PROLOG 2. Juli 1947, 23:53 Nahe der Roswell Army Base

Es sollte warm sein. Mehr noch: Heiß. Nach dem Kalender herrschte Hochsommer und abgesehen vom Death Valley und der Mohave-Wüste war dies einer der heißesten Landstriche des Staates. Trotzdem fröstelte Lieutenant Frank Bach in seiner dünnen, sandbraunen Navy-Uniform.

Er wusste allerdings nicht genau, warum.

Es mochte am Wind liegen. Er war nicht besonders heftig, aber stetig und hatte seit Tagen angehalten. Seit Bach zusammen mit einer weiteren Gruppe des Marinegeheimdienstes hier angekommen war, strichen die unsichtbaren und für die Jahreszeit ungewöhnlich kühlen Ausläufer über die Hügelkette, nicht heulend, sondern eher mit einem sanften, fast einschmeichelnden Säuseln. Die Hügel, die das abgesperrte Areal an zwei Seiten wie eine Wurfschlinge umschlossen, zerrieben die gelegentlichen Böen in fast unbemerkbare Staubschwaden. Der Wind trug feinsten Sand durch den von der gnadenlosen Julisonne ausgedörrten Wüstenboden mit sich, tastete nach dem Skelett eines losgerissenen, dürren Busches, einem Blatt Papier oder einem Stofffetzen. Ein einziger Blick in die Runde hatte Bach tief in seinem Inneren davon überzeugt, dass dieser Wind so unabdingbar zu dieser Landschaft gehörte wie die Sonne zum Tag.

Möglicherweise lag es aber auch an der Gesellschaft, in der er sich befand.

Mit seinen achtunddreißig Jahren war Frank Bach kein junger Mann mehr. Trotzdem kam er sich in Gegenwart der Männer, die zusammen mit ihm hier eingetroffen waren, wie ein Kind vor, und das ganz bestimmt nicht am körperlichen Alter der handverlesenen Persönlichkeiten gemessen. Dutzende verschiedenartiger Uniformen, kombiniert mit hohen und vielfältigen Rangabzeichen, standen im späten Dämmerlicht wie massive Ähren eines Kornfeldes, eine khakifarbene Leinwand, von der sich die angespannten, ernsten Gesichter der in Grau gekleideten Militärs und der in einfallslose braune Mäntel gekleideten Politiker nur undeutlich abhoben. Bach hatte niemals zuvor so viele Uniformen und Rangabzeichen zusammen gesehen und vor allem niemals zuvor eine solche Konzentration von Macht erlebt. Direkt neben ihm standen der fünfzigjährige Roscoe Henry Hillenkoetter, der erst am 1. Mai von Truman zum Rear Admiral ernannt worden war und schon jetzt als einer der wichtigsten Männer Washingtons galt, und ein zwar in Zivil gekleideter, deshalb aber ganz sicher nicht weniger einflussreicher Repräsentant des Navy-Geheimdienstes. Aus dem Eingang des schlichten, in ineinander fließenden Tarnfarben gehaltenen Zelts hinter ihm trat gerade der fünfzigjährige James Forrestal hervor, seit drei Jahren äußerst erfolgreich als politischer Kopf der Navy und augenblicklich im Gespräch mit einem noch sehr jungen Mann in Zivil, der Bach nur zu gut bekannt war: Es war George Bush, jener Mann, der später als Chef des CIA und Präsident der USA Karriere machen sollte und 1947 zum Umfeld Hillenkoetters zählte.

Doch das war bei weitem nicht alles. In diesem großen, schlichten Zelt hinter ihnen hielt sich der amtierende Präsident Harry Truman auf, umgeben von einem Beraterstab solch einflussreicher Männer wie Nathan Vandenberg, Jerome Hunsaker, Sidney W. Souers und Lloyd V. Berkner. Ein guter Grund für ein kurzes Schaudern. Und sollte er nicht ausreichen, so war da immer noch das, was sich wenige Meilen entfernt hinter den Hügeln im Osten befand. Dort lagerte der Tod für Millionen Menschen; sicher verwahrt hinter meterdicken Betonwänden und tonnenschweren Stahltüren und bewacht von den vielleicht besten Soldaten der Welt. Trotzdem: Als sie vorhin an den schmucklosen flachen Hallen und Flugzeughangars vorbeigefahren waren, da hatte Bach geglaubt, die nur mühsam gebändigte Vernichtungskraft zu spüren, wie etwas Lauerndes, Böses, das vielleicht von Menschenhand geschaffen, aber längst nicht mehr nur noch von Menschenhand kontrollierbar war.

Ein weiterer guter Grund für sein Frösteln. Aber nicht der entscheidende.

