Zweiter Teil Die Alari

Eins

Er wog nicht mehr als ein kleines Kind, fünfundzwanzig, dreißig Kilo. Als ich Karel auf Sofa bettete, beschmierte ich das beigefarbene Velours mit Dreck. Anschließend richtete ich mich wieder auf.

Sicherlich hatte der Zähler noch im letzten Moment versucht, sich zur Kugel einzurollen. Doch da war es schon zu spät gewesen. Tyrann stammte aus einem ruhmreichen Geschlecht, falls es denn in Hundekämpfen Ruhm gibt. Sein Vater war der berühmte Temirlan, der sich brüsten durfte, ohne jede Hilfe drei Bullterrier getötet zu haben.

Der Reptiloid hatte gegen Tyrann keine Chancen gehabt.

»Petja!« Mein Großvater legte mir eine zitternde Hand auf die Schulter. »Ihr müsst doch ... ihr müsst doch Kurse in kosmischer Medizin gehabt haben!«

Ich schüttelte bloß den Kopf. Gerade mal ein paar Brocken Wissen hatte man uns hingeworfen, darüber, wie man Aliens das Leben rettet, wenn der Zufall es einmal erlaubte, sich ihnen anzubiedern und diesen Dienst zu leisten. Wer wie atmete, bei wem man wie eine Blutung stoppte.

Aber über Zähler wusste ich nichts, nicht mal, ob sie Blut hatten.

Ich schaute zu Mascha hinüber. Sie war ebenfalls schockiert.

»Wie ihr sie foltern und umbringen könnt, das hast du dir überlegt«, sagte ich. »Aber wie man sie wiederbeleben kann, nicht, oder?«

Ihre ganze Selbstsicherheit hatte sich in Luft aufgelöst. Ihre Lippen zitterten.

»Karel ...«, rief mein Großvater ohne jede Hoffnung. Er hockte sich vors Sofa und legte dem Alien die Hand an den Hals. »Karel, stirb nicht!«

Vielleicht war er schon tot ... Blut gab es zwar keins, der geschuppte Hals des Reptiloiden wirkte auch nicht gebrochen, aber womöglich war er erstickt? Schließlich gehörte er zu den atmenden Lebewesen - das immerhin wusste ich.

Tyrann bellte fordernd und streckte meinem Großvater seine Pfote hin. Er bat um einen Handschlag.

»Bring den Hund weg!«, krächzte mein Großvater mit brüchiger Stimme. »Schaff ihn mir aus den Augen!«

»Warum hat eigentlich die Alarmanlage nicht funktioniert ...?«, flüsterte Mascha plötzlich. »Sie hätte ... doch ...«

Ich packte Tyrann beim Halsband und zog ihn aus dem Esszimmer. Der Hund wollte schon loskläffen, spürte jedoch, dass mit mir jetzt nicht zu scherzen war, und zog es vor zu schweigen. Ich verfrachtete ihn in die Diele und schloss die Tür. Als Tyrann kläglich zu jammern anfing, löste sich meine Wut auf.

»Du bist ja nicht schuld«, versicherte ich. »Das haben wir Idioten selber zu verantworten ...«

Ich ließ den verzweifelten Hund allein und kehrte zu den anderen ins Zimmer zurück. Dort war alles wie gehabt. Es lief der zweite Akt, immer noch dieselben Personen, der Körper des Reptiloiden lag auf dem Sofa, mein Großvater kniete davor, Mascha stand zur Salzsäule erstarrt da.

Wenn ich abends vom Holzfällen zurückkam, würde ich in einer Ecke meiner Baracke ein Stück schreiben: Tod eines Aliens.

»Man kann eben nicht alles einplanen«, sagte ich. »Großpapa ...«

Ich wollte schon erklären, ich würde die Verantwortung für all das übernehmen und jetzt die Miliz oder besser gleich den FSB anrufen.

In dem Moment krampfte sich der Reptiloid jedoch zusammen. Er öffnete die Augen und riss den Kopf hoch.

Mein Großvater wich vom Sofa zurück, wobei er unbeholfen nach hinten fiel. Mascha stürzte vor, schaffte es, ihn abzufangen und gleichzeitig mit einer Bewegung hinter sich - ob sie auf dem Rücken ihres Abendkleides ein Holster trug? - den bereits vertrauten Prototyp dieses Paralysators zu ziehen.

»Gewaltanwendung ist nicht nötig ...«, zischelte der Reptiloid. Er linste zu mir hoch. »Guten Tag, Pjotr Chrumow.«

Keiner von uns brachte einen Ton heraus. Der Zähler schaute Mascha an.

»Meine gute Frau«, sagte er mit seiner normalen, gequälten Flüsterstimme, »von meiner Seite droht Ihnen keine Gewalt. Sie können auf die Waffe verzichten.«

Mascha rührte sich nicht.

»Außerdem gibt es keine Garantie, dass mir die Waffe überhaupt etwas anhaben könnte«, fügte der Zähler hinzu.

Mein Großvater stemmte sich ächzend vom Boden hoch. »Und was, wenn ich den Hund rufe?«, fragte er.

Mit einem Satz war der Zähler auf der Sofalehne. »Ich habe wichtige Informationen, die das Schicksal der Menschheit zum Besseren wenden könnten!«, ratterte er los.

Mein Großvater lachte. »Die Idee, mir einen Hund zuzulegen, war goldrichtig«, meinte er zu mir.

Der Reptiloid wartete und drehte den Kopf so, dass er uns alle im Blick behielt.

»Steck die Pistole weg, Mascha«, verlangte mein Großvater schließlich. »Ich glaube nicht, dass unser Gast ein Killer ist.«

»Die moralischen Normen unserer Rasse erlauben keinen Mord«, beteuerte der Zähler.

»Und was erlauben sie?«, wollte mein Großvater wissen.

»Zielt die Frage darauf, was für uns am wichtigsten ist?«

»Genau.«

»Das Begreifen der Urwahrheit.« Der Zähler erschauderte sogar, als er diese Worte aussprach. »Aber dieses Bestreben verlangt Freiheit ...«

»Wer ist an der Verschwörung beteiligt?«, wechselte mein Großvater abrupt das Thema.

Karel starrte demonstrativ zu Mascha hinüber. Die schnaubte nur.

»Sie ist auf Menschenseite Teilnehmerin an dem Projekt«, stellte mein Großvater in resolutem Ton klar.

»Von unserer Rasse abgesehen sind die Alari und die Cualcua an der Aktion beteiligt«, brachte der Zähler heraus.

Warum hatte mein Großvater immer hundertprozentig recht? Ich setzte mich an den Tisch, entkorkte die Weinflasche und goss mir ein volles Glas ein.


Der Zähler zeigte keinerlei Absicht, das Sofa zu verlassen. Mein Großvater bestand allerdings auch nicht darauf. Ihm ging es offenbar nur darum, den Reptiloiden nicht zu berühren.

Sollte der Zähler das menschliche Bewusstsein tatsächlich beeinflussen können, war diese Vorsicht mehr als geboten. Im Nachhinein verstand ich auch, dass die idiotische durchsichtige Pelerine, die mein Großvater in seinem Zimmer getragen hatte, als Schutz gegen genau diese Form der Manipulation hatte dienen sollen. Vielleicht war das sogar gerechtfertigt - falls der Reptiloid nämlich die elektromagnetische Wechselwirkung benutzte. Aber was, wenn sie auf der Ebene irgendwelcher Mikroleptonen erfolgte? Oder auf der der Tachyonen?

»Als Hausherr ...« Mein Großvater lächelte den Zähler an, der daraufhin mühevoll die Zähne bleckte. »... möchte ich eine Reihe von Fragen stellen. Je nachdem, wie ehrlich und umfassend die Antworten ausfallen, werden sich unsere weiteren Beziehungen gestalten. Wenn ich dich drei Mal bei einer Abweichung von der Wahrheit ertappe, muss ich die Unterredung beenden.«

»Gut«, stimmte Karel nach sekundenkurzem Zögern zu.

»Wie bist du von Swobodny nach Moskau gekommen?«

»Mit demselben Flugzeug wie Pjotr. Ich kann mich tarnen. Sind Details von Bedeutung?«

»Hat dir jemand geholfen?«

»Nein.«

»In Ordnung, vertagen wir diesen Punkt auf später. Deine Aktion zum Vordringen auf die Erde ist von der Regierung eurer Rasse sanktioniert worden?«

»Wir haben keine Regierung.«

»Erste Warnung, Karel«, wies ihn mein Großvater zurecht. »Ihr müsst eine Struktur haben, welche die wichtigsten Entscheidungen koordiniert. Jemand muss euch im Konklave vertreten.«

»Das Wesen, das die Entscheidungen im Konklave vorträgt, ist nur ein Vermittler. Wir diskutieren die wichtigsten Fragen mit der ganzen Rasse ... mit den Vertretern, die sich auf dem Hauptplaneten befinden.«

»Eine Abstimmung?«, fragte mein Großvater.

»Nein. Wir gelangen zu einer gemeinsamen Gesamtwahrheit. Menschen und andere Rassen sind dazu nicht in der Lage, aber wir sind ... besonders.«

»Das glaube ich sofort. Hat die ganze Rasse deine Landung auf der Erde diskutiert?«

Karel klappte mit den Kiefern. »Jetzt habe ich den Sinn der Ausgangsfrage verstanden. Nein. Die Aktion ist von einer beachtlichen Zahl von Individuen ausgearbeitet und umgesetzt worden. Es war jedoch keine gemeinsame Entscheidung aller. Wenn unser Plan scheitert, soll unsere Rasse noch Überlebenschancen haben.«

»Sehr schön. Gilt das auch für die Alari und die Cualcua?«

»Für die Alari wohl schon. Aber für die Cualcua ...« Der Reptiloid streckte die Pfote aus und kratzte sich die fliehende Stirn, eine Geste, die bewusst menschlich wirken sollte. »Die Cualcua sind uns ein großes Rätsel. Ich weiß nicht, wie sie vorgegangen sind. Ich habe darüber keine Informationen.«

Mein Großvater sah mich an. Sein Blick blieb leicht verwundert an dem erneut nachgefüllten Weinglas hängen. »Hast du das gehört, Petja?«, sagte er. »Alle Beteiligten haben ihre Entscheidung unter größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen!«

»Und genau diese Harmonie wundert mich«, brummte ich. Ich nahm es den beiden ein wenig krumm, dass sie mich kurzerhand vom Gespräch ausgeschlossen hatten. Ich hatte meine Funktion als Fuhrmann erfüllt ... ich hatte den Agenten der Zähler zu meinem Großvater gebracht ... und war damit fast überflüssig geworden.

Bis zum nächsten Mal?

»Karel ...« Mein Großvater klang jetzt sehr ernst. »Warum wurde von den Menschen auf der Erde ausgerechnet ich für einen Kontakt ausgesucht?«

»Wir haben alle Vorträge, Artikel und Bücher der Menschen analysiert, die sich mit den Fragen der Kosmospolitik beschäftigen«, gab Karel bereitwillig Auskunft. »Angefangen von den uns bekannten Verrätern, die von den Starken Rassen gekauft wurden ...«

Die Offenheit ließ meinen Großvater sogar leicht erschaudern.

»... bis hin zu den aggressivsten Chauvinisten.«

»Ich brauche die Namen dieser Verräter!«, schrie mein Großvater.

»Ich bin nicht berechtigt, sie herauszugeben«, konterte der Zähler wie aus der Pistole geschossen. »Wenn wir unseren Plan in die Tat umgesetzt haben, ist die Rasse der Zähler bereit, der Menschheit alle ihr vorliegenden Informationen zur Verfügung zu stellen. Darunter auch diese Namen. Aber erst danach

Bei der Spannung, die jetzt im Zimmer hing, hätte ich nichts gegen eine Pelerine mit Erdung gehabt.

»Danach ...«, wiederholte mein Großvater gedankenverloren. »Gibt es Beweise für den Verrat?«

»Ja.«

»Und ihr habt keine Angst vor dem Zorn der Starken Rassen?«

»Nach Durchführung unserer Mission werden weder die Zähler noch die Alari, die Cualcua oder die Menschheit Anlass haben, jemanden zu fürchten.«

Mascha, die bisher schweigend hinter dem Stuhl meines Großvaters gestanden hatte, atmete geräuschvoll aus. Sie blickte mich mit leuchtenden Augen an.

Daraufhin gab ich mir alle Mühe, Begeisterung vorzutäuschen.

»Du hast meine Frage noch nicht abschließend beantwortet«, erinnerte mein Großvater den Zähler mit leicht veränderter Stimme.

»Richtig. Nach der Analyse aller Informationen hielten wir Ihre Persönlichkeit für den geeigneten Kandidaten. Wir waren zu der Überzeugung gelangt, dass Sie bereits seit etlichen Erdjahren Pläne zur Befreiung der Menschheit ausarbeiten. Wir waren uns sicher, Sie könnten einen entscheidenden Beitrag zu unserer Sache leisten. Zum Beispiel für unseren Transport sorgen ...«

Mein Großvater wagte lange nicht, zu mir herüberzusehen.

Schließlich drehte er sich aber doch um.

»Eltern haben das Recht, die Entwicklung ihrer Kinder zu steuern ...«, sagte ich. »Ist es nicht so, Großpapa? Also hast du doch dafür gesorgt, dass ich Kosmonaut werde?«

»Ja«, hauchte mein Großvater. »Ja, Petja.«

Ich nahm einen Schluck von dem herben Rotwein. »Ist schon in Ordnung, Großpapa«, sagte ich. »Du hattest ja wirklich das Recht ... Vergessen wir das.«

Wir sollten jetzt besser keinen Streit anfangen. Mein Großvater und ich gerieten ohnehin selten aneinander, und immer endeten unsere Auseinandersetzungen damit, dass ich mich entschuldigte. Vermutlich hatte er also recht gehabt.

Und war ich denn unzufrieden mit meinem Schicksal? Mit den fremden Himmeln, der Ekstase des Jumps und sämtlichen Annehmlichkeiten der Erde?

»Verzeih mir, Petja«, sagte mein Großvater trotzdem. Er sah den Zähler an, der neugierig diese Familienszene verfolgte, und fuhr fort: »Noch ein letzter Punkt, der wichtigste von allen-. Wie hast du den Jump überstanden?«

Der Zähler hüllte sich in Schweigen.

»Das ist die entscheidende Frage, mein teurer, geschuppter Gast. Du musst sie vorbehaltlos beantworten.«

»Die Methode zur Vermeidung des Jump-Wahnsinns funktioniert nur bei uns Zählern.«

»Zweite Verwarnung. Die Antwort ist unvollständig.«

»Ich habe mich in einen Zustand der temporären Verrücktheit gebracht. Ich habe mein Bewusstsein paralysiert.«

Ich hatte den Eindruck, mein Großvater setzte an, etwas einzuwenden. Vielleicht wollte er dem Zähler ja eine dritte und letzte Warnung erteilen. Doch Karel kam ihm zuvor.

»Wie ich bereits Pjotr Chrumow erzählt habe«, fuhr der Zähler fort, »besitzen wir zwei Bewusstseinsebenen, eine externe und eine interne. Entscheidend ist das interne Bewusstsein. Dieses verarbeitet riesige Datenmengen. Es greift auf mathematische Logik zurück. Es hat seine Beschränkungen ... zum Beispiel bei unlösbaren Gleichungen.«

»Der Große Fermatsche Lehrsatz«, warf Mascha plötzlich ein.

»Was?«

»Xn + Yn = Zn. Ist n größer als 2, gibt es keine Lösung im Bereich der positiven ganzen Zahlen.«

»Ganz interessant«, meinte der Zähler. »Aber wieso sollte diese Gleichung unlösbar sein?«

»Du kannst Fermats Letztes Theorem beweisen?«, fragte Mascha.

»Nein. Beweisen kann ich es nicht. Es ist falsch. Ich kann eine Lösung im Bereich der ganzen positiven Zahlen nennen.«

»Stopp!« Mein Großvater klatschte in die Hände. »Mit der Lösung klassischer Theoreme kannst du dich nachher befassen, Mascha!«

»Aber das ist ...« Soweit ich mich erinnerte, war es das erste Mal, dass Mascha es auf einen Streit mit meinem Großvater ankommen ließ.

»Ich glaube nicht, dass dieses Theorem wichtiger ist als das Schicksal der Menschheit!«

»Wie schade, dass Sie nicht über die Fähigkeit zum kollektiven Nachdenken verfügen«, bemerkte der Zähler mit einem lauten Seufzer. »Das würde unser Gespräch entschieden einfacher gestalten.«

»Also, wie hast du es geschafft?«, bohrte mein Großvater erneut.

»Ich habe dividiert.«

»Was hast du dividiert?«

»Es ist völlig unwesentlich, durch was genau ich dividiert habe ...«, antwortete Karel lächelnd.

»Er hat durch Null dividiert«, erklärte Mascha. »Stimmt’s?«

»Stimmt.«

»Jeder simple Taschenrechner antwortet auf eine solche Teilung mit ERROR«, entgegnete mein Großvater.

»Ich bin komplizierter als ein Taschenrechner«, hielt der Zähler mit unerschütterlicher Ruhe dagegen. »Ich habe einen Schock erlitten. Das ist die klassische Reaktion unserer Rasse, wenn sie nicht in der Lage ist, Informationen zu verarbeiten.«

»Der Hypersprung ist auch eine Null ...« Ich wusste selbst nicht, warum ich das sagte. »Das große Nichts, in das du fällst ... in dem du verschwindest. Mascha, du hast mich gefragt, ob der Jump mit einem Orgasmus zu vergleichen ist. Nein, das ist er nicht. Eher ist er mit einem Sprung in den Tod zu vergleichen.«

Der Zähler stellte sich auf die Hinterbeine und klatschte leicht in die Vorderpfoten. Ich begriff nicht auf Anhieb, dass er mir Beifall spendete.

»Keine der Rassen des Konklave kann auf diese Methode zurückgreifen«, trumpfte der Reptiloid auf. »Ich weiß nicht, was es euch erlaubt, beim Jump Vergnügen zu empfinden. Für mich ist es pure Folter. Aber ich kann sie ertragen.«

Mein Großvater langte nach der Flasche und goss sich ein weiteres Glas ein. »Musst du etwas essen, Karel?«, fragte er, nachdem er den Wodka heruntergekippt hatte.

»Nein, ich habe keinen Hunger«, antwortete der Reptiloid. »Mein Bedürfnis nach organischen Stoffen ist nicht sehr groß ... und es besteht keine Notwendigkeit herumzuexperimentieren.«

»Gut, ich glaube dir«, sagte mein Großvater. »Du bist also der inoffizielle Vertreter einer Gruppe von Unzufriedenen. Du bist zu mir gekommen, um mir einen Vorschlag zu unterbreiten. Dann fang mal an.«

»Das ist eine streng geheime Information.«

»Selbstverständlich. Aber wir, wir drei hier, nehmen auf Seiten der Menschheit an dem Projekt teil.«

»Einverstanden. Ich bestehe jedoch darauf, dass die Frau das Gerät für Audioaufnahmen ausschaltet und die bisherigen Aufzeichnungen löscht.«

Mein Großvater und ich starrten Mascha an.

»Ich habe gedacht ... eine Aufzeichnung könnte uns für eine Analyse hilfreich sein ...« Sie sah uns mit absolut schuldbewusstem Ausdruck an.

»Kläre so was beim nächsten Mal vorher mit mir ab«, wies sie mein Großvater sanft zurecht. Ich selbst fürchtete diese Sanftheit in seiner Stimme. Aber Mascha kannte meinen Großvater nicht so gut wie ich und entspannte sich. Schweigend nahm sie das Medaillon ab, das ihr um den Hals baumelte, und hielt es meinem Großvater hin.

»Wenn Sie gestatten?«, zischelte Karel vom Sofa aus, bevor er auf den Boden sprang und zu meinem Großvater watschelte. Der legte das Medaillon unverzüglich auf den Boden. Der Reptiloid berührte es kurz mit der Pfote, dann zog er sich aufs Sofa zurück.

»Höchst theatralisch«, grummelte mein Großvater.

»In dem Stück steckt ein Mikrochip ... er ist durchgebrannt. Tut mir leid«, erklärte der Zähler, während er wieder aufs Sofa kletterte.

Mein Großvater trat trotzdem noch mit aller Kraft auf das unglückselige Medaillon und zerquetschte es mit dem Fuß, als töte er ein giftiges Insekt. »Wenn das Zimmer jetzt sauber ist, dann fang an«, forderte er den Zähler auf.

»Andrej Valentinowitsch Chrumow, falls Sie nichts dagegen haben, würde ich zunächst gern hören, wie Sie die gegenwärtige Situation einschätzen.«

Mein Großvater runzelte die Stirn.

»Ich würde gern Ihre Fähigkeiten zur Analyse einer Situation bei unzureichender Informationsbasis abschätzen«, erklärte der Zähler höflich.

»Weshalb denn das?«

»Sie sind bereits relativ alt für einen Menschen«, stellte der Reptiloid mit trauriger Stimme fest. »Wir wissen, dass die geistigen Fähigkeiten der Menschen im Alter abnehmen. Ich muss mir ein Bild machen, wie nützlich Sie noch sind ... für unser Projekt.«

Mich hätte eine solche Offenheit verletzt. Aber mein Großvater ... steckte sie weg. Sogar lächelnd.

»Ich darf wohl annehmen, dass du, sollte ich nicht von Nutzen sein, sämtliche Informationen zurückbehältst. Sicherheitshalber. Oder etwa nicht?«

»Richtig«, bestätigte der Zähler. »Aber in erster Linie ist mir wirklich daran gelegen, Ihre Analysefähigkeiten abzuschätzen.«

»Einverstanden«, sagte mein Großvater. »Ich gehe von drei Möglichkeiten aus, die der Menschheit zur Verfügung stehen, um ihren Status in der Galaxis zu verbessern ...«

»Verzeihen Sie, Andrej Valentinowitsch ...« Der Zähler hob eine Pfote. »Welche Bedeutung hat die Zahl Drei? Drei Warnungen, drei Möglichkeiten ... Das menschliche Bewusstsein stützt sich doch weitgehend auf Zweier- und Zehnerkategorien.«

»Ich weiß nicht«, antwortete mein Großvater achselzuckend. »Zwei - das würde nur die Extreme erfassen. Vier und mehr - das sind bereits zu viele Möglichkeiten für unser Bewusstsein. Drei passt dagegen genau. Fragst du dich, ob Menschen Informationen unberücksichtigt lassen, sofern sie sich nicht in dieses Dreiersystem fügen?«

»Ja.«

»Das glaube ich nicht. Wir führen lediglich die unterschiedlichsten Situationen auf drei Hauptkonstellationen zurück. Das ist ausgesprochen effektiv und bequem für uns.«

»Vielen Dank. Fahren Sie bitte fort.«

»Wie gesagt, ich sehe drei Möglichkeiten.« Mein Großvater lachte unsicher. »Also ... Im ersten Fall entwickelt die Menschheit unvermutet neues Wissen, das für die ganze Galaxis von existenzieller Bedeutung ist. Etwas wie der Jump ... Nennen wir diese Variante den Apfel Newtons. Dieses Wissen erhöht den Status der Menschheit sprunghaft. Denkbar wäre auch eine Situation, in der eine andere Rasse über dieses neue Wissen verfügt, die Menschheit aber aktiven Anteil an seiner Ausarbeitung hatte.«

»Nun ja ...«, sagte der Zähler interessiert.

»Diese Variante halte ich jedoch für unwahrscheinlich«, schloss mein Großvater seufzend. »Die Entwicklung einer Zivilisation vollzieht sich in einem ausgesprochen komplexen Prozess. Überlegenheit allein in einem einzigen Bereich reicht bei weitem nicht aus ... schließlich hat uns der Jump ja auch nicht zu unserem Glück verholfen. Selbst wenn wir eine Waffe entwickeln, mit der wir Sterne auslöschen können und die in eine Streichholzschachtel passt, macht diese Erfindung uns Menschen nicht zu den Herrschern in der Galaxis.«

»Einige Rassen versuchen durchaus, ihren Status zu verbessern, indem sie neues Wissen, das anderen nicht zugänglich ist, akkumulieren ...«, bemerkte der Zähler. »Was sie dabei nicht begreifen, ist, dass sie auf diesem Weg allenfalls eine Veränderung ihrer Funktion im Konklave erreichen können. Entsprechende Präzedenzfälle hat es bereits gegeben. Zum Beispiel die Stäubler. Früher sind sie Kumpel gewesen. Bergleute. Heute beschäftigen sie sich mit der Metamorphose der Planeten nach den Bedürfnissen der Starken Rassen.«

»Die Geschichte kenne ich«, sagte mein Großvater.

»Interessant sind auch die Forschungen derjenigen, die die Menschen die Unaussprechlichen nennen«, fuhr der Zähler fort. »Sie versuchen eine Allgemeine Moral auszuarbeiten ... oder eine Allgemeine Philosophie ... Es gibt dafür keine exakte Übersetzung. Es ist eine Moral, die den Bedürfnissen aller Rassen Rechnung tragen muss.«

»Zweifelhaft«, kommentierte mein Großvater kopfschüttelnd.

»Ich teile diese Sicht. Trotzdem versuchen sie es. Mit einer Allgemeinen Moral würden sämtliche Forderungen, die die Rassen aneinander stellen, ad absurdum geführt und der Ausbeutung der Schwachen durch die Starken ein Ende bereitet.«

»Eher würde eine solche Allgemeine Moral den Status quo festigen«, brummte mein Großvater. »Vielleicht würde sie gewisse psychologische Probleme lösen, mehr aber auch nicht. Oder sie würde in der Galaxis die Herrschaft der Unaussprechlichen etablieren.«

»Wie angenehm, wenn man einander versteht!«, rief der Zähler begeistert.

»Jetzt die zweite Möglichkeit.« Mein Großvater hustete. »Petja, gieß mir etwas Mineralwasser ein ... Den zweiten Weg halte ich für etwas realistischer. Bei dieser Variante hätte die Menschheit Zugang zu einem Komplex von Kenntnissen ... genauer nicht nur Kenntnissen, sondern auch Kräften. Zum Beispiel zum Wissen einer anderen, dem Konklave unbekannten Zivilisation. Diese Situation wurde in der Literatur hier auf der Erde ausgiebig diskutiert ... also ... äh ... in der Unterhaltungsliteratur. Denkbar sind die Bibliothek einer längst untergegangenen Rasse, eine riesige kosmische Flotte oder ein mächtiges Hyperwesen, das dennoch bereit ist, dem Erstbesten, dem es begegnet, zu dienen. Diese Variante wollen wir Deus ex machina nennen.«

»Wie sehr doch alle nach leichten Wegen streben ...«, merkte der Reptiloid traurig an.

