27

»Wir haben schon die zweite Ahn«, sagte Callimachus. »Sie kommen bestimmt nicht mehr.«

Peggy kniete vor Tasdron, ihrem Herrn. Noch immer trug sie die schwere Kette mit der Glocke und dem Münzkasten.

»Hast du getan, was Jason dir aufgetragen hat?« fragte Tasdron.

»Ja, Herr«, antwortete sie. »Ich suchte Aemilianus auf, Hauptmann der Wächter von Ar-Station. Kniend bot ich mich ihm dar.«

»Ja«, sagte Tasdron.

»Und bei dem Versuch, ihm zu gefallen, flüsterte ich ihm zu, daß ich von Männern gesandt worden sei, die das Versteck des Topases kennen. Wenn er Informationen darüber wünschte, sollte er heute nacht zur zwanzigsten Ahn in die Taverne kommen.«

»Du bist aber selbst erst um die erste Ahn zurückgekehrt.«

»Ich habe Aemilianus erst kurz vor der zwanzigsten Ahn gefunden.«

»Warum?« fragte Tasdron.

»Männer haben mich aufgehalten«, sagte sie. »Ich trug die Glocke und den Münzkasten.«

Ich wog das Kästchen in der Hand. Mehrere Münzen klapperten darin.

»Auch Aemilianus hatte seinen Spaß mit mir«, fuhr sie beschämt fort. Schließlich sprach sie vor Callimachus, den sie heimlich liebte.

»Hat er seine Münze bezahlt?« fragte Tasdron.

»Ja«, sagte sie errötend.

»Aber er ist jetzt nicht hier«, stellte ich fest.

»Als er mich wieder fortschickte«, berichtete sie, »sagte er nur, ich solle zu meinem Herrn zurückkehren. Ich weiß nicht, ob er kommt.«

»Bring uns zu essen und zu trinken«, wandte sich Tasdron an Peggy und nahm ihr die Ketten ab. »Wo ist Glyco?« fragte er, als das Mädchen verschwunden war. »Er brauchte doch nur Callisthenes zu holen, den er gut kennt. Das müßte keine Schwierigkeiten machen. Die beiden hätten vor über einer Ahn hier sein müssen.«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich.

»Vielleicht sind sie in eine Falle gelaufen«, sagte Tasdron. »Überall gibt es Spione. Vielleicht sind unsere Pläne längst verraten.«

»Die Taverne steht noch nicht in Flammen«, bemerkte ich.

»Ach, wundervoll!« rief Tasdron gereizt.

Ich lächelte.

»Du verstehst doch, welche Gefahren solche Unternehmungen bringen, nicht wahr?« fragte Tasdron.

»Ich glaube schon.«

»Es ist jemand an der Hintertür«, meldete Callimachus.

Tasdron eilte zum rückwärtigen Ausgang und durch den Korridor zum Seitenausgang des Gebäudes. Er öffnete ein Guckloch, schloß es wieder und öffnete die Tür. Zwei Gestalten wurden eingelassen, die Tür wieder hinter ihnen verriegelt. Ich erkannte Glyco, rundlich und kurzbeinig, schweratmend, in einen langen braunen Umhang gehüllt, der das Weiß-Gold der Kaufleute verbarg. Der zweite Mann, groß und breit gebaut, hatte mich im Hauptquartier der Soldaten aus Port Cos verhört, als ich vor einigen Tagen, von Miß Henderson angeschwärzt, dorthin gebracht worden war. Tasdrons Aussage, ich könne unmöglich Ragnar Voskjards Kurier sein, hatte mich gerettet.

Auch der zweite Mann trug einen braunen Umhang über der Uniform. In der linken Hand, an den Körper gepreßt, hielt er einen Helm, der mit Sleenhaar bekränzt war.

Dieser Mann, das wußte ich nun, war Callisthenes.

Seine linke Schulter war ein wenig hochgezogen. Die rechte Hand, kräftig, breit und mit langen Fingern, schien gut um einen goreanischen Schwertgriff zu passen.

»Sei gegrüßt, Callisthenes«, sagte Callimachus und erhob sich.

»Sei gegrüßt, Hauptmann«, erwiderte Callisthenes. »Glyco sagte mir, daß du hier sein würdest.«

»Ich bin nicht mehr Hauptmann«, erwiderte Callimachus. »Diesen Posten bekleidest jetzt du.«

»Es gibt die verschiedensten Hauptleute in Port Cos«, sagte Callisthenes grinsend.

