Es gab Sonne, Licht, Wärme und nach der bitteren Kälte von Tunguska und X25 fühlte sich das wie das Paradies selbst an. Alle vier schrien wir vor Erleichterung auf, als die Teleportarmbänder uns an unserem neuen Einsatzort in der Sonne absetzten. Und das Erste, was wir taten, war, uns die dicken Pelzmäntel vom Leib zu reißen und sie in einem großen Haufen vor uns auf den Boden zu werfen. Mützen, Handschuhe und alles andere, was uns an X25 erinnerte, folgte, so schnell wir es uns vom Leib reißen konnten, und als alles auf einem Haufen lag, traten wir alle darauf ein, nur so aus Prinzip. Erst dann nahmen wir uns die Zeit, uns umzusehen und herauszufinden, wo wir waren.
Wir waren in einer ordentlichen kleinen Seitenstraße abgesetzt worden, die an den Docks einer größeren Stadt mündete. Überall waren Schiffe: meist Marine, aber auch einige zivile, Touristenboote und Fischkutter. Amerikanische Marine: große, beeindruckende Schiffe, länger als manche Straße, ausgerüstet mit der neuesten Technologie und den allergrößten Kanonen. Crewmitglieder schwärmten über die Decks wie Ameisen, die ihrer Königin dienten. Deshalb war das wohl auch kein guter Ort, herumzulaufen und Fragen zu stellen. Ich ging ans Ende der Straße und sah über das blaugrüne Wasser, das ruhig unter einem blassblauen Himmel lag, ohne eine einzige Wolke weit und breit. Die Sonne stand hoch am Himmel und schien satt, freundlich und köstlich warm. Möwen segelten in den Luftströmungen, ihre entfernten Rufe wild und spöttisch.
»Ich habe wieder Kontakt zu Langley«, sagte Honey. Sie hielt eine Hand an ihren Kopf. Ob das bei einem Hirnimplantat half, wusste ich nicht. Sie rümpfte die Nase, fast wimmerte sie. »Sie brüllen ganz schön. Offenbar haben sie es verdammt persönlich genommen, als ich vom Planeten runtergefallen bin und sie mich nicht mehr lokalisieren konnten. Sie haben drei verschiedene Spionage-Satelliten programmiert, nichts weiter zu tun als nach mir zu suchen. Sie waren besorgt. Das war wohl echt süß von ihnen, wenn sie nur aufhören würden, mich anzubrüllen. Ah, sieht so aus, als wären wir grade in Philadelphia, Pennsylvania.«
»Wie lange hatten sie uns nicht auf dem Schirm?«, fragte ich.
»Drei Tage, sieben Stunden«, erwiderte Honey. »Man stellt mir eine Menge Fragen.«
»Wen kümmert's«, meinte Peter. »Hier riecht es lecker!«
»Wonach?«, fragte Walker.
»Mir egal, ich werd's essen.« Peter sah sich um und schnüffelte wie ein Bluthund, der Witterung aufnimmt, in der Luft herum. Er tauchte in die Hauptstraße ein, folgte seiner Nase und alles, was uns übrig blieb, war, ihm zu folgen.
»Ich kann sagen, dass ich mich ebenfalls etwas hungrig fühle«, sagte Walker und schritt mit militärischer Zackigkeit dahin. »Gibt es irgendwelche Sternerestaurants in Philadelphia?«
»Ach, bestimmt«, sagte ich fröhlich. »Matrosen mögen gutes Essen. Und Schnaps und Tattoo-Läden und -«
»Langley will genau wissen, wo wir waren und was wir gemacht haben«, sagte Honey und ging wie eine hochgewachsene Göttin in ihrem leuchtend weißen Overall neben mir her. »Sie haben geglaubt, dass es keinen Ort gäbe, an den sie mir mit ihren brandneuen Spielsachen nicht folgen könnten, die armen Kleinen.«
»Sagen Sie ihnen nichts«, meinte Walker sofort. »Jedenfalls … noch nicht. Vielleicht kommt die Zeit, in der wir mit vertraulichen Informationen handeln müssen.«
»Warum sollte ich denn mit meinen eigenen Vorgesetzten verhandeln müssen?«, fragte Honey kalt.
»Ich meinte Alexander King«, sagte Walker geduldig. »Es ist bekannt, dass der Autonome Agent überall Kontakte hat, in jeder Organisation. Außer vielleicht bei den Droods. Wie auch immer, ich denke, wir müssen unsere Geheimnisse sorgsam hüten, bis das Spiel beendet ist.«
»Er hat recht«, sagte ich. »Geheimnisse haben nur Macht und Wert, solange sie Geheimnisse bleiben.«
»Was soll ich dann Langley sagen?«, fragte Honey. »Irgendwas muss ich ihnen sagen, und wenn es nur dazu dient, das Brüllen in meinem Ohr zu stoppen.«
»Erzähl ihnen von X25«, sagte ich. »Aber nicht, was wir da gemacht haben. Sie werden so aufgeregt darüber sein, die Koordinaten von einer der alten sowjetischen Wissenschaftsstädte zu haben, dass ihnen egal sein wird, was wir getan haben.«
»Was Sie getan haben«, sagte Walker. »Mir ist das nach wie vor noch geringfügig unangenehm.«
»Dieses Gefühl den Droods gegenüber ist sehr gut«, sagte ich. »Es hilft, angemessen respektvoll zu bleiben.«
»Ach, stecken Sie sich Ihren Respekt doch an den Hut«, sagte Walker.
Honeys Gesichtsausdruck wurde abwesend, als sie wahrscheinlich ihre CIA-Ansprechpartner mit Informationen über X25 belieferte. Hoffentlich blieb sie dabei, ein bisschen diskret über dieses ganze Zeug mit dem Tunguska-Ereignis zu bleiben. Natürlich hätte sie denen absolut alles erzählen können. Oder das Ganze. Ich hatte keine Möglichkeit, das herauszufinden. Es war wichtig, sich daran zu erinnern, dass sie eine erfahrene Agentin im Einsatz war und ich mir nicht leisten konnte, ihr zu trauen. Oder Walker. Oder Peter.
Immerhin war Katt tot. Und der Blaue Elf. Und ich hatte nie etwas gesehen. Ich konnte mir nicht helfen, aber ich hatte das Gefühl, wäre ich nur ein wenig mehr am Ball geblieben, ein bisschen aufmerksamer, dann hätte ich etwas gesehen. Etwas tun können. Katt war eine Rivalin gewesen, ja, und ich hatte sie kaum gekannt. Und nach allem, was Blue mir und meiner Familie angetan hatte, waren wir Todfeinde. Aber selbst so hatte ich Katt gemocht. Und Blue war auch mein Freund gewesen.
Deshalb arbeite ich lieber allein bei einem Einsatz. Nichts verkompliziert die Dinge so sehr wie Leute.
Peter brachte uns schnell zu der Imbissbude, die er erschnüffelt hatte. An diesem Punkt aber hatten wir alle schon den Duft in der Nase und folgten ihm auf dem Fuße. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie hungrig ich war. Ein kleiner Biber sättigt nur für kurze Zeit. Peter drängelte sich direkt durch den Eingang, ohne die großen Poster in den Fenstern zu studieren, aber Walker warf einen Blick darauf und erhob Einspruch.
»Aber … hier gibt es Hamburger!«, klagte er. »Ich wollte etwas essen. Etwas Richtiges!«
»Seien Sie kein solcher Snob!«, sagte Honey. »Wir sind in den USA, in Gottes eigenem Land und dem unglaublich schnellen Fast Food.«
Walker schnaubte laut. »Und der noch schnelleren Magenverstimmung. Jedes Land, das zur besten Sendezeit Werbung für Abführmittel im Fernsehen macht, hat ernsthafte Probleme.«
»Ach, halten Sie schon den Mund und kommen Sie«, sagte ich. »Ich kann bratendes, totes Tier riechen, und meine Geschmacksnerven machen sich schon gegenseitig fertig.«
»Wenn irgendjemand versucht, mir etwas in einem Eimer zu servieren, dann wird es Ärger geben«, knurrte Walker ominös.
Honey und ich schoben ihn durch die Eingangstür und gingen zu Peter, der bereits einen Tisch geordert hatte. Er hatte schon die Aufmerksamkeit einer hübschen jungen Kellnerin errungen, die eine hässliche rosafarbene Uniform trug und gab seine Bestellung auf. Er war erst halb durch die Speisekarte, und sie hatte schon ihr halbes Pad abgehakt. Wie das mit Hamburgerläden so war, der hier war wohl besser als die meisten. Hinreichend sauber, nicht zu voll und die vor sich hin trällernde Hintergrundmusik war wohl von jemandem ausgewählt worden, der wenigstens schon mal etwas von Melodien gehört hatte. Überall hingen glänzende, große Poster, mit wunderbaren Illustrationen der herrlichen Dinge, die man bestellen konnte. Wahrscheinlich waren sie dazu da, dass man draufzeigen konnte, wenn man nicht in der Lage war, die Karte zu lesen. Ich habe eine Schwäche für diese großen, fröhlichen Plakate, auch wenn das, was sie zeigen, nur selten Ähnlichkeit mit dem hat, was man letztendlich serviert bekommt. Ich hoffe immer, dass ich eines Tages bekomme, was ich bestelle, ein Triumph des Optimismus über die Erfahrung.
»Was willst du haben, Eddie?«, fragte Honey und ließ ihre Augen über die laminierte Karte schweifen.
»Egal«, sagte ich. »Alles. Töte einfach eine Kuh und bring sie mir. Ich habe echt Hunger. Ich könnte dich essen, wenn es mit dem Service zu lange dauert.«
»Ein netter Gedanke, Eddie«, sagte Honey. »Vielleicht später, ja?« Sie sah mich an und ließ ihre Wimpern flattern.
»Meist bevorzuge ich ja Burger King«, sagte ich und wechselte diplomatisch das Thema. »Wenigstens kriegt man da, was man bestellt hat und nichts sonst. Ich meine, wenn ich einen doppelten Schinken-Cheeseburger haben will, wie damals zu den besten Zeiten des Heiligen St. Cholesterin, dann will ich den auch. Doppelt Fleisch, Käse und Schinken in einem Brötchen. Sonst nichts. Kein verdammter Salat und keine verdammte Gewürzgurke. Wenn ich einen Salat als Beilage haben wollte, dann hätte ich nach einem gefragt.«
»Wie pingelig«, meinte Honey und nahm die Augen nicht von den Kombi-Angeboten.
Am Ende bestellten wir das komplette Menu, um es unter uns aufzuteilen. Ich sah mich um, während die Kellnerin damit beschäftigt war, alles zu registrieren, und dabei beinahe den ganzen Speicherplatz ihres Pads brauchte. Die große Wanduhr zeigte auf fünf vor halb drei am Nachmittag, was erklärte, warum der Laden nicht allzu voll war. Ich wies Honey auf die Uhr hin. »Gott allein weiß, wo meine körpereigene Uhr ist«, sagte sie und streckte sich langsam und genüsslich wie eine Katze. »Ich hasse Teleport, immer bekomme ich einen Jetlag davon. Und das Gepäck endet meist in einer anderen Dimension.«
Wir überzeugten Walker, ein paar der schlankeren Menüs zu ordern, aber er befasste sich immer noch mit der Getränkekarte. Er seufzte und schüttelte den Kopf. Schließlich sah er zur Kellnerin hoch.
»Bitte nur einen Tee, meine Liebe. Haben Sie Earl Grey da?«
»Bringen Sie mich nicht in Verlegenheit«, sagte Honey bestimmt. »Sie werden Kaffee trinken und ihn lieben.«
»Amerikanischen Kaffee?«, sagte Walker. »Ich bin eindeutig in der Hölle. Bringen Sie mir einfach eine Tasse Wasser, meine Liebe.«
»Wasser sollten Sie hier nicht trinken, Schätzchen«, sagte die Kellnerin. Sie hatte offenbar an Walker Gefallen gefunden, oder zumindest an seinem Akzent. »Selbst das abgefüllte ist nicht sonderlich gut. Ich sag Ihnen was, ich bringe Ihnen ein schönes Dr. Pepper. Wie wär's?«
Walker lächelte sie an. Die Kellnerin war ein großes, proper aussehendes Mädchen, dessen vorspringender Busen die Knöpfe an ihrer hässlichen Uniform zu sprengen drohte.
»Ich danke Ihnen, das wäre wunderbar, meine Liebe.«
Die Kellnerin zeigte ihm ihre perfekten Zähne und trottete mit ihrem Pad voller Bestellungen davon.
»Eine sehr warmherzige und verständnisvolle junge Dame«, sagte Walker. »Was ist ein Dr. Pepper?«
»Das ist wie der Hafen«, sagte Honey freundlich. »Nahe am Wasser.«
Das Essen kam, und wir alle konzentrierten uns darauf reinzuhauen. Es gibt nichts Besseres als einen ordentlichen Hunger, um alles gut schmecken zu lassen. Zu meiner Erleichterung bekam ich meine Burger ganz ohne Salat und eingelegte Gurke, auch am Käse hatten sie nicht gespart. Keiner von uns fühlte sich nach Konversation, wir saßen nur da, kauten, schluckten und ließen ab und an ein zufriedenes Grunzen hören. Auch Walker schlang sein Zeug herunter und probierte schließlich auch von den Tellern der anderen. Zweifellos würde er nach dem Essen zur Beichte gehen und gestehen, in welche Niederungen sich sein Magen begeben hatte.
Es war nicht so, als hätten wir einander viel zu sagen gehabt, trotz allem, was wir miteinander durchgemacht hatten. Vielleicht war es sogar gerade, weil wir so viel miteinander durchgemacht hatten. Eine ganze Menge von dem, was in X25 geschehen war, all die Dinge, die wir erlebt hatten - vieles war zu privat, zu persönlich, um darüber zu sprechen. Sowohl unsere Körper als auch unsere Seelen hatten Blessuren davongetragen. Ich erinnerte mich daran, meine Eltern gesehen zu haben. Oder etwas, das eklatant so ausgesehen hatte wie meine Eltern. Nichts nahm einen je so sehr gefangen wie unbeendete Emotionen. Wenn das alles vorbei war, Alexander King seine Informationen hatte und die Droods ihre kostbaren Geheimnisse sicher vor dem Zugriff des Rests der Welt weggesperrt hatten - dann war es Zeit, allerhöchste Zeit, dass ich endlich die Wahrheit über das erfuhr, was meinen Eltern zugestoßen war. Wer sie wirklich getötet hatte und warum. Und vielleicht auch Mollys Eltern. Gab es wirklich eine Verbindung? Molly war immer bereit, das Schlimmste in den Droods anzunehmen. Trotzdem, ich hatte schon zu lange auf die Wahrheit gewartet. Wenn dieses Spiel erst einmal vorbei war, würde ich mir Zeit freischaufeln für etwas, das wirklich zählte.
Ich hatte meiner Familie schon zu lange gestattet, mich abzulenken.
Wir alle hatten schließlich einen Punkt erreicht, an dem selbst schiere Willenskraft keinen Krümel mehr hinter unsere Lippen gebracht hätte. Wir lehnten uns zurück, genossen unsere vollen Bäuche und sahen uns gegenseitig in der Erwartung an, der andere würde zuerst anfangen zu reden. Und weil keinem von uns danach war, über X25 zu reden, sprachen wir über Philadelphia und warum wir hierher geschickt worden waren.
»Es muss das Philadelphia-Experiment sein«, sagte ich.
»Glaube ich auch«, sagte Honey und nickte zustimmend.
»Haben sie nicht einen Film daraus gemacht?«, fragte Walker.
»Den hab ich gesehen«, sagte Peter. »Fing schauerlich an, dann verlor er an Fahrt, und ab da ging es abwärts. Allerdings war die Fortsetzung nicht schlecht.«
»Wenn alles, was du kennst, der Film war, dann weißt du gar nichts«, sagte ich. »Der Film handelte von Zeitreisen, aber bei dem Experiment ging es um etwas anderes.«
»Ich dachte immer, dass das Philadelphia-Experiment einfach nur eine weitere urbane Legende sei«, meinte Walker. »Der Fall des verschwundenen Schiffes und all das. Ich habe nie irgendwelche offiziellen Akten dieses Falles gesehen, und ich habe Akten von den meisten Dingen gesehen, die eine Rolle spielen. Erinnern Sie mich daran, Ihnen bei Gelegenheit vom unheiligen Gral zu erzählen.«
»Dieses Thema würde ich um allen Tee in China nicht anrühren«, sagte ich entschlossen. »Das Experiment -«
»Du wirst uns jetzt wieder einen Vortrag halten, stimmt's?«, sagte Honey nicht unfreundlich. »Droods wissen alles und so, richtig?«
»Richtig!«, sagte ich. »Du begreifst schnell! Und jetzt still, während ich euch allen eine schöne Geschichte erzähle. Zuerst die Legende. Es gibt viele Variationen, aber die Geschichte ist die, dass am 28. Oktober 1943 die USS Eldridge für ein sehr gewagtes wissenschaftliches Experiment herhielt. Es ging darum, zu sehen, ob ein Schiff der Marine vor dem feindlichen Radar zu verbergen sei. Das war als das Rainbow-Projekt bekannt. Aber etwas ging mit dem Experiment sehr schief.
Die Eldridge legte ab und warf ihre brandneuen Maschinen an. Andere Schiffe in der Region standen bereit, jede Veränderung zu registrieren, die sich ereignen sollte. Sie waren jedoch nicht darauf vorbereitet, die Eldridge komplett verschwinden zu sehen - sie völlig unsichtbar werden zu sehen. Alles, was sie sehen konnten, war eine tiefe Delle im Wasser, wo das Schiff sich befand. Und dann füllte sich auch dieses Loch auf, weil die Eldridge endgültig verschwand: Sie wurde von den Kräften ihrer neuen Maschinen komplett aus unserer Realität geworfen.
