9

Stanley Brogg hatte einen turbulenten Tag gehabt.

Der Untersekretär bearbeitete mehrere von Quellens heißen Fällen gleichzeitig, aber das machte ihm nichts aus. Er liebte die Arbeit. Insgeheim hatte er das Gefühl, daß er und Spanner die Abteilung in Schwung hielten. Sie gehörten beide der gleichen Kategorie an — große, unerschütterliche Männer, die mit Methode arbeiteten und in Krisenzeiten die Nerven nicht verloren, weil sie zuviel Fett besaßen, um sich aufzuregen. Natürlich, Spanner stand an der Verwaltungsspitze, während er nur ein kleiner Angestellter war. Spanner war Klasse Sechs, Brogg Klasse Neun. Und doch betrachtete sich Brogg als Spanners Kampfgenosse.

Die beiden anderen, Koll und Quellen, waren eigentlich überflüssig. Koll war boshaft und haßerfüllt, ein Mensch, der aus Rache für seine häßliche, kleine Gestalt überall sein Gift verspritzte. Er hatte natürlich seine Fähigkeiten, aber seine Neurose machte ihn gefährlich und nutzlos. Wenn jemand eine Zwangstherapie brauchte, dann war es Koll. Brogg verglich ihn oft mit Tiberius: ein Mensch voll Verachtung und Gefährlichkeit, nicht gerade verrückt, aber doch so sonderbar, daß man ihn meiden sollte.

Wenn er Koll mit Tiberius verglich, dann war Quellen Claudius: liebenswürdig, intelligent und schwach. Brogg verachtete seinen unmittelbaren Vorgesetzten. Quellen war ein Zauderer, der nicht auf seinen Posten paßte. Hin und wieder konnte er mit Energie und Entschlossenheit vorgehen, aber das waren Ausnahmen. Brogg tat seit Jahren Quellens Arbeit, sonst wäre die Abteilung schon längst ruiniert.

Eines allerdings überraschte an Quellen: Er war zu einem Verbrechen fähig. Das hatte Brogg verblüfft. Er hatte es nicht für möglich gehalten. Ein Fleckchen in Afrika — dazu mußte man Eintragungen fälschen, einen illegalen Stati-Dienst von Appalachia nach dem Kongo einrichten, Ausreden erfinden und vieles mehr. Das zweite Leben, das Quellen in Afrika lebte, erschien Brogg so kühn, daß er immer noch nicht verstehen konnte, wie sein schwächlicher Vorgesetzter das alles zuwege gebracht hatte. Die einzige Erklärung war, daß Quellen sich so von dem Leben in Appalachia abgestoßen fühlte, daß er alles riskierte, um ihm zu entfliehen. Selbst ein Feigling konnte zu unerwarteter Größe wachsen, wenn seine Bequemlichkeit bedroht wurde.

Brogg hatte Quellens großes Geheimnis rein durch Zufall entdeckt, obwohl natürlich eine gewisse Verräterei dabeigewesen war. Er hatte eine Zeitlang geahnt, daß mit Quellen etwas nicht stimmte, aber er hatte nicht gewußt, worum es sich handelte. Er hatte auf eine verbotene religiöse Aktivität getippt und vermutet, daß Quellen einer jener Sekten angehörte, die in dunklen Häusern zusammenkamen, um Flaming Bess, die abscheuliche Feuergöttin, zu verehren.

Brogg wußte nichts Bestimmtes, aber er bemerkte an Quellens Benehmen eine eigenartige Zurückhaltung und Verteidigungsbereitschaft, und er nahm sich vor, die Situation zu seinem Vorteil auszunützen. Er hatte hohe Ausgaben. Brogg war ein Mensch mit einem Hang zur Wissenschaft. Er beschäftigte sich gründlich mit der römischen Antike und sammelte Bücher und Münzen. Es kostete viel Geld, heutzutage noch etwas Echtes aufzutreiben. Brogg lebte immer am Rande des Bankrotts. Und so war ihm der Gedanke gekommen, Quellen anzuzapfen.

