Als Spurgeon Robinson drei Wochen lang in Sechsund-dreißig-Stunden-Schichten als Begleitarzt mit den Krankenwagen gefahren war, ging ihm der Fahrer Meyerson schon längst auf die Nerven, das viele geronnene Blut, all die Verletzungen zermürbten ihn, und sein Dienst gefiel ihm ganz und gar nicht. Er entdeckte, daß er mitunter entrinnen konnte, wenn er seine Phantasie spielen ließ, und auf der jetzigen Fahrt hatte er sich soeben eingeredet, daß er nicht in einem Krankenwagen saß; es war ein gottverdammtes Raumschiff, er war kein Spitalsarzt mehr, sondern der erste Schwarze im Weltraum. Das Sirenengeheul war der zu Klang verwandelte Schubstrahl.
Maish Meyerson, der Lümmel, weigerte sich jedoch, mitzumachen und den Piloten zu spielen. »Wer vabrennt«, schnauzte er den eigensinnigen Fahrer eines Chrysler Convertible an, als er ihn mit dem Krankenwagen schnitt.
In einer Stadt wie New York hätten sie vielleicht die Baustelle nur schwer finden können, in Boston jedoch gab es noch immer erst wenige wirklich hohe Gebäude. Das kahle, skelettartige Metallgerüst mit seiner roten Rostschutzfarbe stieß wie ein blutiger Finger in den grauen Himmel.
Dieser Finger winkte sie geradewegs zum Schauplatz des Unfalls. Noch während die Sirene wimmernd verklang, warf Spurgeon schon die Wagentür hinter sich zu, und langsam löste sich der Menschenknäuel um die auf dem Boden liegende Gestalt.
Spurgeon kauerte sich neben den Mann. Die unbeschädigte Kopfhälfte verriet ihm, daß der Mann noch jung war.
Seine Augen waren geschlossen. Ein dünnes Geriesel tropfte von dem fleischigen Ohrläppchen.
»Einer hat einen Schraubenschlüssel aus dem dritten Stock fallen lassen«, sagte ein beleibter Mann, der Polier, als Antwort auf die nicht gestellte Frage.
Spurgeon teilte das verfilzte Haar mit den Fingern und spürte, wie sich die Knochenstückchen lose und scharfkantig wie zertrümmerte Eierschalen unter dem zerfetzten Fleisch bewegten. Wahrscheinlich zerebrospinale Flüssigkeit, die aus dem Ohr kam, dachte er. Es hatte keinen Sinn, die Wunde zu säubern, solange der arme Kerl auf dem Boden lag, entschied er, nahm einen sterilen Mulltupfer und legte ihn auf die Wunde, wo er sich sofort rot färbte.
Der Hosenlatz des Mannes war offen und ließ seinen Pe-nis sehen. Der dickwanstige Polier sah, daß Spurgeon es bemerkte. »Er war gerade beim Pissen«, sagte er, und Spurgeon sah das Bild des Arbeiters vor sich, der den Druck seiner Blase erleichterte und eine perverse Genugtuung daraus bezog, das Gebäude, das er errichten half, zu taufen; und der Schraubenschlüssel fiel und fiel und fiel, unbeirrbar und genau, als protestierte Gott gegen schmutzige kleine menschliche Handlungen.
Der Polier kaute an seiner kalten Zigarre und blickte auf den Verletzten. »Er heißt Paul Connors. Ich sage den Schweinehunden immer wieder, setzt die Helme auf. Wird er sterben?«
»Man kann von hier aus nicht viel sagen«, sagte Spurge-on. Er schob das eine geschlossene Augenlid hoch und sah, daß die Pupille erweitert war. Der Puls war sehr schwach.
Der Dicke sah ihn mißtrauisch an. »Sind Sie Arzt?«
Ein Schwarzer?
»Ja.«
»Geben Sie ihm etwas gegen die Schmerzen?«
»Er spürt keine Schmerzen.«
Spurgeon half Maish die Tragbahre herausholen, und sie luden Paul Connors in den Krankenwagen.
»He!« schrie der Polier, als Spurgeon die Tür schließen wollte.
»Ich fahre mit.«
»Gegen die Vorschrift«, log Spurgeon.
»Bin früher auch immer mitgefahren«, sagte der Mann unsicher.
»Von welchem Krankenhaus sind Sie?«
»County General.« Spurgeon zog an der Tür und ließ sie heftig ins Schloß fallen. Vorne startete Meyerson den Motor. Der Krankenwagen fuhr mit einem Ruck los. Der Patient atmete flach und unregelmäßig. Spurgeon befestigte den Beatmungsschlauch aus schwarzem Gummi in Con-nors' Mund so, daß die Zunge nicht dazwischen kommen konnte, und drehte den Respirator auf. Er legte die Maske auf das Gesicht des Patienten, und der Sauerstoff aus dem Zylinder begann in schnellen kurzen Stößen, die wie das Rülpsen eines Babys klangen, einzuströmen. Die Sirene fing mit einem kurzen Aufstöhnen zu heulen an, und wieder entrollte sich ein dickes Band elektronischer Geräusche hinter dem Krankenwagen. Seine Räder sausten kreischend über die Fahrbahn. Spurgeon überlegte wie er den Vorfall als Musikstück instrumentieren würde. Trommeln, Hörner, sonstige Blasinstrumente. Man konnte alles verwenden. Fast alles.
