Leutnant Oliver Browne ließ sein Fernglas sinken und meldete:»Signal von Elephant: >Ostsee-Geschwader nach eigenem Ermessen ankern<.»
Bolitho hatte ebenfalls ein Glas am Auge, aber er richtete es auf die langen, einander überlappenden Vorsprünge der Küste. Sie schienen überhaupt nicht näher zu kommen, bargen aber eine stumme Drohung, als ob das ganze Land auf ihre erste Bewegung in Richtung Einfahrt zum Sund lauerte.
Die Verantwortung lastete in diesen engen Gewässern besonders schwer auf den einzelnen Kommandanten, aber bei einem Befehlshaber wie Nelson war ihnen etwas von der Sorge abgenommen. Es würde keine unnötigen Signale geben und keine Zeitvergeudung. Bolitho nahm an, daß der Held von Abukir Admiral Hyde Parker erheblich bearbeitet hatte, bevor dieser sich zu einem derart schnellen Angriff entschloß. Während des ganzen Tages, als die Geschwader und ihre vorausgeschickten Aufklärer durch das Kattegatt südwärts segelten, war Bolitho sich der Endgültigkeit dieser Entscheidung bewußt. Querab lagen die Küsten von Dänemark und Schweden, und wenn sie auch zeitweise außer Sichtweite kamen, so wurde man doch nie das Gefühl los, man führe in den Sack eines riesigen Treibnetzes.
Selbst jetzt, da Briggs und Schiffskutter unter Segel zwischen den massigen Leibern der Zweidecker herumflitzten, gab es unsichtbare Augen, die jede ihrer Bewegungen verfolgten. Nelson hatte die ganze Flotte ankern lassen, obwohl er wußte, daß Bolithos Geschwader sich bei anbrechender Dunkelheit schon wieder auf den Weg machen mußte. Er vergaß selten etwas. So hatte er auch seine Flagge auf der Elephant gesetzt, weil sie kleiner war als sein mächtiges, achtundneunzig Kanonen tragendes Flaggschiff St. George und einen geringeren Tiefgang hatte, so daß sie näher ans Ufer herankonnte, ohne auf Grund zu laufen.
Bolitho ließ sein Glas sinken und schaute in die vertrauten Gesichter der Deckswache.
Der alte Grubb machte sich mit seinen Steuermannsmaaten am Peilkompaß zu schaffen. Wolfe schaute zum Großtopp hinauf, wo einige Seesoldaten hinter dem Schutzschild auf der Marssaling mit dem leichten Schwenkgeschütz, der Drehbasse, exerzierten. Und Browne stand bis zu den Knien in bunten Flaggen, da sein Midshipman und dessen Gasten gerade eine Reihe längerer Signale von der Rah niedergeholt hatten.
Schließlich Herrick, der überall zu sein schien, wie immer.
Bolitho sagte:»Ankern Sie, wie es Ihnen paßt. «Er warf einen Blick zum Wimpel am Großtopp hinauf.»Der Wind hat etwas abgeflaut. Für unser Vorhaben scheint er hervorragend zu sein.»
Herrick nickte und ging zum Steuermann hinüber, der sich nahe am Ruderrad aufhielt.»Klar zum Ankern im Verband, Mr. Grubb. «Wolfe rief er zu:»Nehmen Sie Fahrt aus dem Schiff. Lassen Sie Bram- und Großsegel bergen!»
Pfeifen zwitscherten, Kommandos dröhnten, und Männer eilten auf ihre Stationen, um die Segelfläche der Benbow zu verringern.
Bolitho beobachtete, wie sie zu den Bramrahen aufenterten oder Schläge von Belegnägeln lösten, während sie auf den nächsten Befehl vom Achterdeck warteten. Es gab kaum noch Unsicherheiten, auch nicht unter den jüngsten Matrosen und den gepreßten Leuten. >Män-ner, nicht Schiffe kämpften.< Herricks Ausspruch von vor sechs Monaten ging Bolitho nicht mehr aus dem Sinn.
Er bemerkte Midshipman Penels an den Kreuzwanten, fast hinter einem Bootsmannsmaaten und einigen Matrosen versteckt. Er bewe gte sich wie eine Marionette und zeigte wenig Interesse an den Vorgängen rundum. Herrick hatte Bolitho über den Inhalt seines Gespräches mit Pascoe unterrichtet, der versucht hatte, Penels zu verteidigen. Was dabei richtig oder falsch war, schien unwichtig im Vergleich zu dem, was ihnen in den nächsten Tagen bevorstand. Nur der unglückliche Tod von Babbage war eine nicht wegzudiskutierende Tatsache.
Herrick war in der Angelegenheit Penels ungewöhnlich hart gewesen.»Ungeeignet als künftiger Offizier. Ein Muttersöhnchen. Ich hätte ihn nie einstellen sollen.»
Bolitho verstand Herricks Haltung ebenso wie Pascoes impulsiven Entschluß, den Deserteur zurückzuholen. Herrick hatte es nicht leicht gehabt im Leben. Er kam aus einer unbemittelten Familie und hatte sich seinen Aufstieg ohne Protektion selber erkämpfen müssen. Weil er es geschafft hatte, liebte er die Marine, aber er war unerbittlich gegen andere, die nicht so zielbewußt und hart gegen sich selbst waren.
Als Bolitho Entschuldigungsgründe für Penels' Verhalten zu bedenken gab, hatte Herrick scharf erwidert:»Sehen Sie da drüben die Styx, Sir? Ihr Kommandant war in Penels' Alter, als wir gemeinsam die blutige Meuterei niederschlugen. Ich habe ihn dabei nicht nach seiner
Mama rufen gehört!»
Aber wie die Angelegenheit Penels auch ausgehen mochte, erst einmal würde der Junge die Anforderungen und Schrecken der bevorstehenden Schlacht durchstehen müssen wie jeder in der Flotte.
Bolitho kam zu einem Entschluß und winkte seinen Flaggleutnant heran.
