3. Kapitel

Er legte eine Hand auf sein Herz und verbeugte sich. Sein Aussehen und sein Benehmen grenzten an Frechheit. Ich mußte mich wirklich beherrschen, ihm nicht eine Ohrfeige zu verpassen.

»Sie bitten mich herein?« fragte er in seinem gebrochenen Englisch. »Ich denken, Sie ziehen vor, Angelegenheiten von Herz nicht vor Öffentlichkeit zu besprechen.«

Ich trat einen Schritt zurück, damit er hereinkommen konnte, und schloß leise die Tür hinter ihm, die ich ihm am liebsten vor der Nase zugeknallt hätte. Alberto lief auf Evelyn zu.

»Ah, Geliebte meines Herzens! Wie kannst du mich verlassen? Weißt du nicht, daß ich habe gelitten um dein Schicksal wie ein Hund?«

Evelyn hob abwehrend die Hand, und Alberto blieb stehen. Ich hatte schon gefürchtet, dieser Schurke werde sie in die Arme reißen. Nun legte er den Kopf schief. »Du mich zurückstoßen? Du mich total vernichten? Ah, verstehe. Du hast gefunden reiche Beschützerin. Sie dir gibt Geschenke, du verlassen also arme Liebhaber, der nichts hat als nur Liebe. Oh, oh!«

Mein Sonnenschirm stand in der Ecke; den holte ich mir. Evelyn schwieg. Ich denke, sie war von so viel Frechheit völlig verwirrt. Ich stieß Alberto mit dem Schirmknauf in den Rücken. Er tat einen Satz zur Seite.

»Das reicht jetzt«, sagte ich energisch. »Sie haben diese

Dame verlassen, nicht die Dame Sie, obwohl es nur klug gewesen wäre. Wie können Sie es wagen, hierher zu kommen, nachdem Sie einen so unverschämten Brief schrieben und ihr alles wegnahmen, was sie hatte?«

»Brief?« Alberto rollte dramatisch die Augen. »Ich nix Brief. Ich gehe aus, suche Arbeit für Essen für Herzensgeliebte. Da hat mich Pferd getreten, ich liege Wochen in schrecklichem Hospital und weine nach meine Evelyn. Ich werde gesund und schleiche in Zimmer, wo war Paradies für mich. Aber sie gegangen, fort! Mein Engel weggeflogen. Ich nix Brief geschrieben, nix, niemals! Wenn Brief, dann hat geschrieben mein Feind. Ich viele Feinde, die mir wollen stehlen meine Engel.«

Ich habe selten einen so schlechten Schauspieler gesehen, doch ich wußte nicht, wie sehr sich Evelyn von ihm beeindrucken lassen würde. Liebe richtet ja in manchen Gehirnen fürchterliche Zerstörungen an. Doch ich sah bald, daß ich keine Angst zu haben brauchte. Evelyns Wangen waren rot vor Zorn.

»Wie kannst du so etwas wagen?« fragte sie leise. »Hast du nicht schon genug Schaden angerichtet? Natürlich verdiene ich deine Vorwürfe, doch nicht dafür, daß ich dich verlassen habe, sondern nur dafür, daß ich mit dir ging und dir vertraute. Wie kannst du es aber wagen, hierher zu kommen und solche Ungeheuerlichkeiten zu dieser Dame zu sagen? Du bist nicht wert, die gleiche Luft zu atmen wie sie. Also verschwinde von hier, und komm mir nie wieder unter die Augen!«

Alberto taumelte ein paar Schritte zurück, und mein Schirm, der sich in seinen Magen bohrte, unterstützte seinen Rückzug. »Du kannst nicht so meinen, mußt sein krank«, sagte er. »Ich biete dir Hand und Namen. Kein andere Mann wird heiraten, wenn er weiß, daß du ...«

Er tat einen Satz rückwärts, als ich den Schirm hob, um ihn auf seinem Kopf zu zerschlagen, doch Evelyn fiel mir in den Arm. »Bitte, das ist ein guter Sonnenschirm«, sagte sie. »Er ist es nicht wert, daß du ihn seinetwegen zerschlägst.«

»Aber er wird dich erpressen. Er wird dich bloßstellen, wenn du nicht .«

»Er kann meine Dummheit in die ganze Welt hinausposaunen«, erklärte Evelyn kalt. »Glaub mir, Amelia, er hat keine Macht mehr über mich. Wäre noch eine Spur von Zuneigung für ihn in mir gewesen, so hätte diese Szene sie ausgelöscht.«

Alberto starrte uns entsetzt an. »Erpressen? Bloßstellen? Dio mio, wie kannst du falsch verstehen? Ich nie denke daran .«

»Das lassen Sie auch besser sein«, riet ich ihm. »Der geringste Ärger von Ihrer Seite, Sie Schuft, dann sitzen Sie im Gefängnis! Die ägyptischen Gefängnisse sind nicht sehr modern und behaglich, und ich habe etwas mehr Einfluß auf die hiesige Regierung als Sie.«

»Nun Sie mich bedrohen«, stellte er befriedigt fest. »Nicht nötig. Wenn Dame mich nicht will, ich gehen. Ich komme nur wegen Ehre. Ah, ich verstehen! Ist ein andere Mann, nicht wahr? Wer ist Räuber, der mir Herz meiner Liebsten stiehlt?«

Bis jetzt hatte sich Evelyn bewundernswert gehalten, doch jetzt flüsterte sie mir zu, ob wir nicht um Hilfe rufen könnten, damit er ginge.