»Du machst dir kein Bild! Als ob bloß eines dieser erbärmlichen terrestrischen Raumschiffe in unbekannte Bereiche des Kosmos vorzudringen brauchte und dort würden prompt drei ...« Mein Großvater lachte. »Nein, vier Millionen! Vier Millionen Raumschiffe von der Größe eines Planeten herumfliegen! Und jedes dieser Raumschiffe würde mit Menschenstimme sagen: ›Guten Tag, neuer Herr! Wir sind bereit, deinen Willen zu erfüllen!‹«

Kichernd goss ich mir das dritte Glas Wein ein. Ich konnte mir das Lachen wirklich nicht verkneifen. Wie oft haben wir Piloten während der Ausbildung von einer solchen Begegnung geträumt ...

»Auch diese Variante ist letzten Endes unwahrscheinlich«, erklärte mein Großvater. »Soweit wir wissen, gibt es in den zugänglichen Teilen der Galaxis keine Hinweise auf Rassen, die älter als die Starken sind. Und sollten solche Hinweise je entdeckt werden, werden die Starken zuerst davon wissen. Die Blinker, die für sämtliche Kanäle der Informationsübermittlung die Verantwortung tragen, unterstehen schließlich hundertprozentig der Kontrolle von Daenlo. Und leider dienen sie schon zu lange ... sie haben sich daran gewöhnt. Der entscheidende Punkt ist jedoch: Wertvolle Werkzeuge bleiben nicht herrenlos. Eine untergegangene Rasse kann Artefakte hinterlassen ... aber nicht ganze Lagerhallen mit weit aufgerissenen Türen. Man muss ein unverbesserlicher Optimist sein, um auf diese Variante zu hoffen.«

»Wenn ich es richtig begriffen habe«, sagte der Zähler, »ist die realistischste Variante also die dritte?«

»Ja. Diese Variante können wir die Zweite Kraft nennen. Dagegen spricht indes, dass die politische Situation gegenwärtig stabil ist. Die Möglichkeiten der neun Starken Rassen übersteigen jede denkbare Grenze. Sie sind vereint, und sie allein haben die Macht. Wenn in der Galaxis jedoch eine Kraft auftauchen würde, die dem Konklave ebenbürtig wäre ... Selbst wenn sie nicht herrenlos wäre. Selbst wenn sie nicht die geringste Absicht hätte, irgendjemandem zu dienen. Ja, selbst wenn diese Kraft aggressiv, monströs und widerwärtig wäre! Trotzdem brächte solch eine Konfrontation, in der ein Gleichgewicht der Kräfte entsteht, für die Schwachen Rassen eine Chance mit sich. Die Starken Rassen dürften uns dann nämlich nicht einfach benutzen. Sie müssten die Schwachen Zivilisationen entwickeln. Sie müssten Kompromisse eingehen, damit sie im entscheidenden Moment auf die Dienste der Zähler, der Cualcua, der Stäubler oder der Menschen zurückgreifen können.«

»Sprechen Sie von einem Krieg?«

Mein Großvater ließ sich mit der Antwort Zeit. »Ich weiß es nicht«, sagte er dann. »Wenn dir der Begriff bekannt ist, dann vielleicht von einem Kalten Krieg.«

»Ich kenne eure Geschichte.«

»In einer solchen Situation könnten wir viel gewinnen. Und falls ... falls wir von dieser Zweiten Kraft noch vor den Starken Rassen erführen ...«

Schweigen breitete sich im Zimmer aus.

Der Zähler rieb sich mit beiden Pfoten übers Gesicht.

»Ich vermute, in einer solchen ... rein hypothetischen Situation ... könnte es notwendig werden, mit dieser Zweiten Kraft in Kontakt zu treten«, tastete sich mein Großvater vor. »Hier könnten die Alari einen gewissen militärischen Schutz garantieren ... Die Zähler könnten vermutlich ...«

»Ja, ja!« Karel lebte auf. »Was könnten wir?«

»Die Navigation sicherstellen, die Flugbahn des Jumps berechnen. Du hast das bereits bewiesen. Außerdem habt ihr erstaunliche linguistische Fähigkeiten. Ihr könntet die Gespräche ermöglichen. Darüber hinaus versteht ihr es hervorragend, die Verhaltensweisen anderer Rassen zu analysieren, und seid in der Lage, diese zu imitieren. Nimm dich, Karel. Du führst dich auf wie ein Mensch. Wörter, Tonfall, Gesten und Denkweise ... Dabei gleichst du selbst den Reptilien auf der Erde nur äußerlich. Du bist absolut fremd hier. Dein internes Bewusstsein verarbeitet einfach auf der Stelle sämtliche Informationen, vergleicht sie mit den vorhandenen Daten über die Menschen und generiert daraus die zutreffenden Antworten für das externe Bewusstsein.«

»Ganz so einfach ist es zwar nicht ... aber im Großen und Ganzen haben Sie recht.« Karel verstummte abrupt und streckte sich auf dem Sofa aus. »Ja.«

»Wozu brauchen wir die Cualcua?«, wollte mein Großvater wissen. »Als Partner der Alari ... allein darum kann es nicht gehen. Ihre Funktion als Waffenträger würden sie auch so ausfüllen. Nein, ich glaube, wir brauchen die Cualcua, damit sie das Äußere verändern. Weil sie imstande sind, jede Form zu imitieren. Als Wesen, die es uns erlauben, unser Aussehen zu wechseln. Das könnte für die Herstellung des Kontakts äußerst wichtig sein.«

Karel schwieg.

»Was mich aber am meisten interessiert, ist, welche Aufgabe die Menschen übernehmen sollen.« Mein Großvater seufzte schwer. »Die der Fuhrleute, sicher ... sie sollen die Delegationen zu den Verhandlungen bringen ... Fuhrleute? Was, wenn die Zweite Kraft nichts kennt, das mit dem Jump vergleichbar wäre? Dann wird der Jump sie erschrecken und sie zwingen, uns mit größerem Respekt zu begegnen. Oder nicht?«

Der Reptiloid antwortete nicht.

»In welchen Punkten habe ich unrecht?«, fragte mein Großvater scharf.

»Sie haben ja recht«, zischelte Karel. »Ganz und gar recht ... was diese rein hypothetische Situation angeht.

Ja ... Aber die menschliche Rasse verfügt über einen weiteren Trumpf, den Sie nicht aufgezählt haben. Übrigens mindert er den Wert einer anderen Rasse ...«

»Stopp«, unterbrach ihn mein Großvater. »Stopp.«

Der Reptiloid reckte den Kopf in die Höhe.

»Schweig. Ich ... ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst.«

Mascha und ich sahen uns unwillkürlich an. Wahrscheinlich wollte jeder von uns beiden wissen, ob er der einzige Idiot in Gesellschaft dieser beiden Genies war.

»Ich glaube, die weitere Diskussion sollten wir ... nicht hier führen.« Mein Großvater erhob sich langsam. Er ging zu Karel und blieb wie erstarrt vor ihm stehen. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem des Reptiloiden entfernt. »Bist du sicher?«

»Ja«, antwortete der Zähler leise.

»Was schlägst du vor?«

»Ist Ihr Organismus in der Lage, einen Raumflug zu verkraften?«

»Ich bin zweiundsiebzig Jahre ...«, flüsterte mein Großvater. »Ich habe lange daraufgewartet ...«

»Der Zeitpunkt wurde nicht von uns bestimmt. Als er eingetreten ist, haben wir unsere Aktion sofort eingeleitet. Wir haben uns sehr beeilt, Andrej Valentinowitsch. Wir haben nur fünfundzwanzig bis vierzig Erdtage. Nach Ablauf dieser Frist erhalten die Starken Rassen die Informationen ebenfalls ... dann wird die Rasse der Menschen vernichtet werden. Unverzüglich. Egal, wie verdient sie sich gemacht hat.«

»Pjotr!« Mein Großvater drehte sich zu mir um. »Du hast genug getrunken! Was ist? Bin ich in der Lage, einen Jump zu verkraften?«

Ich verschluckte mich am Wein.

»Großpapa!«

»Sag’s mir!«

»Ich weiß es nicht ... Es geht ja nicht allein um den Jump. Beim Start erreicht die Beschleunigung drei g ...«

»Werde ich verrecken?«

Am liebsten hätte ich geantwortet, das sei Wahnsinn. Aber ich war daran gewöhnt, meinem Großvater gegenüber ehrlich zu sein.

»Nein, wahrscheinlich nicht. Aber es wird dich niemand von der Erde starten lassen!«

»Wir müssen sowieso eine Fähre kapern«, sagte mein Großvater.

Karel nickte.

Ich breitete nur die Arme aus. Wenn man die Sache so anging, entfielen ohnehin sämtliche gesundheitlichen Bedenken.

Es ist unmöglich, eine Fähre zu kapern! Das ist ja nicht einmal ein Flugzeug! Bei jedem Start sind Hunderte von Menschen beteiligt! An den Startrampen gibt es Sicherheitspersonal - das Einzige, was seit Gagarins Zeiten nur noch strenger geworden ist!

»Mir sind die Schwierigkeiten klar«, räumte mein Großvater ein. »Absolut. Trotzdem müssen wir ein Schiff kapern. Noch dazu ein besseres als deine Spiral. Hast du nicht gesagt, Danilow wolle dich in seine Besatzung aufnehmen?«

Die Nacht verbrachte der Zähler in meinem Zimmer. Mir war unklar, ob mein Großvater wirklich vorbehaltlos von Karels Friedfertigkeit überzeugt war oder ob das auch zu seinen Plänen gehörte.

Mich selbst schreckte die Aussicht, in einem Raum mit dem Alien zu schlafen, nicht besonders. Schließlich hatten wir schon gemeinsam im winzigen Cockpit des Schiffs gesessen. Wir hatten gemeinsam einen Jump überstanden, der für mich ein süßes Vergnügen, für den Reptiloiden Folter bedeutete.

Vielleicht klingt das komisch, aber eine gemeinsame Reise ist recht gut geeignet, Phobien abzubauen.

»Wirst du schlafen?«, fragte ich den Zähler, während ich mich hinlegte. Karel hatte sich wie ein Hund auf dem Sessel eingerollt.

»Ich schalte mein externes Bewusstsein ab«, antwortete er. »Ich vermindere seine Funktion auf das Alarmminimum.«

»Ganz schön praktisch.« Ich konnte mir eine ironische Bemerkung nicht verkneifen: »Ich wünschte, ich würde über eine solche Möglichkeit verfügen. Damit ich im Schlaf nicht irgendwas vergesse ... rein zufällig.«

Der Zähler suchte eine bequemere Position.

»Warum hast du mein Gedächtnis nach der Landung gelöscht?«, fragte ich ihn dann ganz direkt.

»Ich habe es nicht gelöscht. Ich habe es nur vorübergehend blockiert«, klärte mich der Zähler nach kurzem Schweigen auf.

»Hättest du es auch löschen können?«

»Ja.«

»Du könntest hier auf der Erde recht nützlich sein«, bemerkte ich. »Zum Beispiel indem du die Verbrecher kurierst. Indem du aus ihrem Bewusstsein alle asozialen Neigungen löschst.«

»Das hieße, einer Persönlichkeit Gewalt anzutun.«

»Und was ist mit dem Terroristen, der eine Bombe im Supermarkt hochgehen lässt?«, konterte ich in Erinnerung an den Anschlag in Stawropol im letzten Jahr. »Wendet der etwa keine Gewalt an?«

»Die Menschen würden kaum zustimmen, dass ein Vertreter einer außerirdischen Zivilisation an ihrer Psyche rumbastelt ... und sei es an der Psyche eines Mörders. Die Menschen bevorzugen alte, erprobte Methoden. Gefängnis und die Todesstrafe.«

Vermutlich hatte er recht. Ich seufzte.

»Irgendwann«, fuhr der Zähler mit weicher Stimme fort, »wenn unser Plan klappt, werden unsere Rassen einander besser verstehen ... und die Hilfe der anderen Seite ohne Vorbehalte annehmen. Das externe Handeln war für uns nie von entscheidender Bedeutung, Pjotr. Aber wir leben nun mal in einer materiellen Welt, und das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Früher haben wir in unseren Nestern geschlummert - und die Welt verstehen gelernt. Als unser Planet uns keine weiteren Informationen bot, sind wir in den Kosmos aufgebrochen. Vielleicht war das ein Fehler ... Wir sind auf Daenlo gestoßen, und das Konklave hat uns gezwungen, mit anderen Rassen zusammenzuarbeiten.«

»Bedauert ihr wirklich, dass ihr nicht auf eurem Planeten geblieben seid?«, fragte ich erstaunt.

»Ein wenig.«

»Aber es ist unmöglich, neues Wissen zu erlangen, wenn man sich nicht im Raum ausbreitet! Wenn Erkenntnis für euch das wichtigste Ziel im Leben ist, dann musstet ihr in den Kosmos vorstoßen!«

»Nicht unbedingt, Pjotr. Jedes Atom trägt die Informationen über das Universum in sich. Ein Neutrino, das durch einen Planeten wandert, liefert mehr Informationen als tausend Schiffe, die den Weltraum erforschen. Wir hätten auch diesen Weg gehen können, aber er ist lang ... zu lang. Damit hätten wir riskiert, dass unser Stern verlischt, noch ehe wir die Welt ganz begreifen. Wir wollten lieber auf Nummer sicher gehen ...«

Der Zähler seufzte, genau wie ein Mensch.

Was für ein seltsamer Kerl. Mitunter wirkte er wie ein Mensch in der Haut eines Reptils - dabei war das nur Illusion.

»Gut, Karel. Schlaf jetzt ... oder wie auch immer du das nennst.«

Der Zähler beobachtete, wie ich mich zur Lampe an der Wand vorbeugte. »Hilfst du uns, eine Fähre zu kapern?«

»Karel, das ist unmöglich.«

»Nichts ist unmöglich auf der Welt, Pjotr.«

»Dann weiß ich es noch nicht«, gab ich ehrlich zu. »Es ist ein Verbrechen. Und das Schlimme ist nicht mal, dass so eine Fähre Milliarden von Dollar kostet. Wenn man eine Fähre entführen will, muss man Gewalt anwenden.«

Der Zähler hüllte sich in Schweigen.

»Du betonst doch auch, wie friedfertig du bist«, erinnerte ich den Zähler. »Das gefällt mir. Aber dann musst du verstehen, dass ich meine Freunde nicht mit einer Waffe bedrohen will. Diejenigen, die mich in den Kosmos bringen, diejenigen, die mir helfen, nach Hause zu kommen. Und wenn ich schießen müsste ...«

Der Zähler hörte gespannt zu.

»Ich kann das nicht, Karel.«

»Mord ist für dich kein gangbarer Weg?«

»Der Mord von Unschuldigen? Nein!«

»Schlaf jetzt«, sagte der Zähler. »Morgen früh sehen wir weiter.«

»Schwöre, dass du meine Psyche nicht manipulierst!«, verlangte ich. Ob mein Großvater vielleicht genau das wollte? Hatte er womöglich nach dem langen und ergebnislosen Streit, bei dem er mich nicht von seiner Position hatte überzeugen können, beschlossen, diese »Überzeugungsarbeit« dem Alien zu überlassen?

Was für Mist mir in den Sinn kam!

»Warum glaubst du, ein Versprechen würde mich daran hindern?«, fragte der Zähler.

»Keine Ahnung. Aber ich merke bestimmt, wenn du meine Psyche veränderst. Nehme ich jedenfalls an. Du könntest mich doch wohl kaum unbemerkt manipulieren. Wenn ich nur den leisesten Verdacht habe, dass du dich in meinen Verstand einschleichst ... dann liefere ich dich aus. Dann informiere ich Roskosmos und die Wesi.«

»Ich schwöre, dass ich ohne deine vorherige Einwilligung niemals auf deinen Verstand einwirken werde«, erklärte der Zähler.

Ich ließ mir den Wortlaut seines Versprechens durch den Kopf gehen und nickte. »Gute Nacht.«

Nachdem ich das Licht ausgeschaltet hatte, streckte ich mich im Bett aus. So still, wie der Zähler dalag, konnte man fast glauben, er sei gar nicht im Raum. Doch sobald ich in seine Richtung linste, machte ich die schwach leuchtenden Augen aus. Sie leuchteten wirklich, glänzten nicht nur wie die einer Katze.

»Deine Augen leuchten«, teilte ich ihm mit.

»Entschuldige«, erwiderte der Zähler. »Ich bin zu angespannt. Ist es so besser?«

Wahrscheinlich hatte er die Lider gesenkt, denn die kleinen Feuer erloschen.

»Ja, so ist es besser«, sagte ich. »Danke.«

Vielleicht lag es an der Anspannung, vielleicht auch am Wein, den ich abends getrunken hatte - jedenfalls wachte ich um halb vier auf. Im Bett liegend, versuchte ich den Atem des Zählers zu hören.

Aber im Zimmer herrschte absolute Stille. Als ob der Reptiloid auch die Atmung nur imitiert hatte. Die Ziffern der Uhr schimmerten, draußen wogten die Bäume. Der Regen hatte aufgehört ... endlich.

Als mir nach zehn Minuten klar wurde, dass ich nicht wieder einschlafen würde, tastete ich nach der Fernbedienung auf dem Nachttisch und schaltete den Fernseher an. Nachdem ich mich im blassen Licht des Bildschirms davon überzeugt hatte, dass der Zähler immer noch da war, zappte ich mich durch die Kanäle.

Im Nationalen Fernsehen moderierte Darja Narjalowa eine Sendung über das Leben und die Kultur von Außerirdischen. Für die breite Masse mochte das interessant sein.

Mir fiel jedoch auf, dass die Sendung aus einzelnen Fetzen zusammengeschnitten war, aus Aufnahmen von Touristen und Piloten, aber auch aus Propagandafilmen der Außerirdischen und einigen Mitschnitten von Sendungen der Hyxoiden, eine der wenigen Rassen, die etwas besaß, das sich mit unserem Fernseher vergleichen ließ. Weiter. Der erste Kanal brachte eine Seifenoper für Erwachsene. Ich schaute kurz der freizügigen Bettszene zu. Und weiter. Das Russische Fernsehen wiederholte den Bücherwurm, der TV-Prozessor wertete die kodierte Information aus und teilte mir mit, es blieben nur noch sieben Minuten bis zum Ende der Sendung, eine Wiederholung gäbe es morgen Mittag. Ich blieb bei dem Kanal und ließ mich auf die schlichte Inszenierung ein. Auf einer nackten Bühne stand eine Frau in prachtvollem Kleid, die Hände vor der Brust verschränkt, und deklamierte in den Raum: »Wie ich deinen Namen hasse! Nimm einen andren an, und ich gehöre dir! Bedeute ich dir denn weniger als dieses leere, verhasste Wort!«

Von der Seite her trat ein leicht kahlköpfiger Mann auf, ebenfalls altmodisch gekleidet, mit einem Degen an der Hüfte. Er streckte der Frau die Hände entgegen. »Ich habe dich nie gezwungen, mir das zu sagen«, trompetete er. »Schenk mir deine Liebe - und ich ändere meinen Namen!«

Mich beschlich das idiotische Gefühl zu kennen, was da lief ... Inzwischen umarmten der Mann und die Frau sich, der Bildschirm wurde dunkel, ein Buch in reißerischem Einband wurde gezeigt. Ein blutüberströmter Jüngling mit einem Dolch in der Brust vor einem Sarg, dem eine bleiche, an einen Vampir erinnernde Frau entstieg.

»In der Serie ›Klassische Frauenromane‹«, sprach eine weiche Stimme ein, »stellen wir Ihnen den Roman Romeo und Julia von William Shakespeare vor, der nun endlich in einer adäquaten modernen Übersetzung vorliegt! Nun können auch Sie dieses anerkannte Meisterwerk der Weltliteratur lesen und eintauchen in flammende Leidenschaften, in ein Feuerwerk an Gefühlen, eine schöne Landschaft und ein Labyrinth an Intrigen! Und sorgen Sie sich nicht wegen des traurigen Endes - eigens für diese Ausgabe hat der talentierte Literaturwissenschaftler Viktor Busdugan eine Fortsetzung geschrieben, Julia Montague, die ganz dazu angetan ist ...«

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Vermutlich eher lachen. Mit dem Kopfkissen vorm Mund erstickte ich mein Gelächter. Nachdem mein Lachkrampf vorbei war, schaltete ich auf den Petersburger Kanal um. Dort lief der alte SF-Film Alien. Ganz schön mutig, das musste ich zugeben. Die Programmmacher könnten durchaus wegen Verbreitung von Xenophobie belangt werden ... Ich ließ mir die Informationen zur Ausstrahlung anzeigen: Er war recht bescheiden als »Klassiker« angekündigt, ohne Titel. Nach dem Film würde der bekannte Schriftsteller und Kritiker Andrej Nikolajew einen Auftritt haben. Vermutlich, um die eingeschränkte Sichtweise des Regisseurs zu entlarven.

Im Moskauer 24-Stunden-Kanal wurde der neue Beschluss Poljankins diskutiert, enorme Zuschüsse für alle zu zahlen, die nach Moskau zogen und hier arbeiteten.

Die Kommentatoren stimmten dahingehend überein, eine solche Maßnahme würde nichts bringen, die Bürger würden lediglich das Geld einstreichen und die Stadt damit umgehend wieder verlassen. Wer würde denn schon - sofern er noch alle beisammen hatte - freiwillig Nishni Nowgorod, Wladiwostok oder Petersburg gegen die verdreckte, laute und chaotische ehemalige Hauptstadt eintauschen?

Der letzte der Nachtsender war der Sechste Kanal. Auch der bot nichts Anständiges, sondern bloß einen Teleshop. Ich landete mitten in einem Werbespot für einen elektrisch betriebenen Wunderkorkenzieher, mit dem man bis zu zwanzig Weinflaschen pro Minute öffnen konnte.

Genau in dem Moment hakte etwas bei mir aus, und ich brach lauthals in Gelächter aus. Auf dem Bildschirm quälte sich eine hübsche junge Frau mit einem normalen Korkenzieher ab. Irgendwann trat ein schmieriger Typ auf, warf den althergebrachten Korkenzieher aus dem Fenster und holte den elektrischen heraus ... Ich lachte wie ein Irrer, saß auf dem Bett und presste beide Hände vor den Mund, ohne dass es etwas genützt hätte.

Der Zähler schnellte in seinem Sessel hoch. Seine Augen leuchteten auf.

»Ent ... entschuldige ...«, stöhnte ich.

»Bis zu zwanzig Flaschen pro Minute!«, erklang es aus dem Fernseher. Ein weiterer hysterischer Lachanfall schüttelte mich.

»Ich habe dich nicht manipuliert!«, stellte der Reptiloid klar.

Ich konnte nur nicken, ein vernünftiges Wort brachte ich nicht heraus. Als ob uns irgendwelche Aliens manipulieren müssten! Als ob nicht jeder sein eigenes Gerät zur Gehirnwäsche zu Hause hätte: den Fernseher!

»49 Dollar und 99 Cent oder 89 Rubel oder drei Spacebucks! Rufen Sie gleich an, und Sie erhalten für den genannten Preis auch noch ein Set Korken, mit dem Sie den Wunderkorkenzieher testen können!«

Nachdem ich mich ausgelacht hatte, drehte ich den Ton weg. »Entschuldige«, erklärte ich dem verwirrten Zähler. »Ich konnte nicht schlafen. Da habe ich den Fernseher eingeschaltet ... und einen Lachanfall gekriegt.«

»Den Fernseher?« Verschlafen wirkte der Zähler dümmer als sonst.

»Siehst du den nicht oder was?«

Der Reptiloid drehte den Kopf in Richtung Apparat. »Ja, da ist Licht ...«, sagte er. »Aber ich kann die Bildabfolge eurer Fernseher nicht aufnehmen.«

»Warum nicht?«

»Die Abtastung ist zu langsam, die Segmente, aus denen sich das Bild aufbaut, sind zu groß ... Außerdem gibt es Unmengen von Störungen. Es ist äußerst schwierig, solche Informationen zu verarbeiten.«

Für mein Empfinden lieferte der Fernseher ein ideales Bild.

»Aber du hast doch auch die Information auf dem Monitor im Schiff gelesen!«

»Das habe ich nicht. Ich habe die Daten auf dem Weg zum Schirm eingelesen. Das ist wesentlich bequemer.« Der Zähler rollte sich wieder zu einer Kugel zusammen.

»Setz deine Erholung ruhig fort, ich werde das Geräusch nicht mehr als äußerliches Ärgernis wahrnehmen.«

Schon im nächsten Moment schlief er wieder. Genauer gesagt, er schlief nicht, sondern überließ sich kognitiven Prozessen ... Sie hatten eine praktische Physiologie. Ich ließ die Beine aus dem Bett baumeln und lehnte mich seufzend gegen die Wand. Schlaf wollte sich einfach keiner mehr einstellen.

Konnte man eine Fähre kapern?

Im buchstäblichen Sinne nicht. Die Startvorbereitungen enden erst eine Stunde vor dem Abschuss. Und selbst dann braucht man noch hundert Leute, damit das Schiff startet.

Konnte man die Mannschaft austauschen? Eine Buran hatte bei ihren Transportflügen drei Mann dabei, den Kommandanten, der zugleich auch der erste Pilot war, den Copiloten und den Jump-Navigator. Ging ich einmal davon aus, Danilow nahm mich tatsächlich in seine Crew auf ... als Co-Pilot wahrscheinlich. In welcher Phase ist die Kontrolle der Mannschaft am geringsten? Im Autobus, auf dem Weg zum Start, wimmelt es von Leuten. Vielleicht am Starttisch, bevor sie in den Fahrstuhl steigt. Aber wie sollte ich meinen Großvater und den Zähler dort hinbringen? Und was wurde in dem Fall aus Danilow und dem Jump-Navigator? Blieben sie im Startbereich zurück, wäre das Mord. Wenn die ›Energija‹ die Buran in den Orbit hochträgt, wird der Starttisch von einem Feuerfluss überflutet. Wenn wir sie aber laufen ließen, würden sie Alarm schlagen ...

Und würde das Kontrollzentrum nicht stutzig, wenn sämtliche Gespräche der Co-Pilot führte? Und was war mit der Telemetrie? Sobald mein Großvater die Sensoren anlegen würde, würden die Ärzte den Flug abblasen. Denn ein laxes Verhalten in puncto Gesundheitszustand der Crew legen die Ärzte nur auf anderen Planeten, nur bei den Außerirdischen an den Tag ... da reicht es, wenn die Leute nüchtern sind, alles andere spielt keine Rolle ...

Hunderte von Problemen.

Stopp! Was tat ich hier eigentlich?!

Ich zerbrach mir ja den Kopf darüber, wie wir ein Raumschiff kapern könnten!

Ich unterdrückte meinen ersten Impuls, mich auf den Zähler zu stürzen, und versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Schließlich würde mich der Zähler doch nicht wirklich manipuliert haben?

Nein, anscheinend nicht.