Bach legte den Kopf in den Nacken und blinzelte in den sternklaren Nachthimmel hinauf. Über dem hastig aufgeschlagenen Lager hing eine Aura aus blassem Licht, das von Dutzenden von Scheinwerfern, Lampen, aber auch von Fackeln, Signallichtern und Autoscheinwerfern stammte. Trotzdem kam ihm die Dunkelheit darüber tiefer vor als sonst und das Blinken der Sterne heller. Ihr Licht erschien ihm kalt, fast feindselig. Einer dieser weißen Lichtpunkte schien sich zu bewegen, aber er war sich nicht ganz sicher.

»Nervös, Lieutenant?«, James Forrestal hatte die Unterhaltung mit Bush beendet und war direkt neben Hillenkoetter stehen geblieben, um seine zierliche Brille abzunehmen und die Gläser mit dem Ende seiner Krawatte zu polieren. Es war nicht nötig. Er hatte seine Brille ungefähr hundertmal poliert, seit Bach am Nachmittag zu ihm in den Wagen gestiegen war; ein deutliches Zeichen seiner eigenen Nervosität.

Auch Bach war nervös. Er hatte jeden nur denkbaren Grund dazu. Sie alle hatten das. Trotzdem ließ er einige Sekunden verstreichen und streifte Forrestal mit einem fast abfälligen Blick, ehe er antwortete: »Nein. Sollte ich?«

Forrestal setzte seine Brille wieder auf und ignorierte Bachs despektierliches Benehmen; etwas, das - wie Bach wusste - eigentlich ganz gegen seine normale Art war.

Forrestal war nicht nur als Paragrafenreiter bekannt, sondern auch als ausgesprochener Widerling.

»Nun, ich bin es«, seufzte er. Sein Mund wirkte auch während er redete wie zugekniffen, ein typischer Wesenszug, der ihm in den beiden Weltkriegen den Beinamen ›Der Eisenharte‹ eingehandelt hatte. »Und Sie sollten es vielleicht auch sein.« Er nahm seine Brille wieder ab, blinzelte, rieb sich die Augen, setzte die Brille wieder auf und blinzelte noch einmal. »Verdammt, ich kann bei dieser Festbeleuchtung nicht das Geringste erkennen. Ist das wirklich notwendig?«

Bach fing einen warnenden Blick aus Admiral Hillenkoetters Augen auf und formulierte seine Antwort etwas weniger spöttisch, als sie ihm auf der Zunge lag. »Sie würden sie höchstwahrscheinlich auch bei vollkommener Dunkelheit nicht kommen sehen... Sir«, sagte er. »Es sei denn, sie wären direkt über Ihnen. Die höchste Geschwindigkeit, die wir nachweisen konnten, lag bei über siebzehnhundert Knoten.«

Forrestal runzelte die Stirn, aber Bach konnte nicht sagen, ob ihn das Gehörte erschreckte oder er darüber nachdachte, wie er ihn wegen seiner ganz eigenen Art der Betonung des Wortes Sir zurechtweisen sollte. Schließlich machte er ein Geräusch, das ein kurzes Lachen sein konnte, ebenso gut aber auch ein Schnauben. »Das ist beruhigend«, sagte er. »Umso mehr, wenn man bedenkt, dass wir sie in die unmittelbare Nachbarschaft unserer Nuklearwaffenbasis eingeladen haben.«

»Wir haben sie nicht eingeladen, Sir.« Bach deutete mit einer Handbewegung über die präzise angeordneten Scheinwerfer. »Diese Lichter markieren die genauen Längen- und Breitengrade, die sie uns genannt haben.« Er sah auf die Uhr. »Und auch den exakten Zeitpunkt. Sie haben sich selbst eingeladen. Aber sie sind nicht pünktlich.«

»Gestehen wir ihnen das akademische Viertelstündchen zu«, sagte Forrestal achselzuckend. »Vielleicht gehen ihre Uhren ja anders als unsere.« Er sah einige weitere Sekunden blinzelnd in den Himmel hinauf, dann wandte er den Blick nach Osten. Sein Gesichtsausdruck und seine Stimme wurden ernster. »Warum hier, verdammt noch mal? Das gefällt mir nicht.«

»Vielleicht ist das ihre Art, uns zu zeigen, dass sie keine Angst vor uns haben.«

Forrestal runzelte die Stirn, aber er sagte nichts dazu, sondern wandte sich in nun unüberhörbar spöttischem Ton an Admiral Hillenkoetter. »Lieutenant Bach scheint ja mittlerweile zu einem echten Experten auf diesem Gebiet geworden zu sein, wie?«

»Er weiß nicht mehr als wir alle, James«, antwortete Hillenkoetter kühl. Aber auch nicht weniger, fügte sein Blick hinzu: unausgesprochen, aber unübersehbar. Bach fragte sich überrascht, warum Hillenkoetter so offen seine Partei ergriff. Soviel er wusste, waren Forrestal und der Admiral langjährige Freunde.

