VIII

Ich stand meiner Wirtin gegenüber. „Wo brennts?” fragte Frau Zalewski.

„Nirgendwo”, erwiderte ich. „Ich will nur meine Miete bezahlen.” Es war noch drei Tage zu früh und Frau Zalewski fiel vor Erstaunen fast um. „Dahinter steckt doch was”, meinte sie argwöhnisch.

„Nicht die Spur”, erwiderte ich. „Kann ich heute abend mal die beiden Brokatsessel aus Ihrem Salon haben?”

„Da haben wir es! Gefällt Ihnen Ihr Zimmer nicht mehr?”

„Doch. Aber Ihre Brokatsessel gefallen mir besser.”

Ich erklärte ihr, dass ich vielleicht Besuch von einer Kusine bekäme und dazu das Zimmer gern etwas hübscher haben möchte. „Kusine”, wiederholte sie verächtlich, „und wann kommt die Kusine?”

„Es ist noch gar nicht sicher”, sagte ich, „aber wenn sie kommt, natürlich früh, früh abends, zum Essen. Warum soll es übrigens keine Kusinen geben, Frau Zalewski?”

„Es gibt schon welche”, erwiderte sie, „aber für die borgt man keine Sessel.”

„Ich wohl”, behauptete ich. „Wissen Sie. ich habe sehr viel Familiensinn.”

„So sehen Sie aus! Rumtreiber seid ihr alle miteinander. Die Brokatsessel können Sie haben. Stellen Sie die roten Plüsch solange in den Salon.”[72]

„Danke schön. Morgen bringe ich alles zurück. Den Teppich auch.”

„Teppich?” Sie drehte sich um. „Wer hat denn hier ein Wort von Teppich gesagt?”

„Ich. Und Sie auch, eben grade.”

Sie sah mich entrüstet an. „Der gehört doch dazu”, sagte ich. „Die Sessel stehen doch drauf.”

* * *

Ich war dabei, meine Bude auszuschmücken. Nachmittags hatte ich mit Patrice Hollmann telefoniert. Sie war krank gewesen und ich hatte sie fast eine Woche nicht mehr gesehen. Jetzt waren wir um acht Uhr verabredet und ich hatte ihr vorgeschlagen, bei mir zu essen und nachher in ein Kino zu gehen.

Ich packte aus, was ich zum Abendbrot eingekauft hatte, und machte alles zurecht, so gut ich konnte. Aus der Küche war keine Hilfe für mich zu erwarten, dazu stand ich mit Frida zu schlecht. Sie hätte mir höchstens etwas umgeworfen. Aber es ging auch so und bald kannte ich meine alte Bude nicht wieder in ihrem neuen Glanz.

* * *

Die Haustür klappte. „Hallo”, sagte Patrice Hollmann, „so tief in Gedanken?”

„Nein, gar nicht! Aber wie geht es Ihnen? Sind Sie wieder gesund? Was haben Sie denn gehabt?”

„Ach, nichts Besonderes. Erkältet und ein bisschen Fieber.”

Sie sah gar nicht krank und angegriffen aus. Im Gegenteil, – ihre Augen waren mir noch nie so groß und strahlend erschienen, ihr Gesicht war ein wenig gerötet und ihre Bewegungen waren geschmeidig, wie bei einem schmalen, schönen Tier.

„Sie sehen prachtvoll aus”, sagte ich. „Ganz gesund! Wir können eine Menge unternehmen.”

„Das wäre schön”, erwiderte sie. „Aber heute geht es nicht. Ich kann heute nicht.”

Ich starrte sie verständnislos an. „Sie können nicht?”

Sie schüttelte den Kopf. „Leider nicht.”

Ich begriff immer noch nicht. Ich glaubte, sie hätte sich das mit meiner Bude anders überlegt und wollte nur nicht bei mir daheim essen.

„Ich habe schon bei Ihnen angerufen”, sagte sie, „damit Sie nicht vergebens kämen. Aber Sie waren schon weggegangen.”

Jetzt verstand ich endlich. „Sie können wirklich nicht? Den ganzen Abend nicht?” fragte ich.

„Heute nicht. Ich muss irgendwohin. Leider habe ich es auch erst vor einer halben Stunde erfahren.”