Geigen würde man nicht brauchen.
Im Büro des Oberarztes döste Adam Silverstone, den Kopf auf die über der harten Schreibtischplatte gekreuzten Arme gelegt, und träumte. Er lag wieder auf einem Bett aus dürren, gekräuselten Blättern, einem Haufen angesammelter Reste vieler vergangener Herbstzeiten, auf dem er einst als Junge gelegen war, den Blick versonnen in den stillen Tümpel eines Waldbachs verloren. Es war im Spätfrühling seines vierzehnten Lebensjahres gewesen, eine schlimme Zeit, in der sich sein Vater angewöhnt hatte, auf die empörten italienischen Flüche seiner Großmutter mit betrunkenen jiddischen Beschimpfungen eigener Erfindung zu antworten. Um Myron Silberstein und der vecchia zu entfliehen, hatte sich Adam eines Samstagmorgens einfach zur Überlandstraße begeben und war drei Stunden lang per Anhalter dahingefahren, ohne bestimmtes Ziel, er wollte nur einfach weg, von dem Rauch und dem grobkörnigen Staub Pittsburghs, weg von all dem, was es für ihn bedeutete, bis ihn ein Kraftfahrer schließlich auf einem durch Wälder führenden Straßenabschnitt absetzte. Später hatte Adam ein halbes dutzendmal versucht, die Stelle wiederzufinden, konnte sich jedoch nicht genau erinnern, wo sie eigentlich war. Vielleicht aber war auch der Wald zu der Zeit, als Adam ihn wieder suchte, längst von einem Bulldozer vergewaltigt worden und hatte Häuser ausgebrütet. Nicht daß die Stelle etwas Besonderes gewesen wäre; alle diese Wälder waren spärlich und schütter, weil man zu viele Bäumen gefällt hatte, das Rinnsal des Baches hatte nie eine Forelle beherbergt, der Tümpel war nichts als eine tiefe klare Pfütze. Aber das Wasser war kalt, und Sonnenflecken spielten darüber hin. Er hatte, bäuchlings auf den Blättern ausgestreckt, den Geruch des kühlen Waldmoders eingesogen. In seinem Magen begann der Hunger zu rumoren, aber es kümmerte ihn nicht, als er so dalag und zusah, wie kleine Insekten über das Wasser wanderten. Was hatte er in der halben Stunde, in der er dort lag, erlebt -bevor die hartnäckige Frühlingsfeuchtigkeit durch die trockenen Blätter heraufkroch und ihn bewog, sich fröstelnd loszureißen -, was ließ ihn für den Rest seines Lebens von dem kleinen Tümpel träumen? Friede, entschied er Jahre später.
Dieser Friede wurde jetzt durch das Klingeln des Telephons zerschlagen, dessen Hörer er, noch halb im Schlaf, abhob.
»Adam? Hier Spurgeon.«
»Ja«, sagte er gähnend.
»Freundchen, wir haben vielleicht einen Nierenspender.«
Seine Schläfrigkeit wich etwas. »Ja?«
»Ich habe soeben einen Patienten hereingebracht. Komplizierte eingedrückte Schädelfraktur mit schweren Gehirnschäden. Meomartino assistiert Harold Poole. Er läßt Ihnen sagen, daß das EEG keinerlei elektrische Aktivität mehr zeigt.«
Jetzt war Adam hellwach.
»Welche Blutgruppe hat der Patient?« fragte er.
»AB.«
»Susan Garland hat AB. Das heißt also, daß diese Niere Susan Garland gehört.«
»Ah - Meomartino meint, ich soll Ihnen auch sagen, daß die Mutter des Patienten im Wartezimmer sitzt. Sie heißt Connors.«
»Gott verdammt.« Die Aufgabe, die legale Erlaubnis für eine Transplantation zu sichern, fiel dem Oberarzt und dem Fellow der Chirurgie zu. Meomartino, der Fellow, hatte regelmäßig andere dringende Pflichten, wenn es an der Zeit war, mit den engsten Angehörigen zu sprechen. »Ich bin sofort unten«, sagte er.
Mrs. Connors saß neben ihrem Pfarrer und schien nur wenig durch die Tatsache getröstet, daß ihr Sohn die Letzte Ölung erhalten hatte. Sie war eine vom Leben verbrauchte Frau mit einer Begabung für Ungläubigkeit.
