4 Zweifacher Schrecken

Selbst das Summen von tausend Moskitos konnte die donnernden Schritte des Monsters und die Nörgeleien seiner zwei Köpfe im Dunkeln nicht übertönen.

»Res heiß!«

»Lacua hungrig.«

»Blödes Viehzeug. Will Schnee. Warum heiß?«

»Frühling. Du dumm.«

Pause. »Res geht jetzt heim.«

»Nein!«

Auf einer kleinen Ebene südlich von Haven sah der dreizehn Fuß große Ettin sich selbst an – keine leichte Aufgabe für ein Wesen mit so kurzen, fetten Hälsen. Die wäßrigen Augen des Ettins waren so winzig wie Schweinsäuglein und im Augenblick vor Zorn blutunterlaufen. Jede seiner schinkengroßen Pranken, die vom Kopf der entsprechenden Körperseite gesteuert wurde, hielt eine Dornenkeule. Der Streit entwickelte sich in einem Mischmasch aus Orkisch, Goblinisch und der Sprache der Riesen.

»Schluß damit«, brüllte Res, der rechte Kopf. »Res geht jetzt heim!«

»Zauberer sagt nein! Frau Soldat suchen«, beharrte Lacua, der linke Kopf.

»Lange unterwegs. Viel zu lange. Keine Frau Soldat. Weg, weg.« Das war womöglich die längste Rede, die Res je gehalten hatte. Deshalb schnappte er nach Luft, runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern, womit er angefangen hatte. »Was Res sagen?« fragte er Lacua.

Der linke Kopf dachte angestrengt nach. Lacuas schweineartige Schnauze verzog sich vor Konzentration. »Denk, denk«, grübelte er. Die Köpfe des fleischfressenden Ungeheuers wurden bereits kahl, doch beide hatten einen strähnigen, fettigen Pferdeschwanz. Der von Lacua schwang hin und her, als dieser sein Gehirn durchforstete. Nutzlos. Res-Lacua zuckte mit den Schultern und lief weiter. Weder Res noch Lacua konnten das Thema einer neuen Meinungsverschiedenheit lange genug behalten, um in ernsthaften Streit zu geraten.

Janusz hatte Lacua vorsichtigerweise mit einem magischen Gegenstand ausgerüstet, über den der Zauberer von seiner neuen Heimat aus mit ihm in Verbindung bleiben konnte. Denn Janusz hielt sich mittlerweile im Eisreich auf, einen halben Kontinent südlich von Haven. Der Ettin hatte dem Magier schon früher gute Dienste geleistet – was mehr von seiner Treue und Sturheit zeugte als von seinen geistigen Fähigkeiten. Der linke Kopf, Lacua, der knapp an die Intelligenz eines Kaninchens heranreichte, war dem rechten Kopf, Res, unendlich voraus. Deshalb hatte Janusz, der bei dieser Mission die Reibereien zwischen den beiden vorhergesehen hatte, Lacua zum Anführer der Reise und zum Schiedsrichter bei allen Zwistigkeiten ernannt.

Das hätte Res bestimmt geärgert, wenn er imstande gewesen wäre, sich darauf zu konzentrieren.

Plötzlich flitzte ein Stinktier aus einem hohlen Baumstumpf, und die rechte Hand des Ettins sauste durch die Dunkelheit und schlug das Tier mit der Keule nieder. Ohne auf die stinkende Wolke zu achten, verschlang der rechte Kopf das Stinktier mit drei Bissen, während Lacua, dem das Wasser im Mund zusammenlief, zusah.

Der Stinktierduft, der sich zu dem Mantel aus Dreck gesellte, der die Haut des Ettins überzog, konnte den durchdringenden Gestank von Res-Lacua kaum noch verschlimmern. »Sauberkeit« gehörte – wie die meisten Wörter mit mehr als zwei Silben – nicht zum Wortschatz des Ettins. Eine ungegerbte Eisbärhaut bedeckte den breiten Leib des Monsters. Der Pelz war von unzähligen Flöhen besiedelt.

Der Hitze und des Ungeziefers wegen kratzte sich der Ettin ständig. Dazu waren die Dornenkeulen ganz praktisch.

»Heiß«, murmelte Res wieder. »Kein Schnee.«

»Frühling, blöd«, wiederholte Lacua.

»Schnee«, maulte Res. Lacua sah gereizt zu ihm hin. Beide Köpfe sahen von den Moskitostichen aus wie pockenübersät. Res hatte seine aufgekratzt, bis sie bluteten.

»Schnee?« wiederholte Lacua. »Wo?«

»Will Schnee.«

»Hier kein Schnee. Nix.«

»Nach Hause?«

»Bald.«

»Jetzt?«

»Nein. Später. Vielleicht.«

Res-Lacua trampelte durch die lila Blumen und die anderen Steppengewächse nach Norden. Grassamen hingen wie Fusseln an dem Riesen. Vor dem Ettin standen die hohen Gräser wie Ausrufezeichen. Hinter ihm war die Vegetation zwei Schritt breit plattgewalzt.

Seine Nachtsicht erlaubte es dem Ettin, bei Dunkelheit bis zu neunzig Fuß weit zu sehen, aber Res-Lacuas Sehvermögen hatte bis jetzt noch nicht viel dazu beigetragen, den gewaltigen Appetit des Monsters zu stillen. Der zweiköpfige Troll hatte als Imbiß zwei Ziegen verspeist und bei Sonnenuntergang eine Kuh, aber das war schon wieder Stunden her.

Plötzlich blieb Lacua stehen, ließ die Keule sinken und steckte die linke Hand in seine Tunika.

»Floh?« fragte Res, der mitleidig das Gesicht verzog.

Lacua antwortete nicht. Er zog zwei Gegenstände aus einer Tasche, die Janusz in die Eisbärenhaut hatte einnähen lassen – einen Edelstein, der einen amethystfarbenen Schein auf die Zwillingsgesichter über sich warf, und einen zweiten Stein, der wie ein ganz gewöhnlicher flacher, grauer Kiesel aussah. Lacua jedoch handhabte die beiden mit aller Ehrfurcht, zu der ein Ettin fähig ist.

»Redestein nicht verlieren«, summte er. »Lila Stein nicht verlieren.«

»Nicht, nicht, nicht«, stimmte Res mit ein.

»Sonst Ettin tot.«

Beide Köpfe nickten weise.

Jetzt hörte der Ettin das Blöken eines Schafs und schob die zwei Steine in seine Tunika zurück. Er blickte in die Nacht. Dann hörten seine vier Ohren Gebell und einen lauten Befehl, die hinter einer Anhöhe hervordrangen. Und noch mehr Blöken.

»Määäh?« fragte Res. »Määäääh?«

»Mäh Essen«, antwortete Lacua wissend.

»Ah.«

Eifrig machte sich der Ettin auf den Weg zu dem Schäfer und seiner Herde.

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