Er war aber zugleich auch klug genug, nicht weiter auf das Thema einzugehen. Offenbar waren Forrestal und er nicht die Einzigen hier, die nervöser waren, als sie zugeben wollten, und vielleicht anders reagierten, als sie es gewöhnlich taten. Er sah wieder in den Himmel hinauf, unterdrückte nur mit Mühe den Impuls, schon wieder auf die Armbanduhr zu sehen, und ließ seinen Blick zum vermutlich hundertstenmal über das abgesperrte Areal gleiten. Die zahllosen Scheinwerfer und Signalfeuer machten es nur scheinbar zufällig unmöglich mehr als vage Schatten und verschwommene Umrisse zu erkennen. In Wahrheit war dieser Effekt beabsichtigt. Selbst Bach fiel es schwer, zwischen den abgestellten Lastwagen, Zelten, Instrumentenpulten und Funkmasten die Zwillingsläufe des halben Dutzend Flugabwehrkanonen zu identifizieren, obwohl er ganz genau wusste, wo sie sich befanden. Vor einer Stunde war ein Flugzeug tief über das Lager hinweggeflogen und der Pilot hatte ihm versichert, dass die Geschütze aus der Luft heraus vollkommen unsichtbar blieben.

Für ihre Augen...

Es fiel Bach immer schwerer, seine wirklichen Gefühle zu unterdrücken. Er war nicht nur nervös. Er war in großer Sorge. Und er hatte Angst. In einem Punkt stimmte er voll und ganz mit Forrestal überein: Diese ganze Geschichte gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.

Irgendetwas geschah.

Bach konnte es spüren, noch bevor sich die Geräuschkulisse hinter ihm änderte. Ein spürbarer Unterton hektischer Aktivität lag plötzlich darin, dann schrie eine zitternde, fast hysterische Stimme: »Da kommt was. Unglaublich schnell! Ich habe eine Ortung bei null acht fünf!«

Bach spannte sich. Seine Augen suchten den Himmel in der angegebenen Richtung ab. Inmitten des funkelnden Sternendiadems hatte ein grellweißes Licht zu pulsieren begonnen. Diesmal war er sicher, es sich nicht nur einzubilden.

»Das... das ist völlig unmöglich!«, fuhr die Stimme des Soldaten fort. Sie klang jetzt nicht mehr aufgeregt, sondern eindeutig hysterisch. »Es ist weg!«

»Was soll das heißen?«, schnappte Bach; laut, aber ohne den Blick von dem pulsierenden Licht am Himmel zu wenden. Der strahlende Fleck begann in drei kleinere, stechend weiße Lichter zu zerfallen. Es kam unglaublich schnell näher.

»Es ist vom Radarschirm verschwunden! Hier spielt alles verrückt!«

Andere Stimmen mischten sich ein und bestätigten die Worte. Bach achtete nicht auf Einzelheiten, aber ihm wurde in Sekundenschnelle klar, dass offensichtlich ihre gesamte mitgebrachte Technik verrückt spielte. Er war kein bisschen überrascht.

»Es ist so weit, Frank«, murmelte Hillenkoetter. »Holen Sie Truman.«

Bach zögerte noch eine halbe Sekunde, gebannt von dem pulsierenden Dreigestirn aus weißblauem Licht, das vom Himmel auf sie herabstürzte. Ein seltsames Gefühl hatte ihn ergriffen; eine Mischung aus Furcht und... noch etwas, das er nicht genau definieren konnte. Vielleicht tatsächlich Ergriffenheit. Es war ein historischer Moment, ganz egal, wie man es betrachtete. Er wusste nur nicht, ob es zum größten Tag in der Geschichte der Menschheit werden würde oder zum schwärzesten...

Er verscheuchte den Gedanken, riss sich vom Anblick der heranrasenden Lichter los und eilte mit wenigen energischen Schritten zu dem hinter ihm liegenden Zelt. Rasch schlug er die Plane zurück und rief, ohne einen Blick in das Halbdunkel dahinter zu werfen: »Mister President? Es ist so weit.«

Die Schatten im Inneren des Zeltes wurden lebendig. Bach trat einen Schritt zurück und zugleich zur Seite, um dem halben Dutzend hochrangiger Generäle und Berater Platz zu machen, das in Begleitung Harry Trumans das Zelt verließ. Erneut spürte Bach ein kurzes, eisiges Schaudern. Es wurde ihm schlagartig klar, wie wahnsinnig dieses Unternehmen war, auf das sie sich eingelassen hatten. Hier war nicht nur der Präsident der Vereinigten Staaten, sondern praktisch die gesamte militärische Führungsspitze zusammengekommen. Er unterdrückte den Impuls, zum Himmel hinaufzusehen, aber er dachte: Wenn sie in feindlicher Absicht kommen, sind wir erledigt. Er kam sich klein vor, unwichtig. Und sehr allein.

