Stadt ein Maler leben sollte, der hinter keinem der italienischen oder der niederländischen Meister seiner Zeit zurückstand.
-Damals verließ der Kaiser noch bisweilen die Prager Burg, er lebte noch nicht in ständiger Furcht vor den Mordanschlägen seines Bruders Matthias und anderer ihm feindlich gesinnter Personen. Und so trat er eines Morgens in der Tracht eines öffentlichen Schreibers, in ausgetretenen Schuhen also und schäbigem Rock, zwei Kielfedern und ein Tintenfaß im Gürtel und um den Hals eine Kette, an der ein Medaillon mit dem Bildnis der heiligen Katharina befestigt war, die die Schutzpatronin aller Schreiber ist, — in dieser Verkleidung also trat er aus einem Seitenpförtchen des Hirschgrabens und ließ sich von seinem Kammerdiener Cervenka durch enge und menschenleere Gassen und über den Fluß bis vor das Haus »Zur Baßgeige« geleiten, in dessen Hintertrakt der Flickschneider und der Maler ihre Werkstätte hatten.
Es war ein Tag im Februar und ein kalter Regenschauer war soeben niedergegangen. Fröstelnd verabschiedete der Kaiser den Cervenka. Er rückte seine Halskette zurecht, die ihm als ein wesentlicher Teil seiner Verkleidung erschien, und ging mit vorsichtigen Schritten über den durchweichten Boden eines schmalen und jammervoll kahlen Gärtleins, in dem eine Katze hinter den Sperlingen her war. Dan n trat er in die Werkstätte ein.
In dem mäßig großen Rau m befanden sich drei Personen. Der Flickschneider, der eine Brille trug, die er unaufhörlich zurecht rückte, saß auf einem Schemel und wärmte sich bald den einen, bald den anderen Fuß über einem Messingbecken, in dem ein Häuflein Kohle glühte. Einen alten Mantel von der Art, die man »Surtout« nannte, hatte er vor sich ausgebreitet, um das schadhaft gewordene Futter zu erneuern. In der Mitte der Werkstätte saß auf zwei Stühlen, die aneinandergerückt waren, ein bärtiger Riese,
ein Moldauflößer in seinem Sonntagsstaat. Er ließ sich von Signor Brabanzio abkonterfeien und sah dabei recht unglücklich darein, er schien nicht zu wissen, wo er seine mächtigen, schwieligen und behaarten Hände lassen sollte. Im Augenblick hielt er sie weit von sich gestreckt und wie zum Gebet gefaltet. Der Maler hatte ihm eingeschärft, sich nicht zu rühren, und so fürchtete er, daß er mit einer ungeschickten Bewegung seiner Hände irgend etwas in der Werkstatt zerstören oder verderben könnte. Aber just dieser kindlich unbeholfene und ein wenig gequälte Ausdruck des bärtigen Gesichts war es, was der Maler zu sehen und festzuhalten wünschte. Er strich mit dem Rötelstift in der Hand um den vor Angst schwitzenden Flößer herum, betrachtete ihn bald von rechts, bald von links, rückte, indem er ihn am Ohr oder am Bart zupfte, sein Gesicht zurecht, trat zurück, kam wieder näher und fügte dann ein Strichlein dem Konterfei hinzu, das schon so gut wie beendet zu sein schien.
Rudolf II., der Römische Kaiser, zog die Türe hinter sich zu und lüftete sein Hütchen. Unsicher und befangen, wie er es immer war, wenn er sich fremden Gesichtern gegenüber sah, versuchte er eine Verbeugung von der Art wie sie sein Geheimer Rat, der Hegelmüller, vollführte, wenn er mit Rechnungen oder einem Aktenbündel zu ihm in die Kammer trat. Eine solche Verbeugung also versuchte er, aber es kam nicht mehr dabei heraus als ein leichtes Senken des Kopfes und ein Emporziehen der linken Schulter. Dann entschuldigte er sein Eindringen mit dem Wunsch, sich ein wenig zu erwärmen, denn er leide, sagte er, an einem hartnäckigem Brustübel, und das kalte Wetter und die Nässe draußen seien seinem Befinden sehr abträglich. Und zum Beweise, daß dem wirklich so sei, hustete er ein wenig in die hohle Hand.
»Setzt Euch, Herr, wenn es Euch beliebt, zu mir ans
Feuer!« lud ihn der Flickschneider ein. »Bei Euch ist's also die Brust. Bei mir ist's der Magen, der mir zu schaffen macht. Ein Brot mit Schmalz, ein Stückchen Bratwurst, — das geht noch. Aber wenn ich dann einen Schluck Bier dazu trinke, dann kommen alle Leiden der heiligen Märtyrer über mich.«
»Was brauchst du Bier?« ließ sich der Maler vernehmen. »Wer ein richtiger Schneider ist, der wird von einem Stückchen Käse betrunken.«
»Kann ich schon aufstehen, Herr?« fragte der Flößer. »Und bei dem dort«, erklärte der Flickschneider und wies mit der Stopfnadel auf seinen Bruder, »fehlt's, wie Ihr seht, im Kopf. Er ist ein Narr. Und so hat jeder von uns sein Kreuz.«
Mit einer Handbewegung lud er seinen Gast nochmals ein, sich zu setzen, und dann erst fiel es ihm auf, daß der Flößer zwei Stühle für sich in Anspruch genommen hatte, und einen dritten gab es nicht in der Werkstatt. Er wurde zornig.
