DRITTES BUCH

Der Prozess

Athen 1947

Fünf Stunden vor Beginn des Mordprozesses gegen Noelle Page und Larry Douglas war Saal 33 im Arsakion-Gericht in Athen von Zuschauern überfüllt. Das riesige graue Gerichtsgebäude nimmt einen ganzen Häuserblock an der Universitätsstraße und der Stada ein. Von den dreißig Sitzungssälen in dem Gebäude sind nur drei für Strafprozesse vorgesehen: die Säle 21, 30 und 33. Nummer 33 wurde für diesen Prozess ausgewählt, weil er der größte Saal ist. Die Gänge vor Saal 33 wimmelten von Menschen, und vor den beiden Eingängen zum Saal waren Polizisten in grauen Uniformen und grauen Hemden postiert, um die Menge unter Kontrolle zu halten. Der Erfrischungsstand am Ende des Korridors hatte seine Bestände schon nach fünf Minuten ausverkauft, und vor den Telefonzellen warteten lange Schlangen.

Georgios Skouri, der Polizeichef, überwachte persönlich die Sicherheitsvorkehrungen. Überall waren Pressefotografen, und Skouri gelang es erfreulich oft, fotografiert zu werden. Eintrittskarten zum Gerichtssaal hatten Höchstpreise erzielt. Wochenlang waren die Angehörigen der griechischen Justiz von Freunden und Verwandten belagert worden. Findige, die sich Karten sichern konnten, handelten gegen sie andere Vorteile ein oder verkauften sie an Schwarzhändler, die sie zu Preisen bis fünfhundert Drachmen das Stück verschoben.

Der Mordprozess spielte sich im üblichen Rahmen ab. Sitzungssaal 33 im Obergeschoß des Gerichtsgebäudes war muffig und alt, Schauplatz Tausender forensischer Schlachten, die im Lauf der Jahre hier stattgefunden hatten. Der Raum war etwa zwölf Meter breit und über vierzig Meter lang. Die Sitzplätze waren in drei Blöcken von je neun Reihen hölzerner

Bänke angeordnet.

An der einen Schmalseite des Saals befand sich hinter einer zwei Meter hohen Trennwand aus poliertem Mahagoni ein Podest mit hoch lehnigen Ledersesseln für die drei versitzenden Richter. Der mittlere Sessel war für den Gerichtspräsidenten bestimmt, und darüber hing ein quadratischer schmutziger Spiegel, der einen Teil des Gerichtssaals reflektierte.

Vor dem Podest befand sich der Zeugenstand, eine kleine Plattform mit einem fest angebrachten Lesepult, auf dessen Platte Papiere abgelegt werden konnten. Das Lesepult war mit einem vergoldeten Kruzifix verziert, Christus am Kreuz mit zwei seiner Jünger neben ihm. An der Seitenwand war die Geschworenenbank, die jetzt mit zehn Geschworenen besetzt war. Links befand sich die Anklagebank, davor standen die Tische der Verteidiger.

Die Wände des Saals waren verputzt, der Fußboden im Gegensatz zu den nackten Dielen der Gerichtssäle im Erdgeschoß mit Linoleum ausgelegt. Ein Dutzend elektrischer Kugellampen hing von der Decke herab. In einer hinteren Ecke ragte das Abzugsrohr einer altmodischen Heizungsanlage zur Decke auf. Ein Teil des Saals war für die Presse reserviert, und unter anderen waren Korrespondenten von Reuters, United Press, International News Service, Shsin Hau Agency, Agence France Press und TASS anwesend.

Die Umstände dieses Mordprozesses waren an sich schon sensationell, aber es waren auch so viele berühmte Personen anwesend, dass die aufgeregten Zuschauer nicht wussten, wohin sie zuerst blicken sollten. Es war wie in einem Zirkus mit drei Manegen. In der ersten Bankreihe saß Philippe Sorel, der große Star, von dem das Gerücht ging, ein früherer Liebhaber von Noelle Page zu sein. Sorel hatte auf dem Weg in den Gerichtssaal eine Kamera zerschlagen und sich eisern geweigert, mit den Presseleuten zu sprechen. Jetzt saß er in sich zurückgezogen und schweigend auf seinem Platz, von einer unsichtbaren Mauer umgeben. Eine Reihe hinter Sorel saß Armand Gautier. Der hoch gewachsene, düstere Regisseur ließ seinen Blick ständig durch den Gerichtssaal schweifen, als ob er sich in Gedanken Notizen für seinen nächsten Film machte. In der Nähe von Gautier saß Israel Katz, der berühmte französische Chirurg und Widerstandskämpfer.

Zwei Plätze von ihm entfernt saß William Fräser, persönlicher Referent des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Neben Fräser war ein Platz reserviert, und wie ein Steppenbrand fegte das Gerücht durch den Gerichtssaal, dass Constantin Demiris kommen werde.

Wohin der Zuschauer auch seinen Blick wandte, er fand ein bekanntes Gesicht: einen Politiker, einen Sänger, einen Bildhauer, einen international berühmten Autor. Doch wenn auch der Zuschauerraum in dieser Arena des Rechts mit Berühmtheiten besetzt war, der Hauptpunkt des Interesses befand sich im Mittelring.

Auf der einen Seite der Anklagebank saß Noelle Page, unvergleichlich schön, die honigfarbene Haut etwas blasser als üblich, und gekleidet, als hätte sie gerade das Atelier von Madame Chanel verlassen. Noelle hatte etwas Königliches an sich, eine noble Ausstrahlung, die die Dramatik dessen, was ihr widerfuhr, erhöhte. Es schürte die Erregung der Zuschauer und verstärkte ihren Blutdurst.

Ein amerikanisches Nachrichtenmagazin schrieb darüber: Die Empfindungen, die Noelle Page von der Menge aus entgegenströmten, die gekommen war, um Zeuge bei ihrem Prozess zu sein, waren so stark, dass sie im Gerichtssaal fast physisch spürbar wurden. Es war kein Gefühl der Sympathie oder der Feindschaft, es war einfach das Gefühl der Erwartung. Die Frau, der vom Staat wegen eines Mordes der Prozess gemacht wurde, war eine Superfrau, eine Göttin auf einem goldenen Piedestal, die hoch über ihnen stand, und sie waren da, um zuzusehen, wie ihr Idol auf ihre eigene Ebene hinabgezerrt und vernichtet wurde. Das Gefühl im Gerichtssaal muss das gleiche gewesen sein wie das in den Herzen der Bauern, die zusahen, wie Marie Antoinette auf dem Henkerskarren ihrem Untergang entgegenfuhr.

Noelle Page war nicht die einzige Nummer in diesem RechtsZirkus. Auf der anderen Seite der Anklagebank saß, von glühendem Zorn erfüllt, Larry Douglas. Sein anziehendes Gesicht war bleich, und er hatte Gewicht verloren, aber das trug nur dazu bei, seine gemeißelten Züge hervorzuheben, und viele der Frauen im Gerichtssaal verspürten den Drang, ihn in die Arme zu schließen und auf die eine oder andere Weise zu trösten. Seit Larry verhaftet worden war, hatte er Hunderte von Briefen von Frauen aus allen Teilen der Welt, Dutzende von Geschenken und Heiratsanträgen erhalten.

Der dritte Mann in dem Zirkus war Napoleon Chotas, ein Mann, der in Griechenland ebenso bekannt war wie Noelle Page. Napoleon Chotas war einer der anerkannt größten Strafverteidiger der Welt. Er hatte Klienten verteidigt, die von der Unterschlagung bezichtigten Regierungschefs bis zu Mördern reichten, die die Polizei auf frischer Tat ertappt hatte, und nie hatte er einen wichtigen Prozess verloren. Chotas war schlank und sah ausgemergelt aus, und er saß im Gerichtssaal und beobachtete das Publikum mit den großen traurigen Augen eines Bluthunds in einem verwüsteten Gesicht. Wenn Chotas sich an die Geschworenen wandte, sprach er langsam und zögernd und hatte große Schwierigkeiten, sich auszudrücken. Manchmal kam er in eine so peinliche Verlegenheit, dass einer der Geschworenen hilfreich mit dem Wort herausplatzte, nach dem Napoleon Chotas mühsam suchte, und wenn das geschah, erfüllte eine solche Erleichterung und unaussprechliche Dankbarkeit das Gesicht des Anwalts, dass sämtliche Geschworenen von einer Welle der Zuneigung für diesen Mann ergriffen wurden. Außerhalb des Gerichtssaals war Chotas ein treffsicherer, sarkastischer Redner mit vollkommener Beherrschung von Sprache und Syntax. Er sprach sieben Sprachen fließend, und wenn sein Terminplan es erlaubte, hielt er überall in der Welt Vorträge vor Juristen.

Dicht neben Chotas saß auf der Verteidigerbank Frederick Stavros, der Verteidiger von Larry Douglas. Sachkenner stimmten darin überein, dass Stavros befähigt sein mochte, einen Routinefall erfolgreich zu vertreten, dass er hier aber hoffnungslos überfordert war.

In den Zeitungen und im Bewusstsein der Öffentlichkeit war Noelle Page und Larry Douglas schon der Prozess gemacht, und sie waren schuldig gesprochen worden. Niemand zweifelte auch nur einen Augenblick an ihrer Schuld. Professionelle Spieler wetteten dreißig zu eins, dass die Angeklagten verurteilt werden würden. Zu dem Prozess trat also zusätzlich die Spannung, zu beobachten, wie der prominenteste Strafverteidiger Europas seine magische Kraft gegen unüberwindliche Hindernisse einsetzen würde.

Als bekannt gegeben wurde, dass Chotas Noelle Page, die Frau, die Constantin Demiris betrogen und der Lächerlichkeit preisgegeben hatte, verteidigen würde, hatte die Nachricht großes Aufsehen erregt. Wie mächtig Chotas auch war, Constantin Demiris war hundertmal mächtiger, und niemand konnte sich vorstellen, was Chotas dazu getrieben haben mochte, sich gegen Constantin Demiris zu stellen. Die Wahrheit war sogar noch interessanter als die phantastischsten Gerüchte.

Der Anwalt hatte die Verteidigung von Noelle Page auf Demiris' persönliches Ersuchen übernommen.

Drei Monate vor Prozeßbeginn kam der Gefängnisdirektor in Noelles Zelle im Gefängnis in der Sankt-Nikodemus-Straße, um ihr zu sagen, dass Constantin Demiris um Erlaubnis gebeten habe, sie zu besuchen. Noelle hatte sich schon gefragt, wann sie von Demiris hören würde. Seit ihrer Verhaftung hatte kein Wort von ihm sie erreicht, nur tiefes, unheilvolles Schweigen.

Noelle hatte mit Demiris lange genug zusammengelebt, um zu wissen, wie stark seine Eigenliebe war und wie weit er gehen würde, um auch deren kleinste Verletzung zu rächen. Noelle hatte ihn gedemütigt wie kein anderer Mensch je zuvor, und er war mächtig genug, um furchtbare Vergeltung zu üben. Die einzige Frage war: Wie würde er es anfangen? Noelle war überzeugt, dass Demiris etwas so Primitives wie die Bestechung der Geschworenen oder der Richter für unter seiner Würde hielt. Er würde sich mit nichts Geringerem als einem raffinierten machiavellistischen Komplott zufrieden geben, um seine Rache zu nehmen, und Noelle hatte Nacht für Nacht wach in ihrer Zelle gelegen und sich in Demiris' Denkweise versetzt, Überlegung um Überlegung wieder verworfen, genau wie er es auf der Suche nach dem vollkommenen Plan getan haben musste. Es war wie eine geistige Schachpartie mit Demiris, nur dass sie und Larry die Bauern auf dem Brett waren und dass es um Leben und Tod ging.

Wahrscheinlich wollte er sie und Larry vernichten, aber Noelle kannte besser als jeder andere die subtilen Gedankengänge von Demiris. Es war also ebenfalls möglich, dass er plante, nur einen von ihnen beiden zu vernichten und den anderen leben und leiden zu lassen. Wenn Demiris dafür sorgte, dass sie beide hingerichtet wurden, hätte er zwar seine Rache, aber es wäre zu schnell vorüber – es würde nichts bleiben, was er auskosten konnte. Noelle hatte sorgfältig jede Möglichkeit durchdacht, keine denkbare Variante übergangen, und ihr schien, dass Constantin Demiris es so arrangieren könnte, dass Larry starb und sie am Leben blieb, entweder im Gefängnis oder in seiner Gewalt, weil das die sicherste Methode war, seine Rache bis ins Unendliche zu verlängern. Zuerst würde Noelle die Pein erleiden, den Mann zu verlieren, den sie liebte, und dann würde sie alles das zu ertragen haben, was Demiris an ausgesuchten Qualen für ihre Zukunft plante. Ein Teil der Befriedigung, die Demiris aus seiner Rache zöge, würde darin bestehen, es Noelle vorher zu sagen, damit sie die Verzweiflung in vollem Umfang durchlebte.

Und deshalb überraschte es Noelle nicht, als der Gefängnisdirektor in ihrer Zelle erschien, um ihr Demiris' Besuch anzukündigen.

Noelle war zuerst da. Sie war in das Privatbüro des Gefängnisdirektors geführt worden, wo man sie diskret mit einem Make-up-Koffer, den ihre Zofe gebracht hatte, allein ließ, damit sie sich auf den Besuch von Demiris vorbereiten konnte.

Noelle ignorierte die Kosmetika nebst Kamm und Bürste, die auf dem Schreibtisch lagen, sondern ging zum Fenster und sah hinaus. Es war der erste Blick in die Außenwelt seit drei Monaten, abgesehen von den flüchtigen Eindrücken, als sie am Tag der Vorverhandlung aus dem Gefängnis in der Sankt-Nikodemus-Straße zum Gerichtsgebäude gebracht worden war. Sie war in einem vergitterten Gefangenenwagen transportiert und dort in den Keller geführt worden, von wo ein enger Fahrstuhl sie und ihre Wächter in das Obergeschoß brachte. Dort fand die Verhandlung statt, ihre weitere Haft bis zum Prozess wurde verfügt, und sie war anschließend ins Untersuchungsgefängnis zurückgebracht worden.

