II Das Flaggschiff

Bei Anbruch des nächsten Tages hatte der Wind abermals beträchtlich zugenommen, und der Solent war wieder mit zornigen Wellenkämmen bedeckt. An Bord des Flaggschiffes, wie auch auf den übrigen Schiffen von Bolithos kleinem Geschwader, war es recht ungemütlich, denn die Fahrzeuge dümpelten stark und zerrten an ihren Ankertrossen, als wären sie entschlossen, auf Grund zu treiben.

Als das erste schwache Licht den glitzernden Schiffsleibern Farbe verlieh, saß Bolitho in seinem Arbeitsraum im Heck der Benbow und las noch einmal seine sorgfältig formulierten Instruktionen durch. Gleichzeitig versuchte er, die Gedanken von den bei Tagesanbruch an Deck üblichen Geräuschen loszureißen. Er wußte, daß Herrick seit Beginn der Dämmerung oben war und daß es die Vorbereitungen zum Ankerlichten auf der Benbow und den anderen Schiffen nur durcheinandergebracht hätte, wenn er hinaufgegangen und sich zu ihnen gesellt hätte.

Die Lage konnte sich jeden Augenblick verschlechtern. Der Krieg hatte schlimme Lücken unter Schiffen, Material und erfahrenen Leuten hinterlassen. Am meisten aber fehlte es an geübten Mannschaften. Auf einem neuen Schiff, in einem neugebildeten Geschwader, war dieser Mangel für Bolithos Kommandanten und Offiziere besonders schlimm.

Bolitho mußte einfach an Deck gehen. Um einen klaren Kopf zu bekommen, um das Fluidum seiner Schiffe zu spüren, um ein Teil des Ganzen zu sein.

Ozzard schaute nach ihm und glitt leise über den mit schwarz-weiß gewürfeltem Segeltuch bespannten Fußboden, um ihm Kaffee nachzu-schenken.

Bolitho wußte noch immer nicht viel mehr über seinen Diener als damals, da er ihn auf Herricks Lysander kennengelernt hatte. Selbst in seiner adretten blauen Jacke und der gestreiften Hose ähnelte er eher dem Sekretär eines Anwaltbüros als einem Seefahrer. Es hieß, er sei nur dadurch dem Galgen entronnen, daß er sich zur Flotte gemeldet hatte, aber hier hatte er sich durch Zuverlässigkeit und seine zurückhaltende Intelligenz vielfach bewährt.

Die andere Seite seiner Fähigkeiten war zutage getreten, als Bolitho ihn mit auf seinen Besitz in Falmouth genommen hatte. Die Fülle der Gesetze und Steuervorschriften war mit jedem Kriegsjahr komplizierter geworden, und Ferguson, Bolithos einarmiger Verwalter, hatte zugeben müssen, daß die Bücher nie besser in Ordnung gewesen waren, als nachdem Ozzard sich ihrer angenommen hatte.

Der Ehrenposten vor dem Kajütvorhang stieß seine Muskete kurz aufs Deck und meldete:»Ihr Schreiber, Sir!»

Ozzard flitzte zur Tür, um Bolithos Neuerwerbung, Daniel Yovell, einzulassen. Ein munterer Mann mit einem roten Gesicht und dem breiten Dialekt der Leute von Devon, ähnelte er mehr einem Bauern als einem Schiffsschreiber, aber seine Handschrift, rund wie der ganze Mann, war gut; außerdem war er unermüdlich gewesen, als Bolitho ihm seine Befehle bei der Übernahme des Geschwaders diktiert hatte.

Der Schreiber legte seine Papiere auf den Tisch und schaute unauffällig auf die beiden Heckfenster. Sie waren mit Wasserspritzern und angetrocknetem Salz bedeckt und ließen die anderen Schiffe wie Schemen erscheinen, unwirklich und verzerrt.

Bolitho blätterte in den Papieren. Schiffe und Männer, Kanonen und Pulver, Lebensmittel und sonstige Vorräte, die für Wochen, vielleicht für Monate reichen mußten.

Yovell sagte bedächtig:»Ihr Flaggleutnant ist an Bord gekommen, Sir, in der kleinen Jolle. «Er verbarg ein Grinsen.»Nun muß er sich erst etwas Trockenes anziehen, bevor er nach achtern kommt. «Das schien ihn zu amüsieren.

Bolitho lehnte sich im Stuhl zurück und starrte zu den Decksbalken auf. Es kostete viel Papier, ein Geschwader in Marsch zu bringen. Taljen knarrten auf dem Hüttendeck über ihm, und Blöcke quietschten im Gleichklang mit trampelnden Füßen. Verzweifelte Maate drohten und fluchten im Flüsterton, wohl wissend, daß das Oberlicht der Ad-miralskajüte offenstand.

Die andere Tür zur Kajüte öffnete sich lautlos, und Bolithos Flaggleutnant trat leichtfüßig über das Süll. Nur ein feuchter Schimmer auf seinem braunen Haar zeugte noch von seiner bewegten Überfahrt, ansonsten war er — wie stets — untadelig gekleidet.

Er war sechsundzwanzig Jahre alt, hatte trügerisch sanfte Augen und einen Gesichtsausdruck, der zwischen Leere und leichter Verwirrung wechselte.

Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne, den ihm abzunehmen Admiral Beauchamp Bolitho gebeten hatte, besaß das Aussehen eines Aristokraten, der eine gehobene Lebensart gewohnt war. Er war nicht der Typ eines Offiziers, den man an Bord eines Kriegsschiffes erwartet hätte.