»Steh auf, du Backtrog! Du Ofenröhre!« schrie er ihn an. »Es wollen andere Leute auch sitzen.«
Der mit diesen sonderbaren Scheltworten bedachte Flößer erhob sich schwerfällig, aber sehr zufrieden, daß er nicht länger bewegungslos sitzen mußte, und schob den einen der beiden Stühle dem vermeintlichen Schreiber hin. Der Maler hatte indessen das Konterfei beendet. Er hielt es in der ausgestreckten Hand und sah es prüfend an, und dabei bewegte er den Kopf hin und her und verzog den Mund, als könnte ihn das, was er da zustande gebracht hatte, nicht völlig zufriedenstellen. Dann reichte er es dem bärtigen Riesen, und der nahm es vorsichtig und erwartungsvoll zwischen zwei Finger.
Der Flößer sah ein Gesicht, das ihm bekannt erschien und das sehr wohl das seine sein mochte. Auch das Tüchlein, das er um den Hals gewickelt trug, erkannte er. Aber von seinem neuen Sonntagsrock war auf dem Bilde nichts zu sehen.
Er war enttäuscht. Ein drängender Wunsch und der Verdruß darüber, daß dieser Wunsch ihm nicht erfüllt worden war, rangen in seinem Hirn nach Ausdruck.
»Warum?« fragte er, »warum, Herr, habe ich meinen Sonntagsrock angezogen?«
»Das frage ich mich auch«, sagte der Maler. »Und ich weiß auch nicht, warum Ihr Euch den Bart habt kürzen lassen. So wie er gestern war, stand er Euch besser. Geht jetzt, geht, ich habe keine Zeit mehr für Euch.«
Und er schob den Flößer, der immer wieder stehen blieb in der Hoffnung, doch noch wenigstens ein Stückchen seines Sonntagsrocks auf das Bild zu bekommen, Schritt um Schritt zur Türe und hinaus.
Der Kaiser hatte sich neben dem Kohlenbecken niedergelassen und wärmte sich die Hände. Jetzt wandte er sich an den Flickschneider.
»Ein Magenübel, sagt Ihr? Und die Ärzte wissen Euch keinen Rat? Denkt nach, ob Ihr nicht irgendeinmal für die Erlösung eines Verdammten gebetet habt.«
»Ich? Für wen?« fragte der Flickschneider und rückte seine Brille zurecht.
»Der heilige Gregor«, erklärte ihm der Kaiser, »hat einmal in großer Inbrunst für die Seele des Heidenkaisers Trajan, dessen Bildnis er auf einem Marmorsarkophag gesehen hatte und der ihm auch mehrmals im Traum erschienen war, gebetet, daß sie aus der Verdammnis erlöst werde. Sein Gebet wurde erhört, aber er mußte dafür ein Magenübel in Kauf nehmen, an dem er sein ganzes Leben hindurch zu leiden hatte.«
»Bei Euch ist's wohl auch nicht richtig dort oben«, meinte der Flickschneider, und er deutete mit seiner Stopfnadel auf des Kaisers Stirne.
Der Kaiser schwieg. Sein Blick war auf ein kleines, in Wasserfarben gemaltes Bild gefallen, das an der Wand befestigt war. Es stellte eben jenes Gärtchen vor, durch das der Kaiser kurz zuvor gegangen war, ohne ihm einen Blick zu schenken. Nicht viel anderes war auf dem Bild zu sehen als ein Schlehdornbusch und ein entlaubter Baum mit dünnem Geäste, eine Schneepfütze und die Latten eines Zauns, aber über all dem lag ein Zauber, der mit Worten nicht auszudrücken war, — winterliche Schwermut und Vorahnung des Frühlings oder vielleicht auch nur jene Anmut, die bisweilen der Armseligkeit und der Unscheinbarkeit zu eigen ist.
Es war das Werk eines großen Meisters, und das erkannte der Kaiser, und es war ihm klar, daß er das Bild besitzen und daß es in der Kunstkammer neben den Werken anderer Meister den Platz linden müsse, der ihm zukam, und im Geiste sah er es schon neben einer Landschaft des Lukas van Valkenborch hängen, die er über alles liebte. Zugleich aber fiel ihm ein, daß er es unterlassen hatte, sich mit Geld zu versehen, als er in dem Rock eines Schreibers mit dem Cervenka die Burg verließ. Das war verdrießlich. — Tut nichts, tut nichts, sagte er sich zum Trost. Morgen in der Früh' schick' ich den Cervenka, geb' ihm zwei, drei Gulden oder vier, er ist recht geschickt, der Cervenka, weiß mit Leuten zu reden, ein Allerweltsbescheißer, das ist der Cervenka, er wird das rare Werk um geringes Geld an sich bringen, kauft immer wohlfeil ein.
Dann aber erwog er einen anderen Plan, wie er zu dem Bild und auch noch zu anderen schönen Werken dieses Malers gelangen könnte.
»Das ist gute Arbeit und schön anzusehen«, bemerkte er und wies auf das Bild.
»Das dort? Das mit der Kotlacken?« verwunderte sich der Schneider und rückte seine Brille zurecht.
»Ihr solltet damit«, wandte sich der Kaiser jetzt an den Maler, »hinauf in die Burg gehen, daß man's dort oben weiß, was Ihr in Eurer Kunst vermögt.«
»Ich dank' Euch für den Rat«, sagte der Maler, der eben dabei war, seinen Rötelstift und seine Kreiden zu spitzen. »Wär's ein Gulden, ich steckte ihn ein.«
»Ihr solltet«, fuhr der Kaiser unbeirrt fort, »versuchen, ob nicht für Euch die Stelle eines kaiserlichen Hofdieners zu erlangen war'.«
»Ich will nicht so hoch hinaus, bin zufrieden mit meinem Stand«, erklärte der Maler.
