5 Das Dreieck

»Und? Hast du sein Geld gestohlen, Kit?« wollte Tanis wissen.

»Nein«, erwiderte sie mit einem wütenden Blick auf Caven Mackid. »Ich habe es anständig im Spiel gewonnen. Und jetzt ist es sowieso zu spät. Ich hab’s ausgegeben.«

»Anständig?« Caven spuckte auf den Boden. Die Musikanten spielten laut, doch die streitenden Stimmen übertönten die Musik. »Zehn Stahlmünzen hat sie mir abgenommen«, schrie er. »Sie hat das Geld beim Faro gewonnen. Dann hab’ ich sie beim Falschspielen erwischt und es mir zurückgeholt.«

»Mit gezücktem Messer«, betonte Kitiara.

Caven und Kitiara standen einander Nase an Nase gegenüber, richteten ihre Bemerkungen jedoch an Tanis. Wod grinste von einem Ohr zum anderen, weil alles so spannend war.

»Ich habe es ihm nicht freiwillig zurückgegeben«, sagte Kitiara. »Ich habe nichts zugegeben; deshalb gehörte das Geld immer noch mir.«

Cavens Gesicht wurde noch röter. »Und dann, als ich ihr den Rücken zukehre, wühlt sie in meinen Sachen, schnappt sich das Geld und stiehlt sich davon, die verlogene Diebin!«

Tanis legte Kitiara unsanft die Hand auf die Schulter. »Hast du den Mann beim Faro betrogen?«

»Ich betrüge nie, ob beim Faro oder bei anderen Kartenspielen«, sagte sie hochmütig. »Hab’ ich nicht nötig.« Als Tanis sie weiterhin zweifelnd ansah, wurde die Kriegerin rot und funkelte die beiden Männer an.

Der Halbelf wandte sich an Caven Mackid. »Du hast sie über einen Monat lang nur wegen zehn Stahlmünzen verfolgt?«

Der Söldner schwieg einen Augenblick. »Es geht mir ums Prinzip«, meinte er schließlich.

In der sich anschließenden Stille wurde Tanis bewußt, daß die Barden nicht mehr spielten. Vier von den Knechten des Wirts, die Sandalen und Bundhosen trugen und vor Muskeln nur so strotzten, hielten mit grimmigen Gesichtern auf die Streithähne zu.

»Wir verschwinden«, rief Tanis und zerrte die protestierende Kitiara auf die Straße. Wod schlüpfte noch knapp vor ihnen durch die Tür. Caven sah aus, als ob er überlege, die Sache auszufechten, doch dann sah er sich nach seiner Verstärkung um, fand sich allein und folgte dem Halbelfen und Kitiara in die Nacht. Die Rausschmeißer des Wirtshauses bauten sich mit vor der Brust verschränkten Armen am Eingang auf.

Solinari und Lunitari waren hinter einer Wolkendecke verschwunden. Tanis wirkte selbst so finster wie eine Gewitterwolke, als er Kitiara ansah. »Gib es ihm, Kit.«

»Es war mein Geld.«

»Gib es ihm!«

»Nein!«

Tanis’ Miene wurde noch finsterer. »Dann tue ich es – nur um ihn loszuwerden. Gib mir meinen Anteil von dem Irrlichtgeld.« Er streckte die Hand aus. Kitiara legte ihrerseits die Hand an den Gürtel, wo sie den Beutel mit dem erbeuteten Geld hängen hatte. Erst überrascht, dann zunehmend hektisch suchte sie herum.