Yovell machte ein flüchtige Verbeugung.»Guten Morgen, Sir. Ich habe Ihren Namen schon auf die Liste der Offiziersmesse gesetzt.»

Der Flaggleutnant warf einen kurzen Blick auf das Abrechnungsbuch und sagte ruhig:»Aber Browne mit einem >e< hinten. «Bolitho lächelte.»Mögen Sie eine Tasse Kaffee?«Er beobachtete, wie Browne seine Kuriertasche auf den Tisch legte, und setzte hinzu:»Was Neues?»

«Nein, Sir. Sie können in See gehen, sobald Sie soweit sind. Keine weiteren Befehle von der Admiralität. «Er setzte sich vorsichtig hin.»Ich wünschte, wir kämen in wärmeres Klima.»

Bolitho nickte. Seine Befehle lauteten, daß er sein Geschwader einige fünfhundert Seemeilen nordwärts an die Westküste Dänemarks führen und sich dort mit jenem Teil der Kanalflotte treffen sollte, der vor dem Eingang zur Ostsee patrouillierte, und das bei jedem Wetter und unter allen Bedingungen. Sobald er mit dem Admiral dieses Verbandes Verbindung aufgenommen hatte, würde er weitere Befehle erhalten. Er hoffte, genügend Zeit zu haben, um sein Geschwader in Form zu bringen, bevor er seinen neuen Vorgesetzten traf.

Gerne hätte er gewußt, wie seine Offiziere darüber dachten. Sicherlich ähnlich wie Browne, nur daß sie mehr Grund hatten zu murren. Die meisten von ihnen waren seit Jahren im Mittelmeer oder angrenzenden Gewässern gewesen. Für sie mußte Dänemark und die Ostsee im Winter ein schlimmer Tausch sein.

Yovell schob Bolitho die Papiere mit der Geduld eines Dorfschulmeisters zur Unterschrift hin. Dazu sagte er:»Die anderen Abschriften werde ich bis zum Auslaufen fertig haben, Sir. «Dann ging er, wobei sich seine rundliche Gestalt den Schiffsbewegungen wie eine große Kugel anpaßte.

«Ich denke, damit läuft alles. «Bolitho schaute in Brownes ausdrucksloses Gesicht.»Oder?«Er war es noch nicht gewohnt, Gedanken wie Zuversicht oder Zweifel mit anderen zu teilen.

Browne lächelte höflich.»Wir haben heute vormittag Kommandantensitzung, Sir. Wenn der Wind so bleibt, können wir danach jederzeit auslaufen, hat mir der Master versichert.»

Bolitho stand auf und lehnte sich auf die Brüstung der hohen Fenster. Es war beruhigend, daß sie den alten Grubb an Bord hatten. Als Sailing Master der Lysander war er so etwas wie eine legendäre Figur gewesen. Allein mit Signalen aus seiner Batteriepfeife hatte er — während um ihn herum Blut über das Deck strömte — das Schiff so dirigiert, daß es die feindliche Schlachtlinie durchbrach. Ein Brocken von einem Mann, so breit wie drei andere, mit ziegelrotem, vom Wind wie vom Alkohol gegerbtem Gesicht. Was er nicht von seemännischen Erfahrungen in tropischen Orkanen oder im Eismeer wußte, das brauchte man nicht zu wissen.

Herrick war beglückt gewesen, als er Grubb wieder als Navigator bekam. Er hatte gesagt:»Ich bezweifle jedoch, daß er davon Notiz genommen hätte, wenn die Entscheidung anders ausgefallen wäre.»

«Gut«, sagte Bolitho nun.»Machen Sie ein entsprechendes Signal für das Geschwader. Bei vier Glasen zur mir an Bord. «Er lächelte.»Sie warten sowieso darauf.»

Browne raffte seine Sammlung verschiedener Papiere und Signale zusammen und zögerte, als Bolitho ihn plötzlich fragte:»Dieser Ad-miral, mit dem wir zusammentreffen sollen. Kennen Sie ihn?»

Er war erstaunt, wie leicht ihm das von den Lippen ging. Früher hätte er eher nackend einen Tanz auf der Hütte aufgeführt, als einen Untergebenen nach dessen Ansichten über einen Vorgesetzten zu fragen. Aber man hatte ihm gesagt, er müsse einen Flaggleutnant haben, der in der Marine-Diplomatie bewandert war, also wollte er das nutzen.

«Admiral Sir Samuel Damerum ist lange Jahre als Flaggoffizier in Indien gewesen und zuletzt in Westindien, Sir. Man hatte erwartet, daß er in ein höheres Amt in Whitehall berufen würde, sogar Sir George Beauchamps Posten wurde genannt.»

Bolitho sah ihn mit großen Augen an. Das war eine andere Welt als die seinige.

«Und das hat Ihnen Sir George Beauchamp alles erzählt!»

Doch Sarkasmus war an Browne verschwendet.»Natürlich, Sir. Als Flaggleutnant muß ich solche Dinge wissen. «Er machte eine wegwerfende Gebärde.»Statt dessen bekam Admiral Damerum sein jetziges Kommando. Er ist gut beschlagen in Angelegenheiten des Handels und seines Schutzes. Ich weiß allerdings nicht, was diese Kenntnisse mit Dänemark zu tun haben.»

«Machen Sie bitte weiter.»

Bolitho setzte sich wieder und wartete, daß Browne den Raum verließ. Er bewegte sich leicht und elegant wie ein Tänzer. Oder mehr noch: wie ein Fechter, ein Duellant, dachte Bolitho grimmig. Es war ganz Beauchamp, ihm einen erfahrenen Adjutanten zu geben und diesen Mann damit gleichzeitig vor unerfreulichen Nachforschungen zu retten.