»Daran könnt Ihr den Umfang seines Geistes erkennen«, rief der Flickschneider erzürnt. »Ein sicheres Auskommen, daran liegt ihm nichts. Er will sich, sagt er, den rauhen Wind um die Nase wehen lassen. Wenn er nicht just bei mir ist, hat er oft nicht ein Stücklein Brot.«
»Hab' ich nicht Brot, eß' ich die Butter trocken«, tröstete sich der Maler und fuhr fort, seine Kreiden zu spitzen.
»Seine Majestät«, sagte der Kaiser, und bei diesem Wort erhob er sich ein wenig von seinem Stuhl, »wird Euch für Eure rare Arbeit sicherlich alle Gunst und Affection erweisen.«
»Und mir das Salarium schuldig bleiben«, meinte der Maler, »wie dem Miseroni, kaiserlichem Hofdiener und Steinschneider, der in seinem Hause nichts mehr hat, von dem er sagen könnte, es wäre sein. Ja, mit der Hand zum Beutel in der Tasche, das ist bei Seiner Majestät ein weiter Weg.«
»Daß dich ...!« entfuhr es dem Kaiser, aber er unterdrückte den Zorn und den Verdruß, und dann sagte er mit einer Stimme, aus der sogar ein wenig Schuldbekenntnis klang:
»Vor zwei Wochen hat er dem Miseroni zwölf Gulden reichen lassen.«
»Ja, zwölf von den hundertzwanzig, die er ihm schuldet«, stellte der Maler fest.
»Ich mein', zwölf Gulden sind für einen Schneider ein schönes Geld«, meldete sich der Flickschneider zu Wort, der in dem Steinschneider eine Art von Zunftgenossen sah. »Was aber den Kaiser und böhmischen König betrifft, so sagen die Leute, daß, wer ihn sehen will, sich als Stallbursche, Pferdewärter oder Gärtner verkleiden muß. Denn nur seinen Lustgarten und die Ställe besucht er alle Tage.«
»Vielleicht«, sagte der Kaiser und seine Stirne furchte sich, »meidet er die Menschen, von denen er alle Tage immer nur die gleichen Worte hört: Hilf, Kaiser! Gib! Gewähre! Schenke! Mach mich glücklich! Mach mich reich!«
»Und es heißt auch«, fuhr der Flickschneider fort, »daß drei Leute oben in der Burg, ein Kammerdiener, ein Sterndeuter und ein Antiquar an des Kaisers Stelle das Land regieren und die Steuern ausschreiben.«
»Wenn Ihr morgen um diese Stunde«, wandte sich der Kaiser an den Maler, »in den kaiserlichen Lustgarten kommt, werdet Ihr Seiner Majestät begegnen, könnt Euer Anliegen vorbringen.«
»Mein Anliegen?« verwunderte sich der Maler.
»Ja. Daß Ihr begehrt, Seiner Majestät mit Eurer Kunst zu dienen«, erklärte ihm der Kaiser.
Der Maler Brabanzio nahm seine Stifte und Kreiden und ordnete sie auf dem Fensterbrett zu einer Beihe.
»Toren sind, die den Königen dienen«, sagte er. »Und es steht auch geschrieben: Trauet nicht den Fürsten, denn es ist kein Heil bei ihnen. Herr! Ich will nicht. Weder diesem König noch einem anderen will ich dienen.«
»Da habt Ihr es«, ereiferte sich der Flickschneider. »Wie ich es Euch gesagt hab': ein Narr. Bei dem hilft guter Bat, wie einem Toten der Schröpfkopf hilft. Alle Tage bete ich für ihn zu Gott: Herr, laß ihn lahm sein, laß ihn krumm sein, aber gib ihm ein wenig Verstand, laß ihn nicht länger einen Narren bleiben.«
»Da kommt der Jude wieder«, sagte der Maler, der am Fenster stand. »Der mit dem Ziegenbart. Er kommt zum drittenmal. Ich wollt', ich könnt' ihm helfen, aber ich kann es nicht.«
Der Jude mit dem Ziegenbart, dem der Maler Brabanzio nicht helfen zu können vermeinte, war der Mordechai Meisl.
Er kam um der Esther, seiner Frau, willen. Drei Jahre waren vergangen seit jener Nacht, in der der Melach Hamowed, der Todesengel, sie hinweggenommen hatte. Aber die Zeit hatte seinen Schmerz nicht gelindert. Er dachte immer an sie. Er wollte ihr Bildnis haben.
Er hatte von Malern gehört, die längst dahingegangene Personen sehr getreu dargestellt hätten: Die Erzväter, Moses mit den Gesetzestafeln in seinen Händen, Susanna, die Frau des Jojakim, auch die römischen Kaiser und die böhmischen Könige der vergangenen Zeiten, und er selbst hatte in einem adeligen Schloß das Bildnis des Knaben Absalon gesehen, der jämmerlich an seinen Haaren hing. Und in seinem Kopf hatte sich der Gedanke festgesetzt, daß der Maler Brabanzio imstande sein müsse, ein Bildnis der Esther, die er sein Täubchen, seine Süße, seine Unschuld nannte, zu malen, wenn er sie ihm nur auf die rechte Art beschriebe, und er traute sich zu, sie ihm mit Worten so vor Augen zu bringen, wie sie in ihrem irdischen Leben gewesen war.