«Sir?»
Mehr als alle anderen schien Browne durch das harte Leben auf See gewonnen zu haben. Der Kontrast zwischen Admiralität und der Offiziersmesse eines Kriegsschiffes war immerhin beachtlich.
«Es geht um den jungen Penels. Können Sie ihn in Ihrer Gruppe gebrauchen?»
Browne schien zunächst ablehnen zu wollen, besann sich dann aber.»Wenn es befohlen wird: ja. «Er lächelte milde.»Selbstverständlich könnte ich zu bedenken geben, daß ohne sein Zutun Babbage noch am Leben oder bestenfalls auf der Flucht wäre. Ihr Neffe wäre nicht gefordert worden, und Sie schließlich.»
«Was ist mit mir?»
«Ich nehme Penels, Sir. Mir ist gerade etwas eingefallen: Ohne die Herausforderung Ihres Neffen wären Sie nicht wie verrückt mit mir nach Portsmouth geritten. Und dann wäre Ihnen nicht eine gewisse Dame Hals über Kopf nachgereist.»
Bolitho mußte sich abwenden.»Zur Hölle mit Ihnen, Sie Frechdachs! Sie sind genauso schlimm wie mein Bootssteurer. Kein Wunder, daß Sir George Beauchamp froh war, Sie los zu sein!»
Browne lächelte hinter seinem Rücken.»Sir George liebt schöne Frauen, Sir. Er hat mich als Rivalen gefürchtet. Völlig zu unrecht, natürlich.»
«Natürlich. «Bolitho lächelte.»Es hätte mich auch gewundert.»
In schwerfälliger Prozession drehten die vier Linienschiffe in den Wind, um Anker zu werfen, während ihre kleineren Begleiter noch etwas weiter nach Luv segelten, bevor sie es ihnen nachtaten. Selbst hier, wo so viele Schiffe versammelt waren, durfte man nie die Wachsamkeit vernachlässigen.
Herrick ließ schließlich zufrieden sein Fernglas sinken.»Alle haben geankert, Sir.»
«Sehr schön, Thomas. «Sie entfernten sich etwas von möglichen
Zuhörern, bevor Bolitho fortfuhr:»Wenn es dämmert, lassen Sie Vorbereitungen zum Gefecht treffen, die Rahen mit Ketten sichern und Schutznetze über dem oberen Batteriedeck spannen. Nach Einbruch der Dunkelheit wird sich in der Meerenge sicher kaum etwas bewegen, aber ein einziges Fahrzeug könnte Alarm auslösen. Wir müssen auf alles gefaßt sein. Wenn das Schlimmste passiert und wir auf Grund laufen, müssen wir sehr fix mit dem Ausfahren des Warpankers und sonstigen Maßnahmen sein, um ohne Verzug wieder flott zu werden.»
Herrick nickte. Er war froh, daß er seine Ansichten und Sorgen besprechen konnte.»Der Boden der Benbow ist mit dem besten Kupfer beschlagen und hält viel aus, aber ich würde es doch nicht gern darauf ankommen lassen.»
Er hielt inne, als einige Männer mit Eimern voll Fett und Wagenschmiere an ihnen vorbeiliefen. Jeder Block, jede Talje, alle beweglichen Metallteile, vom Ankerspill bis zum Rudergeschirr, wurden damit eingeschmiert. Nachts an Deck eines Schiffes scheinen nur der Wind und die Segel Geräuschquellen zu sein, aber in Wirklichkeit sind es die quietschenden Blöcke oder sonstige schleifende Metallteile, deren Geräusch weit über das Wasser getragen wird.
Herrick sagte:»Sobald wir uns in Bewegung gesetzt haben, werden die Beiboote mit dem Loten beginnen. Wenn wir durch die Enge hindurch sind oder vorher angegriffen werden, werden sie zu ihren Schiffen zurückkehren, sofern sie dabei unseren weiteren Vormarsch nicht behindern. Anderenfalls kann die Styx sie später aufnehmen.»
Bolitho sah ihn forschend an. Selbst in dem schwachen Abendlicht waren Herricks Augen ungewöhnlich blau.»Ich glaube, wir haben an alles gedacht, Thomas. Für das Weitere wird uns Ihr sprichwörtliches Glück beistehen müssen.»
Herrick grinste.»Ich habe schon eine Wette darauf abgeschlossen.»
Eine Gestalt huschte wie ein Schatten an ihnen vorbei: Loveys, der Schiffsarzt. Bolitho fühlte einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen, als er sich erinnerte, wie Loveys damals mit starrem Blick in seiner offenen Wunde herumgestochert hatte.
Die Schiffsärzte des Geschwaders würden in wenigen Stunden sehr gefragt sein, dachte er grimmig. Er sagte:»Ich gehe in meine Kajüte. Vielleicht können Sie bald dazukommen?»
Herrick nickte.»Sobald die Leute gegessen haben, lasse ich >Klar Schiff zum Gefecht< anschlagen, Sir.»
Bolitho war einverstanden. Er hatte es den Kommandanten überlassen, wann sie ihr Schiff gefechtsbereit machten. Nichtsdestoweniger wußte er, daß Herrick es kaum zulassen würde, daß ein anderes Schiff dem Flaggschiff zuvorkam.
Die Kajüte wirkte größer als sonst, denn Ozzard hatte schon die meisten Möbelstücke in die Stauräume unterhalb der Wasserlinie getragen. In dem leeren Raum fühlte sich Bolitho immer unbehaglich. Es sah so verpflichtend, so endgültig aus.
Allday hatte den prächtigen Ehrensäbel heruntergenommen und war gerade dabei, den anderen mit einem weichen Tuch zu putzen.»Ich habe etwas zum Abendessen für Sie bestellt, Sir. Nichts Schweres.»
Bolitho setzte sich und streckte die Beine aus.»Beunruhigt Sie die Aussicht auf eine neue Schlacht nicht?»