»Ah, erzählen Sie mir nicht so etwas«, sagte sie mit Tränen in den Augen und einem zitternden Lächeln, als sei sie imstande, ihm das Ganze auszureden. »Er nicht«, sagte sie beharrlich. »Er liegt nicht im Sterben. Nicht mein Paulie.«
Formal hat sie recht, dachte Adam. In diesem Augenblick war ihr Junge schon tot. Nur die Boston Edison Company ließ ihn noch atmen. Sowie der elektrische Re-spirator abgedreht war, würde er in zwanzig Minuten völlig weg sein.
Adam konnte ihnen nie sein Beileid ausdrücken; es war so unzulänglich. Sie begann bitterlich zu weinen.
Er wartete lange, bis sie sich etwas gefaßt hatte, und erklärte ihr dann so schonend wie möglich die Sache mit Susan Garland.
»Verstehen Sie das mit dem kleinen Mädchen? Auch sie wird sterben, wenn wir ihr keine andere Niere schenken.«
»Armes Lämmchen«, sagte sie.
»Dann würden Sie also die Zustimmung zur Nierenverpflanzung unterschreiben?«
»Er ist schon genug zerstückelt worden. Aber wenn es das Kind einer anderen Mutter rettet ...«
»Das hoffen wir«, sagte Adam. Als er sich die Zustimmung gesichert hatte, dankte er ihr und entfloh.
»Unser Herr hat Seinen ganzen Körper für Sie und für mich hingegeben«, hörte er den Priester noch im Fortgehen sagen. »Übrigens auch für Paul.«
»Ich habe nie behauptet, daß ich die Muttergottes bin, Vater«, sagte die Frau.
Seine Niedergeschlagenheit würde vielleicht verfliegen, wenn er sich dem hoffnungsvolleren Teil des Falles zuwendete, dachte Adam.
Im Zimmer 308 saß Bonita Garland, Susans Mutter, in einem Sessel und strickte. Wie gewöhnlich, wenn ihn das Mädchen von ihrem Bett aus sah, zog es die Decke über die eichelförmigen kleinen Brüste unter dem Nachthemd bis zum Hals herauf, eine Geste, die zu bemerken er sorgfältig vermied. Von zwei Kissen gestützt, las Susan Mad, was ihn irgendwie erleichterte. Vor Wochen, als sie in einer langen schlaflosen Nacht an die plätschernde Blutwäschemaschine angeschlossen war, die in periodischen Abständen ihr Blut von den angesammelten Giften reinwusch, hatte er gesehen, wie sie Seventeen durchblätterte, und hatte sie damit aufgezogen, daß sie diese Zeitschrift las, obwohl sie selbst kaum vierzehn war.
»Ich wollte sie mir auf keinen Fall entgehen lassen«, hatte sie, eine Seite umblätternd, gesagt.
Jetzt stand er, übersprudelnd vor guten Neuigkeiten, am Fußende ihres Bettes. »Hallo, Schätzchen«, sagte er. Sie machte eben eine Periode glühender Schwärmerei für englische Musikgruppen durch, ein Spleen, den er schamlos ausnützte. »Ich kenne ein Mädchen, das behauptet, ich sähe wie der Bursche aus, der immer auf dem Umschlag dieser Zeitschrift zu sehen ist. Wie heißt er?«
»Alfred E. Neumann?«
»Ja.«
»Sie sehen viel besser aus.« Sie legte den Kopf schief, um ihn zu betrachten, und er sah, daß sich die dunklen Ringe unter ihren Augen vertieft hatten, ihr Gesicht schmäler geworden war und um die Nase feine Schmerzlinien trug. Als er dieses Gesicht zum erstenmal gesehen hatte, war es lebhaft und spitzbübisch gewesen. Auch jetzt versprach es, obwohl sich die Sommersprossen scharf gegen die fahl werdende Haut abzeichneten, noch immer eine große Anziehungskraft, wenn sie einmal erwachsen sein würde.
»Danke«, sagte er. »Du solltest mit deinen Komplimenten mir gegenüber lieber vorsichtig sein. Ich könnte es mit Howard zu tun kriegen.« Howard war ihr Freund. Die Eltern hatten ihnen verboten, miteinander zu gehen, hatte sie Adam eines Abends anvertraut, aber sie taten es trotzdem. Manchmal las sie Adam Stellen aus Howards Briefen vor.
Er wußte, daß sie versuchte, ihn auf Howard eifersüchtig zu machen, und war gerührt und geschmeichelt.
»Er wird mich dieses Wochenende besuchen.«
»Warum bittest du ihn nicht, statt dessen nächstes Wochenende zu kommen?«
Sie erstarrte, aufgeschreckt durch das heimliche Warnsystem chronisch Kranker. »Warum?«
»Du wirst gute Neuigkeiten für ihn haben. Wir haben eine Niere für dich.«
»O Gott.« Jubel stand in Bonita Garlands Augen. Sie legte ihre Strickerei nieder und sah ihre Tochter an.
»Ich will sie nicht«, sagte Susan. Ihre dünnen Finger verbogen die Deckblätter der Zeitschrift.
»Warum nicht?« fragte Adam.