Jetzt stand Noelle am Fenster und beobachtete den Verkehr unten auf der Universitätsstraße, Männer und Frauen und Kinder auf dem Weg nach Hause zu ihren Familien. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Noelle Angst. Sie machte sich keine Illusionen über ihre Aussichten auf einen Freispruch. Sie hatte die Zeitungen gelesen und wusste, dass ihr mehr als ein Prozess bevorstand. Es würde ein Blutbad werden, in dem sie und Larry als Opfer dargebracht wurden, um das Gewissen einer empörten Gesellschaft zu befriedigen. Die Griechen hassten sie, weil sie die Heiligkeit der Ehe verspottet hatte, beneideten sie, weil sie jung und reich und schön war, und verabscheuten sie, weil sie spürten, dass ihre Gefühle Noelle völlig gleichgültig waren.

Früher war Noelle mit dem Leben achtlos umgesprungen, hatte rücksichtslos Zeit vergeudet, als ob sie ewig währen würde. Aber jetzt hatte sich etwas in ihr geändert. Die bevorstehende Aussicht auf den Tod hatte Noelle zum ersten Mal erkennen lassen, wie sehr sie am Leben hing. In ihr lastete eine Furcht, die wie ein Krebsgeschwür wucherte, und wenn sie könnte, würde sie einen Handel um ihr Leben abschließen, obwohl sie wusste, dass Demiris Wege fände, es ihr zur Hölle zu machen. Damit würde sie sich abfinden. War es erst soweit, würde sie ihn schon irgendwie überlisten.

Inzwischen brauchte sie seine Hilfe, um am Leben zu bleiben. Einen Vorteil hatte sie. Sie hatte den Gedanken an den Tod immer leicht genommen, so dass Demiris keine Ahnung hatte, wie viel ihr das Leben jetzt bedeutete. Wenn er es wüsste, würde er sie bestimmt sterben lassen. Noelle fragte sich wieder, was er in den vergangenen Monaten gegen sie ersonnen haben mochte, und noch während sie darüber nachdachte, hörte sie, wie hinter ihr die Tür geöffnet wurde, und als sie sich umdrehte, sah sie Constantin Demiris im Türrahmen stehen, und nach einem erschrockenen Blick auf ihn wusste Noelle, dass sie nichts mehr zu fürchten brauchte.

Constantin Demiris war in den wenigen Monaten, seit Noelle ihn das letzte Mal gesehen hatte, um zehn Jahre gealtert. Er war hager und abgemagert, und sein Anzug hing ihm lose am Körper. Aber es waren seine Augen, die ihre Aufmerksamkeit fesselten. Es waren die Augen einer Seele, die durch die Hölle gegangen war. Die Macht, die Demiris ausgestrahlt hatte, der dynamische, überwältigende Kern seiner Vitalität, war verschwunden. Es war, als ob ein Lichtschalter ausgedreht worden wäre, und alles, was übrig blieb, war das blasse Nachglühen eines vergangenen, früher einmal vorhandenen Glanzes. Er stand da und starrte sie mit schmerzerfüllten Augen an.

Den Bruchteil einer Sekunde fragte sich Noelle, ob dies nicht ein Trick sein könnte, Teil eines Plans, doch kein Mensch auf der Welt konnte ein so guter Schauspieler sein. Es war Noelle, die das lange Schweigen brach. »Es tut mir leid, Costa«, sagte sie.

Demiris nickte langsam, als ob ihn die Bewegung Mühe kostete. »Ich wollte dich töten«, sagte er müde, und es war die Stimme eines alten Mannes. »Ich hatte alles genau geplant.«

»Warum hast du es nicht getan?«

Er antwortete ruhig: »Weil du mich zuerst getötet hast. Ich habe nie vorher einen Menschen gebraucht. Wahrscheinlich habe ich nie zuvor Schmerz empfunden.«

»Costa«

»Nein. Lass mich ausreden. Ich bin kein Mann, der vergibt. Wenn ich ohne dich auskommen könnte, glaube mir, ich täte es. Aber ich kann nicht. Ich kann es nicht länger ertragen. Ich will dich wiederhaben, Noelle.«

Sie kämpfte darum, nichts von ihren Empfindungen zu zeigen. »Das liegt nun wirklich nicht mehr bei mir, nicht wahr?«

»Wenn ich deine Freilassung erwirken könnte, kämst du zu mir zurück? Für immer?«

Für immer. Tausend Bilder flogen an Noelles geistigem Auge vorbei. Sie würde Larry nie wieder sehen, nie wieder berühren, nie wieder halten. Noelle hatte keine Wahl, doch selbst wenn sie eine hätte, das Leben war süßer. Und solange sie lebte, gab es immer eine Chance. Sie blickte zu Demiris auf.

»Ja, Costa.«

Demiris blickte sie an. Sein Gesicht verriet seine Bewegung. Als er sprach, klang seine Stimme rau. »Danke«, sagte er. »Wir werden die Vergangenheit vergessen. Sie ist vorüber, und nichts kann sie ändern.« Seine Stimme wurde klarer. »Die Zukunft interessiert mich. Ich werde einen Anwalt für dich engagieren.«

»Wen?«

»Napoleon Chotas.«

Und das war der Augenblick, in dem Noelle wirklich erkannte, dass sie die Partie gewonnen hatte. Schach. Schachmatt.

Jetzt saß Napoleon Chotas an dem langen Verteidigertisch und dachte an den bevorstehenden Kampf. Chotas wäre es viel lieber gewesen, wenn der Prozess in Ioannina statt in Athen stattfände, doch das war unmöglich, da nach griechischem Recht ein Prozess nicht dort stattfinden durfte, wo das Verbrechen begangen worden war. Chotas hatte nicht den geringsten Zweifel an Noelle Pages Schuld, aber das war für ihn unwichtig, denn er war wie alle Strafverteidiger der Meinung, dass die Schuld oder die Unschuld eines Klienten unwesentlich war. Jeder hatte Anspruch auf einen fairen Prozess.

Bei dem Prozess, der jetzt beginnen sollte, war es jedoch etwas anders. Zum ersten Mal in seinem Berufsleben hatte Napoleon Chotas es sich erlaubt, sich an einen Klienten gefühlsmäßig zu binden. Er liebte Noelle Page. Auf Veranlassung von Constantin Demiris hatte er sie aufgesucht, und obwohl Chotas das Image von Noelle Page bekannt war, traf ihn die Wirklichkeit völlig unvorbereitet. Sie hatte ihn empfangen, als ob er ein Gast wäre, der ihr einen Besuch machte. Noelle hatte weder Nervosität noch Furcht gezeigt, und zunächst hatte Chotas dies auf ihr mangelhaftes Verständnis ihrer verzweifelten Situation zurückgeführt. Das Gegenteil hatte sich jedoch als richtig erwiesen. Noelle war die intelligenteste und faszinierendste Frau, der er je begegnet war, und ganz gewiss auch die schönste. Chotas war, wenn seine Erscheinung das auch verleugnete, ein Frauenkenner, und er zollte Noelles außergewöhnlichen Gaben seine Anerkennung. Für Chotas war es stets ein Vergnügen, sich mit ihr zu unterhalten. Sie diskutierten über Recht und Kunst und Verbrechen und Geschichte, und sie überraschte ihn ständig von neuem. Er konnte Noelles Liaison mit einem Mann wie Constantin Demiris völlig verstehen, doch ihre enge Beziehung zu Larry Douglas war ihm rätselhaft. Er war der Meinung, dass sie Douglas weit überlegen war, und dennoch vermutete Chotas, dass es eine unerklärliche Affinität gebe, die Menschen veranlasste, sich in die unwahrscheinlichsten Partner zu verlieben. Brillante Wissenschaftler heirateten hohlköpfige Blondinen, große Schriftsteller heirateten dümmliche Schauspielerinnen, intelligente Staatsmänner heirateten Schlampen.

Chotas erinnerte sich an seine Begegnung mit Demiris. Gesellschaftlich kannten sie sich seit Jahren, aber die Anwaltsfirma von Chotas hatte nie für ihn gearbeitet. Demiris hatte Chotas in sein Haus in Varkisa gebeten. Ohne jede Umschweife hatte er das Gespräch begonnen. »Wie Sie vielleicht wissen«, hatte er gesagt, »habe ich an diesem Prozess ein tiefes Interesse. Mademoiselle Page ist die einzige Frau in meinem Leben, die ich wirklich geliebt habe.« Die beiden Männer hatten sechs Stunden lang miteinander gesprochen, jeden Aspekt des Falles diskutiert, jede mögliche Strategie erwogen. Es wurde beschlossen, dass Noelle auf »nicht schuldig« plädieren sollte. Als Chotas aufstand, um zu gehen, hatten sie ein Geschäft abgeschlossen. Für die Übernahme von Noelles Verteidigung sollte Napoleon Chotas das Doppelte seines üblichen Honorars erhalten, und seine Firma sollte zum ersten juristischen Berater von Constantin Demiris' weltumspannendem Imperium werden, eine Rosine im Kuchen, die ungezählte Millionen wert war.

»Wie Sie es machen«, hatte Demiris zum Abschluss grimmig gesagt, »ist mir gleichgültig. Nur sorgen Sie dafür, dass nichts schief geht.«

Chotas hatte angenommen. Und dann hatte er sich ironischerweise in Noelle Page verliebt. Chotas war zwar verheiratet, hatte sich jedoch immer eine Reihe von Geliebten gehalten, und als er jetzt die einzige Frau fand, mit der er allein hätte glücklich sein können, war sie unerreichbar für ihn. Er sah Noelle an, die schön und gelassen auf der Anklagebank saß. Sie trug ein einfaches schwarzes Wollkostüm mit einer schlichten, hochgeschlossenen weißen Bluse und sah aus wie eine Prinzessin aus einem Märchen.

Noelle drehte sich um, bemerkte, dass Chotas sie ansah, und erwiderte seinen Blick mit einem warmen Lächeln. Er lächelte zurück, war aber in Gedanken schon bei der schwierigen Aufgabe, die vor ihm lag. Der Gerichtsschreiber kündigte das Gericht an.

Die Zuschauer erhoben sich, als zwei Richter in Zivil eintraten und ihre Plätze einnahmen. Der dritte Richter, Präsident des Gerichtshofes, folgte ihnen und setzte sich auf den mittleren Sessel. Er verkündete: »I sinethriasis archete.«

Der Prozess hatte begonnen.

Peter Demonides, der Staatsanwalt, erhob sich nervös, um seine Eröffnungsansprache an die Geschworenen zu halten. Demonides war ein erfahrener und fähiger Anklagevertreter, aber er hatte schon früher Napoleon Chotas gegenübergestanden – viele Male sogar -, und das Ergebnis war unveränderlich stets das gleiche gewesen. Der alte Schuft war unschlagbar. Fast alle Strafverteidiger schüchtern gegnerische Zeugen ein, aber Chotas umwarb sie. Er hegte sie und liebte sie, und noch ehe er mit ihnen zu Ende war, widersprachen sie sich selbst in allen Punkten und versuchten, ihm zu helfen. Er hatte es im Griff, aus harten Beweisen Vermutungen zu machen und aus Vermutungen reine Phantasiegebilde. Chotas besaß den brillantesten Juristenverstand und die größten Kenntnisse der Jurisprudenz, denen Demonides je begegnet war, doch das war nicht seine Stärke. Seine Stärke war seine Menschenkenntnis. Ein Reporter hatte ihn einmal gefragt, wo er so viel über die menschliche Natur gelernt hätte.

»Von der menschlichen Natur verstehe ich überhaupt nichts«, hatte Chotas geantwortet. »Ich kenne mich nur mit den

Menschen aus.« Und diese Bemerkung war oft und gern zitiert worden.

Zu allem anderen war dies ein für Chotas geradezu maßgeschneiderter Prozess: Er strotzte von Glanz, Leidenschaft und Mord. Von einem war Demonides überzeugt: Napoleon Chotas würde sich durch nichts abbringen lassen, den Prozess zu gewinnen. Aber das galt auch für Demonides. Er wusste, dass der Fall auf starken Beweisen gegen die Angeklagten fußte, und wenn es Chotas auch gelänge, die Geschworenen zu betören, über die belastenden Beweise hinwegzugehen, so konnte er die drei Richter des Gerichtshofes doch nicht beirren. Mit Entschlossenheit, gemischt allerdings auch mit Besorgnis, begann der Anklagevertreter mit seiner Eröffnungsansprache.

Mit gewandten breiten Strichen umriss Demonides die Anklage. Aufgrund des Gesetzes war der Obmann der Geschworenen ein Jurist, darum wandte er sich mit allen juristischen Argumenten an ihn und richtete sich in den allgemeinen Punkten an die übrigen Geschworenen.

»Ehe dieser Prozess abgeschlossen ist, wird die Anklage beweisen, dass diese beiden Personen sich zu der kaltblütigen Ermordung von Catherine Douglas verschworen haben, weil sie ihren Plänen im Wege stand. Ihr einziges Verbrechen war, dass sie ihren Ehemann liebte, und dafür wurde sie getötet. Die beiden Angeklagten hielten sich am Ort der Tat auf. Sie sind die einzigen, die ein Motiv und eine Gelegenheit zur Tat hatten. Wir werden über jeden Schatten eines Zweifels hinaus beweisen ...«

Demonides fasste sich in seiner Ansprache kurz und sachlich, und dann waren die Verteidiger der Angeklagten an der Reihe.

Die Zuschauer beobachteten Naooleon Chotas, wie er ungeschickt seine Papiere zusammenraffte und sich für seine Eröffnungsansprache vorbereitete. Langsam näherte er sich der Geschworenenbank, sein Auftreten war zögernd und umständlich, so, als ob er von seiner Umgebung eingeschüchtert wäre.

William Fräser, der ihn beobachtete, konnte seine Geschicklichkeit nur bewundern. Wenn er bei einer Party in der Britischen Botschaft nicht einen Abend mit Chotas verbracht hätte, wäre er durch dessen Auftreten getäuscht worden. Er konnte sehen, dass die Geschworenen sich interessiert vorbeugten, um sich nicht eines der Worte entgehen zu lassen, die leise von Chotas' Lippen kamen.

