C’est le ton qui fait la musique
»He, der Abfalleimer ist voll!« Oder: »Schatz, es wäre furchtbar lieb, wenn du noch schnell den Abfalleimer leeren könntest.« C’est le ton qui fait la musique – der Ton macht die Musik. Der gleiche Sachverhalt, so oder so dargestellt, kommt ganz unterschiedlich an. Im Psychologenjargon spricht man von Framing.
Framing (deutsch: einrahmen, man spricht auch vom Rahmeneffekt) bedeutet: Auf die genau gleiche Sachlage reagieren wir unterschiedlich, je nachdem, wie sie dargestellt wird. Daniel Kahneman, der 2002 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, und sein Kollege Amos Tversky führten in den 1980er-Jahren eine Befragung durch, bei der sie zwei Optionen einer Seuchenbekämpfungsstrategie präsentierten. Das Leben von 600 Personen stand auf dem Spiel. »Option A rettet 200 Personen das Leben.« »Option B bewirkt mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass alle 600 Personen gerettet werden, und mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass niemand gerettet wird.« Obwohl die Optionen A und B gleichwertig sind (der Erwartungswert liegt bei 200 Geretteten), wählte die Mehrheit aller Befragten Option A – frei nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. So richtig interessant wurde es, als genau dieselben Optionen einfach anderes formuliert wurden: »Option A tötet 400 Personen.« »Option B bewirkt mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Drittel, dass niemand stirbt, und mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, dass alle 600 Personen sterben.« Jetzt wählte nur noch eine kleine Minderheit der Befragten A und die Mehrheit B. Also gerade umgekehrt als bei der ersten Befragung. Je nach sprachlicher Darstellung – retten vs. sterben – trafen die Befragten ganz andere Entscheidungen für den identischen Sachverhalt.
Ein anderes Beispiel: Forscher präsentierten zwei Arten von Fleisch: »99 % fettfrei« und »1 % fetthaltig«. Die Befragten stuften das erste Stück Fleisch als gesünder ein, obwohl die beiden Fleischarten identisch waren. Selbst bei der Auswahl zwischen »98 % fettfrei« und »1 % fetthaltig« entschieden sich die meisten Befragten für die erste Variante – die doppelt so viel Fett enthielt.
Schönfärberei ist eine besonders gängige Spielart des Framing. Sinkende Aktienkurse werden als »Korrektur« bezeichnet. Ein überzahlter Akquisitionspreis als »Goodwill«. In jedem Managementkurs lernen wir, dass ein Problem kein »Problem«, sondern eine »Chance« ist. Ein gefeuerter Manager ist jemand, der sein Leben »neu ausrichtet«. Ein gefallener Soldat – egal wie viel Pech oder Dummheit zu seinem Tod führten – ist ein »Kriegsheld«. Völkermord ist »ethnische Säuberung«. Die geglückte Notlandung, zum Beispiel auf dem Hudson in New York, wird als »Triumph der Aviatik« gefeiert. (Wäre nicht keine Notlandung ein Triumph gewesen?)
Haben Sie schon einmal den Prospekt für ein Finanzprodukt – zum Beispiel für einen ETF, einen börsengehandelten Fonds – genauer angeschaut? Oft ist darauf die Performance der letzten Jahre abgebildet. Wie viele Jahre zurück? So viele, dass eine möglichst schön ansteigende Kurve entsteht. Auch das ist Framing. Oder: Dasselbe Stück Brot, entweder als »symbolischer« oder »wahrer« Leib Christi geframed, kann eine Glaubensrichtung spalten. So geschehen im 16. Jahrhundert.
Den Regeln des Framing gehorchen wir auch, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf nur einen oder wenige Aspekte des Ganzen lenken. Beim Kauf eines Gebrauchtwagens konzentrieren wir uns zum Beispiel auf den Kilometerstand, aber nicht auf den Zustand des Motors, der Bremsen, des Interieurs. Die Kaufentscheidung wird also durch den Kilometerstand beeinflusst. Das ist nur natürlich, denn wir können nie restlos alle Aspekte betrachten. Mit einem anderen Frame hätten wir vielleicht anders entschieden.
Schriftsteller setzen Framing ganz bewusst ein. Ein Krimi wäre langweilig, wenn der Mord Schritt für Schritt so dargestellt würde, wie er stattgefunden hat. Das wäre kein Krimi, sondern ein Sachbuch. Obschon am Schluss eh die ganze Geschichte erzählt ist, wird sie erst durch das Framing spannend.
Fazit: Seien Sie sich bewusst, dass Sie nichts darstellen können, ohne zu framen, und dass jeder Sachverhalt – ob Sie ihn von einem treuen Freund hören oder in einer seriösen Zeitung lesen – dem Framing unterliegt. Auch dieses Kapitel.