Zuerst hatte Brogg mit Quellens damaligem Zimmergenossen gesprochen — denn Quellen war noch nicht befördert worden und mußte wie jeder Junggeselle seiner Klasse die Wohnung mit einem anderen teilen. Bruce Marok hatte zwar auch das Gefühl, daß etwas Merkwürdiges vorging, aber er konnte keine Einzelheiten verraten. Er schien wirklich nicht viel zu wissen. Dann kam Quellens Beförderung, und Marok konnte nicht mehr spionieren.

Brogg kam auf die Idee, seinem Boß einen Horcher zu verpassen. Und nun konnte er in Ruhe abwarten.

Die Wahrheit kam ziemlich bald heraus. Quellen hatte unter einem Pseudonym ein Stück Land in Afrika erworben. Der größte Teil Afrikas war als Privatland für die Mitglieder der Hohen Regierung reserviert — besonders der tropische Teil, der während des Sporenkriegs vor mehr als hundertfünfzig Jahren völlig entvölkert worden war. Quellen hatte sich sein Stück vom großen Kuchen abgeschnitten. Er hatte sich ein Haus bauen lassen und konnte mit einem verbotenen Stati-Feld im Nu über den Atlantik flitzen. Natürlich würde Quellens Versteck eines Tages von den Überwachungstruppen entdeckt werden. Aber dieser Teil des Landes sollte erst in etwa fünfzig Jahren neu untersucht werden, und bis dahin bestand wenig Gefahr für Quellen.

Brogg verbrachte ein paar spannende Wochen mit der Verfolgung von Quellens Bewegungen. Er hatte zuerst angenommen, Quellen würde Frauen in sein Versteck mitnehmen und kultische Orgien feiern, aber nein, er ging allein hin. Er suchte einfach Frieden und Einsamkeit. Irgendwie hatte Brogg Verständnis für Quellens Wunsch. Aber er hatte auch seine eigenen Wünsche, und er war kein übermäßig sentimentaler Mensch. So ging er zu Quellen.

»Denken Sie an mich, wenn Sie das nächste Mal nach Afrika gehen«, sagte er einfach. »Ich beneide Sie, Kriminalsekretär.«

Quellen keuchte erschrocken. Dann fing er sich wieder. »Afrika? Wovon sprechen Sie denn, Brogg? Was sollte ich in Afrika?«

»Ausspannen, der Menge entfliehen. Habe ich recht?«

»Ich finde Ihre Anschuldigungen unpassend.«

»Ich habe Beweise«, sagte Brogg. »Wollen Sie sie hören?«

Schließlich trafen sie eine Übereinkunft. Für eine großzügige monatliche Zahlung würde Brogg den Mund halten. Das war vor ein paar Monaten gewesen, und Quellen zahlte seitdem regelmäßig. Solange er es tat, hielt Brogg seine Abmachung ein. Er hatte kein Interesse daran, Quellen anzuzeigen. Als Geldquelle war er ihm weit nützlicher als in irgendeinem Rehabilitations-Zentrum. Da er seine Studien durch Quellens Schweigegeld leichter fortsetzen konnte, hoffte Brogg, daß niemand sonst hinter das Geheimnis kommen würde. Das würde einen Verlust seines zusätzlichen Einkommens bedeuten. Vielleicht steckte man ihn als Mitwisser sogar ins Gefängnis. Und so wachte Brogg wie ein Schutzengel über Quellen und deckte ihn vor den forschenden Blicken anderer.

Brogg wußte natürlich, daß Quellen ihn haßte und fürchtete. Es machte ihm nichts aus. An verschiedenen Orten hatte er Bänder mit Quellens Schuldbekenntnis versteckt, die so programmiert waren, daß sie automatisch der Hohen Regierung zukamen, wenn Brogg etwas zustoßen sollte. Quellen wußte das. Quellen konnte nichts tun. Er war sich darüber im klaren, daß die teuflischen kleinen Kästen sich in Bewegung setzen würden, sobald ihre Sensoren nicht mehr den Alphastrom von Stanley Brogg spürten. Sie würden sich in Bewegung setzen und an der richtigen Stelle ihre Anschuldigungen vorbringen.