Er dachte über Damerum nach. Den Namen hatte er langsam auf der jährlichen Beförderungsliste der Marine aufsteigen sehen; ein einflußreicher Mann, aber offenbar immer am Rande der Ereignisse, nie da, wo gekämpft und gesiegt wurde.

Vielleicht waren seine Kenntnisse des Handels der Grund für sein jetziges Kommando. Seit Beginn dieses Jahres hatte es unerwartete Spannungen zwischen Britannien und Dänemark gegeben.

Sechs dänische Handelsschiffe, begleitet von der Freya, einer Fregatte mit vierzig Kanonen, hatten es abgelehnt, sich von einem britischen Geschwader anhalten und nach Konterbande durchsuchen zu lassen.

Dänemark war in einer schwierigen Lage. Nach außen hin galt es als neutral, aber es hing nichtsdestoweniger von seinem Handel ab. Vom Handel mit seinen mächtigen Nachbarn, Rußland und Schweden, ebenso wie mit Britanniens Feinden.

Das Ergebnis dieses Zusammentreffens war hart und ärgerlich gewesen. Die dänische Fregatte hatte Warnschüsse auf die britischen Schiffe abgefeuert, aber nach einer halben Stunde harten Kampfes hatte sie die Flagge streichen müssen. Die Freya und ihre sechs Schützlinge waren in die Downs eingebracht worden, aber nach eiligen diplomatischen Verhandlungen hatten die Briten sich der demütigenden Aufgabe gegenübergesehen, die Freya auf ihre Kosten ausbessern zu lassen und mit ihrem Konvoi nach Dänemark zurückzuschik-ken.

Der Friede zwischen Britannien und Dänemark, zwei seit jeher befreundeten Nationen, war bewahrt worden.

Vielleicht hatte Damerum seine Hand bei der ursprünglichen Konfrontation im Spiel gehabt und wurde nun mit seinem Geschwader zur Strafe in See gehalten. Oder vielleicht glaubte die Admiralität auch, daß die ständige Anwesenheit ihrer Schiffe vor den Ostseezugängen, Bonapartes Hintertür, wie die Gazette sie genannt hatte, weitere Pannen verhindern würde.

Es klopfte kurz an die Tür, und Herrick trat, seinen Hut unter den Arm geklemmt, in die Kajüte.»Setzen Sie sich, Thomas.»

Bolitho betrachtete seinen Freund mit Wärme. Dasselbe derbe, runde Gesicht, dieselben klaren blauen Augen wie damals, als sie hier in Spithead einander auf ihrem ersten Schiff begegnet waren. Es gab wohl schon ein paar graue Tupfer auf seinem Haar, die aussahen wie Rauhreif auf einem Gebüsch, aber sonst war es immer noch der alte Herrick.

Herrick seufzte tief.»Die brauchen anscheinend immer länger, um fertig zu werden, Sir. «Er schüttelte den Kopf.»Einige haben offenbar zwei linke Hände. Da wird mit viel zu vielen Verordnungen und Verboten vor den Preßkommandos herumgewedelt. Wir brauchen gute Seeleute, aber dann heißt es: >Hände weg von Indienfahrern, Küstenschiffern und Bootsleuten<. Verdammt noch mal, Sir, es ist doch auch deren Krieg.»

Bolitho lächelte.»Das haben wir schon ein paarmal festgestellt, Thomas. «Er deutete mit weit ausholender Gebärde auf den Raum mit seinen grünen Lederstühlen und dem soliden Mobiliar.»Hier ist alles sehr behaglich. Sie haben an der Benbow ein schönes Schiff.»

Herrick war störrisch wie immer.»Es sind die Männer, die Schlachten gewinnen, Sir. Nicht die Schiffe. «Verbindlicher fügte er hinzu:»Aber es ist ein stolzer Augenblick, das muß ich zugeben. Die Ben-bow ist ein gutes Schiff und schnell für ihre Größe. Wenn wir das nächste Mal in See gehen, werde ich mehr Munition nach achtern stauen lassen und damit vielleicht noch einen Knoten mehr herausholen. «Seine Blicke schweiften weit weg, verloren in die ständigen Überlegungen eines Kommandanten, wie er sein Schiff am besten trimmen konnte.

«Was macht Ihre Frau? Wird sie direkt nach Kent fahren?»

Herrick sah ihn an.»Aye, Sir. Sobald wir außer Sicht sind, sagt sie. «Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.»Bei Gott, ich bin ein Glückspilz.»

Bolitho nickte.»Ich auch, Thomas, daß ich Sie wieder als Flaggkapitän habe. «Er beobachtete eine Unsicherheit auf Herricks Gesicht und erriet, was kam.

«Es mag ungebührlich klingen, Sir, aber haben Sie nie daran gedacht… Ich meine, wollen Sie nicht überlegen…»

Bolitho hielt seinem Blick stand und antwortete ruhig:»Wenn ich

Cheney zurückholen könnte, mein Lieber, würde ich den rechten Arm dafür geben. Aber eine andere heiraten?«Er schaute zur Seite, denn es gab ihm einen schmerzhaften Stich, als er sich an Herricks Gesicht erinnerte, wie der ihm damals die Nachricht von Cheneys Tod überbracht hatte.»Ich dachte, ich würde darüber hinwegkommen, mich von ihr lösen. Der Himmel weiß, Thomas, daß Sie alles getan haben, mir zu helfen. Manchmal bin ich nahezu daran, zu verzweifeln…«Er unterbrach sich. Was war mit ihm los? Aber als er Herrick anschaute, sah er nur Verständnis in dessen Zügen. Und Stolz, etwas mit ihm teilen zu können, das er wahrscheinlich länger als jeder andere gewußt hatte.