„Können Sie das denn nicht verschieben?”

„Nein, das geht nicht.” Sie lächelte. „Es ist so etwas wie eine geschäftliche Sache.”

Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Mit allem hatte ich gerechnet, nur damit nicht. Ich glaubte ihr kein Wort. Geschäftliche Sache, – sie sah nicht nach geschäftlichen Sachen aus! Wahrscheinlich war es nur eine Ausrede. Sicher sogar. Was konnte man abends schon für geschäftliche Besprechungen haben? Sowas machte man vormittags! Und man erfuhr es auch nicht erst eine halbe Stunde vorher. Sie wollte einfach nicht, das war alles.

Ich war auf eine geradezu kindische Weise enttäuscht. Jetzt spürte ich erst, wie sehr ich mich auf den Abend gefreut hatte. Ich ärgerte mich darüber, dass ich so enttäuscht war, und ich wollte nicht, dass sie es merkte. „Also schön”, sagte ich, „dann ist nichts zu machen. Auf Wiedersehen.”

Sie sah mich forschend an. „So eilig ist es nicht. Ich bin erst um neun verabredet. Wir können noch etwas spazieren gehen. Ich war die ganze Woche nicht draußen.”

„Gut”, sagte ich widerstrebend. Ich fühlte mich plötzlich müde und leer.

Wir gingen die Straße entlang. Der Abend war klar geworden und die Sterne standen zwischen den Dächern. Wir kamen an einer Rasenanlage vorbei, auf der im Schatten ein paar Büsche standen. Patrice Hollmann blieb stehen. „Flieder”, sagte sie, „es riecht nach Flieder! Aber das ist doch ganz unmöglich, es ist ja noch zu früh.”

„Ich rieche auch nichts”, erwiderte ich.

Ich spürte ganz gut den süßen, schweren Duft, der durch die weiche Dunkelheit schwamm; aber ich hätte es um alles in der Welt nicht zugegeben.

Das Mädchen lachte und dehnte sich in den Schultern. „Wie schön das ist, wenn man so lange im Zimmer gewesen ist! Zu schade, dass ich fort muss! Dieser Binding, – immer eilig und im letzten Moment, – er hätte wirklich die Sache auf morgen verlegen können!”

„Binding?” fragte ich. „Sie sind mit Binding verabredet?”

Sie nickte. „Mit Binding und noch jemand. Auf diesen Jemand kommt es an. Ernsthaft geschäftlich. Können Sie sich das denken?”

„Nein”, erwiderte ich, „das kann ich mir nicht denken.”

Sie lachte und sprach weiter. Aber ich hörte nicht mehr zu. Binding – das war mir wie ein Blitz in die Knochen gefahren. Ich dachte nicht daran, dass sie ihn viel länger kannte als mich, ich sah nur überlebensgroß und strahlend seinen Buick, seinen teuren Anzug und sein Portemonnaie vor mir auftauchen, Meine arme, brave, geschmückte Bude! Was hatte ich mir da nur eingebildet! Das Mädchen passte ja überhaupt nicht zu mir! Was war ich denn schon? Ein Fußgänger, der sich mal einen Cadillac geborgt hatte, eine täppische Schnapsdrossel[73], nichts weiter! Sowas war an jeder Straßenecke zu finden. Ich sah bereits den Portier der Traube vor Binding salutieren, ich sah helle, warme, gepflegte Räume, Zigarettengewölk und elegante Leute, ich hörte Musik und Gelächter, Gelächter über mich. Zurück, dachte ich, rasch zurück! Eine Ahnung, eine Hoffnung – was war schon viel gewesen! Es war sinnlos, sich darauf einzulassen. Nichts wie zurück!

„Wir können uns morgen abend treffen, wenn Sie wollen”, sagte Patrice Hollmann.

„Morgen abend habe ich keine Zeit”, erwiderte ich.

„Oder übermorgen, oder irgendwann in dieser Woche. Ich habe in den nächsten Tagen nichts vor.”

„Es wird schwierig sein”, sagte ich. „Wir haben heute einen eiligen Auftrag bekommen, da müssen wir wahrscheinlich die ganze Woche durch bis nachts arbeiten.”

Es war Schwindel, aber ich konnte nicht anders. Es steckte plötzlich zuviel Wut und Beschämung in mir.