»Der Frau, die hier angeklagt ist«, sagte Chotas zu den Geschworenen, »wird nicht wegen Mordes der Prozess gemacht. Es gab keinen Mord. Wenn es einen Mord gegeben hätte, bin ich überzeugt, dass mein brillanter Kollege von der Anklage so gütig gewesen wäre, uns die Leiche des Opfers vorzuweisen. Er hat es nicht getan, deshalb müssen wir annehmen, dass es keine Leiche gibt. Und deshalb auch keinen Mord.« Er unterbrach sich, um sich auf dem Kopf zu kratzen, und blickte vor sich auf den Boden, als versuche er sich zu erinnern, wo er stehen geblieben war. Er nickte zu sich selbst und sah dann zu den Geschworenen auf. »Nein, meine Herren, darum geht es in diesem Prozess nicht. Meiner Klientin wird der Prozess gemacht, weil sie gegen ein anderes Gesetz verstieß, ein ungeschriebenes Gesetz, das besagt, du sollst nicht mit dem Mann einer anderen Unzucht treiben. Die Presse hat sie schon dieser Anklage für schuldig befunden, und die Öffentlichkeit hat sie für schuldig befunden, und jetzt fordern sie ihre Bestrafung.«

Chotas hielt inne, um ein großes weißes Taschentuch zu ziehen, starrte einen Augenblick darauf, als ob er sich wunderte, wie es dort hingeraten sei, schneuzte sich und steckte das Tuch wieder in die Tasche. »Sehr gut. Wenn sie ein Gesetz gebrochen hat, dann wollen wir sie bestrafen. Aber nicht wegen Mordes, meine Herren. Nicht wegen eines Mordes, den sie nicht begangen hat. Noelle Page hat sich schuldig gemacht, die Geliebte eines« – er machte eine delikate Pause – »eines prominenten Mannes zu sein. Sein Name ist ein Geheimnis, aber wenn Sie ihn wissen wollen, können Sie ihn auf der Vorderseite jeder Zeitung lesen.«

Unter den Zuschauern wurde anerkennend gelacht.

Auguste Lanchon drehte sich auf seinem Platz um und funkelte die Zuschauer an, seine kleinen Schweinsaugen glühten vor Zorn. Wie konnten sie es wagen, über seine Noelle zu lachen! Demiris bedeutete ihr nichts. Dem Mann, dem sie ihre Unschuld hingab, bleibt eine Frau immer zugetan. Dem fetten kleinen Krämer aus Marseille war es noch nicht möglich gewesen, mit Noelle Verbindung aufzunehmen, aber er hatte vierhundert kostbare Drachmen für eine Eintrittskarte zum Gerichtssaal bezahlt und war in der Lage, seine geliebte Noelle jeden Tag zu beobachten. Wenn sie freigesprochen wurde, würde Lanchon vortreten und ihr Leben in seine Hände nehmen. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Anwalt.

»Von der Anklagevertretung wurde gesagt, dass die beiden Angeklagten die Frau von Mr. Douglas ermordet haben, damit sie einander heiraten könnten. Sehen Sie die beiden an.«

Chotas drehte sich um, um Noelle Page und Larry Douglas anzusehen, und alle Augen im Gerichtssaal taten das gleiche.

»Lieben diese beiden Menschen sich? Das ist möglich. Aber macht sie das schon zu Verschwörern und Intriganten und Mördern? Nein. Wenn es in diesem Prozess Opfer gibt, dann sehen Sie sie hier vor sich. Ich habe alle Beweise gegen sie sorgfältig geprüft und habe mich davon überzeugt, wie ich Sie überzeugen werde, dass diese beiden Menschen unschuldig sind. Ich darf den Geschworenen gegenüber betonen, dass ich nicht Lawrence Douglas vertrete. Er hat seinen eigenen Anwalt, und das ist ein sehr fähiger Mann. Aber von der Anklage ist unterstellt worden, dass die beiden Menschen, die hier sitzen, Konspiratoren sind, dass sie zusammen einen Mord geplant und begangen haben. Wenn also einer von ihnen schuldig ist, dann sind beide schuldig. Ich sage Ihnen jetzt, dass sie beide unschuldig sind. Nur das Corpus delicti könnte mich veranlassen, meine Meinung zu ändern. Und es gibt keines.«

Chotas Stimme wurde zorniger. »Es ist eine Fiktion. Meine Klientin hat nicht mehr Ahnung als Sie, ob Catherine Douglas tot ist oder lebt. Woher sollte sie es wissen? Sie ist ihr nie begegnet, geschweige denn, dass sie ihr je etwas angetan hat. Stellen Sie sich die Ungeheuerlichkeit vor, angeklagt zu werden, jemanden ermordet zu haben, den man nie zu Gesicht bekommen hat. Es gibt viele Theorien darüber, was Catherine Douglas zugestoßen sein könnte. Dass sie ermordet wurde, ist eine davon. Aber nur eine. Die wahrscheinlichste Theorie ist die: Sie entdeckte, dass ihr Mann und Mademoiselle Page sich liebten, und aus einem Gefühl des Gekränktseins – nicht der Angst, meine Herren, des Gekränktseins – ging sie fort. So einfach liegt der Fall, und dafür richtet man nicht eine unschuldige Frau und einen unschuldigen Mann hin.«

Frederick Stavros, Larry Douglas' Verteidiger, stieß einen verstohlenen Seufzer der Erleichterung aus. Sein ständiger Alptraum war, dass Noelle Page freigesprochen, während sein Klient verurteilt werden würde. Wenn das geschähe, würde er zum Gelächter aller Juristen werden. Stavros hatte nach einer Möglichkeit gesucht, sich an den Stern von Napoleon Chotas anzuhängen, und nun hatte Chotas ihm das Problem abgenommen. Durch seine Verkettung der beiden Klienten war die Verteidigung von Noelle zur Verteidigung seines Klienten geworden. Der Gewinn dieses Prozesses würde Frederick Stavros' ganze Zukunft ändern, ihm alles geben, was er sich je gewünscht hatte. Ein Gefühl warmer Dankbarkeit für den alten Meister erfüllte ihn.

Stavros beobachtete befriedigt, dass die Geschworenen an jedem Wort von Chotas hingen.

»Dies war keine Frau, die sich für materielle Dinge interessierte«, sagte Chotas in bewunderndem Ton. »Sie war ohne Zögern bereit, für den Mann, den sie liebte, alles aufzugeben.

Zweifellos, meine guten Freunde, entspricht das nicht dem Charakter einer hinterhältigen, intriganten Mörderin.«

Während Chotas weiter sprach, schlugen die Empfindungen der Geschworenen wie eine sichtbare Welle um, wandten sich mit wachsendem Einfühlungsvermögen und Verständnis Noelle Page zu. Langsam und geschickt zeichnete der Verteidiger das Bild einer schönen Frau, die die Geliebte eines der mächtigsten und reichsten Männer der Welt war, die mit jedem Luxus und jedem Vorrecht überschwemmt wurde, die aber am Ende der Liebe zu einem jungen vermögenslosen Piloten folgte, den sie erst seit kurzer Zeit kannte.

Chotas spielte auf den Gefühlen der Geschworenen wie ein Virtuose auf seinem Instrument, brachte sie zum Lachen, trieb ihnen die Tränen in die Augen und hielt ständig ihre Aufmerksamkeit gefesselt. Als er seine Eröffnungsrede beendet hatte, schlurfte er zu dem langen Tisch zurück und setzte sich unbeholfen, und die Zuschauer mussten sich sehr zusammennehmen, um nicht zu applaudieren.

Larry Douglas saß auf seinem Platz und hörte zu, wie Chotas ihn verteidigte, und Larry wurde wütend. Er brauchte niemanden zu seiner Verteidigung. Er hatte nichts Unrechtes getan, dieser ganze Prozess war nichts weiter als eine irrsinnige Dummheit, und wenn jemand schuld daran hatte, dann war es Noelle. Das Ganze war ihre Idee gewesen. Larry sah sie an, sie war schön und gelassen. Aber er verspürte keine begehrliche Regung, nur die Erinnerung an eine Leidenschaft, einen flüchtigen emotionellen Schatten, und er fragte sich verwundert, warum er sein Leben für diese Frau in Gefahr gebracht hatte. Larrys Blick wanderte zu den Pressebänken. Eine attraktive Reporterin, etwa Mitte Zwanzig, sah zu ihm herüber. Er warf ihr ein leises Lächeln zu und sah, wie ihr Gesicht sich aufhellte.

Peter Demonides vernahm einen Zeugen.

»Würden Sie dem Gericht bitte Ihren Namen sagen?«

»Alexis Minos.«

»Was sind Sie von Beruf?«

»Ich bin Rechtsanwalt.«

»Würden Sie bitte die beiden Angeklagten auf der Anklagebank ansehen, Herr Minos, und dem Gericht sagen, ob Sie einen der beiden schon einmal gesehen haben.«

»Ja, einen.«

»Welchen?«

»Den Mann.«

»Mr. Lawrence Douglas?«

»Jawohl.«

»Würden Sie uns bitte sagen, unter welchen Umständen Sie Mr. Douglas sahen?«

»Er kam vor sechs Monaten zu mir in meine Kanzlei.«

»Kam er, um sich von Ihnen in Ihrer beruflichen Eigenschaft beraten zu lassen?«

»Ja.«

»Mit anderen Worten, er wünschte juristische Hilfe von Ihnen?«

»Ja.«

»Und würden Sie uns bitte sagen, was Sie für ihn tun sollten?«

»Er bat mich, ihm zur Scheidung zu verhelfen.«

»Und hat er Ihnen zu diesem Zweck ein Mandat erteilt?«

»Nein. Als er mir die näheren Umstände auseinandersetzte, erklärte ich ihm, es sei für ihn unmöglich, in Griechenland geschieden zu werden.«

»Und worin bestanden diese Umstände?«

»Vor allem, sagte er, dürfe es nicht bekannt werden, und zweitens sagte er, dass seine Frau sich weigere, in eine Scheidung einzuwilligen.«

»Mit anderen Worten, er hatte seine Frau um die Scheidung gebeten, und sie hatte sich geweigert.«

»Das hat er mir gesagt.«

»Und dann erklärten Sie ihm, dass Sie ihm nicht helfen könnten? Dass es, falls seine Frau mit der Scheidung nicht einverstanden sei, für ihn schwierig oder unmöglich wäre, die Scheidung durchzusetzen, und dass es sehr wohl an die Öffentlichkeit dringen könnte?«

»Das ist richtig.«

»Folglich konnte der Angeklagte, von einem Verzweiflungsschritt abgesehen, nichts unternehmen, um ...«

»Einspruch!«

»Stattgegeben.«

»Ihr Zeuge.«

Napoleon Chotas erhob sich mit einem Seufzer von seinem Platz und ging langsam zu dem Zeugen hinüber. Peter Demo-nides war nicht beunruhigt. Minos war Rechtsanwalt und zu erfahren, um sich durch Chotas forensische Tricks täuschen zu lassen.

»Sie sind Rechtsanwalt, Herr Minos?«

»Jawohl.«

»Und sicher ein sehr guter, davon bin ich überzeugt. Es überrascht mich jedoch, dass sich unsere beruflichen Wege nicht schon früher einmal gekreuzt haben. Die Anwaltsfirma, der ich angehöre, befasst sich mit vielen Zweigen des Rechts. Vielleicht sind Sie einmal mit einem meiner Partner bei irgendwelchen unternehmensrechtlichen Verhandlungen zusammengekommen ?«

»Nein. Ich befasse mich nicht mit Unternehmensrecht.«

»Ich bitte um Entschuldigung. Dann vielleicht in einer Steuersache.«

»Ich bin kein Steueranwalt.«

»Oh.« Chotas zeigte sich ratlos und unbehaglich, als ob er sich selbst zum Narren hielte. »Vermögensanlagen?«

»Nein.« Minos begann, sich an der Blamage des Verteidigers zu weiden. Sein Gesicht nahm einen selbstgefälligen Ausdruck an, und Peter Demonides wurde unruhig. Wie oft hatte er

diesen Ausdruck schon auf den Gesichtern von Zeugen gesehen, die Napoleon Chotas schlachtreif machte.

Chotas kratzte sich verwirrt den Kopf. »Ich gebe auf«, sagte er treuherzig. »Worauf haben Sie sich denn spezialisiert?«

»Scheidungsfälle.« Die Antwort war ein mit Widerhaken versehener Pfeil, der ins Schwarze traf.

Ein reuiger Ausdruck trat auf Chotas' Gesicht. Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte wissen sollen, dass mein guter Freund Demonides mit einem Experten aufwarten würde.«

»Vielen Dank.« Alexis Minos gab sich keine Mühe mehr, seine Selbstgefälligkeit zu verbergen. Nicht jedem Zeugen wurde die Chance geboten, sich gegenüber Chotas durchzusetzen, und in Gedanken schmückte Minos schon die Geschichte aus, die er an diesem Abend in seinem Klub erzählen wollte.

»Ich habe nie einen Scheidungsfall bearbeitet«, gestand Chotas mit verlegenem Ton, »darum muss ich mich wohl Ihrer Sachkenntnis beugen.«

Der alte Anwalt fiel völlig in sich zusammen. Die Geschichte würde sogar noch besser werden, als Minos erwartet hatte.

»Ich nehme an, Sie sind sehr beschäftigt«, sagte Chotas.

»Ich habe so viele Fälle, wie ich erledigen kann.«

»So viele, wie Sie erledigen können?« Offene Bewunderung lag jetzt in Chotas' Stimme.

»Manchmal noch mehr.«

Peter Demonides blickte auf den Boden, war unfähig, den Vorgang weiter zu beobachten.

Chotas' Stimme nahm einen ehrfürchtigen Klang an. »Ich möchte mich nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten einmischen, Herr Minos, aber aus beruflicher Neugier wüsste ich gern, wie viele Klienten im Lauf eines Jahres in Ihre Kanzlei kommen.«

»Das lässt sich sehr schwer sagen.«

»Aber ich bitte Sie, Herr Minos. Seien Sie nicht bescheiden. Schätzen Sie doch.«

»Nun, ich würde sagen, zweihundert. Das ist aber eine grobe Schätzung, verstehen Sie.«

»Zweihundert Scheidungen im Jahr! Die schriftlichen Arbeiten allein müssen überwältigend sein.«

»Nun, es sind nicht wirklich zweihundert Scheidungen.«

Chotas rieb sich überrascht das Kinn. »Wie?«

»Es sind nicht alles Scheidungen.«

Ein verwirrter Ausdruck trat auf Chotas' Gesicht. »Sagten Sie nicht, dass Sie nur Scheidungsfälle bearbeiten?«

»Ja, aber« Minos Stimme klang unsicher.