»Natürlich können wir das«, erklärte ich, ging an Alberto vorbei, der sich hastig zurückzog, und riß die Tür auf. Gewöhnlich ist ein Flurdiener da, den ich rufen wollte, doch das war nicht nötig, weil Michael, unser Dragoman, auf dem Boden saß und sofort aufsprang. Ich winkte ihn herein.

»Michael, mein Freund, nimm diesen Mann hier am

Kragen und wirf ihn hinaus«, trug ich ihm auf und deutete auf Alberto.

Michael zögerte nicht und griff nach Alberto, doch der wich schnell aus. »Nicht notwendig, ich gehen!« schrie er. »Ich abreise aus Ägypten. Mein Herz gebrochen, mein Leben kapuuut ...«

»Mir egal«, antwortete ich. »Eine Frage noch. Woher wußten Sie, daß wir hier sind, und woher haben Sie das Geld, daß Sie uns folgen konnten?«

»Sind zwei Fragen, Dame. Ich gehen natürlich zu britischem Konsul in Rom, was sonst? Aber ich arbeite auf Schiff, friere, hungere, um meine Herzensliebste . Nein, ich gehen«, beeilte er sich zu versichern, als Michael wieder nach ihm griff. Und Alberto schoß zur Tür hinaus.

»Ich überzeuge mich, daß er gegangen ist«, erbot sich Michael.

»Ich danke dir«, antwortete Evelyn erleichtert. »Wie geht es deinem kleinen Mädchen, Michael? Sollen wir noch einmal nachsehen?«

»Nein, meine Dame. Ich komme, Ihnen zu sagen, daß es ihr bessergeht. Sie wacht auf und will essen, und jetzt danke ich Ihnen. Wenn Sie etwas von Michael brauchen, er wird alles für Sie tun. Und ich folge Ihnen bis ans Ende der Welt. Jetzt aber muß ich nach diesem bösen Mann sehen.«

Mit einer Geste demütiger, würdevoller Dankbarkeit verabschiedete er sich. Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, als Evelyn in Schluchzen ausbrach. Ich suchte fieberhaft nach Taschentüchern und Riechsalz, doch Evelyn erholte sich bald wieder. Sie nahm mir den Sonnenschirm ab, den ich noch immer fest umklammert hielt.

»Du bist viel aufgeregter als ich«, sagte sie. »Ich will dir ein Glas Wein bringen lassen.«

»Nein, nein, ich brauche nichts. Aber vielleicht du .«

»Nein. Merkwürdig, ich fühle mich jetzt sehr erleichtert, etwa so, als hätte ich einen bösen Geist ausgetrieben.«

»Es war also Alberto, den du in der Halle sahst, als du ohnmächtig wurdest, nicht wahr?«

»Ja«, gab sie zu. »Weißt du, als ich da sein unverschämtes Grinsen sah, kam er mir wie ein Teufel vor, der gekommen war, um mich an meine Vergangenheit zu erinnern. Und ich war doch gerade so glücklich mit . mit .«

»Mit Walter doch, nicht wahr? Liebst du ihn?«

»Ich möchte mich dieses Wortes nicht bedienen, nachdem ... Oh, ich könnte ihn lieben, wenn ich das Recht hätte, einen guten Mann zu lieben.«

»Oh, hör doch mit dieser rührseligen Dramatik auf!« rief ich.

»Wir leben fast im zwanzigsten Jahrhundert, da sind deine abgestandenen Moralbegriffe nicht mehr zeitgemäß!«

»Glaubst du denn wirklich, Walter würde mir einen Heiratsantrag machen, wenn er von meiner Vergangenheit wüßte?« fragte sie ängstlich.

Ich zuckte die Achseln. »Er scheint ein netter Mann zu sein, aber ein Mann ist er trotzdem. Aber warum sollte er überhaupt davon erfahren?«

Darauf gab sie mir keine Antwort. Ich wußte auch so, daß sie ihm in ihrer Offenheit, die Teil ihres Wesens war, alles beichten würde. »Amelia«, schlug sie traurig vor, »wir wollen lieber das Thema wechseln. Ich wollte nur sagen, wie erleichtert ich war, daß Alberto ein ganz gewöhnlicher Mensch aus Fleisch und Blut ist. Wir sind mit ihm fertig. Aber daß er uns hierher folgte .«

»Ja ... Ich überlegte mir schon, ob sich dein Großvater nicht vielleicht doch erholt haben könnte. Oder ob er, im Gegenteil .«

»Amelia, wie zynisch du bist - und wie klug! Ich hoffe ...«

»Nicht zuviel hoffen, Evelyn«, warnte ich. »Morgen werde ich versuchen, etwas zu erfahren. Dann müßte ich Reis Hassan auch ein wenig drängen. Je eher wir von Kairo abreisen, desto besser ist es für uns beide.«

»Ja«, meinte Evelyn und lächelte sehnsüchtig. »Hier sind Menschen, die ich nicht gerne sehen mag. Aber Walter wird auch nicht mehr lange hiersein. Er reist mit seinem Bruder in zwei Tagen ab. Den Namen des Ortes habe ich vergessen. Ich weiß nur, daß dieser Platz einige hundert Meilen weiter südlich liegt. Es sind die Ruinen der Stadt des ketzerischen Pharao.«

»Also Amarna«, antwortete ich. »Nun, liebes Kind, wir wollen zu Bett gehen. Es war ein sehr ermüdender Tag.«

Doch der Tag war noch immer nicht vorüber. Evelyn schlief fast sofort ein, denn sie war sehr erschöpft. Ich wälzte mich ruhelos unter meinem Moskitonetz. Evelyns Bett stand auf der anderen Seite des Raumes in der unmittelbaren Nähe eines Fensters, vor dem sich ein kleiner Balkon befand. Ich hatte die Läden nicht geschlossen, da die Nachtluft so herrlich kühl und klar war. Ein breiter Streifen Mondlicht fiel durch das Fenster, doch die Ecken des großen Raumes lagen in tiefen Schatten. Ein Streifen Silberlicht fiel auch auf mein Bett.