Das Schiff erschien nur ein paar Momente später in Norfolk, Virginia. Es wurde beobachtet, identifiziert und verschwand dann wieder. In den Gewässern vor Philadelphia tauchte es dann wieder auf. Die Wissenschaftler riefen die Eldridge wieder und wieder und wollten wissen, was passiert war, aber sie bekamen keine Antwort. Es gab eine Menge Aufregung unter den Forschern und militärischen Lamettaträgern über mögliche Strahlungslecks und solches Zeug, aber am Ende hatte die Marine keine andere Wahl als die, Schiffe auszuschicken, um Kontakt mit der Eldridge aufzunehmen, die still und schweigend im Wasser lag.
Als ein Team von Freiwilligen an Bord kam, um es zu untersuchen, fanden sie Blut, Tod und Horror. Die meisten Mitglieder der Crew waren tot. Viele waren verrückt geworden. Und ein paar waren gar nicht mehr da. Das Schiff war stark beschädigt, als ob es an einem größeren Feuergefecht teilgenommen hätte, aber es gab keine Hinweise darauf, wer oder was dieses Feuergefecht ausgelöst hatte. Das Schlimmste war, dass etwas ganz Schreckliches passiert war, als die Eldridge sich teleportiert hatte. Einige Mitglieder der Mannschaft hatten sich innerhalb von Stahlwänden und -türen rematerialisiert. Fleisch und Metall waren auf molekularer Ebene verschmolzen. Aber sie waren immer noch auf furchtbare Weise lebendig und bettelten, man möge sie aus ihrer grauenhaften Lage befreien. Glücklicherweise überlebten sie nicht lange.
Das Ganze wurde von den Marinebehörden vertuscht und auf allen Ebenen der Hierarchie geleugnet. Immerhin herrschte Krieg. Und während der Erfolg immer viele Väter hat, so hat ein Super-GAU gar keine Freunde. Das Schiff wurde verschrottet, nachdem die ausgebrannten Maschinen ausgebaut worden waren, und der Name Eldridge wurde einem anderen Schiff gegeben. Die überlebende Crew … verschwand. Der Krieg, ihr wisst schon. Mir gefällt der Gedanke, dass man sich gut um sie kümmerte. Die US-Marine hat eine lange Tradition, sich um die Ihrigen zu kümmern.
Und das … ist die Legende des Philadelphia-Experiments. Die US-Marine leugnet immer noch, dass irgendetwas von diesen Dingen geschehen ist.«
»Richtig!«, sagte Peter. »Wenn man den Begriff ›Philadelphia-Experiment‹ im Netz recherchiert, ist die erste Seite, die man bekommt, die der US-Marine. Dort präsentieren sie ihre Antworten auf die am meisten gestellten Fragen. Alles wird geleugnet. Gestützt wird das von Unmengen offiziell aussehender Aufzeichnungen.«
Wir alle sahen ihn an.
»Ich war neugierig«, sagte Peter. »Nach dem Film …«
»Wie auch immer dem sei«, sagte Walker. »Das ist die Legende. Was wissen wir über die Fakten?«
»Nicht besonders viel«, sagte ich fröhlich. »Verschiedene Droods haben sich im Lauf der Jahre damit befasst. Wir waren von diesem Geheimnis fasziniert und wir mögen es nicht, nichts über etwas, das vielleicht wichtig wird, zu wissen. Aber der amerikanische Marine-Geheimdienst hat alles unternommen, um Dinge zu verleugnen, zu verstecken und alle Beweise zu zerstören, die auf etwas hinweisen, was am 28. Oktober 1943 passierte. Und außer einer Großoffensive auf das US-amerikanische Festland hatten wir praktisch nichts, was Erfolg versprochen hätte. Also haben wir's gelassen. So wichtig war's dann auch wieder nicht.«
Unsere Kellnerin war damit beschäftigt gewesen, leere Teller von unserem Tisch zu räumen und dabei so oft weggegangen und wiedergekommen, dass wir beinahe vergessen hatten, dass sie da war und wir auch vor ihr gesprochen hatten. Deshalb sind Bedienstete und Servicemitarbeiter so großartige Informationsquellen. Sie sind immer da, sodass sie immer so gut wie unsichtbar sind. Und die Großen lieben es, so zu tun, als seien die Untergebenen nicht da.
»Ihr Jungs seid wegen der Eldridge hier?«, fragte sie fröhlich, und wir zuckten alle zusammen, weil uns plötzlich ihre Gegenwart bewusst wurde. »Viele Touristen kommen nur deshalb. Es gibt ganze Läden, die nichts anderes als Souvenirs davon verkaufen. Sie können euch mit Büchern und Postern und Filmen und Gott-weiß-was-alles ausrüsten. Alles Quatsch natürlich, also verschwendet nicht euer Geld. Das meiste wird mit Drinks in den Hinterzimmern der Bars gemacht. Touristen lieben dieses gute Seemannsgarn, die Dummerchen! Wisst ihr, mein Opa hat während des Krieges, den er immer den Großen nannte, hier an den Docks gearbeitet. Er erzählte, die Leute damals hätten das Schiff gespenstisch genannt, wegen des ganzen unheimlichen Zeugs, das um es herum passiert ist.«
»Was denn für unheimliches Zeugs?«, fragte Honey so beiläufig, wie sie nur konnte.
»Ach, wo soll man da anfangen? Helle Lichter, seltsame Geräusche, eine Menge Leute sind an Bord gekommen und wieder gegangen. Und Tonnen und Tonnen von brandneuem Material. Opa sagte immer, das Schiff hätte von innen viel größer sein müssen als von außen, um all den Kram darin unterzubringen!«
»Und die … Legende?«, fragte Walker. »Dieses Seemannsgarn. War Ihr Großvater anwesend, als das alles passiert ist?«
»Ach, Schätzchen, nicht doch!«, sagte die Kellnerin. »Der hat niemals so was gesehen. Das sind doch alles nur Geschichten, um die Idioten - Verzeihung, die Touristen zu ködern. Für deren Dollars muss ich jetzt auch wieder arbeiten!« Sie lächelte Walker an. »Wissen Sie, wenn Sie wollen, könnte ich Ihnen eine Tasse Tee aus den Beständen des Kochs besorgen. Echte Teebeutel!«
»So viel Zeit haben wir nicht«, sagte Honey fest. »Könnten wir bitte die Rechnung haben?«
Die Kellnerin gönnte Walker ein weiteres strahlendes Lächeln und schwang sich auf ihren hohen Absätzen davon.
»Sie mag Sie«, sagte ich.
»Ruhe!«, erwiderte Walker.
»Sie mag Sie! Ihre ganz spezielle Kellnerfreundin.«
»Ich bin alt genug, um ihr Vater zu sein«, sagte Walker mit großer Würde.
»Und was hat das jetzt mit irgendwas zu tun?«, fragte Peter. »Wir sind in Amerika. Die meisten Männer hier wollen mit einer Frau, die alt genug ist, um ihre Frau zu sein, nicht einmal gesehen werden, wenn sie tot sind. Das ist das einzige Land, das glaubt, ein Rollator bei Männern sei sexy.«
Honey gab ihm eine Kopfnuss.
»Lass das!«, sagte Peter und rückte seinen Stuhl aus ihrer Reichweite.
»Dann hör auf, du selbst zu sein«, antwortete Honey.
»Nun«, sagte ich schnell. »Ich denke, wir können sicher sein, dass wir hergeschickt wurden, um das Rätsel um das Philadelphia-Experiment aufzuklären.«
»Ist das Wahrscheinlichste«, sagte Honey.
»Sie könnten Ihre Leute in Langley bitten, den Marine-Geheimdienst zu kontaktieren«, schlug Walker vor. »Vielleicht kriegen die sie dazu, ein paar der geheimen Unterlagen zu öffnen, von denen sie behaupten, dass sie sie nicht haben.«
»Dauert zu lang«, meinte Honey. »Unsere Geheimdienste haben eine wirklich schlechte Erfolgsbilanz, wenn es um Zusammenarbeit geht. Teilweise hat das mit Politik, teilweise mit der Gesetzgebung zu tun, teilweise auch, weil jeder Geheimdienst andere Absichten hat. Aber meist ist es nichts weiter als ein Wettbewerb darin, wer am weitesten pinkeln kann. Die CIA hat noch den meisten Einfluss, aber selbst so …«
»Wir haben nicht mehr so viel Zeit«, meinte ich. »Besonders, weil wir drei Tage in Tunguska verloren haben.«
»Richtig«, sagte Peter. »Großvater könnte schon tot sein. Oder er ist gerade dabei.«
»Ich muss schon sagen«, bemerkte Walker. »Sie klingen nicht sonderlich besorgt.«
»Liegt vielleicht daran, dass ich's gar nicht bin«, sagte Peter. »Außer dass der alte Bock jederzeit ins Gras beißen könnte, und dann wäre das alles hier umsonst gewesen. Will mir jemand von euch erzählen, der Kerl täte ihm leid?«
»Ich kenne den Mann nicht«, sagte Honey. »Alles, was ich kenne, ist die Legende des Autonomen Agenten.«
»Es ist immer traurig, wenn Legenden sterben«, sagte ich. »Ein Wunder weniger in der Welt.«
»Wie Ihr Onkel James?«, fragte Walker. »Der berühmte, oder vielleicht besser, berüchtigte Graue Fuchs?«
»Ja«, erwiderte ich. »So in der Art.«
»Wie genau ist der Graue Fuchs gestorben?«, fragte Honey. »Wir haben nie alle Details erfahren.« »Und das werdet ihr auch nie«, sagte ich. »Das ist Familiensache. Wir werden jetzt das Thema wechseln.«
»Und wenn wir das nicht wollen?«, bohrte Peter.
Ich sah ihn an und er wand sich unbehaglich in seinem Stuhl. »Treib's nicht zu weit, Peter«, sagte ich.
»Nun, nun, Kinder«, sagte Walker. »Immer hübsch freundlich bleiben.«
»Wir müssen wieder zu den Docks«, sagte ich. »Ich kann meine besondere Sicht benutzen, auch die meiner Rüstung, wenn es nötig ist. Vielleicht schnappe ich ja ein paar Geisterbilder von dem Experiment 1943 auf.«
»Glaubst du, dass die immer noch da sind?«, fragte Honey.
»Aber sicher«, erwiderte ich. »Schlimme Dinge prägen sich ein, schon vergessen?« »Haben wir Zeit für Nachtisch?«, fragte Peter. »Und hör auf, mich zu schlagen, Schwester!«
»Wie teilen wir die Rechnung?«, fragte Walker.
»Zur Hölle damit«, sagte ich. »Honey kann zahlen. Der CIA zahlt die meisten Spesen von allen hier am Tisch.«
Honey zog eine Grimasse und zog ihre Kreditkarte hervor. »Ich hasse es, meine Abrechnung zu machen«, maulte sie. »Die stellen heutzutage alles in Frage. Die ganze verdammte CIA wird von Erbsenzählern beherrscht.«
Bevor wir gingen, bezahlte Walker der Kellnerin demonstrativ ein großzügiges Trinkgeld.
Wir gingen zurück zu den Docks und schlenderten dabei in der behäbigen Gangart der Wohlgenährten. Überall trafen wir auf Touristen in knallbunten Hemden, die aussahen wie Kolibris mit Paarungsverhalten. Die meisten schienen an der Architektur, historischen Sehenswürdigkeiten und Läden mit überteuertem Kitsch interessiert. Wir waren die Einzigen, die an der Kante der Docks standen und auf die Schiffe hinausstarrten. Keiner schenkte uns besondere Aufmerksamkeit. Ich sah mich genauer um. Der Fluss war still und friedlich, der Himmel klar, ohne eine Spur von Wolken oder Flugzeugkondensstreifen. Die Sonne war angenehm warm. Und eine Brise, die gerade stark genug war, um erfrischend zu sein, wehte vom Wasser herüber.
Ich hob meine Sicht und sah wieder über den Delaware. Zu meiner Überraschung konnte ich nichts ausmachen. In der Umgebung war so viel psychische Energie losgelassen worden, dass der Äther bis zum Anschlag schwirrte: Überlappende Signale ergaben ein einziges Chaos. So, als wären hier so viele wunderbare und seltsame Dinge passiert, dass die Atmosphäre übersättigt war mit Information. Nebel von Ereignissen, magisch wie wissenschaftlich, türmten sich übereinander auf wie tausende von Stimmen, die verzweifelt gleichzeitig schrien, um gehört zu werden. Ich sprach die aktivierenden Worte und hüllte mich in meine goldene Rüstung. Honey stellte sich dicht neben mich.
»Ist das wirklich klug?«, zischte sie. »Wir sollen undercover arbeiten, schon vergessen? Bist du nicht ein kleines bisschen besorgt, dass die Touristen dich in der Rüstung sehen und schreiend um ihr Leben rennen? Oder einen Exorzisten holen? Alles, was wir brauchen, ist ein flinker Zeuge, der dich auf seiner Fotokamera einfängt, und wir werden der Aufmacher in den Lokalnachrichten, auf jedem Kanal!«
»Versuch mal, nicht in Panik auszubrechen«, sagte ich und sah immer noch durch meine goldene Maske auf den Fluss. »Das steht einem Agenten gar nicht gut. Mein Torques überträgt ein Signal, das es unmöglich für andere macht, die Rüstung zu sehen. Es sei denn, ich entscheide mich anders.«
»Wir können sie aber sehen«, sagte Peter.
»Nur weil ich euch lasse«, antwortete ich.
»Warten Sie mal«, warf Walker ein. »Wollen Sie sagen, dass Ihr Torques Einfluss, ja sogar die Kontrolle über unsere Gedanken hat?«
»So in etwa«, sagte ich. »Keine Sorge. Ich bin ein Drood und deshalb schon per Definition viel zu nett und edel, um an den Missbrauch eines solchen Privilegs auch nur zu denken.«
»Typische Drood-Arroganz!«, sagte Honey. »Und das hast du nie erzählt, weil …?«
»Ich dachte, dass du das wüsstest«, sagte ich prompt. »Du gehörst doch zur CIA. Du weißt alles.«
»Schlagen Sie ihn nicht«, sagte Walker zu Honey. »Sie würden sich nur die Hand verletzen. Warten Sie, bis er abgerüstet hat. Hauen Sie ihn erst dann.«
»Jetzt bin ich dran, Wartet ml zu sagen«, unterbrach ich. »Ich sehe etwas.«
Verbessert durch meine goldene Maske, erzwang sich meine Sicht den Weg durch die Masse von Informationen hin zu den Geisterbildern der letzten Reise der USS Eldridge. Das lange Schiff legte 1943 an einem grauen Nachmittag von den Docks ab. Sie wussten nicht, dass sie aus der Geschichte hinausfuhren und zur Legende wurden. Die Eldridge lag enorm tief im Wasser, als transportiere sie wesentlich mehr Ladung, als ihre Bauform eigentlich erlaubte. Auf jedem Quadratzentimeter der offenen Decks drängten sich uniformierte Matrosen, die hektisch hin und her liefen. Große, stachelige Antennen ragten in regelmäßigen Abständen aus der ganzen Länge des Schiffes hervor. Lange blitzartige Lichter lebendiger Elektrizität wanderten knisternd und krachend an ihnen herauf und herab. Fremde Energien pulsierten und kochten und bauten eine wachsende machtvolle Aura um das Schiff herum auf.
Bis hierhin schien es nichts weiter als eines der seltsameren wissenschaftlichen Experimente zu sein, aber alles änderte sich abrupt, als der grüne Nebel auftauchte. Er erschien aus dem Nichts: keine Warnung, kein Hinweis, nur dicke, grüne Nebelschwaden die auf einmal um das Schiff herum hochkochten und es vom Bug bis zum Heck einhüllten; ein grüner Nebel, der mit andersweltlicher Magie geschwängert war. Er verschmolz mit dem Energiefeld der Eldridge und bedeckte sie gänzlich. Magie und Wissenschaft verbanden sich und produzierten einen Effekt, den keiner von beiden allein hätte erreichen können.
Ich konnte die Matrosen schwach schreien hören, damals, im Jahr 1943. Der grüne Nebel erhob sich, schluckte das Schiff, und dann waren sowohl Nebel als auch Schiff im nächsten Moment verschwunden. Nichts blieb übrig. Kein unsichtbares Schiff, keine Delle im Wasser. Einfach … weg. Weggerissen. Die anderen Schiffe, die Befehl hatten, die Auswirkungen des Experiments zu beobachten, segelten über die leeren Wasser hin und her - vergeblich. An Land schrien sich die Lamettaträger der Marine und die Wissenschaftler hysterisch an.
Dann kam der Nebel zurück, dicht und in einem kranken Flaschengrün pulsierend: Farbe und Textur des Nebels waren jetzt geringfügig anders, er sah … faulig, korrodiert, giftig aus.
Die Eldridge brach mit einem Mal aus den grünen Nebeln heraus, als habe sie sich ihren Weg erzwungen, und machte sich mit einem Ruck auf in Richtung Ufer. Die grünen Nebel verschwanden geradezu unwillig und gaben ein Schiff frei, das im Krieg gewesen war. All die Antennen waren verschwunden, nichts als zertrümmerte Kisten und zerrissene Kabel waren übrig geblieben, als hätte eine gigantische Hand die Antennen abgerissen. Der Schiffsrumpf war an mehreren Stellen gebrochen, sowohl am Bug als auch am Heck. Es war ein Wunder, dass es noch schwamm. Große, geschwärzte Brandflecken waren zu sehen, Spuren von Feuer, die über den ganzen Schiffskörper hinweg verliefen, und überall zerbrochenes Glas, eingedellte Schotten und Explosionsspuren. Und die Decks waren über die ganze Länge des Schiffs von toten Mannschaftsmitgliedern übersät. Viele waren in Stücke zerrissen.