Weder Quellen noch Brogg machten je Erwähnung von ihrem seltsamen Abkommen. Im Büro ging die Arbeit ungestört weiter, obwohl sich Brogg hin und wieder eine versteckte Anspielung erlaubte. Aber im allgemeinen nahm er Quellens Befehle entgegen und führte sie aus.

Wie zum Beispiel bei der Zeitreise-Affäre.

Er hatte die letzten Tage damit verbracht, den potentiellen Zeitreisenden Donald Mortensen aufzuspüren, der am vierten Mai den Sprung wagen sollte. Quellen hatte Brogg aufgetragen, den Fall mit äußerster Vorsicht anzugehen. Brogg wußte, weshalb. Er war klug genug, um die Konsequenzen vorherzusehen, die sich ergeben konnten, wenn man Mortensen an der Abreise hinderte. Schließlich stand er auf der Liste der Reisenden. Brogg war selbst noch einmal das Material durchgegangen, das er Quellen zur Verfügung gestellt hatte. Wenn man einen Menschen aus dem Gefüge nahm, konnte die ganze Welt einstürzen. Brogg wußte das. Zweifellos war sich auch Quellen darüber im klaren. Wenn Kloofman oder Danton davon erfuhren, begannen sicher ein paar Beruhigungsspritzen in ihnen zu arbeiten. Eine Veränderung der Vergangenheit bedrohte den Status eines jeden in der Gegenwart, und diejenigen mit dem höchsten Status — also Danton und Kloofman — hatten am meisten zu befürchten und mußten sich am stärksten aufregen.

So ging Brogg vorsichtig zu Werk. Er war ziemlich sicher, daß die Hohe Regierung die Untersuchung einstellen ließ, sobald sie davon erfuhr. Aber inzwischen führte Brogg seinen Auftrag aus. Er konnte Quellen natürlich auch anschwärzen. Aber seine Gründe, Quellen bei Laune zu erhalten, waren doch mächtig.

Mortensen war schnell gefunden — ein hagerer, blonder Mann von achtundzwanzig Jahren mit hellblauen Augen und sehr dünnen, blonden Augenbrauen. Brogg stieß auf der Schnellbootrampe gegen ihn und befestigte dabei einen Horcher an ihm. Es war ein Splittermodell, das er in eine Narbe der Hand stach und das der Mann nie spüren würde. In ein paar Tagen löste es sich auf, aber die Zeit genügte, um eine Menge Informationen zu übertragen. Im Anbringen von Horchern war Brogg Meister.

Er schaltete das Abhörgerät ein und ließ Mortensens Tätigkeiten aufnehmen.

Es ging um einen Mann namens Lanoy. Brogg hörte Bruchstücke wie diese:

»… am Bahnhof mit Lanoy. Am Tag der Abreise …«

»… Lanoys Honorar wurde schon eingezahlt …«

»… sagen Sie Lanoy, daß ich in der ersten Maiwoche den Sprung machen möchte …«

»… ja, am See, wo ich ihn das letztemal traf.«

Mortensen war verheiratet. Klasse Zehn. Er mochte seine Frau nicht mehr. Amüsiert dachte Brogg, daß der Sprung in die Vergangenheit einer sofortigen Scheidung gleichkam. Der Horcher übermittelte ihm Sidna Mortensens schrilles Gejammer, und er mußte zugeben, daß für Mortensen der Sprung das beste war. Er stapelte eine Menge Informationen über den Zeitreisenden.

Und dann kam die Entscheidung. Von Kloofman über Giacomin, Koll und Quellen zu Brogg:

»Wir müssen Mortensen in Ruhe lassen. Wir sollen uns nicht um ihn kümmern. Das ist ein Befehl.«

Brogg sah Quellen fragend an. »Was soll ich tun? Wir erfahren von Mortensen eine ganze Menge.«

»Unterbrechen Sie die Nachforschungen.«

»Wir könnten es wagen, sie heimlich fortzuführen«, schlug Brogg vor. »Solange Mortensen nichts merkt, bekommen wir gute Hinweise von ihm. Natürlich mischen wir uns nicht ein, wenn er den Sprung wagt, aber …«

»Nein.«

Feigling! dachte Brogg. Du hast Angst vor der Hohen Regierung.

