9 Tanis gefangen

»O Tanis! Ein Offizier, und unter meinem Kommando! Ich sollte meine Soldaten häufiger überprüfen!« Kitiara lachte und schob ihren Arm unter seinen. »Du zitterst ja. Dein Sturz war auch schrecklich. Komm. Meine Räume sind nicht weit entfernt. Wir werden etwas trinken, deine Wunde verbinden, dann... reden.«

Benommen, aber nicht von der Kopfverletzung, ließ sich Tanis von Kitiara aus der Gasse führen. Zu viel passierte zu schnell. Eine Minute vorher hatte er noch Vorräte einkaufen wollen, und jetzt ging er Arm in Arm mit einer Drachenfürstin, die ihm gerade das Leben gerettet hatte, und auch noch die Frau war, die er so viele Jahre lang geliebt hatte. Er konnte sie nur anstarren, und Kitiara, die sich dessen bewußt war, erwiderte seinen Blick unter ihren langen schwarzen Wimpern.

Die glänzende nachtblaue Drachenschuppenrüstung der Fürsten stand ihr gut, dachte Tanis. Sie lag eng an und betonte ihre langen Beine.

Drakonier waren um sie herum, ein kurzes Nicken der Fürstin erhoffend. Aber Kitiara ignorierte sie und plauderte mit Tanis, als ob sie nur einen Nachmittag getrennt gewesen wären und nicht fünf Jahre. Er konnte ihre Worte nicht aufnehmen, sein Gehirn versuchte noch, sich aus seiner Verwirrung zu lösen, während sein Körper wieder einmal auf ihre Nähe reagierte.

Von der Maske war ihr Haar etwas feucht, die Locken hingen ihr ins Gesicht. Gelegentlich fuhr sie mit einer behandschuhten Hand durch das Haar. Es war eine alte Angewohnheit von ihr, und diese kleine Geste brachte alte Erinnerungen zurück...

Tanis schüttelte den Kopf, kämpfte verzweifelt, seine auseinandergefallene Welt wieder zusammenzufügen und ihren Worten zu lauschen. Das Leben seiner Freunde hing davon ab, was er nun tat.

»Unter dem Drachenhelm ist es heiß!« sagte sie. »Ich brauche dieses fürchterliche Ding nicht, um meine Männer bei der Stange zu halten, oder?« fragte sie.

»N...nein«, stammelte Tanis und errötete.

»Immer noch der alte Tanis«, murmelte sie und drückte ihren Körper an seinen. »Du wirst immer noch rot wie ein Schuljunge. Aber du warst nie so wie die anderen, nie...«, fügte sie sanft hinzu. Sie zog ihn dicht an sich heran und legte ihre Arme um ihn. Ihre feuchten Lippen berührten seine...

»Kit...«, sagte Tanis mit erstickter Stimme und taumelte zurück. »Nicht hier! Nicht auf der Straße«, fügte er hinzu.

Einen Moment lang sah Kitiara ihn wütend an, dann zuckte sie die Achseln und ließ ihre Arme sinken, um wieder seinen Arm zu ergreifen. Zusammen gingen sie weiter.

»Der alte Tanis«, sagte sie wieder, aber dieses Mal mit einem kleinen, atemlosen Seufzen. »Ich weiß auch nicht, warum ich mir das gefallen lasse. Jeder andere Mann, der mich so ablehnt, würde auf der Stelle durch mein Schwert sterben. Ah, wir sind da.«

Sie betraten das beste Wirtshaus von Treibgut, das Wirtshaus zur Salzigen Brise. Es war hoch an ein Felskap gebaut, und von hier aus konnte man das Blutmeer von Istar überblicken, dessen Wellen sich an den Steinen brachen. Der Wirt eilte heran.

»Ist mein Zimmer fertig?« fragte Kitiara kühl.

»Ja, Fürstin«, sagte der Wirt und verbeugte sich mehrmals.

Als sie die Stufen hochgingen, huschte der Wirt an ihnen vorbei, um noch einmal zu überprüfen, daß wirklich alles in Ordnung war.

Kit sah sich um. Zufrieden warf sie den Drachenhelm auf den Tisch und zog ihre Handschuhe aus. Sie setzte sich auf einen Stuhl und hob ein Bein mit einer sinnlichen und vorbedachten Hemmungslosigkeit an.

»Meine Stiefel«, sagte sie lächelnd zu Tanis.