Überall Blut.
Ich konzentrierte mich und fokussierte meine Sicht noch stärker auf das Geistbild des Schiffes, um besser erkennen zu können, was passiert war - weil ich das gruselige Gefühl hatte, dass ich wusste, wo die Eldridge gewesen war und wer oder was ihr und der Crew das angetan hatte. Und das hatte gar nichts mit Unsichtbarkeit oder Teleportation zu tun.
Der grüne Nebel war ein erster Hinweis gewesen, dann die unirdischen Lichter, die in ihm gebrannt hatten. Ich hatte die Farben der Magie gesehen, die sich erst über, dann in die wissenschaftlichen Geräte des Schiffs gelegt und mit ihnen vermischt hatten. Ich hatte den großen Laut gehört, mit dem sich ein Portal zwischen den Dimensionen auftat. Die brandneuen Maschinen der Eldridge hatten unbeabsichtigt ein Portal nach draußen geöffnet, und etwas daraus war in unsere Welt gedrungen und hatte das Schiff und seine Crew so beiläufig mitgenommen, wie eine Hand einen Goldfisch aus einem Glas zieht.
Aus der Nähe war klar, dass die Eldridge eine große Schlacht geschlagen hatte. Stunden oder Tage waren für das Schiff in den paar Augenblicken vergangen, in denen es fort gewesen war. Solide Stahlschotts waren zerrissen wie Papier, Abteile waren zerdrückt und die Crew … zerrissen und zerbrochen, zertrampelt, auseinandergezerrt und die Einzelteile über das blutüberströmte Deck verteilt. Und ja, einige waren in den danebengegangenen Energien der Teleportation gefangen: Sie hatten sich auf furchtbare Weise mit den Stahlwänden und -türen verbunden, waren in Schotten gefangen und im Metall rematerialisiert, wo ihr Fleisch jetzt nahtlos in Stahl überging. Sie schrien um Hilfe, die es nicht geben konnte. Diese Crew hatte eine höllische Schlacht geschlagen, und wenige hatten überlebt, um davon zu berichten.
Ich fuhr meine Sicht und meine Rüstung herunter und sah die anderen an. »Schlechte Nachrichten, Leute. Ich bin ziemlich sicher, dass ich jetzt weiß, was der Eldridge damals in 1943 passiert ist - und das hat nichts mit dem Projekt Regenbogen oder irgendeinem anderen der Mythen und Geschichten rund um das Philadelphia-Experiment zu tun. Ich weiß nicht, was die ganze Technik, die man an Bord installiert hat, bewirken sollte, aber etwas davon ist mit einer Schwachstelle in der Realität in Berührung gekommen und hat ein lange ruhendes Portal zu einem anderen Ort geöffnet. Irgendwo … außerhalb unserer Realität. Und irgendetwas an diesem anderen Ort hat zugegriffen und die Eldridge durch das Portal gezogen.
Und dort ist etwas Schlimmes passiert, und die Eldridge musste sich ihren Weg freikämpfen. Sie ist wieder nach Hause gekommen, aber ihre Mannschaft hat einen hohen Preis gezahlt. Hunderte Tote und Schlimmeres als der Tod. Kein Wunder, dass die Marine das alles vertuscht hat. Kein Wunder, dass sie mit dieser Ausrüstung nie wieder experimentiert haben. Sie konnten nicht riskieren, das Portal wieder zu öffnen. Es könnte von drüben etwas durchkommen.«
Die anderen sahen mich einen Moment an. Sie alle wollten Fragen stellen, aber etwas in meinem Gesicht und meiner Stimme hinderte sie daran. Am Ende war es Walker, der alte Soldat, der es wagte, die erste Frage zu stellen.
»Sie wissen, wo die Eldridge landete?«, fragte er. »Sie wissen, wer sie geholt hat?«
»Ja«, sagte ich. »Sie kamen in das Land unter dem Hügel. Das Andere Land, die Feenkönigreiche. Der Ort, zu dem die Elben gegangen sind, als sie an der Sonne vorbeiwanderten und diese Welt hinter sich ließen. Die Elben haben das getan.«
Honey schürzte ihre Lippen, als wolle sie ausspucken. »Ich soll meinen Vorgesetzten in Langley also sagen, dass die Eldridge von Feen entführt worden ist?«
»Ich habe nie begriffen, worin das große Problem mit den Elben besteht«, sagte Peter. »Elben und Elfen sind doch nichts Furcht einflößendes. Spitzohrige Versager in mittelalterlichen Kostümen, die einfachen Sterblichen blöde Streiche spielen. Elfen sind doch nicht der Rede wert. Sie wären's auch nicht, wenn sie schwarzes Leder tragen würden und Cider tränken. Ich meine, seht euch den Blauen Elfen an.«
»Blue war nur Halbelb«, sagte ich. »Und er hätte dich an einem deiner besten Tage immer noch mit einer Hand erledigen können.«
»Ach, komm schon …«
Ich warf ihm einen bösen Blick zu, sodass er schwieg. »Die Einzigen, die man hier in dieser Welt zu Gesicht bekommt, sind die mit gebrochenem Geist. Die, die zurückgeblieben sind oder zurückgelassen wurden, weil sie nicht gut genug waren. Die Strandräuber der Feenwelt, die ihre restlichen Energien dazu benutzen, Menschen hereinzulegen, weil es das Einzige ist, das sie haben. Die wirklichen Elben … sind so viel mehr. Sie sind Ungeheuer. Nichtmenschlich. Seelenlos, unsterblich oder wenigstens so langlebig, dass das auch keinen Unterschied macht. Sie atmen Magie und schwitzen Zauberei aus. Sie können die Regeln der Magie einfach dadurch ändern, dass sie darüber nachdenken.
Wir haben ihnen diese Welt gestohlen. Nicht, indem wir sie besiegt haben oder indem wir besser waren, sondern indem wir einfach immer mehr wurden. Wundert ihr euch, dass sie uns nach all der Zeit immer noch hassen? In den Königreichen der Elben strotzen sie vor Macht. Sie können mit Magien und Technologien, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen, Dinge tun, von denen wir nicht einmal zu träumen in der Lage sind. Sie waren zuerst hier, und sie träumen immer noch von der Rückkehr und davon, schreckliche Rache an uns zu üben. Und wir werden dorthin gehen müssen, in die Elbenlande, an den Dunklen Hof, um die Wahrheit über das zu erfahren, was mit der Eldridge passiert ist.«
»Ich glaube nicht, dass ich das unbedingt will«, sagte Walker. »Ich habe schon Erfahrungen mit den Elben gesammelt, drüben in der Nightside. Den echten. Sie bedeuten nie etwas Gutes.«
»Ist es wahr, dass sie keine Seelen haben?«, fragte Honey. »Und dass das der Grund ist, warum sie unsterblich sind?«
»Nein … nicht ganz«, sagte ich. »Nicht Seelen, wie wir den Begriff verstehen. Die Elben sind ein altes Volk, sehr viel älter als die Menschen. Sie stammen aus einer Zeit, in der die Natur etwas ganz anderes war als heute. Unsere Regeln und Bindungen gelten für sie nicht, aber auf der anderen Seite haben sie auch nicht unsere Sicherheit. Wie Leben und Tod, Gut und Böse, Himmel und Hölle.«
»Ich sehe trotzdem nicht ein, warum wir dorthin gehen sollten«, sagte Peter finster. »Du hast gesehen, wie sie die Eldridge an sich gerissen haben, was brauchen wir denn noch?«
»Glaubst du wirklich, dass deinem Großvater mein Wort reicht?«, fragte ich. »Ich nicht. Er wird Fakten haben wollen, Details, Beweise. Keiner wird den Preis gewinnen, außer er kann die vollständige Geschichte erzählen. Außerdem - die Technologie auf der Eldridge hat ein Tor zwischen Philadelphia und dem Land unter dem Hügel geöffnet, und ich denke, das ist immer noch da. Ein Schwachpunkt in der Welt, eine mögliche Tür, die nur darauf wartet, von der einen oder der anderen Seite aufgestoßen zu werden. Eine verletzliche Hintertür, durch die die Elben vielleicht eines Tages eine Invasion starten. Das müssen wir untersuchen.«
»Was meinst du mit ›wir‹, Bleichgesicht?«, fragte Peter sofort.
»Und bist du sicher, dass es die Elben sind, Eddie?«, fragte Honey, Peter ignorierend. »Du solltest dir da sicher sein, bevor wir es riskieren, sie zu stören.«
»Die Eldridge verschwand in einem grünen Nebel«, sagte ich bestimmt. »Der hatte nichts mit elektromagnetischer Strahlung oder Unsichtbarkeit auf dem Radar zu tun. Die grünen Nebel sind einer der traditionellen Wege, die die Feen nutzen, um eine Öffnung zwischen ihrer und unserer Welt zu verschleiern. Dieser Nebel war voller Magie und ich erkenne elbische Magie, wenn ich sie sehe.«
»Das Land unter dem Hügel«, murmelte Peter. »Die Elbenlande. Die Königreiche der Feen. Wie viele Namen hat dieser Ort eigentlich?«
»So viele er braucht«, sagte Walker. »Die alte Magie beinhaltete, dass wenn man den Namen eines Dings wusste, man auch die Macht darüber besaß. Also sorgen die Feen in dieser Sache gern für Verwirrung. Es passt zu ihrer eher sprunghaften Natur. Sie sind nicht festgelegt und bestimmt, so wie wir. Sie sind vieles gleichzeitig. Mehr als wir und auch weniger. Großartiger als wir, aber dennoch auf manche Weise kindlicher. Die einzigen menschlichen Qualitäten, die sie haben, sind die, die sie uns abgeguckt haben, weil es sie amüsiert.« Er wandte sich um und sah mich an. »Selbst wenn wir dieses Portal schließen können, gibt es andere. Andere Arten, die Elbenkönigreiche zu betreten. Die Straße der Götter in der Nightside, der Durchgang in Schattenfall. Ein tiefer Tunnel unter einer kleinen Stadt im Südwesten Englands. Es gibt Öffnungen und Schwachpunkte überall in der Welt, auch wenn man sie glücklicherweise vergessen hat oder sie in der Regel übersieht.«
»Aber wenn dieses Portal ein unbekannter Eingang ist, den man nicht vermutet, dann müssen wir ihn schließen«, sagte ich fest. »Oder die Feen davon überzeugen, ihn auf ihrer Seite zu schließen, wenigstens lang genug für uns, um die üblichen Verteidigungen und Beobachtungsposten einzurichten.«
»Ich begreife immer noch nicht, was die Elben mit einem Schiff der US-Marine wollten«, sagte Honey.
»Wir werden sie einfach fragen müssen«, sagte ich. »Wenn wir dort sind. Das ist ein Rätsel, das wir lösen müssen, nicht nur für uns, sondern für die ganze Menschheit. Wir können die Elben nicht in dem Glauben lassen, dass sie einfach nur die Hand ausstrecken müssen und uns greifen können, wenn ihnen danach ist. Ich denke, wir müssen mal ein ernstes Wörtchen mit ihnen darüber reden. Seid ihr dabei?«
»Nicht, wenn du so ungezogen zu den Elben bist«, sagte Honey sofort. »Das mögen sie nicht. Und ich trage meine Organe gern innerhalb des Körpers, wohin sie auch gehören.«
»Ich werde die ganze Zeit höflich und diplomatisch bleiben«, versprach ich. »Bis zu dem Punkt, an dem ich mich entscheide, das nicht mehr zu sein, und eine klassische Schlägerei für sinnvoller halte. Keine Sorge, ich werde euch rechtzeitig vorwarnen, damit ihr euch ducken könnt. Walker?«
»Wir müssen gehen«, sagte Walker. »Die Pflicht ist eine herbe Geliebte, aber sie verlangt nicht mehr von uns als nötig ist.«
»Ich wusste schon immer, dass Sie kitschig sind«, sagte Honey. »Langley ist übrigens ganz still geworden. Ich habe sie auf den neuesten Stand gebracht und um Anweisungen gebeten. Sie schieben den Schwarzen Peter so schnell hin und her, dass einem schwindlig wird. Also lasst uns einfach gehen, bevor mir das noch einer verbietet. Keiner krallt sich ein US-Schiff und seine Mannschaft und kommt davon, solange ich etwas zu sagen habe.«
Wir sahen alle auf Peter, der mit den Achseln zuckte. »Ihr habt recht. Großvater wird seinen kostbaren Preis nicht für eine unvollständige Geschichte ausspucken. Ich bin dabei.«
»Wie viel weißt du eigentlich über Elben, Eddie?«, fragte Honey. »Ich weiß genug, um mir ernsthaft Sorgen um diese Sache zu machen.«
»Genau«, sagte Peter. »Die beste Weise, den Kampf mit einem Elben zu gewinnen, ist, wie angestochen abzuhauen, bevor er überhaupt weiß, dass man da ist.«
Wir alle sahen ihn an.
»Ich dachte, du hättest keine Angst vor Elben«, sagte ich. »Wann genau während deiner Zeit als Industriespion hattest du noch mal Kontakt mit den Elben?«
Er zuckte ärgerlich mit den Schultern. »Ich komme eben rum. Man hört so einiges. Selbst in meiner Branche folgt mir Großvaters Ruf. Alles, was auch nur den Anschein des Seltsamen hat, landet auf meinem Schreibtisch. Das ist einer der Gründe, warum ich so hart gearbeitet habe, um eine möglichst große Entfernung zwischen seiner und meiner Welt aufrechtzuerhalten. Alles, was ich jemals wollte, war ein gesundes, vernünftiges und normales Leben. Das ist sicherer. Ich habe von Elben gehört. Aber ich glaube nicht die Hälfte davon.«
»Na, wie's aussieht, kriegst du jetzt wohl auf die harte Tour einen Schnellkurs«, sagte Honey. »Versuch, dabei nicht zu heulen.«
Peter schnaubte laut. »Ich glaube, es gefiel mir besser, von dir geschlagen zu werden.«
»Der Blaue Elf war ein Gast des Feenhofs, kurz bevor er zu uns kam«, meinte ich. »Nach dem, was er sagte, gab es dort einige Umwälzungen. Er sagte, dass Königin Mab zurückgekommen sei, nach Jahrhunderten des Exils, und jetzt auf dem Elfenbeinthron sitze. Was die Frage aufwirft, was mit Oberon und Titania passiert ist. Gab es in den Elbenlanden einen Bürgerkrieg? Wer ist drin, wer draußen, wer wurde furchtbar verstümmelt und entstellt? Könnte einen großen Unterschied machen in dem, was wir vernünftigerweise erwarten können. Ich meine, Oberon und Titania waren vielleicht flatterhafte Psychopathen mit einem echt unerfreulichen Sinn für Humor, aber wenigstens waren sie eine einschätzbare Größe. Meine Familie war in der Lage, in der Vergangenheit das eine oder andere Abkommen mit ihnen abzuschließen. Mab … ist eine unbekannte Größe.«
»Warum wurde sie ins Exil geschickt?«, fragte Honey.
»Das weiß keiner«, sagte Walker. »Die Elben haben darüber nie gesprochen. Ich habe auch gehört, dass Mab zurück sein soll; ein Elb tauchte in der Nightside auf und bat um Zuflucht. Nicht, dass wir viel für ihn hätten tun können. Irgendjemand hatte den armen Kerl von innen nach außen gedreht. Wir haben ihn dann getötet. Es war freundlicher.«
»Glaubt ihr wirklich, wir kriegen Antworten, vielleicht sogar Zugeständnisse von den Elben?«, fragte Honey. »Sie lassen keine Gelegenheit aus, uns eins auszuwischen! Stolz ist alles, was sie haben.«
»Nein«, sagte Walker sofort. »Es ist komplizierter als das. Es sind immer Elben mit irgendwelchen Aufträgen in der Nightside unterwegs, und ich hatte öfter mit ihnen zu tun. Ich kann nicht sagen, dass ich jemals einen näher kennengelernt hätte. Sie sind einfach zu anders. Auf ihre Weise sind sie sogar ehrenhaft. Nur sind sie das nicht auf eine auch nur annähernd menschliche Art. Sie bewundern Mut, Wagnisse und schieren Wahnsinn. Glauben Sie wirklich, Sie können die Elben dazu bringen, etwas zu tun, was sie gar nicht wollen, Eddie?«
»Natürlich«, sagte ich. »Ich bin ein Drood.«
»Das wird alles in Tränen enden.«
»Halt die Klappe, Peter«, sagte Honey.
»1943 war Mab noch … verschwunden«, sagte ich. »Also, was auch immer mit der Eldridge passierte, Oberon und Titania sind dafür verantwortlich. Vielleicht können wir das benutzen. Aber die eigentliche Frage ist: Wenn die Elben das Schiff geholt haben, warum ließen sie es wieder gehen? Die Eldridge sah aus, als wäre sie durch einen harten Kampf gegangen, aber selbst dann wären ihre Waffen nicht genug gewesen, um die Elben von irgendetwas abzuhalten.«
»Nein«, sagte Honey und sah über das Wasser. »Die entscheidende Frage ist, ist der Schwachpunkt noch da draußen? Ist das Portal noch da? Und wenn es das ist - kannst du es öffnen, Eddie?«
»Das sind drei Fragen«, sagte Peter. »Aua! Verdammt, Walker, das hat wehgetan!«
»Gut«, sagte Walker. »Das sollte es auch.«
»Es ist, als würde ich mit einem verdammten Kindergarten arbeiten«, sagte ich und warf böse Blicke um mich. »Können wir bitte beim Thema bleiben? Alles, was wir brauchen, ist ein Boot, das uns da rausbringt, und ich kann den Rest erledigen. Aber ich nehme keinen von euch mit, solange ich nicht sicher bin, dass ihr das ernst nehmt. Es besteht eine echt große Chance, dass die Elben uns beim ersten Anblick töten. Wir haben dafür gesorgt, dass sie die Droods respektieren, aber sie haben seit Kurzem guten Grund, meine Visage zu hassen.«
»Na klasse«, sagte Peter. »Das wird ja immer besser. Was hast du getan, in ihren Wunschbrunnen gepinkelt?«
»Ich habe eine ganze Bande von Elbenlords und -ladies getötet«, sagte ich.