«Doch, Sir. «Allday peilte an der Klinge entlang und nickte zufrieden.»Denn wo Ihre Flagge weht, ist es immer am dicksten, und darüber muß man sich mehr Sorgen machen als über ein paar blutige Nasen.»
Bolitho ließ Allday mit seinen kleinen Vorbereitungen fortfahren. Jetzt mußte die Kurierbrigg, wenn sie Glück gehabt hatte, in England angekommen sein. Noch ein Tag auf der Landstraße, und dann würde sein Brief endlich Herricks Haus in Kent erreichen, wo Belinda sich aufhielt.
Ozzard trat mit einem Tablett ein, über das ein Tuch gedeckt war. Er sagte:»Sie wollen gleich >Klar Schifft anschlagen, Sir. «Es klang ärgerlich wegen der Störung.»Aber Mr. Wolfe hat mir zugesichert, daß Ihre Kajüte so bleibt, wie sie ist, bis Sie fertig gegessen haben. «Er setzte das Tablett auf den Tisch.»Ich fürchte, es ist wieder Salzfleisch, Sir.»
Bolitho erinnerte sich lächelnd an Damerums Erwähnung seines Lebensmittellieferanten in London, eines Mr. Fortnum. Vielleicht würde er eines Tages mit Belinda zu dem Händler gehen.
So weit weg wie auf einem anderen Schiff hörte er den Ruf, der lauter und lauter wurde, als die Bootsmannsmaaten und Unteroffiziere der Seesoldaten durch das Schiff eilten:»Alle Mann auf! Alle Mann auf! Klar Schiff zum Gefecht!»
Als Hunderte von Füßen über die Decks rannten, schien die Benbow zu zittern. Bolitho sah auf das zähe Fleischstück nieder, das Ozzard mit einigen Kunstgriffen schmackhaft zu machen versucht hatte.»Sieht gut aus, Ozzard. Ich werde dazu ein Glas Madeira trinken.»
Allday verließ die Kajüte mit seinem großen alten Entermesser unter dem Arm. Er wollte damit zum Stückmeister, um es auf dessen Schleifstein zu schärfen, eine Arbeit, die er keinem Matrosen oder gar Schiffsjungen anvertraute, weil das gute Stück sonst hinterher — behauptete er — wie eine Säge aussah.
Im Weggehen hörte er noch Bolithos Bemerkung, die ihm typisch schien. In einem solchen Augenblick würgte er lieber das steinharte Fleisch herunter, als daß er Ozzards Gefühle verletzte.
Allday schlenderte zwischen den beiden Reihen der Kanonen und den vielen eilfertigen Gestalten und Befehle donnernden Maaten nach vorne. Das Gehetze hatte er schon oft erlebt, hatte es oft selbst mitgemacht. Als Bolithos Bootssteurer stand er nun darüber und hatte seinen Sonderstatus an Bord wie an Land.
Tom Swale, der Oberbootsmann, grinste Allday mit seinem lük-kenhaften Gebiß an, als er an ihm vorbeikam.»Viel zu tun, John?»
Allday nickte umgänglich.»Aye, Smatting, wie immer!»
Es war ein Spielchen, das beiden Spaß machte und das sie stärkte für den Augenblick, wenn die Kanonen sprachen.
Sobald es dunkel geworden war, ging ein Schiff Bolithos nach dem anderen ankerauf und entfernte sich langsam von der übrigen Flotte.
Bolitho stützte sich mit beiden Händen auf die Querreling und schaute angestrengt nach vorn. Er sah den blassen Umriß der Masten und das dichte Gewebe der Takelage sich vor dem Nachthimmel abzeichnen, aber wenig mehr. Relentless und Lookout waren unsichtbar, ebenso die meisten Ruderboote, die sich wie wachsame Jagdhunde vor und neben ihren großen Schützlingen tummelten.
Auf beiden Laufbrücken der Benbow stand eine Kette von Männern, die jede Meldung der Lotgasten im Vorschiff an Grubb und seine Leute durchgeben sollten.
Der Wind füllte spielerisch die gerefften Marssegel, und nur die sanften Schläge der Wellen gegen den Schiffsrumpf ließen ahnen, daß die Benbow Fahrt voraus machte.
An Backbord war ein kompakterer Schatten: die schwedische Küste.
Es hatte den Anschein, als ob sie und nicht die Schiffe sich bewegten.
«Gerade zehn, Sir!«kam die erste Lotmeldung.
Bolitho hörte, daß Herrick mit Grubb flüsterte und irgendwo ein Griffel kratzte, um die gelotete Zahl zu notieren.
Bolitho wagte nicht, aufs Hüttendeck zu klettern und nach der In-domitable zu sehen, die sehr nahe achteraus stand. Er fürchtete, etwas zu verpassen, wenn er sich auch nur einen Augenblick abwandte.
Ob die dänischen Batterien ihren Vorstoß erwarteten? Höchst unwahrscheinlich, dachte er. Kein Admiral mit normalen fünf Sinnen hätte es gewagt, eine Flotte durch diese Enge und an solch mächtigen Kanonen vorbeizuführen, geschweige denn eine solche Handvoll Schiffe wie die Bolithos.
Bei der Besprechung in der Kajüte hatte sich alles so einfach angehört, aber als die unheildrohende Küste an Backbord immer deutlicher hervortrat, war die Wirklichkeit weniger einfach zu verkraften. Bo-litho dachte an das führende Boot, das ein Stück vor den Schiffen vorwegpullte. Es war vollauf damit beschäftigt zu loten, nach patrouillierenden Wachbooten Ausschau zu halten und auf jedes verdächtige Geräusch zu achten. Und das in stockdunkler Nacht. Bolitho überlegte, welcher Offizier dort wohl das Kommando hatte. Er hatte nicht danach gefragt, denn er mußte ihnen vertrauen, wenn er auch auf ihr Vertrauen zählen wollte.