»Was aber?« fragte Chotas verwundert.

»Also, ich wollte sagen, es kommt nicht in allen Fällen zur Scheidung.«

»Aber um eine Scheidung zu erreichen, suchen Ihre Klienten Sie doch auf?«

»Ja, aber manche – also – aus dem einen oder ändern Grund geben sie ihre Absicht auf.«

Chotas nickte plötzlich verständnisvoll. »Ah, Sie meinen, es kommt zu einer Versöhnung oder etwas Derartigem?«

»Genau das«, stimmte Minos zu.

»Sie wollen damit also sagen, dass – nun, wie viel? – zehn Prozent sich nicht zu einem Scheidungsprozess durchringen?«

Minos rutschte unbehaglich auf seinem Platz hin und her. »Der Prozentsatz ist etwas höher.«

»Um wie viel höher? Fünfzehn Prozent? Zwanzig?«

»Näher an vierzig.«

Napoleon Chotas starrte ihn verblüfft an. »Herr Minos, wollen Sie damit sagen, dass nahezu die Hälfte der Leute, die Sie aufsuchen, sich nicht zu einer Scheidung entschließen?«

»Ja.«

Winzige Schweißperlen traten Minos auf die Stirn. Er drehte sich nach Peter Demonides um, aber Demonides konzentrierte sich fest auf eine Ritze im Fußboden.

»Nun, ich bin sicher, es ist nicht auf mangelndes Vertrauen in

Ihre Fähigkeiten zurückzuführen«, sagte Chotas.

»Bestimmt nicht«, antwortete Minos abweisend. »Sie kommen sehr oft auf einen dummen Impuls hin zu mir. Mann und Frau haben sich gestritten und glauben, dass sie sich hassen, und wollen sich scheiden lassen, doch wenn man den Dingen auf den Grund geht, ändern sie in den meisten Fällen ihre Absicht.«

Er brach jäh ab, als er die volle Bedeutung seiner Worte erkannte.

»Vielen Dank«, sagte Chotas freundlich. »Sie waren mir eine große Hilfe.«

Peter Demonides verhörte die Zeugin. »Ihr Name, bitte.« »Kasta. Irene Kasta.« »Frau oder Fräulein?« »Frau. Ich bin verwitwet.« »Was sind Sie von Beruf, Frau Kasta?« »Haushälterin.« »Wo arbeiten Sie?« »Bei einer reichen Familie in Rafina.«

»Das ist ein Ort am Meer, etwa hundert Kilometer nördlich von Athen, nicht wahr?«

»Ja.«

»Würden Sie bitte die beiden Angeklagten ansehen, die dort drüben sitzen. Haben Sie die beiden schon jemals gesehen?«

»Jawohl. Sehr oft sogar.«

»Würden Sie uns schildern, unter welchen Umständen?«

»Sie wohnen in dem Haus neben der Villa, wo ich arbeite. Ich habe sie häufig am Strand gesehen. Sie waren nackt.«

Aus den Reihen der Zuschauer war ein Keuchen zu vernehmen und dann kurz eine schnelle, summende Unterhaltung. Peter Demonides blickte zu Chotas hinüber, um zu sehen, ob er Einspruch erheben würde, doch der alte Anwalt saß mit einem träumerischen Lächeln auf dem Gesicht an seinem Tisch. Das Lächeln machte Demonides nervöser als alles andere. Er wandte sich wieder der Zeugin zu.

»Sind Sie sicher, dass es diese beiden Personen waren, die Sie gesehen haben? Sie stehen unter Eid, wie Sie wissen.«

»Es waren die beiden, ohne jeden Zweifel.«

»Wenn sie zusammen am Strand waren, verhielten sie sich dann freundschaftlich zueinander?«

»Nun, sie benahmen sich nicht gerade wie Bruder und Schwester.«

Lachen bei den Zuschauern.

»Vielen Dank, Frau Kasta.« Demonides wandte sich an Chotas. »Ihre Zeugin.«

Napoleon Chotas nickte liebenswürdig, stand auf und schlurfte zu der stattlichen Frau im Zeugenstand.

»Wie lange arbeiten Sie schon in dieser Villa, Frau Kasta?«

»Sieben Jahre.«

»Sieben Jahre! Sie müssen sehr tüchtig sein.«

»Darauf können Sie sich verlassen.«

»Vielleicht könnten Sie mir eine gute Haushälterin empfehlen. Ich denke daran, mir am Strand bei Rafina ein Haus zu kaufen. Das Problem ist, dass ich ungestörte Ruhe zum Arbeiten brauche. Aber wenn ich mich recht entsinne, liegen diese Villen alle sehr dicht beieinander.«

»O nein. Jede Villa ist durch eine hohe Mauer abgeschlossen.«

»Sehr gut. Und sie liegen nicht dicht zusammengedrängt?«

»Aber nein, ganz und gar nicht. Diese Villen sind alle mindestens hundert Meter voneinander entfernt. Ich weiß, dass eine zum Verkauf steht. Sie hätten dort so viel ungestörte Ruhe, wie Sie nur haben wollen, und ich kann Ihnen meine Schwester als Haushälterin empfehlen. Sie ist ordentlich und kann auch etwas kochen.«

»Nun, vielen Dank, Frau Kasta, das klingt sehr verlockend. Vielleicht könnte ich Ihre Schwester heute Nachmittag kurz besuchen.«

»Sie arbeitet jetzt tagsüber. Um sechs ist sie wieder zu Hause.«

»Wie spät ist es denn jetzt?«

»Ich habe keine Uhr bei mir.«

»Ach so. Dort drüben an der Wand hängt eine große Uhr. Wie spät ist es darauf?«

»Also, das kann ich schlecht erkennen. Es ist auf der anderen Seite des Saals.«

»Und wie weit, meinen Sie, ist die Uhr von Ihnen entfernt?«

»Etwa – na, vielleicht zwanzig Meter.«

»Nicht ganz acht, Frau Kasta. Keine weiteren Fragen.«

Es war der fünfte Tag des Prozesses. Dr. Israel Katz machte sein fehlendes Bein wieder einmal Beschwerden. Wenn er operierte, konnte er ohne Unterbrechung stundenlang auf seiner Prothese stehen, und sie störte ihn nie. Aber hier sitzend, ohne intensive Konzentration, die ihn ablenkte, sandten die Nerven Erinnerungsimpulse an ein Glied aus, das nicht mehr vorhanden war. Katz rutschte ruhelos auf seinem Platz hin und her, um den Druck auf seine Hüfte zu lindern. Seit seiner Ankunft in Athen hatte er täglich vergeblich versucht, Noelle zu sehen. Er hatte mit Napoleon Chotas gesprochen, und der Anwalt hatte ihm erklärt, dass Noelle zu verstört sei, um alte Freunde wieder zu sehen, und dass es das beste sei, zu warten, bis der Prozess vorüber war. Israel Katz hatte ihn gebeten, Noelle zu sagen, dass er gekommen sei, um ihr in jeder ihm möglichen Weise zu helfen, aber er konnte nicht sicher sein, dass sie seine Nachricht erhielt. Tag für Tag hatte er im Gerichtssaal gesessen und gehofft, Noelle würde einmal in seine Richtung sehen, aber sie hatte nie einen Blick auf die Zuschauer geworfen.

Israel Katz verdankte ihr sein Leben, und er war enttäuscht, dass es keine Möglichkeit gab, seine Schuld zu begleichen. Er hatte keine Ahnung, welchen Verlauf der Prozess nehmen würde und ob Noelle verurteilt oder freigesprochen werden würde. Von Chotas hatte er erfahren, dass das Gesetz nur zwei mögliche Urteile zuließ: nicht schuldig oder schuldig. Wenn Noelle nicht schuldig gesprochen wurde, wäre Ein Zeuge der Anklage wurde vereidigt. »Ihr Name?« »Christian Barbet.«

»Sie sind französischer Staatsbürger, Monsieur Barbet?« »Ja.«

»Und wo ist Ihr Wohnsitz?« »In Paris.«

»Würden Sie dem Gericht Ihren Beruf nennen?« »Ich habe eine private Detektivagentur.« »Und wo hat diese Agentur ihren Sitz?« »Die Zentrale ist in Paris.« »Welche Art Fälle bearbeiten Sie?«

»Vielerlei ... wirtschaftliche Auskünfte, Suche nach vermissten Personen, Überwachungen im Auftrag eifersüchtiger Ehemänner oder Frauen ...«

»Monsieur Barbet, würden Sie so freundlich sein, sich hier im Gerichtssaal umzusehen und uns zu sagen, ob irgendeiner der Anwesenden zu irgendeiner Zeit einmal Ihr Klient war?« Ein langer, langsamer Blick durch den Saal. »Ja.« »Würden Sie dem Gericht sagen, wer diese Person ist?« »Die Dame, die dort drüben sitzt. Mademoiselle Noelle Page.« Ein interessiertes Raunen bei den Zuschauern.

»Wollen Sie damit sagen, dass Mademoiselle Page Sie beauftragte, eine Detektivarbeit für sie zu übernehmen?« »Jawohl, Monsieur.«

»Wollen Sie uns dann bitte genau sagen, worin dieser Auftrag bestand?«

»Ja. Sie interessierte sich für einen Mann namens Larry Douglas. Ich sollte alles über ihn herausfinden, was ich in Erfahrung bringen konnte.«

»War das derselbe Larry Douglas, der hier in diesem Gerichtssaal unter Anklage steht?« »Ja, Monsieur.«

»Und Mademoiselle Page hat Sie dafür bezahlt?« »Ja.«

»Wollen Sie sich bitte die Papiere in meiner Hand ansehen. Sind das die Aufzeichnungen über die Zahlungen, die an Sie geleistet wurden ?« »Ja, das sind sie.« »Sagen Sie uns bitte, Monsieur Barbet, auf welche Weise Sie sich« »Das war sehr schwierig. Sehen Sie, ich war in Frankreich und Douglas in England und später in den Vereinigten Staaten, und da

Frankreich von den Deutschen besetzt war« »Wie war das bitte?« »Ich sagte, da Frankreich besetzt war.«

»Einen Augenblick. Ich möchte sichergehen, dass ich richtig verstehe, was Sie sagen, Monsieur Barbet. Von Mademoiselle Pages Anwalt haben wir gehört, dass sie und Larry Douglas sich vor wenigen Monaten kennen lernten und sich leidenschaftlich ineinander verliebten. Und jetzt sagen Sie vor dem Gericht aus, dass ihre Liebesbeziehung schon – wie lange ist es her, dass sie begann?«

»Mindestens sechs Jahre.«

Ein Höllenlärm brach los.

Demonides warf Chotas einen triumphierenden Blick zu. »Ihr Zeuge.«

Napoleon Chotas rieb sich die Augen, erhob sich hinter dem langen Tisch, an dem er saß, und ging zum Zeugenstand.

»Ich werde Sie nicht lange aufhalten, Monsieur Barbet. Ich kann verstehen, dass Sie begierig sind, zu Ihrer Familie in Frankreich zurückzukehren.«

»Lassen Sie sich getrost Zeit, Monsieur«, entgegnete Barbet selbstgefällig.

»Vielen Dank. Entschuldigen Sie, wenn ich mir eine persönliche Bemerkung erlaube, aber Sie haben da einen sehr schönen Anzug an, Monsieur Barbet.«

»Danke, Monsieur.«

»In Paris gemacht, nicht wahr?«

»Ja, Monsieur.«

»Er sitzt ausgezeichnet. Ich habe mit meinen Anzügen leider nicht so viel Glück. Haben Sie schon einmal einen englischen Schneider ausprobiert? Sie sollen auch vorzüglich sein.«

»Nein, Monsieur.«

»Aber Sie sind doch sicher schon oft in England gewesen?«

»N-nein.«

»Noch nie?«

»Noch nie.«

»Waren Sie mal in den Vereinigten Staaten?«

»Nein.«

»Haben Sie je den Südpazifik besucht?« »Nein, Monsieur.«

»Dann müssen Sie wirklich ein phantastischer Detektiv sein, Monsieur Barbet. Hut ab vor Ihnen. Ihre Berichte schildern die Tätigkeit von Larry Douglas in England und in den Vereinigten Staaten von Amerika und im Südpazifik – und doch sagen Sie uns hier, dass Sie nie in einem dieser Länder oder im Südpazifik gewesen sind. Ich kann nur annehmen, dass Sie hellseherische Fähigkeiten besitzen.«

»Erlauben Sie, dass ich Sie berichtige, Monsieur. Ich brauchte nicht in diese Länder zu reisen. Ich unterhalte in England und Amerika das, was wir Korrespondenzagenturen nennen.«

»Ach so. Verzeihen Sie, wie dumm von mir! Es waren in Wirklichkeit also diese Leute, die den Aktivitäten von Larry Douglas nachgegangen sind?« »Exactement.«

»Und damit steht fest, dass Sie persönlich keine Kenntnis von der Tätigkeit von Larry Douglas haben?« »Nun ... nein, Monsieur.«

»Ihre Informationen stammen also nur aus zweiter Hand.« »Ah ... in gewisser Weise, ja.«

Chotas wandte sich den Richtern zu. »Ich beantrage, die gesamte Aussage dieses Zeugen aus dem Protokoll zu streichen, Euer Ehren, mit der Begründung, dass sie auf Hörensagen beruht.«

Peter Demonides sprang auf. »Einspruch, Euer Ehren. Noelle Page hat Monsieur Barbet beauftragt, Informationen über Larry Douglas einzuholen. Das ist nicht Hörensagen«

»Mein gelehrter Kollege hat die Berichte als Beweismittel vorgelegt«, sagte Chotas freundlich. »Ich bin durchaus bereit, sie anzuerkennen, falls er die Leute hier vorzuladen wünscht, die die Überwachung von Larry Douglas tatsächlich übernommen hatten. Sonst muss ich das Gericht bitten anzunehmen, dass eine derartige Überwachung gar nicht erfolgt ist, und beantragen, dass die Aussage dieses Zeugen als unzulässig zurückgewiesen wird.«

Der Präsident wandte sich an Demonides. »Sind Sie bereit, diese Zeugen hier vorzuladen?« fragte er.