»Du weißt nicht, was du redest, Susan«, sagte ihre Mutter. »Wir haben so lange darauf gewartet.«
»Ich habe mich an die Dinge gewöhnt, so wie sie sind. Ich weiß, was ich zu erwarten habe.«
»Nein, das weißt du nicht«, sagte er sanft. Er löste ihre Finger von der Zeitschrift und hielt sie in seinen Händen. »Falls wir nicht operieren, wird es schlechter. Viel schlechter. Nach der Operation wird es besser. Keine
Kopfschmerzen mehr. Keine Nächte mehr an der verdammten Maschine. Bald kannst du in die Schule zurück. Du kannst mit Howard tanzen gehen.«
Sie schloß die Augen. »Versprechen Sie mir, daß nichts schiefgeht?«
Jesus. Er sah, daß ihm ihre Mutter zunickte.
»Natürlich«, sagte er.
Bonita Garland ging zu dem Mädchen und nahm es in die Arme.
»Liebling, es wird einfach großartig laufen. Du wirst sehen.«
»Mammi.«
Bonita drückte den Kopf ihrer Tochter an die Brust und begann sie zu wiegen. »Susie - Kleines«, sagte sie. »Oh, mein Gott, haben wir Glück.«
»Mammi, ich habe nur so viel Angst!«
»Du hast gehört, daß dir Dr. Silverstone sein Wort gibt.«
Er verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter. Keine hatte gefragt, woher die Niere kam. Er wußte, wenn er sie das nächstemal sah, würden sie sich dafür schämen.
Der Straßenverkehr ging allmählich zurück. Der Wind blies vom Meer über die schmutzigsten Stadtviertel herein und trug eine vielfältige Mischung von Gerüchen mit sich, meist üblen. Adam verspürt den Drang, zwanzig schnelle Runden zu schwimmen oder ausgiebig zu lieben, irgendeine körperlich rasend anstrengende Tätigkeit zu unternehmen, welche die Last erleichtern würde, die ihn jetzt fast zu Boden drückte. Wäre er nicht der Sohn eines Säufers gewesen, dann hätte er jetzt eine Bar gesucht. Statt dessen ging er über die Straße zu Maxie, aß Chowder aus der Dose und trank zwei Tassen schwarzen Kaffees. Der Junge hinter der Theke konnte nichts für den Fraß, und der
Kaffee schmeckte wie der erste Kuß von einem häßlichen Mädchen, nichts, dessen man sich rühmen konnte, aber tröstlich.
Der Fellow der Chirurgie, Meomartino, hatte die Verbindungen zwischen den Operationssälen und den engsten Verwandten des Spenders organisiert. Man mußte ihm zugestehen, das System funktionierte, dachte Adam Silverstone widerwillig, während er seine Fingernägel bürstete.
Spurgeon Robinson war an der Tür des OP 3 postiert.
Im Büro der chirurgischen Station im ersten Stock wartete ein zweiter Spitalsarzt namens Jack Moylan bei Mrs. Connors. In Moylans Tasche steckte ein Zettel mit der Zustimmung zur Autopsie. Er saß mit dem Telephonhörer am Ohr da und wartete. Am anderen Ende der Leitung saß ein Facharztanwärter im ersten Jahr namens Mike Schneider hinter dem Schreibtisch auf dem Gang vor der OP-Tür.
Drei Meter von jener Stelle, wo Spurgeon stand und wartete, lag Paul Connors auf dem Operationstisch. Es war mehr als vierundzwanzig Stunden her, seit er in das Krankenhaus eingeliefert worden war, aber noch immer atmete der Respirator für ihn.
Meomartino hatte ihn bereits für den Eingriff vorbereitet und legte ein steriles Plastiktuch über das Operationsfeld.
Neben ihm sprach Dr. Kender, der stellvertretende Chefarzt der Chirurgie, leise mit Dr. Arthur Williamson von der Internen.
Gleichzeitig ging nebenan im OP 4 Adam Silverstone, jetzt reingebürstet und vermummt, zum Operationstisch, auf dem Susan Garland lag. Das Mädchen starrte ihn schläfrig an. Sie erkannte ihn hinter der Operationsmaske nicht.
»Hallo, Schätzchen«, sagte er.
»Oh. Sie sind's.«
»Wie geht's?«
»Alle verkleidet. Ihr seht aus wie Gespenster.« Sie lächelte und schloß die Augen.
Um 7 Uhr 55 setzten Dr. Kender und Dr. Williamson im OP 3 die Elektroden eines Elektroenzephalographen an Paul Connors' Schädel.
Wie am Abend zuvor zog der Griffel des EEG eine gerade Linie auf dem Millimeterpapier und bestätigte damit, was sie ohnehin wußten: daß sein Geist nicht mehr lebte. Zweimal in vierundzwanzig Stunden hatten sie das Fehlen elektrischer Tätigkeit im Gehirn des Patienten verzeichnet. Die Pupillen waren stark erweitert, die peripheren Reflexe fehlten.