Die Boote hatten sich eine Stunde vor dem Einlaufen in die Enge von den Schiffen abgesetzt. Die Ruderer würden jetzt schon ermüdet sein und trotz nachlassender Kräfte wissen, daß es gerade jetzt auf größte Wachsamkeit ankam.
Er trat von der Reling zurück und schalt sich selber wegen seiner Sorgen. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Herrick kam aus der Dunkelheit.»Scheint alles ganz ruhig zu sein,
Sir.»
«Ja. Ich vermute, daß die Dänen solch umfassende Vorbereitungen für einen direkten Angriff auf den Hafen getroffen haben, daß sie genausowenig Lust verspüren wie wir, sich in der Dunkelheit zu bewegen.»
In ein paar Stunden würden Nelsons Schiffe ankerauf gehen und auf der gleichen Route durch die Enge folgen. Vor dem endgültigen Angriff auf die dänischen Forts und verankerten Schiffe wollten sie bei der Insel Hven ankern und ihre möglicherweise bei dem Durchbruch erlittenen Schäden beheben.
Die Köpfe auf der Backbord-Laufbrücke stießen fast aneinander, als der Ruf durch die Kette von vorn nach achtern durchgegeben wurde:»Land Backbord voraus, Sir!»
Herrick reagierte sofort.»Luven Sie einen Strich an, Mr. Grubb.»
Bolitho widerstand der Versuchung, sich zu den Geschützbedienungen der Neunpfünder zu gesellen, die an den Finknetzen standen und in die Finsternis hinausstarrten. Es mußte der zweite Kutter der Ben-bow gewesen sein, der die Gefahr erkannt und gemeldet hatte.
Segel rauschten, als die Brassen angeholt wurden. Bolitho schaute auf die andere Seite, ob irgendein schläfriger Wachposten die abgeblendete Laterne des Kutters bemerkt hatte, als er dem Flaggschiff seine Warnung signalisierte. Doch er bezweifelte, daß die Dänen anders waren als Engländer. Da mußte schon allerlei passieren, bevor ein Posten sich entschloß, seinen Offizier oder gar die ganze Wache zu alarmieren, weil er >glaubte<, er hätte >etwas< gesehen. Ganze Kriege, von einzelnen Gefechten zu schweigen, waren verloren beziehungsweise gewonnen worden, weil sich jemand zu genau an die militärischen Vorschriften gehalten hatte. Bolitho nahm an, daß Wolfe irgendwo auf der Back steckte. Der Erste Offizier hatte im Augenblick keine spezielle Aufgabe. Seine Gewandtheit und sein Vorrat an Erfahrungen, die er auf allen Weltmeeren gesammelt hatte, waren unerschöpflich. Möglich, daß er etwas sah oder spürte. Vielleicht ahnte er eine gefährliche Untiefe, die selbst den Lotgasten entgangen war.
Herrick flüsterte:»Was meinen Sie, wie viele von diesen Ruderkanonenbooten oder Galeeren wir antreffen werden, Sir?»
«Die genaue Zahl ist unbekannt, Thomas. Aber mehr als zwanzig bestimmt, und das sind zu viele. Vizeadmiral Nelson beabsichtigt, über Nacht am Südrand des Mittelgrundes zu ankern, bevor er sich am nächsten Tag an die vor dem Ufer in Kiellinie verankerten dänischen Schiffe heranmacht. Er wird bei diesem Plan bleiben, egal, was wir entdecken. Aber wenn die Galeeren sich zu seinen Schiffen durchschlagen, könnte das verheerende Folgen haben.»
«Gerade zwölf!»
Grubb atmete auf.»Gefällt mir schon besser. «Er erlaubte sich ein Lächeln.
Als die Stunden sich hinzogen, kam es Bolitho vor, als ob Zentnergewichte auf ihm lasteten. Jeder Muskel schien ihm weh zu tun, und er wußte, daß es allen so ging, vom Kapitän bis zum jüngsten Schiffsjungen.
Man hörte einige erschreckte Rufe, als ein Boot an ihrer Steuerbordseite vorbeitrieb, aber es gehörte zum Geschwader. Die Kuttergäste saßen über ihre gekreuzten Riemen gebeugt und konnten vor Erschöpfung kaum noch atmen. Ein Leutnant, dessen weiße Rockaufschläge sehr deutlich in der Dunkelheit zu erkennen waren, winkte zum Flaggschiff hinauf, und ein Seesoldat meldete mit heiserer Stimme:»Wir sind durch, Sir, hat er gerufen!»
Bolitho preßte die Hände zusammen, um seine Nerven zu beruhigen. Kein Schuß war gefallen, kein Mann verloren. Bei Tage, wenn die Hauptflotte ihren Vormarsch antrat, würde es anders sein.
«Drehen Sie die Sanduhr noch einmal um, Thomas. Danach können wir die Boote zurückrufen.»
Grubb sagte:»In zwei Stunden wird es hell, Sir. «Er rieb sich die roten Hände.»Ich bin ganz schön ausgedörrt nach diesem kleinen Ausflug.»
Herrick lachte.»Verstehe, Mr. Grubb. Sagen Sie dem Zahlmeister, daß er für jeden Mann eine doppelte Portion Rum ausschenken soll, und daß ich ihm das Fell über die Ohren ziehe, wenn er dagegen mek-kert.»
Bolitho fühlte, wie die Spannung sich rundherum legte, obwohl der Kampf noch vor ihnen lag. Die Benbow war durchgebrochen, und das verstand jeder Mann. Wie Allday gesagt hatte: Jeder kämpfte für jeden, aber nicht für einen Plan von höchster Stelle.
Das Halbstundenglas neben dem Kompaß kippte wieder um, und Grubb sagte:»Es ist soweit, Sir.»
Herrick rief:»Sagen Sie dem Kutter zur Weitergabe an Indomitable: Wir rufen die Boote zurück.»
Bolitho konnte sich die Erleichterung in den Booten vorstellen, als der Befehl durch die Linie lief. Von dieser Nacht würden viele Blasen in den Händen und schmerzende Rücken zurückbleiben.