»Das ist unmöglich«, protestierte Demonides. »Herr Chotas weiß genau, dass es Wochen dauern würde, sie ausfindig zu machen!« Der Präsident wandte sich an Chotas. »Dem Antrag wird statt gegegeben.

Peter Demonides vernahm einen Zeugen.

»Würden Sie bitte Ihren Namen nennen?«

»George Mousson.«

»Was sind Sie von Beruf?«

»Ich bin Empfangschef im Palace Hotel in Ioannina.«

»Würden Sie bitte die beiden Angeklagten dort drüben ansehen? Haben Sie einen der beiden früher schon einmal gesehen?«

»Den Mann. Er war im vergangenen August Gast in unserem Hotel.«

»Das wäre also Mr. Lawrence Douglas?«

»Ja.«

»War er allein, als er sich anmeldete?«

»Nein.«

»Würden Sie uns sagen, wer ihn begleitet hat?«

»Seine Frau.«

»Catherine Douglas?«

»Ja.«

»Und sie trugen sich als Mr. und Mrs. Douglas ein?«

»Ja.«

»Haben Sie mit Mr. Douglas über die Höhlen von Perama gesprochen?«

»Ja, wir sprachen darüber.«

»Hatten Sie das Thema angeschnitten, oder war es Mr. Douglas?«

»Wenn ich mich recht entsinne, war er es. Er fragte mich

nach ihnen und sagte, seine Frau wolle sie unbedingt besichtigen. Sie liebe Höhlen, sagte er. Ich fand das ungewöhnlich.«

»So? Warum?«

»Nun ja, Frauen interessieren sich nicht für Erforschungen und dergleichen.«

»Sie haben nicht zufällig mal mit Mrs. Douglas über die Höhlen gesprochen? Oder?«

»Nein, nur mit Mr. Douglas.«

»Und was haben Sie ihm gesagt?«

»Nun, ich erinnere mich, dass ich ihm gesagt habe, die Höhlen könnten gefährlich werden.«

»Ist von einem Führer gesprochen worden?«

Der Empfangschef nickte. »Ja, ich bin sicher, dass ich ihm geraten habe, sich einen Führer zu nehmen. Ich empfehle das allen unseren Gästen.«

»Keine weiteren Fragen. Ihr Zeuge, Herr Verteidiger.«

»Wie lange arbeiten Sie denn schon im Hotelgewerbe, Herr Mousson?«

»Über zwanzig Jahre.«

»Und vorher waren Sie Psychiater?«

»Ich? Nein.«

»Dann vielleicht Psychologe?«

»Nein.«

»Ach so. Dann sind Sie also kein Experte für die Verhaltensweisen von Frauen?«

»Nun, ich bin vielleicht kein Psychiater, aber im Hotelfach lernt man eine Menge über Frauen.«

»Wissen Sie, wer Osa Johnson ist?«

»Osa wer? Nein.«

»Sie ist eine weltberühmte Forscherin. Haben Sie je von Amelia Earhart gehört?«

»Nein.«

»Oder Margaret Mead?«

»Nein.«

»Sind Sie verheiratet, Herr Mousson?«

»Zur Zeit nicht. Aber ich bin dreimal verheiratet gewesen und kann also schon als Experte gelten, was die Frauen betrifft.«

»Ganz im Gegenteil, Herr Mousson. Ich behaupte, wenn Sie ein Experte für Frauen wären, dann wären Sie wenigstens mit einer Ehe erfolgreich fertig geworden. Keine weiteren Fragen.«

»Ihr Name, bitte.«

»Christopher Cocyannis.«

»Würden Sie uns Ihren Beruf angeben?«

»Ich bin Führer in den Höhlen von Perama.«

»Wie lange sind Sie dort schon Führer?«

»Zehn Jahre.«

»Gehen die Geschäfte gut?«

»Sehr gut. Jedes Jahr kommen Tausende von Touristen, um die Höhlen zu besichtigen.«

»Würden Sie sich bitte den Mann ansehen, der dort drüben sitzt. Haben Sie Herrn Douglas schon einmal gesehen?«

»Ja. Er war im August in den Höhlen.«

»Sind Sie sicher?«

»Absolut.«

»Nun gut, aber ich glaube, dass wir hier alle vor einem Rätsel stehen, Herr Cocyannis. Wie kommt es, dass Sie sich unter Tausenden von Besuchern an eine einzelne Person erinnern können?«

»Ihn werde ich nicht so schnell vergessen.«

»Warum das?«

»Zunächst einmal, er wollte keinen Führer nehmen.«

»Nehmen denn alle Besucher der Höhlen einen Führer?«

»Die Deutschen und die Franzosen sind dazu zu geizig, aber alle Amerikaner tun es.«

Gelächter.

»Ich verstehe. Gibt es noch einen anderen Grund, weshalb Sie sich an Larry Douglas erinnern?«

»Das kann man wohl sagen. Er wäre mir sicher nicht besonders aufgefallen, wenn die Sache mit dem Führer nicht gewesen wäre, und der Frau, die ihn begleitete, schien es etwas peinlich zu sein, dass er ablehnte. Aber dann sah ich ihn etwa eine Stunde später schnell aus dem Eingang zu den Höhlen herauskommen, und er war allein und schien sehr verstört zu sein, und ich dachte, vielleicht hat die Frau einen Unfall gehabt oder es ist sonst etwas passiert. Ich ging also auf ihn zu und fragte, ob mit der Dame alles in Ordnung sei, und dann starrte er mich so komisch an und sagte: >Was für eine Dame?< Und ich sagte: >Die Dame, mit der Sie zusammen in die Höhlen gegangen sind.< Da wurde er sehr blass, und ich dachte, er würde mich schlagen. Und dann fing er an zu schreien: >Ich habe sie verloren! Ich brauche Hilfe!< Und dann benahm er sich wie ein Verrückter.«

»Aber er rief erst um Hilfe, nachdem Sie ihn nach der Frau gefragt hatten?«

»Jawohl.«

»Und was geschah dann?«

»Also, ich rief die anderen Führer herbei, und dann fingen wir an zu suchen. Irgendein verdammter Narr hatte das Warnschild vor dem neuen Abschnitt der Höhlen entfernt. Er ist für die Öffentlichkeit noch nicht zugänglich. Und dort fanden wir sie dann schließlich drei Stunden später. Sie war in ziemlich schlechter Verfassung.«

»Eine letzte Frage noch. Und beantworten Sie sie sehr sorgfältig. Als Mr. Douglas aus der Höhle herauskam, sah er sich da nach jemandem um, der ihm helfen könnte, oder hatten Sie den Eindruck, dass er fortwollte?«

»Er wollte fort.«

»Ihr Zeuge.«

Napoleon Chotas' Stimme klang sehr freundlich.

»Herr Cocyannis. Sind Sie Psychiater?«

»Nein, ich bin Fremdenführer.«

»Und Sie sind auch kein Hellseher?«

»Nein.«

»Ich frage Sie das, weil wir in der vergangenen Woche hier Hotelangestellte hatten, die Fachleute für Psychologie waren, Augenzeugen, die kurzsichtig sind, und jetzt kommen Sie und erklären, Sie brauchen einen Mann, der Ihre Aufmerksamkeit erregte, weil er aufgeregt schien, nur anzusehen, um seine Gedanken lesen zu können. Woher wollen Sie wissen, dass er nicht Hilfe suchte, als Sie auf ihn zugingen und ihn ansprachen?«

»Er sah nicht danach aus.«

»Und Sie können sich an sein Verhalten so genau erinnern?«

»Ja, das kann ich.«

»Dann haben Sie offensichtlich ein bemerkenswertes Gedächtnis. Ich möchte, dass Sie sich hier im Gerichtssaal einmal umsehen. Haben Sie irgend jemanden in diesem Saal schon früher einmal gesehen?«

»Den Angeklagten.«

»Ja. Aber abgesehen von ihm? Lassen Sie sich Zeit.«

»Nein.«

»Würden Sie sich daran erinnern, wenn es so wäre?«

»Unbedingt.«

»Haben Sie mich vor dem heutigen Tag schon einmal gesehen?«

»Nein.«

»Wollen Sie sich bitte einmal dieses Stück Papier ansehen? Können Sie mir sagen, was das ist?«

»Es ist eine Eintrittskarte.«

»Wofür?«

»Für die Höhlen von Perama.«

»Und von welchem Datum?«

»Vom Montag vor drei Wochen.«

»Ja, das stimmt. Diese Eintrittskarte wurde von mir gekauft und benutzt, Herr Cocyannis. Zu meiner Gruppe gehörten noch

fünf weitere Personen. Sie waren unser Führer. Keine weiteren Fragen.«

»Was sind Sie von Beruf?«

»Ich bin Page im Palace Hotel in Ioannina.«

»Sehen Sie sich die Angeklagte auf der Anklagebank dort drüben an. Haben Sie sie früher schon einmal gesehen?«

»Ja, im Film.«

»Haben Sie sie vor dem heutigen Tag schon einmal persönlich gesehen?«

»Ja. Sie kam in unser Hotel und fragte mich, welche Zimmernummer Mr. Douglas hätte. Ich sagte ihr, da müsse sie beim Empfang nachfragen, aber sie sagte, sie wolle den Empfang nicht belästigen, darum nannte ich ihr die Nummer seines Bungalows.«

»Und wann war das?«

»Am 1. August, an dem Tag, als wir den meltemi hatten.«

»Sind Sie auch sicher, dass es gerade diese Frau war?«

»Wie sollte ich sie vergessen! Sie hat mir zweihundert Drachmen Trinkgeld gegeben.«

Der Prozess ging in die vierte Woche. Jeder war der Meinung, dass Napoleon Chotas die beste Verteidigung führte, die man je erlebt hatte. Und trotzdem wurde das Gespinst der Schuld dichter und dichter gewoben.

Peter Demonides entwickelte das Bild zweier Liebender, die sich verzweifelt wünschten, zusammen zu sein, zu heiraten, und nur Catherine Douglas stand ihnen im Weg. Langsam, Tag um Tag, enthüllte Demonides das Mordkomplott.

Larry Douglas' Anwalt Frederick Stavros war froh, dass er seine Position räumen und sich auf Napoleon Chotas verlassen konnte. Doch jetzt begann selbst Stavros zu glauben, dass nur noch ein Wunder die Verurteilung abwenden konnte. Stavros starrte auf den leeren Platz im dicht besetzten Gerichtssaal und fragte sich, ob Constantin Demiris wirklich in Erscheinung treten würde. Wenn Noelle Page verurteilt wurde, würde der griechische Magnat wahrscheinlich nicht kommen, denn das bedeutete, dass er unterlegen war. Andererseits, wenn Demiris wusste, dass es einen Freispruch gab, würde er sich wahrscheinlich zeigen. Der leere Platz wurde zu einem Symbol dafür, welchen Verlauf der Prozess nehmen würde.

Der Platz blieb leer.

Es war an einem Freitagnachmittag, als die Entscheidung schließlich fiel.

»Würden Sie bitte Ihren Namen nennen?«

»Dr. Kazomides, John Kazomides.«

»Sind Sie Mr. oder Mrs. Douglas je begegnet?«

»Ja, beiden.«

»Aus welchem Anlass?«

»Ich wurde zu den Höhlen von Perama gerufen. Eine Frau hatte sich dort verirrt, und als sie schließlich von einem Suchtrupp gefunden wurde, befand sie sich in einem tiefen Schock.«

»Hatte sie sich verletzt?«

»Ja. Sie wies zahlreiche Prellungen auf. Ihre Hände, ihre Arme und ihr Gesicht waren von den scharfen Steinen stark zerkratzt. Sie war gefallen und hatte sich den Kopf aufgeschlagen, und ich vermutete, dass sie sich eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Ich gab ihr auf der Stelle eine Morphiumspritze gegen die Schmerzen und ordnete an, sie in das örtliche Krankenhaus einzuliefern.«

»Und wurde sie dorthin gebracht?«

»Nein.«

»Würden Sie den Geschworenen sagen, warum nicht?«

»Ihr Mann bestand darauf, dass sie in ihren Hotel-Bungalow zurückgebracht werde.«

»Kam Ihnen das nicht sonderbar vor, Doktor?«

»Er sagte, er wolle sich selbst um sie kümmern.«

»Mrs. Douglas wurde also in ihr Hotel zurückgebracht. Haben Sie sie dorthin begleitet?«

»Ja. Ich bestand darauf. Ich wollte bei ihr sein, wenn sie wieder zu sich kam.«

»Und waren Sie da, als sie wieder zu sich kam?«

»Ja.«

»Hat Mrs. Douglas mit Ihnen gesprochen?«

»Ja, sie sprach mit mir.«

»Würden Sie dem Gericht mitteilen, was sie gesagt hat?«

»Sie sagte mir, ihr Mann habe sie ermorden wollen.«

Es dauerte ganze fünf Minuten, den Aufruhr im Zuschauerraum zu beruhigen, und erst als der Gerichtspräsident drohte, den Saal räumen zu lassen, legte sich der Tumult endgültig. Napoleon Chotas war aufgestanden und zur Anklagebank gegangen, wo er sich flüsternd mit Noelle Page besprach. Zum ersten Mal schien sie ihre Fassung zu verlieren. Demonides setzte die Vernehmung des Zeugen fort.

