8. Kapitel

Seine Uhr war ihm zusammen mit seiner Brieftasche abgenommen worden, und er hatte keine Möglichkeit, den Ablauf der Zeit zu verfolgen. Nach den ersten Stunden kümmerte es ihn auch kaum noch.

Sie gönnten ihm kein Schlaf. Einer von ihnen befaßte sich immer mit ihm. Ewing gewöhnte sich daran, selbst mit geschlossenen Augen zu erkennen, ob er Firnik, Drayl oder Thirsk vor sich hatte. Firnik versetzte ihm stets einen scharfen Hieb zwischen zwei seiner oberen Rippen; Drayl stieß ihn rauh in den Magen, während Thirsk kurze, schnelle Schläge gegen seinen Halsansatz bevorzugte. Byra grub unweigerlich ihre Nägel in sein Fleisch.

Das Verhör ging weiter. Gewöhnlich war es Firnik, der über ihm stand und ihn drängte zu gestehen, während Drayl oder Thirsk auf ihn einschlugen. Manchmal stellte Byra die Fragen.

Er fühlte, wie seine Kräfte schwanden. Seine Antworten wurden zu einem undeutlichen Murmeln. Waren sie allzu unzusammenhängend, dann gossen sie ihm kaltes Wasser ins Gesicht, um ihn wieder zu beleben. Nach einiger Zeit übte selbst das Wasser keine Wirkung mehr aus; er schlief mit offenen Augen, starrte glasigen Blickes geradeaus, ohne etwas wahrzunehmen.

Thirsk zwang eine Antischlaftablette durch seine Kehle. Die lindernde Benommenheit verschwand.

Auch sie zeigten Anzeichen der Ermüdung. Firniks Augen waren rotgerändert; gelegentlich wurde seine Stumme zu einem Krächzen. Er redete auf Ewing ein, versuchte ihn zu bewegen, seine Hartnäckigkeit aufzugeben.

Einmal, als Ewing zum millionsten Mal gemurmelt hatte: „Ich habe Ihnen beim ersten Mal die Wahrheit gesagt“, schaute Byra Firnik scharf an und bemerkte „Vielleicht ist er aufrichtig. Vielleicht begehen wir einen Fehler. Wie lange soll das noch weitergehen?“

„Halt den Mund!“ flammte Firnik. Er fuhr zu dem Mädchen herum und schlug sie zu Boden. Einen Augenblick später half er ihr auf und knurrte eine Entschuldigung. „Wir werden es mit der Wahrheitsdroge versuchen“, schloß er. „So kommen wir nicht vorwärts.“

Sie versuchten es mit der Wahrheitsdroge. Ewing unterwarf sich der Injektion ohne Widerstand und wartete dann darauf, daß das Verhör seinen Fortgang nahm.

„Worüber haben Sie mit Mellis gesprochen?“ bellte Firnik.

Ewing empfand tiefen inneren Frieden; nicht einmal die Anwandlung kam ihm, etwas zu verbergen. „Ich erzählte ihm von dem Klodnieinfall und daß ich hier wäre, um Hilfe zu erbitten. Er erklärte, daß die Erde uns keine Unterstützung geben könnte und daß —“

„Siehst du?“ fragte Byra. „Nicht einmal die Wahrheitsdroge ändert seine Aussage.“

Kalt entgegnete Firnik: „Er kommt von einer anderen Welt. Vielleicht absorbiert sein Stoffwechsel die Droge. Oder vielleicht ist er hypnotisch konditioniert worden, nicht darauf zu reagieren.“

Das Verhör ging weiter. Ewing war kaum bei Bewußtsein; seine Antworten kamen leise und mühsam. Er erkannte nur schwach, was vorging.

„Es hat keinen Zweck“, rief Byra einige Zeit danach aus. „Du kannst mir nicht erzählen, daß er lügt!“

Firnik schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was er tut. Aber ich will es wissen. Drayl, den Gedankenbohrer.“

Verschwommen hörte Ewing, wie etwas über den Steinboden an sein Lager gerollt wurde. Er vernahm, wie Firnik befahl: „Befestigen Sie die Elektroden. Byra, schalte den Registrator ein. Thirsk, behalten Sie den Encephalographen im Auge. Sobald die Lebensstärke unter plus zwei sinkt, schreien Sie.“

Ewing öffnete die Augen und sah ein komplexes Instrument neben dem Lager; seine unzähligen Meßgeräte und Skalen blickten ihn wie glühende Augen an. Ein schimmernder Kupferhelm hing an einem Nackenscharnier. Drayl schob ihn über seinen Kopf. Klammern im Innern des Helmes legten sich sanft gegen seine Haut.

