohlhabender jvlann gewesen wäre. Er kokettierte mit Mary und machte ihr anzügliche Anträge auf Persisch, worauf sie erklärte, sie sei froh, daß sie ihn nicht verstehe. Aber sie mochte ihn gern und behandelte ihn wie einen ungezogenen Bruder.
Irn Krankenhaus, wo Rob erwartet hatte, daß Karims Beliebtheit abnehmen würde, war das keineswegs der Fall.
Rob mußte Mirdin Askari zustimmen, der grinsend meinte, die beste Art, ein erfolgreicher Medicus zu werden, sei, den chatir zu gewinnen.
Gelegentlich unterbrach al-Juzjani Rob bei seiner Tätigkeit, um nach dem Namen eines Instrumentes, das er reinigte, oder nach seiner Verwendung zu fragen. Hier gab es viel mehr Instrumente, als Rob als Baderchirurg kennengelernt hatte, dazu chirurgische Werkzeuge, die für bestimmte Aufgaben vorgesehen waren. So reinigte und schärfte er abgerundete Operationsmesser, gekrümmte Operationsmesser, Skalpelle, Knochensägen, Ohrenküretten, Sonden, kleine Messer zum Öffnen von Zysten und Bohrer zum Entfernen von Fremdkörpern, die im Bindegewebe steckten.
Al-Juzjanis Methode erwies sich schließlich als sinnvoll, denn nach zwei Wochen, als Rob begann, ihm im Operationssaal des maristan zu assistieren, mußte der Chirurg nur einen Wunsch murmeln, und Rob konnte das geforderte Instrument aussuchen und es ihm sofort reichen.
Er assistierte und beobachtete zehn Wochen lang, bevor ihm al-Juzjani erlaubte, einen Schnitt zu setzen, und das auch nur unter Aufsicht. Als die Gelegenheit kam, handelte es sich um die Abnahme eines Zeigefingers bei einem Treiber, dessen Hand von einem Kamelhuf zerquetscht worden war.
Rob hatte durch Zusehen gelernt. Al-Juzjani verwendete immer eine Aderpresse aus einem Lederriemen, wie er vor dem Aderlaß zum Hervorpressen einer Vene verwendet wurde. Rob legte die Aderpresse geschickt an und führte die Amputation durch, ohne zu zögern, denn er hatte sie im Laufe der Jahre als Baderchirurg oft vollzogen. Damals war er aber immer von Blutungen behindert worden, nun war er von al-Juzjanis Technik begeistert, die ihm ermöglichte, einen Hautlappen zu bilden und den Stumpf zu schließen, ohne ständig das Blut wegtupfen zu müssen.
Al-Juzjani beobachtete ihn genau mit dem für ihn typischen mürrischen Gesichtsausdruck. Als Rob fertig war, wandte sich der Chirurg ohne ein Wort des Lobes ab, doch er hatte weder geknurrt noch auf eine bessere Methode hingewiesen. Rob, der nach der Operation den Tisch säuberte, glühte innerlich, weil er auf seinen kleinen Erfolg stolz war.
Sieben Monate waren vergangen, ohne daß der Schah ihn zu sich gerufen hatte. Rob war es recht, denn neben seiner Frau und der medizinischen Ausbildung blieben ihm nur wenige Stunden der Muße. Eines Morgens wurde er zu Marys Bestürzung wie bei den früheren Gelegenheiten von Soldaten abgeholt. »Der Schah wünscht, daß Ihr heute mit ihm ausreitet.« »Es ist alles in Ordnung«, beruhigte Rob seine Frau und ging mit ihnen. Vor den großen Ställen hinter dem Haus des Paradieses traf er auf den aschgrauen Mirdin Askari. Sie kamen beide zu dem Schluß, daß Karim hinter dieser Aufforderung stecken mußte, der seit seinem Aufstieg zur Läuferberühmtheit Aläs bevorzugter Begleiter geworden war. Und so war es auch. Als Alä Shahansha zu den Ställen kam, ging Karim unmittelbar hinter dem Herrscher, und um seine Züge spielte ein breites Lächeln, während er dem Schah zu seinen Freunden folgte. Das Lächeln verlor ein wenig an Selbstsicherheit, als der Schah sich vorneigte und Mirdin Askari zuhörte, der deutlich vernehmbar Worte in seiner Muttersprache murmelte, während er sich zum ravi zemin auf den Boden warf.
»Komm! Du mußt Persisch sprechen und uns erzählen, was du sagen willst«, fuhr ihn Alä an.
»Es ist ein Segen, Majestät. Ein Segen, den die Juden sprechen, wenn sie den König sehen«, erklärte Mirdin.
»Gesegnet seist Du, o Herr unser Gott, König des Universums, der Fleisch und Mensch Seine Herrlichkeit verliehen hat.«
»Die Dhimmis sprechen ein Dankgebet, wenn sie ihren Schah sehen?« wunderte sich Alä erfreut. Rob wußte, daß es eine beraccha war, eine Lobpreisung, die von
frommen Juden beim Anblick jedes Königs gebraucht wurde, doch weder er noch Mirdin hielten es für nötig, darauf hinzuweisen. Dafür befand sich Alä in glänzender Stimmung, als er sich auf seinen Schimmel schwang und sie hinter ihm auf das weite Land hinausritten. £r wandte sich an Rob: »Ich habe gehört, daß du eine europäische Frau genommen hast.« »Das stimmt, Majestät.«
»Man hat mir auch erzählt, daß ihr Haar hennafarben ist.« »Ja, Majestät.«
»Eine Frau sollte schwarzes Haar haben.«
Rob konnte nicht gut mit dem Schah streiten, und er hatte auch keinen Grund dazu, doch er war froh, daß seine Frau dem Schah nicht gefiel. Alä Shahansha entdeckte zu seiner Freude bei Mirdin tiefgehende Kenntnisse der persischen Geschichte, und während sie langsam in die Hügel hineinritten, sprachen sie darüber, daß Alexander einst Perse-polis geplündert hatte, was der Perser in Alä bedauerte und der Heerführer in ihm bewunderte. Im Laufe des Vormittags trat Alä an einer schattigen Stelle mit dem scimitar gegen Karim an, und während die Krummschwerter klirrend gegeneinanderschlugen, sprachen Mirdin und Rob leise über chirurgische Abbindungsschnüre und über die jeweiligen Vorzüge von Seide, von Leinenfäden - beide fanden, daß sich diese zu leicht zersetzten -, von Roßhaar und von den von Ibn Sina bevorzugten Menschenhaaren. Zu Mittag gab es im Schatten des königlichen Zeltes reichlich zu essen und zu trinken, und die drei Mediziner lösten einander beim Spiel des Schahs ab, das sie regelmäßig verloren, obwohl Mirdin sich wacker schlug und eine Partie beinahe gewonnen hätte, was für Alä den Sieg noch wertvoller machte. In Aläs geheimer Höhle lagen die vier gesellig im warmen Wasser beisammen, das ihre Muskeln lockerte, und sie gerieten dank eines unerschöpflichen Vorrats erlesener Getränke in eine gelöste Stimmung.
Karim ließ den Wein anerkennend auf der Zunge zergehen, ehe er ihn schluckte, und sagte dann lächelnd zu Alä: »Ich war ein Betteljunge.
Habe ich Euch das bereits erzählt, Majestät?«
Alä erwiderte sein Lächeln und schüttelte den Kopf.
»Ein Betteljunge trinkt jetzt den Wein des Königs der Könige.«
"Ja. Ich habe einen Betteljungen und zwei Juden zu meinen Freunden erwählt.« Alä lachte lauter und länger als sie. »Mit dem Sieger im chatir habe ich hochfliegende, vortreffliche Pläne, und diesen Dhimmimz^ ich schon lange.« Er versetzte Rob leicht betrunken einen freundschaftlichen Stoß. »Und nun erweist sich ein anderer Dkimmi als ausgezeichneter, bemerkenswerter Mann. Wenn du die madrassa beendet hast, Mirdin Askari, mußt du in Isf ahan bleiben und Medicus an meinem Hof werden.«
Mirdin errötete verlegen. »Ihr erweist mir große Ehre, Majestät. Ich bitte Euch, es nicht als Beleidigung aufzufassen, aber ich ersuche Euch, mir wohlwollend zu gestatten, wenn ich einst ein hakim bin, in meine Heimat, m die Länder am großen Golf, zurückzukehren. Mein Vater ist alt und leidend. Ich werde der erste Medicus in unserer Familie sein, und vor seinem Tod soll er noch erleben, daß ich mich im Schoß unserer Familie niederlasse.«
Alä nickte unbekümmert. »Was tut diese Familie, die am großen Golf lebt?«
»Unsere Männer sind, so weit man zurückdenken kann, die Küsten entlanggesegelt und haben Perlen von den Tauchern gekauft, Majestät.« »Perlen! Das ist gut, denn ich kaufe Perlen, sooft ich gute finde. Du wirst das Glück deiner Verwandten begründen, Dhimmi, denn du mußt ihnen auftragen, die größte, vollendetste Perle zu suchen und sie mir zu bringen. Ich werde sie kaufen und deine Familie reich machen.« Als sie nach Hause ritten, schwankten sie in den Sätteln. Alä mußte sich bemühen, aufrecht zu sitzen. Als sie die königlichen Stallungen erreichten und seine Diener und Untergebenen sich um die Ankommenden scharten, geruhte der Schah, mit seinen Begleitern zu prahlen. »Wir sind vier Freunde«, rief er so laut, daß der halbe Hof es hörte. »Einfach vier gute Männer, die Freunde sind!«
Diese Worte machten schnell die Runde und verbreiteten sich, wie jeder Klatsch, der den Schah betraf, in der ganzen Stadt.
»Bei manchen Freunden ist Vorsicht am Platze«, warnte Ibn SinaRob an einem Vormittag ungefähr eine Woche später.
Sie nahmen an einer Belustigung teil, die von Fath Ali, einem reichen Mann, gegeben -wurde, dessen Handelshaus Wein an das Haus des Paradieses und die meisten Adeligen am Hof lieferte. Rob freute sich, Ibn Sina zu sehen.
Ihre Anwesenheit war durch die Tatsache bedingt, daß jeder von ihnen der Empfänger eines ca.la.at war, aber Rob langweilten die königlichen Belustigungen. »Ich würde viel lieber im maristan arbeiten, wo ich hingehöre«, sagte er.
Ibn Sina sah sich vorsichtig um. Sie gingen allein auf dem Besitz des Kaufmanns spazieren. »Du darfst nie vergessen, daß der Umgang mit einem Monarchen schwieriger ist als mit einem gewöhnlichen Mann. Ein Schah ist kein Mensch wie du und ich. Er läßt gleichgültig die Hand sinken, und Leute wie wir werden getötet. Oder er winkt mit einem Finger, und jemandem ist das Leben geschenkt.« Rob hob die Schultern. »Ich suche nie die Gesellschaft des Schahs und hege auch nicht den Wunsch, mich in die Politik einzumischen.« Ibn Sina nickte zustimmend. »Es ist eine Eigenheit der Monarchen im Orient: Sie wählen gern Ärzte als Wesire, weil sie das Gefühl haben, daß Heller von Haus aus Allah näherstehen. Als ich jünger war, habe ich zweimal im Hamadhän den Titel Wesir angenommen. Es war ein gefährlicheres Amt als die Ausübung der Medizin. Nach dem ersten Mal entging ich nur knapp der Hinrichtung. Ich wurde in das Schloßgefängnis geworfen, wo ich monatelang schmachtete. Nachdem ich daraus entlassen wurde, wußte ich, daß ich, Wesir oder nicht, in Hamadhän meines Lebens nicht sicher war. Ich machte mich mit al-Juzjani und meiner Familie auf den Weg nach Isfahan, wo ich seither unter Aläs Shahanshas Schutz lebe.«
»Welch ein Glück für Persien, daß Alä großen Ärzten gestattet, ihren Beruf auszuüben«, meinte Rob.
Ibn Sina lächelte. »Es paßt in seine Pläne, als großer König bekannt zu werden, der die Künste und Wissenschaften fördert«, stellte er trocken fest. »Schon als junger Mann sehnte er sich nach einem mächtigen Reich. Jetzt muß er es vergrößern und seine Feinde verschlingen, bevor sie ihn verschlingen.« »Die Seldschuken.«
»Wenn ich Wesir in Isfahan wäre, würde ich die Seldschuken am meisten fürchten«, sagte Ibn Sina. »Aber am aufmerksamsten beobachtet der Schah Mahmud von Ghazna, denn die beiden sind vom gleichen Schlag. Alä hat vier Raubzüge nach Indien unternommen, bei denen er achtundzwanzig Kriegselefanten erbeutet hat. Mahmud befindet sich näher an der Quelle, er ist öfter in Indien eingefallen und besitzt über fünfzig Kriegselefanten. Ala beneidet und fürchtet ihn Wenn Alä seinen Traum verwirklichen will, muß er Mahmud als nächsten ausschalten.«
Ibn Sina blieb stehen und legte Rob die Hand auf den Arm. »Du mußt überaus vorsichtig sein. Achtsame Männer behaupten, daß Qandras-sehs Tage als Großwesir gezählt sind. Und daß ein junger Medicus seinen Platz einnehmen soll.«
Rob schwieg, doch ihm fiel plötzlich ein, daß Alä erwähnt hatte, er habe mit Karim »hochfliegende, vortreffliche Pläne«. »Wenn das wahr ist, wird Qandrasseh mitleidlos jeden zu treffen suchen, den er für einen Freund oder Anhänger seines Rivalen hält. Es genügt nicht, daß du dich aus der Politik heraushältst. Wenn ein Am mit den Mächtigen verkehrt, muß er lernen, sich zu fügen und auszuweichen, oder er überlebt nicht.«
Rob bezweifelte, daß er fähig war, sich zu fügen und auszuweichen. »Sei nicht allzu besorgt«, ermahnte ihn Ibn Sina. »Alä ändert seine Meinung oft und rasch, und man kann sich nicht auf das verlassen, was er in Zukunft unternehmen wird.«
Sie gingen weiter und erreichten die Gärten, kurz bevor der Gegenstand ihres Gesprächs entspannt und gut gelaunt aus Fath Aus Harem zurückkehrte.
Im Lauf des Nachmittags begann Rob sich zu fragen, ob Ibn Sina jemals Gastgeber einer Belustigung für den Schah und Beschützer gewesen war. Er machte sich an Khuff heran und fragte ihn beiläufig danach.
Der grauhaarige Stadthauptmann dachte mit zusammengekniffenen Augen konzentriert nach, dann nickte er. »Es ist schon einige Jahre her«, erinnerte er sich.
Alä hatte bestimmt für die erste Frau, die alte und fromme Reza, kein Interesse gezeigt, daher war es sicher, daß er seine königlichen Rechte auf Despina angemeldet hatte. Rob stellte sich vor, wie der Schah die Wendeltreppe im Steinturm emporstieg, während Khuff den Zugang bewachte, und wie er den zierlichen, sinnlichen Körper des Mädchens bestieg.
Dieses Persien machte der Reihe nach jeden Mann zum Hahnrei.
Chirurgische Instrumente in der Hand zu haben, kam Rob so selbstverständlich vor, als wären sie auswechselbare Teile seines Körpers. Al-Juzjani widmete ihm immer mehr von seiner kostbaren Zeit und zeigte ihm gewissenhaft und geduldig, wie er jede Operation durchführen mußte. Die Perser hatten Methoden entwickelt, mit denen sie die Patienten bewegungsunfähig und unempfindlich machten. Wenn Hanf tagelang in Gerstenwasser eingeweicht wurde und man den Aufguß trank, blieb man bei Bewußtsein, doch der Schmerz wurde abgeschwächt. Rob verbrachte zwei Wochen bei den Apothekern des khasanat-al-sharafund lernte, Tränke zuzubereiten, die die Patienten in Schlaf versenkten. Die Wirkung der Substanzen war schwer vorhersehbar, und es war schwierig, sie richtig zu dosieren, aber manchmal ermöglichten sie dem Chirurgen, ohne das krampfhafte Zittern, das Stöhnen und die Schmerzensschreie des Patienten zu operieren. Die Rezepte erinnerten ihn eher an Magie als an Medizin:
Nimm das Fleisch eines Schafes. Befreie es von Fett und schneide es in Brocken, häufe die Fleischstücke über und um eine ansehnliche Menge von geschmorten Bilsenkrautsamen. Stelle das Ganze in einem Steinguttopf unter einen Haufen Pferdedünger, bis sich Würmer gebildet haben. Tu dann die Würmer in ein Glasgefäß, bis sie austrocknen. Wenn sie gebraucht werden, nimm zwei Teile davon und einen Teil pulverisiertes Opium und führe es dem Patienten in die Nase ein.