Wohl stand geschrieben: Du sollst dir kein Abbild machen. Aber das Haupt der Verbannung, der hohe Rabbi Loew, der ein Gaon war, ein Fürst unter den Wissenden, hatte ihn belehrt, daß dies keines der sieben Noachidischen Verbote sei, und soferne einer nur die Noachidischen Verbote einhalte, habe er am Gottesreiche teil.
»Leben und Segen vom Ordner der Welt, mit Euch sei Friede«, grüßte er nach der Juden Brauch, als er eintrat, und er erkannte den Kaiser nicht und der Kaiser nicht ihn.
»Herr«, sprach ihn der Maler an, und er sah verwirrt und bekümmert drein wie einer, der sich keinen Rat weiß, »Ihr kommt vergeblich. Was Ihr verlangt, kann keiner zuwege bringen, es ist nicht möglich.«
»Ihr könnt es, wenn Ihr nur wollt«, sagte der Mordechai Meisl. »Es kann so schwer nicht sein. Habt Geduld mit mir, versucht es noch einmal, Ihr sollt für Eure Mühe aufs beste kontentiert werden.«
»Ich weiß«, erwiderte der Maler, »Ihr habt mir acht Gulden verwilligt und zugesagt. Aber sie sind mir nicht bestimmt, und ich muß in Armut bleiben.«
»Acht Gulden?« rief der Flickschneider, »meinst du, die läßt ein Jude alle Tage aus seinem Ärmel fallen? Los, mach dich an die Arbeit, stell ihn zufrieden, daß ich nicht ein Pfui mit dir einlege.«
Und er begann, als müsse er dem Maler mit gutem Beispiel vorangehen, eifriger als zuvor an dem Futter des Surtout zu flicken.
Der Maler war zu dem vermeintlichen Schreiber an das Kohlenbecken getreten und wärmte sich die Hände.
»Wenn ich eines Menschen Bildnis male«, sagte er mehr zu sich als zu ihm, »so ist's mir nicht genug, daß ich sein Gesicht betrachte, das wandelbar ist und heute so aussieht und morgen anders. Ich stelle ihm Fragen, und ich lasse nicht nach, ehe ich ihm nicht ins Herz geblickt habe. Denn nur so bringe ich etwas Gutes zuwege.«
»Dieses Verfahren«, meinte der Kaiser, »macht Euch Ehre und wird vielleicht dereinst Euren Ruhm begründen.«
Der Maler Brabanzio machte eine verächtliche und abwehrende Geste, so als wären Ruhm und Ehre für ihn nur eine Handvoll Wind.
»Es geht mir um die acht Gulden«, erklärte er. »Ich soll das Bild seiner Eheliebsten malen, die ihm gestorben ist. Ich kann nicht wie Ulysses zu den Toten hinabsteigen. Aber vielleicht kann ich wie das Weib von Endor ihren Schatten beschwören.«
Und er wandte sich, als hätte er nunmehr seinen Entschluß gefaßt, an den Mordechai Meisl:
»Ihr sagtet, sie sei so schön gewesen. Von welcher Art war ihre Schönheit?«
»Schön war sie wie der silberne Mond, schön und fromm wie Abigail«, sagte der Mordechai Meisl und seine Augen blickten in die vergangene Zeit. »Die Krone meines Hauptes hat Gott mir genommen. Er hat wohl viele und große Sünden an mir gefunden, und so hab' ich sie verlieren müssen. Ich kann nicht mehr lachen mit den Glücklichen, Leid und Jammer sind über mich gekommen wie bewaffnete Häscher.«
»Daraus die Veränderung und Unstetigkeit des Glücks wohl zu erkennen ist«, bemerkte der Schneider.
»Von welcher Art ihre Schönheit war, sollt Ihr mir sagen«, erinnerte ihn der Maler.
»Wie ein Ganzopfer war sie, so schön und ohne Fehle«, sprach der Mordechai Meisl weiter. »Wie eine Blume des Feldes war sie, sehr lieblich in den Augen derer, die sie sahen. Ja, und sie konnte auch schreiben, lesen und Rechnungen machen, aus Seide verfertigte sie kleine Handarbeiten, und wenn ich mit ihr bei Tische saß, wartete sie mir artig auf. So klug war sie, hätte vor dem Kaiser reden können. Sie hatte eine Katze, die liebte sie sehr, gab ihr alle Tage Milch. Manchmal war sie traurig. Sie sagte, die Stunden gingen so langsam dahin und sie wollte, es wäre schon Nacht.«
»Ficht es mit deinem Schöpfer aus!« sagte der Schneider unwirsch. »Wer kann wider Unglück?«
»Wir aßen zu Abend«, fuhr der Mordechai Meisl fort, »und dann gingen wir zu Bett. Sie schlief, sie atmete ruhig. In der Nacht hörte ich sie laut stöhnen und um Hilfe rufen, — ja, sie rief um Hilfe. Ich beugte mich über sie ...«
Er stockte. Nach einer Weile erst sprach er weiter:
»Die Nachbarn kamen. Ich weiß nicht, was dann geschah. Als ich zur Besinnung kam, sah ich auf der Morgenseite der Stube das kleine Öllicht brennen, das Seelenlichtlein, und da wußte ich, daß sie gestorben war.«
Leise sprach der Kaiser die Worte des Predigers:
»Ein Hauch sind die Menschenkinder, auf der Waage schnellen sie empor, sind leichter als ein Hauch allesamt.«
»Sind leichter als ein Hauch allesamt«, wiederholte der Meisl und er warf einen Blick auf den Kaiser, als wäre er erstaunt, daß die heiligen Worte aus dem Mund eines Unwissenden kamen, der niemals die Cheder, das Lernzimmer der Judenkinder, besucht hatte.