Herrick stand auf und stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch.»Ich gehe jetzt besser wieder an Deck. Mr. Wolfe ist ein guter Seemann, aber es fehlt ihm die leichte Hand im Umgang mit den neuen Leuten. «Er zog eine Grimasse.»Weiß Gott, er jagt sogar mir manchmal Angst ein.»

«Wir sehen uns bei vier Glasen wieder, Thomas. «Bolitho drehte sich um und sah eine Möwe pfeilschnell am Fenster vorbeistreichen.»Was ist mit Adam? Ich habe ihn nur kurz gesprochen, als ich an Bord kam. Überhaupt gibt es noch viele Fragen.»

Herrick nickte.»Aye, Sir. Hoher Rang stellte höhere Anforderungen. Wenn Sie den jungen Adam gestern eingeladen hätten, hätten die anderen in der Masse etwas über Bevorzugung gemunkelt, was Sie selber nicht mögen. Aber er hat Sie vermißt. Ich glaube, er sehnt sich nach einer Fregatte, doch fürchtet er, uns beide damit zu kränken. Sie besonders.»

«Ich werde ihn bald zu mir rufen. Wenn alle an Bord so beschäftigt sind, daß sie keine Zeit mehr zum Tratschen haben.»

Herrick grinste.»Das ist bestimmt sehr bald der Fall. Nach der ersten richtigen Nordsee-Brise sind sie dazu viel zu erschöpft.»

Noch lange, nachdem Herrick gegangen war, saß Bolitho still auf der grünen Lederbank unter dem Heckfenster. So machte er sich mit dem Schiff vertraut, obwohl er nicht direkt an dem teilnehmen konnte, was über ihm und vor der Tür geschah.

Füße stampften und Blöcke quietschten. Er wurde unruhig, sobald er die Geräusche als das Aufheißen eines Bootes, sein Einschwenken über die Laufbrücke und Abfieren auf das Bootsrack neben den anderen Booten erkannte.

Viele Leute waren an der Arbeit, von ihren Deckoffizieren und Maaten angeleitet und vorangetrieben. Es fehlte an erfahrenen Matrosen. Auf jede Wache und auf den Gefechtsstationen waren nur einige davon verteilt. Sie konnten allenfalls dafür sorgen, daß die neuen und unerfahrenen Leute keine allzugroßen Gefahren heraufbeschworen.

Freiwillige waren in Devonport an Bord gekommen und einige sogar hier in Portsmouth: ehemalige Seeleute, die genug vom Leben an Land hatten, Männer, die vor dem Gericht, vor Gläubigern oder gar vor dem Galgen davongelaufen waren.

Der Rest, von den Preßkommandos an Bord geschleppt, war noch verstört, deprimiert, zu plötzlich eingefangen in eine Welt, die sie kaum kannten, allenfalls aus der Entfernung. Dies also war es, was sie sich unter einem Schiff des Königs, das unter vollen Segeln stolz aufs weite Me er hinausfuhr, vorgestellt hatten. Und das war die harte Wirklichkeit: überfüllte Wohndecks und der Stock des Bootsmanns.

Es war Herricks Aufgabe, sie mit seinen eigenen Methoden zu einer Mannschaft zusammenzuschweißen. Zu einer Besatzung, die tapfer ihren Mann stand und sich — wenn nötig — mit einem Hurra auf den Feind stürzte.

Bolitho sah sein Spiegelbild in den nassen Scheiben. >Und meine Aufgabe ist es, das Geschwader zu führen.<

Allday trat ein und betrachtete ihn nachdenklich.»Ich habe Ozzard gesagt, daß er Ihren besten Uniformrock bereitlegt, Sir. «Er lehnte sich nach Luv, als das Deck sich plötzlich schief legte.

«Endlich >mal< 'ne Abwechslung, anstatt immer mit Franzmännern zu kämpfen. Ich denke, es werden demnächst die Russen oder Schweden sein.»

Bolitho sah ihn zornig an.»>Mal 'ne Abwechslung

Allday strahlte.»Politik ist natürlich wichtig, Sir. Für die Admirale, für das Parlament und so weiter. Aber für den armen Seemann?«Er schüttelte den Kopf.»Alles, was er sieht, sind die Mündungen der feindlichen Kanonen, die ihm ihr Feuer entgegenspeien, ihm mit eisernem Kamm einen Scheitel ziehen. Es kümmert ihn nicht groß, welche Flagge sie führen.»

Bolitho mußte erst einmal tief Luft holen.»Kein Wunder, daß die Mädchen auf Ihre Überredungskünste hereinfallen, Allday. Fast hätten Sie mich überzeugt.»

Allday lachte in sich hinein.»Ich bringe Ihre Frisur noch einmal in Ordnung, Sir. Wir werden uns überhaupt künftig etwas zusammennehmen müssen, mit einem Mr. Browne an Bord.»

Bolitho lehnte sich zurück und wartete. Er würde nicht nur mit Browne zurechtkommen müssen. Allday erriet sicher, wie viele Sorgen er sich machte, bis sie alle in See waren. Und er würde dafür sorgen, daß er nicht allein blieb, bis die Kommandanten kamen, ihm ihre Aufwartung zu machen. Gegen Allday gewann man nur schwer.