»Doktor, Sie haben eben ausgesagt, dass Mrs. Douglas sich in einem tiefen Schock befand. Sind Sie der sachlich fundierten Meinung, dass Mrs. Douglas bei klarem Bewusstsein war, als sie Ihnen sagte, ihr Mann habe sie ermorden wollen?«

»Ja. Ich hatte ihr schon ein Beruhigungsmittel in der Höhle gegeben, und sie war verhältnismäßig ruhig. Doch als ich ihr sagte, ich würde ihr ein weiteres Mittel verabreichen, wurde sie außerordentlich erregt und bat mich, es nicht zu tun.«

Der Gerichtspräsident beugte sich vor und fragte: »Hat sie Ihnen erklärt, warum?«

»Ja, Euer Ehren. Sie sagte, ihr Mann würde sie töten, während sie schliefe.«

Der Präsident lehnte sich nachdenklich in seinem Sessel zurück und sagte zu Peter Demonides: »Sie können fortfahren.«

»Dr. Kazomides, haben Sie Mrs. Douglas dann tatsächlich ein weiteres Beruhigungsmittel gegeben?«

»Ja.«

»Während sie in ihrem Bett im Bungalow lag?«

»Ja.«

»Wie haben Sie es ihr verabreicht?«

»Als Spritze. In die Hüfte.«

»Und schlief sie, als Sie sie verließen?«

»Ja.«

»Bestand die Möglichkeit, dass Mrs. Douglas innerhalb der nächsten Stunden erwachen, aufstehen, sich ohne Hilfe anziehen und ohne jede Unterstützung allein das Haus verlassen konnte?«

»In ihrem Zustand? Nein. Das ist höchst unwahrscheinlich. Sie stand unter sehr stark wirkenden Medikamenten.«

»Das ist alles. Ich danke Ihnen, Doktor.«

Die Geschworenen starrten Noelle Page und Larry Douglas an, und ihre Gesichter waren kalt und feindselig geworden. Wenn ein Fremder unvermittelt in den Gerichtssaal gekommen wäre, hätte er auf der Stelle gewusst, welche Richtung der Prozess eingeschlagen hatte.

Bill Fräsers Augen leuchteten vor Befriedigung. Nach der Aussage von Dr. Kazomides konnte nicht der leiseste Zweifel mehr daran bestehen, dass Catherine von Larry Douglas und Noelle Page ermordet worden war. Nichts, was Napoleon Chotas noch unternehmen konnte, würde vor den Augen der Geschworenen das Bild einer angsterfüllten Frau auslöschen, die, von Medikamenten benommen und hilflos, darum flehte, nicht den Händen ihres Mörders überlassen zu werden.

Frederick Stavros war außer sich. Er hatte Napoleon Chotas gern den Vortritt überlassen, war ihm in blindem Glauben gefolgt, voller Zuversicht, dass es Chotas gelingen werde, für seine Klientin und damit auch für Stavros' Klienten einen Freispruch durchzusetzen. Jetzt kam er sich verraten vor. Alles fiel auseinander. Die Aussage des Arztes hatte nicht wieder gut zu machenden Schaden angerichtet, sowohl durch ihren sachlichen Inhalt als auch durch ihre emotionellen Auswirkungen. Stavros blickte sich im Saal um. Von dem einen mysteriöserweise freigehaltenen Platz abgesehen, war er voll. Die Weltpresse war anwesend und wartete darauf, zu berichten, was als nächstes kam.

Stavros hatte einen Augenblick das Wunschbild, er springe auf, nehme sich den Doktor vor und zerfetze dessen Aussage mit brillanten Argumenten. Sein Klient würde freigesprochen werden, und er, Stavros, wäre der Held des Tages. Er wusste, dass er hier seine letzte Chance hatte. Der Ausgang dieses Prozesses würde darüber entscheiden, ob ihm Ruhm oder Vergessenheit bevorstand. Stavros spürte tatsächlich, dass sich seine Beinmuskeln spannten, ihn drängten aufzustehen. Aber er konnte sich nicht bewegen. Er saß da, gelähmt von dem überwältigenden Gespenst des Versagens. Er drehte sich zu Chotas um. Die tief liegenden Augen in dem Bluthundgesicht studierten den Doktor im Zeugenstand, als versuchte er, zu einem Entschluss zu kommen.

Langsam erhob sich Napoleon Chotas von seinem Platz. Doch statt zu dem Zeugen hinüberzugehen, trat er vor den Richtertisch und wandte sich mit leiser Stimme an die Richter.

»Herr Präsident, Euer Ehren, ich beabsichtige nicht, diesen Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen. Mit der Erlaubnis des Gerichts möchte ich um eine Unterbrechung der Sitzung bitten, um unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit dem Hohen Gericht und dem Anklagevertreter zu beraten.«

Der Gerichtspräsident wandte sich an den Ankläger. »Herr Demonides?«

»Kein Einwand«, sagte Demonides. Seine Stimme klang argwöhnisch.

Die Sitzung wurde unterbrochen. Nicht einer der Zuschauer rührte sich von seinem Platz.

Dreißig Minuten später kehrte Napoleon Chotas allein in den Gerichtssaal zurück. In dem Augenblick, als er durch die Tür des Beratungszimmers trat, spürte jeder im Saal, dass sich etwas Wichtiges ereignet hatte. Das Gesicht des Anwalts zeigte eine geheimnisvolle Zufriedenheit, sein Gang war schneller und elastischer, als ob eine Scharade zu Ende wäre und es nicht mehr nötig sei, das Spiel mitzumachen. Chotas kam zur Anklagebank herüber und sah auf Noelle hinab. Sie blickte auf, ihre tiefblauen Augen waren forschend und angstvoll. Und ein plötzliches Lächeln erschien auf den Lippen des Anwalts, und an dem Licht in seinen Augen erkannte Noelle, dass er es irgendwie geschafft hatte, dass es ihm trotz aller belastenden Beweise, trotz aller Widrigkeiten gelungen war, das Wunder zu bewirken. Das Recht hatte triumphiert, aber es war das Recht von Constantin Demiris. Auch Larry Douglas blickte starr auf Chotas, von Angst und Hoffnung erfüllt. Doch was Chotas auch vollbracht hatte, es war für Noelle. Aber was wurde mit ihm?

Chotas wandte sich mit bedacht unbeteiligter Stimme an Noelle. »Der Gerichtspräsident hat mir erlaubt, mit Ihnen in seinem Zimmer zu sprechen.« Dann wandte er sich an Frederick Stavros, der in quälender Unsicherheit dasaß, weil er nicht wusste, was vorging. »Sie und Ihr Klient haben die Erlaubnis, sich uns anzuschließen, wenn Sie es wünschen.«

Stavros nickte. »Selbstverständlich.« Er erhob sich rasch und warf dabei in seinem Übereifer beinahe seinen Sessel um.

Zwei Aufseher begleiteten sie in das leere Zimmer des Gerichtspräsidenten. Nachdem die Aufseher sie verlassen hatten und sie allein waren, wandte Chotas sich an Frederick Stavros. »Was ich zu sagen habe«, begann er ruhig, »liegt im Interesse meiner Klientin. Weil die beiden jedoch gemeinsam angeklagt sind, konnte ich durchsetzen, dass Ihrem Klienten die gleichen Zugeständnisse gemacht werden wie der meinen.«

»Sprechen Sie doch!« drängte Noelle ungeduldig.

Chotas wandte sich ihr zu. Er sprach langsam und wählte seine Worte sehr sorgfältig. »Ich habe gerade mit den Richtern beraten«, sagte er. »Sie sind sehr beeindruckt von dem Belastungsmaterial, das die Anklage gegen Sie vorgebracht hat. Jedoch« – er ließ eine kleine Pause eintreten -, »ich konnte sie – hm – davon überzeugen, dass dem Interesse der Gerechtigkeit nicht gedient wird, wenn man Sie verurteilt.«

»Was wird geschehen?« fragte Stavros in fieberhafter Ungeduld.

Der Ton tiefer Befriedigung schwang in Chotas Stimme mit, als er fort fuhr: »Wenn die Angeklagten bereit sind, ihre Erklärung zu ändern und sich schuldig zu bekennen, haben die Richter eingewilligt, jeden von Ihnen zu fünf Jahren zu verurteilen.« Er lächelte und fügte hinzu: »Vier Jahre werden Ihnen davon erlassen werden. In Wirklichkeit brauchen Sie nicht mehr als sechs Monate zu verbüßen.« Er wandte sich an Larry. »Weil Sie Amerikaner sind, werden Sie ausgewiesen. Es wird Ihnen nicht erlaubt, jemals nach Griechenland zurückzukehren.«

Larry nickte. Er spürte die Erleichterung, die ihn überflutete, geradezu körperlich.

Chotas wandte sich wieder Noelle zu. »Das war keineswegs leicht zu erreichen. Ich muss Ihnen in aller Offenheit sagen, dass der primäre Grund für die Nachsicht des Gerichts das Interesse Ihres – hm – Beschützers ist. Die Richter sind der Ansicht, dass er durch die ganze Publizität bereits unbillig zu leiden hatte, und sind sehr darauf bedacht, dass das ein Ende findet.«

»Ich verstehe«, sagte Noelle.

Napoleon Chotas zögerte verlegen. »Es wird jedoch noch eine weitere Bedingung gestellt.«

Noelle sah ihn an. »Ja?«

»Ihr Pass wird eingezogen. Es wird Ihnen nie mehr erlaubt, Griechenland zu verlassen. Sie werden unter dem Schutz Ihres Freundes hier bleiben.«

Constantin Demiris hatte sein Wort gehalten. Noelle glaubte keinen Augenblick, dass die Richter nachsichtig waren, weil sie sich über die unerfreuliche Publizität, der Demiris ausgesetzt war, Gedanken machten. Nein, er hatte für ihre Freiheit einen Preis zahlen müssen, und Noelle wusste, dass er beträchtlich gewesen sein musste. Doch als Gegenleistung bekam Demiris sie zurück und hatte Vorsorge getroffen, dass sie ihn nie mehr verlassen oder Larry wieder sehen konnte. Sie drehte sich zu Larry um und las die Erleichterung von seinem Gesicht ab. Er würde freigelassen werden, das war alles, was für, ihn zählte. Da war kein Bedauern darüber, dass er sie verlor, oder über das, was geschehen war. Aber Noelle verstand, weil sie Larry verstand, denn er war ihr anderes Ich, ihr Doppelgänger, und sie waren beide von der gleichen Lebensgier besessen, dem gleichen unstillbaren Hunger. Sie waren verwandte Seelen über den Tod hinaus, über die Gesetze hinaus, die sie nicht gemacht und nach denen sie nie gelebt hatten. Auf ihre Weise würde Noelle Larry sehr vermissen, und wenn er ging, würde ein Teil ihrer selbst mit ihm gehen. Doch sie wusste jetzt, wie kostbar ihr Leben für sie war und welch wahnsinnige Angst sie erfüllte, es zu verlieren. Wenn sie alles gegeneinander abwog, war es ein gutes Geschäft, und sie nahm es dankbar an. Sie wandte sich an Chotas und sagte: »Ich bin einverstanden.«

Chotas blickte sie an, und in seinen Augen lag sowohl Trauer wie Befriedigung. Auch das verstand Noelle. Er liebte sie und hatte sein ganzes Können einsetzen müssen, um sie für einen anderen Mann zu retten. Noelle hatte Chotas bewusst ermutigt, sich in sie zu verlieben, weil sie ihn brauchte, ihn brauchte, um sicher zu sein, dass er vor nichts zurückschrecken würde, um sie zu retten. Und alles hatte sich bewährt.

»Ich finde es absolut wunderbar«, stammelte Frederick Stavros. Stavros hielt es wirklich für ein Wunder. Es war fast so gut wie ein Freispruch, und wenn es auch zutraf, dass Napoleon Chotas den größten Teil des Gewinns für sich einstreichen würde, so musste der Abfall am Rande immer noch ungeheuer sein. Von diesem Augenblick an konnte Stavros sich seine Klienten aussuchen, und jedes Mal, wenn er die Geschichte dieses Prozesses erzählte, würde seine Rolle größer und größer werden.

»Hört sich wie ein gutes Geschäft an«, sagte Larry. »Der einzige schwache Punkt ist, dass wir nicht schuldig sind. Wir haben Catherine nicht getötet.«

Frederick Stavros drehte sich wütend zu ihm um. »Wen interessiert das schon, ob Sie schuldig sind oder nicht?« schrie er. »Wir schenken Ihnen das Leben.« Er warf Chotas einen raschen Blick zu, um zu sehen, wie er auf das »wir« reagierte, aber der Anwalt hörte nur zu. Seine Haltung war die einer unbeteiligten Neutralität.

»Ich möchte eines klarmachen«, sagte Chotas zu Stavros, »ich berate nur meine Klientin. Ihrem Klienten steht es frei, seine eigene Entscheidung zu treffen.«

»Was würde aus uns ohne diese Vereinbarung werden?« fragte Larry.

»Die Geschworenen hätten«, begann Frederick Stavros.

»Ich will es von ihm hören«, unterbrach Larry schroff. Er wandte sich Chotas zu.

»In einem Prozess«, erwiderte Chotas, »ist der wichtigste Faktor nicht die Schuld oder Unschuld, sondern der Eindruck von der Unschuld oder Schuld. Es gibt keine absolute Wahrheit, sondern nur eine Interpretation der Wahrheit. In diesem Fall spielt es keine Rolle, ob Sie an dem Mord nicht schuldig sind, die Geschworenen haben den Eindruck, dass Sie schuldig sind. Deswegen wären Sie verurteilt worden, und deswegen würden Sie letzten Endes genauso tot sein.«

Larry sah ihn lange an, dann nickte er. »Also gut«, sagte er. »Bringen wir es hinter uns.«

Fünfzehn Minuten später standen die beiden Angeklagten vor dem Richtertisch. Der Gerichtspräsident saß in der Mitte, flankiert von seinen beiden Beisitzern. Napoleon Chotas stand neben Noelle Page, und Frederick Stavros stand an der Seite von Larry Douglas. Der Gerichtssaal war von einer elektrischen Spannung geladen, denn es hatte sich im Saal herumgesprochen, dass eine dramatische Wendung bevorstehe. Doch als sie kam, wurde jeder davon völlig unvorbereitet überrascht. In förmlichem, pedantischem Ton, als hätte er gerade ein geheimes Abkommen mit den drei Juristen hinter dem Richtertisch abgeschlossen, sagte Napoleon Chotas: »Herr Präsident, Euer Ehren, meine Klientin wünscht, ihr Bekenntnis von nicht schuldig in schuldig abzuändern.«

Der Gerichtspräsident lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah Chotas überrascht an, als ob er diese Nachricht zum ersten Mal hörte.