»Der Höchste«, fuhr er dann fort, »hat es beschlossen. Was gesehen ist, ist nach seinem Willen geschehen. Sie ist tot, und ich habe keine Freude mehr auf Erden. Der Tag vergeht in Mühe und Plage, bisweilen bringen die Nächte Vergessen, doch an jedem neuen Morgen kommt das alte Leid.«
Und wie das der Mordechai Meisl sagte, da widerfuhr dem Kaiser etwas Seltsames. Es war ihm, als hätte er selbst diese Worte gesprochen und nicht der Jude. An jedem neuen Morgen kommt das alte Leid, — sein eigenes Schicksal war in diesen Worten umschlossen, ihm erging es so seit jener Nacht, in der ihm seine Traumgeliebte entrissen worden war.
Er saß verloren in Gedanken. Was der Maler und der Jude miteinander sprachen, hörte er nicht mehr. Er vergaß, wo er sich befand. Von jenen Worten beschworen stieg das Bild der Traumgeliebten vor seinen Augen auf, er sah sie so klar, so deutlich wie nie zuvor. In völliger Entrücktheit holte er, um sie festzuhalten, den Silberstift aus einer der Taschen seines Rocks hervor und griff nach einem Blatt Papier.
Als er das Bild beendet hatte, wich der Bann von ihm. Mit krausen, kleinen, kaum sichtbaren Buchstaben schrieb er sein »Budolfus fecit« darunter. Er sah es nochmals an, aber je länger er es betrachtete, desto weniger befriedigte es ihn. Er seufzte und schüttelte den Kopf.
Nein, sie war es nicht. Eine andere war es, ihr in manchem ähnlich, aber nicht sie. Ein Judenmädchen mit großen erschrockenen Augen, auf die vielleicht damals, als er durch die Gassen der Judenstadt ritt, sein Blick gefallen war. Aber nicht sie, nicht seine Traumgeliebte.
Vielleicht, sagte er sich, habe ich zu sehr in ihr Antlitz gesehen und zu wenig in ihr Herz, so könnt' ich's nicht zuwege bringen. — Achtlos ließ er das Bild zu Boden fallen. Er stand auf. Ihn fröstelte, und es war ihm, als hätte er sie jetzt erst für immer verloren.
Noch immer sprach der Jude auf den Maler ein, der den Kopf schüttelte und die Achseln zuckte. Der Kaiser warf noch einen Blick auf das Bild mit der Schneepfütze und dem Schlehdornbusch. Dann neigte er den Kopf und zog die Schulter hoch, und mit diesem Gruß ging er zur Türe, und niemand achtete darauf.
Wie er die Türe öffnete und im Fortgehen hinter sich zuzog, fuhr ein Windstoß durch die Werkstatt, der wirbelte das Blatt Papier, das am Boden lag, durch die Luft und ließ es zu des Malers Füßen niederfallen. Der Mordechai Meisl hob es auf, hielt es einen Augenblick lang in der Hand, dann sah er das Bild und stieß einen Schrei aus.
»Das ist sie ja«, rief er. »Warum habt ihr mir nicht gesagt, daß Ihr's schon gemacht habt? Ihr laßt mich reden, sagt kein Wort. Ja, das ist sie, das ist sie. Mein Täubchen! Meine Seele!«
Der Maler nahm das Bild aus den Händen des Meisl. Er betrachtete es, drehte es hin und her, verzog den Mund ein wenig und gab es ihm wieder.
»Meint Ihr wirklich, daß sie es sei?« fragte er ungläubig und verwundert.
»Ja. Ich danke Euch, Herr. Sie ist es. So wie ich sie Euch beschrieben habe«, sagte der Meisl und er verbarg das Bild unter seinem Pelzrock, als hätte er Furcht, der Maler könnt' es ihm wiederum nehmen.
Dann zählte er ihm die acht Goldgulden auf den Tisch. Als der Mordechai Meisl gegangen war, griff der Maler nach den Gulden. Er ließ sie in seinen Händen klirren und klingen und erfreute sich der ungewohnten Musik. Er warf zwei von ihnen in die Höh' und fing sie auf, dann drei, dann vier, dann fünf, und schließlich ließ er mit der Geschicklichkeit eines Jahrmarktgauklers alle acht durch die Luft wirbeln, und der Flickschneider sah ihm mit offenem Munde zu.
Dann, als er dieses Spieles müde war, ließ er die Gulden, einen nach dem anderen, in seinen Taschen verschwinden.