»Tanis! Der Beutel ist weg! Warum haben wir das Geld nicht gleich vorhin geteilt?«

Caven lachte. »Sie hat es gestohlen, Halbelf. Kitiara hat auch dich übers Ohr gehauen.«

»Tröpfelchen Torhopser!« rief Kitiara aus. »Das war die Kenderin. Ich weiß es!« Sie stöhnte. »Und meinetwegen ist sie inzwischen wahrscheinlich weit fort von Haven. Beim schattenlosen Abgrund, die kriegen wir nie.«

Caven sprach mit weicher Stimme weiter. »Paß auf, Halbelf. Kitiara wollte heute nacht bestimmt sowieso mit deinem Geld verschwinden. Kitiara Uth Matar darf man nie aus den Augen lassen.«

Plötzlich schrie Kitiara auf. Selbst im gelben Licht der Fackeln an der Tür zum Wirtshaus wirkte ihr Gesicht weiß. »Bei den Göttern, meine Tasche! Wenn diese Kenderin…« Sie fuhr herum und warf den Packsack auf das Kopfsteinpflaster. Den ganzen Tag hatte sie darauf bestanden, ihn mitzuschleppen. Kitiara wühlte in der abgenutzten Tasche herum, schob etwas beiseite und seufzte. »Den Göttern sei Dank.«

»Unser Geld?« fragte Tanis, der Caven Mackid einen triumphierenden Blick zuwarf, als Kitiara die Sachen wieder ordentlich verstaute.

Aber Kitiara schüttelte den Kopf. »Etwas Wertvolleres. Die… Sachen für Raistlin.«

»Hah!« höhnte Caven. »Sie hat dein Geld da drin, Halbelf. Ich guck’ mal nach.« Er näherte sich Kitiara, griff nach ihrem Packsack – und wich sofort vor ihrem neuen Dolch zurück.

»Dein Leben kann dir nicht viel wert sein, Mackid«, knurrte sie, »wenn du so etwas versuchst.«

»Sie hat dein Geld, Halbelf«, widersprach Caven. »Und meins wahrscheinlich auch. Los, sieh nach.«

Tanis streckte die Hand aus. »Laß mich nachsehen, Kit.«

Kitiara starrte Tanis lange mit undurchschaubarem Gesichtsausdruck an. Caven flüsterte: »Laß dich nicht einwickeln, Halbelf. Sie lügt.«

Die Kriegerin, die immer noch Tanis ansah, kam zu einem Entschluß. »Ich zeig’ es dir, Halbelf.« Zu Caven sagte sie über die Schulter: »Aber du kannst zum Abgrund fahren, Mackid.« Kitiara machte die Klappe des Leinenbeutels auf und hielt dem Halbelf die Öffnung hin. »Sieh hinein«, drängte sie.

Nach kurzem Zögern steckte Tanis eine Hand in den Packsack. Seine Finger berührten Kleider, Proviantkrümel von der wochenlangen Reise und ein kurzes Messer in einem Holzetui. Kein Geldbeutel. Er zog die Hand zurück. »Nichts«, sagte er zu Caven.

»Hab’ ich doch gesagt«, sagte Kitiara. Sie schnürte ihren Packsack zusammen und warf ihn über die Schulter.

Einen Augenblick schien Caven zu glauben, Kitiara und Tanis hätten sich gegen ihn verschworen, doch nach einem Blick auf den Halbelfen änderte er augenscheinlich seine Meinung. Mit der Stiefelspitze trat er gegen einen Stein. »Zehn Stahlmünzen«, murmelte er. »Ich folge der Frau einen Monat wegen zehn lumpiger Stahlmünzen, und sie hat das Geld nicht mehr. Und ich habe nur noch eine einzige Stahlmünze übrig.« Er sah hoch. Plötzlich lag in seiner Stimme Hoffnung. »Wieviel Geld habt ihr?«

Tanis und Kitiara sahen einander an. Kitiara schien sich nicht über den abrupten Stimmungsumschwung ihres Söldnerfreunds zu wundern. »Ich bin blank, Mackid. Gib’s auf.«

»Ich habe ein bißchen Kleingeld«, sagte der Halbelf. »Genug zum Abendessen – für Kitiara und mich.« Die letzten paar Worte betonte er.