Seltsam, ich dachte über die Gebrüder Emerson nach. Walter und Evelyn . Wäre sie das, was zu sein sie vorgab - eine verarmte Adelige, die sich ihren Lebensunterhalt als meine Gesellschafterin verdiente -, so wäre eine Heirat zwischen den beiden recht passend gewesen. Ich nahm jedoch an, daß der ältere Bruder den jüngeren scharf unter Kontrolle hielt, daß aber auch nicht so viel Geld da war, daß der Jüngere sich eine Frau leisten konn-te. Und wenn Emerson die Wahl hatte, dann entschied er sich immer für seine Ausgrabungen, und sein Bruder hatte das Nachsehen. Arme Evelyn, sie mußte Walter wohl die Wahrheit sagen. Die würde keinem Mann gefallen. Vielleicht schluckte er sie und heiratete Evelyn, um ihr dann sein Leben lang seinen Edelmut vorzuhalten, daß er ihr verziehen habe. Und das wäre unerträglich.

Ich wälzte mich ruhelos in meinem Bett herum. Vor dem Fenster quäkte etwas. Ein breiter Streifen Mondlicht fiel nun direkt auf mein Bett. Ich drehte mich der Wand zu, um von ihm nicht wachgehalten zu werden, doch es nützte nichts. Da begann ich über Albertos Motiv, Evelyn zu folgen, scharf nachzudenken. Liebe traute ich diesem Burschen nicht zu. Er schien andere Aussichten gehabt zu haben, als er sie verließ. Vielleicht hatte ihn ein ganz anderer Plan nach Ägypten geführt, doch als er sah, daß Evelyn anscheinend unter dem Schutz einer reichen Dame stand - dafür hielt er mich ja -, hoffte er, etwas aus ihr herausholen zu können. Oder aus mir.

Aus meinen Gedanken scheuchte mich ein Geräusch auf, das dem ähnlich war, welches ich vorher gehört hatte; es war nur jetzt viel näher und wurde wohl von einem lockeren Dielenbrett verursacht, das sich zwischen meinem Bett und dem Fenster befand. Ich kannte es gut; man trat ja öfter am Tag darauf. Ich drehte mich also auf den Rücken, um nachzusehen, ob Evelyn vielleicht aufgewacht und ans Fenster getreten sein könnte.

Und da stand neben meinem Bett, so nahe, daß der Körper das Moskitonetz berührte, eine unglaubliche Gestalt. Sie schien in dicken weißen Nebel eingewickelt zu sein, so daß ich zwar kein Gesicht, wohl aber die Umrisse eines Körpers erkennen konnte. Sie hätte direkt aus dem Museum in Boulaq stammen können, wo Maspero seine kostbaren ägyptischen Herren und Damen aufbewahrte.

Aber selbst im blassen Mondlicht wirkte die Gestalt lebendig; der bronzebraune Körper war nackt bis zur Taille, der breite Kragen bestand aus orangefarbenen und blauen Perlen, und die kunstvoll gefaltete Kopfbedeckung aus Leinen war rot und weiß gestreift.

Ich war starr - nein, nicht vor Angst, das gewiß nicht! - vor Verblüffung. Lange stand die Erscheinung bewegungslos da, bis sie schließlich in einer drohenden Geste den Arm hob.

Da setzte ich mich auf, griff nach dem Ding und schrie. An Erscheinungen glaube ich nämlich nicht, deshalb wollte ich das Ding packen. Leider vergaß ich darüber das Moskitonetz, und der verehrte Leser möge verzeihen, daß eine Dame an den Ausdruck >verdammt< dachte, weil mir kein stärkerer einfiel.

Natürlich hatte dieses elende Netz die nebelhafte Verschleierung bewirkt, und als ich mich endlich aus der Wirrnis von Netz, Nachthemd und Bettlaken befreien konnte, war ich atemlos und die Erscheinung verschwunden. Inzwischen war auch Evelyn aufgewacht, die mit ihrem eigenen Netz kämpfte.

Wir trafen uns am Fenster. Evelyn schüttelte mich an der Schulter. Ich muß wohl mit meinen aufgelösten Haaren wie eine Furie ausgesehen haben, und weil ich mich so weit zum Fenster hinausbeugte, fürchtete Evelyn, ich wolle Selbstmord begehen.

Nachdem ich auf dem Balkon oder im Garten darunter keine Spur unseres ungebetenen Besuchers hatte entdecken können, erzählte ich Evelyn den Vorfall. Sie zündete eine Kerze an, und ich las deutlich von ihrem Gesicht ab, was sie sagen wollte. Ich kam ihr zuvor.

»Es war kein Geist«, erklärte ich ihr bestimmt. »Ich war wach und kenne den Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit. Du siehst doch das zerrissene Netz .«

». das von deinem Kampf mit Bettlaken und Nachthemd stammt. Gegenstände aus Traum und Wirklichkeit gehen da oft ineinander über.«

Ich tat einen lauten Schrei, und Evelyn sah bestürzt drein; mein Schrei rührte von einem Gegenstand her, auf den ich mit meinen nackten Füßen getreten war. Ich hob ihn auf und zeigte ihn Evelyn.