Er spielt es bis zur letzten Konsequenz durch, dachte Noelle. Er will sich sein Geld verdienen oder was Demiris ihm sonst dafür bezahlt.

Der Präsident beugte sich vor und beriet sich hastig flüsternd mit den beiden anderen Richtern. Sie nickten, und der Präsident blickte auf Noelle herab und fragte: »Wünschen Sie, Ihr Bekenntnis in schuldig abzuändern?«

Noelle nickte und antwortete mit fester Stimme: »Ja.«

Frederick Stavros ergriff schnell das Wort, als ob er befürchtete, bei der Prozedur übergangen zu werden. »Hohes Gericht, mein Klient wünscht ebenfalls, sein Bekenntnis von nicht schuldig in schuldig abzuändern.«

Der Präsident wandte sich Larry zu und betrachtete ihn. »Wünschen Sie, Ihr Bekenntnis in schuldig abzuändern?«

Larry sah Chotas an und nickte dann. »Ja.«

Der Präsident musterte die beiden Angeklagten mit ernstem Gesicht. »Haben Ihre Anwälte Sie darüber unterrichtet, dass nach griechischem Recht die Strafe für ein Verbrechen des vorsätzlichen Mordes die Hinrichtung ist?«

»Ja, Euer Ehren.« Noelles Stimme klang fest und klar.

Der Präsident sah Larry an.

»Ja«, sagte Larry.

Wieder folgte eine geflüsterte Beratung unter den Richtern.

Der Gerichtspräsident wandte sich Demonides zu. »Erhebt die Anklagevertretung Einwände gegen die Änderung der Bekenntnisse?« Demonides sah Chotas lange an. »Keine.«

Noelle fragte sich, ob er an dem Geschäft auch beteiligt war oder ob er nur einfach als Bauer in diesem Spiel benutzt wurde.

»Sehr gut«, sagte der Gerichtspräsident. »Das Gericht hat keine andere Wahl, als diese Änderung der Bekenntnisse zu akzeptieren.« Er wandte sich an die Geschworenen. »Meine Herren, in Anbetracht dieser neuen Entwicklung sind Sie hiermit von Ihren Pflichten als Geschworene entbunden. Der Prozess ist damit zu seinem Abschluss gekommen. Das Gericht wird sein Urteil fällen. Ich danke Ihnen für Ihre Dienste und Ihre Mitarbeit. Die Sitzung wird für zwei Stunden unterbrochen.«

Im nächsten Augenblick stürmten die Reporter aus dem Saal, rasten zu ihren Telefonen und Fernschreibern, um über die jüngste sensationelle Entwicklung im Mordprozess gegen Noelle Page und Larry Douglas zu berichten.

Zwei Stunden später war der Gerichtssaal zum Bersten gefüllt, als das Gericht die Verhandlung wieder aufnahm. Noelle blickte auf die Gesichter der Zuschauer im Saal. Sie beobachteten sie mit ungezügelter Neugier, und Noelle konnte sich nur mit Mühe beherrschen, über die Naivität dieser Menschen laut herauszulachen. Das war das gemeine Volk, die Masse, und sie glaubten wirklich, dass das Recht fair gehandhabt wurde, dass in einer Demokratie alle Menschen gleich waren, dass ein armer Mann die gleichen Rechte und Privilegien hatte wie ein reicher.

»Die Angeklagten mögen aufstehen und vor den Richtertisch treten.«

Anmutig erhob Noelle sich von ihrem Platz und ging nach vorn, Chotas an ihrer Seite. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass Larry und Stavros gleichfalls vortraten.

Der Gerichtspräsident ergriff das Wort. »Dies war ein langer und schwieriger Prozess«, begann er. »Wenn im Fall von Kapitalverbrechen angemessene Zweifel an der Schuld bestehen, ist das Gericht immer bereit, zugunsten des Angeklagten zu entscheiden. Ich muss zugeben, dass wir in diesem Fall der Ansicht waren, dass solche Zweifel vorlagen. Die Tatsache, dass die Anklage nicht in der Lage war, ein Corpus delicti vorzuweisen, war ein starker Punkt zugunsten der Angeklagten,« Er wandte sich an Napoleon Chotas. »Ich bin überzeugt, dass Ihnen als erfahrenem Strafverteidiger wohlbekannt ist, dass griechische Gerichte in Fällen, bei denen ein Mord nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, nie ein Todesurteil gefällt haben.«

Ein leichtes Gefühl des Unbehagens streifte Noelle, noch nichts Alarmierendes, nur ein Hauch, eine flüchtige Andeutung. Der Präsident fuhr fort.

»Meine Kollegen und ich waren aus diesem Grund offen gestanden überrascht, als die Angeklagten sich mitten im Prozess entschlossen, ihr Bekenntnis in schuldig zu ändern.«

Das Unbehagen saß jetzt in Noelles Magengrube, wuchs, stieg nach oben, begann ihr die Kehle zuzuschnüren, so dass ihr das Atmen schwer fiel. Larry starrte den Richter an, er begriff noch nicht völlig, was vorging.

»Wir wissen die quälende Gewissensergründung zu würdigen, der sich die Angeklagten unterworfen haben müssen, ehe sie sich entschließen konnten, vor diesem Gericht und vor der Welt ihre Schuld zu bekennen. Jedoch kann diese Erleichterung ihres Gewissens nicht als Sühne für das schreckliche Verbrechen akzeptiert werden, zu dem sie sich bekannt haben, die kaltblütige Ermordung einer hilflosen und wehrlosen Frau.«

In diesem Augenblick wusste Noelle mit einer plötzlichen, alles zerschmetternden Gewissheit, dass sie getäuscht worden war. Demiris hatte ein Ränkespiel getrieben, um sie in falscher Sicherheit zu wiegen und ihr dies antun zu können. Das war sein Spiel, das war die Falle, die er ihr gestellt hatte. Er hatte genau gewusst, wie sehr sie sich vor dem Sterben fürchtete, darum hatte er ihr die Hoffnung auf Leben vorgegaukelt, und sie war darauf hereingefallen, hatte ihm geglaubt, und er hatte sie überlistet. Demiris hatte seine Rache jetzt gewollt, nicht später. Ihr Leben hätte gerettet werden können. Selbstverständlich hatte Chotas gewusst, dass sie nicht zum Tode verurteilt werden konnte, solange keine Leiche vorzuweisen war. Er hatte kein Abkommen mit den Richtern getroffen. Chotas hatte seine ganze Verteidigung darauf ausgerichtet, Noelle in den Tod zu locken. Sie wandte sich ihm zu. Er sah auf, um ihrem Blick zu begegnen, und seine Augen waren von echter Trauer erfüllt. Er liebte sie, und er hatte sie ermordet, und wenn er noch einmal damit zu tun hätte, würde er dasselbe wieder tun, denn am Ende war er Demiris' Mann, genauso wie sie Demiris' Frau gewesen war, und keiner von ihnen beiden kam gegen seine Macht an.

Der Gerichtspräsident fuhr fort: »... und infolge der mir vom Staat erteilten Vollmacht und in Übereinstimmung mit den Gesetzen verkünde ich das Urteil gegen die beiden Angeklagten. Noelle Page und Lawrence Douglas werden zum Tod durch Erschießen verurteilt ... Das Urteil wird innerhalb der nächsten neunzig Tage von heute an vollstreckt werden.«

Im Gerichtssaal brach die Hölle los, aber Noelle hörte und sah nichts davon. Etwas veranlasste sie, sich umzudrehen. Der freie Platz im Saal war nicht länger leer. Constantin Demiris saß dort. Er war frisch rasiert und frisiert. Er hatte einen makellos geschnittenen Anzug aus blauer Rohseide an, trug dazu ein lichtblaues Hemd und eine seidene Krawatte. Seine olivdunklen Augen leuchteten belebt. Kein Anzeichen von dem geschlagenen, zusammenbrechenden Mann, der sie im Gefängnis besucht hatte, war mehr da, denn dieser Mann hatte niemals existiert.

Constantin Demiris war gekommen, um Noelle im Augenblick ihrer Niederlage zu beobachten, sich an ihrem Entsetzen zu weiden. Seine dunklen Augen bohrten sich in die ihren, und im Bruchteil eines Augenblicks erkannte sie die tiefe, bösartige Befriedigung darin. Aber etwas anderes lag noch in dem Blick. Bedauern vielleicht, doch es war verschwunden, ehe sie es wahrnehmen konnte, und jetzt war ohnehin alles zu spät.

Die Schachpartie war endgültig vorüber.

Larry hatte die letzten Worte des Gerichtspräsidenten in entsetztem Unglauben angehört, und als ein Gerichtsdiener an ihn herantrat und ihn am Arm fasste, schüttelte er ihn ab und wandte sich wieder dem Richtertisch zu.

»Augenblick!« schrie er. »Ich habe sie nicht getötet! Man hat mich hereingelegt!«

Ein zweiter Gerichtsdiener eilte hinzu, und die beiden Männer hielten Larry fest. Einer zog ein Paar Handschellen hervor.

»Nein!« schrie Larry. »Hören Sie mich an! Ich habe sie nicht getötet!«

Er versuchte, sich von den Gerichtsdienern zu befreien, aber die Handschellen schnappten ein, und sie zogen ihn fort.

Noelle spürte einen Druck auf ihrem Arm. Eine Aufseherin wartete neben ihr, um sie aus dem Saal zu führen.

»Man wartet auf Sie, Mademoiselle Page.«

Es war wie der Ruf zum Auftritt im Theater. Man wartet auf Sie, Mademoiselle Page. Doch wenn dieses Mal der Vorhang gefallen war, würde er nie wieder aufgehen. Die Erkenntnis überfiel Noelle, dass sie zum letzten Mal in ihrem Leben vor einem Publikum stand, das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie ohne trennende Gitter von Menschen umgeben war. Dies war ihre Abschiedsvorstellung, in diesem schmutzigen, düsteren griechischen Gerichtssaal, ihr letzter Auftritt. Nun, dachte sie trotzig, jedenfalls habe ich ein volles Haus. Zum letzten Mal sah sie sich in dem überfüllten Saal um.

Sie sah Armand Gautier, der sie in benommenem Schweigen anstarrte, dieses eine Mal aus seinem Zynismus aufgestört.

Da war Philippe Sorel, sein narbiges Gesicht bemühte sich angestrengt um ein ermutigendes Lächeln, aber es gelang ihm nicht ganz.

Auf der anderen Seite des Saals war Israel Katz. Seine Augen waren geschlossen, und seine Lippen bewegten sich lautlos wie in einem stummen Gebet. Noelle erinnerte sich an die Nacht, in der sie ihn im Kofferraum des Generals unter der Nase des Albino-Gestapo-Offiziers aus Paris geschmuggelt hatte, und an die Angst, die sie damals ausgestanden hatte. Doch es war nichts im Vergleich zu dem Entsetzen, das sich jetzt ihrer bemächtigte.

Noelles Blick wanderte durch den Raum und blieb auf dem Gesicht von Auguste Lanchon, dem Ladenbesitzer, haften. Sie konnte sich an seinen Namen nicht erinnern, aber sie erinnerte sich an sein Schweinsgesicht und an seinen schweren, schwammigen Körper und das schäbige Hotelzimmer in Vienne. Als er bemerkte, dass sie ihn ansah, blinzelte er und senkte den Blick.

Ein hoch gewachsener, attraktiver Mann mit grauem Haar, der wie ein Amerikaner aussah, stand auf und blickte zu ihr herüber, als ob er ihr etwas sagen wollte. Noelle hatte keine Ahnung, wer er war.

Die Aufseherin zog sie jetzt am Arm und sagte: »Kommen Sie, Mademoiselle Page ...«

Frederick Stavros befand sich in einem Schockzustand. Er war nicht nur Zeuge eines kaltblütigen Ränkespiels geworden, er war daran beteiligt gewesen. Er konnte zum Gerichtspräsidenten gehen und ihm berichten, was vorgegangen war, was Chotas versprochen hatte. Aber würde man ihm glauben? Würde man seinem Wort gegen das von Napoleon Chotas glauben? Es spielte tatsächlich keine Rolle, dachte Stavros bitter. In Zukunft war er als Rechtsanwalt erledigt. Niemand würde ihn je wieder konsultieren. Jemand nannte seinen Namen, und als er sich umdrehte, stand Chotas hinter ihm und sagte: »Wenn Sie morgen Zeit haben, kommen Sie doch mit mir Mittag essen, Frederick. Ich möchte, dass Sie meine Partner kennen lernen. Ich glaube, dass Sie eine viel versprechende Zukunft vor sich haben.«

Über die Schulter von Chotas hinweg konnte Frederick Stavros den Gerichtspräsidenten durch die Tür zum Beratungszimmer den Saal verlassen sehen. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, mit ihm zu sprechen, zu erklären, was vorgefallen war. Stavros wandte sich wieder Napoleon Chotas zu. Seine Gedanken waren noch ganz von dem Grauenvollen erfüllt, das dieser Mann getan hatte, aber er hörte sich sagen: »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Um welche Zeit wäre es Ihnen angenehm ... ?«

Nach griechischem Gesetz finden Hinrichtungen auf der kleinen Insel Ägina, eine Stunde vom Hafen von Piräus entfernt, statt. Ein Spezialboot der Regierung transportiert die Verurteilten zu der Insel. Eine Reihe kleiner grauer Klippen führt zu ihrem Hafen, und hoch oben auf einem Berg steht auf herausragenden Felsen ein Leuchtturm. Das Gefängnis von Ägina liegt auf der Nordseite der Insel, von dem kleinen Hafen aus nicht zu sehen, in dem Ausflugsboote regelmäßig Scharen aufgeregter Touristen für ein bis zwei Stunden zu Einkäufen oder Besichtigungen ausspeien, ehe die Fahrt zur nächsten Insel weitergeht. Die Besichtigung des Gefängnisses ist bei dem Rundgang nicht vorgesehen, und niemand nähert sich ihm außer in amtlichem Auftrag.