Honey und Walker sahen mich scharf mit einem Gesichtsausdruck an, den ich für Respekt zu halten geneigt war. Selbst Peter sah mich auf eine neue Art an.
»Ich glaube, ich schicke Langley eine Express-Bestellung für ein paar wirklich große Wummen«, sagte Honey.
»Netter Gedanke«, erwiderte ich. »Aber die würden nichts nützen.«
»Wie planen Sie, in die Anderen Lande zu gehen?«, fragte Walker. »Ich war nicht sicher, ob so etwas möglich ist, sogar für die legendären Droods. Selbst wenn es da eine Schwachstelle gibt …«
»Blue hat einen Torques von den Droods gestohlen«, sagte ich. »Auch wenn er nicht gelernt hat, damit umzugehen, sonst würde er jetzt noch leben. Wie auch immer, nachdem er gestorben war, habe ich einen Zauber, der in seinem elbischen Brustharnisch eingraviert war, benutzt, um ihn nach Hause zu schicken. Meine Rüstung hat den Spruch gespeichert, und ich kann ihn benutzen, um die Schwachstelle zu durchstoßen.«
»Ich wusste gar nicht, dass Ihre Rüstung das kann«, sagte Walker.
»Es gibt eine ganze Menge Dinge, die ich tun kann, ohne das andere davon wissen«, sagte ich leichthin.
Aber das war keins davon. Meine Rüstung besteht aus seltsamer Materie, nicht aus Magie. Das ist etwas ganz anderes. Ich hatte einen anderen Plan, um uns da durchzulotsen. Als Blue uns den Torques gestohlen hatte, hatte er ihn zum Feenhof gebracht, und sie hatten ihr Zeichen darauf hinterlassen. Als ich Blues Torques mit meinem verschmolzen hatte, waren diese Änderungen Teil meiner seltsamen Materie geworden: Änderungen, denen ich zu ihrem Ursprung folgen konnte. Ich konnte jetzt in die Elbenlande einbrechen, wann immer es mir gefiel.
Warum belog ich also meine Begleiter? Um sie in die Irre zu führen und sie wachsam zu halten. Um etwas für mich zu behalten. In der Spionage nutzt man Vorteile, wo man sie kriegen kann.
Honey benutzte ihre CIA-Kontakte, um uns ein Boot zu mieten. Es war kein sehr großes Boot, nur etwas, um Touristen darin herumzuschippern, aber es war zur Hand und wir hatten es eilig. Und es war nicht so, als bezahlten wir nicht dafür. Die Straße der Hoffnung war nur wenig mehr als eine lange Kabine über einem antiquierten Motor, an dessen Rumpf die Farbe abblätterte, aber es sah sicher genug aus. Honey fand eine ausrangierte Kapitänsmütze, die sie aufsetzte, und übernahm das Steuerrad, als habe sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Walker trat zimperlich an Bord, stupste Sachen mit der Spitze seines Regenschirms an und schüttelte traurig den Kopf. Peter stand zitternd am Dock. Ihm widerstrebte es offenbar, an Bord zu gehen.
»Ihr macht Witze«, sagte er unglücklich. »Bestimmt könnten wir was Besseres finden als diesen Schrotthaufen?«
»Dieser Schrotthaufen ist absolut seetüchtig«, sagte Honey mit Nachdruck. »Das ist alles, worauf es ankommt. Wir werden technisch gesehen nicht einmal außer Sichtweite des Ufers kommen. Außerdem ist es das beste Boot, das wir kriegen können. In so kurzer Zeit.«
»Du bist doch CIA«, sagte Peter nicht ganz unüberlegt. »Könntest du mit der Begründung, es ginge um die nationale Sicherheit, nicht etwas Verlässlicheres bekommen?«
»Wir sollen unauffällig bleiben«, sagte Honey. »Wenn ich mit solchen Phrasen um mich werfe, dann fallen die örtlichen Behörden über uns her. Und jetzt komm an Bord, oder ich lasse dich kielholen. Oder sonst irgendetwas Seemännisches und Quälendes.«
»Ich hätte nie Ja und Amen zu allem sagen dürfen«, murmelte Peter und kroch an Bord.
Ich sah Honey über die Schulter und studierte die Instrumente vor ihr. Sie sahen vertrauenerweckend modern aus und so, als würden sie größtenteils funktionieren.
»Bist du sicher, dass du dieses Ding steuern kannst?«, fragte ich und versuchte, mir meinen Zweifel nicht anmerken zu lassen.
»Was ist los?«, fragte Honey und grinste breit. »Gibt's da vielleicht was, mit dem der allmächtige Drood- Agent nicht umgehen kann?«
»Ich kann alles fahren, das modern ist«, verteidigte ich mich. »Aber hast du die Maschinen von dieser Badewanne gesehen? Ich wäre nicht überrascht, wenn die mit Kohlen laufen. Oder ein Uhrwerk haben.«
»Ich könnte diese Badewanne durch das Bermuda-Dreieck steuern und auf der anderen Seite wieder heraus«, sagte Honey. »Sie ist sicher. Ist nichts dabei. Alles itzibitzi.«
Walker sank in einen alten Ledersessel, der bei jeder Bewegung laut knirschte. »Dann volle Fahrt voraus, Kapitän.«
»Ich warte immer noch auf Peter. Peter! Wo bist du?«
»Ich bin hier, ich bin hier!« Er schlich in die Kabine, sah sich über die Schulter um und schnüffelte jämmerlich. »Ich hasse Boote, und ich hasse das Wasser. Besonders hasse ich, wenn Boote auf und ab schaukeln, wenn sie übers Wasser fahren. Ich weiß genau, mir wird richtig schlecht werden. Das Essen war wirklich lecker, aber ich wollte es eigentlich nicht so bald wiedersehen.«
»Das Wasser ist absolut ruhig«, sagte Honey geduldig. »Und es steht nicht eine Wolke am Himmel. Wenn die Wasseroberfläche noch glatter wäre, dann könntest du darauf Rollschuh laufen.«
»Es sieht aber nach etwas ganz anderem aus«, sagte Peter düster. »Es plant etwas. Das weiß ich genau.«
»Keine Sorge«, meinte Walker. »Ich kenne ein unschlagbares Mittel gegen Seekrankheit.«
»Wirklich?«, fragte Peter.
»Natürlich. Sich unter einen Baum setzen.« Er lachte leise, als er Peters Gesichtsausdruck sah. »Ah, die alten Scherze sind doch die besten.«
Wir ließen den Hafen von Philadelphia mit gleichmäßiger Geschwindigkeit hinter uns und steuerten auf die Mitte des Flusses. Die Straße der Hoffnung tuckerte fröhlich ihres Wegs, die Maschinen klangen laut und beruhigend gleichmäßig. Peter klammerte sich verbissen an den Armen seines Sessels fest, aber das Wasser blieb ruhig. Honey stand glücklich am Steuerrad, pfiff ein Seemannslied vor sich hin und hatte die Kapitänsmütze in den Nacken geschoben. Ich tat mein Bestes, ihr die richtige Richtung zu weisen, aber alles, was ich wirklich tun konnte, war, ihr die Stelle zu zeigen, an der ich die Eldridge 1943 in den grünen Nebeln hatte verschwinden sehen. Es war absolut möglich, dass die Schwachstelle sich seitdem verschoben hatte. Trotzdem, Honey steuerte die Straße der Hoffnung in genau die richtige Richtung, und wir drückten uns mental gesehen die Daumen.
Wir waren noch nicht lange auf dem Wasser, als am Himmel dunkle Wolken aus dem Nichts auftauchten. Der Wind frischte auf, und die Wellen wurden unruhiger. Honey starrte die Instrumente vor sich böse an.
»Die Wetterberichte haben nichts von einem Sturm gesagt. Es soll den ganzen Tag sonnig und warm bleiben. Na, da haben wir jetzt mal Wetter. Haltet euch fest, alle miteinander. Jetzt wird's holprig.«
»Hab ich doch gesagt«, jammerte Peter.
»Peter, Sie sind das«, sagte Walker ruhig aus seinem Sessel heraus. »Sie sind schuld. Sie sind ein Fluch. Oder vielleicht ein Unglücksrabe. Wie Jona seinerzeit. Wenn ich einen Wal sehe, dann gehen Sie über Bord.«
Ich benutzte meine Sicht ohne die Rüstung. So nah an der bewussten Stelle brauchte ich sie nicht. Der Schwachpunkt hing direkt über uns in der Luft, fremde magische Kräfte wirbelten ihn wie einen Vortex herum. Unsere Annäherung hatte ihn irgendwie aktiviert; vielleicht war es mein Torques oder auch die Änderungen, die Blue an seinem Torques vorgenommen hatte. Das Portal formte sich, wurde solider und zog uns an. Allein seine Anwesenheit hier in unserer Welt war genug, um die Wetterbedingungen zu ändern. Je näher wir dem Ding kamen, desto mehr konnte ich sehen und desto weniger mochte ich es. Das hier war nicht einfach nur eine Schwachstelle oder eine natürliche Öffnung. Jemand hatte hier eine anständige Tür geformt und immer einen Spalt offen gehalten; entgegen allen Kräften dieser Welt, sich selbst zu heilen. Jemand wollte, dass diese Tür benutzt wurde.
Eine wachsende Spannung erfüllte die Kabine der Straße der Hoffnung, je näher wir dem Portal kamen. Wir alle konnten es fühlen: eine grundsätzliche Störung in Tonus und Schwingung der Welt, die uralte atavistische Instinkte weckte und an unseren Seelen kratzte. Die Spannung wurde schlimmer, wie das Damoklesschwert, das über unseren Köpfen hing, wie eine Gefahr, auf die wir zeigen, aber die wir nicht identifizieren konnten. Ich fühlte mich, als ginge ich die letzten Meter zu meiner Hinrichtung. Das musste man Honey lassen: Sie zuckte nicht mit der Wimper, wechselte nicht den Kurs und verlangsamte auch nicht unsere Annäherung.
Ich konnte das Portal über uns in der Luft hängen sehen. Es wartete auf uns und zog uns mit böser Absicht an. Ein Zusammenspiel von Kräften, als ob jemand mit einer gewaltigen Hand Raum und Zeit genommen und sie irgendwie gedreht hätte. Und je näher ich kam, desto mehr realisierte ich, dass das nicht unbedingt ein echtes Tor war, sondern eher ein potenzielles Tor. Deshalb hatte meine Familie hier auch nie eines vermutet. Es war nicht fest genug, um unsere Alarme und Verteidigungen auszulösen. Als ob die Elben es geöffnet hatten und dann weggegangen waren, um einfach auf die richtige Person zu warten, die vorbeikam und es aktivierte. Und ihnen in die Falle lief.
Es musste eine Falle sein. Bei den Elben ist es immer eine.
Um die Straße der Hoffnung materialisierten jetzt Schwaden von grünem Nebel aus dem Nichts; lange grüne Schwaden, die sich wanden und in der Luft drehten, während sich das Boot auf den zunehmend hohen Wellen hob und senkte. Die Nebel wurden immer dichter: Elfenmagie, die von unserer Annäherung an das Portal beschworen wurde. Der dicke grüne Nebel schnitt uns von unserer Welt ab, beugte die Gesetze unserer Realität, um den Übergang in das Land unter dem Hügel leichter zu machen. Walker und Peter sprangen aus ihren Sesseln auf und eilten zu Honey und mir ans Steuerrad herüber. Wir alle spürten das Bedürfnis nach einfachem menschlichem Kontakt.
Das Boot wurde jetzt hin und her geworfen, der Nebel waberte überall um uns herum. Honey kämpfte darum, die Straße der Hoffnung auf Kurs zu halten. Es fühlte sich an, als ließen wir alle Sicherheit hinter uns. Wir verloren alles, worauf wir uns immer hatten verlassen können. Als ob das Schiff selbst hätte auseinanderfallen und in den grünen Nebeln verschwinden können …
»Wir sind fast da«, sagte Walker. »Ich kann das Portal direkt vor uns spüren. Es fühlt sich an, als versuche man, ein Fass Schießpulver niederzustarren.«
»Ich spür' das nicht«, sagte Honey. »Ich fühle gar nichts. Außer dass es plötzlich wirklich kalt hier drin ist. Und meine Haut prickelt, wie das Gefühl, das man hat, kurz bevor einen der Blitz trifft. Und ich bin nicht mehr sicher, ob ich das Boot steuere. Das Steuerrad setzt mir keinen Widerstand mehr entgegen, aber es antwortet mir auch nicht. Ich glaube, dieses Boot weiß, wo es hin soll.« Sie nahm die Hände vom Steuerrad, und nichts passierte. Die Straße der Hoffnung war immer noch auf Kurs.
»Dieser Sturm wird schlimmer!«, schrie Peter über das Heulen der immer stärker werdenden Böen draußen hinweg. »Hört doch!«
»Ich glaube nicht, dass das der Sturm ist«, sagte ich. »Das Portal öffnet sich.«
»Also sind wir sicher, wenn wir erst mal durch das Tor sind?«
»Naja«, sagte ich. »So weit würde ich jetzt nicht gehen.«
»Ich will nach Hause«, jammerte Peter.
Der grüne Nebel kochte jetzt um uns herum; dichte, flaschengrüne Schwaden, die uns von der Außenwelt trennten und isolierten. Seltsame Lichter flammten auf und leuchteten in die Kabine. Sie schmerzten, wo sie die nackte Haut berührten, und bewirkten, dass sie sich vor Widerwillen zusammenzog. Da war etwas grundsätzlich Unsauberes an diesem Nebel. Er roch nach Schwefel und Blut und seltsamen Tiergerüchen. Es war schwierig, etwas zu erkennen, selbst innerhalb der Kabine. Die Straße der Hoffnung gab Gas, sie stampfte und rollte bei weitem nicht mehr so stark, aber sie wurde jetzt schneller und schneller, wie ein Zug, der sich beschleunigte.
»Ein Problem«, sagte ich.
»Nur eins?«, fragte Honey prompt. »Mir fallen Hunderte ein!«
»Durch das Portal durchzukommen wird kein Problem«, sagte ich. »Ich glaube, es erkennt meinen Torques. Aber wieder zurückkommen - das könnte sich etwas schwierig gestalten.«
»Großartig«, sagte Peter. »Warum springen wir beide nicht einfach über Bord und schwimmen zurück?«
»Das würde ich nicht tun«, sagte Walker. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nicht mehr in unserer Welt als solche sind. Kein Wasser, kein Himmel, nur grüne Nebel. Wir sind jetzt in einem anderen Ort, der Zwischenwelt. Und sie stinkt ganz schön übel.«
»Wirf dich selbst über Bord«, meinte ich, »und keiner kann wissen, wo du landest.«
»Ich würde jetzt gern ein bisschen heulen, wenn das keinen aufregt«, sagte Peter.
»Halten Sie die Ohren steif, Mann«, sagte Walker. »Zeigen Sie Schwäche vor den Elben, und Sie nehmen Ihre Hoden in einer Tragetasche nach Hause.«
»Das ist wirklich nicht hilfreich«, sagte Peter.
»Es ist nicht, als würden wir allein da reingehen«, sagte Honey. »Ich gehöre zur CIA, schon vergessen? Ich kann gute Verstärkung, Unterstützung und schmutzige Tricks herholen, an die Elben niemals denken würden.«
»Das wird sie nicht kümmern«, sagte Walker. »Ich spreche für die Nightside. Ich habe mächtige Freunde und auch Feinde, die sicher kommen, wenn ich sie rufe, oder die meinen Tod rächen würden. Aber die Elben werden uns immer noch töten, wenn sie einen Grund dafür haben, oder vielleicht tun sie das auch, wenn sie keinen haben. Es sind Kreaturen des Augenblicks und der Bosheit, und sie kümmern sich kein bisschen um die Konsequenzen.«
Honey sah mich an. »Aber du bist ein Drood, Eddie. Du hast sogar für eine Weile deine Familie geführt, sie würden es nicht wagen, dich anzurühren.«
»Die Elben würden das wagen«, erwiderte ich. »Das ist es, was sie tun. Meine Familie würde sicher meinen Tod rächen und dem Anderen Land fürchterliche Dinge antun, aber die Elben würden dennoch tun, was sie wollen. Keiner kann sie einschätzen oder bestrafen. Und - wie ich schon sagte - die Elben haben guten Grund, mich töten zu wollen. Oder Schlimmeres.«
»Vielleicht hätten wir Sie zurücklassen sollen«, meinte Walker.
»Ohne mich würden Sie doch gar nicht erst reinkommen«, antwortete ich.
»Du sagst das, als wäre das etwas Schlimmes«, sagte Peter.
