13

Zur fünften Ahn kehrte ich ins Haus zurück. In der Taverne des Cleanthes hatte ich ein wenig geschlafen. In Victoria besuchte ich verschiedene Tavernen, von denen es in der Stadt mehrere gab. Gewissermaßen hatte jede ihre Reize. Alles in allem war ich aber am liebsten bei Tasdron zu Gast, bei dem die frühere Peggy Baxter ihre Sklavendienste verrichtete.

Ich entzündete eine kleine Tharlarionöl-Lampe im Flur und holte das Mädchen aus dem Käfig.

»Ich friere und habe Hunger«, sagte sie.

»In der Küche gibt es zu essen – Brot und Trockenfleisch. Auch liegt dort Geld. Du könntest heute auf den Markt gehen. Hast du geschlafen?«

»Nein«, sagte sie.

»Ich muß zum Anheuern in den Hafen«, sagte ich.

»Du stinkst nach Paga-Taverne«, sagte sie.

Ich wandte mich ab und legte meinen Geldbeutel fort. Normalerweise nahm ich ihn nicht mit zum Hafen.

»Waren die Mädchen hübsch?« fragte sie.

»Ja.«

»So hübsch wie ich?«

»Ich nehme es an«, erwiderte ich. »Einige jedenfalls.«

»Hast du dich gut amüsiert?«

»Ja.« Ich ging zu einem Wassereimer in der Ecke des Zimmers, nahm den Deckel ab, schöpfte mit einer Kelle Wasser und wusch mir Hände und Gesicht.

»Ist in der Taverne etwas Ungewöhnliches vorgefallen?« wollte sie wissen.

»Es sind Wächter aus Ar-Station in Victoria«, sagte ich.

»Und was wollen sie hier?«

»Hast du schon von dem Topas erzählen hören?« fragte ich.

»Ja, Leute auf dem Markt sprachen davon.«

»Es ist ein Symbol der Verpflichtung, das anscheinend unter Flußpiraten üblich ist, wenn sie sich für massive Aktionen zusammenfinden.«

»Die Männer aus Ar-Station suchen nach dem Topas?« fragte sie.

»Ja.«

»Sie fürchten, daß ihr Posten angegriffen wird.«

»Ja«, bestätigte ich und trocknete mir das Gesicht mit einem Handtuch. »Und sollte Ar-Station vernichtet werden, wäre der östliche Teil des Flusses zwischen Tafa und Lara den Piraten mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.«

»Und als nächstes käme Port Cos an die Reihe?« fragte sie.

»So etwas vermutet man.«

»Haben die Wächter aus Ar-Station den Topas denn nun gefunden?« fragte sie.

»Meines Wissens nicht«, sagte ich. »Ich und andere wurden vor der Taverne des Cleanthes angehalten. Später wurden alle Gäste der Taverne durchsucht, mit Ausnahme derjenigen, die sich die Wächter vor kurzer Zeit schon draußen vorgenommen hatten.«

»Du wurdest also kein zweitesmal durchsucht?« fragte sie.

»Nein. Es waren dieselben Männer, die die Kontrolle in der Schänke durchführten.«

»Sollte der Topas die Festung des Policrates erreichen«,

ie sagte sie, »wäre der Weg frei für d Vereinigung der Piratenstreitkräfte aus Ost und West.«

»Vielleicht ist der Stein längst in der Festung des Policrates«, sagte ich.

»Bestimmt werden alle Zufahrtsstraßen zu einer solchen Zitadelle überwacht.«

»Wirkungsvoll läßt sich so etwas nur durchführen«, meinte ich, »wenn man eine große Zahl von Leuten einsetzt. Ich glaube, ein umsichtiger Kurier hätte keine Mühe, die Zitadelle zu erreichen.«

»Welche Hoffnung besteht dann für jene, die den Topas von Policrates fernhalten wollen?«

»Man macht sich Hoffnung, den Kurier abzufangen, ehe er in die Zitadelle gelangt.«

»Eine Hoffnung, die auf schwachen Beinen steht.«

»Da bin ich ganz deiner Meinung.«

»Ich möchte nicht im Besitz des Steines sein«, sagte sie.