Es war ein kleines Schmuckstück von etwa Fingerlänge, das aus blaugrüner Fayence bestand und den Falkengott Horus darstellte. Dieses Ornament ist häufig als Halsschmuck der alten ägyptischen Toten zu finden.

Jetzt lag mir noch mehr daran, Kairo so schnell wie irgend möglich zu verlassen. Selbstverständlich glaubte ich nicht an Gespenster. Ein bösartiges menschliches Wesen hatte sich im mondhellen Zimmer gezeigt, und darüber machte ich mir viel mehr Sorgen als über irgendeinen Spuk. Ich dachte sofort an Alberto, aber der war ein kleiner, gemeiner und labiler Übeltäter, kein Mördertyp. Und mörderische Absichten hatte diese Gestalt sicher gehabt.

Schließlich kam ich nach langem Überlegen zu dem Schluß, es müsse doch ein Dieb gewesen sein, der gehofft hatte, in dieser Verkleidung zwei Frauen so verblüffen zu können, daß er mit seiner Beute unerkannt entkam. Das war eine raffinierte Idee, wenn sie auch nur teilweise Erfolg gehabt hatte.

Die Polizei wollte ich nicht rufen, denn von den Ägyptern läßt sich da nicht viel erwarten. Außerdem hatte ich das Gesicht nicht genau genug gesehen. Sicher würde der Eindringling auch nicht zurückkommen, sondern sich eher eine leichtere Beute suchen. Das erklärte ich Evelyn in der Hoffnung, sie damit beruhigen zu können. Sie schien trotzdem mindestens noch halb zu glauben, ich hätte nur geträumt.

Leider gelang es mir nicht, Albertos Bleibe ausfindig zu machen, um ihn überwachen lassen zu können. In Kairo gibt es so unzählige winzige Gasthäuser, daß man sie nicht alle in kurzer Zeit überprüfen kann. In einem der europäischen Hotels wohnte er jedenfalls nicht. Ich konnte aber erfahren, daß ein Mann von seinem Aussehen am Morgen eine Fahrkarte für den Zug nach Alexandria gelöst hatte, und so strich ich Alberto aus meinen Gedanken.

Walter war dagegen nicht so leicht abzuschütteln. So früh es sich höflicherweise machen ließ, erkundigte er sich nach Evelyns Befinden, doch sie wollte ihn nicht sehen. Ich verstand es und erklärte ihm so gut wie möglich ihre Gefühle, die Walter selbstverständlich falsch auslegte. Das veranlaßte ihn zu der Frage, ob er etwas getan oder gesagt habe, das Evelyns Ohnmacht zur Folge hatte. Ich versicherte ihm, das sei nicht der Fall; überzeugen konnte ich den armen Jungen damit aber nicht. Er war sehr betrübt, bat mich jedoch, Evelyn seine Grüße und besten Wünsche zu übermitteln und ihr zu sagen, er werde morgen mit seinem Bruder zum Grabungsplatz aufbrechen.

Walter tat mir so unendlich leid, daß ich um ein Haar mit der Wahrheit herausgeplatzt wäre, doch ich hatte ja kein Recht, Evelyns Vertrauen zu mißbrauchen. Ich ging also nach oben, um das arme gebrochene Herz der anderen Hälfte des Liebespaares zu trösten, wenn ich auch der Meinung war, daß ein bißchen Vernunft von beiden Seiten das Problem leicht hätte lösen können.

Mit Michaels Hilfe trieb ich die Bootsmannschaft an. Michael war von einer sagenhaften Hingebung und las uns jeden Wunsch von den Augen ab, wenn ich ihn insgeheim auch verdächtigte, mich für eine wichtigtuerische, unlogische Frauensperson zu halten. Ein Hotelgast bei Shepheard's hatte mir verraten, koptische Christen dürfe man nicht zum Dragoman wählen, weil die Moslems un-ter den Bootsmannschaften und die Kapitäne sie boykottierten. Aber Reis Hassan und Michael schienen gut miteinander zurechtzukommen, und die Vorbereitungen liefen gut weiter. Das Klavier stand bald im Salon, neue Vorhänge hingen an den Fenstern und sahen sehr schön aus, die Besatzung kehrte allmählich aufs Schiff zurück, und Travers schickte ich nach England zurück.

Wir hatten sehr viel zu tun mit all den Einkäufen, wir besuchten auch ein paarmal Michaels kleines Mädchen, probierten unser Arabisch aus, ließen das Klavier stimmen, machten einen letzten Besuch in Gizeh und gingen noch ein paarmal ins Museum. Bei den britischen Behörden fand ich einen alten Freund meines Vaters, der im Finanzministerium tätig war. Er war mir fast böse, weil ich ihn nicht schon früher aufgesucht hatte, denn er hätte die Gelegenheit, mich auszuführen, nur allzu gern wahrgenommen. Schließlich fühlte ich mich unter seinem prüfenden Blick unbehaglich.