Er fühlte, wie metallene Vorrichtungen um seine Handgelenke geschnallt wurden. Er empfand keine Furcht, nur Erleichterung, daß das Verhör sich seinem Ende näherte. Er wußte einiges über Gedankenbohrer; er würde bis in die Gedächtniskammern seines Gehirns vorstoßen, sondierend, aufzeichnend, eine Spur unheilbarer Zerstörung hinter sich lassend. Wenn alles vorüber war, würde die Person Baird Swings nicht mehr existieren — nur noch eine blicklose Hülle auf einem Lager im Kellergeschoß des Sirischen Konsulats. Alle Qual und alles Leid würden ein Ende haben.

„Thirsk, wie hoch ist der Stand?“ Firniks Stimme klang angespannt.

„Plus sechs, Sir.“

„Gut. Verfolgen Sie die Schwankungen. Ewing, können Sie mich hören?“

„Ja“, erwiderte er nach einigen Augenblicken des Schweigens.

„Sie haben Ihre letzte Chance. Weshalb entschloß sich die Freie Welt Corwin, Sie zur Erde zu senden?“

„Wegen der Klodni“, begann Ewing müde. „Sie kamen von der Andromeda und —“

Firnik unterbrach ihn. „Das genügt! Byra, mach dich fertig zum Aufnehmen. Ich schalte den Bohrer ein.“

Unter dem Helm wartete Ewing entspannt auf den betäubenden Stoß. Eine Sekunde verging, und noch eine.

Er hörte Firniks Stimme in plötzlicher Bestürzung: „Wer sind Sie? Wie kommen Sie hier herein?“

„Lassen Sie das meine Sorge sein.“ Es war eine fremde Stimme, fest und befehlend. „Treten Sie zurück von der Maschine, Firnik. Ich habe einen Froster hier und brenne darauf, ihn gegen Sie anzuwenden. Stellen Sie sich an die Wand. Sie auch, Byra. Drayl, machen Sie seine Handgelenke los, und nehmen Sie ihm den Helm ab.“

Ewing fühlte, wie sich die Hülle von ihm hob. Er blickte verständnislos um sich. Eine große Gestalt mit einer Gesichtsmaske stand neben der Tür und hielt eine glitzernde kleine Waffe auf die Sirier gerichtet.

Der Ankömmling durchquerte den Raum und hob Ewing mit einer Hand von seinem Lager, während der Lauf des Frosters nicht von den Siriern wich. Ewing war zu schwach, um sich allein auf den Beinen halten zu können; er schwankte unsicher, aber der Fremde hielt ihn fest.

„Firnik, gehen Sie ans Telephon, und vergessen Sie nicht, den Sichtschirm abzuschalten. Rufen Sie den Posten vor dem Konsulat an und teilen Sie ihm mit, daß der Gefangene in seinen Kerker zurückgeführt wird. Der Froster ist auf volle Stärke eingeschaltet. Ein falsches Wort, und Sie erstarren.“

Ewing kam sich vor wie im Traum. Auf seinen Retter gestützt, verfolgte er, wie Firnik in ohnmächtiger Wut dem Befehl des Fremden nachkam.

„Gut“, sagte der Fremde. „Ich verlasse jetzt das Gebäude und nehme Ewing mit. Aber zuerst“ — er nahm eine Adjustierung an seiner Waffe vor — „dürfte es weise sein, Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Das hier sollte euch zumindest für einige Stunden ausschalten.“

Firnik stieß einen erstickten Laut aus und warf sich auf den maskierten Fremden. Der andere feuerte; ein blauer Strahl drang lautlos aus dem Lauf der Waffe, und Firnik erstarrte auf der Stelle. Der Fremde feuerte weiter, bis Byra, Drayl und Thirsk nichts als drei Statuen waren.

Halb gezogen, halb stolpernd ließ Ewing sich aus dem Raum und in einen Lift führen. Er empfand die Aufwärtsbewegung. Der Fahrstuhl stoppte; er bewegte sich vorwärts. Schmerz durchfuhr ihn in Wellen. Er wollte stehenbleiben und sich ausruhen, aber unerbittlich drängte der Fremde weiter.