Von der Schiffsglocke vorn auf dem Backsdeck erklangen zwei Schläge. Fünf Uhr nachmittags, und die Kommandantensitzung lag hinter ihnen. Sekunden später kam Herrick abermals in Bolithos Kajüte.

Bolitho streckte die Arme nach seinem Uniformrock aus und erlaubte Ozzard, ihn noch einmal zurechtzuzupfen und dafür zu sorgen, daß der Zopf korrekt auf dem goldbestickten Kragen lag.

Allday stand am Schott und nahm — nach einem Augenblick des Überlegens — einen der Säbel von seinem Ständer.

Er glitzerte trotz des nur matten Lichts, war schön geformt und verziert und zeigte, wenn man ihn aus der Scheide zog, eine ebenso vollkommene Klinge. Es war ein Ehrensäbel, gestiftet von der Bevölkerung Falmouths. Ein Geschenk in Anerkennung dessen, was Bolitho im Mittelmeer geleistet hatte.

Herrick beobachtete die kleine Szene. Einen Augenblick vergaß er den Kummer, daß er Dulcie so schnell hatte verlassen müssen, und die hundert Dinge, die seine Aufmerksamkeit an Deck verlangten. Er wußte, was Allday dachte, und war gespannt, wie er es aussprechen würde.

Der Bootssteurer fragte etwas linkisch:»Dieser, Sir?«Er ließ den Blick zum zweiten Säbel wandern. Der war altmodisch und gerade, aber ein Teil Bolithos und seiner Vorfahren.

Bolitho lächelte.»Lieber nicht. Es wird gleich regnen, und ich möchte nicht, daß die schöne neue Waffe Schaden nimmt. «Er wartete, während Allday den anderen Säbel holte, und hakte ihn in seinen Gurt ein.»Und außerdem«, er blickte von Allday zu Herrick,»möchte ich heute alle alten Freunde um mich haben.»

Dann tippte er Herrick auf die Schulter:»Wir gehen zusammen an Deck, nicht wahr, Thomas? Wie früher.»

Ozzard sah den beiden Offizieren nach und flüsterte bedauernd:»Ich weiß nicht, warum er diesen alten Säbel nicht wegwirft oder wenigstens zu Hause läßt.»

Allday machte sich nicht die Mühe, ihm zu antworten, sondern schlenderte hinter Bolitho her, um seinen vorschriftsmäßigen Platz auf dem Achterdeck einzunehmen.

Aber er dachte dabei über Ozzards Bemerkung nach. Wenn Richard Bolitho sich jemals von diesem alten Säbel trennte, dann hatte seine Hand bestimmt nicht mehr die Kraft, ihn zu fassen.

Bolitho marschierte hinaus, hielt vor dem Steuerruder und ließ seinen Blick über die angetretenen Offiziere und Mannschaften schweifen. Er spürte den Wind schmerzhaft in den Augen und die kalte Luft an seinen Beinen.

Wolfe schaute zu Herrick hinüber, tippte an seinen Hut, unter dem die roten Haare flatterten, als wollten sie davonfliegen.

«Alle Ankertrossen sind kurzgeholt, Sir«, sagte er mit seiner rauhen, tonlosen Stimme.

Herrick meldete Bolitho ebenso förmlich:»Das Geschwader ist bereit, Sir.»

Bolitho nickte. Er war sich des Augenblicks bewußt, der Gesichter um ihn herum, die ihm zumeist unbekannt waren, und des Schiffes, dessen Decksplanken sie alle trugen.

«Dann setzen Sie das Signal für alle, bitte. «Er zögerte, wandte sich um und schaute über die Netze hinweg auf den nächstliegenden Zweidecker, die Odin. Dem armen Inch hatte es fast die Sprache verschlagen vor Freude, ihn wiederzusehen.

Er setzte abrupt hinzu:»Anker lichten!»

Browne war schon mit den Signalgasten an der Arbeit und trieb einen verdattert dastehenden Midshipman an, der ihm eigentlich hätte behilflich sein sollen.

Ein paar spannungsgeladene Augenblicke noch, die rauhen Befehle vom Vorschiff, als das Gangspill immer mehr von der tropfnassen Ankertrosse einholte.

«Anker ist los, Sir!»

Bolitho mußte die Hände wie mit Schraubstöcken auf dem Rücken festhalten, um seine Erregung zu zügeln, als eines der Schiffe nach dem anderen loskam und unter Massen von wild schlagender, dann sich füllender Leinwand heftig überholend Fahrt aufnahm.

Die Benbow bildete keine Ausnahme. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das erste Durcheinander behoben war. Als ihre Rahen dann gebraßt waren, ihre Untersegel und die Marssegel sich bauschten und schließlich wie metallene Brustharnische vom Mast abstanden, steuerte sie sich auf ihren ersten Schlag ein, der vom Land wegführte.

Spritzwasser fegte über die Luv-Laufbrücke und hinter der wild blickenden Galionsfigur empor. Männer legten auf den Rahen aus oder zerrten in Gruppen an Brassen, Fallen oder Schoten, wobei sie ihr Körpergewicht voll einsetzen mußten. Wolfe hatte seine Flüstertüte ununterbrochen am Mund.»Mister Pascoe, jagen Sie Ihre Anfänger gefälligst noch einmal rauf! Es ist eine einzige Schweinerei da oben!»

Einen Augenblick sah Bolitho seinen Neffen sich umdrehen und nach achtern schauen. Als Dritter Offizier hatte er das Kommando über den Fockmast und war damit so weit vom Achterdeck entfernt, wie es nur ging.