Das Opium wurde aus dem Saft einer orientalischen Blume, der Mohnblume, gewonnen. Sie wurde auf Feldern um Isfahan angepflanzt, aber die Nachfrage war größer als das Angebot, denn Opium wurde bei den Riten in den Moscheen der ismaeilischen Moslems ebenso verwendet wie in der Medizin, so daß es auch aus der Türkei und aus Ghazna eingeführt werden mußte. Es bildete die Grundlage aller schmerztötenden Mittel.
Nimm reines Opium und Muskatnuß. Mahle und koche sie zusammen und lasse das Ganze vierzig Tage lang in altem Wein ziehen. Stelle dann die Flasche in die Sonne. Der Inhalt wird bald zu einer breiigen Masse. Macht man daraus eine Pille und verabreicht sie l jemandem, wird er sofort bewußtlos und gefühllos werden.
Sie bevorzugten aber meist ein anderes Rezept, weil Ibn Sina dieses am liebsten anwendete: Nimm zu gleichen Teilen Bilsenkraut, Opium, Wolfsmilch und Lakritzensamen. Zerreibe sie einzeln und mische alles zusammen in einem Mörser. Lege etwas von der Mischung auf eine beliebige Speise, und wer immer davon ißt, wird sofort in Schlaf fallen.
Trotz Robs Verdacht, daß al-Juzjani ihm seine Beziehung zu Ibn Sina übelnahm, konnte er bald geschickt mit allen chirurgischen Instrumenten umgehen. Die anderen Helfer al-Juzjams fanden, daß der neue Praktikant interessantere Arbeit zugewiesen bekam als sie. Sie wurden mürrisch und machten ihrem Neid auf Rob mit Gemurmel und gemeinen Beleidigungen Luft. Rob kümmerte sich nicht darum, denn er lernte mehr, als er sich erträumt hatte. Eines Nachmittags, nachdem er zum erstenmal allein die Operation durchgeführt hatte, die ihn in der Chirurgie am meisten faszinierte - das Stechen des Stars -, versuchte er, al-Juzjani zu danken.
Doch der Chirurg unterbrach ihn barsch: »Du besitzt das Geschick dafür, in Fleisch zu schneiden. Es ist eine Fertigkeit, die nicht viele Studenten beherrschen, aber die besondere Ausbildung ist von Eigennutz diktiert, denn ich werde dich eine große Menge Arbeit für mich verrichten lassen.«
Es stimmte. Tag für Tag führte er Amputationen durch, behandelte jede Art von Wunden, stach in Bäuche, um den Druck der in der Bauchhöhle angestauten Flüssigkeit zu erleichtern, entfernte Hämor-rhoiden, verödete Krampfadern...
»Das Schneiden macht dir allmählich zu viel Spaß«, bemerkte Mirdin scharfsinnig, als sie eines Abends in seinem Haus bei einer Partie des Spiels des Schahs zusammensaßen. Im Zimmer daneben hörte Fara zu, während Mary die Askari-Söhne mit einem gälischen Wiegenlied in den Schlaf sang.
»Es zieht mich sehr an«, gab Rob zu. Seit einiger Zeit dachte er daran, Chirurg zu werden, wenn er einmal zum hakim ernannt würde. In
England rangierten die Chirurgen deutlich unter den Ärzten, aber in persien trugen sie den besonderen Titel ustad und waren genauso geachtet und wohlhabend.
Aber Rob hatte auch Vorbehalte. »Die Chirurgie ist in gewisser Weise durchaus befriedigend. Wir sind aber darauf beschränkt, auf der Außenseite der Haut zu operieren. Das Körperinnere ist ein Geheimnis, das in über tausend Jahre alten Büchern weitergegeben wird. Wir wissen fast nichts über das Körperinnere.«
»So muß es auch sein«, meinte Mirdin gelassen und schlug einen rukh mit seinem Bauern. »Christen, Juden und Mohammedaner sind sich darin einig, daß es Sünde ist, die menschliche Gestalt zu entweihen.« »Ich spreche nicht von Entweihung. Ich spreche von Chirurgie, ich spreche vom Sezieren. Die Alten haben ihre Wissenschaft nicht aus Furcht vor einer Sünde geknebelt, und das wenige, das wir wissen, stammt von den alten Griechen, denen es erlaubt war, den Körper zu öffnen und zu studieren. Sie haben die Toten seziert und nachgesehen, wie der Mensch innen ausschaut. In diesen längst vergessenen Tagen erleuchtete ihr Geist einen kurzen Augenblick lang die gesamte Medizin, und dann versank die Welt in Dunkelheit.« Er kam ins Grübeln, und sein Spiel litt darunter, so daß Mirdin rasch den anderen rukh und eines seiner Kamele schlug.
»Ich glaube«, sagte Rob schließlich fast zu sich selbst, »daß es während all dieser langen Jahrhunderte finsteren Unwissens kleine, geheime Feuer gegeben hat.«
Jetzt wurde Mirdins Aufmerksamkeit vom Brett abgelenkt. »Männer, die die Kraft besaßen, heimlich Leichname zu sezieren, die den Priestern Trotz boten und als Arzte Gottes Auftrag erfüllten.« Mirdin war starr. »Mein Gott.
Sie galten als Hexenmeister.« »Sie waren nicht imstande, ihr Wissen weiterzugeben, hatten es aber wenigstens für sich selbst gewonnen.« Nun blickte Mirdin beunruhigt drein.
Rob lächelte. »Nein, ich tue es nicht«, sagte er sanft. »Ich habe schon genug Probleme damit, daß ich mich als Jude ausgebe. Ich besitze einfach nicht den dafür notwendigen Mut.«
»Man muß auch für kleine Geschenke dankbar sein«, schloß Mirdin trocken. Er war ziemlich verwirrt und abgelenkt worden, so daß jetzt er schlecht spielte und kurz nacheinander einen Elefanten und zwei Pferde verlor, aber Rob hatte noch nicht gut genug gelernt, wie man einen Vorteil ausnutzt, um zu siegen. Rasch und konzentriert sammelte Mirdm seine Kräfte, und nach einem Dutzend Zügen mußte Rob zu seinem Bedauern wieder einmal shahtreng, den Schmerz des Königs, hinnehmen.
Fara war Marys einzige Freundin, aber die Jüdin genügte ihr. Die beiden Frauen gewöhnten sich daran, stundenlang miteinander zu gestikulieren. Ihre Unterhaltung verlief ohne die Fragen und Antworten, die für die meisten Gespräche in der Gesellschaft kennzeichnend sind. Manchmal sprach Mary, und Fara hörte sich einen Erguß auf Gähsch an, den sie nicht verstand, manchmal wieder sprach Fara in ihrer Sprache, und Mary blickte verständnislos drein. Die Worte waren merkwürdigerweise unwichtig. Worauf es ankam, waren die Spiegelung der Gefühle in den Gesichtern, die Handbewegungen, der Klang der Stimme, Geheimnisse, die durch die Augen mitgeteilt wurden.
So teilten sie einander ihre Gefühle mit, und für Mary war es ein Vorteil, denn sie sprach über Themen, die sie jemandem gegenüber, den sie erst so kurz kannte, nie erwähnt hätte. Sie offenbarte den Schmerz über den Verlust ihres Vaters, ihre Sehnsucht nach der christlichen Messe. Und sie sprach über Dinge, die sie sonst auch einer langjährigen Freundin nicht anvertraut hätte: wie sie Rob so sehr liebte, daß sie manchmal zu zittern begann und es nicht unterdrücken konnte; von Augenblicken, in denen die Begierde sie mit solcher Wärme durchströmte, daß sie zum erstenmal rossige Stuten
verstand.
Sie wußte nicht, ob Fara auch über solche Dinge sprach, aber Liebe, Achtung und Bande der Freundschaft vereinten die beiden Frauen. Eines Morgens schlug Mirdin Rob freudig lachend auf die Schulter. »Du hast das Gebot befolgt, dich zu vermehren. Sie erwartet ein Kind, du europäischer Bock!«
»Das stimmt nicht!«
»Doch«, widersprach Mirdin entschieden. »Du wirst schon sehen. In dieser Hinsicht irrt sich Fara nie.«
Zwei Tage später wurde Mary nach dem Frühstück blaß und erbrach Essen und Flüssigkeit, so daß Rob den gestampften Lehmboden säubern und scheuern und frischen Sand bringen mußte. In dieser Woche wurde sie regelmäßig von Brechreiz geplagt, und als ihre monatliche Regel ausblieb, gab es keinen Zweifel mehr. Es kam nicht weiter überraschend, denn sie hatten sich unermüdlich geliebt, aber Mary hatte schon befürchtet, daß Gott ihre Verbindung vielleicht nicht segnete.
Rob hielt ihr den Kopf und reinigte sie, wenn sie erbrechen mußte, dachte sowohl voll Freude als voll Angst an das Kind und fragte sich unruhig, was für ein Geschöpf aus seinem Samen wachsen würde. Er entkleidete seine Frau jetzt mit noch mehr Leidenschaft als bisher, denn der Wissenschaftler in ihm freute sich über die Möglichkeit, die Veränderungen bis zur geringsten Einzelheit zu beobachten: die Brustwarzenhöfe, die größer und röter wurden, die schwellenden Brüste, den sich sanft wölbenden Bauch, den neuen Gesichtsausdruck, weil Mund und Nase fast unmerklich anschwollen. Er verlangte, daß sie sich auf den Bauch legte, damit er die Ansammlung von Fett an ihren Hüften und Hinterbacken und das leichte Dickerwerden ihrer Beine beurteilen konnte. Zuerst gefiel Mary diese Aufmerksamkeit, doch allmählich verlor sie die Geduld. »Die Zehen«, brummte sie. »Was ist mit den Zehen?« Er musterte ihre Füße ernsthaft und berichtete, daß die Zehen unverändert seien.
Der Reiz der Chirurgie wurde Rob durch eine Flut von Kastrationen verdorben. Die Schaffung von Eunuchen war ein alltägliches Verfahren, und es gab zwei Methoden. Bei gutaussehenden Männern, die die Eingänge der Harems bewachen sollten, wo sie wenig Kontakt mit den Frauen des Hauses hatten, kam es nur zur Entfernung der Hoden. Für den allgemeinen Dienst im Harem wurden häßliche Männer vorgezogen, oder man bezahlte für Entstellungen wie eine eingeschlagene oder von Natur abstoßende Nase, einen verzogenen Mund, wulstige Lippen und schwarze oder unregelmäßige Zähne einen Aufpreis. Um solche Männer für den Geschlechtsverkehr vollkommen unfähig zu
machen, wurden ihre Geschlechtsteile gänzlich entfernt, und sie waren gezwungen, eine Feder bei sich zu tragen, die sie brauchten, um ihre Blase zu entleeren.
Oft wurden Knaben kastriert. Manchmal wurden sie nach Bagdad in eine Schule zur Ausbildung von Eunuchen geschickt, wo sie z\i Sängern oder Musikern heranwuchsen, oder aber sie lernten eingehend die Geschäftspraktiken oder wurden als Einkäufer und Verwalter ausgebildet. Dadurch wurden sie zu überaus geschätzten Dienern, zu einem wertvollen Besitz ihres Herrn - wie Ibn Sinas kastrierter Sklave Wasif.
Die Technik des Kastrierens war einfach. Der Chirurg ergriff den zu amputierenden Körperteil mit der linken Hand. In der rechten Hand hielt er ein scharfes Rasiermesser und trennte die zu entfernenden Teile mit einem einzigen Schnitt ab, denn Schnelligkeit war entscheidend. Sofort danach wurde ein Brei aus warmer Asche auf die blutende Wunde gelegt, und der Mann war für immer verändert. Al-Juzjani hatte ihm erklärt, daß die Kastrierung manchmal als Bestrafung durchgeführt wurde. Man legte dann keinen Aschenbrei auf und ließ den Patienten verbluten.
Rob kam eines Abends nach Hause, betrachtete seine Frau und versuchte, nicht daran zu denken, daß keiner der Männer oder Knaben, die er operiert hatte, jemals eine Frau schwängern würde. Er legte ihr die Hand auf den warmen Bauch, der noch nicht merklich größer geworden war.
»Bald wird er so groß sein wie eine grüne Melone«, sagte sie. »Ich möchte ihn sehen, wenn er eine Wassermelone ist.« Er war ins Haus der Weisheit gegangen und hatte über den Fötus nachgelesen. Ibn Sina hatte geschrieben, daß das Leben, nachdem sich die Gebärmutter über dem Samen geschlossen habe, in drei Stadien entstehe. Dem Arzt aller Ärzte zufolge wird das Klümpchen im ersten Stadium in ein kleines Herz verwandelt; im zweiten Stadium bildet sich ein zweites Klümpchen und entwickelt sich zur Leber; und im dritten Stadium bilden sich alle wichtigen Organe. »Ich habe eine Kirche entdeckt«, berichtete Mary. »Eine christliche Kirche?«
fragte er und war erstaunt, als sie nickte. Er hatte nicht gewußt, daß es eine Kirche in Isfahan gab. In der vorhergehenden Woche waren Mary und Fara auf den armeni-
«eben Markt gegangen, um Weizen zu kaufen. Sie waren irrtümlich in eine schmale, nach Urin stinkende Nebengasse geraten und so auf die Kirche des Erzengels Michael gestoßen. »Ostkatholiken?«
Sie nickte wieder. »Es ist ein kleines, armseliges Gotteshaus, das von einer Handvoll sehr armer armenischer Tagelöhner besucht wird. Zweifellos wird sie geduldet, weil sie zu unbedeutend ist, um eine Bedrohung darzustellen.« Sie war zweimal allein dorthin zurückgegangen und hatte die ärmlich gekleideten Armenier beneidet, die die Kirche betraten und sie verließen.
»Die Messe wird in ihrer Sprache gelesen. Wir können nicht einmal die Antworten geben«, gab Rob zu bedenken.
»Aber sie zelebrieren das heilige Abendmahl. Christus ist auf ihrem Altar anwesend.«
»Wir würden mein Leben aufs Spiel setzen, wenn wir sie besuchen. Geh mit Fara zum Gebet in die Synagoge, aber sprich deine eigenen, stummen Gebete. Wenn ich in der Synagoge bin, bete ich zu Jesus und den Heiligen.«
Sie hob den Kopf, und zum erstenmal sah er den schwelenden Brand in ihren Augen.
»Ich brauche keine Juden, die mir erlauben zu beten«, trotzte sie hitzig.
Mirdin stimmte darin mit ihm überein, daß die Chirurgie als Beruf nicht in Frage kam. »Es ist nicht nur das Kastrieren, obgleich es schrecklich ist. Aber an Orten, wo es keine medizinischen Studenten gibt, die bei den mullah-Gerichten Dienst tun, muß der Chirurg die Gefangenen nach der Bestrafung behandeln. Es ist besser, wenn wir unsere Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Behandlung von Krankheiten und Verletzungen verwenden, als Stummeln und Stümpfe in Ordnung zu bringen, die gesunde Gliedmaßen und Organe sein könnten.«
Sie saßen in der frühen Morgensonne auf den Steinstufen der madrassa, und Mirdin seufzte, als ihm Rob von Mary und ihrer Sehnsucht nach dem Trost der Kirche erzählte. »Du mußt eure Gebete mit ihr sprechen, wenn ihr allein seid. Und du mußt sie zu deinem Volk bringen, sobald du dazu in der Lage bist.«
Rob nickte und betrachtete sein Gegenüber nachdenklich. Mirdin war verbittert und von Haß erfüllt gewesen, als er Rob für einen Juden gehalten hatte, der seinem Glauben untreu war. Aber seit er wußte, daß Rob ein Andersgläubiger war, hatte er sich als wahrer Freund erwiesen.
»Hast du dir überlegt«, fragte Rob gedehnt, »daß jeder Glaube behauptet, er allein besitze Gottes Herz und Ohr?
Wir, ihr und die Mohammedaner - alle erklären feierlich, daß sie die einzig wahre Religion haben. Kann es sein, daß wir alle drei unrecht haben?«
»Vielleicht haben wir alle drei recht?« erwiderte Mirdin.
Rob empfand aufwallende Zuneigung. Bald würde Mirdin Medicus sein und nach Masqat zu seiner Familie zurückkehren, und wenn er hakim war, würde auch er nach Hause reisen. Zweifellos würden sie einander nie wiedersehen. Als er Mirdin m die Augen sah, war er sicher, daß sein Freund das gleiche dachte.