Jemand drückte ihm einen Becher in die Hand, und er hörte Browne sagten:»Erschrecken Sie nicht, Sir, es ist Brandy und kein Rum. Ich weiß, daß Sie den nicht mögen. «Bolitho wollte gerade antworten, als er spürte, daß etwas Schnaps
über seine Finger spritzte. Browne zitterte also.»Was ist los?»
Browne blickte in Richtung der verborgenen Küste.»Sie fragen noch, Sir?«Er versuchte, es wegzulachen.»Ich bin zwar gut in Fragen des Protokolls und im Verkehr mit der hohen Admiralität. Ich kann mit Säbel oder Pistole besser umgehen als mancher andere und stehe auch am Spieltisch meinen Mann. «Er schüttelte sich.»Aber dieses schreckliche, lang hingezogene Schleichen in den Rachen der Hölle geht mir auf die Nerven, Sir.»
«Das vergeht wieder. «Bolitho war erschrocken, Browne so nervös zu sehen.
Browne antwortete ruhiger:»Ich habe gerade überlegt: Morgen ist der erste April, und am Ende des zweiten könnte ich mich schon in ein Nichts verwandelt haben.»
«Dann stehen Sie nicht allein da. Jeder auf diesem Schiff, mit. Ausnahme weniger ganz Sturer, hat ähnliche Gedanken.»
«Sie auch, Sir?»
«Aye. Ich denke auch daran und fürchte es. «Bolitho versuchte ein geringschätziges Achselzucken.»Aber ich habe gelernt, damit fertig zu werden.»
Er sah, daß Browne in das Dunkel zurücktrat und offenbar über seine Worte nachdachte.
Der erste April. In Cornwall mußte es jetzt schon grün sein.
Schnee und Nebel waren für ein Jahr vorüber. Er roch fast die blühenden Hecken und die kräftigen Düfte der Bauernhöfe. Und das Haus wartete, wie so oft in den letzten hundertfünfzig Jahren, auf die Heimkehr eines Bolithos.
Halt, es war nutzlos, sich in falschen Hoffnungen und Selbstmitleid zu ergehen. Er blickte zum Besammast empor, doch seine Flagge hob sich noch nicht von den dunklen Wolken ab.
Wie niederdrückend zu wissen, daß diese kleine Gruppe von Schiffen die einzigen beiden Nachkommen der Seefahrerfamilie Bolitho an Bord hatte.
Leutnant Wolfe trat mit gespitzten Ohren an die Finknetze, als das Rumpeln von Geschützfeuer wie ferner Donner herüberklang.
«Du lieber Himmel, hören Sie sich das an!»
Auf dem Batteriedeck traten viele Seeleute von ihren langen Acht-zehnpfündern zurück und blickten nach achtern zu den Offizieren, als ob diese wüßten, was los war.
Bolitho schirmte die Augen ab und schaute zum Ausguck im Vortopp hinauf. Im ersten Tageslicht hatte er seine Abneigung gegen Höhen überwunden und war selber bis zur Großsaling aufgeentert, um sich die dänische Küste und die noch im morgendlichen Dunst liegenden Kirchtürme anzusehen. Mit Hilfe des Teleskops hatte er, von den oben stationierten Scharfschützen neugierig verfolgt, die ausgedehnten Verteidigungsanlagen von Kopenhagen studiert.
Sein eigenes kleines Geschwader hatte nicht die Absicht, sich in die Reichweite der zahlreichen Küstenbatterien zu begeben. Seine Aufgabe war es, die Galeeren zu finden und so viele wie möglich zu vernichten, bevor sie in den Kampf um Kopenhagen eingreifen konnten.
Aus seinen schriftlichen Instruktionen wußte er, welche Kräfte Nelson gegenüberstanden: mindestens achtzehn hintereinander verankerte Linienschiffe, die eine undurchdringliche Reihe stationärer Batterien darstellten, und die gewaltige Tre-Kroner-Batterie auf der Insel Amager, die Sechsundsechzig schwere Kanonen aufwies. Dazu kamen andere Kriegsfahrzeuge, Bombenschiffe und Heeresartillerie, die längs des Ufers aufgefahren war.
Gegen diese gewaltige Streitmacht konnte Nelson gerade zwölf Vierundsiebziger einsetzen, vorausgesetzt, sie hatten den letzten Teil der Meerenge unbeschädigt passiert.
Als Bolitho jetzt auf das fortwährende Grollen des Geschützfeuers lauschte, kam ihm die Kühnheit und vielleicht sogar Tollkühnheit des ganzen Unternehmens zu Bewußtsein. Aber ebenso auch die Kaltblütigkeit des Mannes, dessen Flagge auf der Elephant wehte, nur wenige Meilen von ihm entfernt.
Herrick trat besorgt herzu.
«Ich wünschte, wir wären bei der Flotte, Sir. Es war wohl falsch, sie zu verlassen. Jetzt wird dort jede zusätzliche Kanone dringend gebraucht.»
Bolitho antwortete nicht gleich. Er beobachtete die Relentless, eine schon ferne Pyramide leicht schlagender Leinwand, als sie gerade den Kurs nach Backbord änderte. Ein Stück achteraus von ihr stand die Lookout, die sicher stets ein Auge auf das Flaggschiff hatte.
Bolitho sagte:»Die Dänen werden nicht eher handeln, als bis Nelson sich selbst engagiert. Wenn seine Flotte morgen ankerauf geht und den Mittelgrund umrundet, ist der Augenblick gekommen, den ich an ihrer Stelle wählen würde. Nelsons Schiffe geraten dann in ein Kreuzfeuer aus drei verschiedenen Richtungen.»
Er beobachtete den Pulverqualm, der sich ausbreitete und die fernen Schiffe und auch die Stadt ihren Blicken entzog. Männer kämpften und starben dort, doch auf dem Achterdeck der Benbow spürte man noch nichts von einer Gefahr.