Um 7 Uhr 59 drehte Dr. Kender den Respirator ab. Fast gleichzeitig hörte Paul Connors zu atmen auf.
Um 8 Uhr 16 suchte Dr. Williamson den Herzschlag, und als er keinen fand, erklärte er Connors für tot.
Spurgeon Robinson öffnete die Tür zum Gang. »Jetzt«, sagte er zu Mike Schneider.
»Er ist ex gegangen«, sagte Schneider ins Telephon.
Sie warteten schweigend. Schneider horchte gespannt, wandte sich dann kurz darauf ab und sagte: »Sie hat unterzeichnet.«
Spurgeon ging in den OP 3 zurück und nickte Meomar-tino zu.
Während Dr. Kender zusah, nahm der Fellow ein Skalpell und machte den transversalen Einschnitt, der es ihm ermöglichte, die Niere aus der Leiche zu entfernen.
Meomartino arbeitete mit äußerster Sorgfalt und wußte, daß seine Nephrektomie sauber und richtig war, weil Dr. Kender beifällig schwieg. Er war es gewöhnt, vor den kritischen Augen der Älteren zu operieren, und ließ sich nie aus der Fassung bringen.
Dennoch schwankte seine Selbstsicherheit für den Bruchteil einer Sekunde, als er aufblickte und Dr. Longwood auf der Galerie sitzen sah.
Waren es Schatten? Oder waren es die von ihm in diesem kurzen Augenblick wahrgenommenen angeschwollenen dunklen Zeichen urämischer Vergiftung, die unter den Augen des Alten bereits erkennbar waren?
Dr. Kender räusperte sich, und Meomartino beugte sich wieder über die Leiche.
Er brauchte nur sechzehn Minuten, um die Niere zu entfernen, anscheinend eine gute, mit einer einzigen, klar um-rissenen Arterie. Während er mit behandschuhten Fingern das Abdomen abtastete, um sich zu vergewissern, daß kein Tumor vorhanden war, nahm die Verbindungsmannschaft, deren sämtliche Mitglieder jetzt bereits steril gewaschen waren und warteten, die freigelegte Niere und hängten sie an ein Perfusionssystem, das eiskalte Flüssigkeit durch das Organ pumpte.
Die große rote Fleischbohne wurde vor ihren Augen weiß, als das Blut aus ihr herausgewaschen wurde, und schrumpfte vor Kälte zusammen.
Sie trugen die Niere auf einem Tablett in den OP 4, und Adam Silverstone assistierte, als Dr. Kender das Organ zu einem Teil des Mädchenkörpers machte und dann dessen eigene Nieren entfernte, von der Krankheit verwüstete und verrunzelte Stückchen, die seit langem nicht mehr funktioniert hatten. Adam wußte, als er die zweite aus der Zange auf das Tuch fallen ließ, daß jetzt Susan Garlands ein-zige Lebensader jene Arterie war, die ihr Blut an Paul Connors' Niere anschloß. Nunmehr aber färbte sich das übertragene Organ bereits mit einem gesunden Rosarot, erwärmt von neuem, jungem Blut.
Nicht ganz eine halbe Stunde nach Beginn der Transplantation schloß Adam die abdominale Inzision. Er half dem Krankenwärter, Susan Garland in den sterilen Erholungsraum zu tragen, und war daher der letzte, der in das Zimmer der Jungchirurgen zurückkam. Robinson und Schneider hatten bereits die grünen Operationsanzüge gegen weiße ausgetauscht und waren in ihre Abteilungen zurückgekehrt. Meomartino stand noch in der Unterwäsche da.
»Sieht nach einem Erfolg aus«, sagte er.
Adam hielt die gekreuzten Finger hoch.
»Haben Sie Longwood gesehen?«
»Nein. Der Alte war da?«
Meomartino nickte.
Adam öffnete den Metallschrank, in dem sein weißer Anzug hing, und begann die schwarzen isolierten OP-Stiefel abzustreifen.
»Ich weiß nicht, warum er eigentlich zusehen wollte«, sagte Meomartino nach kurzem Schweigen.
»Er wird bald selbst eine bekommen, wenn wir Glück haben, einen B-negativen Spender zu bekommen.«
»Das wird nicht leicht sein. B-negative sind rar.«
Adam zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich wird Mrs. Bergstrom die nächste Niere bekommen«, räumte er ein.
»Seien Sie dessen nicht so sicher.«
Es gehörte zu den ständigen Sticheleien zwischen Fellow und Oberarzt, daß man, wenn einer eine Information erhielt, die den anderen noch nicht erreicht hatte, sich so be-nahm, als besäße man eine direkte Leitung zum lieben Gott. Adam knüllte den schmutzigen grünen Anzug zusammen und warf ihn in den halbgefüllten Wäschekorb in der Ecke. »Was zum Teufel soll denn das heißen? Bergstrom wird eine Niere von ihrer Zwillingsschwester bekommen, oder?«
»Die Schwester weiß noch nicht, ob sie eine hergeben will.«
»O Gott.« Adam zog seinen weißen Anzug aus dem Schrank und stieg in die Hose, die, wie er bemerkte, allmählich schmuddelig wurde und am nächsten Tag durch eine frische ersetzt werden mußte.