»Ja, Geld ist eine gute Ware«, sagte er vergnügt. »Im Sommer verdirbt es nicht, im Winter gefriert es nicht und manchmal ist es recht wohlfeil zu erlangen. Ich weiß nicht, — ich kann mich nicht entsinnen, daß ich dieses Bild, das der Jude mit sich nahm, gezeichnet hätte. Ich kann es nicht verstehen. Es seih auch nicht so aus, als hätte ich es gemacht.«
»Mir ergeht es oft ähnlich«, bemerkte der Schneider. »Ich begegne einer Hose, die ich geflickt habe, auf der Straße, ich sehe ihr nach, weil das so meine Gewohnheit ist, aber ich erkenne sie nicht wieder. Man kann, weißt du, nicht alles im Kopf behalten.«
»Ja, mein Lieber!« beendete mein Hauslehrer, der stud. med. Jakob Meisl, seine Erzählung. »Um diese acht Gulden, die mein Ururur-Großonkel, der Mordechai Meisl, für das von dem kaiserlichen Dilettanten gezeichnete Bild gezahlt hat, hat es mir immer leid getan, nicht meinetwegen, das kannst du mir glauben, denn von Meisls Gut, von dem ganzen märchenhaften Reichtum, ist nicht ein Kreuzer auf mich gekommen, — du weißt ja, was aus Meisls Gut geworden ist. Aber diese acht Gulden sind schuld daran, daß das kleine Bild, das dem Kaiser so wohlgefiel, nicht in seine Kunstkammer gelangte und daß der Name Brabanzio nicht in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Denn mit den acht Gulden in der Tasche litt es den Vojtech Brabenec oder Brabanzio nicht länger in der Schneiderwerkstatt seines Bruders, die Ferne lockte ihn, er ging wieder auf Wanderschaft und alles, was er besaß, nahm er mit sich. Als der Kammerdiener des Kaisers, der Cervenka, am nächsten Morgen kam, fand er weder das Bild noch den Maler in der Werkstatt. Der Maler Brabanzio war auf dem Wege nach Venedig, wo irgendeine Pestilenz ihn erwartete, an der er starb. Und nur ein einziges Bild ist erhalten geblieben, das das Signum »Brabanzio fecit« trägt. Es hängt in einer kleinen Privatgalerie in Mailand und stellt einen Mann dar, der in einer Hafenkneipe sitzt, vielleicht ihn selbst, und zwei alte häßliche Weiber drängen sich an ihn heran, um ihn zu umarmen, und die eine ist, denk' ich mir, die Pestilenz, und die andere, grau wie ein Leichentuch, ist die Vergessenheit.«
Der vergessene Alchimist
In das Herz des Mordechai Meisl, das so lange Zeit nur von Leid und Trauer erfüllt gewesen war, hatte sich, wie die Jahre gingen und kamen, ein neuer Gast eingeschlichen, die Ehrsucht. Geld und Gut und daß sich sein Reichtum von Tag zu Tag mehrte, das galt ihm nichts. Daß er der Erste in der Judenstadt war, das war ihm nicht genug. Er trachtete nach Freiheiten, Rechten und Privilegien, die ihn über seinen Stand erheben sollten, auch wollte er durch einen Majestätsbrief auf allen seinen Wegen gesichert und befördert sein. Und so hatte er sich mit des Kaisers Leibkammerdiener, dem Philipp Lang, zusammengetan, einem Mann, der beim Kaiser alles galt, von dem geringen Volk aber, von Christen wie von Juden, gehaßt und gefürchtet wurde. Denn ihm gab man die Schuld an jedem Übel, das im Königreich zu Tage trat. Er sei in bösen Stükken geübt und in jedem Betrug erfahren, sagten die Leute, und nie zuvor habe an eines Königs Hof ein Rube gelebt, der über den ehrlichen Mann soviel Unheil gebracht habe wie der Philipp Lang. Und nun sah man ihn bisweilen durch die Judengassen gehen und auf dem Dreibrunnenplatz in dem Haus des Mordechai Meisl verschwinden.
In jenen Tagen war der Römische Kaiser auf seiner Burg zu Prag in äußerster Bedrängnis, denn mehr denn je gebrach es ihm an Geld. Für den kaiserlichen Haushalt konnte das Allernotwendigste nicht beschafft werden, und die Hofkammer, der die Prüfung der eingelaufenen Rechnungen und die Ordnung und Bezahlung der kaiserlichen Schulden oblag, wußte weder aus noch ein. So waren Seiner Majestät vertraute Räte, der Strahlendorf, der Trautson, der Hegelmüller und etliche andere, zusammengetreten, um auf Mittel und Wege zu sinnen, wie dieser Geldnot abgeholfen werden könnte. Es wurden auch etliche Ratschläge auf die Bahn gebracht und, nachdem ihr Für und Wider erwogen worden war, wieder fallen gelassen. Es fehlte auch nicht an schönen Reden und Worten, die aber zu nichts anderem taugten, als heiße Suppen mit ihnen zu blasen. Zu m Schluß waren Seiner Majestät vertraute Räte untereinander einig geworden, daß nichts geschehen sollte, und sie hatten eine Resolution gefaßt, in der sie erklärten, es gäbe in dieser Sache weder Trost noch Mittel, solange Seine Majestät, der Kaiser, darauf beharre, nach seinem eigenen Wohlgefallen und nicht nach dem Rat seiner Diener zu leben, zu handeln und sein Geld auszugeben.
Wie nun dem Kaiser diese Resolution und Antwort seiner Räte hinterbracht wurde, da begann er zu rasen, zu wüten und zu toben. Mit einem Rapier in der Hand stürzte er durch die Gänge, Kammern und Säle der Prager Burg und schrie, der Hegelmüller solle ihm nicht vor die Augen kommen, er habe sein Leben verwirkt und der Trautson auch, sie stünden beide im Solde seines Bruders, des Matthias, und wollten ihn betrügen, er aber ließe sich nicht betrügen trotz allen Schelmen, Brüdern, Giftmischern und Erzherzogen. Und während er so schrie und tobte, war er in den großen Speisesaal geraten, dort stieß er das Tafelgeschirr vom Tisch und schlug das geschliffene Glas in Scherben.
Nun wich die Raserei von ihm und eine tiefe Niedergeschlagenheit nahm ihren Platz ein. Er klagte, es gäbe in keinem Land der Christenheit einen Herrscher, der ein so elendes Leben führe wie er. Er sei von Feinden umgeben, habe nur Kummer, Sorgen und Beschwerlichkeiten, keine zeitliche Freude sei ihm vergönnt. Er verzeihe dem Trautson und dem Hegelmüller und sogar seinem Bruder, dem Matthias, der ihm unbrüderlich und unchristlich nach dem Leben trachte. Mit bewegter Stimme bat er Gott um Verzeihung und dann wandte er das Rapier gegen sich, wollt' sich den Hals durchstoßen. Der Philipp Lang, der treppauf, treppab und durch die weitläufigen Gänge, durch die Kammern, Stuben, Galerien und Säle dem Kaiser nachgeeilt war, kam gerade zurecht, ihm die Waffe aus der Hand zu winden.