Browne ließ sein Glas sinken und meldete:»Signal von Relentless über Lookout, Sir: >Fremdes Segel in Peilung Südost<. «Nach einem neuerlichen Blick durchs Glas setzte er hinzu: «Relentless setzt schon mehr Segel, Sir.»
Bolitho nickte und bemühte sich, die anderen nichts von seinen aufsteigenden Zweifeln merken zu lassen. Kapitän Peel handelte gemäß seinen Instruktionen und verlor keine Zeit damit, weitere unbestimmte Sichtmeldungen abzugeben.
Gewiß war die gesamte dänische Flotte zur Abwehr des bevorstehenden Angriffs aufgeboten. Da würde kein einzelnes Handelsschiff so verrückt sein und zwischen den beiden mächtigen Flotten herumsegeln.
Die Relentless entfernte sich schnell von ihrem kleineren Gefährten. Bolitho war sicher, daß Peel seine Ausguckposten im Mast sorgfältig ausgesucht hatte, um möglichst schnell zuverlässige Meldungen abgeben zu können.
«Das Geschützfeuer im Norden läßt nach, Sir. «Wolfe ging zum Logbuch, um eine kurze Notiz hineinzuschreiben.»Nelson scheint durchgebrochen zu sein.»
Wie um das zu bekräftigen, rief Browne:»Von Indomitable, Sir. Styx meldet, daß unsere Flotte in Sicht ist und schon Kurs geändert hat.»
Herrick wischte sich die Stirn mit dem Taschentuch.»Das ist eine Erleichterung. Zumindest wissen wir jetzt, daß wir für den Rückweg nicht allein sind.»
«An Deck!«Ihr vergessener Ausguck im Vortopp bewirkte, daß alle zu ihm emporschauten.»Geschützfeuer in südlicher Richtung!»
Herrick fluchte.»Was, zum Teufel! Peel scheint im Gefecht zu sein.»
«Signal von Lookout, Sir. Sie bittet um Erlaubnis zur Hilfeleistung. «Herrick schüttelte den Kopf und schaute fragend Bolitho an. Dieser sagte ruhig:»Abgelehnt! Die Lookout benötigt zwei Stunden, bis sie die Fregatte erreicht. Wenn wir inzwischen auf die Galeeren stoßen, brauchen wir sie aber dringend zur Abwehr.»
Browne beobachtete, wie das Flaggensignal zur Rah hochstieg und dort auswehte. Seine eigenen Sorgen waren vergessen, als er den schnellen Austausch von Blicken zwischen Bolitho und Herrick gesehen hatte. Er wußte, was sie dachten. Es mußte immer wieder ein schwerer Entschluß sein, einen Freund oder Verwandten einer Ungewissen Gefahr auszusetzen.
Das Geschützfeuer war nun auch auf dem Achterdeck zu hören. Es klang heftig, aber unregelmäßig und sehr ausgeprägt, was darauf schließen ließ, daß die Schiffe einander auf sehr nahe Entfernung beschossen.
Herrick sagte:»Mr. Speke! Hinauf mit Ihnen, und melden Sie mir, was Sie davon halten.»
Der Leutnant enterte in den Wanten auf, und seine Rockschöße flatterten dabei im Wind.
Wolfe fragte nach kurzem Gruß:»Soll ich Befehl zum Laden und Ausrennen geben, Sir?»
«Nein, dazu ist noch kein Anlaß.»
Seltsam, in Sekundenschnelle war die kommende Schlacht, war Kopenhagen, ja der Grund ihres Hierseins wie weggewischt. Irgendwo hinter dem verschwommenen Horizont stand einer von ihnen im Kampf. Es hörte sich an, als ob nur zwei Schiffe beteiligt wären. Ob der Gegner ein Russe, Schwede oder Däne war, machte in diesem Augenblick keinen Unterschied.
Bolitho vertraute auf Peels Fähigkeiten und wußte, daß er keinesfalls unüberlegt handeln würde. Er erinnerte sich an den Gesichtsausdruck von Pascoe, als er die Kajüte verließ, kurz nachdem er die Wahrheit über seinen Vater erfahren hatte.
«Rauch, Sir!«Spekes Stimme klang schrill.»Da brennt ein Schiff!»
Bolitho biß sich auf die Lippe.»Signal ans Geschwader, Mr. Browne: >Mehr Segel setzen! <»
Herrick handelte sofort:»Mr. Wolfe! Schicken Sie Toppsgasten nach oben, die die Bramsegel losmachen. Und lassen Sie den Besan setzen!»
Wolfe eilte mit wehenden roten Haaren über das Deck und schwang sein Sprachrohr, als er die Leute vom Achterdeck zum Ausholen des Gaffelsegels am hinteren Mast kommandierte und die Toppsgasten anfeuerte, die zu den obersten Rahen aufenterten.
Die Benbow gehorchte sofort und legte sich unter dem Druck der vergrößerten Segelfläche stark über. Achteraus folgten die anderen Schiffe ihrem Beispiel. Das Auge eines Laien an Land mochte die schweren Schiffe jetzt für Fregatten halten, in Wirklichkeit aber wußte Bolitho, daß sie bei diesem leichten Wind nur knapp fünf Meilen durchs Wasser machten.
Plötzlich schien der Horizont zu beben und dann in einem riesigen Rauchpilz zu detonieren. Keiner auf dem Achterdeck sagte etwas. Das konnte nur die explodierende Pulverkammer eines Schiffes gewesen sein.
Browne räusperte sich.»Von Lookout, Sir: >Segel voraus in Sicht<.»
Herrick starrte gebannt auf die lose flappenden Marssegel.»Aber welches von beiden ist es, in Gottes Namen?»
Speke rief:»Ein Schiff ist gesunken, das andere schwer beschädigt.»
Der Wimpel am Großmast wehte wieder aus, und Bolitho spürte ein Zittern im Deck, als ein kräftiger Windhauch über das Achterschiff blies und die Segel füllte.