Meine Einstellung zu dem Plan, den mein Großvater und der Zähler ausgeheckt hatten, war nach wie vor die gleiche. Mir schmeckte das nicht ... zumindest nicht, solange sie mir keine klaren Erklärungen geliefert hatten. Und ich hatte nicht die geringste Absicht, mir mit Gewalt Zutritt zu einem Schiff zu verschaffen, mit einer MPi im Anschlag und meinem Großvater im Huckepack!

Nein, mich hatte einfach Wut erfasst. Nach dieser genialen Fassung von Romeo und Julia in moderner Sprache, nach der Werbung für den elektrischen Korkenzieher, nach dem alten Film, der nur feige mitten in der Nacht gezeigt wurde und in dem die Aliens nicht gerade im besten Licht erschienen.

Alles würde nur schlimmer und schlimmer werden. Wir würden degenerieren. Schnell und unwiderruflich. In eine Rasse von Idioten würden wir uns verwandeln.

Die Tür knarzte.

»Petja?« Mein Großvater lugte besorgt ins Zimmer. »Ist alles in Ordnung?«

Ich stand schnell auf, huschte auf Zehenspitzen zur Tür und schlüpfte hinaus in die Diele. Hier war es dunkel, nur im ersten Stock schimmerte an der Treppe matt eine Glühbirne. Ich glaube, als Kind habe ich mich vor der Dunkelheit gefürchtet ... aber ich weiß nicht mehr, warum. Mein Großvater hatte mir damals versprochen, an meiner Tür würde immer ein Licht brennen, und er hat sein Versprechen gehalten. Kein Nachtlicht überm Bett - mein Großvater hat meinen Ängsten nie Vorschub geleistet -, sondern ein Licht über der Tür. Mir hatte das jedoch genügt. Diese Glühbirne konnte man nicht mal abschalten. Sie brannte immer ... sowohl wenn ich in meinem eigenen Bett schlief als auch an den Tagen, an denen ich in der Ausbildungsstätte übernachtet hatte oder wenn ich mir in einem Hotel auf einem fremden Stern ein Zimmer nahm.

»Ist alles in Ordnung, Petja?«, fragte mein Großvater beunruhigt.

In dem alten Pyjama und den Latschen wirkte er nicht gerade wie der Chefideologe des Chauvinismus der Menschheit oder wie ein durchtriebener Demagoge und unerbittlicher Opponent aller Regierungen. Jetzt war er nur noch ein aufgedunsener Alter, der seine Tage längst mit einem Glas Kefir vorm Fernseher verbringen sollte ...

»Du ... machst dir meinetwegen Sorgen?«, fragte ich. »Glaubst du, der Zähler würde versuchen, mich zu manipulieren?«

Mein Großvater blickte woanders hin.

»Ich habe nur Fernsehen geguckt.«

»Gibt’s was Neues?«

»Einen elektrischen Korkenzieher«, sagte ich achselzuckend. »Er öffnet zwanzig Flaschen pro Minute.«

Mein Großvater lächelte pflichtschuldig. So lächelt man ein Kind an, das aufgeregt seinen ersten Witz erzählt. Aber ehrlich gesagt fand ich die Sache inzwischen selbst schon nicht mehr komisch.

»Wir stürzen in einen Abgrund, Großpapa«, behauptete ich und ließ mich gegen den Türrahmen sacken. »Wir verblöden. Und ... sind glücklich dabei.«

»Glückliche Verblödung, das trifft es genau.« Mein Großvater nickte.

»Also, ich glaube nicht, dass der Zähler mich manipuliert hat ... vielleicht liegt es einfach an der Nacht. Ich habe angefangen, darüber nachzudenken, wie man eine Fähre entführt!«

Mein Großvater wartete geduldig.

»Die Nacht ... da wächst die Wut, Großpapa. Ich bin daran gewöhnt, nachts zu schlafen. Und tagsüber gute Bücher zu lesen oder gute Filme zu sehen. Da bleibt mir keine Zeit, über etwas Böses nachzudenken. Ob ich einen Fehler mache, wenn ich nachts schlafe?«

»Du hast dich durch zwei, drei Kanäle gezappt und zwei, drei dumme Sendungen gesehen«, stellte mein Großvater fest. »Bist du danach etwa immer noch der Ansicht, man müsse sich an die Regeln halten, die diese Menschheit aufgestellt hat?«

»Ja, wahrscheinlich schon. Aber es waren fünf Kanäle.«

»Du hast nicht ganz recht, Petja. Die glückliche Verblödung ist nämlich der Normalzustand der Menschen. Sie nimmt nur unterschiedliche Formen an. Wenn es zu einem Zusammenstoß der Kulturen kommt, zu einem Verlust der globalen Werte - wie es momentan der Fall ist -, dann tritt sie deutlicher, geradezu körperlich zutage. Aber immer und zu allen Zeiten gefiel der Zustand der glücklichen Verblödung der Mehrheit der Menschen.«

»Gut, dann habe ich mich bei der Ursache geirrt. Aber wie sieht es mit der Schlussfolgerung aus?«

»Ob wir das Recht haben, die Gesetze zu verletzen? Nicht die, die im Gesetzbuch festgehalten sind, sondern die moralischen Gesetze, die ethischen Postulate?«

»Genau. Nur nicht wir, denn du hast deine Entscheidung ohnehin längst getroffen. Habe ich das Recht?«

Mein Großvater drückte meine Hand, fest und kräftig. »Petja, ich wollte dich zu einem Menschen erziehen. Zu einem echten Menschen. Ich glaube sehr oft ... und auch jetzt ... dass mir das gelungen ist.«

»Danke ...«

Dergleichen hatte mir mein Großvater noch nie gesagt. Unser Verhältnis existierte einfach, was daran Erziehung war, was Liebe und was die Ambitionen des großen Demagogen, wusste ich nicht. Und ich wollte es auch gar nicht wissen.

»Du bist anständig, Petja«, fuhr mein Großvater leise fort. »Du machst dir selbst keinen Begriff, wie anständig du bist. Als du noch ein Junge warst, hat das die Erwachsenen gerührt und deine Altersgenossen von dir ferngehalten ... Als du erwachsen geworden bist, hielt genau das die Erwachsenen von dir fern und trieb dir die Kinder in die Arme.« Er lachte leise. »Wenn sich die Leute mit dir unterhalten, kriegen sie einen Minderwertigkeitskomplex.«

»Was?«, fragte ich völlig entgeistert.

»Einen Minderwertigkeitskomplex«, wiederholte mein Großvater. »Du bist absolut ehrlich und verhältst dich immer ethisch. Du stellst das allgemeine Wohl immer über dein persönliches. Du bist in der Lage, dich über jedes x-beliebige Thema zu unterhalten ... vom Einfluss der griechischen Kultur auf die Entwicklung der östlichen Philosophie bis hin zur Technologie der Heimschmelze legierten Stahls ...«

»Wart mal, Großpapa, legierter Stahl wird nicht in Heimarbeit ...«

Mein Großvater kicherte leise. Ich rieb mir die Stirn und verstummte.

»Du rufst bei deinen Mitmenschen eine spontane Antipathie hervor. Und gerade weil sie völlig unbegründet ist, verhalten sie sich dir gegenüber übertrieben freundschaftlich. Gleichzeitig hast du keine echten Freunde. Einen idealen Menschen hat man nicht zum Freund, dem ordnet man sich unter. Aber davor konnte ich dich bewahren ... Wenn es auch schwer war.«

Meine Wangen glühten. Das war nicht nur unangenehm, das war widerlich!

»Damit habe ich erreicht«, fuhr mein Großvater fort, »dass du in dem entscheidenden Moment ... und wie sehr habe ich auf sein Eintreffen gehofft! ... das Recht hast, eine Entscheidung zu treffen. Dass du keine Angst hast, die allgemeine Moral zu verletzen. Die Gesetze, die nur dazu ersonnen wurden, damit man sie zerstört. Denn jeder Schritt der Menschheit ins Morgen stellte eine Verletzung der Gesetze von heute dar. Und immer hat sich jemand gefunden, der es wagte, die Gesetze zu übertreten. In der Regel Schufte. Mein Traum sah jedoch anders aus. Ich wollte, dass du deine Entscheidung treffen kannst - ohne nach der Menschheit zu schielen. Gleichzeitig solltest du kein minderwertiger Vertreter von ihr sein. Eine unmögliche Aufgabe. Aber ich habe versucht, sie zu lösen.«

»Glaubst du eigentlich selbst, was du da sagst, Großpapa?«, flüsterte ich.

»Ja.«

»Du willst mich überreden, eine eigene, eine persönliche Ethik zu vertreten? Und gleichzeitig hoffst du darauf, ich würde ein Mensch bleiben?«

»Ja.«

»Aber das ist ganz und gar nicht meine Ethik, Großpapa«, hielt ich leise dagegen. »Das ist alles nur eine Projektion deiner Ansichten. Das sind deine Ängste, deine Komplexe und deine Träume. Und ich bin nur dein Werkzeug, Großpapa. Du hast geglaubt, die Menschheit brauche, um ihre Würde zu erlangen, jemanden wie mich. Deshalb hast du mich geschaffen. Du hast mich wie in einem Reagenzglas gezüchtet.«

»Das stimmt«, gab mein Großvater zu. »Aber ich möchte dir eine Frage stellen. Glaubst du, dass ich recht habe?

Glaubst du, dass der heutige Zustand zum Untergang der Erde führt?«

»Ja«, antwortete ich. »Ja, das glaube ich.«

»Dann fürchte dich nicht, diese Entscheidung zu treffen, Petja.«

Ich schwieg lange, aber mein Großvater erwartete eine Antwort. Draußen pfiff der Wind. Die klapprigen Schriftsteller schliefen in ihren Datschen, ihre energischen Kinder spielten wie wild Poker. Die ehemalige Hauptstadt sammelte Kräfte für den neuen Arbeitstag. Im Sternenstädtchen brachte die Nachtschicht im Kontrollzentrum die heimkehrenden Schiffe runter auf die Erde. Das riesige Land hielt die Produktion am Laufen und nietete Trägerraketen zusammen, betrachtete gierig den außerirdischen Plunder und fing Spatzen, die die Aliens so liebten. Der winzige Planet Erde schwebte auf seiner Bahn, um die Erde herum spannte sich der Himmel - und die Menschen schauten voller Draufgängertum, Angst und Hoffnung zu diesem Himmel hinauf.

Und niemand scherte sich darum, dass man mich gerade gebeten hatte, die Menschheit zu retten - und damit meine eigenen Prinzipien zu verraten.

»Wir brauchen die Buran, Großpapa. Anscheinend nimmt man mich in die Mannschaft auf. Aber ich weiß nicht, wie ich die anderen Mitglieder der Besatzung ausschalten soll.«

»Komm mit«, sagte mein Großvater.

»Wohin?«

»In mein Zimmer. Wir rufen Danilow an. Er müsste gestern Abend angekommen sein.«

Zwei

Als mein Großvater nach dem Telefon langte, bat ich ihn ein letztes Mal: »Bitte, das ist doch nicht nötig.«

»Ich weiß ja, es ist noch früh ...«, brummte mein Großvater. »... vier Uhr erst ... aber egal ... Danilow sollte das gewöhnt sein. Er ist schließlich ein Militärflieger.«

Aus dem Lautsprecher ertönten lange Signaltöne. Vermutlich hatte Danilow das Telefon über Nacht abgestellt. Mich freute das, aber mein Großvater drückte melancholisch die Tasten. Drei, sieben, null. Offenbar kannte er den Dringlichkeitscode von Danilows Apparat.

»Hallo!«, meldete sich jemand. Mein Großvater ließ den Lautsprecher eingeschaltet, so dass ich notgedrungen das ganze Gespräch mitbekam. Danilows Stimme klang fest und munter. Ob er gar nicht geschlafen hatte?

»Vielen Dank für den Fisch«, sagte mein Großvater.

»Freut mich, dass er Ihnen geschmeckt hat«, erwiderte Danilow nach einer sekundenkurzen Pause.

»Schau doch mal vorbei ... irgendwann.«

Mein Großvater legte auf und lächelte mich an.

»Und dafür war es nötig, Alexander Olegowitsch mitten in der Nacht zu wecken?«

»In dreißig Minuten, einer Stunde ist er da«, teilte mir mein Großvater mit. »Der Code war ›Schau doch mal vorbei ›Irgendwann‹, das hätte ich mir auch sparen können.«

Aufgeregt rutschte ich auf dem alten Stuhl, der mich schon als Kind getragen hatte, hin und her. »Könntest du auch den Präsidenten direkt anrufen, Großpapa?«

»Den Präsidenten nicht. Den Berater für nationale Sicherheit, den ja. Aber den brauchen wir nicht. Der ist durch sein Amt verdorben.«

Natürlich wusste ich, dass mein Großvater einen riesigen Bekanntenkreis hatte. Dass er jedoch auf dermaßen vertrautem Fuße mit ihnen stand ...

»Woher kennst du Danilow?«

»Ich habe im neunten Jahr der Kommission zum Austausch von Kriegsgefangenen angehört. Alexander sollte erschossen werden, weil er den Hetman Masepa abgefackelt hatte, einen fast fertiggestellten Flugzeugträger, der in der Nikolajew-Werft lag. Kurz danach kriegte Alexander selbst eine Rakete ins Triebwerk. Also ... wir haben es geschafft, den Jungen auszutauschen.« Mein Großvater kicherte unvermittelt los. »Wir konnten ihn austauschen ... denn in der Ukraine gab es zu der Zeit ein enormes Treibstoffdefizit. Zwei Güterzüge mit Erdölprodukten gegen einen Kriegsverbrecher.«

Das erklärte einiges. In den wahnsinnigen Zeiten der Krim-Krise - an den Jump war damals nicht einmal zu denken, und die Menschen zogen es vor, ihre Nachbarn zu hassen, nicht die Aliens - war ich fünf Jahre alt. Ich erinnere mich an kaum noch etwas aus dieser Zeit. In der Schule lernten wir bereits anhand von Karten, welche die Krim als unabhängigen Staat auswiesen, und nur mein Großvater ließ ab und zu eine Bemerkung der Art fallen, die Unabhängigkeit der Krim sei die einzige Alternative zu einem russisch-ukrainischen Krieg gewesen.

»Danach haben wir uns noch ein paar Mal getroffen«, fuhr mein Großvater gedankenverloren fort. »Als wir die Priester zu den Hyxoiden entsandt haben. Danilow arbeitete damals noch nicht bei der Transaero, sondern gehörte dem Roskosmos an. Er hat besonders wichtige Fracht befördert. Und dann kamen die Kosmonauten in ihren Soutanen ins Sternenstädtchen ...«

Diese Geschichte kannte ich. Vor zehn Jahren hatten sich verschiedene Kirchen - die Katholische, die Evangelische und die Orthodoxe - zusammengetan und die USA und Russland zu einer nie dagewesenen Demarche veranlasst. Die Erde verlangte nämlich von Hyxi, die missionarische Arbeit der Menschen auf ihren Planeten zuzulassen. Das Ansinnen wurde mit irgendeinem Paragraphen des Galaktischen Kodex begründet. Damit begann der »Kreuzzug ins Himmelreich« der vereinten Konfession. Hyxi bestand dann darauf, seinerseits auf der Erde missionieren zu dürfen. Erst zwei Jahre später begriffen die Menschen, dass man ihnen im Gegenzug keine Diener eines außerirdischen religiösen Kults geschickt hatte, sondern eine Gruppe professioneller Illusionisten ... Auf Hyxi gibt es nämlich etwas, das sich sehr gut mit unserem Zirkus vergleichen lässt. Mir ist entfallen, was genau die Christen daran kränkte, die Bekehrung der Hyxoiden wurde jedoch abgeblasen, und kurze Zeit später kehrten auch die Aliens nach Hause zurück.

Die Methode, mit der die Außerirdischen Wasser in Wein verwandelten und unheilbar Kranke kurierten, stellt übrigens nach wie vor ein Rätsel dar.

»Du bist schon einmalig, Großpapa ...«, sagte ich. »Du bist wirklich zu allem bereit.«

»Danilow ist ein kluger Mann. Er wird uns verstehen.«

»Heißt das, du willst ihm alles sagen?«

»Hmm«, brummte mein Großvater mit sichtlichem Vergnügen.

»Sag mal ... wenn du Danilow so gut kennst ... stehst du dich doch bestimmt auch mit den anderen Leuten aus der Chefetage unserer Linie ganz gut, oder?«

Mein Großvater zuckte mit den Schultern.

Doch ich ließ nicht locker: »Meine Karriere, meine Beförderung und mein jetziger Posten - wem habe ich all das zu verdanken? Habe ich das aus eigener Kraft geschafft? Oder haben mich deine Freunde die Leiter raufgehoben?«

»Du hast alles aus eigener Kraft erreicht, Petja. Ich habe mich nicht um die Karriere meines Enkels gekümmert. Ich wollte nur, dass du ein Profi wirst. Dass du an deine eigenen Kräfte glaubst.«


Eine halbe Stunde später ging ich zur Pforte, um Danilow in Empfang zu nehmen. Ich blickte zu den vereinzelten Lichtern in den Nachbarhäusern hinüber. Ich glaube, bei meinem jungen Freund brannte auch noch Licht. Vermutlich konnte sich Aljoschka gar nicht mehr von seinem Spiel mit der sagenhaften Fraktalgraphik losreißen. Wegen der Steine hatte er sich noch nicht bei mir gemeldet ... Bestimmt hatte er sich nicht getraut.

Endlich hörte ich das weiche Brummen eines Motors. Danilow litt entweder nicht an übertriebenem Patriotismus oder hegte einfach eine Vorliebe für gute Autos, denn er fuhr einen nagelneuen schwarzen Mercedes. Ich öffnete das Tor, er bog aufs Gelände ein und stellte den Motor ab.

»Was ist passiert, Pjotr?«, fragte der beste Pilot der Transaero mich beim Aussteigen. Er trug die Uniform eines Obersten der Kosmosstreitkräfte, die Brust derart schwer mit Medaillen behangen, als sei er unterwegs zu einem Empfang beim Präsidenten. Sogar zwei Heldensterne glitzerten da ... Wahrscheinlich hatte Danilow mögliche Probleme mit Posten und Patrouillen schon im Keim ersticken wollen.

»Wir haben einen Alien im Haus, Alexander Olegowitsch«, informierte ich ihn, während wir uns mit Handschlag begrüßten.

»Teufel auch!«, entfuhr es Danilow. »Was für einen?«

»Einen Zähler.«

»Nicht zu fassen. Habt ihr ihn unschädlich gemacht?«

Wir gingen gemeinsam zum Haus. Tyrann sprang auf uns zu und fing an, mit dem Schwanz zu wedeln. Brach sich da etwa ein genetisch bedingter Respekt vor Orden und Medaillen Bahn?

»Der Zähler hat uns einen Vorschlag zu machen. Einen geschäftlichen.«

»Verstehe.« Der Oberst schlug mir auf die Schulter. »Damit sind die Hoffnungen deines Großvaters wohl endlich in Erfüllung gegangen, oder?«

»Ja ...«, gab ich verdattert zu. »Alexander Olegowitsch, er will ...«

»Lass diesen pietätvollen Ton, ja?«, brummte Danilow. »Schließlich kenne ich dich, seit du zwei Jahre alt bist.«

»Wirklich?«, wunderte ich mich.

»Nenn mich Sascha ... oder Onkel Sascha.« Danilow grinste. »Also, was will der Alte?«

»Die Buran.«

Danilow mahlte mit den Kiefern. »Natürlich. Ich hätt’s mir denken können ...«

Erleichterung durchströmte mich. Danilow würde meinem Großvater nicht helfen. Das Schiff würde nicht entführt werden.

»Glaubst du, der Alte würde den Start verkraften?«, fragte der Oberst, als wir das Haus betraten. Etwas in mir drin ging kaputt. Also, wenn ich so anständig war, wie mein Großvater behauptete, dann mussten alle um mich herum verrückt sein.

»Das würde er ... Sascha.«

»Immerhin etwas.«

In der Diele herrschte nach wie vor Halbdunkel. Während Danilow sich die Schuhe auszog, überlegte ich, in welches Zimmer ich ihn jetzt bringen sollte. In dem Moment schlurften Hausschuhe über die Treppe, und mein Großvater erschien.

»Hallo, Sascha«, sagte er beim Herunterkommen.

»Ich grüße Sie, Andrej Valentinowitsch.« Danilow nahm Haltung an, wie ein Rekrut vor einem General. »Da bin ich.«

»Weck Karel, Pjotr.«

Ich öffnete die Tür zu meinem Zimmer - und blickte direkt in die funkelnden Augen des Zählers. »Komm mit«, forderte ich ihn müde auf.

»Was ist passiert?« Der Reptiloid sprang vom Sessel.

»Die Kavallerie ist eingetroffen.«

Hinter mir luchste Danilow ins Zimmer. Sobald er den Reptiloid sah, stieß er einen Pfiff aus.

»Es ist mir eine Freude, den berühmten Weltraumbezwinger kennenzulernen!«, ratterte der Zähler los.


Natürlich war auch Mascha wach geworden. Als es tagte, hatten wir uns alle miteinander bekannt gemacht. Die Fakten - meiner Ansicht nach eher die reinsten Hirngespinste - waren dargelegt. Der Zähler hatte erneut das inzwischen altbekannte Lied vom unausweichlichen Untergang der Menschheit angestimmt, falls nicht ...

Ich saß neben Danilow. Als hoffte ich, wenigstens er, der kampferprobte Offizier und erfahrene Kosmonaut, fände Argumente gegen den zur Diskussion stehenden Plan.

Zumindest teilweise erfüllten sich diese Hoffnungen.

»Warum darf die Regierung nicht von der Situation unterrichtet werden?«, bohrte Danilow.

»Sollte die Regierung unsere Aktion sanktionieren, würde der Zorn der Starken Rassen die ganze Erde treffen ...«, setzte mein Großvater an.

»Die Regierung könnte ihr Einverständnis in unterschiedlichen Formen erklären«, fiel Danilow ihm ins Wort. »Mündlich beispielsweise. Oder doppeldeutig.«

»Außerdem fehlt uns dafür die Zeit. Die Bürokratie würden wir niemals überwinden.«

»Das stimmt.«

»Welchen Rang hast du jetzt beim FSB?«, fragte mein Großvater.

»Denselben wie im Kosmos«, antwortete Danilow stirnrunzelnd. »Oberst.«

Na so was! Danilow gab offen zu, für den Geheimdienst zu arbeiten!

»Sascha, du bist ein kluger Mann. Wir haben reelle Chancen auf Erfolg ... Weshalb sollte uns der Zähler belügen?«

»Um ein Schiff zu kapern.«

»Die Baupläne für einen Jumper sind allen Aliens zugänglich. An der Technologie können sie also kein Interesse haben.«

»Vielleicht will er uns ans Messer liefern.«

»In dem Fall liefert Karel seine eigene Rasse ebenfalls ans Messer.«

Der Zähler saß mit teilnahmslosem Blick da, als tangiere ihn das Gespräch überhaupt nicht.

»Was sagst du dazu?«, wandte sich Danilow an den Reptiloiden. »Spielst du ein doppeltes Spiel?«

»Würde meine abschlägige Antwort wirklich etwas beweisen?«

»Warum weigerst du dich dann, alle Fakten auf den Tisch zu legen?«

»Ich fürchte Verrat.«

»Was soll man dazu noch sagen?!« Danilow breitete die Arme aus. »Petja, was hältst du von dieser Argumentation? Wir sollen anscheinend auf sein Ehrenwort vertrauen ...«

»Es gibt da einen Unterschied«, musste ich einräumen. »Wir riskieren nur unser Leben. Aber der Zähler riskiert das Schicksal der ganzen Galaxis.«

Darauf erwiderte Danilow erst mal kein Wort. »Das ist ja sehr trostreich ...«, knurrte er nach einer Weile. »Nur unser Leben. Diese Kleinigkeit ...«

Der Zähler schwieg.

»Gut.« Danilow schielte zu meinem Großvater rüber, der ihm zunickte. »Mir wurde ein Flug für übermorgen angeboten. Nach Dschel-17.«

»Wir handeln mit Dschel?«, hakte mein Großvater nach.

»Gelegentlich. Sie wollen zehn Tonnen Kunstwerke kaufen.«

»Aber sie sind doch blind!«, rief ich aus, mich meiner Flüge nach Hyxi erinnernd.

»Wir liefern Skulpturen. Dschel kauft uns Büsten von Personen ab. Russland hat den Amerikanern diesen Auftrag vor der Nase weggeschnappt. Schließlich haben wir ja eine schier unglaubliche Menge von Büsten, die ... heute nicht mehr ganz aktuell sind. Marmor, Gips und Bronze. Es ist ein Eilauftrag, die Strecke unbekannt. Mir wurde der Flug angeboten. Boshenko, das ist mein Co-Pilot, hat Urlaub. Sie wollten ihn schon zurückbeordern, aber da habe ich dich als Piloten vorgeschlagen, Petja.«

Also hatte Alexander mir das Angebot nicht zufällig gemacht.

»Mein Navigator ist Rinat Turussow. Ein guter Mann ... ich würde ihn ungern da reinziehen.«

»Ich kann jeden Jump berechnen«, warf der Zähler sofort ein.

»Das bezweifle ich nicht«, sagte ich. »Aber wie lassen wir Rinat auf der Erde? Und wie kriegen wir dich und meinen Großvater an Bord des Schiffs?«

»Nicht nur Karel und Andrej Valentinowitsch.« Jetzt mischte sich auch Mascha, die bislang geschwiegen hatte, ins Gespräch. »Sondern auch mich.«

»Ist das eine Forderung des Zählers?« Danilow sah Karel an.

»Das ist meine Forderung«, intervenierte mein Großvater. »Mascha wird uns gute Dienste leisten.«

»Nach unserer Flucht wird deine Familie ernste Schwierigkeiten bekommen, Mädchen.« Auf Danilows Gesicht stand deutlich geschrieben, was er von dieser Idee hielt.

»Ich habe keine Familie. Ich bin Waise«, nahm ihm Mascha den Wind aus den Segeln.

Unwillkürlich huschte mein Blick zu ihr. Sie also auch ... Auch sie war ohne Eltern aufgewachsen ... obendrein noch ohne Großvater, ganz allein. Dennoch hatte sie die Spur, auf die alle Waisenkinder stillschweigend gesetzt werden, gewechselt ... indem sie ein Studium abgeschlossen und nicht auf einem Bauernhof oder in einer Raketenfabrik geschuftet hatte ... Hut ab, Mascha ...

Erneut schrie etwas schwach und alarmierend in meiner Brust auf. Ich hatte den Eindruck, ich würde mich von etwas abwenden, würde einer unangenehmen, bösen, ekelhaften Wahrheit nicht ins Auge sehen wollen.

»Gut. Wenn Sie darauf bestehen, Andrej Valentinowitsch ...«

Mein Großvater nickte.

