15

Die Tür stand offen.

Ich war früh aus dem Hafen zurückgekehrt. Es hatte nur wenig Arbeit gegeben.

Daß die Tür offen war, machte mir Sorgen.

»Lola!« rief ich und trat über die Schwelle. »Lola!«

Ich hörte ein leises Jammern, gedämpft, beinahe unhörbar.

Ich lief zum Sklavenkäfig, der links im Vorflur stand. Lola hockte gefesselt und geknebelt darin.

Der Schlüssel lag in der Nähe. Ich öffnete den Käfig, hob das Mädchen heraus und befreite es von dem dicken Knebel.

»Die Herrin«, sagte sie. »Sie ist oben.«

Ich sah mich um. Im Haus herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander, alles war durchwühlt worden. Kreuz und quer lag die Einrichtung herum. Mein Geldbeutel, den ich zu Hause gelassen hatte, war auf dem Boden ausgeleert worden.

»Wer hat das getan?« fragte ich.

»Ein Mann«, antwortete die Sklavin. »Ein großer Mann. Er trug eine purpurne Maske.«

»Ist er noch im Haus?«

»Nein«, japste sie.

»Was wollte er?«

»Ich weiß es nicht, Herr.«

Nachdem ich auch Lolas Fesseln gelöst hatte, eilte ich nach oben. Miß Henderson lag im großen Schlafzimmer auf der Couch. Sie blickte mich kummervoll an. Man hatte sie wie eine Sklavin gefesselt. Ihr Körper wies blaue Flecken auf.

Meine Habe war durchsucht und überall verstreut worden.

Lola, die inzwischen ihre Sklaventunika angezogen hatte, erschien an der Tür. »Die Herrin war ganz arglos«, sagte sie, »und öffnete. Der Mann drängte sich ins Haus und hielt ihr sofort ein Messer an die Kehle. ›Nicht fliehen oder schreien!‹ sagte er, ›sonst stirbt deine Herrin. Bring Tücher und Fesselschnur.‹ Ich gehorchte, und er fesselte uns.«

Zornig musterte ich Miß Henderson. Wie töricht von ihr, gedankenlos die Tür zu öffnen!

Sie bäumte sich in ihren Fesseln auf.

»Soll ich sie losbinden, Herr?« fragte Lola.

»Nein«, sagte ich aufgebracht.

Ich schaute kurz in Miß Hendersons Schlafzimmer, das ebenfalls von oben bis unten völlig durchwühlt worden war.

»Die Küche ist sicher ebenfalls verwüstet«, sagte ich zu Lola, als ich in das große Schlafzimmer zurückkehrte.

»Ja.«

»Was hat er mitgenommen?«

»Soweit ich weiß, nichts.«

»Geh in die Küche, Lola«, befahl ich, »und mach Ordnung.«

»Ja, Herr«, antwortete sie.

Ich schloß die Tür hinter ihr. Ich hatte keinen Zweifel, worauf es der Besucher abgesehen hatte.

Miß Henderson wimmerte.

»Wie dumm von dir, die Tür zu öffnen, ohne die Identität deines Besuchers zu kennen!« sagte ich.

Tränen schossen ihr in die Augen, die mich zugleich zornig ansahen.

»Aber zumindest bist du ein hübscher kleiner Dummkopf«, fuhr ich fort.

Zornig drehte sie sich in den Fesseln.

Ich kniete mich auf die Couch und nahm ihr vorsichtig den Knebel ab. »Der Mann versteht sein Handwerk«, sagte ich. »Offenbar weiß er, wie man Gefangene behandelt.«

»Nachdem er mich nach oben gebracht und gefesselt hatte, ist er über mich hergefallen. Er hat mich dazu gebracht, ihn darum anzuflehen!«

»Du machst dich gut so! Wie eine Sklavin liegst du gefesselt vor mir.«

Sie bäumte sich hilflos auf. »Bitte mach mich los!«

Ich schaute sie an.