Er versuchte, mit dem Te leskop durch die Fallen und Wanten hindurch voraus zu blicken, fing aber zunächst nur das Gesicht eines Mannes auf der Back ein, bevor er über die dort stehenden Karronaden hinweg eine Lücke fand, die ihm freies Blickfeld nach vorne gab.
Er sah Rauch wie ein Leichentuch auf dem Wasser liegen, dahinter zwei Masten mit Rahen und stark durchlöcherten Segeln als stumme Zeugen des vorangegangenen Kampfes.
Dann hörte er den Ruf des Ausgucks:»Es ist ein Franzose, Sir!»
Bolitho sah Browne an.»Die Ajax.»
Allday kam von der Schanz herunter und gesellte sich zu den anderen.»Sie wird ihre Schäden ausgebessert und nun die Absicht gehabt haben, nach Frankreich zurückzukehren, schätz' ich.»
«Vermutlich.»
Bolitho drückte den Griff seines Säbels, bis der Schmerz ihn klarer denken ließ. Allday hatte recht, so mußte es gewesen sein. Nachdem die Styx sie so übel zugerichtet hatte, hätte der französische Kommandant mindestens fünf Monate für die Reparaturen benötigt. Wahrscheinlich hatte er dazu einen Hafen aufgesucht, der während der Zeit vom Eis eingeschlossen war. Und nun war er also wieder da und nahm schreckliche Rache.
Mit rauher Stimme sagte er:»Geben Sie an Lookout, daß sie nach Überlebenden sucht, aber sie soll sich nicht in ein Gefecht verwickeln lassen. «Er drehte sich um und sah in das verwitterte Gesicht des Obersteuermanns.»Geben Sie uns einen Kurs, der uns in Lee von dem da bringt, Mr. Grubb.»
Herrick ließ sein Teleskop sinken.»Die Ajax bewegt sich nicht. Sie hat ihren Kreuzmast verloren, und ihr Ruder scheint unklar zu sein.»
Die Folter des Wartens und Beobachtens, während die arg mitgenommene Fregatte größer und größer wurde und die Lookout aufmerksam herumsuchte wie ein Jäger, der eine verwundete Löwin verfolgt, wurde durch die völlige Stille ringsum noch verschlimmert.
Wolfe brach das Schweigen. »Lookout hat ihre Boote ausgesetzt, um Überlebende aufzunehmen, obwohl nach solch einer Explosion…«Er verstummte, als Herrick ihm einen zornigen Blick zuwarf.
Major Clinton hatte seine Seesoldaten auf der Schanz verlassen und sich zu Herrick auf dem Achterdeck gesellt. Plötzlich zeigte er mit seinem Stock:»Ich glaube, der Franzose kommt wieder in Fahrt.»
Wolfe nickte.»Er hat die über Bord hängenden Trümmer abgeschlagen und ein zweites Marssegel gesetzt.»
Sie sahen Bolitho an, als dieser befahl:»Lassen Sie die untere Batterie ausrennen, Mr. Wolfe.»
Der Befehl wurde blitzschnell weitergegeben. Kurz darauf bebte das Deck, als die schweren Zweiunddreißigpfünder geräuschvoll in ihre geöffneten Stückpforten rumpelten.
«Kanonen sind ausgerannt, Sir!»
Geschwärzte Holzteile und verschlungenes Tauwerk trieben an der Bordwand der Benbow vorbei. Auch Menschenleiber, oder was davon übriggeblieben war.
«Feuern Sie einen Warnschuß, Mr. Wolfe!»
Das vorderste Geschütz löste einen Donnerschlag aus, und als der Pulverqualm sich über das Wasser ausbreitete, sah Bolitho die große Kugel fast genau vor der Galionsfigur der Ajax ins Wasser schlagen.
Aber die Trikolore, die nach dem Verlust des Kreuzmastes neu am Großmast gesetzt worden war, machte keine Anstalten zum Niedergehen; statt dessen wurde der Umriß der Fregatte kleiner, da sie abzudrehen begann.
Wolfe fragte:»Eine Breitseite, Sir?»
Bolitho schaute gebannt über ihn hinweg auf das französische Schiff, das vor seinen Augen zu verschwimmen schien, als betrachte er es durch dickes Fensterglas.
Auf die Entfernung von gut einer Meile mußte eine Breitseite der großkalibrigen Geschütze die bereits stark beschädigte Fregatte in Stücke reißen. Die Lecks, die ihr schon vorher von der Relentless geschlagen worden waren und das Gewicht ihrer eigenen Artillerie würden ihr den Rest geben.
Er hörte Clinton sagen:»Der Kommandant drüben muß verrückt sein.»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Sagen Sie den Geschützführern, daß sie einzeln nacheinander feuern sollen.»
Die zweite Kugel schlug ins Achterschiff der Ajax ein und warf Holzplanken und zerbrochene Stengen wie Strohhalme hoch in die
Luft.
Bolitho beobachtete, wie die Trikolore langsam niedergeholt wurde. Ruhig sagte er:»Er ist ein tapferer Mann, Major.»
Eine Steuermannsmaat meldete:»Die Boote der Lookout haben ein paar Mann aufgefischt, Sir.»
Bolitho erkannte seine Stimme fast selbst nicht mehr, als er befahl:»Ändern Sie Kurs auf die Lookout. Signal an Indomitable, sie soll die Ajax entern und die Besatzung gefangennehmen. «Seine Stimme wurde härter.»Anschließend soll sie das Schiff versenken.»
Von seinem luftigen Hochsitz auf der Saling rief Speke:»Sie haben sechs Leute, Sir, fünf Matrosen und einen Seesoldaten.»
Bolitho stand hinter den aufgerollten Enternetzen auf der Laufbrükke und beobachtete die sich langsam bewegenden Boote und die herumschwimmenden Reste von Peels Schiff: Treibgut, verbranntes Holz, vom Feuer geschwärzte Leinwand. Und Menschen, die so zerrissen und unkenntlich waren, daß sie augenblicklich tot gewesen sein mußten.