Bolitho nickte ihm kurz zu und sah, daß Pascoe genauso antwortete, wobei ihm das schwarze Haar ins Gesicht wehte. Es kam Bolitho vor, als sähe er sich selber im gleichen Alter.

«Mr. Browne, signalisieren Sie dem Geschwader, es soll dem Flaggschiff in Kiellinie folgen. «Er sah, daß Herrick ihn beobachtete, und fügte hinzu:»Die Fregatten und unsere Korvette werden wissen, was sie zu tun haben, ohne daß ich es ihnen ausdrücklich befehle.»

Herricks salzüberkrustetes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.»Das werden sie, Sir.»

Hart am Wind liegend und gischtübersprüht, bemühten sich die Fregatten, ihre vorgeschriebenen Positionen vor dem Verband zu erreichen, von wo aus sie über ihre schwerfälligeren Gefährten wachen konnten.

Bolitho ging zur Backbordseite und schaute zum Land zurück. Da lag es, grau und formlos; Einzelheiten ließen sich in dem schlechter werdenden Wetter kaum noch erkennen.

Wie viele Leute mochten das Auslaufen des Geschwaders wohl beobachten? Herricks Frau, Admiral Beauchamp, all die alten verkrüppelten Seeleute, die als Strandgut des Krieges an Land geworfen waren? Einst hatten sie die Marine verflucht, aber manchem von ihnen mochte nun ein Kloß im Halse stecken, als sie die Schiffe davonsegeln sahen.

Bolitho hörte Wolfe spöttisch sagen:»Mein Gott, schauen Sie sich den Menschen an! Nur Haut und Knochen. Sein Rock sieht aus wie das Hemd des Zahlmeisters auf einer Handspake.»

Bolitho drehte sich um und sah eine dünne, schlotternde Gestalt zum Niedergang eilen und nach unten verschwinden. Sein Gesicht war kalkweiß wie ein Totenschädel.

Herrick senkte die Stimme.»Das ist Mr. Lovey, der Schiffsarzt, Sir. Ich hoffe, daß ich nicht einmal auf dem Operationstisch liegen und zu diesem Gesicht aufschauen muß.»

Bolitho sagte:»Da stimme ich Ihnen zu.»

Er nahm ein Fernrohr von einem der Midshipmen und richtete es auf die anderen Schiffe. Sie arbeiteten sich auf ihre Positionen in der Linie, wobei ihre Segel teilweise killten oder gar backschlugen, wenn sie zu stark anluvten.

Bis zu ihrem Rendezvous mußten sie noch viel hinzulernen, an Segeln und Kanonen. Doch falls sie schon vorher auf ein feindliches Geschwader stießen — soweit Bolitho wußte, war eine ganze französische Flotte in See — , dann wurde von ihm erwartet, daß er sein Geschwader so, wie es war, in den Kampf führte.

Er warf einen Blick zum Niedergang, als erwarte er, daß der Totenschädel des Schiffsarztes ihn beobachte. Hoffentlich blieb Lovey noch eine Zeitlang unbeschäftigt.

Auf dem Oberdeck war wieder Ordnung eingekehrt. Das Tauwerk war sauber aufgeschossen oder über Belegnägel gehängt. Die Seeleute versammelten sich am Fuß ihrer Masten, wurden gemustert und gezählt. Und über ihnen, beweglich wie Eichhörnchen in einem vom Winde geschüttelten Wald, arbeiteten die Toppsgasten und sorgten dafür, daß alle Leinen klarliefen und alle Segel vollstanden.

Es war Zeit, hineinzugehen und Herrick das Kommando zu überlassen.

«Ich gehe nach achtern, Captain Herrick.»

Herrick schien seine Gedanken erraten zu haben.»Aye, Sir. Und ich werde mit den Oberdecksbatterien noch bis zur Dunkelheit exerzieren.»

Eine ganze Woche lang kämpfte sich das Geschwader bei einem Wetter durch die Nordsee, das selbst Ben Grubb als eines der schlimmsten, die er je erlebt hatte, bezeichnete. Während der Nächte drehten die wild hin- und hergeworfenen

Schiffe unter Sturmsegeln bei, und jeden Morgen wiederholte sich beim Hellwerden die Suche nach den über Nacht weit auseinandergetriebenen Gefährten. Wenn sie sich schließlich wieder einigermaßen formiert hatten, wurde der Nordost-Kurs wieder aufgenommen und dabei — soweit das Wetter es erlaubte — an den Geschützen exerziert und Reparaturen ausgeführt.

Im Geschwader hatte es einige Tote und Verletzte gegeben. Die Todesfälle wurden meist durch Stürze von oben verursacht, wenn die verstörten und vom überkommenden Salzwasser halbblinden Männer beim Reffen oder Segelbergen mit der wild schlagenden Leinwand kämpften oder Schäden am stehenden Gut ausbesserten.

Auf der Benbow hatten sich mehrere Neulinge durch Unaufmerksamkeit die Handflächen verbrannt. Auf dem dunklen Deck konnte es leicht passieren, daß man mit Armen oder Beinen in eine ausrauschende Leine geriet. Wer da mit den Händen zupacken wollte, verbrannte sich, als hätte er heißes Eisen angefaßt.

Ein Mann verschwand, ohne daß jemand etwas davon bemerkt hätte. Über Bord gespült, hatte er vielleicht noch ein paar Augenblicke im Wasser strampelnd zugesehen, wie der Zweidecker in der Finsternis verschwand.