Endlich platzte er heraus: »Miß Amelia, ahnen Sie denn überhaupt, wie sehr Sie sich verändert haben? Die ägyptische Luft tut Ihnen offensichtlich gut. Sie scheinen heute sehr viel jünger zu sein als bei meinem letzten Besuch in Sussex.«

Ich trug ein Kleid, das Evelyn für mich ausgewählt hatte; es war senfgelber Foulard mit grünen Paspeln und drapierten Röcken. »Feine Federn, mein Freund, stehen auch alten Hennen gut«, antwortete ich. »Aber Sie können mir vielleicht helfen ...«

Natürlich war ich zu ihm gekommen, um etwas über Evelyns Großvater herauszufinden, doch er war so sehr Gentleman, daß er nicht nach dem Grund meines Interesses fragte. Er unterrichtete mich davon, daß er vor etwa zwei Wochen vom Tod des alten Herrn erfahren habe, über die Tatsache hinaus wußte er jedoch nichts. Und ich konnte keine weiteren Fragen stellen, wollte ich nicht verraten, wer Evelyn war. Also blieb meine Neugier unbefriedigt.

Als ich gerade das Büro verlassen wollte, kam Major Baring, jetzt Sir Evelyn, der Generalkonsul und britische Regierungsvertreter, herein. Er erinnerte mich an meine Brüder, die ebenso wie er eine dicke Staublage britischer Respektabilität mit sich herumtrugen. Sein getrimmter Schnurrbart, der goldgefaßte Kneifer, die makellose Kleidung, die rundliche Statur - alles sprach von Fähigkeit, Zuverlässigkeit und langweiligem Trübsinn. Er hatte sich um die finanzielle Gesundung des Landes jedoch sehr große Verdienste erworben und war als der maßgebende Mann Ägyptens bekannt. Er war äußerst liebenswürdig und sagte mir jede nur denkbare Hilfe zu. Meinen Vater hatte er nicht persönlich, nur dem Ruf nach gekannt, so daß ich mir allmählich meinen Vater wie eine Spinne vorstellte, die in einem weltweiten Netz sitzt und an den Fäden zieht.

Wir planten unsere Abreise für Freitag, und am Donnerstag abend kam unser Besucher an. Die Unterhaltung mit ihm klärte einige Punkte, schuf aber viele neue Probleme, die gar nicht leicht zu lösen waren.

Ich hatte darauf bestanden, in die Halle hinabzugehen. Evelyn war den ganzen Tag über sehr nachdenklich und düsterer Stimmung gewesen, teils wegen ihres Großvaters, teils Walters wegen, der sich immer weiter von ihr entfernte. Die Emersons hatten eine Kabine auf einem Flußdampfer genommen, in der sie all ihre Vorräte unterbringen konnten. Sie selbst schliefen auf Deck bei der Mannschaft. Unwillkürlich stellte ich mir meine zarte Evelyn in einer solchen Umgebung vor und konnte nicht sehr bedauern, daß Walter entschwunden war.

Wir waren beide müde von der reichlichen Tagesar-beit, und ich glaube, ich habe ein wenig geschlummert, als mich Evelyns Ausruf weckte. Ich fürchtete schon, es könne wieder Alberto sein, und sprang auf, doch ihre Miene sprach eher von ungläubigem Staunen denn von Angst. Ein junger Gentleman kam rasch auf uns zu und streckte ihr lachend die Hände entgegen.

Ich dachte schon, jetzt wird sie ihm gleich um den Hals fallen, doch das tat sie nicht, sondern schüttelte nur begeistert seine braune Hand.

»Evelyn, liebes Mädchen! Wie erleichtert bin ich ... Aber wie konntest du mir einen solchen Schrecken einjagen!«

»Was, in aller Welt, tust du hier?« rief Evelyn.

»Ich bin natürlich dir gefolgt, was denn sonst? Ich fürchtete doch um deine Sicherheit. Aber wir vergessen unsere ganze Höflichkeit .« Er wandte sich lachend an mich. »Das muß Miß Peabody sein, die edle, großherzige Miß Peabody, der ich die Rettung meiner lieben Kusine verdanke. Oh, ich weiß alles! Ich war in Rom beim britischen Konsul, und über ihn habe ich dich ja gefunden. Nein, liebe Kusine, von diesem sauberen Gentleman, der dich nach Rom brachte, wollen wir nicht sprechen, doch ich weiß, was wir Miß Peabody zu verdanken haben. Meine liebe Miß Peabody, entschuldigen Sie, wenn mich meine Begeisterung mitreißt.« Er griff nach meiner Hand und schwang sie so heftig, daß ich dachte, er wolle sie mir ausreißen.

»Wirklich, Sir, ich bin ganz überwältigt ...«, begann ich.

»Ich weiß, ich bin's auch.« Der junge Mann ließ meine Hand los und lachte so perlend, wie man es bei einem Mann selten hört. »Aber bitte, meine Damen, setzen Sie sich doch, damit ich mich auch setzen kann. Dann können wir uns besser unterhalten.«

»Vielleicht denken Sie dann auch daran, sich vorzustel-len«, erinnerte ich ihn und massierte meine geschundenen Finger.

»Oh, Verzeihung, Amelia«, bat Evelyn. »Darf ich dich mit meinem Vetter, Mr. Lucas Hayes, bekannt machen?«

»Das erlaube ich dir, wenn er lange genug schweigt«, antwortete ich ein wenig säuerlich, doch der junge Mann lachte breit.