Er griff in die Wanten und hätte fast laut aufgeschrien, als sein wundes Bein gegen das eisenharte Stag stieß.
Eine Hand streckte sich ihm entgegen, und er erkannte Midshipman Penels, der ihn beobachtet hatte.»Lassen Sie mich, Sir.»
«Danke. «Bolitho stützte seinen Ellenbogen auf die Schulter des Jungen und wartete, daß der Schmerz abklang.
So hatte Damerum also doch noch, ohne es zu wissen, einen Rächer gefunden.
Er zwang sich, die auf und ab tanzenden Trümmer zu prüfen, die sich unter der starr vorausschauenden Galionsfigur teilten und beiderseits der Bordwände vorbeitrieben.
Hinter sich hörte er freudige Rufe der Seeleute, die einander gratulierten, daß sie die Flucht der Ajax verhindert hatten.
Penels sagte plötzlich schüchtern:»Sir, ich glaube, da hat sich etwas bewegt.»
Bolitho nahm sein Glas und folgte der Richtung, die Penels wies. Er sah die Trümmer eines gekenterten Bootes und eine lange Stenge, die an einem Ende wie ein Kreidestift abgebrochen war.
Daneben trieben einige Leichen, und einen Augenblick dachte er, Penels hätte sich etwas eingebildet oder ihm nur etwas Ermutigendes sagen wollen. Doch dann rief er:»Ich sehe es!«Es war nur ein Arm, der über die Stenge herumlangte. Aber er bewegte sich. Jemand, der überlebt hatte. Aber wer?
Er wurde nahezu von Panik ergriffen. Und in diesem kurzen Augenblick hatte das Schiff sich schon wieder um einige fünfzig Yards vorwärtsbewegt.»Kapitän Herrick! Ein Mann im Wasser, an Steuerbord. Die Jolle, schnell!»
Er fiel fast hin, als Penels unter seinem Ellenbogen davonschoß. Er sah nur noch das erschreckte Gesicht des Jungen, das aber auch einen plötzlichen Entschluß ausdrückte, bevor er auf das Schanzkleid geklettert und ins Wasser gesprungen war. Ehe Herrick verstand, was vorging, war Penels wieder aufgetaucht und schwamm mit schnellen Stößen auf die Stenge zu.
Bolitho sah, daß die Jolle ums Heck herumkam und der Boots-steurer fragend zu den Offizieren hochschaute.
Herrick machte ein Sprachrohr mit seinen Händen und rief:»Folgen Sie dem Jungen, Winslade. So schnell Sie können.»
Bolitho kehrte aufs Achterdeck zurück und wurde von Browne mit der Meldung empfangen: «Indomitable hat signalisiert, daß die Ajax versenkt wird, sobald wir aus dem Gefahrenbereich sind. Tut mir leid,
Sir.»
Loveys, der Schiffsarzt, huschte über das Achterdeck. Sein Gesicht hob sich kalkweiß von den Kanonen und ihren Bedienungsleuten ab.
Er sagte ruhig:»Das Boot kommt zurück, Sir. Ich nahm mir die Freiheit, ein Fernglas zu borgen. Es sind zwei Überlebende. «Sein Ton wurde weicher.»Der eine ist Mr. Pascoe.»
Bolitho drückte seinen Arm und eilte dann an ihm vorbei an die Reling, als das Boot vorsichtig längsseit kam.
Winslade, der Bootssteurer, wartete, bis einige Matrosen das Seefallreep herunterkamen und halfen. Er meldete:»Nur die beiden, Sir. «Er schluckte mehrmals, bevor er hinzusetzte:»Ich fürchte, wir haben den jungen Mr. Penels verloren, Sir. Ihn verließen die Kräfte, bevor er das Boot erreichte.»
Bolitho kam gerade in dem Augenblick an die Fallreepspforte, als zwei schlaffe Gestalten hindurchgereicht wurden. Den ersten erkannte er nicht, einen bezopften Matrosen, dessen einer Arm so übel verbrannt war, daß er nicht mehr mens chlich aussah.
Loveys war auf den Knien und tastete Pascoes Körper ab, während seine Gehilfen hinter ihm warteten. Mit ihren großen Schürzen sahen sie wie Schlächter aus.
Bolitho beobachtete, wie sich der Brustkorb seines Neffen mühsam hob und senkte, während ihm Seewasser unter den geschlossenen Wimpern hervorlief, als seien es Tränen. Seine Kleider waren ihm bei der Explosion vom Leibe gerissen worden, den der Arzt nun nach inneren Verletzungen abtastete.
Schließlich sagte Loveys:»Er ist jung und kräftig und scheint gesund. Jedenfalls ist nichts gebrochen. Er hat Glück gehabt. «Dann wandte er sich dem Matrosen zu und sagte:»Nun lassen Sie sich mal anschauen.»
Der Matrose murmelte undeutlich:»Ich hab' nichts gehört. Plötzlich schrie der Käpt'n was von Feuer. «Er schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als Loveys seinen verbrannten Arm berührte.»Plötzlich war ich tief unter Wasser. Im Untergehen. Ich kann nicht schwimmen, wissen Sie?«Er bemerkte Bolitho und Herrick und stammelte:»Verzeihung, Sir.»
Bolitho lächelte.»Macht nichts. Was geschah dann?»
«Unser Dritter Offizier, Sir, Mr. Pascoe, war auf einmal da und zog mich auf irgendein Stück Treibholz. Dann versuchte er das gleiche mit meinem Kumpel, dem Arthur. Aber der starb, bevor uns das Boot erreichte. Es waren nur noch Mr. Pascoe und ich, Sir. Alle anderen sind tot!»
Als der Matrose ins Schiffslazarett getragen wurde, öffnete Pascoe die Augen. Überraschenderweise lächelte er, als er mit schwacher Stimme sagte:»Ich bin doch zurückgekommen, Onkel. «Dann verlor er wieder die Besinnung.