»Ich kriege euch schon ins Schiff«, erklärte Danilow. »Petja und ich übernehmen das.«

Er schaute auf die Uhr.

»Sieben. In einer Stunde ruft jemand aus dem Sternenstädtchen Petja an. Sie schicken einen Wagen. Halte dich also zum Rapport bereit, Junge.«

Ich nickte.

»Den ganzen Vormittag werden sie dich quälen. Dann musst du bei jemandem aus dem Direktorenrat von Transaero und bei jemandem von Roskosmos vorsprechen ...«, sinnierte Danilow laut. »Sie alle werden dir über den Kopf streichen und dich loben. Irgendwann strecken sie dann ihre Fühler aus und wollen wissen, ob du bereit für neue Flüge bist. Sie werden dir einen Platz als Co-Pilot auf der Wolchw vorschlagen.«

Mein Herzschlag beschleunigte sich. Als Pilot auf dem legendären Schiff Danilows zu fliegen - damit ging mein Traum in Erfüllung!

»Du erklärst dich einverstanden ... Zwei Stunden gehen danach noch für die Bürokraten drauf ... Am Abend musst du wahrscheinlich nach Chabarowsk. Ich denke, wir werden im gleichen Flugzeug sitzen.«

»Mascha und ich werden eine andere Maschine nehmen«, schaltete sich mein Großvater ein. »Ich nehme an, ins Kosmodrom kommen wir problemlos? In den Besucherbereich?«

»Ja«, sagte Danilow. »Der Chef des Kosmodroms, General Kisseljow, hält übrigens einiges von Chrumows Postulaten.«

»Man kann nie wissen, auf welchen Boden die eigenen Worte fallen«, bemerkte mein Großvater nachdenklich. »Petja, geh dich waschen - wenn du schon mal ins Sternenstädtchen fährst.«

Ich erhob mich. Ich schnappte mir vom Teller ein Stück eingetrockneten Lachs.

»Tritt ernsthaft und konzentriert auf!«, rief mir Danilow hinterher. »Lass dir nicht anmerken, dass du schon alles weißt.«

»Zu Befehl, Genosse Schiffskommandant«, entgegnete ich.

Also echt, die Welt musste verrückt geworden sein. Also musste auch ich überschnappen - um mit der Mode zu gehen.


Warum ist Großpapa nur so von meinen Fähigkeiten überzeugt?, überlegte ich, während mich der Wagen der Fluglinie gegen Abend nach Hause zurückbrachte. Wenn er unbedingt aus mir den Retter der Menschheit hatte machen wollen, dann hätte ich doch einfallsreich und trickreich wie er selbst sein müssen. Und mich nicht immer nur allen Entscheidungen fügen dürfen.

Mit mir setzte er aufs falsche Pferd - falls er denn auf mich setzte. Auf das ganz falsche.

Das Auto hielt vorm Zaun.

»In drei Stunden holen wir Sie wieder ab«, informierte mich der Fahrer. »Reicht das, um Ihre Sachen zu packen, Pjotr Danilowitsch?«

»Ja, absolut. Vielen Dank.«

Kaum dass ich aus dem Auto gestiegen war, bemerkte ich Aljoschka. Der Junge drückte sich an der Pforte zu seiner Datscha herum, blickte mürrisch und unzufrieden drein.

»Hallo!« Ich winkte ihm zu. In aller Seelenruhe machte sich Aljoschka daran, die Straße zu überqueren. Er blieb kurz stehen, um das abfahrende Auto vorbeizulassen.

»Guten Tag ...« Er erwiderte meinen Gruß erst, als er mich fast erreicht hatte, dann auch noch grummelnd.

»Hast du auf mich gewartet?«

»Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte!«

»Komm mit, deine Steine warten auf dich.«

Wie kam Großpapa bloß darauf, Kinder würden mich mögen? Sie nehmen sich bei mir alles heraus - so wurde schon eher ein Schuh draus.

»Ich habe heute mal angerufen«, erzählte Aljoschka, der jetzt etwas auftaute. »Ihr Großvater hat gesagt, dass Sie weggefahren sind, nur kurz wiederkommen und dann gleich wieder wegfahren ... für sehr lange.«

»Das stimmt«, sagte ich. »Aber die fünf Minuten werde ich schon Zeit haben.«

Tyrann war Gott sei Dank nicht im Garten. Ich glaubte zwar, der Hund würde sich nie auf ein Kind stürzen, legte es aber nicht darauf an, meine Hypothese zu verifizieren.

»Zieh dir bitte die Schuhe aus«, bat ich den Jungen, nachdem ich ihn ins Haus gelassen hatte.

Inzwischen ging ich vor in mein Zimmer. Der Reptiloid war nicht da.

»Komm rein«, rief ich, während ich in meinem Aktenkoffer kramte.

Ein wenig schüchtern kam Aljoschka herein. Abschätzig musterte er meinen Computer, mit wesentlich größerem Interesse beäugte er das zweihändig geführte Schwert, das über meinem Bett hing.

»Ist das außerirdisch?«, fragte er.

»Nein, warum sollte es? Das ist ein Espadon, aus England.«

»Ein echtes?«

»Nein, eine Kopie«, gab ich zu.

»Ah ja ...« Aljoschka verlor das Interesse an dem Schwert. »Haben Sie auch eine echte Waffe ... Och!«

Der Effekt war schon toll. In der letzten Zeit war in den Raumhäfen im kleinen Rahmen ein richtig professioneller Handel mit Souvenirs entstanden. Hier hatte man eine durchsichtige Plastikschachtel in neun Fächer unterteilt, in jedem lag ein kleiner bunter Stein. Außerdem enthielt die Schachtel ein beeindruckend aufgemachtes Dokument, das besagte, bei den vorliegenden Steinen handle es sich tatsächlich um einen Teil des Planeten Sirius-8, auch bekannt als Hyxi-43.

»Sind die echt?«, brachte Aljoschka leise heraus.

»Also ... da ist doch ein Zertifikat dabei«, antwortete ich ausweichend.

»Ein Zertifikat! Pah!«, entgegnete der Junge verächtlich. Vage Zweifel am Geschäft seines Vaters keimten in mir auf. »Ein Zertifikat zu fälschen ist ja wohl das reinste Kinderspiel!«

»Ich habe diese Steine beim Sirius gekauft«, stellte ich klar.

Mein Ehrenwort reichte ihm anscheinend völlig. Aljoschka nickte und balancierte die Schachtel auf der Hand.

»Vielen Dank, Onkel Petja. Was meinen Sie, was ich damit für eine Sammlung habe ...«

»Freut mich für dich.« Seufzend setzte ich mich aufs Bett. Ich lauschte. Von oben kam anscheinend niemand herunter. Bestimmt hatten mein Großvater und der Reptiloid mitbekommen, dass ich nicht allein war.

»Ich gehe dann mal wieder«, verkündete Aljoschka großherzig. »Schließlich müssen Sie noch packen ... Wohin fliegen Sie denn?«

»Ich weiß es nicht.«

»Falls ...«

»Klar«, versprach ich, »ich bringe dir einen neuen Stein mit. Falls es da welche gibt ...«

Aljoschka nickte und zog sich zur Tür zurück, seinen kostbaren Beutel fest an sich gepresst. Mit einem Mal blieb er jedoch stehen. »Haben Sie Ärger, Onkel Petja?«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Es ... es sieht halt so aus.«

»Sag mal, Aljoschka«, erwiderte ich seufzend, »musstest du schon mal was machen, wozu du keine Lust hattest? Was dir absolut falsch vorkam?«

Der Junge nickte.

»Also ... jetzt muss ich so was machen«, teilte ich ihm mit.

»Aber Sie sind doch schon erwachsen!«, meinte Aljoschka verwundert.

Unwillkürlich musste ich lachen. »Das rettet dich auch nicht, glaub mir. Na, komm, ich bring dich noch zur Pforte.«

Tyrann ließ sich immer noch nicht im Garten blicken. Auch im Haus vernahm ich kein Geräusch ... Ich wurde leicht nervös, brachte den Jungen aber trotzdem erst mal zum Zaun. Danach inspizierte ich den Garten. Da war niemand.

In der Diele allerdings wartete jetzt jemand auf mich. Mascha und Karel. Der Reptiloid thronte auf dem Treppengeländer und schaute mich so unbeteiligt an wie immer. Mascha hielt den Paralysator im Anschlag. Selbst das erstaunte mich nicht, so absurd das auch klingt.

»Was war dieser Junge?«, fragte Mascha scharf.

»Nicht was, sondern wer«, erwiderte ich, während ich sie umrundete. »Mein Nachbar. Ich bringe ihm hin und wieder ein paar Andenken mit.«

Mascha packte mich am Oberarm. »Hast du den Verstand verloren, Pjotr?«, fauchte sie. »Wie kannst du dich jetzt mit solchem Kinderkram abgeben! Was, wenn er Karel gesehen hätte?«

»Dann hättest du ihn wohl paralysiert, oder?«, konterte ich. Mascha sagte kein Wort. »Und anschließend hätte der Zähler das Gedächtnis des Kindes bereinigt, oder etwa nicht?«

»Das geht dich überhaupt nichts an!« Die Frau hielt mich immer noch gepackt. Ja, sie richtete sogar die Pistole auf mich. »Du hast alles aufs Spiel gesetzt! Andrej Valentinowitsch ...«

Etwas in mir drin erzitterte und zerbrach. Ich umfasste ihr Handgelenk, verdrehte es und zwang sie damit, die Pistole zu senken. Karel kraxelte daraufhin das Geländer hoch, wortlos und den Blick fest auf mich gerichtet.

Einen Moment lang leistete Mascha Widerstand, dann gab sie auf.

»Und ob mich das etwas angeht!«, knurrte ich, wobei ich ihre Hände zusammenpresste. »Das ist mein Haus. Der Junge ist mein Freund. Andrej Valentinowitsch ist mein Großvater.«

»Du störst ...«, setzte Mascha an. Dann erstickte ihre Stimme, als hielte ich sie nicht bei den Händen gepackt, sondern umklammerte ihre Kehle. »Du machst alles kaputt ...«

»Soll ich’s endgültig kaputt machen?« Ich lächelte. »Indem ich verlange, dass du auf der Erde bleibst?«

Sie ließ die Arme hängen.

»Entschuldige.« Mascha sagte das gar zu schnell. »Ich habe um den Erfolg gefürchtet ...«

Ich ließ sie los und ging hoch in den ersten Stock. Karel sah mir mit funkelnden Augen nach. Mascha stand da und massierte sich die Hände.

Was ging hier bloß vor?! War mein Haus denn etwa nicht mehr mein Haus? Spielten wir jetzt alle Verschwörer? Die Frau sollte man zum Psychoanalytiker schicken -nicht ins All!

Ich weiß nicht, ob mein Großvater unser Wortgefecht mitangehört hatte oder nicht. Seine Tür stand jedenfalls halb offen. Insofern durfte ich es wohl annehmen. Aber eingemischt hatte er sich nicht.

Der große Chauvinist saß auf dem Fußboden und blätterte in Photoalben. Dicke Familienalben, Dinger von der Art, die jeden Gast in Angst und Schrecken versetzen. Mein Großvater als kleiner Junge, an der Uni, während des Praktikums in den USA, mit meiner Großmutter ... Sie war schon lange von uns gegangen ... Mein Großvater mit meinem Vater. Mein Vater bei der Armee. Mit meiner Mutter ... und mit mir in der Entstehungsphase ... Ich, nackt auf einer Decke ...

Warum nahm er sich jetzt diese alten Photos vor?

Sobald ich das Zimmer betrat, klappte er das Album abrupt zu.

»Gab’s Probleme?«

»Nein. Ich bin in die Mannschaft der Wolchw aufgenommen, der Start ist für übermorgen angesetzt ... Hast du den Hund gesehen?«

»Ja. Mascha hat Tyrann ins Tierheim gebracht.«

»Was?«, schrie ich entsetzt.

»Mascha. Hat. Den. Hund. Ins. Tierheim. Gebracht.«

Schnaufend erhob sich mein Großvater.

»Petja, das Haus wird leer sein. In achtundvierzig Stunden wird man es versiegeln und in sämtlichen Unterlagen herumwühlen. Ich will nicht, dass sie den Hund abknallen, weil er unseren Plunder verteidigt. Mascha hat für seine Unterbringung im Tierheim für zwei Jahre im Voraus bezahlt. Wir holen ihn, sobald wir zurück sind. Hoffe ich jedenfalls.«

Wie immer hatte mein Großvater recht. Aber ...

»Warum hast du nicht vorher mit mir darüber gesprochen? Ich hätte mich gern von ihm verabschiedet!«

»Man darf kein Stück seiner Seele zurücklassen, Petja. Auf überflüssige Abschiedszeremonien muss man verzichten.«

»Sie sind nicht überflüssig ...« Tränen schössen mir in die Augen. Wie leicht sich das sagt: Lass nichts zurück ... Dabei würde ich alles zurücklassen: die Erde, Russland, mein Zuhause ... und den klugen Bengel Aljoschka, für den ich nichts weiter war als eine Quelle von Andenken. Noch nie war ich irgendwohin aufgebrochen und hatte so klar gewusst, dass die Gefahr bestand, nicht zurückzukehren. Selbst vor dem ersten Trainingsflug ins All hatte ich nicht solche Panik gehabt wie jetzt ...

»Dem Hund wird es da gut gehen, Pjotr. Glaubst du etwa, ich würde mir keine Sorgen machen?«

Ich zwang mich, den Kopf zu schütteln.

»Das Haus wird durchsucht werden«, fuhr mein Großvater fort. »Ich habe bereits alle Papierdokumente verbrannt und die Dateien im Rechner gelöscht. Mach das bei deinem Computer auch ... falls du da persönliche Sachen abgespeichert hast. Und formatiere sämtliche Festplatten, am besten mehrmals.«

Sein Laptop war in der Tat angeschlossen, der Bildschirm jedoch dunkel bis auf ein paar Zeilen aus dem BIOS. Im Kamin lag eine große Menge leichter, weißlicher Asche.

»In Ordnung, Großpapa.«

»Und nimm diese Alben«, bat mein Großvater seufzend. »Bring sie in den Garten. Verbrenn sie. Ich will das nicht im Zimmer machen, das würde zu stark stinken.«

Meinte er das ernst?

»Ich will nicht, dass unsere Gesichter von fremden Pfoten begrapscht werden«, erklärte mein Großvater. »Verzeih einem alten Mann diese Schwäche. Irgendwo muss es noch die Negative geben, da lassen wir die Photos später nachmachen ... sofern wir zurückkehren.«

»Großpapa ...«

»Petja, ich bitte dich.«

Ich zögerte.

»Oder soll ich den Kram selbst in den Garten schleppen?«, schrie mein Großvater leicht hysterisch. »Ja? Soll ich?«

Den Arm voller Alben trat ich aus dem Haus. Mascha war unten im Erdgeschoss nirgends zu sehen gewesen, der Reptiloid auch nicht. Ich schleppte die Alben in die abgelegenste Ecke des Gartens, wo ich in meiner Kindheit Lagerfeuer gemacht und jeden Sommer eine Hütte gebaut hatte. Ich warf die Dinger ins welke Gras.

Dem Ganzen haftete etwas Widerwärtiges und Unnatürliches an. Der Mensch hätte Photos lieber gar nicht erst erfinden sollen - wenn sie doch manchmal verbrannt werden mussten. Von den aufgeklappten Seiten blickten mich Gesichter an, mein Großvater, meine Eltern, ich selbst, bekannte und unbekannte Leute ... Da war mein Großvater, noch nicht so alt, auf irgendeinem Kongress. Und hier ... nicht zu fassen! ... mit Danilow! Letzterer noch ganz jung, aber mit verschlossenem, scheuem, dem Objektiv ausweichendem Blick. Ich sah mir alte Aufnahmen nicht gern an - was ein Fehler gewesen war.

Ich holte die Streichhölzer, die mein Großvater mir feierlich überreicht hatte, aus der Tasche. In dem Moment fiel mein Blick auf ein Photo meiner Eltern. Mit mir auf dem Arm. Ein kleinerer Abzug des Bilds, das bei meinem Großvater im Zimmer hing.

Nein, du nicht!

Ich beugte mich vor, zog die Klebefolie ab und nahm das Photo an mich. Diese Aufnahme würde mit mir mitfliegen. Das Feuer hatte auch so genug Nahrung.

Unter dem Photo fand ich ein doppelt zusammengefaltetes, über die Jahre vergilbtes Blatt Papier. Ich nahm auch dieses an mich und entfaltete es behutsam. Mein Herz krampfte sich zusammen.

Es war ein Zeitungsausschnitt. Ein Artikel mit der Überschrift »Der Präsident kondoliert ... von Bord der Boeing«. Die Schwarzweißphotographie zeigte einen Berg von Eisen in einem ovalen Trichter, der von abgeknickten Bäumen umstanden war.

Mein Großvater hatte gut daran getan, mir diese Zeitung nie zu zeigen. Ich wandte den Blick ab. Mit trockener Kehle schluckte ich einen bitteren Klumpen aus Schmerz und Schuld hinunter. Ich faltete den Artikel zusammen und steckte ihn zusammen mit dem Photo in meine Tasche.

Die Alben brannten nur schlecht. Was hatte ich anderes erwartet? Sie waren halt aus Plastik. Ich musste in die Garage gehen und Benzin über die Dinger schütten. Ich hockte mich neben das Feuer und wärmte mir die klammen Hände, aber der Rauch biss mich zu sehr.

Die Erinnerung - die brennt immer schlecht.


Braucht man lange fürs Packen, wenn man für immer fortgeht?

Frische Unterwäsche, ein paar Hemden ... im Flugzeug würde ich sowieso meine Uniform tragen. Eine CD mit allem möglichen Quatsch, Gedichten aus meiner Teenagerzeit, einem angefangenen und nie beendeten Roman, Briefen und meinen Lieblingsspielen. Ein paar Scheiben mit Musik. Es wäre schade, wenn bei der Hausdurchsuchung »rein zufällig« meine Sammlung verloren ginge. Allerdings bestand sie überwiegend aus Klassik, nicht aus Pop, vielleicht würde sie den Besuch überleben ...

Wie immer passte alles in meinen Aktenkoffer. Wenn man für einen Tag oder für immer fortgeht, verliert Besitz jeden Sinn. Das ist keine Reise an einen Ferienort.

Ich ging nach oben und verabschiedete mich von meinem Großvater. Falls keine Probleme auftraten, würden wir uns morgen wiedersehen. Mein Großvater durchforstete noch immer seinen Kram. Ich wollte ihm schon sagen, dass ich diesen Zeitungsartikel entdeckt hatte, überlegte es mir dann aber. Auch ihn würde die Erinnerung schmerzen.

Unten erwartete mich Mascha, diesmal ohne Pistole.

»Ich wollte mich entschuldigen«, sagte sie.

Ich stand ziemlich dämlich da, mitten auf der Treppe und sie damit überragend. Es wäre jedoch grob unhöflich gewesen, die Frau einfach zu ignorieren.

»Schon vergessen«, sagte ich beiläufig. »Außerdem muss ich mich genauso entschuldigen, schließlich bin ich ausgerastet.«

»Ich mache mir einfach Sorgen um den Erfolg unserer Operation«, erklärte Mascha. »Es wäre doch blöd, wenn alles wegen einer Kleinigkeit platzen würde ... also, entschuldige.«

»Du verstehst dich sehr gut mit meinem Großvater. Kennt ihr euch schon lange?«

Sie zögerte. »In gewisser Weise schon«, antwortete sie dann. »Ich habe unter der Ägide des Chrumow-Fonds studiert. Insofern hat dein Großvater meine Ausbildung finanziert ... also, er hat einfach alles für mich bezahlt. Aber ich würde ihn auch sonst mögen!«

»Weiß ich doch!« Ich berührte kurz ihre Schulter. Diese kameradschaftliche Geste würde ihr bestimmt gefallen, glaubte ich wenigstens. »Wird schon alles schiefgehen. Wir sehen uns in Swobodny.«

Mascha nickte.

»Kümmer dich um meinen Großvater«, bat ich sie und verließ das Haus.

Der Wagen war noch nicht da, doch ich hatte keine Lust, wieder ins Haus zu gehen. Vielleicht einfach, weil Mascha und ich uns nichts mehr zu sagen hatten. Jedenfalls vorerst nicht. Ich durchquerte den Garten, hielt dabei automatisch nach Tyrann Ausschau und verließ das Gelände durch die Pforte.

Warum hatte ich bloß keine schlechte Angewohnheit? Es wäre so viel amüsanter, die Zeit totzuschlagen, indem ich eine Zigarette rauchen oder Bier direkt aus der Dose trinken würde.

Zehn Minuten wartete ich auf das Auto. Als ich in der Ferne bereits ein Motorengeräusch vernahm, bemerkte ich eine kleine Figur, die auf mich zugerannt kam.

»Onkel Petja!«

Aljoschka hielt keuchend vor mir an. Offenbar war er so schnell gelaufen, wie er nur konnte.

»Was ist passiert?«, fragte ich, unwillkürlich alarmiert.

»Nichts ... Ich hatte Angst, dass ich Sie verpasse. Ist das Ihr Auto?«

Ich sah zu dem näher kommenden Auto rüber. »Ja.«

»Ich ... ich habe ein Geschenk für Sie.«

Der Junge kramte irgendwie linkisch in seiner Hosentasche und reichte mir mit gesenktem Blick ein längliches Päckchen.

»Bitte ... Also, dann hau ich mal wieder ab.«

»Warte«, bat ich. Ich wickelte das Papier auf. Aljoschka wurde immer verlegener.

Ein Messer.

Und was für eins!

Kein chinesisches Imitat. Dazu war der Stahl zu gut, der Griff zu abgenutzt. Ein Messer der russischen Landetruppen. Ein solches Stück gelangt nie auf den freien Markt.

»Was soll das, Junge?«, fragte ich leise.

»Sie mögen Stichwaffen doch. Und ... mir ... gefallen sie nicht so gut.«

»Du kriegst Ärger mit deinen Eltern.« Ich hielt ihm das Messer wieder hin. »Hier.«

»Sie wissen nichts davon. Das ist mein Messer, ich habe es bei den anderen Jungen eingetauscht. Schon vor langer Zeit. Behalten Sie es bitte.«

Was für ein seltsames Geschenk. Von dem Messer ging etwas Unfassbares aus ... eine befremdliche, ungute Aura. So liegt nur eine Waffe in der Hand, die bereits über Leben und Tod entschieden hat.

Ich durfte dem Jungen das Messer nicht zurückgeben. Behalten durfte ich es aber auch nicht. Ich müsste es der Miliz aushändigen. Andererseits war es ein Geschenk ...

Ich bin ja vielleicht ein abgebrühter Terrorist! Da plane ich, ein Raumschiff zu kapern - und habe Schiss, eine nicht registrierte Waffe bei mir zu haben!

»Vielen Dank«, sagte ich, während ich das Messer in die Tasche steckte. »Wenn ich wieder da bin, reden wir noch einmal darüber, ja? Und tausche solche Sachen nicht mehr ein.«

»Hab ich sowieso nicht vor.«

»Vielen Dank«, wiederholte ich noch einmal. Dann verwuschelte ich dem Jungen das Haar und stiefelte zum Auto. Ob der Fahrer und der Bodyguard bemerkt hatten, was ich eingesteckt hatte?

Was sollte sie das allerdings angehen? Immerhin war ich Offizier. Ich könnte mit einer Pistole die Straße entlangspazieren, was bedeutete da schon ein Stück geschliffener Stahl? In meinem Dienstausweis steht ausdrücklich drin: »Hat das Recht, jede Waffe zu tragen und einzusetzen.«

»Guten Flug!«, rief mir Aljoschka nach.

Ich nahm hinten Platz, der Fahrer fuhr sofort los. »Danilow hat gebeten, Sie früher hinzubringen ...«, erklärte er.

Anscheinend ist es mein Schicksal, ständig auf den letzten Drücker zu meinen Flügen zu kommen. Ich drehte mich noch einmal zurück und betrachtete die Datscha und den Jungen an der Pforte.

Lass nichts zurück!

Nur wie willst du dann verstehen, wohin du gehen musst?


Scheremetjewo war wie immer, laut und chaotisch. Der Bodyguard brachte mich zum Personaleingang des Transaero-Trakts. Erst nachdem er mich abgeliefert hatte, sah er seine Pflicht als erfüllt an.

»Guten Start!«, wünschte er mir.

Viel trennte ihn nicht von Aljoschka.

»Ich werde mir Mühe geben«, versprach ich. Sobald ich am Eingang meine Papiere vorzeigte, ließ man mich ohne Probleme durch.

In dem kleinen Vorraum war es laut und verraucht. Das Zentrum der Gesellschaft bildete Danilow. Er flegelte sich auf einem kleinen Sofa, um ihn herum drängten sich die Frauen vom Bodenpersonal, bereits in Mänteln und Jacken - sie hatten bestimmt in der letzten Schicht gearbeitet, waren aber jetzt noch geblieben, um den Geschichtchen des allgemeinen Lieblings zu lauschen -, dazu ein paar Flieger, die ich nicht kannte. Fast alle qualmten, die Piloten und Danilow tranken Bier.

»Und dann wabert so ein Stäubler auf mich zu«, fuhr Danilow mit seiner Erzählung fort, »und fängt an, sich um meine Beine zu winden. Ich habe mich allen Ernstes gefragt, wie ich zu dieser Ehre kam. Dann will ich ihn mit dem Schuh wegkicken ...«

Diejenigen, die eine mehr oder wenige zutreffende Vorstellung von einem Stäubler hatten, lachten.

»Aber der ringelt sich einfach um meinen Fuß! Das war’s dann wohl, denke ich mir, mein Bein kann ich vergessen ...«

In dem Moment bemerkte Danilow mich und unterbrach seine Erzählung.

»Petja! Na, dann können wir ja gehen!«

»Bis zum Flug sind es aber noch zwanzig Minuten«, brachte eine der Frauen bittend hervor. »Alexander Olegowitsch, wie war das denn nun ...?«

»Dreck!«, trumpfte Danilow auf. »Ich hatte Dreck an den Schuhen! Erinnert ihr euch noch an die Rillen in der Sohle? Der Stäubler hat den ungewöhnlichen Mineralbestand gespürt und ist ganz aus dem Häuschen geraten! Ein neues Rohstoffvorkommen!«

Unter dem Gelächter bebten die Wände.

Danilow war nicht bloß ein Possenreißer - nein, die Leute liebten ihn dafür, dass er in seinen Erzählungen die Aliens stets als die reinsten Idioten darstellte! Früher hatten in der russischen Folklore die Stelle der Idioten die Amerikaner, Franzosen und Deutschen eingenommen. Heute waren es die Aliens. »Kommen ein Mensch, ein Hyxoid und ein Daenlo auf einen unbewohnten Planeten ...«

Ob das auf den Einfluss meines Großvaters zurückging, oder ob Danilow von Natur aus so war?