»Und ich habe eine Stahlmünze«, schloß Caven. »Gehen wir in eine andere Taverne und bereden die Frage bei einem Krug Bier.«

Tanis merkte, daß sein Gesichtsausdruck starr wurde – Flint nannte das seinen ›unglaublich eselhaften Elfenblick‹. »Die Frage?« wiederholte er.

Caven nickte. »Die Frage«, erklärte er, »wie ihr zwei die zehn Stahlmünzen auftreibt, die Kitiara gestohlen hat, weil ich sonst womöglich zur Stadtwache von Haven gehe und euch wegen Diebstahls einsperren lasse.«

Kitiara schrie auf und warf sich mit gezücktem Dolch auf Caven. Sie hätte den Mann um ein Haar durchbohrt, doch Tanis riß sie zurück. Wods begeisterte Blicke waren reinem Hohn gewichen. »Halbelf, laß mich los!« kreischte Kitiara. »Ich mache ihn und auch seinen klapprigen Knappen fertig, das schwöre ich! Mackid will mich ins Gefängnis bringen? Es war mein Geld, sag’ ich dir!«

»Bis du das beweisen kannst, könnte einige Zeit vergehen, Kit«, sagte Caven mit mildem Lächeln. »Wochen, vielleicht Monate – wenn überhaupt. Wie willst du von einer Kerkerzelle in Haven aus etwas beweisen, mein Schatz?«

Kitiara hörte auf, sich zu wehren. Sie dachte über seine Worte nach. Der Ärger schien aus ihrem Körper in die Steine zu ihren Füßen zu sickern. Nach kurzem Zögern ließ Tanis sie los. Die Kriegerin zog ihre Kleider zurecht und marschierte vom »Maskierten Drachen« weg. »Kommt schon, ihr zwei«, rief sie unwirsch über die Schulter.

»Kommt schon?« wiederholte Caven. Er sah von Kitiara zu dem Halbelfen.

»In eine Schenke«, rief sie. »Reden. Du hast uns schließlich eingeladen, Caven.«

Caven Mackid stand reglos da, doch Tanis mußte lachen und lief der Kriegerin hinterher. Nach kurzer Zeit blieb Kitiara dann vor einer rauchigen Bude stehen, aus der Fackelschein drang. Ein handgeschriebenes Schild – mit grausiger Rechtschreibung – war über die Tür genagelt. Darauf stand »Zum Gliklichen Oga« neben einem Bild von einem offensichtlich betrunkenen Oger. »Das hier dürfte zu unserer Unterhaltung passen«, sagte Kit, die die Stufen in die überfüllte Schenke hinunterstieg. Tanis folgte ihr achselzuckend mit Wod, und Caven bildete das Schlußlicht.

Sie fanden einen Tisch, indem sie drei träge Händler aufstehen ließen, die zu betrunken waren, um Einwände zu machen. Der Wirt hatte nichts dagegen einzuwenden, denn die neuen Gäste konnten eindeutig mehr Bier vertragen als das versoffene Trio, das jetzt schnarchend an der Wand lehnte.

Wod sagte nichts, doch Tanis, Caven und Kitiara mußten die Streitereien und gelegentlichen Handgreiflichkeiten im Hintergrund überschreien.

»Wo hattet ihr das Geld her, das der Kender gestohlen hat?« rief Caven, der erst einen, dann noch einen Schluck Bier trank. Inzwischen schien er Kitiara ihre Geschichte über Tröpfelchen Torhopser abzunehmen. Die Kriegerin, die ihre Sätze mit wilden Gesten untermalte, beschrieb kurz, wie sie letzte Nacht mit dem Irrlicht gekämpft hatten. Dann entwarf Caven Ideen, wie sie zu dritt zu Geld kommen könnten. Phantastische Ideen, dachte Tanis gähnend. Doch er hörte höflich zu, als er merkte, daß Kitiara Caven sehr ernst nahm.