»Wie geht es den Männern?« erkundigte sich Callimachus.

»Sie – wie ich – erinnern sich deiner in Freundschaft«, entgegnete Callisthenes.

Die Männer gaben sich die Hände. Dies gefiel mir, denn ich hatte befürchtet, daß es zwischen den beiden Reibereien geben könnte. Schließlich war Callimachus aufgrund von Beweisen, die Callisthenes geliefert hatte, um seinen Posten gekommen. Callimachus aber trug ihm das nicht nach.

»Wir haben früher oft zusammen getrunken«, sagte Callimachus zu Tasdron.

»Nachdem Callimachus von seinem Posten entbunden worden war, ging es hauptsächlich auf seine Empfehlung zurück, daß ich zum Hauptmann befördert wurde«, bemerkte Callisthenes.

»Nobel gehandelt«, sagte Tasdron zu Callimachus.

»Er war am besten geeignet, mein Nachfolger zu werden«, sagte Callimachus. »Sonst hätte ich bestimmt nicht so gehandelt, trotz meiner Zuneigung zu ihm.«

»Ich habe mich bemüht, deinem Vertrauen gerecht zu werden«, meinte Callisthenes. Dann blickte er in die Runde. »Kenne ich dich nicht?« fragte er mich.

»Ich war einer von mehreren Verdächtigen, die im Laufe der Suche nach dem Topas zum Verhör vorgeführt wurden«, sagte ich,

»Ja!« sagte Callisthenes. »Und hier haben wir ja Tasdron, der für dich aussagte. Wie heißt du?«

»Jason«, antwortete ich.

»Richtig, Jason aus dem Hafen.«

»Ich wäre schon eher gekommen«, sagte Glyco zu Tasdron, »aber ich konnte Callisthenes nicht so schnell finden.«

»Ich war dienstlich unterwegs«, warf dieser ein.

»Deine Schulter scheint verletzt zu sein«, bemerkte Tasdron.

»Ach, das ist nichts«, gab Callisthenes zurück und blickte in die Runde. »Was ist hier eigentlich los?« fragte er Callimachus. »Stimmt es, daß du Neues über den Topas zu berichten weißt?«

»Ich glaube, daß wir dir alles in Kürze erklären können«, sagte Callimachus.

»Weshalb die Verzögerung?« wollte Callisthenes wissen.

»Wir warten auf eine weitere Person.«

»Auf wen?«

»Eine Person, die du unbedingt kennenlernen mußt«, sagte Callimachus.

»Na schön.«

Es klopfte leise an der Tür, und Peggy brachte ein Tablett mit Speisen und Getränken, die sie auf dem Tisch verteilte.

»Wir brauchen noch einen Kelch für unseren Freund«, befahl Tasdron. »Und einen weiteren für den Gast, der noch nicht eingetroffen ist.«

»Ja, Herr«, sagte Peggy.

»Ich hoffe sehr«, sagte Tasdron und musterte die Sklavin, »daß er überhaupt kommt.«

»Ich hoffe es auch, Herr«, flüsterte sie zitternd, richtete sich auf und floh förmlich aus dem Zimmer.

Gleich darauf wurde dreimal energisch an die Seitentür geklopft.

Wir sahen uns an. Glyco zog den Mantel enger um sich, bis das Weiß und Gold seiner Robe wieder verhüllt war. Callisthenes machte es ihm nach und verdeckte die Insignien von Port Cos. Tasdron stand auf und ging durch den äußeren Korridor zur Tür. Wir übrigen erhoben uns.

Gleich darauf erschien Tasdron wieder auf der Schwelle. »Tritt ein«, sagte er.

Ein großer Mann, der einen neutralen Helm trug, erschien an der Tür. Er warf die Kapuze eines langen braunen Reisemantels zurück. Das Surren des Stoffes verriet mir, daß er darunter eine Schwertscheide trug. Er schloß die Tür hinter sich und betrachtete uns. Sein Haar war braun und im Nacken kurzgeschnitten. Seine Wangen waren glattrasiert, sein Kinn ausgeprägt, sein Blick offen und klar.

»Ich bin Tasdron, der Wirt dieser Taverne und habe dich hierher eingeladen«, sagte Tasdron.