Oder sollte ich vielleicht die alte Version bemühen, wonach alle Witze über überalterte kommunistische Herrscher - später über russische Neureiche und noch später über die Generäle und Minister aus der Junta Schipunows - von Mitarbeitern der Geheimdienste verfasst und in Umlauf gebracht worden waren? Wenn man die Menschen nicht dazu zwingen kann, die heimlichen Herrscher einer Gesellschaft zu lieben, dann muss man den Leuten erlauben, diese Herrscher auszulachen. Das kanalisiert ihren Hass und verwandelt ihn in Ironie. In dummes, kraftloses und selbstzufriedenes Gelächter. Die kleinen und klugen Völker haben das übrigens schon lange verstanden - und erlauben es, dass über sie gelacht wird. Unsere Machthaber, die im Grunde nur Söldner der Außerirdischen sind, stehen heute vor der Aufgabe, die Antipathien gegenüber den Aliens abzubauen.

»Wenn ich euch Petja vorstellen darf. Pjotr Chrumow. Der Schrecken aller chinesischen Bauern!«, palaverte Danilow inzwischen weiter, wobei er mir den Arm um die Schultern gelegt hatte. Alle lachten, aber Danilow selbst wurde mit einem Mal ernst. »Das ist der Mann, der einzige Mensch auf der Welt, der in der Lage ist, ein Raumschiff auf einer Straße zu landen. Ich mache keinen Witz. Ich würde das nicht schaffen.«

Alle Augen richteten sich auf mich.

»Schon bald wird sein Name in aller Munde sein«, fuhr Danilow fort. »Auf dem ganzen Planeten! Ihr solltet euch gleich ein Autogramm geben lassen.«

Mir jagten seine Worte ja schon einen Schauder über den Rücken. Mascha aber hätten - bei ihrer Übervorsicht - garantiert die Haare zu Berge gestanden! Dabei sah niemand etwas Verdächtiges in Danilows Worten. Ich schüttelte den Piloten die Hand, hörte mir Komplimente von den Frauen an und folgte Danilow den Gang hinunter. Selbstverständlich brauchten wir nicht einzuchecken. Zusammen mit den Piloten, die die Maschine nach Chabarowsk bringen würden, fuhren wir im Auto zur Boeing. Wir nahmen in der ersten Klasse Platz. Die Stewardessen förderten kleine Fläschchen mit französischem Wein zutage. Ohne viel Federlesens öffnete Danilow eins und goss sich ein Glas ein.

»Na, Petja, sei kein Frosch!«

Ich schenkte mir eine winzige Menge ein. Wir stießen an.

»Auf unser Glück!«, prostete mir Danilow zu. »Wir können wirklich welches brauchen!«

Tagsüber hatte ich Danilow im Sternenstädtchen nur flüchtig zu Gesicht bekommen. Da war er jedoch ein ganz anderer Mensch gewesen. Konzentriert, entschlossen und offiziell. Wir hatten uns begrüßt, Danilow hatte mir ein paar aufmunternd-wohlwollende Worte gesagt, und ich hatte meinen Zug durch die Korridore der Bürokratie fortgesetzt.

Jetzt saß ich neben einem nervösen, angespannten und eben deshalb geschwätzigen Mann. Mir fiel der junge Flieger ein, der stocksteif auf dem Photo neben meinem Großvater stand. Wahrscheinlich litt Danilow bis heute unter jenem Krieg, unter der Gefangenschaft, der Gefahr, erschossen zu werden. Diese Angst würde ihn nie verlassen, sie würde nie vergehen, die letzten zwanzig Jahre hatten sie lediglich tief in sein Inneres verbannt. Konnte es sein, dass mein Großvater das nicht wusste?

Alexander Olegowitsch würde es schwer haben, wenn etwas schiefging.

Nach und nach füllte sich das Flugzeug mit Menschen. Geschäftsleute mit ihren Geliebten, junge Beamte aus staatlichen Institutionen, die sich noch nicht daran gewohnt hatten, mit dem Geld hauszuhalten, und ein paar Ausländer. Die Economy Class war ebenfalls gerammelt voll.

»Ich erinnere mich da an eine Geschichte ...«, bemerkte Danilow nachdenklich. »Vor einem Jahr ist der Co-Pilot der Welikoross, Shenja Leikin, wenige Stunden vor dem Start auf der Treppe ausgerutscht und hat sich das Bein gebrochen. Den Flug abzusagen hätte extreme finanzielle Einbußen bedeutet. Es gab jedoch keine anderen Piloten mehr. Sie sind dann so geflogen, zu zweit. Damit hätten wir also einen Präzedenzfall.«

»Der Jump-Navigator ist wichtiger«, hielt ich nach kurzem Nachdenken dagegen.

»Aber unser Flug ist noch dringender. Du hast doch eine globale Zulassung, oder, Petja? Als Pilot und Jump-Navigator für die kleinen Schiffe, als Co-Pilot und Jump-Navigator für mittlere und größere?«

»Ja.«

»Das sollten wir nicht vergessen«, sagte Danilow zufrieden und öffnete die zweite Flasche Wein.

Ich lehnte mich im Sitz zurück. Gütiger Gott! Sicher, ein gebrochenes Bein ist ein geringeres Übel, als jemanden vom Starttisch zu stoßen.

Aber fing ich jetzt schon an, das Übel abzuwägen?

Es in ein größeres und ein kleineres zu unterscheiden?

Die Maschine fuhr schneller und schneller, ich schloss die Augen und entspannte mich. Ich wünschte, ich würde einschlafen.

Das gelang mir tatsächlich.

Die Stewardess weckte mich nicht. Danilow ging da weniger taktvoll vor. Als man uns das Abendbrot - oder genauer gesagt: das Frühstück - brachte, rüttelte er mich am Oberarm. »Pjotr, das Essen ...«

Verständnislos schaute ich ihn an.

»Produziere Magensaft, nimm Eiweiße und Kalorien zu dir ...« Alexander öffnete mit übertriebener Sorge die Packung mit meinem Frühstück. »Dann wollen wir es uns mal schmecken lassen.«

Wir aßen, wechselten ein paar bedeutungslose Sätze und schauten zum Fenster raus, hinter dem nur die Dunkelheit und der Widerschein der Signallichter am Flügel des Flugzeugs zu sehen waren. Das Dröhnen der Motoren wirkte hier, in der ersten Klasse, schwach und fern.

»Wir müssen über Nowosibirsk sein«, vermutete Danilow. »Bist du schon mal hier gewesen?«

»Als ich noch ganz klein war. Ich erinnere mich nicht mehr daran.« Ich presste die Lippen aufeinander.

»Entschuldige ...« Danilow begriff, bei welcher Gelegenheit, wenn auch zu spät. »Verzeih mir, Pjotr. Ich habe nicht mehr daran gedacht.«

»Du musst ja auch nicht daran denken, wo meine Eltern ums Leben gekommen sind.«

»Verdammt.« Der Oberst sah jetzt wirklich verlegen aus. »Manchmal bin ich wirklich ein Idiot.«

»Vergiss es, Sascha. So was kann jedem passieren.« Ich reichte der Stewardess die durchsichtige Plastikschüssel, die ich nicht mal bis zur Hälfte geleert hatte. Man bekam hier ein allzu gutes Essen, der Kampf gegen das Kotelett und die Duelle mit den Salaten hatte mich erschöpft.

»Ehrlich gesagt, erinnere ich mich selbst nicht mehr an meine Eltern.«

Ich erhob mich und ging den Gang hinunter. Genauso waren meine Eltern damals wahrscheinlich auch geflogen ... ruhig und sorglos. Sicherlich waren die Gänge schmaler gewesen, und es hatte nicht an jedem Platz einen Fernseher und ein Telefon gegeben. Ansonsten hatte sich aber kaum etwas verändert. Noch immer die Duraluminiumröhre mit den Flügeln und die Turbojettriebwerke. Noch immer dieselben zweihundertfünfzig, dreihundert Meter in der Sekunde. Lächerliche Werte, verglichen mit den kosmischen Fluchtgeschwindigkeiten. Und absolute Ruhe, verglichen mit dem Jump.

Selbst diese Geschwindigkeit reichte jedoch völlig, wenn eine Tupolew in zehntausend Metern Höhe den rechten Flügel verlor ...

Woran hatten sie gedacht, meine mir unbekannten und jungen Eltern, in dieser letzten Minute, als sich das Flugzeug, nachdem es sich nicht mehr steuern ließ, strudelnd der Erde näherte? An mich, vermutete ich. Daran, welch kluge Entscheidung sie getroffen hatten, mich nicht mitzunehmen.

Ich zog an der Toilettentür, doch sie war verschlossen. Ich lehnte mich gegen die mit Synthetik bespannte Wand, griff mit der Hand in die Tasche und holte das Photo sowie den dreiundzwanzig Jahre alten Zeitungsartikel heraus.

Ich wollte mir nicht das Gesicht meiner Eltern ansehen. Das wäre nicht richtig. Vor allem hier und jetzt nicht. Ich betrachtete nur mich, den kleinen und eigenwilligen Jungen, der sich von der Hand seines Vaters losreißen wollte. Denn er, dieser kleine Junge, trug keine Schuld daran, wie ich geworden war ...

Abermals entfaltete ich das spröde Papier. »Der Präsident kondoliert ...«

Warum hatte ich diesen Artikel an mich genommen? Was hoffte ich, zwischen diesen professionellen Beileidszeilen zu finden? Schließlich hatte ich noch nie versucht, Details jener Katastrophe in Erfahrung zu bringen. Und vermutlich hatte ich gut daran getan.

»Der Vertreter der Russischen Fluglinien lehnte die Version einer Spur in den Kaukasus oder auf die Krim kategorisch ab, betonte jedoch ... Eine der Blackboxes konnte bereits sichergestellt werden, zur Zeit befasst man sich mit der Dechiffrierung ... Mehr als hundert Tote, darunter auch zwölf Kinder ...«

Bla, bla, bla ... Ich weiß, was Mitleid gilt - wenn es von Außenstehenden kommt. Wenn es so zäh vermischt ist mit Neugier, Erleichterung und gerechtem Zorn ... auf die Weichensteller. Beziehungsweise in diesem Fall auf die Mechaniker, die die alte Maschine zum Start vorbereitet haben.

»In Nowossibirsk trafen die Angehörigen der Opfer des Flugzeugunglücks ein. Einer der Ersten war der bekannte Politologe und Publizist Andrej Chrumow, der in der Katastrophe seine ganze Familie verloren hat, seinen Sohn, die Schwiegertochter und den zweijährigen Enkel. Unser Korrespondent hat versucht, ein Interview mit ...«

Bla, bla, bla ...

Ich schloss die Augen.

Mein guter Korrespondent, da hast du dich getäuscht! Mein Großvater hat mich nicht verloren. Denn ich bin ja hier. Ich stehe hier, in dieser Metallzigarre, die über einem einsamen Obelisken in der sibirischen Taiga dahinjagt. Ich bin am Leben!

»Wir wollen es nicht riskieren, die Antwort Chrumows zu zitieren. Es dürfte jedoch nicht schwer sein, sich die Reaktion der leidgeprüften Menschen vorzustellen. Schmerz und Verzweiflung ...«

Aber ich bin am Leben!

Mich gibt es nicht nur auf einem alten Photo! Ich bin aufgewachsen und Flieger geworden! Dem Schicksal zum Trotz, das meine Eltern getötet hat! Allen zum Hohn! Ich bin am Leben!

»Der Aufprall war von einer solchen Wucht, dass die Identifizierung ...«

»Nein«, flüsterte ich, indem ich den Artikel zerknüllte. Das mürbe Papier riss an den Faltkanten. »Nein!«

Was für ein Aufprall? Ich lag nicht in diesem Duralsarg!

Eine Stewardess blieb neben mir stehen und fasste mich am Ellbogen. »Pjotr Danilowitsch? Fühlen Sie sich nicht wohl?«

Ich schluckte und sah in ihr erschrockenes Gesicht. Sag mal, Mädchen, verstehst du das nicht? Mir kann nicht wohl oder unwohl sein! Mich gibt es nämlich gar nicht! Ich bin irgendwo dort unten, im Geäst der Kiefern und im dichten Gras, in jenem Schlamm, am Boden jenes mit Wasser gefüllten Trichters! Zehn Kilogramm verletzliches Fleisch, die nie zu einem kräftigen Mann herangewachsen sind, um die Träume eines Großvaters zu erfüllen.

»Pjotr Danilowitsch ...« Die Frau wollte mich zum nächsten Sitz ziehen.

»Es ist nichts ...«, hauchte ich.

»Was heißt das, nichts?«

»Es ist schon vorbei.« Ich wandte den Blick ab. »Es ist wieder alles in Ordnung. Ich ... war etwas verwirrt ...«

Sie sah mich verständnislos an.

»Verzeihen Sie ...« Ich befreite meinen Arm, stieß einen lächelnden Japaner zur Seite und zwängte mich ins Klo. Der Japaner schickte mir rasch eine Entschuldigung hinterher. Ich schlug die Tür hinter mir zu und presste die Stirn gegen den makellos sauberen Spiegel. Im Klo duftete es nach Rosen. In einem Fernseher an der Wand lief ein Zeichentrickfilm - wie eh und je jagte eine dämliche Katze eine schlaue Maus. Und so würde es immer sein.

Ich hob das Photo und betrachtete den blonden Jungen.

Verzeih, Kleiner. Du konntest nicht ich werden. Du hast dich in einen Teil der Erde verwandelt. Und ich bin du geworden. Ich habe deinen Namen und dein Schicksal angenommen. Ich bin gewachsen, habe mich für Pjotr Chrumow gehalten, den Enkel des »bekannten Politologen und Publizisten«.

Was halten wir von den Starken Rassen, die die Menschheit, die sie nicht zu ihresgleichen zählen, zu Weltraumfuhrleuten heranziehen?

Was halten wir von einem Menschen, der sich der Erziehung eines Kindes annimmt, mit einem einzigen Ziel -den Retter der Menschheit heranzuziehen?

Dabei war ich ihm nicht mal ähnlich. Nur die Haarfarbe stimmte. Er jedoch hatte dunkle Augen, ich blaue. Wie einfach es doch zu erklären gewesen war: Ich war herangewachsen, hatte mich verändert ...

Ich durfte nichts zurücklassen?

Aber ich habe auch nichts, was ich zurücklassen könnte, Großpapa ... Verzeihung, Andrej Chrumow. Ich habe rein gar nichts. Ich bin allein auf dieser Welt. Mir gehört nichts. Selbst Liebe und Freundschaft habe ich gemieden, denn die hätten mich gebunden. Sie haben mich wirklich großartig erzogen, Andrej Valentinowitsch.

Sie hätten den Nobelpreis wahrlich verdient.

Ich beugte mich übers Klosett - die von einem purpurroten Duftmittel gefärbte Wasserlache sah wie Blut aus - und hustete. Es würgte mich, etwas Bitteres und Widerliches stieg in mir auf. Als ich den Würgereiz zu unterdrücken versuchte, wurde es bloß noch schlimmer. Alles kam jetzt aus mir heraus, das nicht verdaute Frühstück und der französische Wein. Mit beiden Händen stützte ich mich an der gewölbten Wand ab, hinter der die vom Flugzeug zerschnittene Luft dröhnte, und stand gut eine Minute da, mit zittrigen Beinen und einem bitteren Geschmack im Mund.

Dieser Zeitungsartikel reichte gerade, um mir die Finger abzuwischen. Die Photographie zerriss ich in kleine Schnipsel und warf sie ins Klo.

Lass nichts hinter dir ...

Ich beugte mich zum Hahn vor und spülte mir den Mund mit warmem, nach Desinfektionsmittel riechendem Wasser aus. Es kam mir zuckersüß vor. Wie die Liebe meines Großvaters - für die herrenlose Waise, die er anstelle seines toten Enkels angenommen hatte.

Haben Sie mich lange ausgesucht, Andrej Chrumow? Darauf geachtet, ob ich gesund und klug war? Mich Ihrer Erziehung problemlos fügen würde? Nicht mit einem negativen Erbe belastet war? Haben Sie ihn lange ausgesucht - denjenigen, der den Traum von der Größe der Menschheit erfüllen sollte?

Aber auch das aussortierte Material verkam nicht. Mein Großvater behielt auch die kluge kleine Mascha im Auge. Und nicht nur sie, nehme ich an. Wie viele seid ihr, ihr abgelehnten Pjotr Chrumows, die ihr unter der fürsorglichen Aufsicht des Chrumow-Fonds herangewachsen seid, die Universität besuchen durftet, Arbeit erhalten und den Glauben an die große Zukunft der Menschheit eingeimpft bekommen habt?

Ich hatte nur mehr Glück als ihr alle. Ich hatte die Illusion einer Familie.

Aber die Illusion der Freiheit, die besaßen wir alle.

Drei

Von Chabarowsk nach Swobodny flogen wir in einem Hubschrauber des Roskosmos. Danilow sah mich fragend an, sagte jedoch kein Wort. Erst im Anflug, als der Hubschrauber schon wieder tiefer ging, beugte er sich zu mir rüber und sprach mich an: »Entschuldige, Petja. Ich habe alte Wunden aufgerissen ...«

Glaubte er wirklich, die beiläufige Erwähnung meiner Eltern wäre mir aufs Gemüt geschlagen? Was für ein Unsinn! Das waren ja gar nicht meine Eltern, die da über der kalten Taiga abgestürzt waren. Das war nicht mein Fleisch und Blut, das da in den Hügeln verschmiert worden war.

Denn ich war ein Niemand.

Ein Zombie, ein Homunkulus, ein Wechselbalg. Einer, den die Gesellschaft weggeworfen und der dann das große Los gezogen hatte, um eben dieser Gesellschaft irgendwann zu dienen.

Ich hatte an Liebe und Freundschaft geglaubt, an Uneigennützigkeit und Treue. Doch die Liebe hatte sich als Berechnung erwiesen, die Freundschaft als Geschäftsbeziehung, die Uneigennützigkeit als vorteilhafte Kapitalanlage, die Treue einfach als Verrat.

»Ich habe es satt, ein anständiger Junge zu sein ...«, flüsterte ich.

»Was?« Danilow glaubte vermutlich, er habe sich verhört.

»Ich habe es satt, ein anständiger Junge zu sein!«, schrie ich. Meine Stimme ging zwar im Brummen der Rotorblätter unter, dennoch verstand mich der Oberst diesmal. Er zuckte mit den Schultern und drehte sich weg.

Sollte er.

Halte mich ruhig für einen Hysteriker, du Mitarbeiter des FSB, Mitbesitzer der Transaero, ehemaliger Kriegsgefangener und bester Pilot der Gesellschaft! Du wirst nie begreifen, was ich mit einem Blick auf dein altes Photo erkannt habe. Du bist seit langem zerbrochen, seit dem Zeitpunkt, da man dich in den Krieg gejagt hat, dich zum Tod verurteilt und gegen zwei Güterzüge Masut freigekauft hat. Du kannst gar nicht mehr zerbrechen, denn jeder Schlag trifft nur auf die alte Fraktur.

Aber ich, ich bin dazu noch imstande.

Ich habe die Schnauze voll davon, ein anständiger Junge zu sein.


Das Zimmer, das ich im Hotel bekam, war weitaus besser als meine bisherigen. Aber jetzt war ich ja auch nicht der übliche Todeskandidat, der auf einem alten Schiff durchs Weltall saust. Jetzt gehörte ich zu Danilows Crew.

Ich schleuderte den Aktenkoffer aufs Bett und ließ mich in den Sessel plumpsen. Noch hatte sich die fahle Morgendämmerung kaum ausgebreitet, trotzdem war es in den Gängen und im Park vor dem Hotel bereits laut. Ein Kosmodrom schläft nie. Flüge, Flüge ... ein Loch durch die Ozonschicht, Luft und Erde, die vergiftet wurden, der unwiderrufliche Verlust von gefühllosem Metall und naiven Piloten. Für ein Häufchen außerirdischer Scheiße, für einen Teller dünner Linsensuppe, für einen Himmel, in dem es keine Schiffe Starker Rassen gibt. Und wofür würde ich sterben?

Für mich.

Was kostete denn das Leben noch - außer dem Leben selbst?

Ich tastete nach der Fernbedienung auf dem Tisch. Ich wollte den Fernseher schon einschalten, überlegte es mir dann aber. Was würde ich da zu sehen kriegen? Die Landung der Spiral, den dröhnenden Bass des Präsidenten, den sagenhaften Korkenzieher? Der war am Ende ja noch am sinnvollsten. Mit dem konnte man ganze zwanzig Flaschen pro Minute öffnen.

Jemand klopfte an die Tür.

»Herein!«, rief ich.

Danilow trat ein, ihm folgte ein lächelnder, hagerer Typ im Trainingsanzug.

»Dann will ich die Crew mal bekannt machen!«, verkündete Danilow aufgeräumt.

Der Jump-Navigator schüttelte mir die Hand. »Rinat.«

»Pjotr«, sagte ich. »Auf den Vatersnamen verzichten wir besser.«

Danilow rieb sich die Nasenwurzel.

Turussow war noch jung. Wenn er ein Flieger gewesen wäre, hätte er einen oder zwei Jahrgänge über mir seine Ausbildung absolviert. Aber die Jump-Navigatoren bildete die Bauman-Uni aus.

»An diesem Kommandanten wirst du noch deine helle Freude haben«, unkte Rinat, als er sich neben mich setzte. »Dieser Drill! Nicht mal ausschlafen lässt er mich, aus dem Bett schleift er mich raus!«

»Ich würde eigentlich selber gern noch ein bisschen schlafen«, gestand ich. »Wann ist der Gesundheitscheck? Um zwölf?«

»Hmm.« Ohne sich zu erheben, streckte sich Rinat zum Kühlschrank, öffnete ihn und seufzte. »Dir haben sie auch das ganze Bier abtransportiert, diese Schweine ...«

»Vergiss dein Bier!«, ereiferte sich Danilow. »Dir winkt ein Querfeldeinrennen, die Sauna und die Schwimmhalle. Und keine faulen Ausreden!«

Rinat verzog das Gesicht.

»Komm schon«, drängelte ihn der Oberst. »Mensch, früher, da hätte man dich nicht mal einen Flug in der Atmosphäre machen lassen! Vom Kosmos ganz zu schweigen!«

»Kommst du mit, Pjotr?«, fragte Turussow gequält.

»Nein, ich schlafe noch ’ne Runde.«

»Genehmigt«, verkündete Danilow. »Der Mann kann nicht im Flugzeug schlafen, Rinat. Er ist müde. Und wir joggen jetzt.«

»Heiliger Himmel ...«, stöhnte Rinat und erhob sich.

Ich konnte den Rat, sich das Gefluche für später aufzuheben, gerade noch unterdrücken. Nachdem ich die Tür hinter den beiden abgeschlossen hatte, legte ich mich angezogen aufs Bett.

Ich musste fit sein. Ich musste ausschlafen. Danilow hatte gelogen, ich konnte in jeder Position und bei jeder Lautstärke schlafen.

Ich brauchte lediglich die Gewissheit, dass in der Nähe ein Licht schimmerte.


Nach einer Stunde weckte mich das Klingeln des Telefons. Ich wusste, wer anrief, ich wusste, was ich hören würde. Darum ließ ich mir Zeit. Ich rieb mir die Augen und tastete nach dem Telefon auf dem Nachttisch.

»Ja?«

»Petja?« Danilows Stimme klang nicht besorgt - sondern völlig gebrochen. »Petja, wir hatten einen Unfall.«

»Was ist passiert?«, fragte ich, dabei aus dem Fenster guckend. Auf dem Tennisplatz vor dem Hotel spielten zwei Frauen. Die kräftigen, muskulösen Figuren und die kurzen Haare wiesen sie als Mitglieder einer Frauencrew aus. Vielleicht von uns, vielleicht von den Franzosen, die häufig von hier aus starteten.

»Rinat ... er hat es fertiggebracht, beim Laufen zu stürzen ... und sich das Bein zu brechen.«

Ob man das beim FSB lernte oder ob Danilow einfach eine vielseitige Persönlichkeit war? Einem Menschen das Bein zu brechen, noch dazu so, dass dieser gar nicht begriff, wer eigentlich schuld daran war, ist nicht gerade eine der leichtesten Übungen.

»Das ist ja schrecklich«, sagte ich. »Einfach nicht zu glauben. Wie geht es ihm?«

»Wir sind gerade im Krankenhaus. Die Ärzte untersuchen ihn noch ... Sie sagen, es ist ein Stauchungsbruch ...«

Danilow fluchte. Dann fuhr er fort, allerdings nicht ins Telefon: »Was soll das, Rinat ...«

Eine der beiden Frauen schlug ein Ass. Wütend schleuderte die andere ihren Schläger hin. Sie tat mir leid, bisher hatte sie ein gutes Spiel geliefert.

»Wird der Flug abgesagt?«, wollte ich wissen.

»Keine Ahnung. Die Fracht muss schnellstens abgeliefert werden.« Danilow seufzte. »Alle Mannschaften sind ausgebucht, wir kriegen keinen Jump-Navigator ... Petja, komm jetzt gleich zum Leiter des Kosmodroms. Wir müssen eine Entscheidung treffen.«

Als es im Hörer piepte, legte ich auf.

Du hast Glück gehabt, Jump-Navigator. Ein Bruch, selbst ein Stauchungsbruch, ist ein weitaus geringeres Übel als ein Platz unter den Düsen der startenden Energija.

Wachen standen momentan keine vor dem Büro von Kisseljow. Die Sekretärin, eine Frau in mittleren Jahren, presste das Telefon mit der Schulter gegens Ohr und nickte schweigend Richtung Tür. Ich klopfte an und ging hinein.

Danilow saß mit gesenktem Kopf vor dem General. Der stand, die Hände auf den Tisch gestützt, vor dem Oberst, dräuend wie eine männliche Ausgabe der Nemesis. Verärgert schaute er zu mir herüber, deutete mit einer Kopfbewegung auf den Stuhl und setzte die Schelte fort: »Hast du den Verstand verloren? Was sind das für Albernheiten? Bis zum Start sind es noch fünfzehn Stunden und ihr lauft ... irgendeinen Slalom!«

Die Bezeichnung der absolut unschuldigen Sportart klang aus Kisseljows Mund wie ein grober Fluch. Dergleichen brachte nicht jeder fertig, alle Achtung.

»Du weißt Bescheid, Pjotr?«, wandte sich der General an mich und gewährte Danilow damit eine kurze Verschnaufpause.