Die beiden waren im Nu betrunken, stellte der Halbelf fest. Wortlos betrachtete Tanis seinen unberührten Krug, dann die beiden Söldner. Sie waren ein prächtiges Paar. Kitiara war schlank und muskulös, ihre dunklen Haare durch das ungewöhnlich feuchte Wetter besonders lockig, ihre Augen glänzend – wovon? Vom Alkohol? Neben Caven, dessen Muskeln verrieten, wieviel Zeit er für seinen Körper aufwandte, waren sie und der Halbelf nur Zwerge. Die Menschen hatten beide schwarze Haare, dunkle Augen, bleiche Gesichter – und im Augenblick einen gierigen Ausdruck, denn sie wollten aus ihrem armselig kurzen Menschenleben um jeden Preis herausschlagen, was sie nur konnten.

Caven winkte die Kellnerin heran, ein dickliches, blondes Mädchen mit rosiger Haut und Kuhaugen. Wod, der ein oder zwei Jahre jünger sein mußte als das Mädchen, setzte sich etwas auf und warf ihr einen lüsternen Blick zu, was sie wenig beeindruckte. »Ja?« fragte sie Caven.

»Noch einen Krug Bier.«

»Kannste zahlen?«

Caven sah sie finster an. »Natürlich können wir zahlen.«

»Zeich mir dein Geld.«

Als Caven aufbrausen wollte, sagte das Mädchen: »In so’m Haus gibt’s Gäste, die saufen wollen, aber nich’ zahlen, ja? Ich kenn’ dich nich’. Hast schicke Sachen an, klar, aber die haste vielleicht geklaut. Also zeich mir jetzt dein Geld, ja?«

Caven knallte seine letzte Münze auf den Tisch. Das Mädchen nahm das Geldstück ungerührt in seine dreckigen Finger und prüfte es. »Sieht gut aus«, meinte sie, steckte es ein, nahm den Krug und verschwand. Gleich darauf kam sie zurück und stellte ihnen den frisch gefüllten Krug so unsanft auf den Tisch, daß das Bier über den Tisch schwappte. Wod stand auf und folgte ihr zum Schanktisch.

»Dieses Haus erinnert mich an die ›Sandviper‹ in Kernen«, stellte Kitiara fest. »Rauch, schmierige Tische und in der Ecke Besoffene.«

Caven lachte auf und schenkte Kitiara nach. »Weißt du noch, wie Lloiden mal den Bierkrug ins Feuer geschmissen hat?«

Die Kriegerin antwortete mit einem Kichern. »Er dachte, er könnte beweisen, daß sie das Bier verwässern. Er sagte, Wasserbier würde das Feuer löschen«, erläuterte sie Tanis. »Statt dessen hat er das Haus praktisch niedergebrannt.« Als der Halbelf nicht lachte, wandte sich Kitiara an Caven. »Tanis ist heute nicht zum Lachen aufgelegt, Mackid«, sagte sie mit gespieltem Ernst.

Der Halbelf stand auf. Er gesellte sich zu Wod, der jetzt an der Bar herumhing und das Mädchen mit lüsternen Blicken verfolgte, obwohl es ihn geflissentlich übersah. »Ach, was für eine Frau!« sagte der Junge sehnsüchtig. Er streckte Tanis seine magere Hand entgegen. »Heiße Wod. Caven ist mein Onkel. Meine Mutter ist seine große Schwester. Bin sein Knappe – schon ein Jahr.« Tanis schüttelte die angebotene Hand.