Meomartino ging hinaus, als Adam sich die Schuhe zuband. Silverstone wollte eine Zigarette rauchen, aber das kleine elektronische Ungeheuer in dem Täschchen an seinem Rockaufschlag summte leise, und als Adam zurückfragte, erfuhr er, daß Susan Garlands Vater wartete und ihn sprechen wollte, also ging er sofort hinauf.
Arthur Garland war Anfang vierzig, wurde aber bereits dick, hatte unsichere blaue Augen und einen fliehenden rötlichbraunen Haaransatz. Ein Lederwarenhändler, wie sich Adam erinnerte.
»Ich wollte nicht gehen, ohne mit Ihnen zu sprechen.«
»Ich bin nur ein Hausarzt. Vielleicht sollten Sie mit Dr. Kender sprechen.«
»Ich habe soeben mit Dr. Kender gesprochen. Er sagte, daß alles soweit gut ging.«
Adam nickte.
»Bonnie - meine Frau - bestand darauf, daß ich mit Ihnen spreche. Sie sagte, Sie seien so verständnisvoll gewesen. Ich wollte mich bedanken.«
»Nicht nötig. Wie geht es Mrs. Garland?«
»Ich habe sie heimgeschickt. Das Ganze war ein bißchen viel für sie, und Dr. Kender sagte, wir würden Susan einige Tage nicht sehen können.«
»Je weniger Kontakt sie mit der Außenwelt hat, selbst mit Menschen, die sie lieben, um so weniger ist eine Infektionsgefahr gegeben. Die Medikamente, die wir anwenden, damit ihr Körper die neue Niere nicht abstößt, schwächen ihre Widerstandskraft.«
»Ich verstehe«, sagte Garland. »Dr. Silverstone, kann man hoffen, daß alles in Ordnung ist?«
Er war überzeugt, daß Garland bereits Dr. Kender gefragt hatte.
Der Mann wollte unbedingt eine positive Voraussage hören, irgendein kabbalistisches Zeichen als Bestätigung, daß sie die Sache in der Hand hatten, und Adam wußte plötzlich, wie ohnmächtig sie in Wirklichkeit waren.
»Der chirurgische Teil verlief glatt«, sagte er. »Es war eine gute Niere. Es spricht viel für uns.«
»Was unternehmen Sie als nächstes?«
»Auf sie aufpassen.«
Garland nickte. »Ein kleines Zeichen der Dankbarkeit.« Er zog eine Brieftasche heraus. »Krokodilleder. Aus meiner Firma.«
Adam war verlegen.
»Ich habe auch Dr. Kender eine geschenkt. Bitte keinen Dank. Ihr gebt mir mein Mädchen wieder.« Die verängstigten blauen Augen glänzten, schwammen, gingen über. Beschämt schaute der Mann weg, zu der ausdruckslosen Wand.
»Mr. Garland, Sie sind todmüde. Ich gebe Ihnen ein Rezept für ein Beruhigungsmittel, und dann gehen Sie heim.«
»Ja. Bitte.« Er schneuzte sich. »Haben Sie Kinder?«
Adam schüttelte den Kopf.
»Sie sollten sich das Erlebnis nicht entgehen lassen. Wir haben sie adoptiert, wissen Sie das?«
»Ja. Ja, ich weiß.«
»Ich habe mit Bonnie darum gekämpft. Fünf Jahre lang. Ich schämte mich. Aber dann endlich bekamen wir sie, sechs Wochen alt ...« Garland nahm das Rezept, wollte noch etwas sagen, schüttelte den Kopf und ging.
Die Transplantation war am Freitag durchgeführt worden. Am nächsten Mittwoch war sich Adam sicher, daß sie es geschafft hatten.
Susan Garlands Blutdruck war zwar noch immer hoch, aber die Niere funktionierte wie angeboren.
»Ich hätte nie gedacht, daß ich je Herzklopfen bekäme, nur weil jemand nach einer Leibschüssel verlangt«, sagte ihm Bonita Garland.
Es würde noch eine gute Weile bis zur Genesung ihrer Tochter dauern. Die Wunde plagte sie, und das Mädchen war durch die Medikamente geschwächt, die man anwandte, damit ihr Körper die Niere nicht abwies. Susan war deprimiert. Sie fuhr bei gutgemeinten Bemerkungen auf und weinte nachts. Am Donnerstag lebte sie während eines Besuchs von Howard auf, der sich als magerer und entsetzlich schüchterner Junge entpuppte.
Es war Howards Wirkung auf Susan, was Adam auf die Idee brachte.
»Welchen Disc-Jockey im Radio hat sie am liebsten?«
»Ich glaube, J. J. Johnson«, sagte ihre Mutter.