»Es geht um den Jump-Navigator, Genosse General?«

»Ja. Die beiden haben ein Hindernisrennen veranstaltet. Diese gottverdammten ... Marathonisten!«

Kisseljow stand mit aufgeknöpfter Uniformjacke da und malträtierte seine Generalsmütze mit beiden Händen. Kaum zu glauben, dass dieser Diener des Zaren und Vater der Soldaten vor zwei Tagen heiter und ausgelassen durch einen Bankettsaal gehüpft war und den Amerikanern gezeigt hatte, was echter russischer Tanz ist, indem er eine Lesginka hingelegt hatte, dass er Brüderschaft getrunken und unanständige Witze erzählt hatte. Nein, das musste jemand anders gewesen sein ...

»Wo kriege ich jetzt einen Navigator für euch her?«, polterte der General weiter. »Soll ich einen aus Moskau anfordern? Weil es ein Spezialauftrag ist, jemanden aus dem Urlaub zurückbeordern und denen da oben alles erklären? Und wenn die niemanden finden? Schließlich steht euer Startfenster nur eine halbe Stunde! Das Oxidationsmittel ist schon eingefüllt! Die Weltraumsicherheit ist über den Zeitpunkt eures Starts informiert!«

»Genosse General ... hat die Wolchw einen Standard-Jumper?«

»Einen Standard-Jumper? Danilow!«

»Ja ...«, antwortete der Oberst, ohne aufzusehen. »Die dritte Serie ...«

»Ich habe eine Doppelqualifikation, Genosse General«, teilte ich ihm mit. »Ich bin Pilot und Jump-Navigator. Ich bin befugt, die Berechnungen für die Sprünge bei Schiffen von mittlerer und großer Tonnage zu machen.«

Der General hüllte sich in Schweigen. Danilow und ich warteten.

»Stehen uns noch Piloten zur Verfügung?«, wollte Kisseljow schließlich wissen und beugte sich zur Telefonanlage vor.

Mein Herz hämmerte. Wir hatten vorab festgestellt, dass man uns keinen anderen Navigator aufs Auge drücken konnte. Aber was war mit einem anderen Piloten?

»Nein«, sagte Danilow leise. »Sonst ist nur noch die Mannschaft von Wladimirski hier. Aber sie starten in drei Stunden.«

»Immer dasselbe!«, presste der General heraus. »Was machen wir jetzt? Danilow? Du hast uns die Suppe eingebrockt, jetzt sieh zu, wie du sie auslöffelst!«

»Wir könnten zu zweit fliegen«, schlug ich vor. Danilow hatte offenbar beschlossen, mir die Initiative zu überlassen. Eine kluge Entscheidung. Der Leiter des Kosmodroms war wütend genug, um jeden seiner Vorschläge abzulehnen.

»Zu zweit? Starten?«, hakte der General in ironischem Ton nach. »Wohin wollen Sie denn, Major? Ins nächste Geschäft - um ein Bier zu kaufen?«

»Genosse General, Schiffe der Serie Buran dürfen durchaus mit einer reduzierten Mannschaft starten.«

»Du bist noch nie auf einer Buran geflogen!«

»Doch. Bei zwei Trainingsflügen. Ein orbitaler, einer zu Proxima Centauri.«

»Was für Helden«, kommentierte der General gallig. Er ließ sich in den Sessel fallen und rieb sich die Stirn. »Erst der Leichtsinn, jetzt der Heroismus. So geht das doch nicht, Kinder ...«

Mit einem Mal verwandelte er sich noch in einen dritten General Kisseljow. In einen besorgten General.

»Und wenn etwas passiert, Kinder?«

»Wenn wirklich etwas passiert«, mischte sich Danilow ein, »dann wird uns ein dritter Mann in der Besatzung auch nicht retten.«

Der Leiter des Kosmodroms schwieg. Er knetete sich das Gesicht, als wolle er einen frischen Gedanken herauspressen.

»Ich übernehme die Verantwortung«, versicherte Danilow.

»Das versteht sich ja wohl von selbst!«, krächzte Kisseljow. Da begriff ich, dass wir die erste Etappe unseres Abenteuers gemeistert hatten.

Unsere Besatzung würde aus zwei Mann bestehen. Blieb die Frage, wie Danilow meinen Gr ... Chrumow, Mascha und den Zähler an Bord schmuggeln wollte. Mir war das schleierhaft.

»Dein Großvater kommt«, wechselte der General abrupt das Thema.

»Das kann nicht sein«, erwiderte ich ehrlich.

»Doch. Dein alter Herr hat mich angerufen ...« Der General hob den Kopf. »Ich kenne ihn flüchtig.«

Er zwinkerte mir sogar verschwörerisch zu. Ach, General, wie naiv du doch bist! Andrej Valentinowitsch kennt alle, die ihm von Nutzen sein können!

»Er möchte sich den Start ansehen!«, fuhr Kisseljow fort. »Wahrscheinlich hat er sich bei deiner letzten Landung ziemliche Sorgen gemacht, oder?«

»Natürlich.«

»Wir wollen ihm seinen Wunsch nicht abschlagen. Dein Großvater ist ein anständiger Mann ...« Der General brummte, dann drückte er den Knopf der Telefonanlage. »Galina, gibt’s Neuigkeiten?«

Ich verstand die Worte der Sekretärin nicht, registrierte jedoch den Ton - einen unfrohen Ton.

»Pjotr ist ein hervorragender Jump-Navigator. Und der geborene Pilot«, sagte Danilow. »Er hat das ja neulich erst unter Beweis gestellt ...«

»Er muss es heute unter Beweis stellen«, fuhr ihn Kisseljow an. »Petja, willst du noch dein Gepäck ...« Der General verstummte und machte eine energische Handbewegung. »Nein, das kommt nicht in Frage. Wir hatten genug Scherereien. Gebe Gott, dass jetzt alles gut geht. Wir wollen den Unfallchirurgen nicht noch mehr Arbeit verschaffen. Ihr zwei verlasst mir das Gelände nicht mehr!«


Danilow und ich begaben uns gemeinsam zu Turussow ins Krankenhaus. Der Navigator wurde gerade aus dem Röntgenlabor zurückgebracht. Er wälzte sich im Bett und versuchte verzweifelt, eine bequeme Position zu finden. Er machte eine Miene wie jeder gesunde Mann, der noch nie im Krankenhaus gelegen hat - und plötzlich ans Bett gefesselt ist.

»Wie fühlst du dich, Rinat?«, fragte Danilow voller Anteilnahme.

»Geht so ...« Die Stimme des Navigators klang belegt und gedehnt. Wahrscheinlich hatte man ihm Beruhigungsmittel gespritzt. Er sah Danilow mit einem sehr seltsamen Blick an ... fast mit kindlichem Staunen.

Kein Wunder. Sein Verstand begriff durchaus, dass sein unglücklicher Sturz den Hang hinunter kein Zufall war. Sein Herz jedoch weigerte sich, es zu glauben.

»Ich habe schon alles geklärt«, informierte ihn Danilow freundlich, während er sich auf den Bettrand setzte. »Offiziell hast du einen Betriebsunfall. Du kriegst dein Gehalt voll weiter, Prämien und Sonderleistungen, die Kosten für deine Behandlung und den Urlaub übernimmt die Linie. Und in ein paar Monaten bist du wieder dabei!«

Obwohl mir die Prognose allzu optimistisch vorkam, sagte ich kein Wort.

»Was ist mit dem Flug?«, erkundigte sich Turussow. Vorsichtig berührte er das in einer Plastikschiene ruhende Bein und verzog vor Schmerz das Gesicht.

»Alles in Ordnung. Petja und ich fliegen zu zweit. Er ist ja auch Navigator.«

»Die Strecke ist unbekannt ...« Turussow schüttelte den Kopf. »Ich habe natürlich schon ein paar Flugbahnen berechnet ...«

»Es gibt leider keine freien Navigatoren«, seufzte Danilow. »Was bleibt uns da anderes übrig?«

»Schaffst du das?«, wandte sich Rinat an mich.

»Ich glaube schon«, erwiderte ich ausweichend.

Turussow verzog das Gesicht. Wie jeder Profi konnte er sich nur schwer jemand anderen auf seinem Platz vorstellen.

»Meine Berechnungen sind in der Hauptbox für die Flugbahnen«, informierte er mich widerwillig. »Sie sind als Dschel-17,1 und Dschel-17,2 gekennzeichnet. Die erste Flugbahn ist bequemer, da habt ihr nur sechs Jumps. Die zweite hat acht, geht dafür aber über die Systeme der Stäubler, Hyxoiden und der Unaussprechlichen. Da könntet ihr Hilfe erbitten ... falls was ist. Ich glaube, ihr solltet lieber den zweiten Kurs nehmen.«

Natürlich traute er mir die Sache nicht zu. Er glaubte nicht, dass ich mit der neuen Strecke ohne Schwierigkeiten zurechtkommen würde. Vielleicht hatte Rinat sogar recht - nur würden wir ja gar nicht nach Dschel-17 fliegen. Und nicht ich würde die Flugbahnen berechnen.

»Es wird schon alles klappen«, versicherte ich.

Eine Krankenschwester trat ein, aufgezogene Spritzen in der Hand. Sie blieb stehen und schaute Danilow schweigend und missbilligend an.

»Wir gehen ja schon.« Der Oberst stand rasch auf. »Werd wieder gesund, Rinat!«

»Saschka ...« Die Stimme des Navigators ereilte uns, als wir schon fast draußen waren. »Warum?«

Danilow blieb stehen. Ich bemerkte, wie sich sein Nacken anspannte.

»Was meinst du, Rinat?«

Eine Sekunde hielt Turussow Danilows Blick stand, dann winkte er ab. »Schon gut, Sascha ... Manchmal hat man komische Gedanken.«

»Erhol dich«, riet Danilow ihm. »Was du jetzt brauchst, ist Schlaf, die beste Medizin überhaupt.«

Wir traten in den Gang hinaus. Alexander bedachte mich mit einem finsteren Blick.

»Du bist ein Dreckskerl, Oberst«, sagte ich.

Danilows Kiefer mahlten.

»Petja, ich fliege jetzt seit vier Jahren mit Rinat ...«

»Genau das meine ich.«

Danilow machte auf dem Absatz kehrt und stapfte den Gang hinunter.


Um fünf Uhr nachmittags saß ich immer noch im Hotelzimmer und glotzte aus dem Fenster. Gerade startete die Prorok, ein Schiff vom gleichen Typ wie die Wolchw, unter dem Kommando von Oberst Wassili Wladimirski. Sie brachte eine Ladung Mineralien in ein System der Stäubler. Erz zu transportieren rentierte sich nach kosmischen Maßstäben eigentlich überhaupt nicht. Aber die Rassen, die sich von anorganischen Stoffen ernähren, haben nun mal ihre eigenen Vorlieben.

Vielleicht landeten der Schwefelkies, das Gusseisen und Bauxit auf der Tafel des Königs. Oder wer regierte da, bei den Stäublern? Vielleicht ein Großwurm?

Soweit ich es verstanden hatte, würde die Prorok auf dem Rückweg ebenfalls Mineralien geladen haben. Da bereits heute, drei Tage vor der angesetzten Rückkehr des Schiffs, in Swobodny eine Einheit der Truppen des Innenministeriums stationiert worden war und zwei große, gepanzerte Laster zum Abtransport der Fracht bereitstanden, dürfte es sich um etwas sehr Kostbares handeln.

Gold, Platin oder Plutonium ...

Der interplanetare Handel nimmt schon seltsame Formen an. Im Grunde erinnert er eher an normalen Tauschhandel. Wir liefern den Hyxoiden Vögel oder Bilder, dafür erhalten wir von ihnen Kortrison oder Aktivkunststoff, von dem ein Kilo ausreicht, um daraus ein kleineres, höchst solides Haus zu bauen. Je besser du feilschst, desto mehr verdienst du. Natürlich ist das alles in jene Ketten gelegt, die aus den Beschränkungen, Präzedenzfällen, Gesetzen und Satzungen der miteinander handelnden Rassen und der vom Konklave aufgestellten Regeln geschmiedet worden sind. Technologien werden uns beispielsweise praktisch nicht verkauft. Nicht dass es unmöglich wäre - es ist einfach unwahrscheinlich. Dann gibt es noch jene Gemeinheit, die sich »Gesetz zur Unsachgemäßen Anwendung« nennt. Dieses Gesetz gilt nur für jüngere Rassen, also für uns. Und es kommt am ehesten feinem Spott gleich.

Als der Handel noch in den Kinderschuhen steckte, hatten die Stäubler der Erde monomolekulare Fäden verkauft. Sieben Tonnen dieser Fäden, mit denen man Granit und Titan durchschneiden kann und die enorme Belastungen aushalten. Das hätte zu einem einmaligen Wendepunkt in all unseren Produktionsbereichen werden können. Aber sieben Tonnen annähernd gewichtlosen Fadens, der feiner als jedes Spinnennetz ist - das ist sehr viel. Diese Menge hätte dem ganzen Planeten über Jahre gereicht. Der Metallverarbeitung, dem Bergbau, dem Bauwesen ... und leider auch der Waffenindustrie. Es kamen wahnwitzige Projekte für Orbitallifts auf ...

Wie sich dann jedoch herausstellte, setzten die Stäubler diesen monomolekularen Faden nur in jenem Lebensprozess ein, der sich noch am ehesten mit unserer Geburt vergleichen lässt. Wir sollten den Faden ausschließlich zum gleichen Zweck benutzen dürfen.

Es gab Proteste, Rücktritte, Gesuche an die Starken Rassen ... Schließlich wurden die Magnetcontainer mit den Fäden in einen bewachten Speicher gebracht. Wo sie auf bessere Zeiten warten. Interstellare Handelsakademien wurden gegründet, in denen die Menschen lernten, solche Klippen zu umschiffen. Manchmal klappt das, zum Beispiel mit dem Kortrison, das Danilows Wolchw »schmückt«. Meist geht die Rechnung jedoch nicht auf.

Die dritte Startrampe, von der aus die Prorok in den Kosmos aufstieg, lag fast zehn Kilometer vom Hotel entfernt. Trotzdem war ein gewaltiges Dröhnen zu hören. Die Fensterscheiben in den Duralrahmen vibrierten, der Flammenstrahl, auf dem das Schiff balancierte, kroch nach oben. Behäbig und kräftig. Ein beeindruckender Anblick.

Nur würde ich einen ruhigen und leisen Start in einem Gravitationsstrahl bevorzugen.

»Viel Glück, Jungs«, wünschte ich dem aufsteigenden Schiff.

Wollen wir hoffen, dass uns diesmal niemand beschummelt. Und wir das der Erde gelieferte Plutonium oder Beryllium oder Platin nicht einzig und allein zu gastronomischen Zwecken verwenden dürfen.

Die Tür klappte, und ich drehte mich um. Danilow trat ins Zimmer.

»Ich habe angeklopft«, beteuerte er, als er auf mich zukam. Er schaute zum Fenster hinaus, kniff die Augen zusammen und beobachtete das am Himmel verschwindende Schiff. »Viel Glück, Wassja ...«

Ich schwieg.

»Sei mir nicht böse, Pjotr.« Danilow legte mir die Hand auf die Schulter. »Jetzt hast du lange genug geschmollt. Ich bin kein Teufel, du kein Heiliger. In Ordnung?«

Sobald ich nickte, entspannte Danilow sich.

»Hervorragend. Dein Großvater ist übrigens angekommen, mit irgendeiner Frau.« Er zwinkerte mir kaum merklich zu. »Und mit einem Haufen Koffern. Er reist wohl nicht gern mit leichtem Gepäck?«

»Keine Ahnung. Wir sind noch nie zusammen verreist.«

»Andrej Valentinowitsch ist gerade bei Kisseljow. Die beiden trinken Kaffee. Wir müssen jetzt zu den Dienern des Äskulap. Bist du fertig?«

Wir mussten in der Tat zur letzten medizinischen Durchsicht vor dem Start aufbrechen.

Noch vor dreißig Jahren hätte man uns vor einem Start nicht so viel Freiheit gewährt, da durften wir nicht einfach draußen herumspazieren. Da wären wir in Quarantäne gekommen, um uns vor dem Start nicht mit irgendeiner Krankheit anzustecken. Es hätte eine strenge Kontrolle durch die Ärzte gegeben, rund um die Uhr Ein-Weisungen und Trainingseinheiten. Aber alles ändert sich. Inzwischen gehörte das All zum täglichen Leben. Heute flogen wir am Tag des Starts zum Kosmodrom, Reservemannschaften gab es überhaupt nicht mehr. Pro Tag erfolgten fünfzehn bis zwanzig bemannte Starts allein von den russischen Weltraumbahnhöfen! Die Amis brachten es noch auf ein paar mehr, das europäische Weltraumkonsortium lag knapp darunter. Dann gab es noch die japanischen, chinesischen, südamerikanischen und afrikanischen Gesellschaften. Zwanzig Raumhäfen, und immer noch wurden neue gebaut. Hunderte von Schiffen. Weitere lagen auf Stapel. Sämtliche alten Schiffe vom Typ Spiral und Hermes waren vollständig überholt, neue, hyperschwere Trägerraketen und Schiffe konstruiert worden. Ständig mangelte es an Kosmonauten, Flieger wurden für Raumschiffe umgeschult, in sechs bis acht Monaten - wie am Fließband!

Aber gab es denn eine andere Möglichkeit? Schließlich war der natürliche Schwund enorm ... Schiffe kamen im Weltraum abhanden, krepierten bei der Landung, explodierten beim Start. Und in ihnen meine Kollegen. Bekannte und Unbekannte.

Insofern war unsere ganze Freiheit wie das letzte Gläschen oder die letzte Zigarette für einen zum Tode Verurteilten ...

Die Untersuchung ging schnell über die Bühne, sogar ein wenig lax. Mich hatte man in den letzten zwei Tagen dermaßen oft untersucht, dass die Ärzte nun eine gewisse Nachlässigkeit an den Tag legten. Dafür erwischte es Danilow. Er saß ewig im Sprechzimmer des Gastroenterologen. Als er herauskam, war er wütend, hatte aber immerhin den grünen Stempel auf seiner Gesundheitskarte ergattert.

Was sie bei ihm gefunden hatten - Anzeichen für eine Gastritis oder leichte Hämorrhoiden - bekam ich nicht mit. Auf alle Fälle rief ihm der Arzt hinterher: »Halten Sie sich an alle Vorschriften!«

»Mit Sicherheit!«, warf der Oberst über die Schulter zurück.

Bis zum Start blieben noch zwei Stunden.

Während wir uns anzogen und den Ärztekomplex verließen, fragte ich Danilow: »Wann willst du ...«

Der Oberst starrte mich an, die Frage blieb in der Luft hängen.

»Gehen wir zu Kisseljow.«

Fünf Minuten später erreichten wir das Verwaltungsgebäude. Die Sekretärin saß nicht im Vorzimmer, dafür waren die Bodyguards wieder aufgetaucht. War das hier Tradition? Dass die Bewachung nachts verschärft wurde?

Sobald die Sergeanten Danilow erblickten, traten sie wortlos von der Tür weg. Danilow riss die erste Tür auf, und erst im Vorraum minderte er die Heftigkeit seiner Bewegungen, bevor er die zweite öffnete.

»Genosse Generalleutnant ...«

»Oh, Sascha!«, vernahm ich eine bekannte Stimme.

Ich atmete tief durch und folgte Danilow in Kisseljows Büro.


Andrej Chrumow trug einen Anzug mit Bügelfalten, diesmal einen teuren und modernen Anzug aus »Wollbaumwolle«. Seine Krawatte war aus dem halbtransparenten, aromatisierten Stoff der Daenlo gefertigt. Ich hatte dieses Material einmal transportiert. Die Fracht war unter der Aufsicht von zwei Dutzend Soldaten und Agenten des FSB gelöscht worden. Was versprach er sich bloß von dieser schreienden Aufmachung?

»Wie sieht’s aus, nimmst du Petja zum Partner?«, fragte Andrej Chrumow, während er Danilow umarmte. Anschließend streckte er mir die Hand hin. »Hallo, Enkel!«

»Guten Tag. Wie war der Flug?«, erkundigte ich mich.

Unmerklich änderte sich in den Augen des Alten etwas. »Einwandfrei, Petja, einwandfrei ...«

Mascha saß etwas abseits. In dem weißen Hosenanzug und mit dem sorgfältig frisierten Haar wirkte sie sogar recht attraktiv. Wir nickten einander freundlich zu. Kisseljow schenkte ihr gerade lächelnd Kaffee ein. Der alte, ungeschickt-galante Recke ... Er tat mir wirklich leid. In ein paar Stunden würde er der ehemalige Leiter des Kosmodroms in Swobodny sein.

»Was hast du mit deinem Magen angestellt, Sascha?«, fragte Kisseljow tadelnd. »Sobald du wieder zurück bist, begibst du dich zu einer umfassenden Untersuchung ins Krankenhaus ...«

»Sie wissen bereits Bescheid, Genosse General?«

»Mein Posten verlangt es, alles zu wissen.« Kisseljow lachte gutmütig. Ich wandte den Blick ab. »Für euch wird’s Zeit ...«

»Stimmt«, sagte Danilow und machte sogar eine Bewegung Richtung Tür. Dann blieb er stehen. »Andrej Valentinowitsch, von wo wollen Sie den Start denn beobachten?«, fragte er.

»Von hier«, antwortete der Alte, der den Blick fest auf mich gerichtet hielt.

»Genosse General, vielleicht könnten wir Andrej Valentinowitsch in Halle 3 bringen? Dann könnte er alles vom Feld aus beobachten?«

»Was ist, Andrej? Oder hast du Angst zu ertauben?«, fragte Kisseljow.

»Hä?«, fragte Chrumow zurück.

Der General lachte. »Gut, mir soll’s recht sein ... Was ist mit dir, Maschenka?«

»Ich begleite Andrej Valentinowitsch«, sagte die Frau verlegen. Plötzlich hatte ich den Eindruck, sie führten für Kisseljow das kleine Theaterstück »Je oller, je doller« auf. Das heißt: Falls es ein Spektakel war ...

»Soll ich mich darum kümmern?«, fragte Danilow.

Vielleicht spürte Kisseljow selbst auch etwas. Er antwortete nämlich nicht gleich - stimmte dann aber doch zu. »Gut, Sascha. Begleite unsere Gäste. Und dann seht zu, dass ihr in den Bus kommt.«


Den Weg zum Fuhrpark legten wir in gedämpfter Stimmung zurück. Schweigend. Andrej Valentinowitsch schickte immer wieder einen Blick in meine Richtung, als wolle er verstehen, was in den noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden in seinen Enkel gefahren sein mochte. Danilow, dem die Spannung nicht entging, sagte keinen Ton. Nur Mascha achtete auf all das nicht. Sie schleppte zwei pralle Taschen und lehnte unsere Hilfe entschieden ab. Ich hätte um alle Raumschiffe der Galaxis wetten können, dass ich den Inhalt einer der beiden Taschen nur zu gut kannte. Und auch was die andere enthielt, war nicht schwer zu erraten.

Die Halle des Fuhrparks für den Personaltransport innerhalb des Kosmodroms war riesig, nicht kleiner als das Kontrollzentrum oder die Verwaltungsgebäude. Dort standen die Schlepper, die die Trägerraketen zum Start brachten, aber auch kleinere Wagen. Den Eingang bewachten natürlich Sicherheitsleute. Und hier bekamen wir die ersten Probleme.

Kisseljow hatte zwar angeordnet, zwei Zivilpersonen durchzulassen, Maschas Taschen weckten bei dem Major jedoch ein unliebsames Interesse.

»Darf ich mal?« Er streckte die Hände nach den beiden Ungetümen aus.

Danilow, der den Posten schon passiert hatte, blieb stehen. »Gibt es irgendwelche Probleme, Major?«

Ich glaube, Alexander hatte darauf gehofft, einen ganz anderen Mann hier anzutreffen. Pech gehabt!

»Wir müssen die Sachen kontrollieren«, erklärte der Wachtposten.

»Dazu fehlt die Zeit.«

»Genosse Oberst ...«, setzte der Kommandant des Postens in entschuldigendem Ton an. »Sie sind doch mit den Bestimmungen vertraut ...«

»Wir sind in Eile«, ließ sich Danilow gleichmütig vernehmen. »Kommen Sie, Mascha ...«

»Genosse Oberst!« Die Stimme des Majors nahm unvermittelt einen stahlharten Klang an. »Verzeihen Sie, aber die Vorschriften ...«

»In Ordnung!«, willigte Danilow plötzlich ein. »Na los, Junge. Kram alles durch! Glaubst du etwa, unsere Gäste wollen das Kosmodrom in die Luft jagen? Aber wenn die Herren Senatoren aus den USA sich alles ansehen, dann existieren natürlich keine Vorschriften mehr ...«

In seiner Stimme lag Verärgerung, die den Major allerdings nicht beeindruckte. Hinter ihm, in dem verglasten Raum, saßen drei Soldaten mit Maschinenpistolen. Entsetzt malte ich mir aus, was gleich passieren würde.

»Sie müssen entschuldigen ...« Der Major nahm Mascha die beiden Taschen ab. »Oho!«

Er bedachte Mascha mit einem anerkennenden Blick.

»Sie hätten Ihr Handgepäck ruhig im Hotel lassen können«, bemerkte der Major, der die Taschen mühevoll auf den zerkratzten Tisch hievte. »Dann hätten Sie jetzt keine Probleme. Aber so ... schließlich muss alles seine Ordnung haben. Immerhin besuchen Sie keine Zuckerbäckerfabrik!«

Der Kommandant des Postens war sichtlich stolz auf seine Prinzipientreue. Denn mit Sicherheit erwartete er nicht, in den Taschen verdächtige oder illegale Sachen zu entdecken. Doch die Gelegenheit, Danilow zurechtzuweisen, ließ er sich nicht nehmen ...

»Sie können die Taschen auch bei uns lassen. Das ist zwar genauso wenig gestattet, aber da würden wir ein Auge zudrücken ...«

Ohne die Antwort abzuwarten, zog er den Reißverschluss einer der beiden Taschen auf.

Barg sie den Zähler oder eine Waffe?

Obenauf lagen ein Pullover und eine leichte Jacke. Schulterzuckend schob der Major die Kleidungsstücke zur Seite.

Aus dem Kleiderberg arbeitete sich eine kleine graue Pfote heraus und berührte sanft die Hand des Majors. Der erstarrte.

»Da sind nur eine Videokamera und Kassetten drin. Die Besucher wollen den Start filmen«, sagte Danilow.

Mein Ex-Opa ignorierte das Geplänkel völlig. Er spähte den Gang hinunter, betrachtete die Plakate an den Wänden, musterte die Soldaten im Raum. Ihn interessierte das Kosmodrom anscheinend wirklich.

Wann hatten sie diese Variante des Eindringens eigentlich ausgeheckt?

»Die Besucher wollen den Start filmen«, wiederholte der Major. Seine Augen wirkten schläfrig und stumpf. Seine Hände lagen kraftlos oben auf den Kleiderhaufen.

»Schließen Sie jetzt die Tasche, Major«, befahl Danilow.