»Werden wir einander im Paradies wiedersehen?«
Mirdin starrte ihn ernst an. »Ich werde dich im Paradies treffen.
Schwörst du es hoch und heilig?«
Rob lächelte. »Ich schwöre es hoch und heilig.«
Sie faßten einander bei den Handgelenken.
»Ich stelle mir die Trennung zwischen Leben und Paradies als Fluß vor«, sagte Mirdin. »Wenn es viele Brücken über den Fluß gibt, wird es Gott dann stören, welche Brücke der Reisende wählt?«
»Ich glaube nicht«, stimmte Rob zu.
Die beiden Freunde verabschiedeten sich herzlich, und jeder eilte an seine Arbeit.
Rob saß mit zwei Studenten im Operationssaal und hörte al-Juzjani zu, der im Hinblick auf die bevorstehende Operation auf die ärztliche Schweigepflicht aufmerksam machte. Er würde die Identität der Patientin nicht bekanntgeben, um ihren Ruf zu schützen, aber er gab ihnen zu verstehen, daß sie eine nahe Verwandte eines mächtigen, berühmten Mannes war und daß sie Brustkrebs hatte. Wegen der Schwere der Erkrankung würde das theologische Verbot, das jedem außer dem Ehemann einer Frau untersagte, ihren Körper vom Hals bis zum Knie zu betrachten, außer acht gelassen, damit sie operiert werden konnte.
per Frau waren Betäubungsmittel und Wein eingeflößt worden, und sie wurde in bewußtlosem Zustand hereingetragen. Sie war füllig und schwer. Unter dem Tuch, das um ihren Kopf gebunden war, sahen graue Haarsträhnen hervor. Sie war leicht verschleiert und vollkommen eingehüllt, mit Ausnahme ihrer Brüste, die groß, weich und schlaff waren, was darauf hinwies, daß die Patientin nicht mehr jung war. Al-Juzjani befahl jedem der Studenten, beide Brüste sanft abzutasten, um zu lernen, wie sich ein Brusttumor anfühlt. Er war sogar ohne Abtasten erkennbar: eine deutlich sichtbare Geschwulst seitlich an der linken Brust, so lang wie Robs Daumen und dreimal so dick. Das Zusehen war für ihn sehr lehrreich; er hatte noch nie zuvor eine geöffnete menschliche Brust g'esehen. Während al-Juzjani das Messer in das nachgiebige Fleisch drückte und den Schnitt ein Stück unterhalb des Tumors setzte, um alles herauszuholen, quoll Blut hervor. Die Frau stöhnte, und der Chirurg arbeitete rasch, um die Operation zu beenden, bevor die Patientin aufwachte.
Das Innere der Brust enthielt Muskeln, graues Zellgewebe und Klumpen von gelblichem Fett, wie bei einem ausgenommenen Huhn. Rob konnte deutlich mehrere rosa Milchgänge erkennen, die sich wie die Arme eines Flusses, die zusammentreffen, an der Brustwarze vereinigten. Vielleicht hatte al-Juzjani einen der Gänge verletzt; rötliche Flüssigkeit quoll aus der Brustwarze wie ein Tropfen rosiger Milch. Al-Juzjani hatte den Tumor herausgeholt und vernähte schnell die Wunde. Wenn dies überhaupt möglich war, hätte Rob angenommen, daß der Chirurg diesmal nervös war.
Sie ist mit dem Schah verwandt, dachte er. Vielleicht eine Tante. Vielleicht sogar jene Frau, von der der Schah ihm in der Höhle erzählt hatte, die Tante, die Alä ins Sexualleben eingeführt hatte. Sie stöhnte, war fast völlig wach und wurde hinausgetragen, sobald die Brust geschlossen war.
Al-Juzjani seufzte. »Es gibt keine Heilung. Der Krebs wird sie letzten Endes töten, aber wir können versuchen, sein Wachstum zu verlangsamen.« Er sah Ibn Sina draußen und ging hinaus, um über die Operation zu berichten, während die Studenten im Operationssaal Ordnung machten.
Bald darauf betrat Ibn Sina den Operationssaal und sprach kurz mit Rob, dem er auf die Schulter klopfte, bevor er ihn verließ.
Rob war durch die Mitteilung des Arztes aller Ärzte verstört. Er verließ den Operationssaal und ging zum khasanat-al-sharaf, wo Mirdm gerade arbeitete. Sie trafen einander in dem Korridor, der zur Apotheke führte.
Rob las von Mirdins Gesicht genau die Gefühlsregungen ab, die auch ihn bewegten. »Du auch?«
Mirdin nickte. »In zwei Wochen?«
»Ja.« Er geriet in Panik. »Ich bin noch nicht für die Prüfung bereit, Mirdin! Du bist seit vier Jahren hier, aber bei mir sind es erst drei Jahre. Ich bin einfach noch nicht soweit.«
Mirdin vergaß seine eigene Nervosität und lächelte. »Du bist soweit. Du warst Baderchirurg, und alle, die dich unterrichtet haben, haben gesehen, was du kannst. Wir haben noch zwei Wochen, um gemeinsam zu büffeln, und dann werden wir unsere Prüfung ablegen.«
Ibn Sina war m einer kleinen Siedlung namens Afshanah außerhalb des Dorfes Kharmaythan zur Welt gekommen, und bald nach seiner Geburt war seine Familie in die nahe Stadt Buchara übersiedelt. Während er noch ein kleiner Junge war, vereinbarte sein Vater, ein Steuereinnehmer, daß er bei einem Lehrer des Korans und einem Lehrer der Literatur studierte, und als er zehn Jahre alt war, konnte er den ganzen Koran auswendig, und er hatte bereits viel von der mohammedanischen Kultur in sich aufgenommen. Sein Vater lernte einen gebildeten Gemüsehändler namens Mahmud der Mathematiker kennen, der dem Kind indische Mathematik und Algebra beibrachte. Bevor dem begabten Jungen die ersten Barthaare sprossen, hatte er die Eignungsprüfung in den Rechtswissenschaften erworben und sich mit Euklid sowie der Geometrie beschäftigt. Seine Lehrer bestürmten seinen Vater, ihm zu erlauben, sein Leben der Gelehrsamkeit zu widmen.
Mit elf Jahren begann er das Studium der Medizin, und als er sechzehn war, hielt er Vorträge vor älteren Ärzten.
Nebenher arbeitete er viel als Jurist. Sein ganzes Leben lang pflegte er die Juristerei und die Philosophie. Obwohl diese gelehrten Berufe in der persischen Welt hoch im Ansehen standen, erkannte er, daß für einen Menschen nichts gichtiger ist als sein Wohlergehen und die Frage, ob er leben würde oder sterben mußte.
Schon in jungen Jahren diente Ibn Sina einer Reihe von Herrschern, die seine Begabung für ihr gesundheitliches Wohl nützten, und obwohl er Dutzende Bücher über Recht und Philosophie schrieb, die ihm den liebevollen Beinamen Zweiter Lehrer eintrugen (der Erste Lehrer war Mohammed), errang er als Arzt aller Ärzte noch größere Berühmtheit und Anerkennung. Sein Ruf eilte ihm voraus, wohin er auch reiste.
In Isfahan, wo er vom politischen Flüchtling schnell zum hakim-bashi, zum Obersten der Ärzte, aufgestiegen war, gab es ein großes Angebot an Ärzten, und weitere Männer wurden ständig durch ein einfaches Verfahren zu Heilern erklärt. Wenige dieser angeblichen Ärzte besaßen jenen verbissenen Wissensdrang oder jene intellektuelle Begabung, die für Ibn Sinas Hinwendung zur Medizin kennzeichnend gewesen waren, und er erkannte, daß eine Möglichkeit geschaffen werden mußte, um die Qualifikation für die Ausübung der Tätigkeit des Mediziners festzustellen. Über ein Jahrhundert lang waren Anwärter auf den Arztberuf in Bagdad geprüft worden, bis Ibn Sina die Ärzteschaft davon überzeugte, daß auch in Isfahan die Befähigungsprüfung an der madrassa über die Anerkennung als Arzt entscheiden sollte, wobei er als leitender Prüfer in Medizin füngieren wollte.
Ibn Sina war der beste Arzt im östlichen und westlichen Kalifat, er arbeitete jedoch in einem Unterrichtssystem, das keine großen Einrichtungen besaß. Die Akademie in Toledo hatte ihr Haus der Wissenschaft, die Universität in Bagdad hatte ihre Schule für Übersetzer, Kairo verfügte über eine reiche, fundierte medizinische Tradition, die viele Jahrhunderte zurückreichte. Jedes dieser Institute besaß eine berühmte, großartige Bibliothek, die von den Spenden des größeren und reicher dotierten Instituts in Bagdad lebte. Der manstan war ein kleinerer, bescheidener Abklatsch des großen Azudi-Krankenhauses in Bagdad. Nur die Anwesenheit von Ibn Sina wog die fehlende Größe und Bedeutung des Instituts auf.
Ibn Sina gestand ein, daß er von der Sünde des Stolzes beherrscht wurde. Während sein eigener Ruf so überragend war, daß er sich
nichts mehr daraus machte, reagierte er in bezug auf das Ansehen der von ihm ausgebildeten Ärzte empfindlich.
Am achten Tag des Monats Shawwa brachte ihm eine Karawane aus Bagdad einen Brief von Ibn Sabur Yäqüt, dem obersten medizinischen Prüfer von Bagdad. Ibn Sabur wollte in der ersten Hälfte des Monats Zulkadah nach Isfahan kommen und den maristan besuchen. Ibn Sina kannte Ibn Sabur bereits und wappnete sich gegen die Herablassung und die ständigen überheblichen Vergleiche seines Bagdader Rivalen. Trotz aller Vorteile, die die Medizin in Bagdad genoß, wußte er, daß die Prüfungen dort oft berüchtigt lax gehandhabt wurden. Im maristan gab es derzeitig zwei der besten Medizinstudenten, die er je erlebt hatte. Er sah sofort, daß er der Ärzteschaft in Bagdad damit eindrucksvoll vor Augen führen konnte, welche Ärzte Ibn Sina in Isfahan ausbildete.
Weil also Ibn Sabur Yäqüt den maristan besuchte, wurden Jesse ben Benjamin und Mirdin Askari zu der Prüfung zugelassen, die ihnen das Recht, sich hakim zu nennen, zuerkennen oder verweigern würde.
Ibn Sabur Yäqüt entsprach ganz dem Bild, das Ibn Sina von ihm im Gedächtnis bewahrt hatte. Der Erfolg ließ seine Augen unter den dicken Lidern leicht hochmütig blicken. Seine Haare waren grauer als vor zwölf Jahren, als die beiden m Hamadhän zusammengetroffen waren. Er trug ein auffallendes, teures Gewand aus buntem Stoff, das seine Stellung und seinen Wohlstand verkündete, aber trotz der hervorragenden Ausführung nicht verbergen konnte, daß er seit seiner Jugend erheblich an Umfang zugenommen hatte. Ibn Sabur besichtigte die madrassa und den maristan mit einem Lächeln auf den Lippen und eingebildet-guter Laune, seufzte und bemerkte, daß es ein Genuß sein müßte, sich in so geringem Ausmaß mit Problemem befassen zu müssen.
Der vornehme Besucher fühlte sich sichtlich geschmeichelt, als man ihn ersuchte, der Prüfungskommission anzugehören, die zwei Studenten examinieren würde.
Isfahan verfügte über keine große Zahl an hervorragenden Wissenschaftlern, konnte aber an der Spitze der meisten Fächer genügend Koryphäen aufweisen, so daß Ibn Sina keine Mühe hatte, eine Prüfungskommission zusammenzustellen, die auch in Kairo oder Toledo
respektiert worden wäre. Al-Juzjani würde in Chirurgie prüfen. Imam lussef Gamali von der Freitagsmoschee würde in Theologie examinieren. Musa Ibn Abbas, der mullah aus der Umgebung von Imam Mirza-abul Qandrasseh, des Großwesirs von Persien, würde die Fragen in Recht und Jurisprudenz stellen. Ibn Sina war für Philosophie und Medizin zuständig, und der Besucher aus Bagdad wurde geschickt dazu ermutigt, selbst die schwierigsten Fragen zu stellen. Die Tatsache, daß beide Kandidaten Juden waren, störte Ibn Sina nicht. Auch unter den Juden gab es natürlich Einfaltspinsel, die schlechte Ärzte abgaben, aber seiner Erfahrung nach hatten die intelligenten Dhimmis, die Medizin studierten, bereits die Prüfung in der Tasche, denn Forschungen, intellektuelle Schlußfolgerungen und das Vertiefen in Wahrheiten und Beweise gehörten zu ihrer Religion und wurden ihnen lange, bevor sie Medizinstudenten wurden, in ihren Studierhäusern anerzogen.
Mirdin Askari war als erster an der Reihe. Sein alltägliches Gesicht mit dem langen Kinn wirkte aufmerksam, aber ruhig, und als Musa Ibn Abbas eine Frage über das Eigentumsrecht stellte, antwortete Mirdin nicht aufgeplustert, sondern ausführlich und vollständig, zitierte Beispiele und Präzedenzfälle aus dem fiqh und der shari'a. Die anderen Prüfer richteten sich erstaunt auf, als Jussef Gamali in seinen Fragen Recht und Theologie vermengte, doch Mirdins profundes Wissen zerstreute die Vorstellung, daß der Kandidat im Nachteil sein könnte, weil er ein wahrer Gläubiger war. Er zitierte als Beweise Beispiele aus Mohammeds Leben und seinen schriftlich niedergelegten Gedanken, wobei er die rechtlichen und gesellschaftlichen Unterschiede zwischen dem Islam und seiner eigenen Religion beleuchtete, wo sie belangvoll waren. Dort, wo sie es nicht waren, zog er in seinen Antworten die Thora hinzu als Beweis für den Koran, oder den Koran als Grundlage derThora. Er benutzte seinen Verstand wie ein Schwert, fand Ibn Sina, indem er Scheinangriffe vortrug, parierte, um dann und wann einen Treffer zu landen, als wäre er aus geschliffenem Stahl. Seine Gelehrsamkeit war so vielseitig, daß jeder Zuhörer, obwohl er in etwa über die gleiche Gelehrsamkeit verfügte, wie betäubt und von Bewunderung für den außergewöhnlichen Verstand erfüllt war. Als Ibn Sabur an der Reihe war, schoß er Frage um Frage wie Pfeile ab. Die Antworten kamen ohne Zögern, aber sie drückten nie Mirdin Askaris persönliche Meinung aus, sondern waren Zitate von Ibn Sina oder Rhazes, Galen oder Hippokrates.
Einmal zitierte Mirdin sogar aus »Über niedrige Fieber« von Ibn Sabur Yäqüt. Der Gelehrte aus Bagdad verzog keine Miene, als ihm seine eigenen Worte wiederholt wurden.
Die Prüfung dauerte viel länger als sonst, bis schließlich keine weiteren Fragen von den Prüfern kamen. Da entließ Ibn Sina Mirdin freundlich und ließ Jesse ben Benjamin holen.
Die Atmosphäre veränderte sich unmerklich, als der neue Kandidat hereinkam. Hochgewachsen und breitschultrig stellte er für ältere, asketische Männer eine Herausforderung dar. Seine Haut war von der Sonne des Westens und Ostens gegerbt, in seinen weit auseinanderliegenden blauen Augen lagen wohl Wachsamkeit als auch Arglosigkeit, und seine gebrochene Nase verlieh ihm eher das Aussehen eines Speerträgers als das eines Mediziners. Seine großen, kräftigen Hände schienen dazu geschaffen, Eisen zu biegen, doch Ibn Sina hatte gesehen, wie sie behutsam über Gesichter von Fiebernden streichelten und mit absoluter Sicherheit in lebendes Fleisch schnitten. Im Geist war er längst ein Medicus.
Ibn Sina hatte absichtlich Mirdin zuerst prüfen lassen, um die richtigen Voraussetzungen zu schaffen und weil Jesse ben Benjamin anders war als die Studenten, an die die Sachverständigen gewöhnt waren. Er besaß Eigenschaften, die bei einer akademischen Prüfung nicht zutage treten konnten. Er hatte sich in drei Jahren erstaunlich viel erarbeitet, aber seine Gelehrsamkeit war nicht so tiefschürfend wie die Mirdins. Er war aber trotz seiner Nervosität die stärkere Persönlichkeit. Der Gehilfe von Imam Qandrassehs hatte den fast unhöflichen Blick bemerkt, den Rob auf Musa Ibn Abbas warf, und der mullah begann unvermittelt mit einer politischen Frage, deren Tücken er gar nicht verbergen wollte.