»Also«, meinte Honey. »Keine Unterstützung und keine Drohungen, die wir benutzen können, um unsere Position zu stärken. Nicht gerade das, was ich hören wollte.«
»Hat die CIA jemals mit den Elben direkt zu tun gehabt?«, fragte Peter. »Nicht, dass mich das besonders kümmern würde, verstehst du, ich will nur etwas reden, um nicht an all die schrecklichen Dinge zu denken, die auf uns warten.«
»Sehr verständlich«, meinte Honey. Sie drehte schwungvoll am Steuerrad und sah dann zu, wie es hin und her schaukelte und die Straße der Hoffnung nicht im Geringsten beeinflusste. »Wenn die CIA jemals direkt mit den Elben zu tun hatte - was möglich ist, denn sie hatte zu ihrer Zeit mit weit schlimmeren Dingen zu tun, wenn es nötig war; und nein, ich werde keine Details erzählen -, dann hätte das auf einem weit höheren Level als meinem stattgefunden. Mir wird nur gesagt, was ich wissen muss, wenn ich es wissen muss.«
»Vertrau mir«, sagte ich. »Die Elben sind mächtige Kreaturen, ja, aber tief im Herzen sind sie nichts weiter als eine Bande von aristokratischen Snobs, die denken, sie seien besser als alle anderen. Und ich hatte schon mein ganzes Leben mit solchen Ekelpaketen zu tun. Ich bring uns da rein, und ich werde uns wieder rausbringen, und vielleicht kriege ich auch die Ehrenbürgerschaft und eine große Pralinenschachtel mit auf den Heimweg, wenn ich schon mal dabei bin.«
»Das war's«, sagte Peter. »Jetzt deliriert er.«
»Einem Drood vertrauen?«, fragte Honey. »So verzweifelt stehen die Dinge nicht. Noch nicht, jedenfalls.«
»Aber wir sind verdammt nah dran«, murmelte Peter.
»Halten Sie die Klappe, Peter«, sagte Walker nicht unfreundlich.
Der grüne Nebel füllte jetzt die Kabine, dick und unnachgiebig. Ich konnte nichts mehr in dem Raum erkennen. Nichts mehr sehen außer Honey, Walker und Peter. Wir streckten die Arme aus und hielten uns an den Händen, um sicherzugehen, dass wir nicht getrennt würden. Wir alle atmeten schwer, als ob immer weniger Sauerstoff im Nebel enthalten sei. Er roch wie verfaulte Blumenblätter aus anderen Welten, wie eine Brise, die von fremden Meeren herkam, wie der Geruch von aufgehäuften Leichen von Wesen, die in unserer Welt nie hätten überleben können. Es roch nach Elben. Der Gestank erreichte meine Nackenhaare und zog an meinen tiefsten Ängsten. Als ob meine DNA selbst sich an die Elben erinnerte und sich bei dem Gedanken wand, ihnen wieder zu begegnen.
Alles völlig normal und vernünftig. Jeder Mensch bei Verstand hat Angst vor den Elben. Aber ich bin schon hier gewesen, war in den Feenhöfen gewandelt und wusste, wie man mit ihnen umgehen musste. Wenn man nur lange genug am Leben blieb.
Die Straße der Hoffnung fiel plötzlich, als ob das Wasser unter ihr weggezogen worden sei. Wir fielen ebenfalls, alle viere von uns gestreckt, und schrien auf, als wir gezwungen waren, einander loszulassen. Die grünen Nebel flogen in alle Richtungen davon und enthüllten das Portal, das offen und lockend vor uns hing. Ich konnte es nicht direkt ansehen, es tat meinen Augen und meinem Verstand weh. Es war nicht real, so wie wir reale Dinge begreifen. Es war eine Beleidigung von allem, was Menschen über die Funktionen des Universums zu wissen glauben. Elbenmagie, Elbendenken.
Ich sprach die aktivierenden Worte, und die goldene Rüstung glitt innerhalb eines Augenblicks um mich herum, umarmte mich fest wie ein Freund oder eine Geliebte, entschlossen, sich zwischen mich und alle Gefahren zu stellen. Ich nahm mich selbst zusammen und zwang mich, durch meine goldene Maske direkt durch das Portal hindurchzusehen. Es tat immer noch scheißweh, aber ich konnte es aushalten, vielleicht, weil die seltsame Materie des Torques genauso unnatürlich war wie dieses Elbenkonstrukt.
Wir bewegten uns nicht. Das Boot schwebte und wurde gehalten, wo es war: am Rand des Ereignishorizonts, als ob das Portal auf etwas wartete. Ich streckte eine goldene Hand aus und stieß sie in die Energien, die vor mir pulsierten. Ich hielt sie fest und zog dann mit all meiner gerüsteten Kraft. Das Boot schoss nach vorn, und wir waren wieder auf dem Weg.
Das Portal entfaltete sich ständig vor mir, wie eine riesige unirdische Blume, die in endlosen Iterationen blühte, bis sie uns schließlich verschluckte und wir hindurchkamen. Wir ließen die Welt hinter uns.
Und so kamen wir in die Anderen Lande, das Land unter dem Hügel. Die Welt, die die Elben für sich geschaffen hatten, nachdem sie die Erde verließen. Keiner weiß genau, warum. Die Elben haben die Menschheit sicher nicht verlassen, um ihnen etwas Gutes zu tun oder weil sie irgendeine menschliche Autorität über die Welt anerkannt hätten. Einige sagen, wir sind einfach zu viele geworden und haben sie von ihrem eigenen Land verjagt, weil wir uns so viel schneller fortpflanzen als die langlebigen Elben. Ihr Stolz hätte ihnen nicht erlaubt, hinter uns an die zweite Stelle zu treten. Einige sagen, dass die Elben einen Kampf gegen etwas oder jemanden geführt haben und darüber nach wie vor nicht reden. Sie hätten Krieg geführt und verloren, also seien sie an einen sichereren Ort geflüchtet. Und ein paar andere sagen, dass die Droods den sicheren Hafen für die Elben gefunden hätten, was der Grund dafür sei, dass sie uns immer noch respektieren und hassen.
Man sagt eine Menge über die Elben. Glauben Sie, was sie wollen oder was Ihnen am besten gefällt. Die Elben kümmert das nicht.
Ich rüstete ab. Die Straße der Hoffnung schipperte jetzt auf ganz anderem Wasser; unter einem pinkfarbenen Himmel, an dem drei Monde tief standen und eine Sonne zu hell schien, als dass man direkt hätte hinblicken können. Lange Kielwellen breiteten sich langsam vom Boot her aus, als wir geradewegs zu einem einfachen Hafen voraustuckerten. Das Wasser war dick und zähflüssig, fast wie Sirup, ein halbes Dutzend Farben wirbelte darin wie auf der Palette eines Malers. Weit, weit unter uns schwammen große dunkle Schatten um die Straße der Hoffnung herum und begleiteten uns ans Ufer.
Wir kamen an den gewaltigen Elbenschiffen vorbei, die groß und graziös auf den bunten Wassern standen. Altmodische Dreimaster mit sich blähenden Segeln und zierlichen Bootskörpern aus Metall, dünn wie Folie, anmutig wie Blütenblätter, stark wie die Ewigkeit. Die Segel waren aus gefärbten Häuten genäht, die Takelage so aufwändig wie die delikateste Spitze oder Spinnweben. Niemand stand an Deck oder an den Steuerrädern, und keines der Schiffe bewegte sich trotz eines böigen Winds auch nur ein bisschen. Wir bewegten uns zwischen diesen schlafenden Riesen wie kleine Kinder, die durch die Welt der Erwachsenen kriechen.
»Das sind eher Kunstwerke als Fahrzeuge, mit denen man arbeitet«, sagte Walker. »Wie der Traum eines Schiffsdesigners …«
»Sie sind real genug«, sagte ich. »Ihre Segel werden aus den gegerbten Häuten ihrer unterlegenen Feinde gemacht.«
»Einschließlich Menschen?«, fragte Peter.
»Aber ganz sicher!«, erwiderte ich.
Wir alle standen in der Kabine sehr dicht beieinander und sahen den Hafen auf uns zukommen. Eine einfache Konstruktion, die aus Tausenden von Knochen erbaut war, die perfekt ineinander passten. Auf jeder Seite des Hafens standen zwei große Elbenstatuen aus einem dunklen, grün geäderten Marmor. Sie ragten über uns auf; mehr als zwanzig Meter hoch, wie der legendäre Koloss von Rhodos. Wenigstens dachte ich, es seien Statuen, bis sie langsam die großen Köpfe drehten, um uns zu beobachten.
Hinter den Docks lagen weite Flächen von grünem Land. Nicht unbedingt Gras oder Moos, aber doch ähnlich genug, um den Anschein zu erwecken, und in einer Schattierung, die so grell und lebendig war, dass sie beinahe glühte. Und über diese friedliche grüne Landschaft kamen sie in perfektem Gleichschritt - die Elben. Tausende von ihnen. Schließlich kamen sie mit einem Ruck zum Stehen, direkt an der Grenze des Landes, überall um den Hafen herum. Sie standen aufrecht und gerade in perfekter Aufstellung. Tausende von Elben, die unglaublich still standen und die Straße der Hoffnung mit kalten, glühenden Augen erwarteten.
Sie waren elegant, groß und edel und sehr viel gefährlicher als die gebrochenen Elben, die ich auf der Erde zu sehen gewohnt war.
Die Straße der Hoffnung glitt professionell in die Docks hinein. Wir alle zuckten zusammen, als die Maschinen ausgingen, ohne dass wir vorher gewarnt worden wären. Wir sahen uns an. Dann verließen wir die Kabine und kamen an Deck.
Keiner von uns machte Anstalten, an Land zu gehen. Wenn man eine ganze Elbenarmee vor sich hat, die einen studiert, still und unerbittlich, reicht das, um jeden erstarren zu lassen. Ich hätte aufrüsten können, einfach nur, um ihnen zu zeigen, wer ich war und wen ich repräsentierte, aber das tat ich nicht. Mich selbst in meine schützende Rüstung zu hüllen hätte man als Zeichen von Furcht oder gar Schwäche werten können. Und kein Mensch kann sich leisten, für schwach gehalten zu werden, wenn er mit Elben zu tun hat. Aus der Nähe sahen sie beinahe schmerzhaft schön aus. Manche hielten das für nichts weiter als eine Art Tarnung, eine schützende Projektion, aber das ist nicht ganz richtig. Die Elben können, so scheint es zumindest, alles sein, was sie wollen. Besonders hier, in der Welt, die sie sich selbst geschaffen haben.
»Was tragen sie da?«, fragte Walker sehr leise. »Irgendeine Art von Rüstung?«
»Vielleicht aus Porzellan?«, fragte Honey genauso leise. »Obwohl, wie sind die einzelnen Teilchen bloß verbunden? Sieht so aus, als würden sie sich unabhängig voneinander bewegen …«
»Das sind Muscheln«, sagte ich. »Aus der Nähe kann man hören, wie sie gegeneinander reiben. Die Viecher innerhalb der Muscheln leben noch, sie sind zusammengenäht und leiden ständig. Elbische Art.«
»Woher weißt du das?«, fragte Peter.
»Weil ich schon mal hier war«, sagte ich. »Los, gehen wir an Land und sagen Hallo. Wir wollen doch nicht, dass sie denken, wir hätten Angst vor ihnen.«
Ich ging voraus auf die Knochendocks. Die Knochenbalken waren weich und poliert unter meinen Füßen, vom vielen Gebrauch abgewetzt. Die Elben rührten sich nicht, als wir näher kamen, und standen weiter unglaublich still und vollkommen schweigend. Sie sahen aus der Nähe fremdartiger aus. Unerträglich herrlich strahlten sie förmlich mit einer Intensität, der kein Mensch gleichkommen kann.
Die schiere Leidenschaft ihrer Gegenwart war in der Luft zu spüren wie ein Trommelwirbel. Ich konnte das Gewicht ihrer vielen Blicke spüren, und darin lag keine Überraschung. Sie waren hier, weil sie gewusst hatten, dass wir hier sein würden. Elben haben zurzeit ein anderes Verhältnis als jeder andere. Sie behandeln sie wie ein Schoßtier und lassen sie zu ihrer eigenen Belustigung Stöckchen holen.
»Noch irgendetwas, was wir über diesen Ort wissen müssen?«, fragte Honey drängend. Sie flüsterte die Worte direkt in mein Ohr.
»Er ist gefährlich«, sagte ich. »Das ist die Welt, die die Elben gemacht haben, und wir gehören nicht hierher. Hast du bemerkt, dass nicht einmal Vögel am Himmel zu sehen sind? Keine Tiere irgendwo, nicht mal Insekten? Als die Elben zum ersten Mal hierher kamen, haben sie alles getötet, was hier lebte. Bis hinunter zum Letzten jeder Art und der kleinsten Spezies. Die einzigen Dinge, die jetzt hier leben, sind die Elben und die Lebewesen, die sie mitgebracht haben. Oder geschaffen haben. Sie mochten es schon immer, herumzubasteln.«
»Das Licht tut meinen Augen weh«, warf Peter ein. »Es ist zu hell.«
»Es ist nicht für menschliche Augen gemacht«, sagte ich. »Sieh mal runter, wir haben nicht einmal Schatten hier.«
»Also, das ist nun wirklich verstörend«, sagte Walker. Wir hielten am Ende der Docks an und er sah über die versammelten Reihen der Elben. Sein Blick war beeindruckend ruhig und kühl. »Welche davon ist Mab?«
»Die würde nicht hierher kommen, um uns zu treffen«, sagte ich. »Sie ist die Königin aller Elben, und wir sind nichts. Also werden wir zu ihr gehen müssen.«
»Wie?«, fragte Honey. »Sie stehen im Weg.«
»Sie werden uns schon Platz machen«, sagte ich. »Wenn sie so weit sind. Sie stehen auf Protokoll und Einschüchterung.«
Honey schnaubte. »Ich bin Amerikanerin. Wir verneigen uns nicht vor ausländischen Potentaten.«
»Wenn du diplomatisch bist, tust du's«, sagte ich geduldig. »Unsere einzige Hoffnung zu überleben ist die, als Abgesandte größerer Mächte anerkannt zu werden. Ich glaube übrigens, wir stehen jetzt schon zu lange hier herum. Wir müssen eine gute Show abliefern, sonst respektieren sie uns nie. Also, folgt mir, und was auch passiert: Lasst euch nicht verrückt machen! Die Elben würden es lieben, uns ängstlich zu sehen.«
Ich schritt von den Docks weg und direkt auf die nächste Reihe der Elben zu. Sie standen fest vor mir, eine unerbittliche Wand. Ich rüstete immer noch nicht hoch, aber ich hob ein wenig das Kinn, damit sie den Torques um meinen Hals deutlich sehen konnten. Im allerletzten Moment traten die Elben graziös beiseite und ließen eine enge Gasse für mich entstehen, durch die ich gehen konnte. Ich hielt mein Gesicht sorgfältig ruhig und gelassen, als ob ich nichts anderes erwartet hätte. Ich konnte hören, wie die anderen hinter mir hereilten, und hoffte, dass sie eine gute Show ablieferten. Was ich für sie in dieser Welt zu tun hoffen konnte, war begrenzt.
Ich konnte den permanenten Druck der Aufmerksamkeit der Elben spüren, als ich durch ihre endlosen Reihen schritt. Es ist nicht leicht, durch eine Menge von Leuten zu gehen, von denen dich jeder aus jedem beliebigen Grund jederzeit töten könnte. Oder ohne Grund. Ich bekam eine Gänsehaut auf dem Rücken, aus Furcht vor einem Angriff, der nie kam. Ich konnte genauso gut fühlen wie instinktiv spüren, dass meine Gefährten mir direkt auf den Fersen waren und sich hinter mir drängten.
Und dann fielen die Reihen der Elben plötzlich zurück und enthüllten eine große und wundersame Stadt. Kilometerlange Gebäude wie Kunstwerke, ja wie Träume, die man in Stein und Marmor und anderes verwandelt hatte. Träume - und auch Albträume. Ich führte die anderen durch ein massives Haupttor, das man aus dem Schädel eines Drachen geschnitzt hatte. Ein einziger Schädel, der größer war als ein Haus. Alle Zähne waren aus seinen langen Kiefern gezogen und die leeren Augenhöhlen waren mit fremdartigen Blumen gefüllt worden. Sie wanden sich und zischten mich an, als ich an ihnen vorbeikam. Doch meine Aufmerksamkeit galt der Stadt.
Die Straßen waren breit und gewunden. Deformierte Häuser türmten sich zu beiden Seiten auf, alle unterschiedlich, individuell, krank, wie die raffinierten Träume eines Geisteskranken. Ihre Formen waren grundsätzlich organisch, aber krank und brutal, manchmal sogar beunruhigend für einfache menschliche Augen. Eher so, als wären sie gewachsen und nicht gebaut worden. Die meisten Formen ergaben in meinen menschlichen Augen und in meiner Ästhetik keinen Sinn. Und sie bewegten sich, alle, änderten sich subtil, hielten nur dann still, wenn man direkt hinsah. Sie wurden nur dann vollständig real, wenn man sie aktiv wahrnahm. Ich dachte an Quantenzustände und die Absichten des Betrachters, doch dann versuchte ich sehr, gar nicht mehr darüber nachzudenken.
Auf einem kleinen offenen Platz kamen wir an einem Elb vorbei, den man zu einer Statue gemacht und dazu gezwungen hatte, als Springbrunnen zu fungieren. Wasser plätscherte aus seinen offenen Augen und seinem Mund, aber man konnte seinem Gesicht genug entnehmen, um zu wissen, dass er noch lebte, seine Umgebung wahrnahm und litt. Später kamen wir an einem Haufen abgetrennter Hände vorbei, die mannshoch aufgetürmt waren: Die Finger zuckten noch. Der Schein der überhellen Sonne knallte auf meinen Kopf, meine nackte Haut stach und war wund vom Licht, so als sei sie fremden, unirdischen Strahlungen ausgesetzt.