Wir standen vor der Haustür. „Leben Sie wohl”, sagte ich, „und viel Vergnügen noch.”

Sie antwortete nicht. Mit ziemlicher Mühe brachte ich meine Augen von dem Klingelknopf an der Tür los und sah sie an. Und wahrhaftig, – ich traute meinen Blicken nicht – da stand sie und anstatt gründlich eingeschnappt zu sein, zuckte es um ihren Mund, ihre Augen flimmerten und dann lachte sie, herzlich und unbekümmert, sie lachte mich einfach aus. „Sie Kindskopf”, sagte sie, „o Gott, was sind Sie noch für ein Kindskopf!”

Ich starrte sie an. „Na ja – ” sagte ich dann, „immerhin” – und bekam auf einmal Sinn für die Situation – „Sie finden mich wohl etwas idiotisch, was?”

Sie lachte. Rasch machte ich einen Schritt vor und zog sie fest an mich, mochte sie denken, was sie wollte. Ihr Haar streifte meine Wange, ihr Gesicht war dicht vor mir, ich spürte den schwachen Pfirsichgeruch ihrer Haut; – dann näherten sich ihre Augen und ich fühlte plötzlich ihre Lippen auf meinem Mund – Sie war fort, ehe ich richtig wusste, was los war.

Ich kam nach Hause. Auf dem Vorplatz stand, wie von Gott gerufen, das Dienstmädchen Frida. „Sie sind ein süßes Kind”, sagte ich, denn ich hatte Lust, etwas Gutes zu tun.

Ich klopfte bei Georg Block. Eine Lichtritze stand unter seiner Tür. Er büffelte. „Komm, Georgie, fressen”, sagte ich.

Er sah auf. Sein blasses Gesicht rötete sich. „Hab keinen Hunger.” Er dachte, es wäre aus Mitleid. Deshalb wollte er nicht.

„Sieh dirs erst mal an”, sagte ich. „Es wird sonst schlecht. Tu mir den Gefallen.”

* * *

Spät, als alles still geworden war, nahm ich meinen Mantel und eine Decke und schlich über den Korridor zum Telefon. Ich kniete vor dem Tisch nieder, auf dem der Apparat stand, legte mir Mantel und Decke über den Kopf, hob den Hörer ab und hielt mit der linken Hand den Mantel unten zu. So war ich sicher, dass mich niemand belauschen konnte. Die Pension Zalewski besaß ungeheuer lange, neugierige Ohren. Ich hatte Glück. Patrice Hollmann war zu Hause. „Sind Sie von Ihrer geheimnisvollen Besprechung schon lange zurück?” fragte ich.

„Schon fast eine Stunde.”

„Schade. Hätte ich das gewusst – ”

Sie lachte. „Nein, es hätte nichts genützt. Ich liege zu Bett und habe schon wieder etwas Fieber. Es ist ganz gut, dass ich früh nach Hause gekommen bin.”

„Fieber? Was ist denn das nur für ein Fieber?”

„Ach, nichts Wichtiges. Was haben Sie denn heute abend noch gemacht?”

„Ich habe mich mit meiner Wirtin über die Weltlage unterhalten. Und Sie? Hat Ihre Sache geklappt?”

„Ich hoffe, dass sie klappt.”

„Haben Sie in Ihrer Bekanntschaft nicht jemand, der Robert heißt?” fragte ich.

Sie lachte. „Ich glaube nicht – ”

„Schade. Ich hätte gern mal gehört, wie Sie das aussprechen. Wollen Sie es nicht trotzdem mal versuchen?”

Sie lachte wieder.

„Nur so zum Spaß”, sagte ich. „Zum Beispiel: Robert ist ein Esel.”

„Robert ist ein Kindskopf – ”

„Sie haben eine wunderbare Aussprache”, sagte ich. „Und nun wollen wir es mal mit Robby versuchen. Also: Robby ist – ”

„Robby ist ein Säufer – ” sagte die leise, ferne Stimme langsam, „und jetzt muss ich schlafen – ich habe ein Schlafmittel genommen, und mein Kopf summt schon – ”

„Ja – gute Nacht – schlafen Sie gut – ”

Ich legte den Hörer auf und schob den Mantel und die Decke beiseite.

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