»Gehört das Königreich zur Moschee oder zum Palast?« Rob antwortete nicht mit der raschen, bereitwilligen Sicherheit, die bei Mirdin so beeindruckt hatte. »Im Koran ist es festgelegt«, antwortete er in seinem nicht völlig akzentfreien Persisch. »Allah sagt in sura zwei: >Ich setze einen Vizekönig auf der Erde ein.» Und in sura achtunddreißig wird die Aufgabe des Schahs mit folgenden Worten umrissen: >Siehe, David, Wir haben dich als Vizekönig auf der Erde
eingesetzt, deshalb urteile gerecht über Menschen und folge keiner Laune, damit du nicht vom Pfad Gottes abweichst.< Daher gehört das Königreich zu Gott.«
Indem er das Königreich Gott zuwies, hatte er die Wahl zwischen Qandrasseh und Alä vermieden; es war eine gute, geschickte Antwort. Der mullah widersprach ihm nicht.
jbn Sabur forderte den Kandidaten auf, den Unterschied zwischen Pocken und Masern zu schildern.
Rob zitierte aus Rhazes' Abhandlung »Al-Hawi« und wies daraufhin, daß die Frühsymptome von Pocken Fieber und Rückenschmerzen sind, während bei Masern das Fieber höher ist und es zu deutlicher geistiger Erschöpfung kommt. Er zitierte Ibn Sina, als säße der Arzt nicht vor ihm, weil in Buch vier von »Der Kanon der Medizin«
darauf hingewiesen werde, daß bei Masern der Ausschlag für gewöhnlich auf einmal erscheint, während bei Pocken der Ausschlag nach und nach auftritt. Er war ruhig und unerschütterlich und versuchte nicht, seine Erfahrung mit der Pest ins Spiel zu bringen, was ein unbedeutenderer Mann vielleicht getan hätte. Ibn Sina wußte, daß Rob ein würdiger Kandidat war; doch unter den Prüfern wußten nur er und al-Juzjani, welch ungeheure Eeistung dieser Mann in den letzten drei Jahren vollbracht hatte.
»Wie geht Ihr vor, wenn Ihr ein gebrochenes Knie behandeln müßt?« fragte al-Juzjani.
»Wenn das Bein gerade ist, muß man es stillegen, indem man es zwischen zwei starre Schienen bindet. Wenn es verbogen ist, hat Hakim Jalal-al-Din eine Methode, es zu schienen, erdacht, die nicht nur beim Knie, sondern auch bei einem gebrochenen oder verrenkten Ellbogen anwendbar ist.« Neben dem Besucher aus Bagdad lagen Papier, Tinte und Feder, und der Kandidat ging zu diesen Materialien. »Ich kann ein Glied zeichnen, so daß Ihr die Anordnung der Schiene sehen könnt«, schlug er vor.
Ibn Sina war entsetzt. Wenn auch der Dhimmi ein Europäer war, mußte er doch wissen, daß jemand, der das Abbild einer menschlichen Gestalt im ganzen oder teilweise zeichnet, im heißesten Höllenfeuer brennen muß. Es war für einen strenggläubigen Mohammedaner eine Sünde und eine Gesetzesübertretung, ein solches Bild auch nur anzuschauen. Da der miillah und Imam Jussef anwesend waren, würde der Künstler, der Gott verhöhnte und ihre Moral verdarb, indem er einen Menschen zeichnete, vor ein islamisches Gericht gestellt und nie zum hakim ernannt werden.
Die Prüfer ließen die verschiedensten Gefühlsregungen erkennen. Al-Juzjanis Gesicht zeigte tiefes Bedauern, um Ibn Saburs Mund zitterte ein leichtes Lächeln, Imam Jussef war verwirrt und der mullab bereits zornig.
Die Feder flog zwischen Tintenfaß und Papier hin und her. Sie kratzte rasch über das Papier, und bald war alles zu spät: Die Zeichnung war fertig. Rob reichte sie Ibn Sabur, und der Gelehrte aus Bagdad musterte sie ungläubig. Als er sie an al-Juzjani weitergab, konnte der Chirurg ein Grinsen nicht unterdrücken.
Es dauerte lange, bis die Zeichnung Ibn Sina erreichte, aber als er das Papier endlich erhielt, sah er, daß das abgebildete Glied ein Ast war. Zweifellos der gebogene Zweig eines Aprikosenbaumes, denn er trug Blätter.
Raffinierterweise nahm ein Knorren die Stelle des verletzten Knies ein, und die Enden der Schiene waren weit unterhalb und oberhalb des Knorrens an dem Ast festgebunden. Über die Schiene wurde keine weitere Frage gestellt. Ibn Sina sah Jesse an und achtete darauf, seine Erleichterung ebenso zu verbergen wie seine Zuneigung.
Es bereitete ihm großes Vergnügen, das Gesicht des Besuchers aus Bagdad zu betrachten. Er lehnte sich zurück und begann seinem Studenten die interessanteste philosophische Frage zu stellen, die er formulieren konnte, denn er war davon überzeugt, daß der maristan von Isfahan es sich leisten konnte, etwas dicker aufzutragen.
Es hatte Rob einen gewaltigen Schock versetzt, als er in Musa Ibn Abbas den persönlichen Gehilfen des Großwesirs erkannte, der sich heimlich mit dem Gesandten der Seldschuken getroffen hatte. Aber ihm fiel schnell ein, daß man ihn bei dieser Gelegenheit nicht bemerkt hatte, weshalb die Anwesenheit des mullahs im Prüfungskomitee keine besondere Bedrohung darstellte.
Als die Prüfung zu Ende war, begab Rob sich geradewegs in jenen Flügel des maristan, in dem die chirurgischen Patienten untergebracht waren, denn er und Mirdin waren sich darin einig, daß es ihnen zu schwer fallen würde, gemeinsam untätig zu warten, bis sie die Ergebn;sse der Prüfung erfuhren. Jeder wollte die Zeit lieber mit Arbeit ausfüllen, und so stürzte sich Rob auf alle möglichen Arbeiten, untersuchte Patienten, wechselte Verbände, entfernte Nähte - all die einfachen Verrichtungen, an die er sich gewöhnt hatte. Die Zeit verging, doch es kam keine Nachricht. Dann endlich betrat Jalal-al-Din den Flügel, was bedeuten mußte, daß die Prüfungskommission sich aufgelöst hatte. Rob hätte gern gefragt, ob Jalal das Ergebnis kannte, brachte es aber nicht über sich. Am vorhergehenden Tag hatten sie gemeinsam einen Hirten zusammengeflickt, den ein Stier auf die Hörner genommen hatte. Rob hatte die zerrissenen Muskeln und das Fleisch an Schulter und Arm in die richtige Lage gebracht und genäht, und Jalal hatte die Brüche eingerichtet und geschient. Jalal bemängelte jetzt, daß die dicken Verbände neben den Schienen unförmig wirkten. »Kann man die Verbände nicht abnehmen?«
Rob wunderte sich, denn Jalal sollte es besser wissen. »Es ist zu früh.« Jalal zuckte mit den Achseln, blickte Rob freundlich an und lächelte. »Es wird wohl so sein, wie Ihr sagt, Hakim«, sagte er und verließ das Zimmer.
So erfuhr Rob das Ereignis. Es machte ihn schwindlig, so daß er eine Zeitlang wie vom Donner gerührt dastand.
Schließlich wurde er von seinen Dienstpflichten geweckt: Er mußte noch vier Kranke untersuchen. Er machte weiter und zwang sich zur Sorgfalt, wie es einem guten Arzt anstand.
Als jedoch der letzte Patient behandelt worden war, überließ er sich wieder seinen Gefühlen, der reinsten Freude seines Lebens. Fast taumelnd lief er nach Hause, um Mary die gute Nachricht zu bringen.
Rob war sechs Tage vor seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag hakim geworden, und das Hochgefühl hielt wochenlang an. Er war froh, daß Mirdin nicht vorschlug, ihren Erfolg auf den maidans zu feiern. Statt dessen kamen die beiden Familien in Askaris Haus zusammen und genossen gemeinsam das Abendessen.
Rob und Mirdin gingen zusammen zum Schneider, um sich das schwarze Ärztegewand und den Umhang anmessen zu lassen. »Wirst du jetzt nach Masqat zurückkehren?« fragte Rob seinen Freund.
»Ich werde noch ein paar Monate hierbleiben, denn es gibt noch einiges, was ich im khasanat-al-sharaf lernen muß. Und du? Wann wirst du nach Europa reisen?«
»Mary kann während der Schwangerschaft nicht reisen. Wir warten am besten, bis das Kind geboren und kräftig genug ist, um die Strapazen zu überstehen.« Er lächelte. »Deine Familie wird in Masqat feiern, wenn ihr Medicus heimkommt. Hast du ihnen mitgeteilt, daß der Schah eine große Perle von ihnen kaufen will?« Mirdin schüttelte den Kopf. »Meine Verwandten klappern die Dörfer der Perlenfischer ab und kaufen winzige Zuchtperlen. Die verkaufen sie meßbecherweise an Händler, die sie weiterverkaufen, damit mit ihnen Kleider bestickt werden. Meinen Verwandten würde es schwerfallen, den Betrag für eine große Perle aufzubringen. Und sie wären gar nicht darauf erpicht, mit dem Schah Geschäfte zu machen, denn Herrscher sind selten bereit, für die großen Perlen, die sie so lieben, anständig zu zahlen. Ich hoffe nur, daß Alä Shahansha das >große Glück< vergessen hat, das er für meine Verwandten vorgesehen hat.«
»Gestern abend haben Mitglieder des Hofs nach dir gefragt und dich vermißt«, beschwerte sich Alä Shahansha.
»Ich habe eine schwerkranke Frau behandelt«, antwortete Karim.
»Es gibt auch kranke Menschen an meinem Hof, die deine Weisheit brauchen«, wandte Alä verdrießlich ein.
»Ja, Majestät.«
Alä hatte deutlich gemacht, daß Karim die Gunst des Thrones besaß, aber Karim hatte bereits genug von den Mitgliedern der adeligen Familien, die oft mit eingebildeten Leiden zu ihm kamen, und ihm fehlten das geschäftige Treiben und die echte Arbeit im manstan, wo er sich immer als Arzt nützlich machen konnte, statt als Aushängeschild zu dienen.
»Ich schmiede Pläne, Karim«, sagte der Schah gerade. »Ich schaffe die Voraussetzungen für große Ereignisse.«
»Möge Allah ihnen gewogen sein!«
»Du mußt deine Freunde kommen lassen, die beiden Juden. Ich möchte mit euch dreien sprechen.« »Ja, Majestät.«
Am übernächsten Morgen wurden Rob und Mirdin aufgefordert, mit dem Schah auszureiten. Dies stellte für die beiden eine Gelegenheit dar, mit Karim zusammenzusein, der in letzter Zeit von Alä voll in Anspruch genommen wurde. In den Stallungen des Hauses des Paradieses erzählten die jungen Ärzte zu Karims Vergnügen wieder von ihren Prüfungen, und als der Schah eintraf, bestiegen sie die Pferde und ritten hinter ihm hinaus aufs Land.
Der Ausritt hatte eine bereits vertraute Routine. Sie speisten gut und sprachen belangloses Zeug, bis alle vier im heißen Wasser des Teiches in der Höhle saßen und Wein tranken.
Hier erzählte ihnen Alä ruhig, daß er in fünf Tagen mit einem großen Stoßtrupp von Isfahan aufbrechen würde.
»Wem gilt der Überfall, Majestät?« fragte Rob. »Den Elefantengehegen in Südwestindien.«
»Darf ich Euch begleiten, Majestät?« fragte Karim sofort mit leuchtenden Augen.
»Ich hoffe, daß ihr alle drei mitkommen werdet«, sagte Alä. Er sprach lange mit ihnen und schmeichelte ihnen, indem er ihnen seine geheimsten Pläne verriet. Die Seldschuken im Westen bereiteten sich eindeutig auf einen Krieg vor. Sultan Mahmud in Ghazna führte sich wilder auf denn je, und man würde sich einmal mit ihm befassen müssen. Alä hatte jetzt eine Gelegenheit, seine Streitkräfte auszubauen. Seine Spione meldeten ihm, daß in Mansura eine schwache indische Garnison viele Elefanten bewachte. Ein Überfall würde eine nützliche Gefechtsübung darstellen und ihm, was noch wichtiger war, wertvolle Tiere einbringen, die, mit Panzerplatten bedeckt, eine eindrucksvolle Waffe darstellten, die den Ausgang einer Schlacht bestimmen konnte. »Mir schwebt noch ein anderes Ziel vor«, fuhr Alä fort. Er griff nach der Scheide, die neben dem Teich lag, und zog einen Dolch heraus, dessen Klinge aus fremdartigem, blauem Stahl war und ein Muster von kleinen Wirbeln aufwies.
»Das Metall dieses Messers findet man nur in Indien. Es unterscheidet sich von jedem Metall, das wir besitzen.
Diese Schneide ist besser als
unser Stahl und bleibt länger scharf. Sie ist so hart, daß sie in gewöhnliches Metall eindringt. Wir werden Schwerter suchen, die aus diesem blauen Stahl gemacht sind, denn eine Armee, die genügend derartige Schwerter besitzt, muß siegen.« Er reichte den anderen den Dolch, damit sie seine gehärtete Schneide prüfen konnten. »Wirst du uns begleiten?« fragte er Rob.
Beide wußten, daß es ein Befehl war, keine Frage. Jetzt wurde die Rechnung präsentiert, und Rob mußte seine Schuld bezahlen. »Ja, Majestät, ich komme mit«, antwortete er und versuchte, dabei einen forschen Eindruck zu machen. Er war nicht nur vom Wein benommen und fühlte, wie sein Puls raste. »Und du, Dhimmi?« fragte Alä
Mirdin.
Mirdin war blaß. »Eure Majestät hat mir gestattet, zu meiner Familie in Masqat zurückzukehren.«
»Gestattet? Natürlich hatte ich es gestattet. Jetzt mußt du entscheiden, ob du uns begleiten willst oder nicht«, sagte Alä förmlich. Karim griff hastig nach dem Ziegenschlauch und füllte Wein in ihre Becher. »Komm mit nach Indien, Mirdin!«
»Ich bin kein Soldat«, meinte der zögernd und blickte dabei Rob an. »Komm mit uns!« drängte auch Rob. »Wir haben noch nicht einmal ein Drittel der Gebote besprochen. Unterwegs könnten wir zusammen studieren.«
»Wir werden Ärzte brauchen«, gab Karim zu bedenken. »Übrigens ist Jesse der erste Jude in meinem Leben, der bereit ist zu kämpfen.« Es war gutmütiger, wenn auch derber Spott, doch Mirdins Augenlider zogen sich zusammen.
»Es ist nicht wahr, Karim! Der Wein macht dich dumm«, mischte sich Rob ein.
»Ich komme mit«, sagte Mirdin, und sie jubelten vor Freude. »Stellt euch das einmal vor«, sagte Alä Shahansha zufrieden, »vier Freunde überfallen gemeinsam Indien!«
An diesem Nachmittag suchte Rob die Hebamme Nitka auf. Sie war eine magere, strenge, aber noch nicht alte Frau. Er erklärte ihr nur, daß er abreisen müsse. Ihr Gesicht verriet ihm, daß dies für sie etwas Alltägliches war: Der Ehemann geht auf Reisen, die Frau bleibt zurück und muß allein leiden.
„Ich habe Eure Frau gesehen: die rothaarige Andersgläubige.« »Ja. Sie ist eine europäische Christin.«
Nitka dachte nach, dann faßte sie einen Entschluß. »Also gut. Ich werde ihr beistehen, sobald ihre Zeit gekommen ist. Wenn es Schwierigkeiten gibt, werde ich in den letzten Wochen vor der Entbindung in Eurem Haus wohnen.«
»Danke.« Er gab ihr fünf Münzen, vier davon aus Gold. »Genügt das?«
»Es genügt.«
Statt heimzugehen, verließ er die Jehuddijeh wieder und begab sich unangesagt zu Ibn Sina.
Der Arzt aller Ärzte begrüßte ihn und hörte ihm dann ernst zu. »Was geschieht, wenn Ihr in Indien fallt? Mein Bruder Ali wurde getötet, als er an einem ähnlichen Unternehmen teilnahm.« »Ich hinterlasse meiner Frau genügend Geld. Nur wenig davon ist meines, das meiste stammt von ihrem Vater«, erklärte er gewissenhaft.