In einem Aufwallen anarchistischer Gefühle sah sich Brogg als Mörder von Donald Mortensen. Er würde es den Oberen zeigen! Wahrscheinlich brach alles zusammen wie damals, als Samson mit den Schultern an die Tempelsäulen stieß. Es hätte Brogg sicher amüsiert, wenn er gewußt hätte, daß der augenscheinlich so schwache Quellen den gleichen rebellischen Gedanken gehabt hatte. Es steckte eine große Macht in dem Wissen, daß ein kleiner Angestellter durch einen kleinen Ungehorsam die Sicherheit der Hohen Regierung aufs Spiel setzen konnte. Aber weder Quellen noch Brogg gaben ihren Impulsen nach. Gehorsam nahmen sie von einer weiteren Verfolgung Mortensens Abstand. Mortensen würde am vierten Mai in die Vergangenheit abreisen, und der Zeitablauf blieb erhalten.

Außerdem wurde Brogg auf eine neue Spur gesetzt.

Es war heute herausgekommen. Ein Prolet namens Brand, Klasse Fünfzehn, hatte in einem Saloon zu viel getrunken. Leeward, der sich selbst an der Theke erfrischte, hatte zugehört, wie Brand große Worte über Lanoy führte. So erhielt Leeward ohne technische Hilfsmittel einen wichtigen Hinweis und teilte ihn Brogg mit.

»Lassen wir uns diesen Brand einmal herkommen«, sagte Brogg, als Leeward fertig war. »Bleiben Sie im Büro. Ich hole ihn selbst.«

Brogg liebte diese Art von Arbeit. Er spürte Brand auf, sah ihn sich an und wog die Möglichkeiten der Annäherung ab. Nach einigem Zögern sonderte er ihn aus der Menge ab, wies sich als Regierungsmitglied aus und bat den Mann, ihm zu folgen. Brand sah ihn erschreckt an. »Aber was habe ich denn getan?« fragte er. »Nichts, gar nichts.«

»Wir wollen Ihnen ja nichts tun«, versprach ihm Brogg. »Wir stellen Ihnen nur ein paar Fragen.«

Er nahm Brand mit. Als er das Sekretariatsgebäude erreichte, erfuhr er, daß Quellen einen neuen Befehl gegeben hatte.

»Er will, daß wir seinem Schwager einen Horcher andrehen«, sagte Leeward.

Brogg grinste. »Nepotismus sogar bei der Verbrechensbekämpfung? Schämt sich der Mann überhaupt nicht?«

»Ich konnte es mir gar nicht erklären«, meinte Leeward ruhig. »Aber er sagt, daß sein Schwager die Absicht hat, den Sprung zu wagen. Das will er überprüfen. Deshalb sollen wir ihn mit einem Horcher versehen und den Monitor Tag und Nacht laufen lassen. Norman Pomrath heißt der Mann. Ich habe mir bereits die Unterlagen besorgt.«

»Schön. Wir kümmern uns sofort um Pomrath.«

»Pomraths angeblicher Kontaktmann ist Lanoy. Das sagte wenigstens Quellen.«

»Sieht so aus, als sei jeder in Kontakt mit Lanoy. Wußten Sie, daß sogar Quellen angesprochen wurde?« Brogg lachte. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, ihm zu sagen, daß auch Mortensen mit Lanoy verhandelte, aber es wird ihn wohl kaum überraschen. Und dieser Prolet, den Sie entdeckten, dieser Brand — auch er spricht von Lanoy. Durch einen von ihnen müssen wir an den Mann kommen.«

»Soll ich Pomrath einen Horcher verpassen?« erkundigte sich Leeward.