Der Junge zeigte auf Kitiara und Mackid, die sich ausschütteten vor Lachen und einander auf die Schulter klopften. »Kannst die beiden heute abend vergessen, Halbelf. So hab’ ich sie schon früher erlebt. Wenn die erst mal bei den alten Geschichten sind, bleiben sie die ganze Nacht hocken, trinken und reden… Wenigstens haben sie nicht so viel Geld, sonst würden sie noch morgen früh da sitzen.«

»Aber Mackid hat ihr mit dem Gefängnis gedroht. Hat er das nicht so gemeint?«

Wod nickte weise. »Oh, das hat er schon so gemeint. Vielleicht denkt er gerade nicht mehr dran, weil er Bier in sich reinkippt. Aber morgen früh bestimmt wieder. Und ich schätze, ihr fällt’s auch wieder ein – morgen früh. Aber so sind sie halt, diese Söldner, Halbelf. Irgendwie wechselhaft wie der Wind. Alles vergeben und vergessen, wenn sie betrunken sind. Wenigstens bei Caven ist das so. Hauptmann Kitiara kann ’n bißchen schnippisch werden, wenn sie ein paar über’n Durst getrunken hat.«

Die Kellnerin fegte wortlos an ihnen vorbei. Wod sog den Duft von gebratenen Zwiebeln, verschüttetem Bier und gegrilltem Fleisch ein, der hinter ihr herwehte. »Herrlich«, seufzte er.

»Die ist nichts für dich«, riet ihm Tanis.

»Häh?« Wod richtete den Blick direkt auf den Halbelfen. Dann runzelte er die Stirn, als das Mädchen hochnäsig wieder vorbeilief. »Schätze, du hast recht.« Er seufzte wieder.

»Wie lange kennen sich die beiden schon?« Tanis zeigte auf Kitiara und Caven.

Wod dachte nach. »Also, die zwei Wochen Belagerung, einen Monat Vorbereitung, und dann haben sie sich nach der Schlacht noch ein paar Monate zusammen rumgetrieben. Dann hat Kitiara Caven ausgetrickst, und er ist ihr nach. Hah, du hättest ihn sehen sollen, als er gemerkt hat, daß sie sein Geld geklaut hat!«

Tanis versuchte noch mehr aus dem Jungen herauszukitzeln. »Die Schlacht?« Kitiara hatte eine Bemerkung fallen lassen, daß sie in Kern gewesen war – »bezahlte Soldaten«, wie sie es genannt hatte. Aber sie hatte nicht viel von der Unternehmung preisgegeben. Jetzt konnte Tanis vielleicht etwas erfahren.

Der Junge seufzte. »Das war schrecklich. Zauberfeuer ist vom Himmel gefallen, und die Menschen sind schreiend gestorben. Dann kommt Kitiara angelaufen, reißt mir ihr Pferd weg und will los, aber Caven holt sie ein, bringt sie dazu, auf ihn zu warten, und die beiden reiten westlich aus Kern raus, ich natürlich hinterher.«

»Kitiara wollte ihn also zurücklassen?« Wenigstens über diese Neuigkeit freute sich Tanis.

Der junge Mann bejahte. »Aber Caven ist stur. Er wollte unbedingt mit, besonders wo der Valdan geschlagene Truppen bekanntlich schlecht behandelt, wenn du weißt, was ich meine.« Er sah Tanis an, der fragend die Augenbrauen hochzog. »Hinrichten. Das heißt, das macht sein Zauberer. Aber, bei den Göttern, wenn er siegt, zahlt er gut, darum gehen Söldner das Risiko ein. Sie pokern eben gern.« Der Junge beschrieb das Wenige, was er über Kern, den Valdan und seinen Zauberer Janusz wußte. »Es heißt«, der Junge hielt inne und sah sich um, »sie hätten ein Blutband.« Er zwinkerte Tanis zu und nickte wichtigtuerisch.

Falls Wod eine bestimmte Reaktion von Tanis erwartete, blieb diese jedoch aus. »Blutband?« fragte der Halbelf, ohne seine Stimme zu senken.