»Falls ich sterbe, werdet Ihr dann dafür sorgen, daß sie und das Kind nach Hause zurückreisen können?«
Ibn Sina nickte. »Ihr müßt darauf achten, daß ich nicht in diese Lage komme.«
Dann sagte er plötzlich in einem anderen Ton. »Jetzt setzt Euch näher zu mir, Hakim. Ihr würdet gut daran tun, mit mir einige Zeit über die Behandlung von Wunden zu sprechen.«
Als sie im Bett lagen, erzählte Rob Mary alles. Er erklärte ihr, daß er keine Wahl habe, daß er verpflichtet sei, Alä seine Schuld zurückzuzahlen, und daß seine Teilnahme am Stoßtruppunternehmen auf jeden Fall ein Befehl sei. »Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß weder Mirdin noch ich verrückten Abenteuern nachjagen würden, wenn es sich vermeiden ließe.«
Er ging nicht auf mögliche Unglücksfälle ein, teilte ihr aber mit, daß er sich Nitkas Dienste für die Geburt gesichert habe und daß Ibn Sina ihr helfen würde, falls Schwierigkeiten aufträten.
In der Nacht legte er ihr einmal seine Hand auf den Bauch und fühlte das warme Fleisch darunter, das schon deutlich wuchs. »Du wirst es vielleicht nicht sehen können, wenn es so groß ist wie eine Wassermelone, wie du vorhattest«, sagte sie in der Dunkelheit.
»Bis dahin werde ich bestimmt schon zurück sein.«
Mary zog sich in sich selbst zurück, als der Tag der Abreise kam, und wurde wieder jene harte Frau, die ihren sterbenden Vater im Ahmads waäi allein beschützt hatte.
Als es für ihn Zeit wurde zu gehen, stand sie im Hof und striegelte ihren Rappen. Ihre Augen waren trocken, als sie ihn küßte und zusah, wie er fortritt. So stand sie da, eine hochgewachsene Frau, die um die Taille stärker wurde und ihren Körper jetzt so hielt, als wäre sie immer müde.
Für eine Armee wäre die Streitmacht klein gewesen, aber für ein Stoßtruppunternehmen war sie groß: sechshundert Soldaten, ein Großteil auf Pferden und Kamelen, und vierundzwanzig Elefanten. Als Rob zum Musterungsplatz geritten kam, requirierte Khuff sofort den braunen Wallach.
»Ihr bekommt Euer Pferd wieder, wenn wir nach Isfahan zurückkehren. Wir verwenden nur Reittiere, die dazu abgerichtet wurden, vor dem Geruch von Elefanten nicht zu scheuen.«
Zu Robs Bestürzung und Mirdins großer Belustigung wies man ihm eine schmuddelige, graue Kamelstute zu, die ihn hochmütig musterte, während sie wiederkäute. Ihre gummiartigen Lippen bewegten sich gleichmäßig, und ihre Kiefer mahlten gegenläufig. Mirdin bekam einen braunen Kamelhengst. Er war sein Leben lang auf Kamelen geritten und zeigte Rob, wie er an den Zügeln zerren und einen Befehl bellen mußte, daß das einhöckerige Dromedar die Vorderbeine abbog, in die Knie ging, dann die Hinterbeine beugte und auf den Boden sank. Der Reiter saß im Damensitz, riß an den Zügeln, erteilte einen anderen Befehl, und das Tier stand in der umgekehrten Reihenfolge wie beim Niederlegen auf.
Es waren zweihundertfünfzig Fußsoldaten, zweihundert berittene Soldaten und hundertfünfzig auf Kamelen.
Dann erschien Alä, der einen prächtigen Anblick bot. Sein Elefant war um Ellen größer als alle anderen.
Goldringe schmückten seine gefährlichen Stoßzähne. Der
mahout saß stolz auf dem Kopf des Bullen und lenkte ihn mit den Füßen, die er hinter den Ohren des Tiers einsetzte. Der Schah saß aufrecht in einem mit Kissen ausgelegten Gehäuse auf dem gewölbten Rücken und war herrlich anzuschauen. Er war in dunkelblaue Seide gekleidet und trug einen roten Turban. Das Volk tobte.
Vielleicht jubelten einige von ihnen auch dem Hauptmann des chatirs zu, denn Karim saß auf einem nervösen grauen Araberhengst mit wilden Augen und ritt unmittelbar hinter dem königlichen Elefanten. Khuff schrie einen heiseren Befehl, und schon trabte sein Pferd hinter dem Elefanten des Königs und Karim her, dann schlössen sich die anderen Elefanten an und verließen den Platz. Nach ihnen kamen die Pferde und dann die Kamele, sodann hunderte Packesel, deren Nüstern aufgeschlitzt waren, damit sie bei großen Anstrengungen mehr Luft bekamen. Die Fußsoldaten bildeten den Abschluß. Wieder einmal befand sich Rob im dritten Viertel der Marschlinie, was offenbar sein schicksalhafter Standort war, wenn er mit größeren Gruppen reiste. Das bedeutete, daß er und Mirdin ständig unter Staubwolken zu leiden hatten. In weiser Voraussicht hatten beide ihre Turbane mit ledernen Judenhüten vertauscht, die ihnen besseren Schutz vor Staub und Sonne boten.
Rob fand seine Kamelstute beängstigend. Wenn sie kniete, und er sein beträchtliches Gewicht auf ihrem Höcker zurechtrückte, wimmerte sie laut, dann knurrte und stöhnte sie, während sie mühsam in die Höhe kam. Er mißtraute dieser Art zu reiten. Er saß viel höher als auf einem Pferd, wurde durchgerüttelt und spürte nur wenig Fett und Fleisch, die seinen Sitz weicher gemacht hätten. Als sie die Brücke über den Fluß des Lebens überquerten, sah ihn Mirdin an und lachte. »Du wirst sie noch lieben lernen!« rief er seinem Freund zu.
Rob lernte nie, sein Kamel zu lieben. Sobald es eine Möglichkeit dazu hatte, bespuckte ihn das Tier mit klebrigen Schleimpfropfen und schnappte wie ein Köter, so daß er ihm das Maul zubinden mußte. Dazu keilte es bösartig nach rückwärts aus wie ein störrischer Maulesel. Er mußte sich die ganze Zeit vor der Stute in acht nehmen. Das Reisen gefiel ihm, da er von Soldaten umgeben war. Sie hätten genausogut eine römische Kohorte sein können, und er sah sich in
Gedanken als Teil einer Legion, die überall, wohin sie kam, Eindruck machte. Doch dieses Hirngespinst wurde jeden Nachmittag zerstört, denn sie errichteten kein ordentliches römisches Lager. Alä hatte sein Zelt, weiche Teppiche, Musikanten, Köche sowie Diener in Hülle und Fülle, um seine Wünsche zu befriedigen. Die anderen suchten sich einen Platz auf der nackten Erde und wickelten sich in ihre Kleider. Der Gestank der tierischen und menschlichen Exkremente umgab sie ständig, und wenn sie zu einem Bach kamen, war er schmutzig, nachdem sie ihn verließen.
Wenn sie nachts in der Dunkelheit auf dem harten Boden lagen, lehrte ihn Mirdin weiterhin die Gebote des jüdischen Gottes. Das vertraute Studieren half ihnen, Unbehagen und Besorgnis zu vergessen. Eine Woche lang lebten sie von ihren Vorräten, dann waren sie planmäßig verbraucht. Hundert Fußsoldaten wurden zu Furieren ernannt und marschierten vor dem Haupttrupp. Sie durchstreiften das Gebiet sachkundig, und man sah täglich Soldaten, die Ziegen an einem Strick führten oder Schafe trieben, gackerndes Geflügel schleppten oder mit landwirtschaftlichen Produkten beladen waren. Das Beste blieb dem Schah vorbehalten, und der Rest wurde verteilt, so daß jeden Abend an hundert Feuern gekocht wurde und die Invasoren gut essen konnten.
Bei jedem Lager wurden täglich die Kranken behandelt. Das geschah in Sichtweite des Schahzeltes, um Simulanten abzuschrecken. Dennoch war die Schlange lang. Eines Abends tauchte Karim dort auf. »Willst du dich an der Arbeit beteiligen? Wir brauchen Hilfe«, forderte ihn Rob auf.
»Das darf ich nicht. Ich muß in der Nähe des Schahs bleiben.«
»Ah«, sagte Mirdin.
Karim lächelte schief. »Wollt ihr mehr Essen?«
»Wir haben genug«, antwortete Mirdin.
»Ich kann euch beschaffen, was ihr wollt. Es wird einige Monate dauern, bis wir die Elefantengehege in Mansura erreichen. Ihr solltet euch das Leben während des Marsches so angenehm wie möglich machen.«
»Ich möchte dich um etwas bitten«, meinte Rob. »An den vier Grenzlinien jedes Lagers sollten Gräben ausgehoben werden, die als Latrinen benützt werden können.«
Karim nickte.
per Vorschlag wurde sofort in die Tat umgesetzt, und es wurde bekanntgemacht, daß diese Maßnahme auf Befehl der Ärzte erfolgte, pies machte sie nicht gerade beliebter, denn nun wurden jeden Abend müde Soldaten zum Ausheben von Gräben abkommandiert, und wer nachts mit Bauchkrämpfen aufwachte, mußte in der Dunkelheit herumstolpern und einen Graben suchen. Wer die Vorschrift mißachtete und dabei erwischt wurde, erhielt Prügel. Doch der Gestank wurde erträglicher, und es tat gut, am Morgen nicht in menschliche Exkremente zu treten, wenn das Lager abgebrochen wurde.
Als sie Schiras erreichten, suchte sie der kelonter Debbid Hafiz, wie vorher abgemacht, in Begleitung einer mit Lebensmitteln beladenen Tragtierkolonne außerhalb der Stadt auf, ein Opfer, das den Bezirk Schiras davor bewahrte, beim Requirieren rücksichtslos geplündert zu werden. Nachdem der kelonter dem Schah seine Reverenz erwiesen hatte, umarmte er Rob, Mirdin und Karim, und sie tranken mit ihm Wein und erinnerten sich an die Zeit der Pest.
Rob und Karim ritten mit Debbid Hafiz bis zu den Toren der Stadt zurück. Auf dem Rückweg ließen sie sich von einem flachen, glatten Stück der Straße und vom Wein in ihrem Blut dazu verführen, ihre Kamele ein Rennen laufen zu lassen. Es war eine Offenbarung für Rob, denn die wiegende, unbequeme Gangart veränderte sich vollkommen, wenn das Kamel lief. Die Schritte des Tieres wurden länger, verwandelten sich in schwungvolle Sprünge, die das Tier und seinen Reiter gleichmäßig und schnell durch die Luft trugen. Rob meisterte die Stute mühelos und erlebte die unterschiedlichsten Eindrücke: Er schwebte, er schwang empor, er wurde zum Wind.
Jetzt verstand er, warum die persischen Juden dafür ein eigenes hebräisches Wort geprägt hatten, das die Bevölkerung übernommen hatte: gemala sarka, fliegende Kamele.
Die graue Stute strengte sich bis zum äußersten an, und zum erstenmal empfand Rob etwas wie Zuneigung für sie. »Komm, meine Kleine! Komm, Mädchen!« schrie er, während sie Richtung Lager jagten. Mirdins brauner Hengst siegte zwar, aber das Rennen versetzte Rob in fröhliche Stimmung. Er erbat von den Elefantenhütern zusätzliches Futter und gab es der Stute, worauf sie ihn in den Unterarm biß. Der Biß verletzte seine Haut nicht, hinterließ aber einen unangenehmen, blauroten Bluterguß, der ihn tagelang schmerzte. Und jetzt taufte er die Kamelstute auf den Namen Biest.
Südlich von Schiras erreichten sie die Gewürzstraße und folgten ihr, bis sie, um das Gebirge im Landesinneren zu umgehen, in der Nähe von Hormuz zur Küste abzweigten. Es war Winter, aber die Luft am Golf war warm und duftete. Als sie ins Fischerdorf Tiz kamen, nahm Mirdin Rob an der Hand und führte ihn zum Ufer. »Dort auf der gegenüberliegenden Seite«, er zeigte auf den azurblauen Golf, »liegt Masqat. Von hier könnte uns ein Boot in ein paar Stunden zum Haus meines Vaters bringen.«
Diese Nähe war quälend, aber schon am nächsten Morgen brachen sie das Lager ab und entfernten sich mit jedem Schritt von der Familie Askari.
Beinahe einen Monat, nachdem sie Isfahan verlassen hatten, überschritten sie die Landesgrenze. Nun änderte sich einiges. Alä befahl, daß nachts drei Ringe von Wachtposten um das Lager stehen sollten, und an jedem Morgen wurde ein neues Losungswort ausgegeben. Wer 1 versuchte, ins Lager zu gelangen, ohne die Parole zu kennen, war des Todes.
Als sich die Soldaten im Lande Sind befanden, plünderten sie hemmungslos, und eines Tages trieb der Trupp der Furiere Frauen ins Lager, als wären sie Vieh. Alä gab bekannt, daß sie nur für diese Nacht Frauen haben durften und dann nicht mehr. Es war ohnedies sehr schwierig, mit sechshundert Mann unbemerkt nach Mansura zu gelangen, und er wollte nicht, daß ihnen Gerüchte vorauseilten, weil sie unterwegs Frauen geraubt hatten.
Die Nacht versprach hitzig zu werden. Sie sahen, wie Karim sehr sorgfältig vier Frauen auswählte. »Warum braucht er vier?« fragte Rob.
»Er sucht sie nicht für sich selbst aus«, erklärte Mirdin, was stimmte, denn Karim führte die Frauen zum Zelt des Schahs.
Die Soldaten reichten die anderen Frauen von Mann zu Mann weiter und losten sie untereinander aus. Die Männer, die noch nicht an der Reihe waren, sahen den anderen zu und spornten sie an. Die Wachen wurden abgelöst, damit sie sich ebenfalls beteiligen konnten. Die Nacht war von Frauengeschrei und betrunkenem Gegröle erfüllt. Mirdin hatte sich geweigert, eine Waffe für den Kampf mitzunehmen, aber er hatte das Spiel des Schahs mitgebracht, und das war ein Segen, denn er und Rob spielten jeden Abend, bis es dunkel wurde. Jetzt endlich wurde hart um den Sieg gekämpft, die Ergebnisse waren knapp, und gelegentlich, wenn er etwas Glück hatte, gewann auch Rob.
Beim Spielen vertraute er Mirdin einmal an, daß er sich um Mary Sorgen mache.
»Es geht ihr bestimmt gut, denn Fara behauptet, daß die Frauen das Kinderkriegen von Natur aus beherrschen«, scherzte Mirdin gutgelaunt.
Rob hätte gern gewußt, ob es eine Tochter oder ein Sohn werden würde.
»Wie viele Tage nach ihrer letzten Regel habt ihr gebumst?« Rob zuckte die Schultern.
»Al-Habib hat geschrieben, daß es beim Geschlechtsverkehr vom ersten bis zum fünften Tag nach Ende der Blutung ein Junge wird. Wenn es vom fünften bis zum achten Tag nach der Periode passiert, ein Mädchen.« Er zögerte, denn al-Habib hatte auch geschrieben, daß bei einem Beischlaf nach dem fünfzehnten Tag die Möglichkeit bestehe, daß das Kind ein Hermaphrodit wird.
»Al-Habib behauptet auch, daß braunäugige Väter Söhne und blauäugige Väter Töchter zeugen. Ich komme aber aus einem Land, wo die meisten Männer blaue Augen haben, und sie haben trotzdem immer viele Söhne gehabt«, meinte Rob.
»Zweifellos hat al-Habib nur über Menschen geschrieben, wie man sie im Orient findet«, schränkte Mirdin ein.
Statt sich im Spiel des Schahs zu üben, unterhielten sie sich auch manchmal über Ibn Sinas Anleitungen zur Behandlung von Kampf-wunden, oder sie kontrollierten ihre Vorräte und bereiteten sich darauf vor, daß sie ihre Arbeit als Chirurgen ausführen konnten. Es war gut, daß sie dies taten, denn eines Abends wurden sie zum Abendessen in
Aläs Zelt geladen, um seine Fragen über ihre Vorbereitungen zu beantworten. Karim war anwesend und begrüßte seine Freunde verlegen. Es wurde bald klar, daß er Befehl hatte, sie zu prüfen und sich von ihrer Leistungsfähigkeit ein Bild zu machen. Diener brachten Wasser und Tücher, damit sie sich vor dem Essen die Hände waschen konnten. Alä tauchte seine Hände in eine schön getriebene Goldschüssel und trocknete sie mit hellblauen Leinenhandtüchern ab, in die mit Goldfäden Sätze aus dem Koran gestickt waren.