Frische Luft drang in seine Lungen. Durch halboffene Augen beobachtete er, wie sein Gefährte einer Taxe winkte; er wurde hineingestoßen und hörte die Stimme sagen: „Fahren Sie bitte zum Grand Valloin Hotel.“

Die sanfte Bewegung des Wagens wirkte einschläfernd; nach wenigen Augenblicken war Ewing eingeschlummert. Er erwachte, erneut von dem Fremden gestützt. Aufwärts. In einen Gang. Er stand vor einer Tür.

Die Tür öffnete sich. Sie gingen hinein.

Es war sein Hotelzimmer.

Er taumelte vorwärts und fiel mit dem Gesicht auf das Bett. Er spürte die Bewegungen des Fremden, als er ihn entkleidete, ihm das Gesicht wusch, Enthaarungscreme auftrug, ihn erfrischte.

Er wurde in den anstoßenden Raum getragen und unter die Dusche gehalten. Dann durfte er endlich schlafen. Dia Laken waren warm und behaglich; er kuschelte sich hinein, entspannte seinen gemarterten Körper.

Verschwommen hörte er, wie die Tür sich schloß. Er schlief.

Er erwachte irgendwann. Sein Körper war steif und schmerzte an hundert Stellen. Er drehte sich auf die andere Seite und preßte eine Hand gegen die Stirn, um dem Pochen dahinter ein Ende zu machen.

Die Erinnerung kehrte zurück. Stöhnend kroch er aus dem Bett. Er schaltete den Zimmertelestaten ein und wählte den Nachrichtensender. Der Autoschreiber rasselte, und ein Band begann sich abzuwickeln.

Vierttag, 13. Fünftmonat 3806. Generalgouverneur Mellis ließ heute verlauten, daß der Bau des Red River-Dammes trotz sirischer Einwände verwirklicht werden wird, die darauf hinauslaufen —

Die Einwände der Sirier interessierten Ewing nicht. Seine einzige Absicht beim Einschalten des Telestaten war die Feststellung des Datums gewesen.

Vierttag, 13. Fünftmonat. Er rechnete zurück. Am vergangenen Fünfttagabend hatte seine Unterredung mit Mellis stattgefunden; das war der 7. Fünftmonat. Fünfttagnacht — fast schon Sechsttagmorgen — hatte Firnik ihn entführt.

Zwei Tage später, am Ersttag, dem 10., war er erwacht, und die Folter hatte begonnen. Ersttag, Zweittag, Drittag — und jetzt war Vierttag. Die Tortur hatte nicht länger als zwei Tage gedauert. Der Fremde hatte ihn entweder am Zweit- oder am Drittag gerettet, und er hatte bis jetzt geschlafen.

Noch etwas anderes fiel ihm ein: Seine Verabredung mit Myreck lautete auf Viertabend. Heute abend.

Das Telephon läutete.

Ewing überlegte einen Moment, ob er sich melden sollte; es läutete erneut, beharrlicher, und er schaltete ein. Die robotische Stimme sagte: „Sie werden verlangt, Mr. Ewing.“

Augenblicke später erhellte sich der Zimmerschirm, und Ewing sah das kahlköpfige Bild des Gelehrten Myreck, das ihn besorgt anstarrte.

„Habe ich Sie gestört?“ fragte Myreck.

„Keineswegs“, erwiderte Ewing. „Ich dachte gerade an Sie. Wir hatten eine Verabredung für heute abend, nicht wahr?“

„Ah — ja. Aber ich empfing soeben einen anonymen Anruf, der mir mitteilte, Sie hätten — ein etwas unglückliches Erlebnis gehabt. Ich fragte mich, ob ich Ihnen bei der Linderung Ihrer Schmerzen von Nutzen sein könnte.“

Ewing erinnerte sich an die wunderbare Behandlung, die Myreck ihm hatte zuteil werden lassen. Er zog außerdem die Tatsache in Betracht, daß das Hotel, an dem er sich befand, Firnik gehörte, und daß der Sirier sich bald von seiner Betäubung erholen und nach ihm suchen würde. Es war unklug, noch länger in dem Hotel zu bleiben.

Er lächelte. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden. Sie sagten, Sie würden mich abholen lassen, nicht wahr?“

„Ja. Wir werden in einigen Minuten dort sein.“

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