telegramm an alle weit: –..– sämtliche Kinder spurlos verschwunden –..– drittes und letztes ultimatum der tiere –..– konferenz in kapstadt mit sofortverhandlungen einverstanden –..– sonderflugzeuge bereits unterwegs, um tierdelegation abzuholen –..– spätestens dreizehn uhr mit eintreffen der delegation in kapstadt zu rechnen –..– bitte an alle eltern, ruhe zu bewahren –


Der Flug nach Kapstadt verging schneller als hinterdrein die Autofahrt durch die von Menschen bis zum Bersten angefüllten Straßen. Alle wollten Oskar, Paul, Leopold, Alois und Max sehen. Max, die Maus, saß ganz allein im letzten Wagen, hoch auf vier Kissen, und verbeugte sich nach allen Seiten. Im Großen Verhandlungssaal wurden die fünf feierlich empfangen. Feldmarschall Zornmüller war ihnen zu Ehren in Zivil erschienen und führte sie zum Verhandlungstisch. »Meine Herren Menschen«, sagte Oskar, »– nicht so viel Umstände, wenn wir bitten dürfen. Unsere Zeit ist kostbar. Und Ihre Zeit leider auch.« Er nahm Platz. »Wo sind unsere Kinder?«, fragte ein Staatspräsident schüchtern. Paul, der Eisbär, gab nur zur Antwort: »Es geht ihnen gut.« Dann begannen die Verhandlungen.


Paul, der Eisbär, hatte nicht gelogen: Es ging den Kindern rechtschaffen gut. Vom Erdboden waren sie natürlich nicht verschwunden. So etwas bringen auch die klügsten Tiere nicht fertig. Man hatte sie ganz einfach versteckt. In Höhlen und Grotten, die kein Mensch kennt. Auf Inseln und Atollen, die auf keiner Land- oder Seekarte eingezeichnet sind. In halb verwehten Oasen. In versunkenen Städten. Auf gestrandeten Schiffen. In zerfallenen Palästen und Ritterburgen. Auf einsamen Bergwiesen. In Wäldern und Dschungeln. In Walfischen. In zerborstenen Tempeln. In verlassenen Pfahlbauten, Bergwerken und Weinkellereien. In Adlerhorsten, Taubenschlägen, Dachsbauten und in den Beuteln der Kängurus. Manche Kinder, vor allem die ganz kleinen, hatten zunächst etwas Angst und ein bisschen Heimweh. Aber die Tiere waren allesamt so nett zu ihnen, dass sogar die Babys ihren Kummer vergaßen. Die Kühe und Ziegen kamen angetrabt und brachten frische, noch warme Milch. Die Bären brachten Bienenhonig. Die Affen und Makis schüttelten Kokosnüsse und Datteln aus den Palmwipfeln, Weintrauben gab's, Bananen, Apfelsinen, Himbeeren, Zuckerrohr, Ananas, Erdbeeren, Brombeeren, wilde Kirschen, Pfirsiche, Sauerampfersalat, Sonnenblumenkerne, Maiskolben, Rettiche, Feigen, Spargelspitzen, Reis, Tomaten, Frikassee aus Jasminblüten, Thymian und Waldmeister – die Mahlzeiten waren wirklich sehr abwechslungsreich. Und Spiele gab's auch im Überfluss. Man spielte mit den Tierjungen, ritt huckepack auf den Eseln, Rehen und Wildschweinen, schwamm mit den Schwänen und Delphinen, kletterte mit den Affen und Eichhörnchen schwindelhoch, spielte mit den Büffeln und Zebus Blindekuh und mit den Libellen und Zwergnilpferden Schnelle Post. Ehe man sich's versah, war der Tag herum! Und als sie sich im Wald, in den Höhlen, auf den Schiffen und in den Tempelhöfen schlafen legten, dachten fast alle Kinder: Hoffentlich dauert der Streit zwischen den Tieren und unseren Eltern noch recht lange!