Es war vier Uhr an einem Samstagmorgen. Noelles Hinrichtung war für sechs Uhr angesetzt.

Man hatte Noelle ihr Lieblingskleid gebracht, ein weinrotes Dior-Modell aus Schurwolle, und dazu passende rote Wildlederschuhe. Sie trug ganz neue handgestickte Seidenwäsche und ein weißes Jabot aus venezianischen Spitzen. Constantin Demiris hatte ihr ihre ständige Friseuse geschickt, um sie zu frisieren. Es war, als ob Noelle sich auf eine Gesellschaft vorbereitete.

Verstandesmäßig wusste Noelle, dass es keine Begnadigung in letzter Minute geben würde, dass in kurzer Zeit ihr Körper brutal zerstört und ihr Blut auf den Boden strömen würde. Und dennoch konnte sie gefühlsmäßig die Hoffnung nicht unterdrücken, dass Constantin Demiris ein Wunder bewirken und ihr Leben schonen würde. Es müsste nicht einmal ein Wunder sein – es bedurfte nur eines Telefonanrufs, eines Wortes, eines Winks seiner goldenen Hand. Wenn er sie jetzt schonte, würde sie es ihm lohnen. Sie würde alles tun. Wenn sie ihn nur sehen könnte, würde sie ihm versprechen, nie wieder einen anderen Mann anzublicken, sich ganz der Aufgabe zu widmen, ihn für den Rest seines Lebens glücklich zu machen. Aber sie wusste, dass Betteln nichts nützen würde. Wenn Demiris zu ihr käme, ja. Wenn sie zu ihm gehen müsste, nein. Noch lagen zwei Stunden vor ihr.

Larry Douglas befand sich in einem anderen Teil des Gefängnisses. Seit seiner Verurteilung hatte seine Post sich verzehnfacht. Briefe von Frauen aus allen Teilen der Welt trafen ein, und der Gefängnisdirektor, der sich für einen gebildeten und welterfahrenen Mann hielt, war über manche von ihnen schockiert.

Larry Douglas hätte wahrscheinlich seine Freude an ihnen gehabt, wenn er etwas davon gewusst hätte. Aber er befand sich in einer narkotisierten Welt des halben Zwielichts, in der ihn nichts berührte. In den ersten Tagen auf der Insel war er gewalttätig, schrie Tag und Nacht, er sei unschuldig und verlange einen neuen Prozess. Der Gefängnisarzt hatte schließlich angeordnet, ihn ständig unter Beruhigungsmitteln zu halten.

Um zehn Minuten vor fünf, als der Gefängnisdirektor mit vier Wächtern in Larry Douglas' Zelle kam, um ihn abzuholen, saß er still und in sich versunken auf seiner Pritsche. Der Direktor musste ihn zweimal mit Namen ansprechen, ehe Larry begriff, dass sie ihn abholen wollten. Er erhob sich teilnahmslos und wie im Traum.

Der Direktor führte ihn aus der Zelle, und sie gingen in einer langsamen Prozession auf eine bewachte Tür am Ende des Ganges zu. Als sie die Tür erreichten, öffnete der Wachtposten sie, und sie traten in einen ummauerten Hof hinaus. Die Luft vor Anbruch der Dämmerung war kühl, und Larry fror, als er durch die Tür ging. Am Himmel standen der Vollmond und leuchtende Sterne. Es erinnerte ihn an die frühen Morgenstunden auf den Inseln im Südpazifik, wenn die Piloten ihre warmen Quartiere verließen und sich zu einer letzten Befehlsausgabe vor dem Start unter den kühlen Sternen versammelten. Er konnte das Rauschen des Meeres in der Ferne hören und versuchte sich zu erinnern, auf welcher Insel er sich befand und was sein Auftrag war. Mehrere Männer führten ihn zu einem Pfosten vor einer Mauer und banden ihm die Arme auf dem Rücken zusammen.

Er empfand jetzt keinen Zorn mehr, nur eine Art träger Verwunderung darüber, wie diese Befehlsausgabe gehandhabt wurde. Eine tiefe Müdigkeit erfüllte ihn, doch er wusste, dass er nicht einschlafen durfte, weil er den Einsatz zu leiten hatte. Er hob den Kopf und sah Männer in Uniform vor sich aufgereiht. Sie zielten mit Gewehren auf ihn. Alte, tief verwurzelte Instinkte in ihm gewannen die Oberhand. Sie würden aus verschiedenen Richtungen angreifen und versuchen, ihn von seiner Staffel abzudrängen, weil sie sich vor ihm fürchteten. Bei drei Uhr tief bemerkte er eine Bewegung und wusste, dass sie es auf ihn abgesehen hatten. Sie nahmen wohl an, dass er sich ihrer Reichweite entziehen würde, doch statt dessen drückte er den Steuerknüppel ganz vor und ging in einen Außenlooping, der beinahe die Flügel seines Flugzeuges abriss. Auf dem Tiefpunkt der Schleife ging er in die Gerade und vollzog eine halbe Rolle nach links. Da war keine Spur mehr von ihnen zu sehen. Er hatte sie ausmanövriert. Er begann zu steigen und sah unter sich eine Zero. Er lachte laut und steuerte seine Maschine mit Knüppel und Pedal nach rechts, bis er die Zero mitten in seinem Visier hatte. Dann fegte er wie ein Racheengel hinab, verringerte die Distanz mit schwindelerregendem Tempo. Seine Finger drückten auf den Abzugsknopf, als plötzlich ein marternder Schmerz seinen Körper durchschlug. Und noch einmal. Und noch einmal. Er spürte, wie sein Fleisch zerriss und seine Eingeweide vorquollen, und er dachte: O mein Gott! Wo kommt der her? ... Das ist ein besserer Pilot als ich ... Ich möchte wissen, wer das ist ...

Und dann begann er jäh in den Raum abzutrudeln, und alles wurde dunkel und still.

Noelle wurde in ihrer Zelle frisiert, als sie das Krachen der Salve draußen vernahm.

»Gibt es Regen?« fragte sie.

Die Friseuse sah sie einen Augenblick befremdet an, erkannte aber, dass sie wirklich nicht wusste, was das Geräusch bedeutete. »Nein«, sagte sie ruhig, »es wird ein schöner Tag.«

Und dann wusste Noelle Bescheid.

Und sie war die nächste.

Um fünf Uhr dreißig, eine halbe Stunde vor ihrer Hinrichtung, hörte Noelle auf ihre Zelle zukommende Schritte. Ihr Herz machte unwillkürlich einen Sprung. Sie war überzeugt gewesen, dass Constantin Demiris sie noch einmal sehen wollte. Sie wusste, dass sie niemals schöner ausgesehen hatte und, vielleicht, wenn er sie sah ... vielleicht ... Der Gefängnisdirektor erschien, begleitet von einem Aufseher und einer Krankenschwester mit einer großen schwarzen Arzttasche. Der Aufseher öffnete die Zellentür, und der Direktor und die Schwester kamen herein. Noelle suchte hinter ihnen nach Demiris. Der Gang war leer. Noelle fühlte ihr Herz klopfen, eine Woge der Angst überschwemmte sie und ertränkte die vage Hoffnung, die sich in ihr geregt hatte.

»Es ist doch noch nicht Zeit, oder?« fragte Noelle.

Der Direktor machte ein verlegenes Gesicht. »Nein, Made-

moiselle Page. Die Schwester möchte Ihnen einen Einlauf machen.«

Sie sah ihn verständnislos an. »Ich brauche keinen Einlauf.«

Er wurde noch verlegener. »Es wird Sie vor Peinlichkeiten bewahren.«

Jetzt verstand Noelle. Und ihre Furcht verwandelte sich in rasende Todesangst, die an ihrem Magen zerrte. Sie nickte, und der Direktor drehte sich um und verließ die Zelle. Der Aufseher schloss die Tür und ging taktvoll auf dem Gang ein Stück weiter.

»Wir wollen doch nicht dieses schöne Kleid beschmutzen«, gurrte die Schwester. »Ziehen Sie es doch einfach aus und legen Sie sich dorthin. Es dauert ja nur eine Minute.«

Die Schwester machte ihr den Einlauf, aber Noelle spürte nichts. Sie war bei ihrem Vater, und er sagte: Seht sie doch an. Ein Fremder kann erkennen, dass sie von königlichem Blut ist. Und die Menschen schlugen sich darum, sie in die Arme zu nehmen und zu halten. Ein Priester war im Raum und fragte: »Wollen Sie vor Gott ein Geständnis ablegen, mein Kind?« Aber sie schüttelte ungeduldig den Kopf, denn ihr Vater sprach, und sie wollte hören, was er sagte. Du bist als Prinzessin geboren, und dies ist dein Königreich. Wenn du erwachsen bist, wird ein schöner Prinz kommen und dich fortführen, und du wirst in einem großen schloss wohnen.

Sie ging mit mehreren Männern durch einen langen Gang, und jemand öffnete eine Tür, und sie stand im Freien in einem kalten Hof. Ihr Vater hob sie zu einem Fenster hinauf, und sie konnte die hohen Masten auf dem Wasser schaukelnder Schiffe sehen.

Die Männer führten sie zu einem Pfahl vor einer hohen Mauer, fesselten ihr die Hände auf dem Rücken, banden sie mit der Taille an den Pfahl, und ihr Vater sagte: Siehst du diese Schiffe, Prinzessin? Das ist deine Flotte. Eines Tages wird sie dich in alle Wunderländer der Welt tragen. Und er hielt sie fest an sich gedrückt, und sie fühlte sich sicher. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, warum, aber ihr Vater war böse mit ihr gewesen, doch jetzt war alles wieder gut, und er liebte sie wieder, und sie wandte sich ihm zu, aber sein Gesicht war verschwommen, und sie konnte sich nicht erinnern, wie er aussah. Sie konnte sich nicht an das Gesicht ihres Vaters erinnern.

Eine überwältigende Traurigkeit erfüllte sie, als ob sie etwas Kostbares verloren hätte, und sie wusste, dass sie sich an ihn erinnern müsste, oder sie müsste sterben, und sie konzentrierte sich mit aller Macht, doch noch ehe sie das Gesicht erkennen konnte, krachte es plötzlich, und tausend Messer des Todesschmerzes schnitten ihr ins Fleisch, und ihr Herz schrie: Nein! Noch nicht! Lasst mich das Gesicht meines Vaters sehen!

Doch es war für immer in der Dunkelheit versunken.

Epilog

Der Mann und die Frau gingen über den Friedhof, ihre Gesichter wurden von den Schatten der hohen, anmutigen Zypressen, die den Weg säumten, gefleckt. Sie gingen langsam in der flimmernden Hitze der Mittagssonne.

Schwester Teresa sagte: »Ich möchte Ihnen noch einmal sagen, wie dankbar wir Ihnen für Ihre Großzügigkeit sind. Ich weiß nicht, was wir ohne Sie angefangen hätten.«

Constantin Demiris machte eine abwehrende Handbewegung. »Arkito«, sagte er. »Es ist nicht der Rede wert.«

Aber Schwester Teresa wusste, dass das Kloster ohne diesen Retter schon vor Jahren hätte schließen müssen. Und ganz gewiss war es ein Fingerzeig des Himmels, dass sie sich ihm jetzt in gewissem Umfang hatte dankbar erweisen können. Es war ein thriamvos, ein Triumph. Sie dankte Sankt Dionysos wieder, dass es den Schwestern vergönnt gewesen war, Demiris' amerikanische Freundin in jener schrecklichen Sturmnacht aus den Wassern des Sees zu retten. Gewiss, etwas war dem Verstand der Frau widerfahren. Sie war wie ein Kind, aber es wurde für sie gesorgt. Constantin Demiris hatte Schwester Teresa gebeten, die Frau in diesen Mauern aufzunehmen und sie den Rest ihres Lebens vor der Außenwelt zu behüten und zu beschützen. Er war ein so gütiger und freundlicher Mann.

Sie hatten das Ende des Friedhofs erreicht. Ein Pfad schlängelte sich zu einem Vorsprung hinunter, wo die Frau stand und auf den ruhigen, smaragdgrünen See hinabblickte.

»Dort ist sie«, sagte Schwester Teresa. »Ich verlasse Sie jetzt. Cherete.«

Demiris sah Schwester Teresa nach, die zum Kloster zurückging. Dann ging er den Pfad hinunter zu der Frau.

»Guten Morgen«, grüßte er freundlich.

Langsam drehte sie sich um und sah ihn an. Ihr Blick war trüb und leer, und kein Zeichen des Erkennens zeigte sich auf ihrem Gesicht.

»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, sagte Constantin Demi-ris. Er zog ein kleines Schmucketui aus der Tasche und hielt es ihr hin. Sie starrte darauf wie ein kleines Kind.

»Nur zu. Nehmen Sie es.«

Langsam streckte sie die Hand nach dem Etui aus und nahm es. Sie öffnete den Deckel, und darin lag auf Watte ein kleiner, äußerst fein gearbeiteter goldener Vogel mit Rubinaugen und zum Flug ausgebreiteten Flügeln. Demiris beobachtete, wie die Kind-Frau ihn aus dem Etui nahm und hochhob. Die helle Sonne fiel auf das schimmernde Gold und die Rubine und ließ sie strahlend aufleuchten. Sie drehte ihn nach allen Seiten und betrachtete den Widerschein des tanzenden Lichts.

»Ich werde Sie nicht wieder sehen«, sagte Demiris, »aber Sie brauchen nichts zu befürchten. Die bösen Menschen sind tot.«

Während er sprach, war ihr Gesicht zufällig ihm zugewandt, und einen Augenblick, in dem die Zeit stillstand, schien es ihm, dass ein Schimmer des Verstehens, ein Ausdruck der Freude in ihre Augen trat, aber gleich darauf war es wieder verschwunden, und nur der leere, geistlose Blick blieb zurück. Es konnte eine Illusion gewesen sein, ein Spiel des Sonnenscheins, der das Funkeln des goldenen Vogels in ihren Augen reflektierte.

Darüber dachte er nach, als er langsam den Berg wieder hinaufging und durch das große Tor des Klosters trat, wo seine Limousine darauf wartete, ihn nach Athen zurückzubringen.

Chicago

London

Paris

Athen

Ioannina

Los Angeles

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