An Bord war es überall feucht und scheußlich kalt. Die einzige Wärme kam vom Kochherd in der Kombüse, aber bei dem Seegang war es unmöglich, Kleidungsstücke zu trocknen, solange das Schiff derart hin- und hergeworfen wurde.

Sobald er an Deck kam, spürte Bolitho die schlechte Stimmung fast physisch. Er kannte Herrick gut genug, um zu wissen, daß er nichts weiter tun konnte, um die Leiden seiner Leute zu mildern.

Manche Kommandanten hätten sich gar nicht darum gekümmert, sondern ihren Bootsmannsmaaten befohlen, auch den letzten Mann zum Dienst zu prügeln. Nicht so Herrick. Seit seiner Leutnantszeit war er immer bemüht gewesen, zu führen, anstatt anzutreiben, seine Leute zu verstehen, anstatt sie in Furcht vor seiner Befehlsgewalt zu halten.

Trotzdem war es nötig gewesen, daß drei Leute ausgepeitscht wurden, nachdem Herrick die entsprechenden Kriegsartikel verlesen hatte, während das Schiff sich durch Wellentäler und gegen überkommende Brecher nordwärts vorkämpfte.

Bolitho war der Bestrafung ferngeblieben. Sogar das zählte nicht mehr zu seinen Angelegenheiten. Er marschierte in seiner Kajüte auf und ab und hörte dabei das gleichmäßige Klatschen der» Neun-schwänzigen «auf nacktem Rücken, begleitet vom dumpfen Trommelschlag des Spielmanns, der zur Prozedur dazugehörte.

Aber dann, ganz plötzlich, flaute der Wind leicht ab, und kleine blaue Flecken tauchten zwischen den Wolkenbergen auf.

Seeleute und Soldaten hielten inne, um nach oben zu schauen und tief Luft zu holen. Warmes Essen wurde durch die Decks getragen, als hätten sie eine kurze Gefechtspause oder als wolle der Smutje es nicht glauben, daß er seine Kombüse längere Zeit benutzen konnte.

Bolitho ging kurz vor Mittag an Deck und spürte den Unterschied. Die Midshipmen zeigten angemessen ausdruckslose Gesichter, als der Master und seine Steuermannsmaate ihre Bemühungen überwachten, mit Hilfe des Sextanten die Mittagsbreite zu bestimmen. Die Männer hoch oben über Deck klammerten sich nicht mehr so krampfhaft an bebende Stengen oder Wanten, sondern bewegten sich bei ihren verschiedenen Arbeiten leicht und sicher. Der Erste Offizier führte eine kleine Prozession von Fachleuten an, die den Backbord-Laufgang herunterkamen und nach allem schauten, was eine Reparatur, einen Schlag Farbe oder einen Spleiß benötigte. In seinem Gefolge befanden sich Drodge, der Stückmeister, Big Tom Swale, der fast zahnlose Oberbootsmann, Tregoye, der Schiffszimmermann, und einige ihrer Maate.

Am vorderen Niedergang stand Purvis Spreat, der Zahlmeister der Benbow, im vertraulichen Gespräch mit Manley, dem Fünften Offizier. Ging es um mehr Lebensmittel für die Offiziersmesse? War zuviel Madeira verbraucht worden? Irgend so etwas würde es sein. Spreat sah wie ein typischer Zahlmeister aus, dachte Bolitho. Verschlagen, mißtrauisch, gerade ehrlich genug, um nirgendwo anzustoßen. Er hatte jeden Mann an Bord zu ernähren, zu kleiden und mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen, ungeachtet, ob das Wetter schlecht oder die Navigation mangelhaft war.

Die Seesoldaten standen in zwei scharlachroten Reihen, die — den Schiffsbewegungen folgend — hin und her pendelten. Bolitho beobachtete sie, versuchte, Namen mit Gesichtern in Übereinstimmung zu bringen, das Plus oder Minus ihrer Fähigkeiten zu beurteilen. Major Clinton schritt mit Leutnant Marston, seinem Gehilfen, langsam die Front ab und hörte sich dabei an, was Sergeant Rombilow ihm über jeden Mann und seine Funktion an Bord zu sagen hatte.

Seesoldaten waren eine seltsame Rasse, dachte Bolitho. Sie waren genauso eng in den dicken Bauch der Benbow hineingepfercht wie die Seeleute, aber doch ganz anders in ihrer Haltung. Bolitho hatte sie in Amerika während der Revolution erlebt. Damals war er noch ein junger Leutnant gewesen, der die ersten Schritte auf ein eigenes Kommando hin wagte. Ob dort oder im Mittelmeer, in der Karibik oder in Ostindien, überall hatten sich die Seesoldaten durch ihre Zuverlässigkeit bewährt.

Bolitho sah, wie die Nachmittagswache sich vor dem Achterdeck versammelte und auf die Übernahme des Schiffes für die nächsten vier Stunden vorbereitete. Hier und da kaute noch einer an der ersten guten, warmen Mahlzeit seit Tagen. Einige Augenpaare musterten den Himmel mit prüfendem Blick oder — soweit es neue Leute waren — mit offensichtlicher Erleichterung.

Die meisten aber warfen ihrem Admiral verstohlene Blicke zu, der ruhelos auf der Luvseite des Achterdecks auf und ab ging. Wenn Bo-litho sich ihnen zuwandte, schauten sie schnell weg. Es war das übliche: Neugier, Interesse, Ablehnung. Bolitho wußte aus Erfahrung, daß er es sich erst verdienen mußte, wenn er mehr von ihnen erwartete.