Wie dann der Kaiser in seinem Schlafgemach in einen ruhigeren Gemütszustand, der aber mehr einer Erschlaffung glich, gekommen war, begann der Philipp Lang auf ihn einzusprechen. Der Augenblick erschien ihm günstig, seinen Plan in die Wege zu leiten. Er wollte den Kaiser zum geheimen Teilhaber an des Meisls vielfältigen und weitausgedehnten Kommerzien machen, aber auch zum Nutznießer und alleinigen Erben dieses Reichtums. Dem Meisl, das wußte der Philipp Lang, war kein langes Leben zugemessen, er hatte oft fieberische Zustände, hustete und spie Rlut in sein Faceletlein. Er sollte durch Rechte und Privilegien und durch einen Majestätsbrief, der ihn und sein Vermögen dem kaiserlichen Schutz unterstellte, belohnt und zufriedengestellt, in Wahrheit aber um alles betrogen werden. Meisls Gut sollt' in des Kaisers Taschen fließen und er, der Philipp Lang, wollt' dabei auch nicht zu kurz kommen. Von Seiten seines kaiserlichen Herrn erwartete er in dieser Sache nur geringe Schwierigkeiten, denn der war des Gelds bedürftig, und wie es gewonnen wurde, das galt ihm gleich. Dennoch mußte er auch bei ihm mit Vorsicht zu Werke gehen.
»Eure Majestät sollten doch nicht verzagen«, redete er dem Kaiser zu. »Die Dinge stehen so schlimm nicht, es könnte wohl noch Rat geschaffen werden. Schulden freilich sind eine mißliche Sache, und man darf sie um alles in der Welt nicht vermehren, noch vergrößern. Es ist mit ihnen wie mit dem Biß einer Schlange: Anfangs meint man, es wäre nichts. Aber man geht daran zu Grunde.«
Der Kaiser verharrte in Schweigen. Seine Schulden, so groß sie auch waren, beschwerten ihn nur wenig, mit denen hatte sich die Hofkammer zu befassen. Was ihn so zornig und verzweifelt machte, war, daß ihm seine Räte das Geld nicht bewilligen wollten, dessen er bedurfte, um etliche Gemälde von hohem Wert zu bezahlen, die ihm durch seine Kommissäre in Rom und in Madrid, den Grafen Harrach und den Grafen Khevenhueller, zum Ankauf angeboten worden waren. Es befanden sich unter diesen Gemälden bedeutende Werke des Roos und des Parmeggianino, zweier Meister, die in seiner Kunstkammer noch nicht vertreten waren. Und der Gedanke, daß sie in andere Hände gelangen könnten, bereitete ihm schlaflose Nächte.
»Eure Majestät haben ihre Hoffnung auf die Alchimie gesetzt«, fuhr indessen der Philipp Lang fort. »Ich habe die Goldmacher, die Adepten und die Eingeweihten, einen nach dem anderen mit großem Gepränge an den Hof kommen und mit Unehre wieder verschwinden gesehen. Den Ezechiel Reisacher, von dem man nicht wußte, ob er ein Mann war oder ein Weib, den Geronimo Scotto, dem ich als einziger ein gutes Angedenken bewahre, weil er mir ein Mittel gegen Ohrensausen und tränende Augen verschrieben hat, den Thaddäus Krenfleisch, der ein Pastetenbäcker war, bevor er Alchimist wurde, den Eduard Kelley...«
Bei der Erwähnung dieses Namens verzog der Kaiser den Mund und legte die Hand an seinen Hinterkopf.
»Ja, er hatte Haare, die waren so brennendrot wie die Kohlenglut in seinem Schmelzofen«, bestätigte der Philipp Lang. »Und er zog sich Eurer Majestät Ungnade zu, weil er die Nächte mit den Offizieren der Leibwache durchzechte. Nach ihm kam der Graf Bragadino, der kein Graf war, sondern eines Schiffers Knecht aus Famagusta. Und dann der Vitus Renatus, der vorgab, aus Mangel an Übung, weil er nämlich zeitlebens nur mit Gelehrten Umgang gepflogen habe, seine böhmische Muttersprache vergessen zu haben und nur des Lateinischen mächtig zu sein. Es waren ihrer sechs hier in der Burg, und zwei von ihnen sind des Betruges überwiesen und gehenkt worden.«
Der Kaiser machte eine unwillige Bewegung, es sah aus, als wollte er eine Erinnerung verscheuchen. Aber der Philipp Lang deutete sie richtig: Seine Majestät fühlte sich müde und wollte zu Bette gehen.
»Und jetzt sind es zwei Jahre her«, sprach der Philipp Lang nach einem Weilchen weiter, während er dem Kaiser beim Auskleiden behilflich war, »daß Eure Majestät den Jakobus van Delle in Dienst und Brot genommen haben. Er hat sich den Narren zum Freund auserkoren, den Ofenheizer Brouza, und mehr weiß ich nicht von ihm. Aber ich mein', auch er wird die Taube des Trismegistos nicht erjagen, worunter er, wie mir der Brouza sagt, das Pulver oder Elixier versteht, mit dessen Hilfe er dicke Bleiplatten in das allerfeinste Gold verwandeln will.«
Der Kaiser stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf.