»Sagt uns, wie ihr Hiebwunden behandeln werdet«, forderte Karim
sie auf.
Rob wiederholte, was Ibn Sina gelehrt hatte: Man mußte Öl kochen und es so heiß wie möglich auf die Wunde gießen, um Eiterbildung und üble Säfte zu vermeiden. Karim nickte.
Alä war beim Zuhören blaß geworden. Jetzt befahl er entschieden, daß sie ihm Schlafmittel verabreichen sollten, falls er tödlich verwundet werde, um den Schmerz zu lindern, sobald ein mullah mit ihm das letzte Gebet gesprochen habe.
Die Mahlzeit war für königliche Begriffe einfach: am Spieß gebratenes Geflügel und Gemüse, das unterwegs gesammelt worden war. Aber die Speisen waren besser zubereitet als die Kost, an die sie gewöhnt waren, und sie wurden auf Tellern serviert. Nachher forderte Mirdin Alä beim Spiel des Schahs heraus, während Musikanten auf Zimbeln spielten, aber der Shahansha schlug ihn mühelos. Der Abend war eine willkommene Abwechslung von ihrem täglichen Einerlei, aber Rob fühlte sich nicht unglücklich, als sie gnädig vom Herrscher entlassen wurden. Er beneidete Karim nicht, der in letzter Zeit oft auf dem Staatselefanten ritt und dabei mit dem Schah in dem Gehäuse saß.
Rob war noch immer von den Elefanten begeistert und beobachtete sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit genau. Manche waren mit Kriegspanzern versehen, die dem Harnisch der Menschen ähnelten. Fünf Elefanten trugen zwanzig zusätzliche mahouts, die Alä als Reserve mitgenommen hatte, weil er hoffte, daß sie dann die in Mansura erbeuteten Elefanten betreuen würden. Alle mahouts waren Inder, die bei früheren Überfällen gefangengenommen worden waren. Da
sie ausgezeichnet behandelt und reichlich entlohnt wurden, wie es ihrem Wert entsprach, konnte der Schah ihrer Treue sicher sein. Die Elefanten suchten sich ihr Futter selbst. Am Ende jedes Tages führten die kleinen, dunklen Wärter sie an Orte, wo Pflanzen wuchsen und wo sie sich mit Gras, Blättern, kleinen Zweigen und Rinde vollfraß611; oft gewannen sie ihre Nahrung, indem sie erstaunlich mühelos Bäume umwarfen.
Eines Abends verjagten die weidenden Elefanten ein schnatterndes Rudel von menschenähnlichen, fellbedeckten kleinen Geschöpfen mit Schwänzen, die Rob aus Beschreibungen als Affen kannte. Danach sahen sie jeden Tag Affen und eine Vielfalt von Vögeln, dazu gelegentlich Schlangen auf dem Boden und in den Bäumen. Harsha, der mahout des Schahs, erzählte Rob, daß der Biß einiger Schlangen tödlich sei. »Wenn jemand gebissen wird, muß man die Bißstelle mit dem Messer aufschneiden und das gesamte Gift heraussaugen und ausspucken. Dann muß man ein kleines Tier töten und dessen Leber auf die Wunde binden, um das restliche Gift herauszuziehen.«
Der Inder wies darauf hin, daß die Person, die das Gift aussaugte, keine offene Wunde und keinen Schnitt im Mund haben dürfe. »Sonst dringt das Gift dort ein, und er stirbt noch am selben Tag.« Eines Abends kamen Rob und Mirdin zum fünfhundertvierundzwan-zigsten Gebot, das auf den ersten Blick erstaunlich wirkte: »Wenn ein Mann eine Sünde begangen hat, auf der die Todesstrafe steht, und er zum Tod verurteilt wird und ihr ihn an einem Baum aufhängt, darf seine Leiche nicht die ganze Nacht an dem Baum hängen bleiben, sondern ihr müßt ihn gewiß am selben Tag begraben.« Mirdin empfahl Rob, sich die Worte gut einzuprägen. »Ihretwegen sezieren wir tote Menschen nicht, wie es die heidnischen Griechen taten.«
Rob bekam eine Gänsehaut und richtete sich auf. »Die Weisen und Gelehrten leiten von diesem Gebot drei Erlässe ab«, kommentierte Mirdin. »Erstens; Wenn die Leiche eines verurteilten Verbrechers mit so viel Achtung behandelt wird, sollte die Leiche eines angesehenen Bürgers erst recht schnell begraben werden, ohne Schimpf und Schande ausgesetzt zu sein. Zweitens: Wer seine Toten über Nacht unbestattet läßt, übertritt ein negatives Gebot. Und drittens: Die Leiche muß vollständig und unversehrt bestattet werden, denn wenn man auch nur ein kleines Stück Gewebe vergißt, ist es, als hätte kein Begräbnis stattgefunden.«
»Das also ist die Wurzel allen Übels!« staunte Rob. »Weil dieses Gesetz verbietet, die Leiche eines Mörders unbestattet zu lassen, haben Christen, Mohammedaner und Juden ihren Ärzten verboten, den Körper zu studieren, den sie heilen wollen.« »Es ist Gottes Gebot«, ermahnte ihn Mirdin streng. Rob legte sich zurück und starrte in die Dunkelheit. »Eure Handlungsweise bedeutet eine Mißachtung der Toten. Ihr bringt sie mit solcher Hast unter die Erde, als könntet ihr nicht erwarten, sie aus den Augen zu bekommen.«
»Das stimmt, wir machen kurzen Prozeß mit der Leiche. Nach dem Begräbnis ehren wir das Andenken des Verstorbenen durch die shiva, sieben Tage, während denen die Leidtragenden trauernd und betend in ihrem Hause bleiben.«
»Es ergibt keinen Sinn. Das ist ein unvernünftiges Gebot.« »Du sollst nicht sagen, daß Gottes Wort unvernünftig ist!« »Ich spreche nicht von Gottes Wort, ich spreche von der Auslegung des Wortes Gottes durch die Menschen.
Diese hat die Welt tausend Jahre lang in Unwissenheit und Dunkelheit gehalten.« Mirdin schwieg einen Augenblick. »Deine Billigung ist nicht erforderlich«, erklärte er endlich. »Wir haben uns darauf geeinigt, daß du Gottes Gebote studieren wirst.«
»Ja, ich war bereit, sie zu studieren. Ich war aber nicht bereit, meinen Verstand dabei auszuschalten oder auf eine eigene Meinung zu verzichten.« Diesmal antwortete Mirdin nicht mehr.
Zwei Tage später erreichten sie endlich das Ufer eines großen Flusses, des Indus. Einige Meilen weiter nördlich gab es eine seichte Furt, aber die mahouts sagten ihnen, daß sie manchmal von Soldaten bewacht werde, weshalb sie einige Meilen nach Süden zu einer anderen Furt zogen, die tiefer, aber noch passierbar war. Khuff ließ eine Abordnung Flöße bauen. Jene Soldaten, die schwimmen konnten, schwammen mit den Tieren ans andere Ufer.
Die Nichtschwimmer wurden auf den Flößen übergesetzt. Einige der Elefanten legten sich auf den Grund des Flusses, tauchten gänzlich unter und streckten nur ihre Rüssel zum Atmen aus dem Wasser. Wenn der Fluß sogar für sie zu tief wurde, schwammen die Elefanten ebensogut wie Pferde. Am anderen Ufer sammelten sich die Soldaten wieder und zogen weiter nach Norden in Richtung auf Mansura, wobei sie einen weiten Bogen um die bewachte Furt schlugen.
Karim rief Mirdin und Rob zum Schah, und sie ritten eine Zeitlang mit Alä auf dem Rücken des Staatselefanten.
Rob mußte sich auf die Worte des Herrschers konzentrieren, denn vom Rücken eines Elefanten sah die Welt ganz anders aus.
Aläs Spione hatten ihm in Isfahan berichtet, daß Mansura nur schwach bewacht sei. Der alte Rajah dieses Ortes, einst ein grimmiger Befehlshaber, war vor kurzem gestorben, und seine Söhne waren angeblich erbärmliche Strategen, die ihre Garnisonen unterbesetzten. »Ich muß jetzt Kundschafter aussenden, die diese Aussagen bestätigen«, erklärte Alä. »Ihr beide werdet gehen, denn zwei Dhimmi-Kaufleute können sich Mansura nähern, ohne Mißtrauen zu erwecken. Rob unterdrückte den Impuls, Mirdin einen Blick zuzuwerfen. »Ihr müßt im Umkreis des Dorfes euer Augenmerk auf Elefantenfallen richten. Manchmal bauen diese Leute Holzgestelle, aus denen scharfe Eisenstacheln vorstehen, und versenken sie in seichten Gräben außerhalb ihrer Mauern. Diese Fallen würden unsere Elefanten außer Gefecht setzen, und wir müssen sicher sein, daß sie hier nicht verwendet werden.«
Rob nickte. Wenn man auf einem Elefanten ritt, erschien einem alles möglich. »Ja, Majestät«, versprach er dem Schah.
Die Soldaten schlugen ein Lager auf, in dem sie warten wollten, bis die Kundschafter zurückkamen. Rob und Mirdin stiegen von ihren Kamelen, weil sie als Militärreittiere nicht zum Tragen von Lasten abgerichtet waren, und verließen das Lager mit zwei Eseln an der Leine. Es war ein frischer, sonniger Morgen. In dem üppigen Wald schrien und kreischten wilde Vögel, und ein Affentrupp schimpfte von einem Baum herunter.
»Ich möchte einen Affen sezieren.«
Mirdin war noch böse auf ihn und empfand zudem das Dasein eines Kundschafters als noch unangenehmer als das Soldatenleben. »Warum?« fragte er.
»Nun, um zu entdecken, was möglich ist«, antwortete Rob. »So \vje Galen Berberaffen seziert hat, um an ihnen zu lernen.« »Du hast doch beschlossen, Medicus zu sein.« »Das gehört zum Arztberuf.«
»Nein, dann bist du ein Sezierer. Ich werde Medicus sein und mein Leben lang die Menschen von Masqat heilen, wenn sie krank sind denn das tut ein wahrer Arzt. Du kannst dich nicht entschließen, ob du ein Chirurg, ein Sezierer oder ein Arzt... oder eine männliche Hebamme sein willst. Du willst alles gleichzeitig sein.« Rob lächelte seinen Freund an, erwiderte aber nichts. Er konnte nur wenig zu seiner Verteidigung anführen, denn Mirdin hatte mit seinen Beschuldigungen zum größten Teil recht.
Sie gingen eine Zeitlang schweigend weiter. Zweimal kamen sie an Indern vorbei. Rob wünschte ihnen, sie würden nicht auf das Lager stoßen, denn nun würde jeder, der den Soldaten begegnete, sofort zum Sklaven oder zur Leiche werden.
Dann kam ihnen an einer Biegung der Straße ein halbes Dutzend Männer entgegen, die ebenfalls Esel führten, und Mirdin lächelte Rob zum erstenmal an, denn diese Reisenden trugen staubige, lederne Judenhüte wie sie und schwarze Kaftane, welche die Spuren einer beschwerlichen Reise aufwiesen. »Shalom!« rief Rob, als sie nah genug heran waren. »Shalom aleichem! Und seid willkommen!«
Ihr Sprecher und Anführer stellte sich als Hillel Nafthali, Gewürzhändler aus Ahwaz, vor. Einer der anderen Männer war sein Bruder Ari, einer war sein Sohn, und die drei anderen waren Ehemänner seiner Töchter. Er kannte Mirdins Vater nicht, hatte aber von der Familie Askari aus Masqat, die Perlen kaufte, gehört. »Ihr kommt von Norden?« fragte Mirdin.
»Wir waren in Multan. Ein kleiner Auftrag«, erwähnte Nafthali zufrieden, was auf den Umfang des Geschäftes schließen ließ. »Wohin reist Ihr?«
»Mansura. Geschäfte, ein wenig von dem, ein wenig von jenem«, antwortete Rob, und der Mann nickte. »Kennt Ihr Mansura gut?« »Sehr gut. Wir haben die letzte Nacht dort bei Ezra ben Husik verbracht, der mit Pfeffer handelt. Ein äußerst würdiger Mann und ein zuvorkommender Gastgeber.«
»Dann habt Ihr die dortige Garnison gesehen?« fragte Rob. »Die Garnison?« Nafthali sah ihn erstaunt an.
»Wie viele Soldaten sind in Mansura stationiert?« fragte Mirdin ruhig. Jslafthali begann zu verstehen und wich entsetzt zurück. »Wir interessieren uns nicht für solche Angelegenheiten«, wehrte er mit leiser Stimme ab.
Rob wußte, daß es an der Zeit war, Vertrauen zu zeigen. »Ihr dürft dieser Straße nicht mehr sehr weit folgen, sie wird nämlich lebensgefährlich. Auch nach Mansura solltet Ihr nicht zurückkehren.« Sie starrten ihn schreckensbleich an. »Wohin sollen wir uns dann wenden?« fragte Nafthali. »Führt eure Tiere von der Straße weg, und versteckt euch in den Wäldern. Bleibt so lang wie notwendig im Versteck - bis ihr gehört habt, daß eine große Schar vorbeizieht. Wenn alle fort sind, kehrt auf die Straße zurück und zieht so schnell ihr könnt nach Ahwaz.« »Wir danken Euch«, sagte Nafthali trüb.
»Können wir ungefährdet nach Mansura gehen?« fragte Mirdin. Der Gewürzhändler nickte. »Sie sind an jüdische Händler gewöhnt.« Rob war noch nicht zufrieden. Er erinnerte sich an die Zeichensprache, die Loeb ihn auf dem Weg nach Isfahan gelehrt hatte, jene geheimen Zeichen, mit denen jüdische Kaufleute im Orient ihr Geschäft abwickeln, ohne zu sprechen. Er streckte die Hand an den linken Ellbogen, das Zeichen für Hunderte.
Dann spreizte er alle fünf Finger. Während er den Daumen der linken Hand einschlug, spreizte er die ändern Finger und legte sie an den rechten Ellbogen. Rob mußte sicher sein, daß er richtig verstanden hatte.
»Neunhundert Soldaten?«
Nafthali nickte. »Shalom!« grüßte er leicht ironisch. »Friede sei mit Euch!« erwiderte Rob.
Der Wald lichtete sich, und sie erblickten Mansura. Der Ort lag in einem kleinen Tal am Ende eines steinigen Hangs. Von der Höhe aus sahen sie die Garnison und ihre Anlage: Baracken, Exerzierplätze, Pferdepferche, Elefantengehege. Rob und Mirdin prägten sich die Anordnung sorgfältig ein.
Der Ort und die Garnison waren von einer Palisade aus Pfählen umgeben, die nebeneinander im Boden steckten und am oberen Ende zugespitzt waren, um das Überklettern zu erschweren.
Als sie sich der Palisadenwand näherten, versetzte Rob einem der Esel einen Stoß mit einem Stock, dann verfolgte er das flüchtende Tier gefolgt von schreienden und lachenden Kindern, um die Palisade herum. Mirdin schlug die entgegengesetzte Richtung ein und tat, als wolle er dem Esel den Weg abschneiden. Von Elefantenfallen war nichts zu sehen.
Sie blieben nicht, sondern zogen wieder nach Westen. Sie brauchten nicht lange, bis sie das Lager erreicht hatten. Das Losungswort des Tages war mahdi, was Retter bedeutet. Nachdem sie den drei Linien von Wachtposten die Parole genannt hatten, meldete sie Khuff beim
Schah an.
Alä runzelte die Stirn, als er von neunhundert Soldaten hörte, denn nach der Aussage der Spione hatte er mit weit weniger Verteidigern in Mansura gerechnet. Doch er ließ sich nicht abschrecken. »Wenn wir sie überraschen können, haben wir den Vorteil auf unserer Seite.« Rob und Mirdin zeichneten die Einzelheiten der Befestigungsbauten und die Lage der Elefantengehege mit Stöcken in den Sand, während der Schah aufmerksam zuhörte und seinen Plan vorbereitete. Die Soldaten hatten sich den ganzen Vormittag um ihre Ausrüstung gekümmert, die Geschirre eingeölt und die Klingen geschliffen, bis sie fehlerlos waren. Die Elefanten bekamen Wem in die Eimer. »Nicht viel. Nur so viel, daß sie ungeduldig und kampflustig sind«, erklärte Harsha. »Sie bekommen ihn nur vor einer Schlacht.« Die Tiere schienen dies zu verstehen. Sie bewegten sich ruhelos, und ihre mahouts mußten auf der Hut sein, während die Rüstungen der Elefanten ausgepackt, ausgelegt und angeschnallt wurden. Besondere, lange Schwerter mit Fassungen statt Griffen wurden an den Stoßzähnen befestigt, und zu dem Eindruck der brutalen Kraft dieser Tiere gesellte sich lebensbedrohende Gefährlichkeit.