»Ich mache es selbst«, sagte Brogg. »Sie werden zugeben müssen, daß ich dafür eine besonders geschickte Hand habe.«

Das stimmte. Brogg bewegte sich für einen Mann seiner Fülle mit einer erstaunlichen Wendigkeit. Wie ein passionierter Taschendieb konnte sich Brogg seinen Opfern in einem Schnellboot nähern und den Horcher an den verschiedensten Stellen anbringen. Es war eine Begabung, die ihm gute Dienste geleistet hatte, als er Quellens Geheimnis ausspionierte. Mit Mortensen war er ähnlich elegant fertiggeworden. Nun kam also Pomrath an die Reihe. Brogg ging ins Labor und ließ sich die neuesten Horchermodelle zeigen.

»Hier ist ein hübsches Stück«, erklärte der Techniker stolz. »Wir haben es eben erst hergestellt. Der Abhörmechanismus ist in ein Stückchen pseudolebendes Glas eingebaut. Das Ergebnis dürfte einmalig sein. Sehen Sie sich die Sache nur an.«

Brogg streckte ihm die wulstige Hand entgegen. Der Techniker überreichte ihm eine winzige, nur wenige Moleküle starke Metallanlage, die unsichtbar in eine kleine, grünliche Kunststoffperle eingebaut war.

»Wie funktioniert das Ding?« fragte Brogg.

»Wie ein ganz normaler Horcher. Aber sobald sich das Gerät am Körper des Opfers befindet, tritt das Glas in Aktion und schiebt sich von selbst durch die Poren in die Haut. Sie verstehen, eine Art künstlicher Parasit. Kein noch so spitzer Gegenstand kann es unter der Haut hervorholen. Und die Sendedauer ist nicht beschränkt. Wenn man es wieder entfernen will, ist eine Operation notwendig.«

Brogg war beeindruckt. Es gab natürlich eine Menge Horchermodelle, die im Innern des Körpers angebracht wurden, aber bisher hatte man dazu immer eine der natürlichen Körperöffnungen benutzen müssen. Das war für einen Kriminalbeamten nicht immer einfach. Die übliche Methode bestand darin, den Horcher in das Essen des Opfers zu schmuggeln. Da aber die wenigsten Menschen gern in Gegenwart anderer aßen, mußte man einen günstigen Zeitpunkt sorgfältig planen. Außerdem war der Horcher nach kurzer Zeit wieder verdaut. Natürlich hatte sich Brogg auch anderer Methoden bedient, vor allem bei Frauen, aber es war und blieb eine schwierige Angelegenheit. Die neue Erfindung war bei weitem besser. Man brauchte den Horcher nur äußerlich anbringen, und er arbeitete sich von selbst in den Körper. Brogg war begeistert von der Idee.

Er verbrachte eine Stunde damit, sich mit dem neuen Modell zu befassen. Dann machte er sich auf die Suche nach Pomrath.

Der Televektorstrahl hatte Pomrath schnell ausfindig gemacht: Er war in der Arbeitsvermittlungszentrale, zweifellos auf der Suche nach einer Stelle. Brogg zog eine schäbige Proletentunika über, wie sie von Leuten aus Klasse Zwölf und abwärts getragen wurde, und begab sich in das Katastergebäude.

Es war nicht weiter schwer, Pomrath in der Menge ausfindig zu machen. Brogg wußte so ungefähr, wie der Mann aussah — dunkel, untersetzt, verbittert —, und er stand ihm schnell gegenüber. Brogg reihte sich nicht weit von Pomrath entfernt ein und beobachtete Quellens armseligen Schwager eine Zeitlang. Pomrath sprach zu niemandem. Er starrte die roten, grünen und blauen Speicher der Job-Maschine an, als seien sie seine persönlichen Feinde. Seine Lippen waren verkniffen, und unter den Augen lagen dunkle Ringe. Der Mann ist am Ende, dachte Brogg, kein Wunder, daß er die Zeitreise plant. Nun, darüber werden wir bald mehr erfahren.

Brogg stellte sich hinter Pomrath und stolperte.

»Verzeihung«, murmelte er, als Pomrath die Hand ausstreckte, um ihn vor dem Hinfallen zu bewahren. Brogg umklammerte sein Handgelenk und drückte den Horcher fest in die haarige Haut. Dann richtete er sich auf, bedankte sich bei Pomrath und schob seine Tunika zurecht. Währenddessen arbeitete sich das Glas unauffällig in Pomraths Körper.