»Ich heiße Jason«, stellte ich mich vor, »und arbeite auf den Piers von Victoria.«

»Ich bin Glyco, ein Angehöriger der Kaufmannskaste.«

»Und ich Callimachus, Angehöriger der Kriegerkaste.«

»Ich kenne nur einen Krieger Callimachus«, antwortete der Mann, »und der war früher Hauptmann in Port Cos.«

»Wer ist das?« wandte sich Callisthenes an Tasdron. Seine Stimme klang unfreundlich. Wir alle waren aufgestanden. Ich bemerkte, daß die rechte Hand Callisthenes’ unter seinem Umhang verschwunden war und auf dem Schwertgriff ruhte.

Der Neuankömmling hatte ebenfalls seine Waffe umfaßt.

»Wir sind Leute, die sich wegen einer gemeinsamen Sorge zusammenfinden«, sagte Tasdron.

»Wer ist das?« wollte der Neuankömmling von Tasdron wissen und deutete mit einer Kopfbewegung auf Callisthenes.

An der Tür entstand ein leises Geräusch, und der neue Mann suchte sofort Schutz mit dem Rücken zur Wand, wobei er keinen von uns aus den Augen ließ.

Peggy trat ein und brachte die zusätzlichen Kelche.

Tasdron seufzte hörbar.

Peggy, die die beiden Gefäße auf einem kleinen Tablett trug, drehte sich um und entdeckte den Zuletztgekommenen. Mit hastiger Bewegung kniete sie vor ihm nieder und senkte den Kopf.

»Die Sklavin!« sagte der Mann.

»Ja«, entgegnete Tasdron.

»Wenigstens bin ich hier am richtigen Ort.«

»Ja«, sagte Tasdron. »Bediene!« wandte er sich an Peggy.

»Ja, Herr!« sagte sie, richtete sich auf und begann den Tisch zu decken.

»Weshalb hat man mich zu dieser Zusammenkunft eingeladen?« fragte der Mann.

»Damit wir uns bei einem Projekt, das gemeinsame Interessen berührt, gegenseitig unterstützen«, erwiderte Tasdron.

»Wer ist das?« fragte der Mann und deutete mit einer Kopfbewegung auf Callisthenes.

»Wer ist das?« wollte Callisthenes drohend von Tasdron wissen.

Ich spannte die Muskeln an. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, daß Callimachus unauffällig nach seiner Waffe griff.

»Seien wir doch geduldig!« sagte Tasdron.

»Ich bin Callisthenes, Hauptmann von Port Cos«, sagte der Offizier plötzlich.

»Und ich Aemilianus, Hauptmann aus Ar-Station«, antwortete der andere.

Wie auf ein Kommando flogen zwei Mäntel zurück und legten die Insignien von Port Cos und Ar-Station frei. Zwei Schwerter sprangen aus den Scheiden. Das Mädchen schrie auf. Ich wich einen Schritt zurück.

»Port Cos!« rief Callisthenes.

»Herrliches Ar!« schrie Aemilianus.

Doch kaum hatten sich die Klingen gekreuzt, als plötzlich beide auf unerklärliche Weise funkensprühend in die Höhe zu fliegen schienen. Beide Männer wichen zurück. Callimachus stand zwischen ihnen. Sein Schwert hatte beide Klingen hochgeschlagen.

»Du bist stark«, sagte Aemilianus zu Callimachus.

Dieser steckte das Schwert fort.

»Wenn du jemanden niederstrecken möchtest, Aemilianus, Hauptmann aus Ar-Station, dann mich«, sagte er. Und er wandte sich an Callisthenes. »Würdest du mich töten wollen, alter Freund?« fragte er.

Callisthenes zögerte.

»Dies ist keine Falle?« fragte Aemilianus.

»Unsere größte Gefahr ist es, daß wir uns wie Feinde gegenüberstehen«, äußerte Callimachus.

»Meine Herren Offiziere!« flehte Glyco, »steckt die Waffen fort. Wir kommen zwar aus verschiedenen Städten, aber wir haben gemeinsame Interessen!«

Verwirrt, zögernd, senkte Aemilianus die Waffe und sah uns an.

»Wir wollen dir nichts tun«, sagte ich.

»Dies ist keine Falle?« fragte Aemilianus.

»Nein«, antwortete ich.

Callisthenes steckte das Schwert fort. Gleich darauf ruhte auch die Klinge des Aemilianus wieder in der Scheide.

»Kommt und setzt euch an den Tisch«, sagte Tasdron. »Wir haben viel zu besprechen.«

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