Ein Drache flog vorbei. Nicht die hässlichen Lindwürmer, die die Elben reiten, wenn sie auf die Erde kommen, sondern ein echter: gewaltig und herrlich, größer als ein Jumbo-Jet, mit Flügeln so groß und weit, dass sie sich kaum bewegten, als er vorbeiflog. Wunderschön und sehr tödlich. Ein halbes Dutzend Drachen konnte eine ganze menschliche Stadt auslöschen. Glücklicherweise gibt es kein halbes Dutzend mehr von ihnen.
Wir hielten plötzlich an, um eine große Kreatur vorbeizulassen: eine wunderbare, fremdartige Kreatur mit so straff gespannter Haut, das man darunter die Organe pulsieren sah. Sie schritt auf langen, stelzenartigen Beinen daher, und Elben ritten auf ihrem Rücken. Sie schlugen mit langen, mit Widerhaken versehenen Stöcken auf ihren Kopf ein und lachten melodiös, als sie stöhnte. Kleine, hastige Dinge blieben im Schatten der Seitenstraßen und versuchten, nicht bemerkt zu werden. Ab und an hatten die Wände der Gebäude, an denen ich vorbeikam, pulsierende Venen oder Augen, die sich öffneten, oder sie schmolzen langsam dahin. Ich sah stur geradeaus. Es hilft, wenn man ein Ziel hat, eine Richtung, auf die man sich konzentrieren kann. Der menschliche Verstand ist nicht ausgerüstet, mit einer Welt fertig zu werden, in der es keine Sicherheiten gibt und keinen Halt, gar nichts, auf das man sich verlassen kann.
Honey kam vor, um neben mir zu gehen. Hinter mir konnte ich hören, wie Walker beruhigend auf Peter einmurmelte. Natürlich beeindruckte die Welt der Elben Walker nicht, er kam schließlich von der Nightside.
»Du warst schon mal hier, Eddie«, sagte Honey. Ihre Stimme war fest, aber angestrengt. »Was sieht das Protokoll für die Begegnung mit der Königin vor?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte ich. »Hier und am Hof der Feen ist das immer anders. Die Stadt sah anders aus, als ich das letzte Mal hier war. Das Meer und der Himmel hatten nicht diese Farben. Die Elbenlande ändern sich immer. Sie mögen es so. Ich glaube, wenn man unsterblich ist, dann wird man solche Sachen ziemlich schnell leid.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, sie seien gar nicht unsterblich«, sagte Honey.
»Sind sie auch nicht, aber sie könnten es sein. Wie auch immer, sag ihnen nicht, dass sie nicht unsterblich sind. Das nehmen sie in der Regel ziemlich übel.«
»Warum warst du schon einmal hier? Ich dachte, du wärst aktiver Agent nur in London.«
»Das war ich auch«, sagte ich. »Aber man geht eben hin, wohin einen die Familie schickt. Vor ein paar Jahren kam ein Elb namens Bohnenblüte nach London und benahm sich noch viel schlechter als gewöhnlich. Meine Familie bekam Wind davon, dass er kleine Kinder entführt hatte und sie wegbrachte; einfach genug mit der Tarnung, die seinesgleichen zu eigen ist. Ich wurde geschickt, um die Kinder wiederzuholen, aber als ich seinen schäbigen kleinen Unterschlupf gefunden hatte, hatte er schon drei von ihnen gefressen.« Ich hielt einen Moment inne und erinnerte mich an meine kalte Wut und die bittere Hilflosigkeit. »Ich war bereit, ihn auf den ersten Blick zu töten, aber es gibt uralte Abkommen zwischen den Feen und den Droods. Das Beste, was ich tun konnte, war, ihn zu finden, ihm die Scheiße aus dem Leib zu prügeln und ihn zur Bestrafung an den Hof der Elben zurückzuschicken.
Aber dann wurde es kompliziert. Es stellte sich heraus, dass Bohnenblüte nicht wegen der Kinder nach London gekommen war. Sie waren nur Appetithäppchen. Er war auf dem Weg zum Alten Seelenmarkt in Crouch End Towen. Der Idiot.
Elben haben keine Seelen. Nicht in dem Sinn. Oder wenigstens haben sie nichts, was man als Seele erkennen kann. Bohnenblüte wollte sich eine kaufen. Das ist nicht so schwierig, wie man denkt, und nicht ein Problem an sich, aber der Alte Seelenmarkt ist fast so alt wie die Elben, und es stellte sich heraus, dass die Betreiber es nicht allzu gut aufnahmen, dass Bohnenblüte dachte, er könne einfach hereinspazieren, ihre beste Ware verlangen und das auch noch auf Kredit. Also überfielen sie ihn, raubten ihn aus, sperrten ihn in einen Käfig und trafen Anstalten, seine ausgestopfte und aufgebahrte Leiche einem Sammler zu verkaufen. (Offenbar galt gerade Bohnenblüte als Sammlerobjekt, weil er ein Cameo im Sommernachtstraum hat.) Für mich ging das in Ordnung, aber ich hatte Befehl, den Elb zu befreien und ihn mit nach Hause zu nehmen, bevor er einen Krieg anzettelte. Also ging ich in den Londoner Untergrund, nahm die unterirdischen Wege und befreite Bohnenblüte mit meiner höchsteigenen Mischung von ruhiger Vernunft, wohl eingesetzter Diplomatie und ausgesuchtem Chaos. Und - war er vielleicht dankbar? Was glaubst du? Also habe ich ihm aus Prinzip ordentlich ein paar hinter die Löffel gegeben und zurück an den Feenhof gebracht.«
»Du kommst schon rum, was?«, fragte Honey. »Also sind die Elben dir verpflichtet? Sie schulden dir was für deine Hilfe?«
»Nicht unbedingt«, sagte ich. »Es ist komplizierter als das. Mit Elben ist es das immer.«
»Das ist es immer mit Ihnen«, warf Walker ein, der plötzlich an meiner anderen Seite erschienen war. »Warum haben Sie all die Elben getötet, Eddie?«
»Weil sie versuchten, mich zu töten«, sagte ich. »Der Kampf war ehrlich genug, keiner hat mehr geschummelt als üblich. Aber trotzdem, es gibt hier viele, die mich liebend gern langsam und schrecklich sterben sehen würden. Nur können sie mich nicht töten, weil sie dann nie in der Lage wären, mir den Gefallen, den sie mir schulden, zurückzuzahlen.«
»Aber wenn sie doch schon einmal versucht haben, dich zu töten …«, fing Honey an.
»Da war ich vogelfrei«, sagte ich. »Ausgestoßen von meiner eigenen Familie. Da war's fair. Jetzt, wo ich wieder ein Drood bin und mich mit meiner Familie gut vertrage, können sie mich nicht anrühren. Elbenehre ist … kompliziert. Vergesst nicht: Wenn wir erst einmal am Feenhof sind, esst oder trinkt nichts von dem, was sie euch anbieten, sprecht nicht, bis ihr direkt angesprochen werdet, und fangt nichts an. Überlasst das mir. Und vor allem versucht nicht, Sex mit ihnen zu haben, oder ihr werdet eure Genitalien in einem Säckchen nach Hause tragen.«
»War der letzte Hinweis nötig?«, fragte Walker.
»Sie wären überrascht«, sagte ich. »Also, Leute, seht cool, intelligent und sehr selbstüberzeugt aus. Wir sind hier.«
Wir waren endlich bei Caer Dhu angekommen, dem letzten großen Elbenschloss, das in seiner ganzen Pracht vor langer, langer Zeit aus unserer Welt hierher gebracht worden war. Caer Dhu, Heimat des Unseligen Hofes und der Herrscher der Elben und Feen. Einmal und für lange, lange Zeit waren das König Oberon und Königin Titania gewesen, aber wenn Königin Mab wirklich wieder zurück war … Dann hatte die zurückgekehrte Königin möglicherweise eigene Ideen, was die alten Abkommen anging, die die Droods und die Elben geschlossen hatten.
Von außen sah Caer Dhu wie eine große goldene Krone aus. Eine massive, hochgezogene Kuppel, von hunderten goldener Dornen umgeben, die weit in den Himmel ragten. Und auf diesen Dornen waren hunderte von Elben aufgespießt und gepfählt. Sie lebten noch, litten immer noch, während ihr goldenes Blut endlos dampfend die langen Dornen herabfloss. Es sammelte sich in Rinnen und plätscherte aus dem Mund der schreienden Wasserspeier. Elben sind sehr schwer zu töten, aber das ist nicht immer etwas Gutes. Über dem Eingang hielten ein Dutzend Dornen abgetrennte Elbenköpfe. Die Gesichter waren sich ihrer immer noch bewusst und lebendig, ihre Lippen bewegten sich, als sie unsere Ankunft sahen, als ob sie uns zu warnen oder zu verfluchen versuchten.
Es war wie im Bürgerkrieg. Es gab immer gefallene Helden und Führer der Verliererseite, die öffentlich bestraft werden mussten, um ein Exempel für die anderen zu statuieren. Und die Elben wissen alles, was es über Bestrafung zu wissen gibt.
Ich hielt meinen Kopf hoch und spazierte direkt hinein in den Unseligen Hof, als ob ich jedes Recht dazu hatte, dort zu sein, einschließlich einer geprägten Einladung, die freie Drinks versprach. Honey und Walker und sogar Peter guckten sich ihr Verhalten bei mir ab und schlenderten neben mir her, die Nasen in der Luft. Im Inneren von Caer Dhu war es dunkel. Der einzige dunkle Ort in den Elbenlanden. Der Feenhof war groß und leer und in der Düsternis kaum zu sehen. Ein einzelner Strahl hellen Lichts fiel von der Decke herein wie ein Scheinwerfer und beleuchtete zwei Elfenbeinthrone, die auf einem erhöhten Podest im Hintergrund der Halle standen. Eine dunkle Gestalt saß auf dem linken Thron, der rechte war leer.
Ich schritt über die weite, leere Fläche in Richtung der beiden Throne und die anderen eilten neben mir her. Trotz des offenen Raums erzeugten unsere Schritte kein Echo. Je weiter wir in die Halle hineingingen, desto größer schien sie zu werden. Es dauerte scheinbar ewig, den großen Saal zu durchqueren, aber endlich war ich an der Kante des Podests angekommen und sah trotzig zu der schauerlichen Gestalt auf dem Thron hoch. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, hörte ich einen schwachen Laut hinter mir und sah zurück. Der große offene Raum war jetzt von Wand zu Wand vollgestopft mit Elben, Reihe um Reihe sahen sie mich schweigend an. Ich schluckte hart und sah zurück auf den Thron. Kein Oberon, keine Titania, nicht einmal Anzeichen von Puck, dem einzigen Elf, der nicht perfekt war. Stattdessen saß Königin Mab auf dem Elfenbeinthron, in Schatten gehüllt, so viel größer als das Leben selbst und tausendmal furchtbarer.
Vier Elben traten jetzt ohne Hast hinter dem zweiten, dem leeren Thron hervor. Sie drapierten sich frech darüber und lächelten mich an. Es waren Mab's aktuelle Favoriten. Ich kannte ihre Namen von meinem vorigen Besuch. Bohnenblüte, arrogant wie immer. Sein Kind und Geliebter, Senfsamen. Spinnweb und Motte, Schergen, die man gelegentlich in die Menschenwelt schickte, um die nötige Drecksarbeit zu machen. Ich hätte keinen von denen als meinen Liebling genommen, aber zweifellos hatten sie ihren Nutzen.
Bohnenblüte erinnerte sich an mich. Er sah überaus finster drein, aber ich ignorierte ihn und widmete meine Aufmerksamkeit demonstrativ der Elbenkönigin, während ich versuchte, herauszufinden, was hier am Feenhof vor sich ging. Es fühlte sich falsch an. Zu groß, zu riesig, gedehnt wie alte Haut, wie etwas, das gezwungen worden war, einem bestimmten Zweck zu dienen, nachdem es schon lange ersetzt und fortgeschickt hätte werden sollen.
Wurden die Elben nach all dieser Zeit wirklich alt?
»Ich bin Eddie Drood«, sagte ich laut. Meine Stimme schien an so einem großen Ort sehr klein zu sein. »Ich bin hier, um mit der Königin der Feen zu sprechen.«
»Wir wissen, wer du bist«, sagte Spinnweb mit einer Stimme wie Staub.
»Wir hassen dich«, sagte Bohnenblüte mit einer Stimme wie splitterndes Eis.
»Du wurdest erwartet«, sagte Motte mit einer Stimme wie der endende Tag.
»Wir hassen dich für immer und ewig«, sagte Senfsamen mit einer Stimme wie Freunde, die starben.
»Königin Mab wird mit dir reden«, sagte Spinnweb.
»Ist das nicht schön?«, sagte Motte.
Am Ende klangen ihre Stimmen alle gleich: wie bösartige oder wahnsinnige Kinder, die vorgaben, höflich zu sein, und doch wussten, dass etwas wirklich Widerliches geplant ist und in der Hinterhand gehalten wird.
»Wie konntet ihr uns erwarten?«, fragte Honey. »Wir wussten selbst bis vor ein paar Stunden nicht, dass wir kommen würden.«
»Sie wissen es, weil es Elben sind«, sagte ich.
»Ist das schlecht?«, fragte Peter.
»Es ist zumindest nicht gut«, sagte ich. »Aber ich habe auch nie geglaubt, dass es das sein würde.«
Königin Mab lehnte sich auf ihrem Thron nach vorn, und wir alle hörten auf zu reden. Die Dunkelheit fiel von ihr ab wie ein abgeworfener Umhang. Die immense Ausstrahlung ihrer Erscheinung war wie ein Schlag ins Gesicht. Mab war groß, größer in Höhe und Breite als jeder andere Elf. Über drei Meter hoch, übernatürlich schlank und beeindruckend, war sie von blau gemalten Zeichen und Sigillen übersät, die auf ihrer irisierenden, perlmutterfarbenen Haut grimmig glühten. Sie war jenseits alles Erträglichen schön, die personifizierte Macht und Autorität. Ich hätte nicht wegsehen können, wenn ich gewollt hätte. Ihre Augen waren pupillenlos und aus purem Gold. Ihr Mund war dunkelrot, das Rot von Herzblut, rot wie die Sünde. Königin Mab war eine Elbin der ersten Generation, und das sah man. Es gibt Aufzeichnungen im Droodschen Herrenhaus, in der Extrem Verbotenen Abteilung der alten Bibliothek, die älter sind als die Menschheit selbst. Vielleicht sogar älter als unsere Welt. Aber wenn es um Elben geht, kann man nichts von dem vertrauen, was man liest.
Keiner wusste, wie oder warum Mab damals entthront und von Oberon und Titania ersetzt worden war. Es ist gefährlich, auch nur danach zu fragen.
Königin Mab sah auf mich und meine Begleiter herab wie ein Künstler, der erste Skizzen begutachtet und sich fragt, ob sie vernichtet werden sollen. Ihrem Blick zu begegnen war, als starre man in einen Suchscheinwerfer. Ein falsches Wort und sie würde mich mit einer einzigen Geste töten. Aber ich bin ein Drood, und mit uns ist nicht gut Kirschen essen.
»Na, Mab, wie geht's?«, sagte ich heiter. »Alles fit?«
Ein hörbares Murmeln ging durch die vielen Reihen der Elben hinter mir, und die vier Favoriten, die sich zu Mabs Füßen gruppierten, zischten ärgerlich. Sie fingen sogar an, aufzustehen und ihre klauenartigen Hände zu krümmen. Auf ein unhörbares Kommando ihrer Königin hielten sie abrupt inne. Sie sanken widerwillig zurück und rollten sich zu ihren Füßen wie schmollende Haustiere zusammen. Die Königin bewegte sich nicht, sah nicht weg und schien nicht einmal zu atmen. Aber ein anderer Elb trat hinter ihrem Thron hervor und schritt nach vorn zur Kante des Podests, um auf mich herabzusehen. Er war groß, mit langen Gliedern, in durchlässige Seide gehüllt, seine Haut so blass, dass sie fast durchscheinend war. Langstielige Rosen tauchten immer wieder in seine Haut und aus ihr hervor, die langen Dornen stachen immer wieder durch sein Fleisch. Sie wanden sich um seine Glieder und drangen immer wieder durch seinen Torso, von tief innen tauchten weitere Dornenspitzen auf, um wieder zu verschwinden und wieder aufzutauchen. Immer wieder drangen sie durch seine Haut. Goldenes Blut tropfte endlos daran herunter. Und eine große, weiße Rose blühte in seiner linken Augenhöhle auf und ersetzte das Auge komplett. Als ich weiter zusah, drückten sich die Dornenspitzen auch gegen die Unterseite seines Gesichts, erst bedrohlich dicht unter der Haut, dann wieder versinkend. Sie warteten ihre Zeit ab.
Ich konnte mir das Maß der Schmerzen nicht vorstellen, denen er ausgesetzt war, aber sein Schritt war sicher und fest, als er von dem Podest herunterstieg, um mir ins Gesicht zu sehen, und als er sprach, schwankte nicht einmal seine Stimme.
»Ich bin der Herold«, sagte er und fixierte mich mit seinem einen goldenen Auge. »Mabs Herold. Ich spreche für sie zu niederen Dingen. Und ja, ich wurde bestraft, für Sünden, die jenseits eures Verständnisses liegen. Oder eurer Wertschätzung. Dennoch, es ist gut, dich hier zu haben, Drood. Es ist sehr lange her, dass wir einen Menschen hier hatten, den wir foltern konnten.«
Ich rüstete auf und knockte ihn mit einem Schlag auf den Kopf aus. Sein Schädel brach hörbar unter dem Hieb meiner goldenen Faust. Er setzte sich so plötzlich hin, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich sage immer, fang so an, wie du vorhast, weiterzumachen. Die Elbenmassen rührten sich wieder und die vier Favoriten zischten vor Zorn, aber Königin Mab hob eine perfekte Hand und sofort war es wieder still. Alle schwiegen. Der Herold stand langsam auf, die Knochen seines Kopfes knirschten und krachten, als sie sich langsam wieder an ihren Platz schoben. Goldenes Blut rann gleichmäßig an einer Seite seines Gesichts herunter und tropfte vom Ohrläppchen des spitzen Ohrs. Der Hieb hätte jeden anderen getötet, aber Elben sind schwer umzubringen. Man könnte einen Elben auch mit einer Abrissbirne nicht umbringen. Nicht in ihrer eigenen Welt.