Mit entsetzten Blicken nach allen Seiten brachte Wod ihn zum Schweigen. »Ruhe, du Dummkopf! Gibt’s denn hier so was nicht?« Tanis schüttelte den Kopf. »Natürlich«, fuhr der Junge fort, »darf es so was zu Hause auch nicht geben. In Kern war’s schon verboten, als mein Ururgroßvater noch in den Windeln lag. Aber es heißt, der Vater des Valdan, der alte Valdan, habe einen Schuft von Zauberer gehabt, der dazu bereit war und keine Angst davor hatte, was die Versammlung der Zauberer mit ihm anstellen würde. Also ging er los und hat den Valdan – den jetzigen Valdan nämlich, der damals noch ein Kind war – mit einem anderen Jungen verknüpft, und das war Janusz, der jetzige Zauberer.«

Tanis schwirrte allmählich der Kopf, aber er wollte Bescheid wissen. »In ganz Kern gab’s Gerüchte«, erzählte Wod, »besonders als die Eltern des Valdan – also, die Eltern des jetzigen Valdan, der damals noch ein Kind war – umkamen, unmittelbar nachdem das Blutband geknüpft worden war – wie wir glauben. Aber in Kern ist es lebensgefährlich, darüber zu reden, wenn du also je dorthin kommst, dann sag bloß nichts von dem, was ich dir erzählt habe.« Er holte tief Luft.

Tanis nickte. Er war so gründlich verwirrt, daß er kein Wort von dem hätte wiederholen können, was er gerade gehört hatte. Er sortierte die wirren Sätze des Jungen. »Was ist denn ein Blutband?« fragte der Halbelf schließlich und dachte daran, leiser zu sprechen.

Wod gelang ein ebenso selbstzufriedener wie überraschter Ausdruck. »Wo kommst denn du her, Halbelf?« brachte er schließlich heraus.

»Ich bin aus Qualinesti«, erwiderte Tanis.

Wod verkniff den Mund und nickte, als würde das alles erklären. »Aha. Ein Hinterwäldler. Nun, ein Blutband – ob es das jetzt gibt oder nicht, du weißt schon, aber in Kern glauben alle, daß es das gibt, denn – «

Tanis unterbrach ihn. »Was ist das?«

Wod warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, fuhr jedoch aufgeblasen fort: »Man verbindet zwei Leute, normalerweise einen Zauberer mit einem Adligen. Der Rangniedere – normalerweise der Zauberer – steckt die Prügel für den Hochstehenden ein.« Wod nickte hochmütig. Dann fuhr er gereizt fort, weil der Halbelf offensichtlich nichts verstanden hatte. »Na schön, sagen wir mal, du und ich haben ein Blutband – wenn es so was gibt, aber ich wette, es stimmt…«

»Na schön«, sagte Tanis etwas niedergeschlagen, »sagen wir mal, wir haben so ein Band.«

»Also, wenn ich der Mächtige bin, dann passiert alles Schlechte, was mir passieren soll, statt dessen dir.«

Tanis zog eine Braue hoch. Wod stieß einen schweren Seufzer aus. »Na schön. Sagen wir mal, ein Hobgoblin trifft mich mit seinem Morgenstern in den Bauch.« Der Halbelf wartete. »Ich müßte so gut wie tot sein, richtig? Aber statt dessen hast du die Verletzung, und ich komme ohne Kratzer davon. So sagt man jedenfalls. Manche meinen, das sei bloß eine Legende, aber ich glaube…«

Er plapperte weiter. Ohne den Jungen länger zu beachten, lehnte sich Tanis an den Schanktisch. Wenn man Wods Geschwätz Glauben schenken konnte, würde ein Blutband zu einem Zauberer jedem Adligen einen ziemlich großen Vorteil gegenüber anderen verschaffen, ganz zu schweigen von dem beträchtlichen Einfluß auf den Zauberer. Kein Wunder, daß die Versammlung der Zauberer solche Praktiken untersagt hatte. Wod behauptete, dieser Janusz sei noch klein gewesen, als das Blutband geknüpft wurde. Falls es so ein Blutband überhaupt wirklich gab…

Tanis schüttelte den Kopf. Er dachte schon wie Wod. Der Halbelf beobachtete wieder Kitiara und Caven. Sie hingen vertraulich über dem Tisch, hatten ihren dritten Krug Bier angefangen und redeten wild aufeinander ein. Keiner schien dem anderen richtig zuzuhören.