Die Eltern dachten anders. In dieser stummen, kinderlosen Nacht konnte auf der ganzen Erde kein Erwachsener schlafen. Die Väter lehnten an den Fenstern und blickten ratlos zum Monde empor, der vom Leid der Menschen unberührt übers Firmament hinzog. Die Mütter saßen an den leeren Kinderbetten und Wiegen, und ihre Tränen tropften die Kissen nass. Und die alten Großeltern hockten kopfschüttelnd im Ohrensessel. Es war für alle die schlimmste Nacht ihres Lebens.

Die Verhandlung zwischen den Staatshäuptern und den Tieren ging auch während der Nacht weiter. Die Minister und Präsidenten sahen blass, verstört und unrasiert aus. Aber Oskar hatte kein Mitleid mit ihnen und blieb unerbittlich. Plötzlich zersplitterte ein Fenster. Ein Stein fiel auf den Verhandlungstisch. An dem Stein war ein Zettel festgebunden. Auf dem Zettel stand: »Es geht um die Kinder, nicht um die Staatshäupter!« »Sehr richtig!«, piepste die Maus.

Währenddem wachten vieltausend Tiere über den Schlaf der Kinder. Der Löwe Hasdrubal, der Vetter von Alois' Frau, saß im Mondschein über einem Rechenbuch für die erste Schulklasse und büffelte, obwohl er ein Löwe war. Wenn die Kinder länger bleiben sollten, musste sie doch jemand unterrichten! »Dass ich, Hasdrubal, der Wüstenschreck, noch einmal Volksschullehrer werden würde, hätte ich bis gestern nicht für möglich gehalten«, sagte er zum Gnu. »Wie viel ist drei mal vier?«

»Weiß ich nicht«, antwortete das Gnu, »frag doch die Kinder! Wo ist eigentlich dein Toupet hingeraten?«

»Weiß ich nicht«, sagte der Löwe und grinste. »Frag doch die Kinder!«


Am nächsten Morgen, als die Sonne heraufkam, saßen die Tiere mit den Staatshäuptern noch immer am Tisch. Alois gähnte und riss dabei das Maul so weit auf, dass Herr Zornmüller erschrocken wegrückte. Oskar sagte: »Wir geben Ihnen noch zwei Minuten Zeit. Wenn Sie dann nicht unterschreiben, gehe ich auf den Balkon und halte eine kurze Ansprache an die vorm Palast versammelten Menschen. Ich vermute, dass Sie nach meiner kleinen Rede nicht mehr lange regieren werden.« Da endlich zogen die Herren die Füllfederhalter heraus und unterzeichneten den Vertrag.

Die Tiere hatten gesiegt!

Der Vertrag, den die Staatshäupter unterschrieben, lautete: »Wir, die verantwortlichen Vertreter aller Länder der Erde, verpflichten uns mit Leben und Vermögen zur Durchführung folgender Punkte: 1. Alle Grenzpfähle und Grenzwachen werden beseitigt. Es gibt keine Grenzen mehr. 2. Das Militär und alle Schuss- und Sprengwaffen werden abgeschafft. Es gibt keine Kriege mehr. 3. Die zur Aufrechterhaltung der Ordnung erforderliche Polizei wird mit Pfeil und Bogen ausgerüstet. Sie hat vornehmlich darüber zu wachen, dass Wissenschaft und Technik ausschließlich im Dienst des Friedens stehen. Es gibt keine Mordwissenschaften mehr. 4. Die Zahl der Büros, Beamten und Aktenschränke wird auf das unerlässliche Mindestmaß herabgeschraubt. Die Büros sind für die Menschen da, nicht umgekehrt. 5. Die bestbezahlten Beamten werden in Zukunft die Lehrer sein. Die Aufgabe, die Kinder zu wahren Menschen zu erziehen, ist die höchste und schwerste Aufgabe. Das Ziel der echten Erziehung soll heißen: Es gibt keine Trägheit des Herzens mehr!« Wie gesagt, das unterschrieben alle Staatshäupter ...