»Warum rufen Sie ihn nicht an und bitten ihn, Samstag abend Susan einige Platten zu widmen? Wir können Ho-ward einladen, sie zu besuchen. Sie wird zwar nicht tanzen oder auch nur ihr Bett verlassen können, aber unter den Umständen könnte es ein annehmbarer Ersatz sein.«
»Sie sollten Psychiater werden«, sagte Mrs. Garland.
»Ein Ball für mich allein?« fragte Susan, als sie es ihr erzählten.
»Ich muß mir die Haare waschen lassen. Sie sind schmutzig.« Ihre Stimmung schlug derart um, daß Silver-stone, hingerissen, telephonisch einen Blumenstrauß bestellte, für rote Rosen Geld ausgab, das er anderen Zwek-ken zugedacht hatte, mit einer Karte:
»Viel Spaß zum Ball, Schätzchen.«
Am Freitag war ihre Stimmung gut, sank jedoch gegen Abend.
Als Adam auf Visite vorbeikam, erfuhr er, daß sie bei der Schwester verschiedene Beschwerden vorgebracht hatte.
»Was ist los, Susie?«
»Mir tut's weh.«
»Wo?«
»Überall. Mein Bauch.«
»Etwas Schmerzen mußt du schon in Kauf nehmen. Schließlich hast du eine schwere Operation hinter dir.« Er wußte, daß man in den Fehler verfallen konnte, einen Patienten zu sehr zu verzärteln. Er untersuchte die Wunde, an der nichts Auffallendes zu bemerken war. Ihr Puls ging schneller, aber als er ihr die Manschette anlegte und den Blutdruck maß, grinste er vor Genugtuung. »Normal. Zum erstenmal. Wie gefällt dir das?«
»Gut.« Sie lächelte schwach.
»Jetzt schau, daß du schlafen kannst, damit du morgen abend frisch für deinen Ball bist.«
Sie nickte, und er eilte davon.
Sechs Stunden später entdeckte die Stationsschwester, die mit Medikamenten in Susans Zimmer kam, daß das Mädchen in den stillen Nachtstunden innerlich verblutet war.
»Dr. Longwood will den Fall Garland bei der nächsten Sitzung des Todeskomitees erörtern«, sagte Meomartino am nächsten Tag beim Mittagessen.
»Das halte ich für unfair«, sagte Adam.
Sie saßen mit Spurgeon Robinson zusammen an einem Tisch an der Wand. Adam stocherte in dem gräßlichen Schmorfleisch herum, das es im Krankenhaus jeden Samstag gab. Spurgeon aß seines teilnahmslos, während Meomartino es buchstäblich in sich hineinschaufelte. Wie zum Teufel hatte sich die Vorstellung entwickelt, daß die Reichen empfindliche Mägen haben, fragte sich Adam.
»Warum?«
»Die Nierentransplantation ist kaum über das experimentelle Stadium hinaus. Wie können wir versuchen, jemandem die Verantwortung für den Tod auf einem Gebiet anzuhängen, das wir noch immer verdammt wenig beherrschen?«
»Das ist der springende Punkt«, sagte Meomartino ruhig und wischte sich den Mund ab. »Sie ist längst über das experimentelle Stadium hinaus. Im ganzen Land werden diese Operationen erfolgreich durchgeführt. Wenn wir uns schon zu einer klinischen Anwendung entschließen, müssen wir auch die Verantwortung dafür tragen.«
Er kann leicht reden, dachte Adam; seine Rolle in diesem Fall hatte sich darauf beschränkt, die verdammte Niere aus der Leiche zu holen.
»Gestern abend ging's ihr doch gut, als Sie sie sahen?« fragte Spurgeon Robinson.
Adam nickte und sah den Spitalsarzt scharf an. Dann zwang er sich zur Ruhe; zum Unterschied von Meomarti-no hatte Spurgeon nichts gegen ihn.
»Ich glaube, daß Dr. Longwood die Sitzung eigentlich nicht leiten dürfte«, sagte Robinson. »Er ist nicht gesund. Er hat diese Exituskonferenzen immer so geführt, als sei er Torquemada und stehe einem Inquistitionstribunal vor.«
Meomartino grinste. »Mit seinem Gesundheitszustand hat das nicht das geringste zu tun. Das Aas hat die Konferenz schon immer so geleitet.«
Die können einem die Karriere in einer solchen Sitzung total versauen, dachte Adam. Er legte die Gabel weg und schob den Stuhl zurück. »Eines möchte ich wissen«, sagte er in einem plötzlichen Anfall von Streitlust zu Meomartino. »Sie sind doch der einzige auf unserer Station, der von Longwood nie als ,der Alte' spricht.
Finden Sie den Ausdruck zu respektlos?«
Meomartino lächelte. »Im Gegenteil. Ich halte ihn für einen Ausdruck der Zuneigung«, sagte er ruhig. Und aß mit unvermindertem Genuß weiter.