»Aber ist er denn noch Mr. Hayes? Oder müßte man ihn >Eure Lordschaft< nennen?«

»Sie, Miß Peabody, werden mich doch hoffentlich Lucas nennen«, schlug er liebenswürdig vor. »Für Evelyn könnte es allzu schmerzlich sein, an ihren Verlust erinnert zu werden. Ich sehe ja, daß die Nachricht Sie schon erreicht hat.«

»Wir erfuhren erst vor ein paar Tagen davon«, erklärte Evelyn traurig. »Bitte, Lucas, erzähl mir davon. Ich will alles wissen, selbst wenn es schmerzlich für mich ist. Ich hoffe, daß er mir verziehen hat, daß er wenigstens Zeit für ein freundliches Wort, für eine Botschaft hatte.« In ihren blauen Augen glänzten Tränen. Sie sah sehr schön aus, und das Gesicht des jungen Mannes drückte höchste Bewunderung aus.

»Evelyn, ich bin überzeugt, daß auch er Güte kannte. Aber laß mich meine Gedanken erst sammeln, ich will dir alles erzählen.«

Also sammelte er seine Gedanken, und ich hatte Muße, ihn zu studieren. Er war groß und breitschultrig, und seine elegante Kleidung hatte einen Anstrich von Dandyhaf-tigkeit. Seine Lackschuhe schimmerten wie poliertes Glas, und die Weste war mit Rosenknospen bestickt. Auf seiner schneeweißen Hemdbrust glitzerte ein riesiger Diamant, und die Hosen saßen so eng, daß ich bei jeder seiner Bewegungen fürchtete, etwas könne platzen. Seine ganze Art war sehr englisch, doch seine dunkle Haut und die gro-ßen, dunklen Augen verrieten die Nationalität seines Vaters. Seine Hände waren groß, dunkel und gut geformt, und vor allem so gut gepflegt wie die Hände einer Dame. Die Hand drückt den Charakter des Besitzers besser aus als sonst etwas. Emersons Hände waren schwielig und von harter Arbeit mit Narben bedeckt und verformt.

Dem verehrten Leser mag es vielleicht unlogisch erscheinen, daß ich etwas gegen meinen neuen Bekannten hatte. Seine Manieren waren zwar überwältigend, doch sonst war an ihnen nichts auszusetzen. Der Sprache nach war er ein Mann von Herz, Verstand und Ehre, doch ich mochte ihn einfach nicht.

»Du weißt wohl«, begann Lucas, »daß dein ehrwürdiger Großvater nach deiner . überstürzten Abreise einen fürchterlichen Wutanfall hatte und infolgedessen einen Schlaganfall erlitt. Der alte Herr war erstaunlich stabil und erholte sich wieder. Ich glaube, dieses hitzige Temperament verleiht ungeheure Kräfte. Du darfst mich nicht so vorwurfsvoll anschauen, Evelyn. Ich kann nicht vergessen, wie schlecht er dich behandelt hatte, also darf ich mir ab und zu ein Wort der Kritik wohl erlauben.

Als ich hörte, was geschehen war, reiste ich sofort zu ihm. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Menschenmenge ich bei meiner Ankunft in Ellesmere Castle vorfand - Tanten und Onkel, Vettern und Basen jeden Grades waren wie die Aasgeier eingefallen, und der arme Leidende war belagert wie ein Fort. Vetter Wilfred versuchte die Pflegerin zu bestechen, Tante Marian saß in einem Stuhl bei der Tür und mußte jedesmal weggeschoben werden, wenn jemand das Krankenzimmer betreten oder verlassen wollte, Peter Forbes kletterte am Spalier in die Höhe und mußte von einem Diener und deinem demütigen Vetter - von mir - heruntergeholt werden.

Meine liebe Miß Peabody, ich lese in Ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch. Sie denken: Da schimpft ein Kessel den anderen schwarz, und Sie halten mich ebenso wie die anderen für einen Aasgeier. Natürlich haben Sie recht. Ich leugne es nicht, daß ich bestrebt bin, meine Position auf dieser Welt zu verbessern, wo immer es möglich ist. Ich bin kein Heuchler und gebe nicht vor, den alten Herrn geliebt zu haben, wenn er auch ein paar gute Eigenschaften hatte. Evelyn ist eine kleine Heilige, sie verzeiht und vergißt alles. Und nur eine Heilige hätte Großvater lieben können. Mir tat er leid. Oh, er tat mir ehrlich leid. Da lag er nun leidend und sterbend und hatte keinen Menschen um sich, der ihn liebte.

Meine Position war weit besser als die meiner Mitaasgeier, denn ich war der Erbe, und die Ärzte und Anwälte, die bei ihm waren, wußten es. Da er sich nicht bewegen und auch nicht sprechen konnte, benützte ich meine Autorität, die ganze Familie hinauszuwerfen. Ihre Flüche machten keinen Eindruck auf mich. Ich denke aber, daß die nun eingetretene Ruhe seine Erholung ermöglichte. Sehr zum Staunen der Ärzte stampfte er nach wenigen Wochen in seinem Zimmer herum, beschimpfte seine Pflegerin und warf seinem Diener das Eßgeschirr nach. Die Ärzte warnten ihn vor starken Gemütsbewegungen. Sie sagten, ein zweiter Schlaganfall werde mit Sicherheit tödlich sein.

Nach deiner Abreise, Evelyn, ließ er sofort seinen Anwalt kommen und machte ein neues Testament. Da hinterließ er dir fünf Pfund, damit du dir einen Trauerring kaufen konntest. Mich hatte er zum Erben eingesetzt - nicht aus Zuneigung, ganz gewiß nicht, sondern weil er die übrige Verwandtschaft noch viel mehr haßte und verachtete als mich. Als er sich wieder erholt hatte, hielt ich ihm einmal vor, wie schlecht er dich behandelt habe. Ich hatte gewiß nichts gegen ein Erbe einzuwenden, aber es war ja genug da für zwei, und ich konnte meinen Reichtum nicht genießen, wenn ich wußte, daß es dir schlecht ging.