»Der Topas ist fort«, bemerkte sie.

»Sprich leise!« befahl ich. »Lola ist Sklavin. Sie braucht von dem Topas nichts zu wissen.«

»Er ist fort«, sagte sie leise.

»Ach?«

»Ich war so verängstigt, daß ich ihm sofort sagte, wo er ist.« Wütend blickte sie mich an. »Und trotz meiner Mithilfe nannte er mich dann ›Sklavin‹ und unterwarf mich seinem Willen!«

»Welches Versteck hattest du ihm denn angegeben?« fragte ich.

»Deinen Geldbeutel, der unten lag. Dort bewahrtest du ihn doch auf.«

»Dort war der Stein seit Tagen nicht mehr.«

»Wo ist er denn?«

»An einem anderen Ort.«

Sie musterte mich stumm.

»Dein Glück, daß er dich wie eine Sklavin behandelt hat. Hätte er dich für eine freie Frau gehalten, wäre er vielleicht wieder nach oben gekommen, um dir die Kehle durchzuschneiden. Er vermutete wohl, daß du als Sklavin nicht genau wissen konntest, wo ein so wertvoller Gegenstand aufbewahrt wurde. Jedenfalls hat er den Topas nicht gefunden - sonst hätte er das Haus auch nicht völlig durchwühlt.«

»Ich dachte, er hätte ihn«, sagte Miß Henderson. »Auf den Gedanken, daß du mir das neue Versteck nicht verraten würdest, bin ich nicht gekommen.«

Ich zuckte die Achseln.

»Und indem du mich nicht in dein Vertrauen zogst, hast du mich wie eine Sklavin behandelt, nicht wahr, Jason?«

»Damit habe ich dir vielleicht das Leben gerettet.«

»Ich verstehe«, sagte sie zornig.

»Außerdem lag auf der Hand, daß du das Versteck des Topases sofort verraten hättest, davon ging ich jedenfalls aus. Aber es ist wichtig, daß er Policrates nicht in die Hände fällt. Wenn das nämlich geschähe, würden die Hauptstreitkräfte der Piraten am östlichen Vosk zumindest vorübergehend mit denen des Westens vereinigt werden. Das muß möglichst verhindert werden. Da du das Versteck des Topases nicht kanntest, konntest du es logischerweise nicht verraten, es sei denn, du wärst zufällig darauf gestoßen. Je weniger Leute das Versteck kennen, desto besser.«

»Wo ist der Topas, Jason?«

»Ich möchte es dir nicht sagen.«

»Ausgezeichnet«, sagte sie, »du läßt deine Sklavinnen im dunkeln tappen.«

»Verwechsle dich nicht mit einer Sklavin, Miß Henderson«, sagte ich. »Wärst du meine Sklavin, würdest du das ganz deutlich spüren.«

»Da bin ich nicht so sicher. Darf ich fragen, wie lang ich hier noch so gefesselt leiden muß?«

»Eine oder zwei Ahn«, antwortete ich. »Ich lasse von Lola wieder Ordnung machen. Wenn sie fertig ist, wirst du losgebunden und kannst auf dein Zimmer gehen. Morgen darfst du wieder nach unten kommen.«

»Jason«, sagte sie.

»Ja?«

»Ich habe mich dem Mann hingegeben«, sagte sie.

»Als Sklavin?«

»Ja – bin ich denn nun immer noch keine Sklavin?«

»Vielleicht.«

»Dir werde ich niemals wonnevoll erliegen!« sagte sie aufgebracht. »Du kannst mich nicht dazu zwingen!«

Ich lächelte – war sie keine Frau? Dann schlug ich mir solche Gedanken aus dem Kopf. Sie war Miß Beverly Henderson von der Erde. Leise schloß ich die Tür hinter mir.

»Ich hasse dich!« rief sie mir nach.

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