Er schluckte und lächelte schwach zurück. Tanis nahm ihr Bein mit beiden Händen. Das war auch ein altes Spiel von ihr daß er ihr die Stiefel auszog. Es führte immer zu... Tanis versuchte nicht daran zu denken!

»Bring uns eine Flasche von deinem besten Wein«, befahl Kitiara dem Wirt, der immer noch im Zimmer stand, »und zwei Gläser.« Sie hob das andere Bein, ihre braunen Augen waren auf Tanis gerichtet. »Dann laß uns allein.«

»Aber, meine Lady...«, sagte der Wirt zögernd. »Es sind Botschaften von Drachenfürst Ariakus gekommen...«

»Wenn du dein Gesicht in diesem Zimmer zeigst – nachdem du den Wein gebracht hast – werde ich dir die Ohren abschneiden«, sagte Kitiara freundlich. Aber während sie sprach, zog sie einen glänzenden Dolch aus ihrem Gürtel.

Der Wirt wurde blaß, nickte und verließ eilig das Zimmer.

Kit lachte. »Nun!« sagte sie. »Jetzt werde ich deine Stiefel ausziehen...«

»Ich... ich muß wirklich gehen«, sagte Tanis, der unter seiner Rüstung zu schwitzen begann. »Mein K...Kompaniebefehlshaber wird mich vermissen...«

»Aber ich bin der Befehlshaber deiner Kompanie!« sagte Kit fröhlich. »Und morgen bist du der Befehlshaber deiner Kompanie! Oder noch etwas Höheres, wenn du möchtest. Setz dich jetzt.«

Tanis blieb nichts anderes übrig, aber er wußte, in seinem Herzen wollte er nichts anderes als gehorchen.

»Es ist gut, dich zu sehen«, sagt Kit, die sich vor ihn kniete und an seinem Stiefel zog. »Leider konnte ich zu dem Treffen in Solace nicht kommen. Wie geht es den anderen? Wie geht es Sturm? Wahrscheinlich kämpft er mit den Rittern. Es wundert mich nicht, daß ihr euch getrennt habt. Diese Freundschaft habe ich nie verstehen können...«

Kitiara redete weiter, aber Tanis hörte ihr nicht zu. Er konnte sie nur ansehen. Er hatte vergessen, wie lieblich sie war, wie sinnlich, wie einladend. Verzweifelt versuchte er, sich auf seine gefährliche Situation zu konzentrieren. Aber er konnte nur an die glücklichen Nächte mit Kitiara denken.

In diesem Moment sah Kit in seine Augen. Gebannt von der Leidenschaft, die sie in ihnen sah, ließ sie seinen Stiefel aus den Händen gleiten. Unfreiwillig zog Tanis sie an sich. Kitiara legte ihre Arme um seinen Hals und drückte ihre Lippen auf seine.

Bei ihrer Berührung wallten alle Wünsche und Sehnsüchte, die Tanis seit fünf Jahren gepeinigt hatten, in seinem Körper auf. Ihr warmer, weiblicher Duft vermischte sich mit dem Geruch von Leder und Stahl. Ihr Kuß war wie eine Flamme. Der Schmerz war unerträglich. Tanis kannte nur einen Weg, um ihn zu beenden.

Als der Wirt an die Tür klopfte, erhielt er keine Antwort. Er schüttelte bewundernd den Kopf – der dritte Mann in drei Tagen -, stellte den Wein vor der Tür ab und ging.

»Und jetzt«, murmelte Kitiara schläfrig in Tanis' Armen, »erzähl mir von meinen kleinen Brüdern. Sind sie mit dir zusammen hier? Ich habe sie das letzte Mal in Tarsis gesehen, als ihr mit dieser Elfenfrau auf der Flucht wart.«

»Das warst du!« sagte Tanis und erinnerte sich an die blauen Drachen.

»Natürlich!« Kit kuschelte sich an ihn. »Mir gefällt der Bart«, sagte sie. »Es versteckt diese schwächlichen Elfenmerkmale. Wie bist du in die Armee gekommen?«

Wie eigentlich? fragte sich Tanis verzweifelt.

»Wir... wurden in Silvanesti gefangengenommen. Einer der Offiziere überzeugte mich davon, daß ich ein Narr sei, gegen die D...unkle Königin zu kämpfen.«

»Und meine kleinen Brüder?«

»Wir... wir wurden getrennt«, sagte Tanis schwach.