Der Kommandant der Wachleute machte die Tasche gehorsam wieder zu und beugte sich über die andere. Ich nahm an, Danilow würde ihn geradewegs anweisen, sie nicht zu kontrollieren, doch da irrte ich mich.

»Mach die Tasche auf, Mascha«, bat der Oberst.

Diese Tasche besaß ein Zahlenschloss. Mascha selbst öffnete es vor dem Major. Der ließ den Blick gleichmütig über die höchst verdächtig aussehenden Metallteile gleiten, mit denen die Tasche bis obenhin vollgestopft war. Fragend sah er Danilow an.

»Es ist alles in Ordnung, und Sie haben sich davon überzeugt«, soufflierte der Oberst.

»Ja«, bestätigte der Major widerstandslos. »Schließen Sie die Tasche. Guten Flug. Schöne Aufnahmen.«

Doch was auch immer der Zähler mit ihm gemacht haben mochte, allmählich würde sich der Major von seinem Schock erholen. Möglicherweise würde er sich sogar ... nach einer gewissen Zeit ... daran erinnern, was die Taschen tatsächlich enthalten hatten.

Der Major schrieb etwas ins Wachbuch und gab den Code für die innere Tür ein. Und wir betraten die Garage. Die riesige, matt beleuchtete Halle erinnerte an einen überdachten Bahnhof. Ein paar lange, mehrrädrige Schlepper, größer als eine Lok, verstärkten diesen Eindruck. Eines dieser Monster fuhr gerade rumpelnd auf das Gelände des Kosmodroms hinaus. Es stank nach Abgasen, dagegen kamen keine Ventilatoren an.

Hier stand eine weitere Wache, doch diesmal kamen wir ohne die Fähigkeiten des Zählers aus. Danilow drückte dem Chef der Sicherheitsleute einfach die Hand, sie alberten kurz herum, dann ließ man uns durch. Den kleinen Autobus, der uns zur Startrampe bringen sollte, entdeckte ich sofort. Danilow winkte den paar Leuten neben dem Bus jedoch nur zu und führte uns in eine andere Richtung, hin zu einem alten Wolga, auf dessen Türen der Schriftzug Sonderfahrt prangte. Neben dem Auto stand ein mir unbekannter Mann in Zivil.

»Alles wie abgemacht«, teilte Danilow ihm zur Begrüßung mit.

»Ich bitte um eine schriftliche Anordnung, Genosse Oberst.«

Bei dem Mann handelte es sich fraglos um jemanden vom Geheimdienst. Er musste Danilows Befehle befolgen, zeigte sich momentan jedoch nicht sonderlich begeistert angesichts dieser Tatsache.

»Selbstverständlich.«

Danilow holte ein Blatt Papier heraus und reichte es ihm. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf den fettgedruckten Kopf: »Zum internen Gebrauch. Streng geheim.«

Der Fahrer las den Befehl aufmerksam durch.

»Ausführung«, sagte Danilow.

»Zu Befehl, Genosse Oberst«, erwiderte der Fahrer ohne jeden Enthusiasmus.

Ich ging Mascha zur Hand, als sie die Taschen auf den Rücksitz bugsierte, und war ihr anschließend beim Einsteigen behilflich. Mein Ex-Opa nahm neben dem Fahrer Platz. Er zögerte kurz, bevor er die Tür zuzog. »Was ist denn mit dir, Pjotr?«, fragte er.

Ich antwortete nicht. Das war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Der Wolga fuhr sofort los, Andrej Chrumow betrachtete mich durch die Scheibe, aber ich winkte ihm nicht mal. Mein Arm hob sich einfach nicht in die Höhe.

»Beeilt euch!«, rief uns jemand vom Bus aus zu. »Wir hätten schon vor fünf Minuten abfahren sollen!«


Da es bereits dämmerte, schaltete der Fahrer die Scheinwerfer ein. Wir fuhren durch von Laternen erhellte Abschnitte, tauchten aber auch immer wieder in die Dunkelheit ab.

Auf dem Gelände waren recht viele Autos unterwegs. Die meisten fuhren zur dritten Startrampe, von der aus die Prorok gestartet war. Dort war es zwar immer noch heiß und verraucht, die Techniker hatten jedoch nur einen Tag, um die Anlagen zu überprüfen und für den nächsten Start vorzubereiten.

Wir machten einen Bogen um die dritte Startrampe, fuhren an der zweiten vorbei, wo bereits die Russki Metsch aufragte, die morgen starten würde. Vor uns lag jetzt nur noch die erste Rampe mit der zum Start vorbereiteten Wolchw. Die gigantische Energija, die einzige Trägerrakete, die ein Schiff dieser Klasse in den Orbit zu bringen vermag, wartete in einer Nebelwolke. An den Hilfsraketen schimmerte im Licht der Scheinwerfer eine Eiskruste.

»Ist sie nicht schön?«, fragte Danilow.

Da er keine Antwort erwartete, nickte ich bloß.

Dennoch haftete dieser Schönheit etwas Falsches an. Fürs 20. Jahrhundert ging sie problemlos durch. Damals sollten Schiffe dieser Art der Menschheit helfen, das Sonnensystem zu bezwingen. Basen auf dem Mond und Siedlungen auf dem Mars zu errichten, Venus und Merkur zu erreichen. Später hätten Ionen- und Atomtriebwerke aufkommen müssen, allerlei exotischer Kram wie Laserbeschleuniger, Sonnensegel und Photonenraumschiffe ... Und erst danach, wenn die Menschheit in ihrem eigenen System gut zurechtgekommen wäre, hätten wir den Jump erfinden sollen.

Aber trugen wirklich jene jungen Wissenschaftler der Moskauer Uni die Schuld daran, dass sie mit den paar Kopeken, die ihnen der arme Staat zugebilligt hatte, das Modell eines Jumpers konstruierten? Heutzutage gehört es zum guten Ton, sich über die »russischen Erstentdeckungen« lustig zu machen. Aber der Jumper war nun mal in Russland erfunden worden! Freilich, später ist das gesamte Konstruktionsteam in die Staaten ausgewandert. Sie wurden gekauft, einfach und ohne viel Drumherum. Amerika war es gewohnt, zu kaufen, was es nicht selbst herstellen konnte. Insofern war das erste Schiff mit Jumper die amerikanische Enterprise gewesen. Trotzdem war mein Land der Zeit voraus gewesen, um Jahrzehnte, wenn nicht gar um Jahrhunderte.

Unmöglich, undenkbar. Die Cro-Magnon-Menschen hatten gelernt, einen Rolls-Royce zu bauen und mit ihm auf Mammutjagd zu gehen.

Wenn es doch bloß einen Funken Gerechtigkeit auf der Welt gäbe! Wenn das Konklave doch der Liga der Freien Sterne gliche, den Galaktischen Allianzen, dem Großen Ring oder einer anderen der so zahlreich von Schriftstellern ersonnenen kosmischen Gemeinschaften. Wir hätten den Aliens den Jump geschenkt, ihnen dieses unvorstellbar großzügige Geschenk gemacht - und dafür Gravitationstriebwerke, die Klimakontrolle, Universalimpfstoffe und Biocomputer kriegen müssen ...

Aber es gibt keine Gerechtigkeit. Die Lanze mit der Steinspitze in der Hand, lehnen wir uns aus dem Fenster der Limousine, spähen dem davontrampelnden Mammut mit scharfem Auge hinterher - und sind stolz auf uns.

Was bliebe uns auch sonst übrig?

Der Autobus hielt fünfzig Meter vor der Startrampe. Der Motor verstummte. Ich seufzte, erhob mich und griff mir den Aktenkoffer. Danilow zwinkerte mir zu und ging zur Tür.

»Seht zu!« Der Chef der Mannschaft, die uns zum Start gebracht hatte, war mit Sicherheit neu. Die Nähe zu der dampfenden, mit flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff vollgepumpten Rakete machte ihn nervös. Wahrscheinlich war das auch wirklich angsteinflößend. Als vor einem Jahr die Georgi Pobedonosez beim Start explodiert war, war im Umkreis von zwei Kilometern alles niedergebrannt.

Die Furcht vor der Technik verliert sich erst, wenn du über sie gebietest. Wenn sich vor dir das Steuerpult befindet und du jeden Grad in den Düsen, jede Atmosphäre in den Rohrleitungen auf dem Bildschirm ablesen kannst. Wir Menschen sind seltsam. Wir schaffen Gebilde, die wir nicht verstehen - was nebenbei bemerkt ein Merkmal einer Starken Rasse ist ...

Im Bus saßen rund fünfzehn Mann. Einige, weil sie es mussten, zum Beispiel die Ärzte, Sicherheitsleute und Techniker, andere, weil sie sich das Kosmodrom ansehen wollten. Alle hielten es jedoch für ihre Pflicht, Danilow und mir auf den Rücken zu klopfen. Und uns Glück zu wünschen.

Als wir bereits auf dem verrußten, geborstenen Beton standen, händigte der Chef der Bodenmannschaft Danilow den Zugangsschlüssel zum Steuerungssystem aus. Schweigend nahm der Oberst die gewölbte Metallscheibe in Empfang, quittierte dies im Protokollbuch und übernahm damit das Kommando über das Schiff.

»Viel Glück«, wünschte der Chef.

»Danke.« Danilow machte einen langen Hals und betrachtete die Rakete. »Na, Petja, was sagst du?«

»Gehen wir.«

Ein paar Leute begleiteten uns bis zum Fahrstuhl. Wir stiegen in die geräumige, vergitterte Kabine und schlössen die Tür. Der Mannschaftschef drückte feierlich den Knopf.

Der Fahrstuhl glitt nach oben.

Aus unerfindlichen Gründen war ich mir sicher gewesen, mein Großvater und Mascha würden im Fahrstuhl auf uns warten. Bedeutete ihre Abwesenheit nun, dass sie schon im Schiff waren?

»Bist du nervös?«, fragte Danilow.

»Und du?«

»Klar.«

Automatisch hielt ich mich am Stahlgitter des Fahrstuhls fest - und riss sofort die Hand zurück. Der Titankörper der Energija verströmte Kälte. Die drang bis auf die Knochen durch, ließ die Haut am Metall festfrieren. Dergleichen war ich nicht gewohnt, die alte Proton, die meine Spiral ins All brachte, flog immer noch mit Distickstofftetroxid und asymmetrischem Dimethylhydrazin. Zugegeben, ein seltenes Giftzeug ...

»Wenn Karel lügt ...«, setzte ich an.

»Weshalb sollte er?«

»Woher wollen wir die Aliens kennen?«

»Profit ist einer der Hauptstimuli intelligenten Lebens«, dozierte Danilow. Ihn fröstelte, und er knöpfte seine Jacke zu. Der Fahrstuhl hatte erst den halben Weg zurückgelegt, trotzdem lag das Kosmodrom schon wie auf dem Präsentierteller vor uns. Das Metall der Träger knarzte, die Eiskruste an den Seiten der Energija knirschte. »Es springt nichts für den Zähler raus, wenn er lügt.«

»Ich dachte immer, der Hauptstimulus für ein intelligentes Wesen sei die Liebe«, entgegnete ich. »Die Liebe zu den Menschen, zur Heimat, zu Wissen. Wozu auch immer.«

»Das ist dasselbe, Petja. Unsere armen, müden Hirne glauben gern, dass wir lieben und geliebt werden. Die Mutter liebt den Sohn, das Vaterland den Bürger, deine Freundin dich. Aber im Grunde ...« Danilow spuckte durchs Gitter und grinste. »... sind das bloß Instinkte oder Kalkül. In der Regel ein Mix aus beidem. In Wahrheit ist uns doch klar, dass unser Wert einzig und allein von unserer Arbeitskraft abhängt. Davon, ob wir unserer Umwelt und der Gesellschaft nützen. Und dass das nicht ewig so weitergehen kann, verstehen wir auch. Deshalb versichern wir uns ... mit Liebe. Gegen das Alter, gegen Krankheiten und Traurigkeit ... Wenn Karel etwas von seiner Liebe für die Menschheit gefaselt hätte, hätte ich ihn am Schlafittchen gepackt und persönlich zur Wesi gezerrt. Aber wir interessieren ihn überhaupt nicht. Es ist lediglich vorteilhaft, wenn sich die Zähler und die Menschen vorübergehend zusammentun.«

»Du bist ein alter Zyniker, Sascha.«

»Ich höre in deiner Stimme keine Missbilligung.«

Danilow linste nach oben, seufzte und knöpfte sich die Hose auf.

»Glaub nicht, dass ich verrückt geworden bin«, sagte er. »Jeder pflegt halt seinen persönlichen Aberglauben ...«

»Und auf die Trägerrakete zu pissen bringt Glück?«

»Mir ja.«

»Pass auf, dass du dir nichts abfrierst«, riet ich und konnte mir das Lachen kaum verkneifen.

»Was ist daran so komisch?«, fragte Danilow verstimmt, während er die Hose wieder zuknöpfte.

»Nichts ... Ich stell mir nur gerade vor, was die anderen Piloten sagen würden, wenn sie wüssten, warum du so ein Glückspilz bist.«

»Wladimirski zum Beispiel wirft immer ein paar Fünfkopekenstücke aus dem Fahrstuhl«, berichtete Danilow. »Und Kisseljow, der hat sich, als er noch geflogen ist, immer Naphtyzin in die Nase getröpfelt. Bist du etwa nicht abergläubisch?«

Ich dachte kurz nach. »Doch«, gestand ich. »Ich habe einen Talisman. Das hat schließlich auch mit Aberglaube zu tun. Entschuldige, Sascha, ich hätte dich nicht auslachen sollen.«

Der Fahrstuhl kam scheppernd zum Stehen. Danilow entriegelte die Tür, und wir traten auf die oberste Plattform der Startrampe hinaus.

Hier wurden wir bereits erwartet.

Andrej Valentinowitsch und Mascha lagen auf dem eisernen Boden, was sicher übervorsichtig war, damit man sie von unten nicht sah. Natürlich hielt Mascha eine Waffe im Anschlag. Diesmal nicht den Paralysator, sondern ein extrem imposantes Ding, mit einem dicken Lauf und einem zylindrischen Kolben. Neben ihr standen die Taschen.

Das waren mir zwei schöne Partisanen.

»Sie erkälten sich noch, Andrej Valentinowitsch«, bemerkte Danilow besorgt. Er trat an die Luke heran, die in die Schleuse der Wolchw führte, und hantierte hastig an dem in den Korpus eingelassenen Rad. »Sie hätten ruhig schon reingehen können, die Luke ist nicht abgeschlossen!«

»Das war eine Vorsichtsmaßnahme unsererseits«, erklärte Mascha, während sie sich auf alle viere hochrappelte. »Es hätte ja irgendein Melder anspringen können ...«

Danilow schlüpfte als Erster durch die Luke, ich half Mascha und dem sich duckenden Chrumow hinein und reichte ihnen die Taschen. Dann warf ich einen letzten Blick aufs Kosmodrom.

Wie seltsam. Ich hatte mit Gewissensbissen oder - im Gegenteil - mit der Überzeugung, das Richtige zu tun, gerechnet.

Aber in meiner Seele war nichts. Nur Leere.

Vier

Eine Buran ist so konstruiert, dass eine normale Position von »Fußboden« und »Decke« nur bei der Landung gegeben ist. Jetzt, beim Start, da das auf die Energija gesattelte Schiff mit der Nase nach oben stand, bereitete es Schwierigkeiten, die Plätze einzunehmen. Danilow und ich halfen Chrumow und Mascha in die Sitze des Jump-Navigators und des Bordingenieurs auf dem »Unterdeck«. Wir brauchten fünf Minuten, um diese in Startposition zu bringen. Der Zähler, der aus der Tasche geklettert war, hätte bestimmt wieder gern auf dem Jumper gesessen. Aber eine Buran war nicht die winzige Spiral. Hier in der Wolchw befand sich der Jumper im Servicemodul. Deshalb nahm der Zähler mit dem Sitz des Wissenschaftlers vorlieb, der sonst fast immer frei blieb. Schließlich erforschen wir das All nicht. Wir befördern Fracht.

Alles ging mit absolutem Schweigen vonstatten. Im Cockpit gab es zwar keine verborgenen Mikrophone, trotzdem zogen wir es selbst ohne vorherige Absprache vor, kein unnötiges Risiko einzugehen. Wenn das Kontrollzentrum mitkriegte, dass in dem Schiff nicht nur zwei Menschen waren, dann ...

»Co-Pilot, nehmen Sie Ihre Position ein«, befahl Danilow, der sich als Erster zu seinem Sitz begab. Ich setzte -genauer: legte - mich in meinen, schaltete das Helmmikro ein, schloss den Overall an das Kabel für die Telemetrie an und linste nach unten.

Chrumow nickte mir beruhigend zu. Falls mein Ex-Opa sich wegen meines Verhaltens Gedanken gemacht hatte, ließ ihn die natürliche Angst vor dem Start jetzt alle anderen Sorgen vergessen. Mascha lag mit der Ruhe einer erfahrenen Kosmonautin im Sitz. Selbst ihre Beine hatte sie ordnungsgemäß angeschnallt. Ihre weißen Hosen waren nach oben gerutscht. Unwillkürlich warf ich einen Blick auf ihre Knöchel. Einer meiner Kommilitonen hatte Frauen in erster Linie nach ihren Beinen beurteilt. Maschas Beine hätten ihm gefallen ...

»Co-Pilot ist bereit«, informierte ich Danilow. Verstohlen steckte ich die Hand in die Tasche, holte meine Spielzeugmaus heraus und hängte sie kurzerhand über meinem Monitor auf. Vielleicht war es wirklich albern, seinen Aberglauben zu pflegen ...

Danilows Hände glitten übers Pult. Die Computerbildschirme leuchteten auf, in den Kopfhörern rauschte es.

»Wolchw an Erde«, meldete sich Danilow. »Mannschaft ist startbereit. Wir beginnen mit dem Test des Schiffs.«

»Erde an Wolchw«, erklang es in den Kopfhörern. »Hier ist Wassiljew, Chef der Schicht. Wir hören Sie gut. Die Telemetriedaten werden übertragen. Sascha, sind Sie nervös?«

»Nein.«

»Ihr Puls liegt bei über hundert.«

»Dann lasst mich doch erst mal in aller Ruhe durchatmen!« Danilow lachte gezwungen. »Bis zum Start bleibt uns noch knapp eine Stunde, und ihr treibt uns die ganze Zeit an!«

»In Ordnung, Sascha. Ich übergebe jetzt an Major Hiller.«

»Wolchw, wir beginnen jetzt mit der Kontrolle vor dem Start!«, teilte mein Bekannter munter mit.

»Hallo, Maxim«, erwiderte Danilow. »Mach das mit Chrumow. Es wird ihm gut tun, sich ans Schiff zu gewöhnen.«

»Hallo«, sagte ich.

»Wie fühlst du dich?«, wollte Hiller wissen. »Deine Telemetriedaten werden übertragen. Sieht alles aus, als würdest du zu Hause vorm Fernseher sitzen.«

»Unser Bett ist die Pferdedecke des Streitrosses«, entgegnete ich. »Fangen wir mit der Arbeit an, Maxim. Der Allgemeintest der Computersysteme ...«

Ich hatte lange nicht mehr in einer Buran gesessen. Ein halbes Jahr bestimmt nicht, und damals auch nur im Rahmen eines obligatorischen zweiwöchigen Kurses. Damals hatte ich eine Umschulung auf Schiffe mittlerer und großer Tonnage absolviert ...

»Der Test ist abgeschlossen, Petja.«

»jetzt der Jump-Test ...«

Wir brauchten insgesamt rund vierzig Minuten. Die Triebwerke stotterten zunächst, aber beim zweiten Versuch löste das Kontrollzentrum das Problem. So ist es immer: Eine Kleinigkeit stimmt nicht, du machst dir ein paar Minuten lang Sorgen, während die Erde Reserveverbindungen aktiviert. Am Ende kriegst du die Starterlaubnis doch.

»Alles in Ordnung«, informierte mich Maxim schließlich. »Wir beginnen mit dem zehnminütigen Countdown.«

»Nur zu.«

Ich blickte nach unten. Chrumow schien seine Ruhe zurückgefunden zu haben. Mascha fing dagegen jetzt an, in ihrem Sitz herumzuzappeln. Der Zähler wirkte wie eine Statue.

Wenn nur im letzten Moment nichts schiefging! Wenn nur der Start nicht verschoben wurde!

»Noch drei Minuten bis zum Start«, erklärte Hiller. »Wir ziehen den Fahrstuhl weg.«

Das Schiff bebte leicht, dann war das Fahrstuhlgerüst weg.

»Ich übernehme jetzt wieder«, verkündete Danilow. »Vielen Dank, Pjotr.«

Genau drei Minuten später erzitterte die Wolchw. Ein Heulen erklang - und zwar nicht von unten, sondern von überall her.

»Ihr hebt ab«, vernahm ich Hillers Stimme.

Ich bemerkte den Start nur anhand der auf dem Monitor blinkenden Zeilen. Die Stahlbolzen, mit denen die Trägerrakete am Starttisch befestigt wird, hatten dem Schub nicht standgehalten und sich gelöst. Wir flogen.

Große Schiffe starten weicher als eine Proton, das hatte ich schon ganz vergessen ...

»Zehn Sekunden, Flug normal«, teilte uns die Erde mit.

Die Beschleunigung machte sich gleichmäßig, aber deutlich bemerkbar. Ich schielte nach unten. Die Passagiere schienen den Start einigermaßen gut zu verkraften. Aber wenn irgendwelche extravaganten, altersschwachen Millionäre aus den USA sich einen kleinen Trip in den Kosmos spendieren oder sogar mal über fremde Sterne spazieren konnten, warum sollte Andrej Valentinowitsch dann zusammenklappen?

»Einschwenken in Umlaufrichtung ...«, informierte uns Hiller. Das spürten wir natürlich selbst. Das Schiff legte sich auf die Seite, ging auf Sollkurs.

»Wir führen die Kursangleichung durch«, erwiderte Danilow. Von uns hing beim Start eigentlich rein gar nichts ab. Die Erde entschied, die Erde steuerte das System. Es war jedoch angenehmer, sich wie ein Pilot vorzukommen - nicht wie Frachtgut.

Kaum schwenkte das Schiff in die Horizontale und beschleunigte dort weiter, setzte das Gerüttel ein. Damit war die schwierigste Phase des Starts eingeleitet. Das Schiff musste sich mit der Trägerrakete durch die dichten Schichten der Atmosphäre »bohren«. Das Heulen der Triebwerke veränderte sich, der Schub war auf 67 % heruntergefahren. Zwanzig Sekunden später kehrten wir zur Normalleistung zurück, auf 104% der Triebwerkskraft.

Das war so üblich -104 %, nicht 100 % ...

Nach zwei Minuten lösten sich die Booster. Gedanklich wünschte ich ihnen eine glückliche Landung. Nicht immer kamen sie wohlbehalten auf, selbst im Meer nicht.

Bei Starts von Baikonur aus gingen die Booster bei der Landung in der Steppe meistens zu Bruch. Die Konstruktion war einfach zu fragil bei diesen Flüssigtanks. Die Amis hatten es da besser, mit ihren Feststoffboostern.

Es blieben noch fünf Minuten bis zur Abtrennung der Hauptstufe der Energija und dem eigenständigen Flug. Noch konnte man uns auf die Erde zurückholen, uns kehrtmachen lassen und in Swobodny landen oder in den Staaten oder uns in eine niedrige Umlaufbahn zwingen und nach Baikonur schleifen ...

»Wolchw.« Irrte ich mich - oder klang Hillers Stimme anders? »Wolchw, hier Kontrollzentrum, antwortet ...«

»Zentrum, hier Wolchw«, erwiderte Danilow. »Der Flug ist normal.«

»Wolchw, schildern Sie die Situation an Bord.«

»Zentrum, an Bord ist alles in Ordnung.«

»Oberst Danilow ... wie viele Personen sind an Bord?«

War das der Anfang vom Ende?

War der Chef des Postens am Fuhrpark zu sich gekommen? Oder hatte der Untergebene Danilows den seltsamen Befehl gemeldet, einen alten Mann und eine junge Frau zu einem Schiff zu bringen, das gerade startklar gemacht wurde?

Wie gut, dass das nicht schon vor fünf Minuten passiert war.

Aber wie ärgerlich, dass es nicht zehn Minuten später passiert war.

»Zentrum, ich habe Sie nicht verstanden«, sagte Danilow.

»Sascha ...« Hiller wechselte unvermittelt vom offiziellen Ton in den persönlichen. »Wir haben Informationen vorliegen, dass sich an Bord des Schiffs eventuell zwei Zivilpersonen befinden.«

»Maxim«, antwortete Danilow in derselben Tonlage, »zu unserer Crew gehören zwei Mann. Der Flug ist normal. Es sind keine Außenstehenden an Bord.«

Er hob sich leicht in seinem Sitz hoch und machte mit der Hand eine energische Bewegung nach unten. Er gab jemandem ein Zeichen ...

»Oberst Danilow, General Kisseljow spricht jetzt mit Ihnen ...«

Ein leichtes Knistern. »Danilow, was geht da vor?«, vernahm ich die Stimme des Generals.

Ich behielt das Pult fest im Auge. Noch funktionierten die Triebwerke genau richtig, um in die Umlaufbahn einzutreten. Dennoch konnte die Erde den Flug schon in der nächsten Sekunde stoppen.

»Genosse General, es ist alles in Ordnung.«

»Danilow, uns liegen Informationen vor, dass Chrumow und Maria Klimenko zur Startrampe gebracht worden sind.«

Damit erfuhr ich nun also auch Maschas Familiennamen ...

»Genosse General, der Flug erfolgt nach Dienstplan. Chrumow und Klimenko befinden sich am vorgesehenen Ort«, erwiderte Danilow.

Wie er es fertigbrachte, eine offene Lüge zu vermeiden!

»Danilow, Himmeldonnerwetter noch mal!«, schrie Kisseljow. »Sie sind aber nicht in Halle 3! Sie sind überhaupt nirgends!«

Es blieben noch dreieinhalb Minuten an dynamischen Operationen ...

Ich schaute nach unten. Mascha und Chrumow kümmerten sich überhaupt nicht um uns, ihnen raubte die dreifache Beschleunigung sämtliche Kräfte. Der Zähler saß bereits nicht mehr in seinem Sitz, sondern lag auf dem Pult des Wissenschaftskosmonauten, seine Pfoten glitten über das Armaturenbrett ...

»Genosse General, das muss ein Fehler sein«, behauptete Danilow mit fester Stimme. »Ich gebe Ihnen mein Wort als Offizier, dass alles nach Plan läuft.«

Ganz kurz meinte ich, Kisseljow würde ihm glauben ...

»Wolchw, wir brechen den Flug ab!«, entschied der General dann. »In zehn Sekunden erfolgt die Abtrennung der Trägerrakete und eine Notlandung auf der Luftwaffenbasis Vandenberg.«

»Zu Befehl«, antwortete Danilow. »Aber Ihnen liegt eine Fehlinformation vor.«

Was hatte er vor?