Als Alä der gesamten Streitmacht den Marschbefehl erteilte, setzte hektische Betriebsamkeit ein. Der Stoßtrupp marschierte sehr langsam die Gewürzstraße entlang, denn die richtige zeitliche Abstimmung war ausschlaggebend, und Alä wollte, daß sie bei Tagesende in Mansura eintrafen. Keiner sprach. Sie trafen nur ein paar Unglückliche, die sofort ergriffen, gefesselt und von Fußsoldaten bewacht wurden, damit sie niemanden warnen konnten. Als sie die Stelle auf der Straße erreichten, an der Rob die Juden aus Ahwaz zuletzt gesehen hatte,
dachte er an die hier in der Nähe versteckten Männer, die dem Hufschlag der Tiere, dem Marschtritt der Soldaten und dem leisen Klirren der Elefantenrüstungen lauschten.
ßei Einbruch der Dämmerung verließen sie den Wald, und im Schutz der Dunkelheit verteilte Alä seine Streitkräfte entlang der Hügelkuppe. Hinter jedem Elefanten, auf dem vier Bogenschützen Rücken an Rücken saßen, befanden sich Männer mit Schwertern auf Kamelen und Pferden, und hinter der Kavallerie folgten Fußsoldaten mit Lanzen und Krummsäbeln.
Auf ein Signal hin setzten sich zwei Elefanten, die keine Rüstung, sondern nur ihre mahouts trugen, in Bewegung. Die Soldaten auf dem Hügel beobachteten, wie sie langsam im friedlichen Dämmerlicht hinabstiegen. Vor ihnen flackerten im Dorf die Kochfeuer, an denen die Frauen das Abendessen zubereiteten.
Als die beiden Elefanten die Palisade erreichten, drückten sie die Köpfe an die Holzpfosten. Der Schah hob den Arm. Die Elefanten machten einen Schritt. Es krachte und dröhnte, als die Palisade umstürzte. Nun senkte der Schah seinen Arm, und die Perser setzten sich in Bewegung. Die Elefanten liefen angriffslustig den Hügel hinunter. Hinter ihnen begannen die Kamele und Pferde zu traben, dann zu galoppieren. Aus dem Dorf ertönten die ersten gedämpften Schreie.
Rob hatte sein Schwert gezogen und benutzte es, um Biest auf die Flanken zu schlagen, aber die Stute mußte nicht angetrieben werden. Zuerst hörte man nur das schnelle Dröhnen der Hufe und das Geklirr der Elefantenpanzer, dann drang aus sechshundert Kehlen der Schlachtruf, die Tiere stimmten ein, die Kamele brüllten, und die Elefanten trompeteten wild und schrill.
, Robs Nackenhaare sträubten sich, und er heulte wie ein Tier auf, als Alä Shahansbas Angreifer sich auf Mansura stürzten.
Rob prägten sich nur flüchtige Eindrücke ein, als sähe er eine Reihe von Zeichnungen. Sein Kamel bahnte sich im Galopp seinen Weg durch die zersplitterte Palisade. Als er die Garnison erreichte, war bereits eine erbitterte Schlacht im Gang. Die Inder kämpften zu Fuß aber sie kannten sich mit Elefanten aus und wußten, wie man sie angreift. Fußsoldaten mit langen Spießen versuchten, den Elefanten die Augen auszustechen. Bei einem der ungepanzerten Elefanten, der die Palisade eingedrückt hatte, waren sie erfolgreich.
Der mahout war nicht mehr zu sehen, er war zweifellos tot. Das Tier hatte beide Augen verloren, zitterte und schrie jämmerlich.
Rob starrte in ein wutverzerrtes braunes Gesicht, sah ein geschwungenes Schwert, die herabsausende Klinge. Er wußte nachher nicht, daß er sein Breitschwert wie eine dünne französische Klinge gebraucht hatte. Er stieß einfach zu, und die Spitze drang dem Inder in die Kehle. Der Mann stürzte zu Boden, und Rob wandte sich einer Gestalt zu, die auf der anderen Seite seines Kamels auf ihn eindrang. Er schlug zu. Einige Inder kämpften mit Äxten und Krummsäbeln. Sie versuchten vor allem, die Elefanten außer Gefecht zu setzen, indem sie auf die Rüssel oder auf die mächtigen Beine einschlugen, aber es war ein ungleicher Kampf. Die Elefanten griffen an, zornig hatten sie die Ohren wie Segel ausgebreitet. Sie bogen ihre Rüssel nach innen, rollten sie unter den Stoßzähnen mit den tödlichen Schwertern zusammen, drängten vorwärts wie rammende Kriegsschiffe und gingen gegen die Inder in Attacken vor, die viele zu Boden warfen. Die riesigen Tiere hoben ihre Füße hoch wie bei einem wilden Tanz und stampften so heftig auf, daß die Erde bebte. Männer, die unter die stampfenden Füße gerieten, wurden zermalmt wie zerquetschte Trauben. Rob war in einer Hölle des Mordens gefangen, die voll schrecklicher Geräusche war: Stöhnen, Trompeten, Geschrei, Flüche, Geheul, das Jammern der Sterbenden. Da der Elefant des Schahs das größte Tier und königlich herausgeputzt war, zog er mehr Angreifer auf sich als alle anderen. Khuff kämpfte in der Nähe seines Schahs, er hatte sein Pferd verloren, schwang sein schweres Schwert, wirbelte es über seinem Kopf und brüllte wilde Flüche und Verwünschungen. Alä saß auf dem Elefanten und benutzte den Langbogen. Als Rob auf dem Kamel einem Lanzenträger nachjagte, der pariert hatte und davonlief, erblickte er Mirdin zu Fuß. Sein Freund hatte einen Verwundeten unter den Armen gepackt und schleppte ihn, ohne sich um seine Umgebung zu kümmern, aus dem Kampfgetümmel. Der Anblick war wie ein Guß mit Eiswasser. Rob blinzelte, riß an den
Zügeln des Kamels und glitt von Biest herunter, bevor das Tier kniete. Er lief zu Mirdin und half ihm, den Verletzten zu tragen, der infolge einer Wunde am Hals schon grau im Gesicht war. Von da an vergaß Rob das Töten und arbeitete als Wundarzt.
Die beiden Feldschere brachten die Verwundeten in ein Dorfhaus, während das Gemetzel weiterging. Sie konnten nicht viel mehr tun, als die Verwundeten einzusammeln, denn ihre sorgfältig vorbereiteten Vorräte für die Verarztung befanden sich auf den Rücken von einem halben Dutzend versprengter Esel, und nun hatten sie weder Opium noch Öl noch die großen Bündel von sauberen Lappen. Wenn sie etwas brauchten, um pulsierendes Blut zu stillen, schnitten Rob oder Mirdin einfach ein Stück von der Kleidung eines Toten ab. Bald wurde aus dem Kampf ein Massaker. Die Inder waren überrascht worden, so daß sich nur die Hälfte im Besitz von Waffen befand, während die anderen mit Stöcken und Steinen auf die Angreifer losgingen. Sie wurden mühelos überwunden, doch die meisten kämpften verzweifelt, weil sie genau wußten, daß sie, wenn sie sich ergaben, die schmähliche Hinrichtung oder das Leben als Sklaven oder Eunuch in Persien erwartete.
In einem verlassenen Haus fand Rob Lampen, und in anderen entdeckte er Öl und Lappen, und er brachte alles zu den Verwundeten. Als der Kampf spät nachts vorbei war, töteten die persischen Krieger alle feindlichen Verwundeten. Nun begann das Plündern und Vergewaltigen. Rob, Mirdin und eine Handvoll Soldaten suchten das Schlachtfeld mit Fackeln ab. Sie ließen die Toten oder die, die schon im Sterben lagen, dort, wo sie waren, und suchten Perser, die sie vielleicht noch retten konnten. Bald fand Mirdin zwei ihrer wichtigen Packesel, und die Feldschere begannen bei Lampenlicht, die Wunden mit heißem Öl zu behandeln, zu nähen und zu verbinden.
Sie behandelten einunddreißig Soldaten, und als es beim Morgengrauen in dem grausigen zerstörten Ort hell wurde, fanden sie sieben weitere Verwundete.
Nach dem ersten Gebet überbrachte Khuff den Befehl, daß die Feldschere die Wunden von fünf Elefanten behandeln sollten, ehe sie sich weiter um die Soldaten kümmerten. Drei Tiere hatten Schnitte in den Beinen, einem war das Ohr von einem Pfeil durchbohrt worden, und
dem letzten war der Rüssel abgetrennt worden. Auf Robs Vorschlag wurden dieser Elefant und jener, der geblendet worden war, von den Lanzenträgern getötet.
Nach dem Frühstücks-pz/aw gingen die mahouts in die Elefantengehege von Mansura, um dort die Tiere auszusuchen. Sie sprachen leise mit ihnen und führten sie herum, indem sie sie mit Stachelstöcken, die man ankushas nannte, an den Ohren zogen.
Mit sanften Rufen trennten die mahouts die abgerichteten Tiere von den noch halbwilden, denn sie konnten nur gefügige Tiere brauchen, die ihnen auf dem Rückmarsch nach Isfahan gehorchen würden. Die anderen wurden freigelassen, so daß sie m den Wald zurückkehren konnten.
Zu den Stimmen der mahouts gesellte sich noch ein weiteres Geräusch: das Summen der Schmeißfliegen, die die Leichen entdeckt hatten. Mit zunehmender Hitze sollte auch der Leichengeruch unerträglich werden.
Dreiundsiebzig Perser waren ums Leben gekommen. Von den Indern waren nur einhundertdrei am Leben geblieben; sie hatten sich ergeben. Als Alä ihnen anbot, in seinem Heer Lastenträger zu werden, nahmen sie sichtbar erleichtert an. Im Laufe der Jahre konnten sie sich Vertrauen erwerben und dann die Erlaubnis erhalten, für Persien zu kämpfen. Sie wurden selbstverständlich lieber Soldaten als Eunuchen. Vorerst betreute man sie allerdings mit dem Ausheben eines Massengrabes für die gefallenen Perser.
Mirdin sah Rob an. Schlimmer, als ich befürchtet habe, sagten seine Augen. Rob stimmte ihm zu, tröstete sich aber damit, daß es vorbei war und sie nun nach Hause zurückkehren konnten. Da suchte sie Karim auf. Khuff hatte einen indischen Offizier getötet, aber vorher hatte das Schwert des Inders den weicheren Stahl von Khuffs überbreiter Klinge fast zur Hälfte durchschlagen. Karim zeigte ihnen, wie tief Khuffs Schwert eingekerbt war.
Das eroberte indische Schwert war aus jenem kostbaren blauen Stahl mit dem Wirbelmuster geschmiedet, und nun trug es Alä Shahansha. Der Schah hatte persönlich das Verhör der Gefangenen geleitet, bis er erfuhr, daß ein Schmied namens Dhan Vangalil in Kausambi, einem Dorf, das drei Tagesmärsche nördlich von Mansura lag, das Schwert angefertigt hatte. »Alä hat beschlossen, nach Kausambi zu marschieren«, eröffnete ihnen Karim.
Sie wollten den indischen Schmied gefangennehmen und nach Isfahan mitnehmen, wo er Waffen aus dem harten Stahl herstellen sollte, damit der Schah seine Nachbarn besiegen und das einstige persische Großreich wiederherstellen konnte.
Pas war leicht gesagt, erwies sich aber als äußerst schwierig. JCausambi war ein kleines Dorf am Westufer des Indus, ein aus einigen putzend windschiefer Holzhäuser bestehender Ort, dessen vier staubige Straßen alle zu der Militärgarnison führten. Wieder gelang es ihnen, einen Überraschungsangriff durchzuführen, indem sie durch den Wald krochen, der das Dorf an der dem Flußufer abgewandten Seite umschloß. Als die indischen Soldaten erkannten, daß sie angegriffen wurden, rannten sie wie erschrockene Affen aus dem Ort in alle Windrichtungen davon und verkrochen sich in der Wildnis. Alä war entzückt, weil ihm die Feigheit des Feindes einen leichten Sieg geschenkt hatte. Er setzte unverzüglich einem verängstigten Dorfbewohner sein Schwert an die Kehle und zwang ihn, ihn zu Dhan Vangalil zu führen. Der Waffenschmied war ein drahtiger Mann, der sich nicht überrascht zeigte. Er hatte graue Haare und einen weißen Bart, der sein altersloses Gesicht beinahe vollkommen verdeckte. Vangalil war durchaus bereit, nach Isfahan mitzukommen und dem Schah zu dienen, erklärte aber, er würde in den Tod gehen, wenn ihm der Schah nicht gestatte, seine Frau, zwei Söhne und eine Tochter mitzunehmen sowie verschiedene Vorräte, die erforderlich waren, um den blauen Stahl mit dem Muster von kleinen Winkeln herzustellen, darunter einen großen Stapel quadratischer Barren aus hartem indischen Stahl. Der Schah war sofort damit einverstanden. Bevor sie aber das Dorf verlassen konnten, brachten Kundschafter beunruhigende Nachricht: Die indischen Truppen waren keineswegs geflohen, sondern hatten im Wald und an der Straße Stellungen errichtet, und sie waren bereit, über jeden herzufallen, der Kausambi verließ.
Alä wußte, daß die Inder nicht unbegrenzt ausharren konnten. Wie in Mansura waren auch die versteckten Soldaten schlecht bewaffnet; außerdem waren sie gezwungen, von den wilden Früchten des Landes zu leben. Die Offiziere machten den Schah darauf aufmerksam, daß zweifellos Läufer ausgeschickt worden waren, um Verstärkungen heranzubringen, aber die nächste bekannte indische Garnison befand sich in dem sechs Tagereisen entfernten Sehwan.
»Ihr müßt den Wald durchkämmen und säubern«, befahl Alä. Die gut fünfhundert Perser wurden in zehn Einheiten von Fußsoldaten zu je fünfzig Mann aufgeteilt. Sie verließen das Dorf und durchstreiften den Busch, um ihre Feinde aufzustöbern, als jagten sie Wildschweine. Wenn sie auf Inder stießen, war der Kampf heftig, blutig und zäh. Alä befahl, alle persischen Gefallenen aus dem Wald zu entfernen, damit der Feind sie nicht zählen und daraus schließen konnte, daß die Stärke des persischen Stoßtrupps abnahm. So wurden also die persischen Toten in den grauen Staub einer Straße nach Kausambi gelegt, um von den Gefangenen aus Mansura in Massengräbern bestattet zu werden. Die erste Leiche, die zu Beginn der Kämpfe aus dem Wald herausgetragen wurde, war die des Stadthauptmanns Khuff. Er war von einem indischen Pfeil, der ihn im Rücken traf, getötet worden. Als strenger, ernster Mann und Stütze des Heeres war er schon zu Lebzeiten eine Legende gewesen. Die Narben auf seinem Körper erzählten die Geschichte der verlustreichen Feldzüge unter zwei Schahs. Den ganzen Tag hindurch defilierten persische Soldaten an seiner Leiche vorbei, um sich von ihm zu verabschieden.
Zweimal täglich wurden die Verwundeten auf einer Lichtung zusammengelegt, und einer der Feldschere ging mit einer Leibwache hinaus, leistete Erste Hilfe und brachte die Stöhnenden ins Dorf. Die Kämpfe dauerten drei Tage. Von den achtunddreißig in Mansura Verwundeten waren elf gestorben, bevor die Perser den Ort verlassen hatten, und weitere sechzehn hatten auf dem dreitägigen Marsch nach Kausambi ihr Leben ausgehaucht.
Zu den elf Verwundeten, die dank der Behandlung von Mirdin und Rob überlebten, kamen nun während der drei Kampftage im Wald weitere sechsunddreißig. Siebenundvierzig weitere Perser fielen. Zuerst behandelten Mirdin und Rob die Wunden so, wie Ibn Sma es sie gelehrt hatte: Sie kochten Öl und gössen es so heiß wie möglich in die Wunden, um eine Eiterung zu vermeiden. Aber am Morgen des letzten Tages ging Rob das Öl aus. Er erinnerte sich, daß der Bader Fleischwunden mit Metheglin behandelt hatte. Also nahm er einen Ziegenschlauch mit starkem Wein und wusch jede neue Wunde mit dem alkoholischen Getränk, bevor er sie verband.