Bis zum Abend hatte es sicher ein Fettpolster irgendwo im Arm gefunden, in dem es liegenbleiben und Signale aussenden konnte.

»Ungeschickt von mir«, sagte Brogg noch einmal und ging. Pomrath schien nichts bemerkt zu haben.

Als Brogg in sein Büro zurückkehrte, schaltete er den Monitor ein. Pomrath hatte jetzt das Katastergebäude verlassen. Im Oszilloskop zeigte sich die typische Linie, die durch Schritte entstand. Pomrath ging etwa zehn Minuten zu Fuß. Dann blieb er stehen. Komplizierte Muskelbewegungen: Er betrat ein Gebäude mit manuell bedienter Tür. Und dann wurde die Stimme übertragen.

POMRATH: Da bin ich wieder, Jerry.

FREMDE STIMME: Wir haben immer eine Liege für dich frei.

POMRATH: Mit einer hübschen kleinen Halluzination, ja? Ich bekämpfe gerade das Krebsvolk, und die nackte Blondine schreit und will von mir gerettet werden, während Kloofman nur darauf wartet, mir die Galaktische Tapferkeitsmedaille umzuhängen.

STIMME: Den Traum kann ich dir nicht heraussuchen, Norm. Das weißt du doch. Du zahlst anderthalb und bekommst, was gerade da ist. Die Bilder werden von deinen eigenen Gedanken ausgelöst.

POMRATH: Mein Freund, meine Gedanken möchte ich lieber nicht zu einem Traum verarbeitet sehen. Wo ist die Maske? Jetzt werde ich mir einmal etwas vorzaubern. Norm Pomrath, der Weltenvernichter. Der Mann, der Zeit und Raum verwirrt. Der Zerstörer des Kontinuums.

STIMME: Also wirklich, du hast eine merkwürdige Phantasie, Norm.

Brogg wandte sich ab. Pomrath war offensichtlich in einer Traumbar. Auf dem Monitor würde sich jetzt nichts Wichtiges abspielen — Pomrath lag auf einer Couch, schlief und hatte seinen Traum.

In einem anderen Raum verhörte Leeward immer noch den unglücklichen Brand. Brand sah beunruhigt aus. Brogg hörte eine Weile zu, und als sich nichts Besonderes ergab, ging er wieder. Er wollte für diesen Tag Schluß machen. Quellen war bereits gegangen. Vermutlich nach Afrika.

Brogg erreichte sein eigenes Apartment nach kurzer Zeit. Er hatte wie alle anderen seiner Klasse einen Zimmergefährten — einen Assistenten der Gesetzesabteilung — aber sie hatten alles so vereinbart, daß sie sich selten begegneten. Man mußte eben aus den bestehenden Verhältnissen das beste machen.

Müde stellte sich Brogg unter die Molekülbrause und schwemmte den Schmutz des Tages herunter. Er programmierte sein Abendessen. Dann wählte er ein Buch. Es ging wie meist um sein Lieblingsthema, die römische Geschichte: Tiberius bekämpfte den Aufstand des Sejanus. Das Aufeinanderprallen der verschiedenen Charaktere war faszinierend. Sejanus, der schlaue Günstling des finsteren alten Cäsaren, der schließlich zu weit ging und aus der Höhe seiner Macht durch Tiberius, den auf Capri lebenden alten Esel, herabgestürzt wurde.

Schnell hatte sich Brogg in jene fernen, erregenden Ereignisse eingelebt.

Wie hätte ich die Lage behandelt, wenn ich Sejanus gewesen wäre? fragte er sich. Zweifellos mit mehr Geschick. Ich hätte den Alten nie so herausgefordert. Brogg lächelte. Wenn er Sejanus gewesen wäre, hätte er den Thron erobert. Das stand fest. Andererseits …

Andererseits war er nicht Sejanus. Er war Stanley Brogg vom Kriminalsekretariat. Daran war nichts zu ändern, dachte er. Man mußte eben das Beste daraus machen.

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