»Wie schade«, sagte Kit seufzend. »Ich würde sie gern wiedersehen. Caramon muß jetzt ein Riese sein. Und Raistlin... ich habe gehört, er ist ein recht geschickter Magier. Trägt immer noch die Rote Robe?«

»Ich... ich vermute es«, stotterte Tanis. »Ich habe ihn schon läng...«

»Das wird nicht lange dauern«, sagte Kit selbstgefällig. »Er ist mir sehr ähnlich. Raist sehnt sich ständig nach Macht...«

»Was ist mit dir?« unterbrach Tanis schnell. »Was machst du hier, so weit vom eigentlichen Schauplatz entfernt? Im Norden wird gekämpft...«

»Nun, aus dem gleichen Grund wie du«, antwortete Kit und riß ihre Augen auf. »Ich bin natürlich auf der Suche nach dem Hüter des grünen Juwels.«

»Das ist es, von daher kenne ich ihn!« sagte Tanis. Erinnerungen kamen ihm. Der Mann auf der Perechon! Der Mann in Pax Parkas, der mit dem armen Eben entkommen war. Der Mann mit dem grünen Edelstein mitten auf seiner Brust.

»Du hast ihn gefunden!« rief Kitiara und setzte sich interessiert auf. »Wo, Tanis? Wo?« Ihre braunen Augen funkelten.

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Tanis zögernd. »Ich bin mir nicht sicher, ob er es war. Ich... uns wurde nur eine grobe Beschreibung gegeben...«

»Er sieht ungefähr wie fünfzig aus«, sagte Kit aufgeregt, »aber er hat seltsame junge Augen, und seine Hände wirken jugendlich. Und auf seiner Brust ist ein grüner Edelstein. Wir haben Berichte erhalten, daß er in Treibgut gesichtet wurde. Darum hat mich die Dunkle Königin hierher geschickt. Er ist der Schlüssel, Tanis! Wenn wir ihn finden, kann uns keine Macht mehr auf Krynn aufhalten!«

»Warum?« Tanis versuchte, ruhig zu wirken. »Was ist denn an ihm so Wichtiges dran, damit... äh... unsere Seite den Krieg gewinnt?«

»Wer weiß?« Kit zuckte die Achseln und schmiegte sich wieder in Tanis' Arme. »Du zitterst ja. Hier, das wird dich aufwärmen.« Sie küßte seinen Hals und fuhr mit ihren Händen über seinen Körper. »Uns wurde nur gesagt, daß es das wichtigste wäre, diesen Mann zu finden, um diesen Krieg schnell und mühelos zu gewinnen.«

Tanis schluckte, spürte, wie ihn bei ihrer Berührung die Wärme durchflutete.

»Denk doch nur«, flüsterte Kitiara in sein Ohr, ihr Atem war heiß und feucht an seiner Haut, »wenn wir ihn finden – du und ich – würde uns ganz Krynn zu Füßen liegen! Die Dunkle Königin würde uns mit allem belohnen, wovon wir nie zu träumen gewagt haben! Du und ich, für immer vereint, Tanis.«

Ihre Worte hallten in seinem Gehirn wider. Sie beide, zusammen, für immer. Den Krieg beenden. Krynn beherrschen.

Nein, dachte er, seine Kehle zog sich zusammen. Das ist Wahnsinn! Verrückt! Mein Volk, meine Freunde... Dennoch, habe ich nicht schon genug getan? Was schulde ich ihnen, Menschen und Elfen? Nichts! Sie sind diejenigen, die mich verletzt haben, mich verspottet haben! All diese Jahre – ein Ausgestoßener! Warum über sie nachdenken? Ich! Es wird Zeit, daß ich an mich denke! Da ist die Frau, von der ich seit langem träume. Und sie kann mir gehören! Kitiara... so schön, so begehrenswert ...

»Nein!« sagte Tanis barsch, dann wiederholte er sanfter: »Nein.« Er ergriff ihre Hand und zog sie an sich. »Morgen reicht auch. Wenn er es war, kann er sowieso nirgendwo hingehen. Ich weiß...«

Kitiara lächelte und legte sich seufzend zurück. Tanis beugte sich über sie und küßte sie leidenschaftlich. Weit entfernt konnte er die Wellen des Blutmeers von Istar gegen den Strand schlagen hören.

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