Tanis hatte keine Lust, die ganze Nacht wachzubleiben, um die alten Geschichten von Kitiara und Caven mitanzuhören. Ihr Zimmer in den »Sieben Zentauren«, das sie glücklicherweise im voraus bezahlt hatten, war jetzt einladender als eine rauchige Taverne mitten in Haven. Kitiara fand den Weg zurück auch allein.

Er verließ den »Gliklichen Oga«, ohne sich zu verabschieden.


Drei Stunden später stieß sich Kitiara vom Tisch ab und stand unsicher auf, um gleich nach ihrem Packsack zu greifen, der selbst nach ihrem neunten Bier noch sicher zu ihren Füßen lag. Caven hob benommen den Kopf, der auf dem klebrigen Tisch gelegen hatte. »Was’n los?« murmelte er. »Willste noch was?« Er griff nach dem Krug, der leer neben ihm lag, und verzog das Gesicht. Dann zwinkerte er ein paarmal und tastete auf dem Tisch herum. Kitiara erriet seine Absicht.

»Ist kein Geld mehr da«, sagte sie leise. Als seine Hand weiter über den schmutzigen Tisch wanderte, fügte sie hinzu: »Wir haben unsern Teil gehabt, und der Wirt hat uns im Auge. Ich konnte dich schon immer unter den Tisch trinken, Mackid.«

Caven grunzte. »Sag ihm, er soll’s auf die Rechnung setzen. Ich steh’ dafür ein.«

Kitiara lachte überlaut und sah mit schiefem Grinsen, wie Caven zusammenzuckte. »Sag du’s ihm, Mackid. Ich verschwinde jetzt.« Sie stieg über einen schnarchenden Zwerg und hielt auf die Tür zu, wobei sie den Hinterlassenschaften anderer Säufer auf dem Boden auswich.

»Wo wohnst du?« rief Caven ihr hitzig nach. »Du kommst mir nicht davon, ohne mich zu bezahlen, du Betrügerin!«

Zu so später Stunde an so einem Ort waren solche Beschimpfungen übliche Zeichen der Zuneigung. Die wenigen Gäste, die noch aufnahmefähig waren, achteten kaum auf das, was zweifellos ein normaler Streit zwischen Liebenden war.

»Im ›Maskierten Drachen‹«, log sie. »Wir sehen uns morgen früh.«

»Ich komme mit. Das ist viel besser, als bei Malefiz im Stall zu schlafen.« Während Kitiara sich fragte, ob diese Bemerkung ernstzunehmen war, stützte Caven sich hoch und richtete sich auf. Als er wieder klar sehen konnte, ließ er den Blick langsam durch den Raum schweifen. »Wo ist Wod?« schimpfte er. »Dieser faule – «

»Wod ist vor einer Stunde mit der Kellnerin verschwunden. Das heißt, die blonde Kuh ist gegangen, und der Junge ist ihr hinterher.«

»Ganz heiß auf sie«, sagte Caven zufrieden. »Guter Junge. Da fällt mir ein…« Er stieg vorsichtig über den Zwerg und wäre beinahe der Länge nach hingeschlagen, als der Betrunkene hickste und sich umdrehte. Der Raum stank nach abgestandenem Essen, Bier und verbrauchter Luft. »Ich komme mit«, wiederholte er. »In den ›Maskierten Drachen‹.«

»Tanis ist schon da. Ich glaube kaum, daß Platz für drei ist.«

»Dann sag ihm, er soll verschwinden«, sagte Mackid störrisch. »Ich kann jederzeit jeden Elfen plattmachen.«

»Halbelfen«, stellte Kitiara richtig. »Und mach dir da nichts vor.«

Caven holte weit aus, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte. »Sag ihm, er soll Leine ziehen, und dann komm mit mir.« Er zwinkerte. »Ich erlass’ dir auch großzügig deine Schulden.« Er stützte sich am Türknauf ab, um das Gleichgewicht zu halten.