»Ich bin Edwin Drood«, sagte ich direkt zu Königin Mab und ignorierte den Herold. »Die Droods sind durch uralte Pakte und Abkommen an die Elben gebunden und die Elben an die Droods. Oder haben die Elben die Ehre verraten?«
»Die Elben sind Ehre«, sagte Königin Mab in einer langsamen schweren Stimme wie vergifteter Honig, als ob sie halb träumte. »Das ist mehr, als man von den Menschen sagen kann. Aber sei in unserem Land willkommen, Edwin Drood, und deine Gefährten auch. Halte sie unter Kontrolle. Wenn sie Schaden anrichten, dann werden Wir sie disziplinieren.«
»Sie sind mit mir hier«, sagte ich. »Deshalb fallen auch sie unter den Schutz der Drood-Protokolle.«
»Sprich«, sagte Königin Mab. Im Moment war sie weder gegen noch für meine Argumente.
»Ihr habt uns nicht über Eure Rückkehr informiert, Eure Majestät«, sagte ich vorsichtig. »Wir hätten Boten geschickt, um Euch zu Hause willkommen zu heißen.«
»Wir sind zurückgekehrt«, sagte Königin Mab, »auf dass alle Welten erzittern und alles Leben sich in Acht nimmt.«
»Naja«, meinte ich. »So in etwa. Also, was ist mit Oberon und Titania passiert?«
»Bist du gekommen, um das zu erfragen, Drood?«
»Nein, ich mache nur ein wenig Konversation.«
»Sie sind fort. Erwähne sie in Unserer Gegenwart nicht.«
»In Ordnung«, sagte ich. »Wo wart Ihr, Majestät? Ihr wart lange fort.«
»Oberon schickte Uns fort.« Ihr dunkelroter Mund verzog sich zu einem furchtbaren Lächeln. Sie sah aus wie der Teufel, der gerade eine neue Sünde ausbrütete. »Er hätte Uns wirklich töten sollen, aber er war immer sentimentaler, als gut für ihn war. Es dauerte eine lange Zeit, um Unseren Weg zurückzukriechen und die lang ersehnten Rachepläne an allen auszuführen, die Uns betrogen haben …«
»Wo hat er Euch hingeschickt?«, fragte ich ehrlich interessiert. »Wo konnte er jemanden mit so einer unzweifelhaften Macht wie der Euren hinschicken?«
»Wo alle schlechten Dinge hingehen, kleiner Drood. Er schickte Uns in die Hölle, verdammte Uns dazu, in die Schwefelklüfte hinabzugehen, um dort das ewige Inferno zu erdulden.« Sie lächelte immer noch ihr grauenhaftes Lächeln und ihre goldenen Augen fixierten mich. Und selbst in meiner undurchdringlichen Rüstung konnte ich die Schweißtropfen auf meine Stirn poppen hören. »Als Wir in der Hölle waren, kleiner Drood, während unseres Aufenthaltes in den Häusern der Schmerzen, haben Wir deine kostbare Hexe Molly Metcalf getroffen. So ein süßes kleines Ding. Sollen Wir dir von den Abkommen erzählen, all den schrecklichen Dingen, denen sie zustimmte, um ihre Macht zu erlangen?«
»Lasst uns ein Abkommen schließen, Eure Majestät«, sagte ich. »Ich werde nicht von Oberon und Titania sprechen und Ihr nicht von meiner Molly. Ja?«
»Also sprich, kleiner Drood«, sagte Königin Mab. »Sag Uns, was dich hier an Unseren wiederentdeckten Hof bringt, in Unsere edle Gegenwart. Sag Uns, was dich hierher bringt, mit dem Blut von so vielen Unserer edlen Cousins an den gerüsteten Händen, dass es immer noch nass von ihnen heruntertropft.«
»Ah«, sagte ich. »ich habe mich schon gefragt, wann wir dazu kommen. Sie haben mich angegriffen, Eure Majestät. Sie hätten es wirklich besser wissen müssen. Ich war zu dieser Zeit vielleicht vogelfrei, aber ich war immer noch ein Drood, und sie waren nur Elben. Selbst wenn sie von einem Verräter in meiner Familie mit fremder Materie ausgerüstet worden waren.«
Bohnenblüte zischte laut und begann wieder aufzustehen. Königin Mab warf ihm einen Blick zu. Er zuckte und kippte um, als hätte man ihn geschlagen.
»Haltet Eure Schoßtiere an der Leine, Eure Majestät«, sagte ich. »Oder ich könnte es für nötig befinden, sie zu disziplinieren.«
Die Königin wägte mich für einen unangenehm langen Moment schweigend ab. Kein Ton war am Unseligen Hof zu hören, abgesehen vom schweren Atem meiner Gefährten. Ich hätte in der Lage sein sollen, den gesammelten Atem der tausende zusehender Elben zu hören, aber da war nichts. Ich sah mich nicht um, aber ich wusste, dass sie den einzigen Ausgang versperrten, und es war höchst unwahrscheinlich, dass sie mir dieses Mal ohne Zustimmung Mabs den Weg freigeben würden. Nicht, wenn ich diese Diskussion mit der Königin nicht gewann, die Information bekam, die ich brauchte, und irgendeine Art von Abkommen aushandelte, das mir und meinen Gefährten einen freien Abzug gewährte, der uns unsere Organe an ihrem Platz behalten ließ. Die Chancen standen nicht sehr gut, aber ich bin ein Drood und wenn man da die goldene Rüstung trägt, dann machen die Chancen besser, was man will, solange sie wissen, was gut für sie ist. Am Ende nickte Königin Mab ein kleines bisschen, und ich fühlte, dass mir ein großer Stein vom Herzen fiel. Sie war wenigstens bereit, zuzuhören.
»Ich bin wegen der USS Eldridge hier«, sagte ich. »Ein amerikanisches Marineschiff, das 1943 seinen Weg hierher fand. Ihr hattet den Elfenbeinthron damals nicht inne, Eure Majestät, aber ich wette, dass der Herold damals hier war. Ich muss wissen, was damals mit diesem Schiff passiert ist. Wie es möglich war, dass es hierherkam, und was mit ihm passierte, als es hier war.«
Königin Mab drehte ihren großartigen Kopf dem Herold zu, der sich prompt tief verneigte.
»Ich erinnere mich in der Tat an diese Gelegenheit, Eure Majestät. Würde es Euch zusagen, wenn ich ihnen davon erzähle?«
»Zeig es ihnen«, sagte Königin Mab.
Der Herold ballte seine linke Hand zu einer Faust. Rasiermesserscharfe Dornen brachen aus seinem Handrücken. Goldenes Blut troff auf den Boden vor ihm und breitete sich schnell zu einem goldenen Wahrsageteich aus. In diesem Teich erschienen die Bilder aus der Vergangenheit und zeigten uns alles, was der unglücklichen USS Eldridge widerfahren war.
»Eure Welt war im Krieg«, wisperte der Herold. Seine goldenen Augen waren auf die Bilder gerichtet, die sich im Wahrsageteich bildeten. »Die Grenzen der Realität waren durch die vielen Kämpfe und Schlachten schwach geworden. Als also eines eurer Schiffe an unserer Tür klopfte, erlagen wir der Versuchung und ließen es ein. So raffinierte Maschinen waren in dem Schiff; primitiv, aber wirksam. Sie stießen eine Tür auf, die wir lange vergessen hatten, und alles, was wir tun mussten, war, ihnen durchzuhelfen. Ich frage mich, was sie glaubten, wo sie hingekommen seien … Ein Kriegsschiff, ja, aber klein und bemitleidenswert, verglichen mit unseren herrlichen Schiffen. Sie kamen direkt zu uns. Sie wussten nicht, wo sie waren oder in welcher Gefahr sie schwebten.
Wir haben Ewigkeiten mit ihnen gespielt, haben sie gehänselt und gequält, wie es uns gefiel, und erfreuten uns an ihrem Schmerz und ihrem Schrecken. Sie haben so hübsch geweint. Und dann fiel uns ein, was für ein feiner Streich es wäre, wenn man das Schiff und seine Mannschaft auf zarte, aber tödliche Art änderte und wieder heimschickte. Ihren Körper und die Seele korrumpierte und sie als ein spirituelles Pestschiff wieder in eure Welt schickte. Wir haben Stunden darüber gesprochen und suchten nach etwas besonders Süßem, Grausamem und Erheiterndem - aber dieser Aufschub gab der Mannschaft Zeit, sich zu erholen. Der Kapitän der Eldridge übernahm wieder das Kommando, weckte seine Mannschaft und warf die erstaunlichen kleinen Maschinen an. Die zwangen das Tor wieder auf und flohen von unseren Küsten auf der Suche danach. Und nun seht, was dann passierte.«
Die Bilder waren klar und scharf im Wahrsageteich erkennbar. Die USS Eldridge glitt Richtung Meer hinaus. Die Decks waren klebrig und glitschig vor Blut, Exkrementen und anderen Dingen, und die Matrosen rannten panisch hin und her. Sie sprangen über die Toten und Verstümmelten, während der Kapitän von der Brücke aus seine Befehle schrie. Es waren noch genug von der Crew übrig, um die notwendige Arbeit zu tun, auch wenn ihre Gesichter gezeichnet waren von der Erinnerung an den Schmerz, die Wut und den Schrecken. Auf der Brücke sah der Kapitän starr geradeaus. Seine dunklen Augen waren in die Höhlen eingesunken und glühten wie Zündhölzer, die die Hölle ausgespuckt hatte.
Fremde Energien begannen um die Eldridge zu leuchten und zu knistern, als die machtvollen Maschinen, die in die Abteilungen unter Deck gepackt waren, zu arbeiten begannen. Das war der Zeitpunkt, an dem die Elben angriffen.
Große Dreimaster erschienen hinter der Eldridge und überholten sie schon bald, auch wenn es kaum genug Wind gab, um die riesigen Segel zu bauschen. Sie umkreisten das Schiff gemächlich, reizten es und die Mannschaft, bis die Matrosen die Kanonen an Deck bemannten und das Feuer eröffneten. Das kalte Eisen ihrer Munition stanzte Löcher in die hauchdünnen Schiffsrümpfe der Elben und verwandelte die ausgebreiteten Segel in zerfetztes Chaos. Elben tanzten und schimmerten auf ihren Decks. Sie waren zu schnell, um getroffen zu werden, aber auch nicht in der Lage, lange genug stillzustehen, um ihre eigenen Waffen zu benutzen. Die Eldridge blieb bei ihrem pausenlosen Feuer und zerstörte die elbischen Segler Zoll für Zoll.
Die Elbenschiffe fielen zurück, wütend und frustriert, und die Eldridge nahm wieder Fahrt auf.
Elbenlords und -ladies lachten fröhlich hoch oben am Himmel. Sie ritten auf dem Rücken eines Drachen. Nicht einer der hässlichen Lindwürmer, die sie gezwungenermaßen auf der Erde benutzen, sondern ein echter. Unglaublich groß schwebte er über der Eldridge wie ein Adler über der Beute. Die Schiffskanonen schossen auf ihn, aber konnten ihn nicht erreichen, Der Drache öffnete sein riesiges Maul, und brüllende Strahlen flüssigen Feuers strichen über die Decks der Eldridge , verschlangen Matrosen, ließen Kanonen und Munition in die Luft gehen und das Metall verkohlen. Die Elben auf dem Rücken des Drachen zogen prahlerisch unirdische Waffen hervor und jagten große Löcher in die Struktur der Eldridge. Die Soldaten starben zu dutzenden, aber einige standen noch immer hinter den Deckskanonen oder feuerten mit Pistolen oder Gewehren auf den Drachen.
Der Kapitän steuerte sein Schiff unbeirrt weiter direkt ins Herz des Angriffs, selbst als sich die Brücke um ihn herum auflöste. Stur fuhr er in die Richtung, in der er das Portal wusste, das Portal, das ihn und den Rest der Mannschaft nach Hause bringen würde. Ein Tor aus der Hölle, in die er sie gebracht hatte. Selbst als das Schiff um ihn herum auseinanderfiel und auf den Decks das Drachenfeuer brannte, sogar als seine Haut Blasen warf und verkohlte, machte er weiter.
Bis die grünen Nebel sich hoben, gab er nicht nach. Er steuerte die Eldridge hinein, und das Schiff verschwand. Es war endlich sicher vor dem Zorn und der Verachtung der Elben. Mein Herz flog dem Kapitän entgegen. Er hatte keine Ahnung, dass nach Hause zu kommen nicht genug gewesen war. Dass die wunderbare Ausstattung seines Schiffs beschädigt oder vielleicht sogar sabotiert worden war. Dass er nicht in Triumph nach Hause kommen würde, sondern nur zu noch mehr Horror. Weil die Eldridge durch die Hölle gegangen war und diese ihr Zeichen auf ihnen allen hinterlassen hatte.
Die letzten Bilder verblassten im Wahrsageteich, und er war wieder nur goldenes Blut auf dem Boden.
»Wir haben sie am Ende gehen lassen«, sagte der Herold. »Ihre Maschinen waren … nun, interessant; aber ohne unsere Hilfe oder ohne unser Einverständnis hätten sie nie unser Reich verlassen können.«
»Warum?«, fragte Honey. Ihre Stimme war angestrengt und heiser. »Nach allem, was ihr ihnen angetan habt und noch antun wolltet - warum …«
»Sie haben gut gekämpft«, sagte der Herold. »Wir bewundern Tapferkeit. Und indem wir sie erneut durch das Tor gehen ließen, erreichten ihre Wissenschaft und unsere Magie zusammen, was einer allein nicht konnte: es ganz zu öffnen. Eine unerwartete Hintertür in eure Welt. Wir dachten, sie könnte eines Tages nützlich sein.«
»Ihr verdammten Arschlöcher«, sagte Honey.
»Langsam«, murmelte Walker.
»Nein!«, sagte Honey. »Das waren gute Männer, die ihre Pflicht in einem rechtmäßigen Krieg taten. Und ihr -«
»Schsch«, sagte ich. »Sei still.«
»Wir haben dir gegeben, was du wolltest, kleiner Drood«, sagte Königin Mab völlig unbeeindruckt von Honeys Ausbruch. »Jetzt musst du Uns geben, was Wir verlangen. Gib Uns den Torques des Blauen Elfen. Er war nicht an seinem Körper, als er zu uns zurückkehrte, und er ist rechtmäßig Unser.«
»Er hat diesen Torques seinem rechtmäßigen Besitzer gestohlen und ihn dabei beinahe getötet«, sagte ich.
»Was soll Uns das bedeuten?«, fragte Königin Mab.
»Die Torques gehören den Droods und niemandem sonst«, sagte ich. »Das galt bereits, bevor man euch wegschickte, und das tut es auch jetzt noch.«
»So eine kindische Ansicht«, sagte Königin Mab und lächelte gelassen. »So hübsche Spielsachen zu haben und diese nicht teilen zu wollen. Nun, die, die nicht artig mit den anderen spielen, müssen zu ihrem eigenen Besten bestraft werden. Glaubst du wirklich, du könntest Uns widerstehen, kleiner Drood?«
»Nun, ich dachte schon, dass ich das zumindest verdammt gut versuchen würde«, sagte ich.
»Wir haben dich«, sagte Königin Mab. »Also haben Wir auch deinen Torques genau wie seinen. Du kannst ihn Uns freiwillig schenken und unserer Dankbarkeit gewiss sein, oder Wir werden ihn dir von deinem zerbrochenen Körper nehmen. Und von diesen Torques werden Wir lernen, wie man mehr davon macht. Genug, um eine Armee von Elben auszurüsten. Wir werden Unser Volk heimführen, durch dieses unerwartete Tor - und Uns von den verräterischen kleinen Kreaturen, die es derzeit heimsuchen, zurückholen, was Uns gehört. Es wird Blut und Schrecken und Tod geben, weit über deine Vorstellungskraft hinaus, kleiner Drood. Und das alles wegen dir, weil du hierherkamst und Uns gebracht hast, was Wir benötigen -«
Sie unterbrach sich, weil ich sie auslachte. »Das wird nie passieren«, sagte ich heiter. »Die Quelle, aus der unsere Torques und unsere Rüstung stammen, ist in der Obhut der Droods und ist nur uns verpflichtet. Sie mag uns. Sie würde nie für euresgleichen arbeiten. Sie hat einen viel besseren Geschmack.«
»Nur ein Vorschlag«, murmelte Walker. »Gehen Sie mit der unglaublich mächtigen und psychotischen Königin der Elben nicht auf Konfrontationskurs.«
»Ach, zur Hölle damit«, sagte ich und warf der Königin einen bösen Blick zu. »Hör zu, Mab. Niemand bedroht die Menschheit und kommt damit davon, solange es Droods gibt. Und es gibt uns noch, trotz all der Jahre, die du fort warst. Also, du kannst dich bei mir entschuldigen, oder ich kann dich direkt von deinem Thron da runterzerren und dich zwingen, vor mir zu knien. Du hast die Wahl.«
»Du unterschätzt Uns, kleiner Drood«, sagte Königin Mab ruhig. »Das hat deine winzige und begrenzte Art schon immer getan. Es gibt nichts, was Unsere Wissenschaft und Unsere Magie nicht mit der Zeit duplizieren kann. Und Wir haben nichts außer Zeit. Was auch immer deine Quelle ist, Wir werden sie an unseren Willen binden und sie zu Unserer machen. Dennoch, es war gut von dir, die Existenz dieser Quelle zu bestätigen, ist sie doch getrennt von den allseits gefürchteten Droods und eigenständig. Wir hatten Grund, dies anzunehmen, doch keinen Beweis - bis jetzt. Das erleichtert Unsere Pläne sehr. Denn - wenn wir diese Quelle besitzen, wozu werden Wir die Droods brauchen?«
»Jede Waffe ist nur so gut wie der, der sie in der Hand hält«, sagte ich. »Es ist nicht die Rüstung, sondern das, was darin ist.«
»Das musst du ja sagen, nicht wahr?«, sagte Königin Mab. »Nun, dann informiere Uns über die wahre Natur und die Möglichkeiten dieser Quelle.«
»Das tue ich sicher nicht. Das ist Drood-Angelegenheit.«
»Dann werden Wir zuerst die Wahrheit und dann die Torques von deiner schreienden Hülle nehmen«, sagte Königin Mab. »Wir werden so viel Freude daran haben, nach und nach deinen Willen zu brechen und dir die Geheimnisse zu entreißen.«
»Ihr geht von einer falschen Voraussetzung aus, Eure Majestät«, sagte Honey. Ich war von dem Moment so gefangen gewesen, dass ich prompt vergessen hatte, dass sie und die anderen noch bei mir waren. Zu wissen, dass ich nicht allein war, ließ mich ein wenig besser fühlen.