Der alte Herr wurde wütend, und so konnte ich nicht mehr von dir sprechen, wenn ich nicht einen neuen Schlaganfall heraufbeschwören wollte. Dann deutete er an, ich solle abreisen, aber er war noch ziemlich schwach, und die Ärzte meinten, jemand müsse ihm ja die Besucher vom Leib halten. Das tat ich auch.

Ich glaubte schon, sein Zorn auf dich habe sich gelegt, als eines Nachmittags ... Nun ja, ich war nicht im Haus, weil ich auch einmal ein bißchen Vergnügen brauchte, denn ich hatte sehr trübsinnige Wochen hinter mir. In meiner Abwesenheit verließ Großvater das Bett und trieb die Diener an, deine Sachen zu packen, nicht nur deine Kleider und die paar Schmucksachen, die er dir geschenkt hatte. Nichts blieb zurück. Er stürmte durch deine Zimmer und warf alles, was er fand, in die Kisten. Als ich nach Hause kam, war alles verpackt, verschlossen und von einem örtlichen Fuhrmann auf den Weg gebracht. Nichts mehr im ganzen Schloß erinnerte an dich. Und da brach er dann zusammen. Das ganze Haus war in Aufruhr, Ärzte kamen an, das Hauspersonal war hysterisch, dazu schneite es, was vom Himmel herabkommen mochte; es war eine Szene wie in einem trübsinnigen Roman. Es war schrecklich!

Da hat sich Großvater dann nicht mehr erholt. Er versuchte noch ein paarmal zu sprechen, und ich hatte den Eindruck, er wolle dir verzeihen und wünschte deine Rückkehr. Ich hoffe, daß du das glaubst.«

Evelyn hatte den Kopf gesenkt. Dicke Tränen fielen auf ihre im Schoß gefalteten Hände.

»Eine sehr rührende Geschichte«, bemerkte ich trocken. »Evelyn, du verdirbst dein Kleid. Auf Satin sieht man jeden Wassertropfen.«

Evelyn holte tief Atem und tupfte sich die Augen ab. Lucas hatte die Frechheit, mir zuzuzwinkern. Das übersah ich. »Nun, Evelyn, ein Problem ist damit gelöst«, sagte ich. »Die Motive unseres Besuchers werden verständlich. Dieses Individuum hatte von der Erholung, nicht aber von dem fatalen Zusammenbruch gehört. Die Hoffnung stirbt ja nie aus.«

»Du brauchst nicht so taktvoll zu sein«, erwiderte Evelyn. »Lucas weiß genau, wen du meinst. Ich will ihn nicht kränken, indem ich über .«

»Du kränkst mich, wenn du je wieder auf die Vergangenheit zurückkommst. Sie ist abgeschlossen - außer ich habe das Glück, einem gewissen Individuum eines Tages an einem abgelegenen Ort zu begegnen ... Aber laß mich meine Erzählung zu Ende bringen. Du hast die traurigen Kapitel gehört, nun folgen die angenehmeren Dinge.

Nachdem die Trauerfeierlichkeiten für unseren Vorfahren abgeschlossen waren, machte ich mich auf die Suche nach dir. Und da bin ich nun und warte auf deine Einwilligung, unser Vermögen zu teilen. Ich kann es nicht mein Vermögen nennen, doch ich möchte, daß du Titel, Leben und Namen mit mir teilst.«

Er lehnte sich zurück und strahlte uns beide an wie ein jugendlicher Weihnachtsmann. Das war ein großzügiges Angebot, und es fiel mir nicht leicht, mein Urteil über den jungen Mann nicht umzustoßen. Trotzdem ging mir die Bedeutung des letzten Satzes erst nach einer Weile auf. »Sir«, rief ich, »soll das etwa ein Heiratsantrag sein?«

»Ich denke, anders lassen sich meine Worte nicht auslegen«, erwiderte er breit lachend.

Evelyn starrte uns entgeistert an, versuchte ein paarmal zu sprechen, räusperte sich einige Male und stotterte schließlich:

»Lucas, d-das kann ich n-nicht glauben. Du kannst d-doch nicht m-meinen .«

»Warum nicht?« Er nahm ihre Hände in die seinen. »Evelyn, wir sind doch füreinander bestimmt. Vernunft und - wie ich hoffe - Zuneigung sollten uns zusammenführen. Ich weiß, daß du mich nicht liebst, daß dein Herz zaghaft und verwundet ist. Aber laß mich dir eine Zuflucht in meinem Herzen bieten! Laß mich dich lehren, mich so zu lieben, wie ich dich verehre!«

Seine dunklen Augen waren so voll Zärtlichkeit, daß ich nicht begriff, wie ein Mädchen ihm je widerstehen konnte. Aber Evelyn war doch stärker, als ich gedacht hatte.

»Lucas«, erwiderte sie leise, »dein Angebot bewegt mich zutiefst, und mein Leben lang will ich dich für deinen Edelmut verehren. Aber heiraten kann ich dich nicht. Deinetwegen nicht, Lucas, denn dich trifft die Kritik der Leute noch härter als mich. Ich will niemals heiraten. Ich trage ein Bild in mir .«

»Aber doch nicht dieser elende ...!« rief Lucas empört.