»Ich weiß, Eure Majestät haben ihm eine Frist gesetzt, sind des Wartens müde«, sagte der Philipp Lang, während er dem Kaiser das seidene und mit Gold gestickte, aber schon ein wenig abgenützte Hemd reichte, das dieser des Nachts trug. »Wie die Sache ausgehen wird, das wird die Zeit weisen. Ich mein' aber ...«
Er zuckte die Achseln.
»Es gibt nur einen wahrhaftigen Goldmacher im Königreich«, fuhr er dann fort, »und das ist der Meisl-Jude.«
»Welcher Jude?« fragte der Kaiser. Er war vor das große gußeiserne Kruzifix getreten, beugte die Knie, senkte das Haupt, betete und schlug das Kreuz.
»Der Mordechäus Meisl in der Judenstadt«, erklärte der Philipp Lang, als der* Kaiser sein Gebet beendet hatte. »Der braucht den Vogel des Trismegistos nicht, dem der van Delle so verzweifelt nachjagt. Alle Dinge, die durch seine Hände gehen, werden ihm zu Gold. Wenn ich durch die Gnade Eurer Majestät hundert Gulden oder fünfzig hätte und ich gebe sie einem Bauersmann, so wird er sich Pflug und Zugvieh kaufen, und was wird er damit gewinnen? Alle Tage ein Stücklein Brot mit Salz darauf, mehr nicht. Geb' ich sie dem Schneider unten auf dem Platz, so wird er feines Tuch aus Mecheln dafür kommen lassen und mit diesem Tuch und mit Nadel und Schere wird er Tag für Tag sein Stück Gebratenes oder Gesottenes und einen Schoppen Wein dazu verdienen. Geb' ich aber die hundert Gulden dem Mordechäus Meisl, so macht er im Nu zweihundert daraus. Und das, Eure Majestät, ist die wahre Goldmacherkunst.«
»Dieser Jude ist ein sehr gefährlicher Mensch«, sagte der Kaiser. »Er steht mit bösen Geistern und Dämonen in geheimer Relation, die bringen ihm das Gold.«
»Darüber ist mir nichts bekannt geworden«, beeilte sich der Philipp Lang zu versichern. »Es ist mancherlei wider ihn ausgesprengt worden, die Leute sind ihm neidig, reden viel. Es ist aber sein untertänigstes Bitten und Begehren, daß ihm verstattet sein sollt', Eurer Majestät mit allem, was er besitzt, beizustehen und zu dienen.«
»Will er die Taufe nehmen?« fragte der Kaiser.
»Nein, das will er nicht«, gab der Philipp Lang zur Antwort und rückte dem Kaiser, der sich zu Bett begeben hatte, die Kissen zurecht. »In diesem Punkt ist er den andern Juden gleich, die ein gar halsstarriges, heilloses und verdrießliches Volk sind, wie es schon die Heilige Schrift und die Chronika bezeugen.«
»Und doch ist unser Glaub' und Heil von den Juden hergeflossen«, sagte der Kaiser.
»Ja, und darum muß man sie so, wie sie eben sind, in christlicher Sanftmut gedulden«, meinte der Philipp Lang. »Eurer Majestät wünsch' ich eine gute Ruh'.«
Und auf einen Wink des Kaisers blies er die Lichter aus. Es gab außer dem van Delle noch einen anderen Goldmacher in der Prager Burg, den Anton Brouza, einen ungelehrten Mann, der sich aber auf die Kunst verstand, empfangene Stockstreiche in gemünztes Gold zu verwandeln. Dieser Brouza, ein Mann mit spitzem Kinn, plattgedrückter Nase und einem ehemals roten, aber jetzt ergrauten borstigen Schnurrbart, war der Hofnarr des verewigten Kaisers Maximilian gewesen, und der hatte an des Brouzas einfältigen Späßen, unflätigen Reden und sonderbaren Einfallen soviel Vergnügen gefunden, daß er seinem Sohn Rudolf, dem Erben des Thrones, das Versprechen abgenommen hatte, den Anton Brouza niemals aus dem Dienst zu entlassen oder ihn aus seiner Nähe zu entfernen. Nun wollt' aber Kaiser Rudolf II. keinen Hofnarren um sich dulden, und so hatte er den Brouza zum Ofenheizer in den kaiserlichen Gemächern gemacht, und der Brouza hatte sich darein gefügt, denn, so hatte er dem Kaiser gesagt, zwei Narren unter einem Dach, das täte nicht gut. Er fuhr aber fort, den Kaiser, wie er es gewohnt war, »Herrlein«, »Junkerlein« oder auch »Gevatter« zu nennen und mit ihm zu streiten und zu katzbalgen, und wenn's dem Kaiser dann zuviel wurde und er ihm mit dem Stock den Rücken zerbleute, dann war der Brouza zufrieden und hielt still, denn er hatte nun Ursach', vom Kaiser Geld oder andere Gaben für die erlittenen Streiche zu fordern. Und sobald er sah, daß des Kaisers Zorn verraucht war, begann er zu schreien und zu lamentieren und verschwor sich, er werde es droben dereinst seinem lieben verewigten Herrn klagen, wie es ihm in diesem Haus ergangen sei, das schlimmer sei als eines Henkers Gewölb', darinnen man die Leute foltert und tötet. Und das Drohen, Wehklagen und Lamentieren nahm kein Ende, bis der Kaiser, um endlich Frieden zu haben, und weil er wirklich daran glaubte, daß der Brouza bei dem verewigten Kaiser dereinst Klage wider ihn führen könnt', in