»Ich auch nicht«, erwiderte ich lächelnd.

»Du hast mich letzte Nacht in den Käfig gesteckt«, sagte sie.

»Das ist mir nicht fremd.«

»Ich werde die Tür zwischen uns nicht mehr verschließen.«

»Das würde ich dir auch raten.«

Sie trat dicht vor mich hin. Ich mußte mich beherrschen, um sie nicht an mich zu reißen.

»Jason«, sagte sie.

»Ja?«

Sie zog ihre Robe herab, bis ein Stück Schulter frei war. »Ich bin bereit, meinen Unterhalt zu verdienen«, sagte sie.

»Du sprichst wie eine Sklavin«, sagte ich tadelnd.

»Sklavinnen verdienen sich nicht ihren Unterhalt«, sagte sie. »Sie tun, was ihnen befohlen wird.«

»Ich frage mich, ob du eine gute Sklavin abgeben würdest.«

»Versklave mich!« sagte sie. »Dann siehst du es.«

»Du bist eine Frau der Erde.«

»Auf dieser Welt werden viele Erdenfrauen als absolute Sklavinnen gehalten.«

Ich blickte sie an.

Plötzlich kniete sie vor mir nieder. »Versklave mich!« flehte sie. »Ich werde dir eine gute Dienerin sein!«

»Steh auf!« forderte ich verwirrt. »Du bist eine Erdenfrau. Muß ich ausgerechnet dir, einer kleinen Feministin, beibringen, wie sich eine echte Person verhält.«

»Wir sind hier nicht auf der Erde, sondern auf Gor. Solche Dinge habe ich hinter mir gelassen. Ich habe zuviel dazugelernt.«

»Steh auf!«

»Auf Gor brauche ich mich nicht mehr zu verstellen. Hier brauche ich keine Marionette enger Moralbegriffe mehr zu sein. Hier bin ich endlich frei, mich als Frau auszuleben.«

»Steh auf!« brüllte ich.

»Erfülle meine Bedürfnisse, bitte!« flehte sie.

»Du mußt so tun, als hättest du sie nicht!«

»Wir sind hier nicht auf der Erde!« wiederholte sie. »Warum sollte ich mich nach den dortigen Vorstellungen richten?«

»Geh auf dein Zimmer, Miß Henderson!« sagte ich.

»Und soll ich mich dort ausziehen und auf dich warten?«

»Nein.«

»Ein Mädchen ist wahrhaft sicher in deiner Gesellschaft!« bemerkte sie sarkastisch.

Ich schwieg.

»Benimmst du dich gegenüber den Dirnen in den Paga-Tavernen ebenso?« fragte sie.

»Die sind anders«, entgegnete ich. »Die sind Sklavinnen.« Und fügte mißgestimmt hinzu: »Und nichts anderes!«

»Ich verstehe«, sagte sie. »Ich beneide die elenden Kreaturen.«

»Du bist eine Frau von der Erde«, sagte ich. »Ich habe nicht die Absicht, dich zu mißbrauchen.«

»Dafür bin ich dir dankbar, Aushalter!« sagte sie spöttisch.

Ärgerlich beugte ich mich über meinen Beutel. Ich wollte mir Geld herausnehmen, um es im Saum meiner Tunika zu verstecken – eine Angewohnheit, die unter den Arbeitern Gors weit verbreitet ist.

»Was ist los?« fragte das Mädchen hinter mir.

»Das hier hatte ich vorhin noch nicht«, sagte ich und zog etwas aus meinem Beutel.

»Was ist es?« fragte sie.

Langsam drehte ich den Gegenstand in der Hand hin und her. Es war das Bruchstück eines geschliffenen Steins, Teil eines großen rechteckigen Juwels mit eingeschliffenen schrägen Facetten. Das Gebilde war etwa faustgroß, gelblich und mit einer komplizierten, ungewöhnlichen bräunlichen Verfärbung an der Stelle, wo es offenbar aus einem größeren Gebilde herausgebrochen worden war.

»Was ist das?« fragte sie.

»Ich weiß es nicht genau«, sagte ich. »Ich glaube, ein Topas.«

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