DAS ANFÄNGERGLÜCK

Vorsicht, wenn zu Beginn alles gut läuft

Im letzten Kapitel haben wir den Association Bias kennengelernt – die Tendenz, Vorkommnisse miteinander zu verknüpfen, die nichts miteinander zu tun haben. Nur weil Kevin dreimal hintereinander eine glänzende Präsentation vor dem Aufsichtsrat gelungen ist und er dabei jedes Mal seine grün getüpfelten Unterhosen trug, macht es noch lange keinen Sinn, an Glücksunterhosen zu glauben.

Hier geht es um einen besonders heiklen Spezialfall des Association Bias: die (falsche) Verknüpfung mit früheren Erfolgen. Kasinospieler kennen das, sie sprechen von Anfängerglück. Wer in den ersten Runden eines Spiels verliert, steigt tendenziell aus. Wer abgesahnt hat, macht tendenziell weiter. Überzeugt, überdurchschnittliche Fähigkeiten zu besitzen, erhöht der Glückspilz den Einsatz – und wird später prompt zum Pechvogel, dann nämlich, wenn sich die Wahrscheinlichkeiten »normalisieren«.

Anfängerglück spielt in der Wirtschaft eine bedeutende Rolle: Firma A kauft die kleineren Firmen B, C und D. Die Akquisitionen bewähren sich jedes Mal. Dies bestärkt die Konzernführung in der Gewissheit, ein ausgezeichnetes Händchen für Firmenkäufe zu haben. Beflügelt kauft Firma A nun die viel größere Firma E. Die Integration erweist sich als Desaster. Nüchtern betrachtet hätte man das ahnen können, aber man hat sich vom Anfängerglück blenden lassen.

Dasselbe an der Börse. Getrieben von anfänglichen Erfolgen steckten in den späten 90er-Jahren viele Anleger ihre ganzen Ersparnisse in Internetaktien. Manche nahmen dafür sogar Kredite auf. Sie übersahen ein kleines Detail: dass ihre vorerst verblüffenden Gewinne nichts mit ihren Fähigkeiten des Stock-Picking zu tun hatten. Der Markt ging einfach hoch. Man musste sich geradezu dumm anstellen, um zu dieser Zeit kein Geld zu verdienen. Als die Kurse dann kippten, blieben viele auf ihren Schulden sitzen.

Die gleiche Dynamik war während des amerikanischen Immobilienbooms von 2001 bis 2007 zu beobachten. Zahnärzte, Anwälte, Lehrer und Taxifahrer gaben ihre Jobs auf, um Häuser zu »flippen« – sie zu kaufen und dann sofort zu einem höheren Preis weiterzuverkaufen. Die ersten, fetten Gewinne gaben ihnen recht, aber natürlich hatten auch die nichts mit besonderen Fähigkeiten zu tun: Die Immobilienblase trug jeden noch so ungeschickten Hobbymakler in ungeahnte Höhen. Viele verschuldeten sich, um noch mehr und noch größere Villen zu »flippen«. Als der Markt schließlich zusammenbrach, saßen sie auf einem Trümmerfeld.

Anfängerglück gibt es auch in der Weltgeschichte. Ich bezweifle, ob Napoleon oder Hitler einen Russlandfeldzug gewagt hätten – ohne die vorherigen Siege.

Ab welchem Moment ist es nicht mehr Anfängerglück, sondern Talent? Es gibt keine klare Grenze, aber zwei gute Hinweise. Erstens: Wenn Sie über eine lange Zeit deutlich besser sind als die anderen, können Sie davon ausgehen, dass Talent zumindest eine Rolle spielt. Sicher sein können Sie jedoch nie. Zweitens: Je mehr Menschen mitspielen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aus purem Glück über lange Zeit Erfolg hat. Vielleicht sind Sie dieser Jemand. Falls Sie sich in einem Markt mit nur zehn Mitbewerbern als Leader etablieren, ist das ein gewisser Hinweis für Talent. Weniger stolz sollte Sie ein Erfolg in einem Markt mit zehn Millionen Mitbewerbern machen (zum Beispiel im Finanzmarkt). Gehen Sie in diesem Fall davon aus, dass Sie einfach sehr viel Glück hatten.

So oder so: Warten Sie mit Ihrem Urteil zu. Anfängerglück kann verheerend sein. Um sich gegen Selbsttäuschungen zu wappnen, gehen Sie wie ein Wissenschaftler vor: Testen Sie Ihre Annahmen. Versuchen Sie, sie zu falsifizieren. Als ich meinen ersten Roman – Fünfunddreißig – fertig in der Schublade hatte, schickte ich ihn an einen einzigen Verlag: Diogenes. Prompt wurde er angenommen. Einen Moment lang fühlte ich mich als Genie, als literarische Sensation. (Die Chance, dass ein unaufgefordertes Manuskript bei Diogenes verlegt wird, liegt bei eins zu 15.000). Nachdem ich den Verlagsvertrag unterzeichnet hatte, schickte ich das Manuskript – zum Test – an zehn andere große Belletristikverlage. Von allen zehn erhielt ich Absagen. Meine »Genie-Theorie« wurde falsifiziert – was mich wieder auf den Boden geholt hat.

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