Er hörte Pascoes Stimme, als er nach achtern kam und seinen Hut vor Speke, dem Zweiten Offizier, den er ablösen wollte, lüftete.

«Die Wache ist angetreten, Sir.»

Drüben, auf den anderen Schiffen, spielte sich jetzt das gleiche ab. Routine und Tradition. Wie ein gut eingeübtes Theaterstück, in dem jeder bei vielen Gelegenheiten jede Rolle gespielt hatte und jedes Wort auswendig wußte.

Die beiden Offiziere prüften den Kompaß, das Logbuch, den Stand der Segel, während die anderen Mitspieler sich zu ihren Plätzen bewegten: die Rudergänger, der Quartermaster, der Midshipman der Wache. Bolitho runzelte die Stirn. Wie hieß er doch noch? Penels, ja, das war der Name. Der Jüngste an Bord. Gerade zwölf Jahre alt und aus Cornwall. Ein Cornishman. Er lächelte. Kaum schon ein Mann.

«Übergeben Sie das Ruder, bitte!»

Acht Glockenschläge klangen vom Vorschiff herüber, und die Männer von der Vormittagswache eilten in ihre Wohnräume zu einer guten Mahlzeit und einem kräftigen Schluck.

Bolitho kam über das Achterdeck und sagte:»Du siehst gut aus, Adam.»

Sie entfernten sich vom Doppelrad und den drei Rudergängern und gingen Seite an Seite zu den Luv-Netzen.

«Danke, Sir. «Pascoe warf ihm einen Seitenblick zu.»Du auch, Onkel.»

Als Bolitho schließlich seine Taschenuhr herausholte, stellte er fest, daß er sich eine volle Stunde mit seinem Neffen unterhalten hatte. Es schienen nur Minuten gewesen zu sein. Und doch hatten sie ein Bild heraufbeschworen, das sich beträchtlich von dem unterschied, das sie umgab. Nicht Meer und Himmel, Gischt und pralle Segel, sondern Landwege, niedrige Bauernhäuser und der graue Klotz von Pendennis Castle.

Pascoe war sehr gebräunt, fast so dunkel wie ein Zigeuner.

Bolitho sagte:»Unser Geschwader wird sich bald zerstreuen. Aber vielleicht können wir hier auch mal den Fuß an Land setzen. Deswegen konnte ich den Blockadedienst in der Biskaya nicht ausstehen. Unsere Landsleute bekommen feuchte Augen, wenn sie von >unserem hölzernen Schutzwall< sprechen, von den sturmerprobten Schiffern, die Frankreichs Flotte in ihre Häfen eingeschlossen haben. Sie würden sich weniger enthusiastisch äußern, wenn sie wüßten, welche Hölle da an Bord sein kann.»

Midshipman Penels rief aufgeregt:»Signal von Styx, Sir. «Er blickte Pascoe auffordernd an.»Mann über Bord, Sir.»

«Verstanden. Ich werde es sofort dem Kommandanten melden.»

Bolitho beobachtete, wie sich der Umriß der Fregatte verkürzte, als sie in den Wind drehte, wobei ihre Segel killten oder backschlugen. Hoffentlich bekam sie ihr Boot am Heck schnell genug zu Wasser, um den Unglücklichen zu retten.

Er beobachtete Pascoes Gesicht, der das schnelle Manöver der Fregatte verfolgte. Außerdem dachte er an John Neale, ihren Kommandanten. Er war in Penels Alter gewesen, als die Meuterei an Bord seiner Phalarope ausbrach, damals während der amerikanischen Revolution. Ein kleiner, rundlicher Junge, er sah ihn deutlich vor sich. Heute konnte er sogar darüber lachen, wie er und Herrick den nackten Midshipman mit ranziger Butter eingeschmiert hatten, um ihn durch das Lüftungsrohr schieben zu können. Die Meuterer hatten sie eingesperrt, und er sollte Hilfe herbeiholen. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen.

Jetzt diente Neale als Kommandant, und es war klar, was Pascoe dachte, als er durch das Glas beobachtete, wie jener sein Schiff handhabte. Bolitho sagte ruhig:»Sobald es geht, Adam. Ich tue, was ich kann. Du hast es verdient.»

Pascoe sah ihn erstaunt an.»Du hast es erraten, Onkel?»

Bolitho lächelte.»Ich war auch mal Kommandant einer Fregatte, Adam. Das vergißt man nie.»

Er schaute zu seiner Konteradmiralsflagge empor, die vom Besan-mast kräftig auswehte.»Auch wenn es einem weggenommen ist.»

«Vielen Dank«, rief Pascoe aus.»Ich möchte zwar gern bei dir bleiben, das weißt du. Aber ich verliere zu viel Zeit auf einem Linienschiff.»

Bolitho sah Ozzard auf dem Achterdeck herankommen, die dünne Gestalt gegen den feuchten Wind zusammengekrümmt. Es war Zeit zum Essen.

Er schmunzelte.»Ich glaube, damals habe ich das gleiche gesagt.»

Nachdem Bolitho im Achterschiff verschwunden war, ging Pascoe langsam auf der Luvseite auf und ab, die Hände genauso auf dem Rücken verschränkt, wie er es oft bei Bolitho gesehen hatte.

Pascoe hatte nie etwas von seinen Wünschen gegenüber Herrick oder gar Bolitho geäußert. Aber er hätte wissen sollen, daß er nichts vor ihnen verbergen konnte.

Er beschleunigte die Schritte, während seine Gedanken ihm weit vorauseilten in eine Zukunft, die nicht länger ein eitler Traum zu sein schien.

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