»Sag du's ihr, Honey«, sagte ich. Hoffentlich konnte mir das etwas Zeit geben, um über eine Lösung nachzudenken. Irgendeine.
»Ihr würdet die Erde heutzutage nicht mögen, Eure Majestät«, sagte Honey glatt. »Ihr würdet den alten Ort nicht wiedererkennen, nach allem, was wir damit angestellt haben. Er ist … sehr normal jetzt. Sehr vernünftig und ordentlich. Ganz Wissenschaft, die Magie in ein Schattendasein gezwungen, in die Nischen und Risse. Die Erde hat sich geändert und sich entwickelt, wie die Menschheit. Wohingegen Ihr und Euer Volk, Eure Majestät, das nicht getan habt. Es gibt in unserer Welt keinen Platz mehr für Euch. Hier ist es besser für Euch. Wirklich.«
»Sprich noch einmal, kleines Ding, und Wir werden dich in etwas Amüsantes verwandeln«, sagte Königin Mab. »Wir sprechen nur zu dem Drood, und das auch nur, weil seine Familie an Uns gebunden ist und Wir an sie.«
»Und weil ihr immer noch Angst vor unserer Familie habt«, sagte ich. »Das hat sich nicht geändert. Bleib hier, Mab. Wo du sicher bist.«
Sie beugte sich plötzlich vor, eine so unerwartete Bewegung, als verbeuge sich eine Statue. Ihr großartiger Kopf kam herunter, um mich boshaft anzustarren und ich hatte große Mühe, nicht zurückzuweichen. Aus der Nähe glänzten ihre goldenen Augen wie die Sonne.
»Ihr habt meinen Blue getötet«, sagte sie in einer Stimme so sanft und unerbittlich wie der Tod. »Er war nicht viel. Ein Halbblut, geboren aus einem Tabu. Aber er hatte Mut, und Wir mochten seinen Stil. Der einzige Elb, der es je geschafft hat, sich in die standhaften Droods, meine Feinde, einzuschleichen, ihr Vertrauen zu gewinnen und einen Torques zu stehlen. Nicht für sich selbst, sondern für Uns. Damit Wir in Herrlichkeit wieder zurückkehren können. Wir hätten ihn hochgestellt in Unserer Gunst, den Fehler in seinem Blut vergessen … Aber er bestand darauf, allein in eure Welt zurückzukehren und dort ein letztes Spiel zu spielen. Wir konnten es ihm nicht abschlagen. Es bedeutete ihm so viel, seinen Wert sowohl in eurer als auch in Unserer Welt zu beweisen. Und ihr habt ihn dafür getötet.«
»Ich habe ihn nicht getötet«, sagte ich. »Ich war sein Freund. Ein wirklicher Freund, nicht so wie du. Ich schätzte ihn für das, was er war, nicht für das, was er an den Tisch bringen konnte. Ich habe dir seinen Körper als ein Zeichen des Respekts zurückgeschickt. Respekt für ihn genau wie für dich.«
»Nicht gut genug, Elbentöter. So viele andere sind tot. Elbenlords und -ladies, die sich gut mit diesem Hof standen, getötet von deiner Hand, verloren an die unnatürlichen Drood-Waffen. Hast du dir je die Mühe gemacht, die Namen derer zu erfahren, die du getötet hast? Sie hatten edle Namen und waren von mächtiger Abkunft. Ihre Leben und ihre Taten und das, was sie erreicht hatten, waren Legende. Und du hast sie getötet. Ihr vergossenes Blut ruft nach Rache, und Wir sind gesonnen, sie zu nehmen.«
Ich drehte ihr absichtlich den Rücken zu und sah über die Reihen von Elben, die sich hinter mir aufgestellt hatten. Sie alle hatten irgendeine Art von Waffe in der Hand, und jeder von ihnen lächelte, erwartete Leid und Kampf: Nahrung für das Elbenvolk. Eine alte Geschichte, was Elben und Menschen anging, aber zu ihrem Pech würde ich sie nicht nach den althergebrachten Regeln spielen. Honey ging zur Seite, um sich selbst Platz zu schaffen. Sie hatte wieder ihre schimmernde Kristallwaffe in der Hand. Walker lehnte lässig auf seinem Regenschirm und sah sich glücklich strahlend um. Offenbar war er völlig unbesorgt, als ob er etwas wisse, was sonst keiner wusste. Und vielleicht war das auch so, er war immerhin - Walker. Und Peter King - der sah mich nur an. Er schien nicht sonderlich besorgt oder verängstigt, sondern nur daran interessiert zu sehen, was ich wohl tun würde.
Ich blickte wieder zu Königin Mab. »Du warst so lange fort, dass du die erste Regel des Universums vergessen hast: Leg dich nicht mit den Droods an.«
Ich konzentrierte mich. Meine Rüstung glühte und strahlte wie eine wütende goldene Flamme. Rasiermesserscharfe Klingen erschienen an meinen gerüsteten Armen und Beinen, dicke Dornen traten aus meinen Knöcheln hervor. Meine gesichtslose Maske wurde zu einer wilden dämonischen Visage mit sich windenden Hörnern darauf. Seltsam exotische Waffen brachen aus meinem Rücken auf langen goldenen Strahlen, die auf die Elbenreihen vor mir gerichtet waren und über meine Schultern hinauswuchsen, um Königin Mab zu bedrohen. Das war eine Schlachttaktik, die mir Giles Todesjäger beigebracht hatte. Er hatte mir gezeigt, was man aus der formbaren seltsamen Rüstung meines neuen Torques machen konnte. Ich hatte keine Zeit gehabt, es vor dem Krieg mit den Hungrigen Göttern zu perfektionieren, aber seitdem hatte ich eine ganze Menge geübt.
Die Elben standen sehr still. Das war etwas ganz Neues, und die Elben gingen Änderungen immer aus dem Weg. Sie wussten nicht, wie man auf Neues reagierte.
»Sagt Guten Tag zum neuen Boss, der ein noch größeres Arschloch ist als der alte«, sagte ich zu Königin Mab. Meine Stimme war zu einem ohrenbetäubenden Brüllen verstärkt, das die ganze riesige Halle ausfüllte. Honey und die anderen wichen tatsächlich vor mir zurück, und Königin Mab saß wieder auf ihrem Thron.
»Wagst du es, Uns in Unserem eigenen Thronsaal, in Unserem eigenen Land zu drohen?«, sagte sie, aber sie klang nicht mehr ganz so sicher wie noch zuvor.
»Warum nicht?«, fragte ich. »Wer bist du denn?«
»Was bist du?«, flüsterte der Herold. »Was ist aus den Droods geworden?«
»Schamanen«, sagte ich. »Schützer des Stammes der Menschen. Wer die Menschheit bedroht, der bedroht uns. Wer einen von uns bedroht, der hat die ganze Familie, bereit zum Krieg, gegen sich. Ist es das, was du willst, Königin Mab? Krieg in den Anderen Landen zwischen den Deinen und all den Meinen? Dein Versprechen zu brechen, deine Ehre und alles, was du hier wiedererlangt hast zu verlieren, nur weil du einen Torques erobern willst, den du nicht benutzen könntest und eine Welt, in der du nicht leben könntest? Ist es das, was du willst?«
»Nein«, sagte Königin Mab langsam und widerwillig. »Aber sprich Uns nicht von Ehre, Drood. Deine Familie ist korrupt, verdorben von innen heraus, voller Verräter. Sogar hier haben Wir das gehört.«
»Wir räumen noch auf«, sagte ich. »Und dann sollten alle Welten erzittern und alles, was lebt, sich vorsehen.«
Ich erlaubte meiner Rüstung wieder, zu ihrer glatten und glänzenden menschlichen Form zurückzukehren. Klingen, Dornen und die anderen Waffen sanken nahtlos wieder in die goldene Oberfläche. Mein Teufelsgesicht war wieder zur gesichtslosen Maske geworden. Diese Schlachtform aufrechtzuerhalten kostete mich verflucht viel Kraft, so viel, dass ich im Training nie mehr als ein paar Minuten Kampf durchgehalten hatte, aber natürlich wusste Mab das nicht.
»Wir werden jetzt gehen«, sagte ich. »Wir haben erfahren, was wir wissen wollten. Öffnet die Tür für uns, unterstützt unsere Abreise, und dann schließt das Tor und versiegelt es hinter uns. Meine Leute werden das in regelmäßigen Abständen überprüfen, also stellt sicher, dass es geschlossen bleibt.«
»Warum sollten wir euch auch nur im Geringsten unterstützen?«, fragte Königin Mab. Es sollte eine Drohung sein, aber es klang eher wie die trotzigen, schmollenden Worte eines enttäuschten Kindes.
»Nun, lass es mich so sagen«, erwiderte ich. »Du würdest doch nicht wollen, dass wir noch bleiben und dir auch noch den Rest des Tages verderben, oder?«
»Geht«, sagte Königin Mab.
Wir segelten die Straße der Hoffnung durch die grünen Nebel zurück in unsere Welt und niemand versuchte, uns aufzuhalten. Wir alle jubelten, als die grünen Nebel hinter uns zurückblieben und sich auflösten, um den Blick auf einen wunderbar normalen Fluss und Himmel freizugeben. Wir alle sogen die scharfe, frische Luft tief ein, lachten und schlugen uns auf den Rücken. Honey hopste am Steuerrad auf und ab und drehte dann auf volle Kraft, um so viel Abstand wie möglich zwischen uns und das Tor zu bringen; nur für den Fall.
»Ich glaub das nicht!«, sagte sie. »Du hast Königin Mab niedergestarrt! Du standest Auge in Auge mit der psychotischen Königin aller Schlampen und sie hat zuerst geblinzelt!«
»Ich muss sagen, ich bin beeindruckt«, meinte Walker, der sich wieder bequem in seinem Ledersessel installiert hatte. »Elben zurückweichen zu sehen, mit nichts konfrontiert als Worten und Frechheit, das ist … beispiellos. Haben Sie geblufft, Eddie?«
»Das werde ich nicht verraten«, sagte ich und ließ die Brise zärtlich mein ungerüstetes Gesicht streicheln. Das fühlte sich gut an, irgendwie natürlich … alles, was die Anderen Lande nicht waren.
»Natürlich nicht, wirklich - wie bist du nur damit davongekommen?«, fragte Honey.
Ich seufzte. Ich war plötzlich sehr müde. »Weil die Elben nicht mehr das sind, was sie mal waren. Sie sind endlich alt geworden. Konntet ihr das nicht spüren? In der Luft, den Schiffen, den Gebäuden? Die Zeit holt sie langsam ein.«
»Aber sie sind doch - wenn schon nicht unsterblich, so doch verdammt nah dran«, sagte Walker.
»Habt ihr irgendwelche Kinder dort gesehen?«, fragte ich. »Irgendwelche Anzeichen für Kinder? Gerade weil er so selten war, waren die Elben immer besonders stolz auf ihren Nachwuchs und haben keine Gelegenheit versäumt, mit ihm anzugeben. Und wir haben nicht ein einziges Kind in der ganzen Stadt gesehen. Ich kann's nicht beweisen, aber ich spüre das in den Knochen: Die Elben, die wir heute gesehen haben, sind die einzigen, die es noch gibt. Ich glaube, sie haben völlig aufgehört, sich fortzupflanzen, als sie unsere Welt verließen. Deshalb wollen sie so verzweifelt zurückkehren. Weil sie in ihrem wunderbaren, sterilen Land aussterben. Und das ist eine Schande.«
»Eine Schande?«, fragte Honey und drehte sich tatsächlich von ihrem Steuerrad zu mir um.
»Ja«, sagte ich. »Denn dann würde es ein Wunder weniger in der Welt geben.«
Walker nickte langsam. »Sie sind sehr schön. Und man kann eine Rose nicht ohne Dornen haben.« Er hielt plötzlich inne und sah sich um. »Wo ist Peter?«
Wir suchten das Boot vom Heck zum Bug ab, aber er war nicht an Bord. Ich konnte nicht glauben, dass ich das nicht früher bemerkt hatte, aber Peter war nicht mit uns anderen zurückgekommen. Wir versammelten uns in der Kabine und betrachteten einander ernüchtert, als die Straße der Hoffnung dem Hafen von Philadelphia immer näher kam.
»Haben wir ihn zurückgelassen?«, fragte Honey. »Wir können ihn doch nicht im Elbenreich zurückgelassen haben! Das hätten wir doch gemerkt!«
»Hätten wir das?«, fragte ich. »Wann hast du ihn zuletzt gesehen? Hast du ihn an Bord gehen sehen, bevor wir abgelegt haben? Ich dachte, er sei bei uns, aber ich war mit den Gedanken bei anderen Dingen, wie zum Beispiel einem Hinterhalt in letzter Minute, angeführt von einer gehässigen Elbenkönigin.«
»Vielleicht hat Mab ihn behalten«, sagte Walker. »Als Bestrafung für Ihre Frechheit ihr gegenüber.« Seine Lippen pressten sich aufeinander, und er stand sehr aufrecht. »Wenden Sie das Boot. Wir müssen zurück. Wir können ihn nicht dort lassen.«
»Wir können nicht zurück«, erwiderte ich. »Die Elben haben das Portal hinter uns versiegelt, schon vergessen? Das war der Deal.«
»Wir wissen ja auch gar nicht, ob er überhaupt dort ist«, sagte Honey. »Er könnte überall verschwunden sein.«
»Und er hat sein Teleport-Armband«, sagte ich. »Er könnte einfach zur nächsten Aufgabe wieder auftauchen.«
»Wenn das in den Anderen Landen überhaupt funktioniert«, sagte Walker. »Wir müssen zurück! Es gibt andere Wege, andere Eingänge! Wir können ihn einfach nicht in den Händen der Elben lassen!«
»Nein!« Ich sagte das mit derartigem Nachdruck, dass beide mich entsetzt ansahen. Ich zwang mich, meine nächsten Sätze ruhig und vernünftig zu sagen. »Wenn sie Peter haben, und das heißt ›falls‹ - wir wissen das ja nicht -, dann werden sie uns erwarten. Er wäre der Köder in einer Falle. Wir müssten unseren Weg durch gut verteidigte Tore freischlagen, und das würde eine Kampfkraft erfordern, die der Feuerkraft der gesamten Drood-Familie entspräche. Das hieße Krieg zwischen den Elfen und den Droods, und das Schicksal der Menschheit wäre der Einsatz. Ich werde das nicht riskieren - nicht für ein ›Falls‹.«
»Was könnte sonst mit Peter passiert sein?«, fragte Honey.
Ich sah ihr direkt in die Augen. »Du könntest ihn getötet haben. Oder Walker. Während meine Aufmerksamkeit abgelenkt war. Du könntest ein Messer in seine Rippen gejagt und ihn über Bord geworfen haben. In die grünen Nebel, keiner hätte es gesehen oder hätte etwas vermutet.«
»Wie kannst du das sagen?«, fragte Honey.
»Jemand hat Katt und Blue getötet«, sagte ich. »Und hat vielleicht auch versucht, Walker in Tunguska zu töten. Wenn man das glauben kann.«
»Sie hätten die anderen selbst töten können«, sagte Walker. Er klang vernünftig und kein bisschen anklagend. »Sie hätten Peter töten können. Sie sind ein Drood und das ist es, was Droods tun.«
»Jeder von uns könnte der Mörder sein«, sagte ich. »Es kann nur einen geben, der zurückkehrt, um sich den Preis zu holen, erinnert ihr euch? Und wir alle sind verzweifelt hinter diesem Preis her.«
Für eine ganze Weile sagte keiner ein Wort. Die Docks von Philadelphia kamen näher. Plötzlich fuhr Walker auf.
»Was sollen wir seinem Großvater sagen?«
»Alexander King hat die Regeln für dieses ach so tolle Spiel selbst gemacht«, sagte Honey. »Und er war derjenige, der seinen Enkel überhaupt erst zu diesem Spiel gezwungen hat.«
»Ich werde Peter vermissen«, sagte Walker. »Oder jedenfalls sein überaus nützliches Kamerahandy. Ich meine, ohne das Ding haben wir keinen direkten Beweis, was mit der USS Eldridge passiert ist.«
»Dann ist ja gut, dass ich so vorausschauend war, ihm das Handy auf dem Weg zurück zum Boot aus der Tasche zu klauen«, sagte ich und hielt das Kamerahandy hoch.