Kitiara sah zweifelnd auf. Ihre Augen waren klarer als die der meisten anderen im Raum. Caven Mackid war ein körperlich höchst eindrucksvoller Mann, aber in seinem augenblicklichen Zustand nicht gerade unwiderstehlich. Und den Halbelfen war sie noch nicht leid.

»Ich gehe, Mackid.« Sie drehte sich um und stieg die drei Stufen zur Straße hoch.

Es regnete. Das Kopfsteinpflaster, das schon bei trockenem Wetter rutschig war, war jetzt wie mit Öl übergossen. Kitiara legte eine Hand an die Wand des »Gliklichen Oga« und ging schnell die Straße hinunter. Sie achtete auf ihre Schritte und versuchte den Regen zu ignorieren. Hinter sich hörte sie Cavens gedämpften Fluch, als dieser auf die verregnete Straße trat. »Kitiara!« bellte er. Doch sie lief unbeirrt weiter.

Um diese späte Stunde war in Haven außer ein paar Betrunkenen und einer gelegentlichen, gelangweilten Stadtwache niemand mehr auf der Straße. Kitiara bog scharf nach links ab und fand sich in einer leb- und lichtlosen Seitengasse wieder, die ungefähr zu den »Sieben Zentauren« führte und nicht aus schlüpfrigem Pflaster, sondern aus festgetretener Erde war.

Ein Stück hinter ihr tauchte Caven auf. »Kitiara?« Er spähte in die Dunkelheit.

»Laß es, Mackid«, fauchte sie und lief schneller. In diesem Augenblick gab es jedoch einen Donnerschlag, und aus dem Nieseln wurde ein Platzregen. Sie rettete sich mit einem Fluch in einen Eingang. Gleich darauf gesellte sich Caven zu ihr.

Der Eingang war breit, geschützt und trocken. Verschlossene Doppeltüren führten in eine Art Lager. Caven stand irgendwie erwartungsvoll reglos zwischen Kitiara und der Straße. Zitternd wurde ihr klar, daß der kurze Rock und die leichte Bluse ihr auf dem Markt von Haven zwar Bewegungsfreiheit und bewundernde Blicke verschafft hatten, für einen kalten Regenguß jedoch völlig unpassend waren.

Sie war naß bis auf die Haut. Caven hingegen war durch seinen dicht gewebten Wollmantel geschützt.

Sie zeigte darauf. »Trägst du den Mantel auch, wenn es warm ist, Mackid?«

Caven lächelte. »Ist mitunter praktisch.«

Plötzlich erschien ihr Caven Mackid gar nicht mehr so betrunken. Er wirkte vor allem warm, und Kitiara merkte, daß sie nicht nur seinen Körper bewunderte, sondern auch nach seiner Wärme verlangte. Sie zitterte wieder. »Leih mir deinen Mantel, Soldat«, befahl sie.

»Kalt?« Er grinste wieder. Caven ragte vor ihr auf, ohne sie richtig zu berühren. Sie spürte seine Erregung. »Ich kann dich nicht nur mit meinem Mantel wärmen, Kit«, flüsterte er. Mit stechendem Blick sah er sie an.

Kitiara lehnte sich an die rauhe Wand des Eingangs. Von den Steinen ging Kälte aus. Draußen auf der Straße regnete es in Strömen.

Bebend holte sie Luft. Dann nickte sie. Caven griff nach ihr.

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