Als die Menschen durch den Rundfunk erfuhren, dass ihre Staatshäupter den Tieren nachgegeben und den ewigen Friedensvertrag feierlich unterzeichnet hätten, brach ein solcher Jubel auf der Erde aus, dass sich die Erdachse um einen halben Zentimeter verbog. Und als die Eltern hörten, die Kinder kämen zurück, sobald alle Grenzpfähle beseitigt wären, liefen sie im Dauerlauf an die Grenzen und sägten sämtliche Pfähle und Barrieren kurz und klein. Wo früher die Sperren gewesen waren, errichteten sie Blumenpforten und zogen Girlanden. Sogar die Polizei half tüchtig mit. Und nun gab es kein Hüben und Drüben mehr, und alle schüttelten einander die Hände. Und da kamen auch schon alle ihre Kinder wieder! Es war ein Umarmen und Lachen und Weinen, natürlich vor lauter Freude, wie noch nie auf der Welt. Und als gleich nach den Kindern die Staatshäupter einzogen, wurden auch sie umarmt und geherzt. Es war ein Aufwaschen. Sogar Herr Zornmüller kriegte einen Kuss auf die Backe. Er tat, als ob ihm das gar nicht recht sei, und gab deshalb dem jungen Mädchen den Kuss rasch wieder zurück. Das junge Mädchen nahm es ihm aber nicht etwa übel, sondern sagte lachend: »Sie sollten nicht Zornmüller, sondern Schlaumeier heißen!«


Am Freitag darauf trafen sich Oskar, Alois und Leopold wieder, wie freitags immer, zum Abendschoppen am Tsadsee in Nordafrika. »So eine Konferenz ist eine anstrengende Sache«, brummte Oskar, der Elefant, »alle Wetter! Ich habe mich heute früh beim Baden gewogen. Wisst ihr, wie viel ich abgenommen habe? Vierhundert Pfund!« »Macht nichts«, meinte die Giraffe, »die schlanke Linie ist modern.« Dabei blickte sie neugierig in die Luft. Denn hoch über ihnen kehrten gerade die letzten Vögel, Flugzeuge und fliegenden Teppiche von der Tierkonferenz nach Hause zurück. »Dass ich mich nicht schwarz geärgert habe«, knurrte der Löwe, »ist ein wahres Wunder!« »Dass wir die Menschen zur Vernunft gebracht haben, ist ein noch viel größeres Wunder«, sagte Oskar. »Habt ihr auch gehört, dass sie uns zu Ehren-Erdenbürgern ernennen wollen?«, fragte Leopold. »Das wird sich auch so gehören!«, erklärte Alois stolz. »Mir zu Ehren wollen sie eine Straße Leopoldstraße nennen«, erklärte die Giraffe und reckte ihren Hals noch höher als sonst. »Werdet bloß nicht albern!«, trompetete der Elefant. »Wir taten's ihrer Kinder wegen. Deren Glück ist mir Ehre und Ruhm genug!« Dann hustete er verlegen, verabschiedete sich und rannte nach Hause, weil er seine Elefäntchen ins Bett bringen musste.


Damit ist unsere Geschichte zu Ende. Oder fehlt noch etwas? Natürlich fehlt noch etwas! Stellt euch vor: Tags darauf, am Sonnabend, kam in Südaustralien der Regenwurm Fridolin aus der Erde gekrochen, schleppte sich müde durch den Sand und rief in einem fort: »Heute in vier Wochen Konferenz im Hochhaus der Tiere! Heute in vier Wochen Konferenz im Hochhaus der Tiere!« Das hörte eine Heuschrecke im Vorübersurren, landete und fragte: »Was faselst du da?« »Heute in vier Wochen Konferenz im Hochhaus der Tiere!«, keuchte Fridolin. Die Heuschrecke betrachtete den Regenwurm ironisch. Dann sagte sie: »Das nächste Mal musst du früher aufstehen, mein Lieber. Die Konferenz ist ja längst gewesen!« »So ein Pech!«, meinte Fridolin. »Und ich habe mich so beeilt!« Damit begann er sich auch schon wieder in die Erde einzubuddeln. »Wo willst du denn hin?«, fragte die Heuschrecke. Fridolins Kopf war nur noch halb zu sehen. »Dumme Frage!«, brabbelte er. »Nach Hause! Ich wohne doch auf der anderen Hälfte der...« Und schon war er verschwunden.


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