Kurz vor Dienstschluß erinnerte sich Adam an den Rosenstrauß.
»Blumen? Ja, sie sind angekommen, Dr. Silverstone«, sagte die Schwester am Empfang. »Ich habe sie an die Garlands weiterschicken lassen. Das tun wir immer.«
Viel Spaß zum Ball, Schätzchen ...
Das wenigstens hätte ich ihnen ersparen können, dachte er.
»Es ist doch in Ordnung, nicht?« »Aber sicher.«
Er ging in das kleine Zimmer im sechsten Stock hinauf, setzte sich nieder und rauchte vier Zigaretten, ohne Genuß, eine nach der anderen, und merkte, daß er Nägel kaute, eine Gewohnheit, die er längst abgelegt geglaubt hatte.
Er dachte an seinen Vater, von dem er nichts gehört hatte, fragte sich, ob er versuchen sollte, ihn in Pittsburgh anzurufen, beschloß dann erleichtert, es sein zu lassen.
Lange nachher verließ er das Zimmer, ging hinunter auf die verlassene Straße. Maxies Lokal war geschlossen und finster. Die Straßenlampen zeichneten einen Weg durch das Dunkel wie Leuchtspurmunition, den Block entlang, da und dort unterbrochen, wo vermutlich Kinder die Glühbirne mit einem Stein zertrümmert hatten.
Zunächst ging er. Dann begann er zu laufen.
Zur Ecke hinunter; seine Sohlen schlugen hart gegen den zementierten Gehsteig.
Um die Ecke.
Die Avenue entlang, schneller.
Ein Wagen brauste vorbei, hupte, ein Frauenzimmer schrie etwas und kicherte. Er spürte das kleine erstickte Gefühl in der Brust und lief noch schneller, trotz des stechenden Schmerzes in seiner rechten Seite.
Um die Ecke.
Am Hof mit den Krankenwagen vorbei. Leer. Der grüne Blechschirm der riesigen gelben Leuchte über dem Eingang zur Ambulanz flatterte in der nächtlichen Brise und warf unruhig tanzende Schatten, als Adam vorbeilief.
An der Laderampe des Lagerhauses nebenan sog ein menschliches Wrack - in der Dunkelheit eine flüchtige Form, ein Klumpen, ein Schatten, sein Vater - die letzten Tropfen aus einer Flasche und schmiß sie dann leer durch das Unbekannte, durch die Luft hinter Adam her, der jetzt mit rudernden Armen dahinrannte, von Rückenschmerzen und dem klirrenden Geräusch zerbrechenden Glases gehetzt.
Um die Ecke.
In den dunkelsten Abschnitt seiner Strecke hinein, auf die Rückseite des Mondes. Vorbei an den leeräugigen Häusern des leeräugigen Elendsviertels der Schwarzen, die in barmherzigem Schlaf lagen.
An geparkten Wagen vorbei, wo die sich windenden Gestalten ihren Rhythmus nicht unterbrachen, das Mädchen jedoch über die Schulter seines Liebhabers und durch die Scheibe nach der gespenstischen Schindmähre spähte, die da vorbeigaloppierte.
Vorbei an der Sackgasse, wo der Lärm seiner Füße irgend etwas Kleines, Lebendiges aufschreckte und Krallen gegen die hartgestampfte Erde schlugen, als es tiefer in den Tunnel hineinfloh.
Um die Ecke.
Wieder die Straßenlampen. Mit brennender Lunge, unfähig zu atmen, den Kopf zurückgeworfen, einen bohrenden Schmerz in der Brust vor Anstrengung, das Band zu durchreißen, obwohl keine Menge dastand und brüllte, erreichte er Maxies Laden, taumelte und blieb stehen.
Jesus.
Er rang nach Luft, fürchtete sich übergeben zu müssen, rülpste laut und mußte sich doch nicht übergeben.
Er war naß unter den Armen und zwischen den Beinen, sein Gesicht war naß. Narr. Keuchend lehnte er sich an Maxies Schaufenster, das bedrohlich knarrte, glitt an der Scheibe hinunter, bis seine Sitzbacken auf der schmalen roten Holzkante ruhten, die die Scheibe trug.
Die Kante knirschte unter ihm. Zum Teufel damit, der weiße Anzug war ohnehin schon schmutzig.
Er warf den Kopf zurück und schaute in den sternenlosen Himmel.
Sie haben kein Recht, von mir Versprechen zu verlangen, sagte er. Warum bitten sie nicht Dich darum?
Er senkte die Augen, und sein Blick fiel auf das Gebäude, das fast bis in den Himmel ragte, er sah die alten roten Ziegel. Er fühlte die unendliche Geduld der narbenreichen Fassade, mit der sie den Schmutz und Rauch der Stadt ertrug, die rings um das Haus gewachsen war, und von dem sie braun geworden war.
Er erinnerte sich an den Augenblick, in dem er das Krankenhaus zum erstenmal erblickt hatte, erst vor wenigen Monaten, und doch schon vor tausend Jahren.