Vor mir liegen ein paar handbeschriebene Blätter – ein Bericht Schratts. Janice brachte ihn heute mit. Sie hatte ihn mir nicht vorher geben wollen, aber jetzt, meint sie, kann ich ihn lesen.
Wenn ich aus meinem Zimmer ins Freie sehe – Janice hat das Bett ans Fenster geschoben – fällt mein Blick in den Garten des Phoenix-Krankenhauses mit seinen großen Palmen. Genesende wandern auf den schmalen Gartenwegen. Manche sitzen in der Sonne, manche liegen in ihrem Rollstuhl.
In ein paar Tagen werde ich auch dort unten sein.
Es macht mir Schwierigkeiten, Schratts Bericht zu lesen. Seine Schrift ist hieroglyphisch, alles in entsetzlicher Hast niedergekritzelt. Manchmal vergaß er das Datum.
Janice bot mir an, es umzuschreiben, aber ich möchte es in Schratts eigener Schrift lesen.
Schratt schrieb:
Zweiundzwanzigster November
Die Fruchtlosigkeit psychologischer Berichte über geistige Reaktionen rührt von dem Versuch her, alles in Begriffen des Bewußtseins zu beschreiben. Donovans Handeln kann nicht auf diesem Wege beurteilt werden. Seine geistige Sphäre ist nicht von gleicher Ausdehnung wie die Sphäre seiner Bewußtheit. Sein Gedankenprozeß ist eine unvollkommene, zusammenhanglose Reihenfolge von Gefühlen, die alle einem abstrakten Ziel zustreben.
Er ist irrsinnig, an normalen Begriffen gemessen, und muß als unheilbar Irrer behandelt werden. Patricks Methode zur Erforschung dieses Geistes, der nicht ›vernünftig‹ ist, kann nur im Unheil enden.
Die Grenzlinie zwischen Wahnsinn und Genie ist nicht präzis zu definieren, aber mein Standpunkt ist: Genau an dem Punkt, wo Donovans Hirn anfing, Patricks Hirn zu beeinflussen, hat auch Patrick diese Grenzlinie überschritten. Er kann nicht mehr als normaler Mensch angesehen werden. Ein guter Wissenschaftler hätte sich seiner eigenen Beschränkung bewußt sein müssen und durfte keine Übergriffe ins Unerforschliche machen. Durch seine scheinbare Genialität betrogen, kann Patrick die Tatsachen nicht mehr klar sehen.
Zugegeben, daß die Ideen die einzige Realität beim Experimentieren sind, muß ihre praktische Anwendung dennoch beschränkt werden.
Ich beobachte und erwäge dieses gefährliche Experiment, und ich sehe klar, daß Donovans Hirn nichts von Wert mehr hinzugefügt worden ist. Nur seine schlechten Begriffe, seine kriminellen Instinkte, seine nicht wünschenswerten Reflexe sind gestärkt worden, bis sie ungeheuerliche Proportionen angenommen haben.
Seit Jahren kenne ich die latenten Gefahren in Patricks ungestümem Drang nach gefährlichen Experimenten. Nachdem ich ihn so oft gewarnt habe, bleibt mir nur eins übrig: Ich muß das Weiterschreiten dieses Experimentes unterbrechen, ehe es zu spät ist.
Patricks Intelligenz ist der meinen überlegen. Ich kann nicht mit Argumenten und Gründen gegen ihn kämpfen. Um ihm Einhalt zu gebieten, muß ich ihn betrügen.
Der Augenblick meiner Entscheidung war da, als Patrick mich zu töten versuchte – einem telepathischen Befehl dieses kranken Stückes Fleisch folgend, das er im Glasgefäß aufbewahrt.
Nachher war es nicht schwierig, ihn davon zu überzeugen, daß ich ihm ehrlich zu assistieren wünschte. Das Hirn selbst half mir, ihn zur Abreise zu überreden.
Patrick verließ Washington Junction am 21. November.
Ich habe das Hirn zu betreuen. Wahrhaftig – eine Ironie! Es wählte sich seinen eigenen Mörder! Aber damals konnte das Hirn meine Gedanken nicht lesen. Doch seither hat es so viel Macht gewonnen, daß ich heute nicht wagen würde, meine Hilfe vorzuschlagen ...
Um mich selbst davor zu schützen, das Hirn meine Absichten erraten zu lassen, bediene ich mich eines sehr einfachen Tricks. Ich erinnere mich eines dummen kleinen Versehens, das ich als Kind gelernt habe – etwas zum Zungen-Zerbrechen: Meine Mutter übte es mit mir, um mich vom Lispeln zu kurieren. Jetzt wiederhole ich diese Zeilen unablässig, sobald die Lampe brennt und das Hirn wach ist. »Auf zwei sich spreizenden Zweigen saßen zwölf zwitschernde Spatzen – zwölf zwitschernde Spatzen saßen auf zwei sich spreizenden Zweigen.«
Wenn ich diese Zeilen unaufhörlich vor mich hinspreche, kann unmöglich ein Gedanke in mein Hirn eindringen.
Ich habe die Lampe mit einem Summer verbunden, der mich warnt, wenn ich jemals das Licht übersehen und weiterschreiben sollte, während es wach ist.
Es fühlte sich gestört durch die ständige Wiederholung, der Enzephalograph zeigt deutliche Delta-Kurven. Das beweist, das Hirn kann meine Gedanken lesen. Meine Vorsichtsmaßnahmen kamen nicht zu früh!
Janice rief mich aus Los Angeles an. Patrick hatte mit ihr gesprochen. Sie erzählte mir von diesem Gespräch und bat mich um Rat. Ich kann ihr nichts sagen. Ich kann es nicht wagen, daß irgendeine andere Menschenseele weiß, was ich vorhabe. Janice war niemals Patricks Vertraute, und nun muß sie denken, daß sie auch mich verloren hat. Das betrübt mich ...
Heute nacht rief Patrick an. Er möchte nach Hause kommen. Ich überredete ihn zu bleiben, wo er ist. Meine Mission wäre fehlgeschlagen, wenn er zurückkehrte.
Um das Hirn zu zerstören, muß ich sehr behutsam vorgehen, mit der ganzen Präzision, die eine schwierige Aufgabe erfordert, denn ich kenne die potentialen Kräfte des Hirns nicht.
Theoretisch wäre es einfach. Ich brauchte nur aufzuhören, es zu ernähren oder die Elektrizität abzuschneiden oder das Gefäß umzuwerfen. Ich könnte das Hirn vergiften. Ein Körnchen Kaliumzyanit im Blutserum würde es töten. Wenn es nicht meine Absicht im voraus spürt und zuerst zuschlägt! Wie, weiß ich nicht – aber wenn es diese Macht besitzt, würde mein Plan fehlgehen.
Ich darf mich auf kein Risiko einlassen. Ich muß warten, muß mich der sichersten Methode bedienen. In der Zwischenzeit muß ich weiter des Hirns treuer Diener sein! Muß es speisen, seine Temperatur messen, den Enzephalographen ablesen.
Es sieht grauenhaft aus. Eine weißlichgraue, formlose Masse, die über die Kanten ihres Behälters hinauswuchert. Ich würde nicht überrascht sein, wenn es plötzlich Augen und Ohren und einen Mund entwickelte! Es ist phantastisch!