An diesem Morgen hatten sofort nach Sonnenaufgang die letzten erbitterten Kämpfe begonnen. Am Vormittag traf eine neue Gruppe
von Verwundeten ein, und Träger brachten einen Toten, der von Kopf bis Fuß in eine erbeutete indische Decke gehüllt war. »Hier kommen nur Verwundete her«, sagte Rob grob. Aber sie legten den Toten nieder und blieben verlegen wartend stehen, bis Rob plötzlich merkte, daß der Tote Mirdins Schuhe trug. »Wenn er ein Soldat gewesen wäre, hätten wir ihn auf die Straße gelegt«, erklärte einer von ihnen. »Aber er ist ein hakim, deshalb haben wir ihn zum hakim gebracht.«
Sie erzählten, sie seien auf dem Rückweg gewesen, als ein Mann mit einer Axt aus dem Gebüsch hervorgesprungen sei. Der Inder hatte als ersten Mirdin getroffen und war dann getötet worden. Rob dankte den Männern, und sie entfernten sich. Als er die Decke vom Gesicht schob, sah er, daß es wirklich Mirdin war. Sein Gesicht schien verzerrt, es wirkte verdutzt und leicht wunderlich.
Rob drückte Mirdins gütige Augen zu und band das lange Kinn hoch. Er dachte dabei nicht nach, bewegte sich wie ein Betrunkener. Von Zeit zu Zeit ging er weg, um die Sterbenden zu trösten oder die Verwundeten zu versorgen, er kam aber immer wieder zurück und setzte sich zu dem toten Freund. Einmal küßte er den kalten Mund, glaubte aber nicht, daß Mirdin dies merke. Das gleiche empfand er, als er versuchte, die Hand des Freundes zu halten. Mirdin war nicht mehr bei ihnen. Er hoffte, daß Mirdin eine seiner Brücken überquert habe.
Schließlich verließ Rob den Toten und versuchte, blindwütig zu arbeiten. Ein Mann mit einer verstümmelten Hand wurde hereingebracht, und Rob führte die letzte Amputation dieses Feldzugs durch; er nahm die Hand dicht über dem Handgelenk ab. Als er gegen Mittag zu Mirdin zurückkehrte, hatten sich bereits Fliegen auf dem Leichnam niedergelassen.
Er zog die Decke weg und sah, daß die Axt Mirdins Brust gespalten hatte. Als er sich über die große Wunde beugte, konnte er sie mit den Händen weiter öffnen.
Er bemerkte weder den Leichengeruch im Zelt noch den Duft des heißen, zerstampften Grases. Das Stöhnen der Verwundeten, das Summen der Fliegen und die Schreie und Kampfgeräusche drangen nicht mehr an sein Ohr. Er vergaß, daß sein Freund tot war, und die erdrückende Last seines Kummers schwand.
Zum erstenmal griff er ins Innere eines menschlichen Körpers und berührte das menschliche Herz.
Rob wusch Mirdin, schnitt ihm die Nägel, kämmte sein Haar und hüllte ihn in seinen Gebetsschal, von dem er die Hälfte der Fransen abgeschnitten hatte, wie es der Brauch erforderte. Er suchte Karim auf, der bei der Nachricht blinzelte, als hätte man ihn ins Gesicht geschlagen.
»Ich will nicht, daß er ins Massengrab kommt«, sagte Rob. »Seine Familie wird bestimmt herkommen, um ihn zu holen und bei seinem Volk in Masqat in geweihter Erde zu bestatten.« Sie wählten einen Platz direkt vor einem Felsen, der so groß war, daß ihn Elefanten nicht wegrollen konnten, bestimmten dann die genaue Lage und schritten die Entfernung vom Felsen zum Rand der nahen Straße ab. Karim erhielt auf Grund seines Vorrechts Papier, Feder und Tinte, und nachdem sie das Grab ausgehoben hatten, fertigte Rob eine genaue Skizze an, um sie nach Masqat zu schicken. Wenn es keinen unbestreitbaren Beweis dafür gab, daß Mirdin gestorben war, würde Fara als aguna, als verlassene Ehefrau, betrachtet werden und durfte nicht wieder heiraten.
So lautete das Gesetz; Mirdin hatte es ihn
gelehrt.
»Alä Shahansha wird dabei sein wollen«, meinte Rob und beobachtete Karim, der den Schah aufsuchte. Alä
trank mit seinen Offizieren und sonnte sich im warmen Schein seines Sieges. Er hörte Karim einen Moment zu und winkte dann ungeduldig ab. Rob fühlte, wie Haß in ihm aufstieg, denn er hörte noch die Stimme des Königs in der Höhle, der zu Mirdin gesagt hatte: »Wir sind vier Freunde.«
Karim kam zurück und meinte beschämt, sie müßten weitermachen. Er murmelte Stellen aus islamischen Gebeten, während sie die Grube zuschaufelten, aber Rob versuchte nicht zu beten. Mirdin standen trauernde, im Haskara andächtig erhobene Stimmen und der Kaddisb zu. Doch der Kaddish mußte von zehn Juden gesprochen werden, er
aber war ein Christ, der sich als Jude ausgab und erschüttert und schweigend die Erde über seinem Freund aufhäufte. An diesem Nachmittag fanden die Perser im Wald keine Inder mehr, die sie töten konnten. Der Weg zurück war offen. Alä ernannte einen kampferprobten Veteranen namens Fahrhad zu seinem neuen Stadthauptmann, und der Offizier begann alsbald, lauthals seine Befehle zu brüllen, um die Streitmacht zum Abmarsch zusammenzutrommeln. Unter allgemeinem Jubel stellte Alä seine Rechnung auf: Er hatte einen indischen Waffenschmied gewonnen. Er hatte m Mansura zwei Elefanten verloren, dort aber achtundzwanzig erbeutet. Außerdem hatten die mahouts vier junge, gesunde Elefanten in einem Gehege in Kau-sambi gefunden.
Es waren Arbeitselefanten, nicht für die Schlacht geschult, aber dennoch wertvoll. Die indischen Pferde waren armselige, kleine Tiere, die von den Persern gar nicht beachtet wurden, dafür hatten sie eine kleine Herde schöner, schneller Kamele in Mansura und Dutzende von Tragkamelen in Kausambi erbeutet. Alä strahlte über den Erfolg seines Feldzugs.
Hundertzwanzig Mann von den sechshundert, die dem Schah aus Isfahan gefolgt waren, hatten den Tod gefunden, und Rob war für siebenundvierzig Verwundete verantwortlich. Von diesen waren viele schwer verletzt, so daß sie während der Reise sterben würden, aber es kam nicht in Frage, sie in dem geplünderten Dorf zurückzulassen. Sobald frische indische Truppe eintrafen, würde jeder Perser, der dort gefunden wurde, getötet werden.
Rob schickte Soldaten aus, um Teppiche und Decken in den Häusern einzusammeln, die zwischen Stangen befestigt wurden, um Tragbahren zu bilden. Als sie am nächsten Tag bei Morgengrauen abzogen, trugen Inder diese Bahren.
Nach dreieinhalb Tagen harten, anstrengenden Marsches erreichten sie die Stelle, an der sie den Fluß überqueren konnten. Gleich zu Beginn wurden zwei Männer fortgerissen und ertranken. In der Mitte des Indus war das Wasser nicht tief, aber reißend, und die mahouts stellten stromaufwärts Elefanten auf, welche die Gewalt des Wassers wie eine lebende Mauer brachen, womit der wahre Wert dieser Tiere einmal mehr bewiesen war.
Die schwersten Fälle unter den Verwundeten starben sehr schnell. An einem Tag verschieden allein ein halbes Dutzend. Nach zwei Wochen
erreichten sie Belutschistan, wo sie auf einem freien Feld lagerten und Rob seine Verwundeten in einer Scheune, die keine Seitenwände hatte, unterbrachte. Als er Farhad sah, ersuchte er um eine Audienz, aber der neue Stadthauptmann posierte nur und vertröstete ihn selbstherrlich auf später. Zum Glück hörte Karim sein Ansuchen und brachte ihn sofort zum Schah.
»Ich habe noch einundzwanzig Verwundete. Aber sie müssen für einige Tage an einem Ort liegen bleiben können, sonst werden sie ebenfalls sterben, Majestät.«
»Ich kann nicht auf Verwundete warten«, lautete Aläs Absage, weil er seinen triumphalen Einzug in Isfahan nicht verschieben wollte. »Dann ersuche ich um Eure Erlaubnis, mit ihnen hierbleiben zu dürfen.«
Der Schah starrte ihn an. »Aber ich werde nicht auf Karim verzichten, damit er als hakim bei dir bleiben kann.
Karim muß mit mir zurückkehren.« Rob nickte.
Sie ließen ihm fünfzehn Inder für die Tragbahren und siebenundzwan-zig bewaffnete Soldaten, dazu zwei mahouts und alle fünf verletzten Elefanten, damit er die Tiere weiter behandeln konnte. Karim ließ Säcke mit Reis abladen. Am nächsten Morgen erfüllte die übliche hektische Geschäftigkeit das Lager. Dann machte sich der Stoßtrupp auf den Weg, und als endlich der letzte Mann abgezogen war, blieb Rob mit seinen Kranken und einer Handvoll Helfer in einer plötzlichen Stille zurück, die willkommen und zugleich beunruhigend war.
Die Ruhe im Schatten und ohne Staub tat seinen Patienten gut und erlöste sie von dem unaufhörlichen Gerüttel beim Marsch. Am ersten Tag starben zwar zwei Männer in der Scheune, und ein anderer folgte ihnen am vierten Tag, aber die Überlebenden waren zähe Kerle, die sich ans Leben klammerten. Robs Entschluß, in Belutschistan eine Rastpause einzulegen, rettete ihnen das Leben.
Zuerst ärgerten sich die Soldaten über den Dienst. Die Kameraden würden bald sicher und unter triumphierendem Beifall in Isfahan einziehen, während sie weiterhin den Gefahren ausgesetzt waren und schmutzige Arbeiten verrichten mußten. Zwei bewaffnete Wachtposten verschwanden in der zweiten Nacht auf Nimmerwiedersehen. Die
waffenlosen Inder versuchten nicht zu fliehen, aber auch die übrigen Angehörigen der Wache. Da sie Berufssoldaten waren, wurde ihnen bald klar, daß ein andermal einer von ihnen verwundet werden könnte, und sie waren froh, daß ein hakim sich der Gefahr aussetzte, um ihnen zu helfen.
Rob schickte jeden Morgen einen Jagdtrupp aus. Das Niederwild, mit dem die Soldaten zurückkehrten, wurde mit dem Reis gedünstet, den Karim ihnen gelassen hatte. Die Patienten wurden zusehends kräfti-8er'
Rob stellte eine merkwürdige Tatsache fest: Fast jede Wunde, die er mit kochendem Öl behandelt hatte, entzündete sich, schwoll an und war voll Eiter. Viele dieser Verwundeten waren gestorben, während die meisten, deren Wunden behandelt worden waren, nachdem das Öl ausgegangen war, keine Eiterbildung zeigten und am Leben blieben. Er begann Aufzeichnungen zu machen und ahnte, daß allein diese Beobachtung seine Reise nach Indien vielleicht rechtfertigte. Er besaß fast keinen Wein mehr, hatte aber bei der Herstellung des Universal-Spezificums seinerzeit gelernt, daß man überall dort, wo es Bauern gab, Fäßchen mit starken alkoholischen Getränken bekommen konnte; er wollte unterwegs solche kaufen.
Als sie schließlich nach drei Wochen die Scheune verließen, ging es vier Patienten so gut, da sie bereits wieder reiten konnten. Zwölf Soldaten trugen keine Lasten, so daß sie die Träger der Bahren ablösen und sich immer einige ausruhen konnten. Drei Elefanten hinkten noch und erhielten keine Lasten aufgeladen, und Rob ritt auf dem Rücken eines genesenen Elefanten. Er war froh, Biest los zu sein, und wollte nie wieder auf einem Kamel reiten. Im Gegensatz dazu bot der breite Rücken des Elefanten Bequemlichkeit und Sicherheit und einen königlichen Blick auf die Welt. Die angenehme Reise verschaffte ihm unbegrenzte Zeit zum Nachdenken, und die Erinnerung an Mirdin war bei jedem Zoll des Weges in ihm wach. Tausende Vögel, die plötzlich aufflogen, der Sonnenuntergang, der den Himmel in Flammen setzte, ein Elefant, der auf den Rand eines steilen Grabens trat, um ihn hinunterzutreten, sich dann wie ein Kind auf die entstandene Erdrampe setzte und hinunterrutschte -
all diese einfachen Wunder einer Reise bemerkte er zwar, sie bereiteten ihm aber wenig Freude.
Jesus, dachte er, oder Shaddai oder Allah, wer immer Du sein magst wie kannst Du solche Verschwendung zulassen? Könige führen gewöhnliche Männer in die Schlacht, und manche der Überlebenden sind erbärmliche Wesen, andere schlicht und einfach schlecht, dachte Rob bitter. Dennoch hatte Gott es zugelassen, daß einer niedergemetzelt wurde, der den Charakter eines Heiligen besaß und einen Verstand, um den Gelehrte ihn beneiden. Mirdin hätte sein ganzes Leben der Aufgabe gewidmet, Kranke zu heilen und der Menschheit zu dienen.
Sie näherten sich am späten Nachmittag Isfahan, und die Stadt bot denselben Anblick wie damals, als er sie zum erstenmal erblickt hatte: weiße Gebäude mit blauen Schatten und Dächern, die das Rosa der Sandhügel widerspiegelten. Sie ritten geradewegs zum maristan, wo die achtzehn Verwundeten anderen Ärzten zur Behandlung übergeben wurden.
Dann zogen sie weiter zu den Ställen des Hauses des Paradieses, wo Rob die Tiere, die Soldaten und die Sklaven übergab. Als er das hinter sich hatte, verlangte er seinen braunen Wallach. Farhad, der neue Stadthauptmann, stand in der Nähe, hörte es und befahl dem Stallburschen, keine Zeit damit zu verlieren, ein Pferd in dem Gewühl der Herde zu suchen. »Gib dem hakim ein anderes Pferd.«
»Khuff hat gesagt, ich würde mein Pferd zurückbekommen.« Es darf doch nicht alles umgestoßen werden, dachte er.
»Khuff ist tot.«
»Trotzdem.« Zu seiner eigenen Überraschung wurden seine Stimme und sein Blick scharf. »Ich verlange dasselbe Pferd!«
Farhad hörte die Herausforderung in der Stimme des hakim. Er hatte nichts zu gewinnen, wenn er mit diesem Dhimmi stritt, aber vielleicht eine Menge zu verlieren. Er zuckte mit den Achseln und wandte sich ab.
Rob ritt neben dem Stallburschen in der Herde hin und her. Als er endlich seinen Wallach erblickte, schämte er sich seines unbeherrschten Verhaltens. Sie trennten das Pferd von den anderen und legten ihm einen Sattel auf, während Farhad deutlich seine Verachtung darüber zeigte, daß der Dhimmi wegen dieses minderwertigen Tiers so aufgebracht gewesen war.
AUf dem braunen Pferd trabte Rob durch die Dämmerung nach der jehuddijeh.
jvlary hörte Geräusche draußen bei den Tieren. Sie griff nach dem Schwert ihres Vaters und der Lampe und öffnete die Tür zwischen Haus und Stall.
Er war heimgekehrt.
Er hatte dem braunen Wallach den Sattel schon abgenommen, und er war dabei, das Tier m den Stall zu führen.
Er drehte sich um, und sie sah in dem schwachen Licht, daß er erheblich Gewicht verloren hatte.
Er sah fast so aus wie der magere, halbwilde Junge, den sie in Karl Frittas Karawane kennengelernt hatte.
Mit drei Schritten war er bei ihr und umarmte sie wortlos. Dann berührte seine Hand ihren flachen Bauch.
»Ist es gutgegangen?«
Sie lachte zitternd, denn sie war müde und aufgerieben. Er hätte ihre verzweifelten Schreie noch vor fünf Tagen hören können. »Dein Sohn hat zwei Tage gebraucht, um auf die Welt zu kommen.«
»Ein Sohn.«
Er legte ihr seine große Hand an die Wange. Bei seiner Berührung erbebte sie vor übergroßer Erleichterung, so daß sie beinahe Öl aus der Lampe vergossen hätte, und die Flamme flackerte.