Truman und die versammelte Führungsspitze der Vereinigten Staaten gesellten sich wortlos zu Forrestal und dem Admiral. Alle Gesichter waren zum Himmel gewandt. In dem immer greller werdenden, pulsierenden Licht wirkten sie unnatürlich blass, die Schatten noch tiefer als sie sein sollten und auf eine fast unheimliche Weise lebendig - als spürten sie die gleiche Gefahr, die auch Bach fühlte, und versuchten davor zu fliehen.

Bachs Herz klopfte hart. Die Stimmen der Techniker im Hintergrund wurden lauter. Bach achtete nicht auf Einzelheiten, aber er hätte schon taub sein müssen, um nicht mitzubekommen, dass ihr gesamtes technisches Equipment offensichtlich der Reihe nach verrückt spielte oder ausfiel.

Ein Mann in der khakifarbenen Uniform der Army kam mit nervösen Schritten näher. »Da stimmt etwas nicht, Mister President«, sagte er. Seine Hände bewegten sich unruhig. »Vielleicht sollten wir... die Geschütze scharf machen... Sir.«

Truman sah ihn nachdenklich an, dann warf er einen fragenden Blick in Forrestals Richtung. Forrestal deutete ein Kopfschütteln an.

»Noch nicht«, antwortete Truman. »Wir dürfen jetzt... keinen Fehler machen.«

Dem Offizier blieb nichts anderes übrig als diese Entscheidung zu akzeptieren, aber er sah dabei nicht begeistert aus. Bachs Herz schlug schneller, während er den Blick wieder nach oben wandte. Die Lichter waren näher gekommen, bewegten sich aber jetzt nicht mehr mit so unfassbarer Geschwindigkeit wie zuvor. Sie bildeten ein perfektes Dreieck, über dem Bach einen verschwommenen Umriss zu erkennen glaubte. Er machte eine knappe, deutende Geste und einer der riesigen Scheinwerfer schwenkte herum. Ein meterdicker Lichtstrahl glitt wie ein tastender Finger über den Himmel.

Bach fühlte ein sonderbares, elektrisches Kribbeln auf der Haut, ein Gefühl, als ob in seiner unmittelbaren Nähe ein schweres Gewitter tobte. Im gleichen Moment fiel im gesamten Lager der Strom aus. Die Dunkelheit schien für einen Moment total und für einen noch kürzeren Moment schien sogar die Zeit stehen zu bleiben, wie um diesen einen Augenblick für alle Ewigkeiten festzuhalten. Bach wartete mit angehaltenem Atem auf die Panik, die nun unweigerlich ausbrechen musste, auf Schreie, Schritte, die Geräusche flüchtender Männer, vielleicht Schüsse. Doch nichts geschah. Vielleicht war er nicht der Einzige, den die vollkommene Finsternis lähmte. Vielleicht hatte irgendetwas dort oben nicht nur die Technik innerhalb des Lagers ausgeschaltet.

Zwei, drei Sekunden vergingen wie zähe Ewigkeiten, dann, ganz plötzlich, erschien ein neues, blauweißes Licht am Himmel, begleitet von einem dumpfen, vibrierenden Summen, wie elektrischer Herzschlag, der aus allen Richtungen zugleich zu kommen schien. Bach kniff die Augen zusammen und zwang sich, weiter in das mittlerweile schmerzhaft grelle Licht zu blicken. Über dem blauen Glosen schwebte ein gewaltiger Umriss, eine riesige, dreieckige Scheibe, die sich in beständiger, zitternder Bewegung zu befinden schien, obwohl sie gleichzeitig stillstand. Das Schiff war nicht so gigantisch, wie er im ersten Moment angenommen hatte, aber es war trotzdem riesig.

»Was zur Hölle...«, murmelte Truman.

Das Schiff sank langsam tiefer und kam fünfzehn oder zwanzig Meter über dem Lager zum Stillstand. Sein elektrischer Herzschlag wurde lauter. Bach spürte, wie sich die feinen Härchen auf seinem Handrücken und in seinem Nacken aufstellten. Der Sand unter seinen Füßen begann zu wispern. Dann, ganz langsam, öffnete sich in der Mitte der drei Lichter ein weiteres, funkelndes Auge. Eine Tür.

»Wir haben Kontakt«, sagte Bach leise.

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