»Nein, ganz gewiß nicht.«

»Das erleichtert mich. Liebste Evelyn, ich bin aber nicht entmutigt, denn eine so schnell aufgeflammte Zuneigung kann nicht von Dauer sein. Ich werde sie schon überwinden. Da du keine Eltern hast, wende ich mich an Miß Peabody und bitte um die Erlaubnis, so, wie es sich gehört, um dich werben zu dürfen.« Er legte dazu eine Hand aufs Herz und lachte mich an. Ich lachte ein wenig säuerlich zurück.

»Mein lieber Herr, ich kann Sie nicht daran hindern, die Gesellschaft Ihrer Kusine zu genießen, doch Sie werden sich beeilen müssen. Wir reisen nämlich morgen früh ab, den Nil entlang. Sie haben also nur ein paar Stunden Zeit, Ihren Anzug aufbügeln zu lassen.«

»Morgen schon? Oh! Natürlich denke ich nicht allzu bescheiden über meine Überredungskünste, jedoch ...«

»Es tut mir leid, Lucas, ich werde meine Ansicht nicht ändern«, fiel ihm Evelyn ins Wort. »Und ich bedaure, daß ich deine Gesellschaft nicht mehr lange genießen kann.«

»Nein, Evelyn, darüber müssen wir noch reden. Ich bin ebenso stur wie du. Meine Hoffnungen gebe ich nicht auf. Liebes Mädchen, die Hälfte des Vermögens gehört dir, wenn auch gesetzlich nichts darüber festgelegt ist, und ich werde nie eine Heirat dazu benützen, etwas zu erzwingen . Deine Vermögenshälfte wird dir sofort nach unserer Rückkehr überschrieben. Du gehörst nach Hause; du kannst wohnen, wo du willst; wenn Dower House in El-lesmere dir nicht gefällt, suchen wir ein anderes .«

Evelyn schüttelte den Kopf. »Mein Großvater konnte über sein Vermögen bestimmen, wie er wollte. Ich kann nichts annehmen, was mir nicht gehört, Lucas, und gibst du es mir, dann gebe ich es zurück. Außerdem habe ich versprochen, den Winter mit Amelia zu verbringen. Eine Reisegefährtin hat sie schon im Stich gelassen, ich will nicht die zweite sein. Sie verläßt sich auf mich.«

»Dann im Frühling?«

»Ich verspreche gar nichts.«

»Ich verstehe, es wäre undankbar Miß Peabody gegenüber, sie jetzt zu verlassen. Der Winter in Ägypten ist an sich eine gute Idee. Du wirst dich an Körper und Geist erholen. Ich kann mir inzwischen für meine Freunde zu Hause eine gute Lüge ausdenken, wo ich war, denn die ist nötig. Deine Absage, meine liebe Kusine, nehme ich nicht als endgültig hin. Erst wenn ich dich bis zum Frühjahr nicht von meinen ehrlichen Absichten überzeugen konnte, gebe ich die Hoffnung auf; vorher nicht. Nun, Miß Pea-body, was sagen Sie dazu?«

»Wollen Sie wirklich meine Meinung hören? Nun, mein lieber Lord Ellesmere, Sie haben gewiß einiges Recht auf Ihrer Seite. Und du, Evelyn, kannst die Hilfsbereitschaft deines Vetters nicht zurückweisen. Wenn du das Geld nicht nehmen willst, das er dir zu geben bereit ist, kannst du aber durchaus ein ordentliches Jahreseinkommen akzeptieren. Wenn du nach Hause gehen willst ...«

»Amelia! Wie kannst du so etwas sagen!«

Ich putzte mir die Nase, um meine Freude nicht erkennen zu lassen. »Dann treten wir also unsere Reise an. Sind wir zurück, kannst du über das Angebot deines Vetters entscheiden. Ist das fair oder nicht?«

Lucas schüttelte begeistert meine Hand, doch Evelyn war nicht sonderlich erfreut, wenn sie auch keinen Einwand erhob.

»Aber Sie müssen aus einer gewissen Entfernung werben, Mr. Lucas«, fuhr ich fort. »Es ginge nicht an, daß ich Ihnen eine Kabine auf unserer Dahabije anbiete.«

»Ich dachte nicht, daß Ihnen so sehr an Schicklichkeit liegt«, antwortete Lucas. »Aber selbstverständlich miete ich mir selbst eine Dahabije und folge Ihnen so schnell wie möglich. Sie entkommen mir nicht, meine Damen. Ich werde immer dort vor Anker gehen, wo Sie sind.«

»Das hört sich ja ungeheuer romantisch an«, bemerkte ich trocken. »Hoffentlich sind Sie nicht enttäuscht, wenn hier in Ägypten nicht alles so glatt läuft, wie Sie es wünschen. Heute können Sie sowieso nichts mehr tun.«

»Unterschätzen Sie mich nicht, meine Dame! Morgen, wenn ich Sie zu Ihrem Boot begleite, miete ich mein eigenes, und noch heute besorge ich mir einen Dragoman. Vielleicht können Sie mir einen guten empfehlen?«

»Nein«, erwiderte ich. » Und Michael ist schon nach Hause gegangen.«

»Er ist sicher irgendwo in der Nähe«, meinte Evelyn, »denn er verehrt dich über alle Maßen.«

»Woher willst du das wissen, Evelyn? An dir hängt er so sehr.«

Jedenfalls stimmte das, und Michael war noch im Hotel. Wir verabschiedeten uns von den beiden Männern. Natürlich war Evelyn in ihrer Gutherzigkeit wieder einmal viel zu hilfsbereit gewesen, und das fand ich gar nicht gut.

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