Ich starrte aufs Pult. Dort blinkte bereits die rote Zeile: »Unvorhergesehene Situation. Notrückkehr.« Drei, zwei, eins ...

Der Befehl zur Abtrennung von der Energija wurde erteilt, der Ruck blieb jedoch aus.

»Wolchw, was ist jetzt los?« Das war wieder Hiller.

»Erde, wir fliegen unverändert weiter«, teilte Danilow mit gelassener Stimme mit. »Das Schiff lässt sich nicht mehr steuern.«

»Danilow!« Aus dem Äther drang eine wahre Kakophonie. Wir vernahmen Stimmen aus dem Kontrollzentrum, Kisseljow übertönte mit seinem Gebrüll Hiller.

»Genosse General, die Befehle von der Erde kommen nicht an, der Flug erfolgt weiter nach Programm.«

»Was hast du getan?«

»Genosse General, Sie wissen selbst, dass ich überhaupt nichts unternehmen kann!«, empörte sich Danilow. »Ich habe keinen Einfluss auf die Handlungen des Kontrollzentrums. Der Fehler muss bei Ihnen liegen.«

Dort, auf der Erde, griff jetzt eindeutig Panik um sich. Erst die Meldung, blinde Passagiere hätten sich an Bord des Raumschiffs geschlichen. Dann ein Schiff, über das man die Kontrolle verloren hatte.

»Erde, der Flug verläuft normal. Wir warten auf eure Anweisungen«, fügte Danilow höhnisch hinzu. Er drehte mir den Kopf zu und sah mich grinsend an.

Ich blickte zum Zähler, der unablässig am Pult herumfingerte.

Weiter so, Reptiloid, lass dir die Steuerung nicht abnehmen. Mach das Unmögliche möglich, raub den Rechnern und den Empfängern den Verstand, übernimm die Funktion des Kontrollzentrums, bring uns raus in den Orbit ...

»Wolchw!«, meldete sich erneut Hiller.

»Kontrollzentrum, wir sind auf Empfang.«

»Nach Eintritt in den Orbit bleibt ihr in freiem Flug. Der Einsatz des Jumpers ist untersagt! Ich wiederhole: Der Einsatz des Jumpers ist untersagt! Euer Flug ist illegal. Weitere Instruktionen erhaltet ihr nach Stabilisierung der Umlaufbahn.«

»Wir haben euch verstanden, Erde.«

Es blieb weniger als eine Minute übrig. Wenn im Kontrollzentrum niemand die Entscheidung getroffen hatte, uns abzumurksen, dann mussten die Versuche, sich einzumischen, jetzt aufhören. Wir konnten bereits nicht mehr zurück, ohne eine paar Runden auf unserer Umlaufbahn zu drehen.

»Danilow!« In den Kopfhörern erklang erneut die Stimme Kisseljows. »Die Weltraumsicherheit ist über die unvorhergesehene Situation informiert. Die Kontrolle über euch übernimmt die Skif

Instinktiv sahen Danilow und ich uns an. Den alten Lasersatelliten der russischen Armee mussten wir ernst nehmen. Wenn er nicht völlig eingerostet war, würde er unser Schiff in einer einzigen Sekunde versengen.

»Der Versuch, den Jumper zu benutzen, wird entsprechend beantwortet«, drohte Kisseljow.

»Genosse General, ich muss schon bitten!«

Kisseljow schluckte seine Tirade hinunter. »Gib mir Chrumow!«, verlangte er in sachlichem Ton.

»Zu Befehl, Genosse General ...«

Noch dreißig Sekunden bis zum Eintritt in den Orbit ... Ein Stoß. Die Triebwerke der Wolchw zündeten und unterstützten die schwächer werdende Energija.

»Was ist da bei euch los, Pjotr?«

»Es ist alles in Ordnung.«

»Ist dein Großvater an Bord?«

»Mein Großvater ist nicht an Bord«, antwortete ich absolut ehrlich. Anscheinend klang es sogar derart aufrichtig, dass Kisseljow ins Schwanken geriet.

»Pjotr, wo sind Andrej Valentinowitsch und Maria Klimenko?«, fragte er.

»Na ... unten«, sagte ich mit einem Blick aufs Unterdeck.

»Hier ist etwas Seltsames im Gange, Pjotr«, bemerkte Kisseljow. »Ich verbiete euren Weiterflug. Bleibt in der Umlaufbahn. Eventuell müsst ihr an Gamma andocken, damit euer Schiff inspiziert werden kann. Wenn sich die Situation aufgeklärt hat, könnt ihr euren Auftrag zu Ende bringen.«

O ja, den würden wir sicher zu Ende bringen ...

»Gut, Genosse General.«

Vibrationensetzten ein, dann folgte ein Stoß ...

»Wolchw, ihr seid im Orbit«, sagte Hiller in bedauerndem Tonfall. »Haltet jetzt Funkkontakt mit den Stationen der Weltraumsicherheit. Ihr habt alle ihre Instruktionen zu befolgen. Und benutzt auf keinen Fall den Jumper.« Er schwieg kurz, bevor er unsicher den üblichen Wunsch hinzufügte. »Glückliche Rückkehr ...«

Stille trat ein. Die Wesi ließ sich mit der Kontaktaufnahme Zeit. Vielleicht kriegte sie aber auch keine Verbindung zum Schiff.

»Darf ich?«, fragte der Zähler. Er befand sich schon nicht mehr unten, denn oben und unten waren verschwunden, genau wie das Dröhnen der Triebwerke verschwunden war. Wir flogen in einer vorläufigen Umlaufbahn.

Die Verkleidung knackte, durch die Frontfenster ließ sich eine weiß-hellblaue Kuppel erkennen. Die Erde. Noch keine Kugel und schon keine Fläche mehr. Wir hatten den Film der Erdatmosphäre durchbrochen, aber der Planet war noch nah, zog uns noch zu sich, bremste uns, wollte sich mit dem Verlust nicht abfinden.

»Wie geht es Ihnen, Andrej Valentinowitsch?«, fragte Danilow.

Der Alte, der an seinen Sitz festgegurtet war, bewegte sich vorsichtig. »War es das?«, wollte er wissen.

»Noch eine Korrektur.« Danilow machte sich offenkundig nicht die geringsten Sorgen wegen der Skif. »Wir sind in einer Höhe von hundertvierzig Kilometern. Hier gibt es noch Spuren von Atmosphäre.«

»Wie schön das ist ...«, sagte Chrumow leise. Ich nahm an, er meinte die Erde, die er zum ersten Mal von oben sah.

Den Jump sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Theoretisch konnte man ihn auch von der Erde aus durchführen, nur würde dann zusammen mit dem Schiff ein Teil des Planeten in den Hyperraum verschwinden. Und zwar ein ganz schöner Brocken, mit einem Durchmesser von einem halben Kilometer. Und es wäre schade um den Planeten, schließlich haben wir nur ihn. Am verdrießlichsten wäre jedoch, dass am Punkt des Jumps ein vollständiges Vakuum entstünde. Der Effekt einer Explosion, bei der die Leere von diesem Umfang mit umgebender Luft gefüllt wird, wäre noch schrecklicher als der einer Wasserstoffbombe. Nevada, der einzige Ort auf der Erde mit Jump-Erfahrung, wurde dermaßen erschüttert, dass das Erdbeben, das Los Angeles zerstört hat, den Amerikanern wie ein unbedeutendes Ärgernis vorkam. Selbst ein Start aus den oberen Schichten der Atmosphäre ruft noch Hurrikans von ungeheuerlicher Kraft hervor.

»Station Gamma ruft Wolchw von Transaero. Station Gamma ...«

*

Die Stimme klang ernst. Militärs erlauben sich keinen Spaß. Sie standen - genauer schwebten - schon allzu lange tatenlos auf ihren Militärbasen, diese kühnen Gebieter über Laserkanonen und Atomraketen. Erstmals in der Geschichte der Wesi bot sich ihnen hier nun die Chance, der Menschheit zu dienen.

Zumindest beurteilten sie die Lage so.

»Hier Frachtschiff Wolchw, Transaero-Flug 60-04«, meldete sich Danilow. »Von der Erde nach Dschel-17. Am Empfang ist der Kommandant des Schiffs, Oberst Danilow.«

»Schildern Sie die Situation an Bord!«

»Alle Systeme funktionieren normal«, berichtete Danilow munter. »Beim Start hat das Kontrollzentrum versucht, den Flug zu stoppen, aber die Befehle erreichten uns aus unbekannten Gründen nicht. Der Eintritt in die vorläufige Umlaufbahn erfolgte gemäß der Flugroute.«

»Wolchw, Sie dürfen den Orbit nicht wechseln.«

»Gamma, wir befinden uns in einem instabilen Orbit. Ich bitte um Erlaubnis einer Korrektur.«

»Wolchw, die Korrektur der Umlaufbahn wird untersagt. Die Zündung der Triebwerke wird als vorsätzliche Verletzung der Sicherheitsbestimmungen betrachtet.«

»Gamma, wollen Sie uns verrecken lassen?« Danilow drehte sich dem Zähler zu und gab ihm mit der Hand ein Zeichen, sich zu beeilen.

»Wolchw, Ihre Umlaufbahn gibt Ihnen mehr als drei ganze Tage. Bleiben Sie, wo Sie sind, und warten Sie auf weitere Befehle.«

»Zu Befehl, Gamma.«

Nach einer kurzen Pause wollte unser unsichtbarer Gesprächspartner wissen: »Danilow, sind unbefugte Personen an Bord?«

»Ich habe Sie nicht verstanden, over

»Danilow, nach unseren Informationen befinden sich zwei Zivilpersonen an Bord. Bestätigen oder dementieren Sie.«

»Weltraumsicherheit, ich bestätige.«

Ich zuckte in meinem Sitz zusammen. Hatte Danilow den Verstand verloren?

»Danilow, hier spricht Igor Ustinow«, meldete sich ein Mann von der Wesi.

»Ich habe deine Stimme erkannt, Igus«, erwiderte Danilow. »Deshalb bin ich auch mit der Wahrheit herausgerückt.«

»Das war ganz richtig so. Mach keinen Mist, Schura, ja? Ich habe dich im Visier. Wenn du in den Jump-Orbit eintrittst, fackel ich dich ab. Und du weißt, dass ich nicht scherze.«

»Ist mir klar«, sagte Danilow.

»Bleibt auf Empfang.«

Und daraufhin unterbrach Danilow die Verbindung. Er sah mich an. »Pjotr, das ist mein ... Kollege. Ich kenne ihn gut.«

»Würde er uns abfackeln?«, fragte ich.

»Ja. Wundere dich trotzdem nicht, dass ich die Karten auf den Tisch gelegt habe. Es hat zu viel Gerede gegeben. Solange sie nicht wissen, was los ist, machen sie sich Sorgen. Alles zu leugnen hätte nur dazu geführt, dass sie noch nervöser würden.«

»Petja ...«, rief mich Chrumow. Ich drehte mich zu ihm um.

Auf dem Jump-Pult, vor dem mein Ex-Opa saß, turnte der Zähler herum. Chrumow blickte mich an, den Kopf weit in den Nacken gelegt. »Was ist mit dir, Petja?«, fragte er leise.

»Es ist alles in Ordnung.«

»Du hast dich nicht mal erkundigt, wie ich den Start verkraftet habe.«

»Ich habe angenommen, du hast dich auf alles gut vorbereitet«, entgegnete ich. »Ich vermute sogar, dass du regelmäßig trainiert hast. Für alle Fälle.«

Mascha, die eine kleine Flasche aus ihrer Tasche zog, schaute mich missbilligend an. »Pjotr, es geht mich ja nichts an«, mischte sie sich ein, »aber du hast kein Recht, so mit deinem Großvater zu reden ...«

»Mit meinem Großvater?«, fragte ich zurück.

Andrej Valentinowitsch zuckte zusammen, als habe er einen Schlag erhalten. Unsere Blicke kreuzten sich.

»Ich weiß alles«, stellte ich klar.

Mascha hielt meinem Großvater das Fläschchen hin, der nahm es wie in Trance, ohne den Blick von mir zu lösen.

»Warum hast du das getan?«, fragte ich. »Warum hast du mich angelogen?«

Der Zähler sprang vom Pult und landete sanft in seinem Sitz. »Die Flugbahn ist eingegeben ...«, zischelte er.

»Du hast mich fünfundzwanzig Jahre lang angelogen!«, schrie ich.

Danilow blickte uns verständnislos an. Schließlich holte er tief Luft. »Hört auf, euch zu streiten!«, brüllte er.

Wahrscheinlich funktionierten bei mir irgendwelche Reflexe, die ich mir während der Ausbildung antrainiert hatte. Ich sagte kein Wort mehr. Mein Großvater, der ohnehin noch keinen Ton herausgebracht hatte, führte die Flasche mit zitternder Hand an den Mund. Geräuschvoll atmete er ein, dann schluckte er die Medizin.

»Bereitet euch alle auf den Jump vor!«, befahl der Oberst. »Danach ... könnt ihr euch weiterstreiten.«

»Das ist eine verbotene Höhe!«, erinnerte ich ihn.

»Alles, was wir jetzt tun, ist verboten«, giftete Danilow mich an. »Noch zwanzig Sekunden.«

Er hob die Abdeckung vom Jump-Pult hoch und legte die Hand auf die Starttaste.

Das Gleichgewicht in der Natur ist etwas höchst Fragiles. Wir verlassen mit einem Sprung die höchsten Schichten der Atmosphäre, und irgendwo über der Karibik fegt ein zerstörerischer Hurrikan los. Wir werden zu dem Sandkorn, das den Lauf im tadellosen Getriebe der Natur zum Stocken bringt. Zu einem todbringenden Sandkorn.

»Noch zehn Sekunden«, verkündete Danilow.

Ich war daran gewöhnt, das Dröhnen des Energie sammelnden Jumpers zu hören. Insofern entspannte mich die vollständige Stille, die im Cockpit hing.

»Wohin fliegen wir?«, fragte Mascha, ohne sich an jemanden direkt zu wenden.

»Zu den Überresten des rot-violetten Geschwaders der Alari«, antwortete der Zähler.

In den zwei oder drei Sekunden, die noch bis zum Jump verblieben, schaffte ich es, den Farbcode der Alari in das mir vertrautere Zahlensystem zu übersetzen. Die vierzehnte Flotte?

Und warum Überreste!

Dann verrichtete der Jumper sein Werk und riss die Welt entzwei. Oh! Ah!


Allzu leicht ...

Als ich in der völligen Dunkelheit zu mir kam, in jener schmerzlichen Leere, die der Jump zurücklässt, schoss mir genau dieser Gedanke durch den Kopf. Er war allzu leicht, der Jump. Allzu angenehm.

Niemals hätten wir etwas in dieser Art entwickeln dürfen.

Dazu hatten wir kein Recht gehabt!

Er gibt uns die Illusion der Allmacht, dieser Sprung durch das Innere des Raums. Er weckt Hoffnungen, bringt uns dazu, uns in Abenteuer zu stürzen. Dabei hätten wir uns still und leise ans Universum gewöhnen müssen, an die Sterne, die uns nicht brauchen ... Die Menschheit ist wirklich ein Kind, das ist keine Metapher, sondern die pure Wahrheit. Wir sind unter einem endlosen Himmel aufgewachsen, unter einer schwarzen Endlosigkeit, die jeden Abend auf die kleine, tischflache Erde einstürzte. Und die Sterne haben über uns geleuchtet, lockend und unerreichbar, fremde Juwelen, lockende und unerreichbare Spielzeuge. Doch wir schafften es, uns nach den Sternen zu strecken. Wenn auch zu früh, viel zu früh. Wir berührten sie, diese betörenden und begehrten Stücke.

Und das Sterneneis versengte uns die Handteller.

Die Sterne sind ein kaltes Spielzeug. Wir werden es nie in Händen halten können.

Aber darauf zu verzichten, jetzt, da wir an unsere Größe glauben, an unsere Schiffe, die die schnellsten im All sind, dazu fehlt uns die Kraft ...

»Pjotr ...«, krächzte Danilow aus der Dunkelheit.

Ich schwieg, denn ich war noch da, wo es keine Stimmen gab, keine Vorschriften, keine Prozeduren, die unbedingt nach dem Jump zu erledigen waren, um das Schiff wiederzubeleben. In den Fenstern ließen sich nach und nach Sterne ausmachen, da die Netzhaut nun den Schock überwand und allmählich begann, etwas zu erkennen.

»Co-Pilot!«

»Co-Pilot ist auf Posten ...«, flüsterte ich.

»Andrej Valentinowitsch!« Ich hörte, wie Danilow sich bewegte und versuchte, das Kästchen mit den Notfallmitteln zu öffnen. Aber ich hatte überhaupt keine Kraft mehr.

»Ich hab’s überlebt ...«, antwortete Chrumow leicht erstaunt. »Das ... das ist so seltsam ...«

»Maria!«

»Auf Posten ...« Ihre Stimme zitterte, aber sie riss sich zusammen. Alle Achtung, nach dem ersten Jump musste man manchen Leuten sogar ein paar Ohrfeigen verabreichen ...

»Karel?«

»Was für eine widerliche Angelegenheit euer Jump doch ist«, zischelte der Zähler.

Mein Ex-Opa hustete, um sein Lachen zu kaschieren. Er weidete sich eben doch an den Qualen eines Aliens.

Schließlich holte Danilow das chemische Leuchtröhrchen heraus. Mit einem Knacken knickte er die Plastikröhre. Ein blasses hellblaues Licht ergoss sich in die Kabine.

Unsere Gesichter wirkten tot, halb erstickt. Mascha hatte die Gurte bereits geöffnet und sich zu Chrumow rübergebeugt. Gerade musterte sie besorgt sein Gesicht. Aber er hatte den Jump recht gut verkraftet.

Woran ich übrigens nicht gezweifelt hatte. Früher hatte ich gewusst, dass mein Großvater sein Ziel immer erreicht. Heute wusste ich, dass Andrej Valentinowitsch sein Ziel immer erreicht.

Ein geringfügiger Unterschied.

»Ich überprüfe die Fracht ...«, teilte Danilow mit, nachdem er sich von seinem Sitz abgeschnallt hatte. Was war nur mit ihm los? Machte er sich wirklich solche Sorgen um die alten Büsten? »Wir überprüfen sie ... Mascha, Karel, folgt mir!«

»Aber Andrej Valentinowitsch ...«, protestierte Mascha.

»Pjotr wird sich um seinen Großvater kümmern!«, fiel Danilow ihr ins Wort. »Halt dich an mir fest!«

Er sprang durch die Kabine und packte Mascha um die Taille. Die schlang gehorsam die Arme um den Oberst. Zu zweit arbeiteten sie sich zur Schleusenkammer vor. Karel beäugte mich kurz, dann sprang er den beiden hinterher.

»Er ist eben doch ein Mann mit Taktgefühl ...«, flüsterte mein Ex-Opa, sobald wir allein waren. »Geschlagen, gebeutelt, vom Leben geschubst und getreten ... aber mit Taktgefühl.«

Schweigend half ich ihm, die Gurte zu lösen. Der Alte stieg unbeholfen überm Sitz in die Luft auf und krallte sich mit einer Hand an der hohen Lehne fest. Er drehte sich um und betrachtete voller Interesse die Sterne in den Fenstern. Ja, sie sind schön, die Sterne, so aus der Ferne betrachtet ...

»Wie hast du es herausgefunden?«, wollte Chrumow wissen.

»In dem Photoalbum steckte unter einer der Aufnahmen ein Zeitungsartikel. In dem hieß es, der bekannte Politologe und Publizist Andrej Chrumow habe bei dem Unglück seine gesamte Familie verloren. Seinen Sohn, seine Schwiegertochter und seinen Enkel.«

»Verdammt ...« Chrumow rieb sich übers Gesicht. »Ja ... das Gedächtnis ... Anfangs verlangt es nach Symbolen ... nach Texten und Bildern ... aber später stolperst du genau darüber ...«

»Ich bin nicht dein Enkel.«

»Ja! Ich habe dich adoptiert! An Enkels Statt angenommen! Alle Papiere weisen dich als meinen Enkel aus! Was also wirfst du mir vor?«

»Andrej Valentinowitsch ...«

Er zuckte, als hätte ich ihm eins mit der Peitsche übergezogen, als ich ihn mit Vor- und Vatersnamen ansprach.

»Es geht gar nicht darum, dass du meinen Vater nicht gezeugt hast. Und schon gar nicht darum, dass du mich aufgezogen hast. Dafür danke ich dir. Was ich wissen will, ist, wozu du mich brauchst. Wozu?«

Der Alte fiel in sich zusammen und senkte den Blick.

»In deinem Buch, im Vorwort ... Da gibt es einen Satz über Menschen, die ein Kind adoptieren und aufziehen, nicht weil sie es lieben, sondern weil sie sich in der Zukunft Vorteile von ihm versprechen. Du hast mir immer beigebracht: Assoziationen sagen ausschließlich etwas über den Autor aus. Über mehr nicht.«

»Ein Arzt kann sich nur schlecht selbst heilen ...«, flüsterte der alte Mann.

»Wozu brauchst du mich?«

»Damit in dem Moment, da ich einen Verbündeten brauche, einen starken, klugen und treuen Mann, tatsächlich einer da ist.«

Immerhin war er ehrlich.

»Ich belüge dich nicht. Ich werde dich nie wieder anlügen. Also frag, was du wissen willst.«

O nein, Andrej Chrumow hatte die Lorbeeren, eine Gefahr für Regierungen zu sein, nicht grundlos fast ein halbes Jahrhundert lang getragen. Er hatte sich vorbereitet und nahm den Kampf auf. Nur dass diesmal sein Gegner ich war.

Dann zeig, was du kannst, alter Mann!

»Gibt es Tests, mit denen das intellektuelle Potenzial eines zweijährigen Kindes ermittelt werden kann?«

»Kaum. Ich musste selbst etwas erarbeiten.« Andrej Chrumow lächelte bitter. »Ja, du liegst richtig. Ich habe dich nicht einfach aus dem Waisenhaus mitgenommen. Ich habe dich ausgewählt. Wie einen Welpen. Ich wollte einen gesunden und klugen Jungen. Ich habe Tomographie, ein Kardiogramm und Analysen eingesetzt. Tests. Ich habe unter anderthalbtausend Jungen den vielversprechendsten ausgewählt.«

»Du bist ein Schuft, Andrej Valentinowitsch.«

»Ja. Ich bin ein Schuft. Aber genau deshalb habe ich dich zu einem Menschen erzogen. Ich habe den Diamanten geschliffen. Allein hättest du deinen Weg nie gemacht, Pjotr. Du wärst ein Arbeiter geworden. Oder ein Bauer. So anständig, wie du bist, hättest du es nicht mal zum Banditen gebracht! Heute würdest du literweise billigen Wodka saufen oder Gras rauchen. Du hättest deine Intelligenz zu Grabe getragen, dein Gedächtnis, deine Güte, tropfenweise den Menschen aus dir herausgepresst. Und die Erde würde auf dem Weg vorangehen, den die Aliens für sie abgesteckt haben!«

»Dann wäre es aber wenigstens mein Weg gewesen, Chrumow! Was du da sagst ... die Aliens glauben doch auch, es sei ihr gutes Recht, für uns zu entscheiden! Auch sie schleifen bloß den Diamanten! Indem sie es den Menschen verbieten, ihre Kräfte für unnütze Dinge zu vergeuden!«

»Wir sind beide Menschen.«

»Aber was heißt das? Du hättest mich nicht anlügen müssen! Ich hätte nicht aufgehört, dich zu lieben, wenn du mir die Wahrheit gesagt hättest! Du wärest mein Großvater geblieben! Begreifst du das denn nicht? Ich wäre Kosmonaut geworden, wenn du mir erklärt hättest, warum das wichtig ist! Du hättest mich so oder so zu was auch immer erziehen können! Zu einem Kämpfer gegen die Aliens, einem Terroristen oder einem Mörder. Was auch immer dir in den Kram gepasst hätte!«

Chrumow erwiderte kein Wort.

Ich wandte mich ab. Tränen stiegen in mir auf. Sie funkelten wie kleine Kristallkugeln, rissen sich von den Wimpern los, hingen mir vor den Augen und brachen das giftige chemische Licht. Hellblaue Tränen ...

»Ich habe dich geliebt, Petja«, sagte Chrumow. »Glaubst du mir das?«

»Du hast mich geliebt? Wie ein perfektes Werkzeug, an das sich die Hände gewöhnt haben?«

»Nein. Wie einen Enkel. Ich habe meinen Sohn nicht so geliebt, wie ich dich geliebt habe.«

Darauf schwieg ich. Sanft erglommen die Lampen der Notbeleuchtung.

Ich wollte jetzt kein Licht!

»Es ist sehr einfach, sich für die Gemeinheit zu entscheiden«, sagte Chrumow leise. »Vor allem wenn du selbst zugibst, dass etwas gemein ist. Zu entscheiden, dass du einen Erben brauchst. Jemanden, der deine Ideen fortführt. Du investierst etwas Geld, um jemanden zu bestechen ... und ich war nie ein armer Mann, das weißt du. Du heuerst Ärzte an, die unter tausendfünfhundert Jungen einen auswählen. Die Behörden wussten Bescheid ... aber ihnen war es egal. Ein alter, streitlustiger Populist, der den Verstand verloren hat und sich einen neuen Enkel aussucht ... Ja, ich wollte einen Verbündeten finden. Einen Verbündeten, mehr nicht! Einen jungen Mann, der mir alles verdankt! Aber dann wurdest du mir zum Sohn, zum Enkel, zu allem ... Ich habe dich zu sehr geliebt. Ich habe mich gescheut, das zuzugeben. Es ist sehr schwierig, sich zur Offenheit durchzuringen ... vor allem gegenüber jemandem, den du liebst. Was spielt es denn letzten Endes für eine Rolle? Was für eine? Ich hätte es dir so früh wie möglich sagen sollen. Mit zehn, zwölf oder fünfzehn Jahren. Es hätte nichts geändert. Sogar heute kann ich dir genau sagen ... wie du in dem einen oder anderen Alter reagiert hättest. Aber ich brachte es nicht fertig. Mir fehlte der Mut.«

»Du lügst«, flüsterte ich.

»Nein, Petja. Ich habe keinen Beweis, um dich zu überzeugen, dass ich nicht lüge. Gar keinen. Ich bin dir wirklich fremd. Wir sind keine Blutsverwandten. Aber die Liebe ... die bemisst du nicht mit irgendwelchen Geräten. Der kannst du kein Zertifikat und Siegel beilegen.«

»Aber du liebst mich nur, damit ich die Erde ...«

»Ja zur Hölle mit ihr, mit dieser Erde!«, schrie mein Großvater mit dünner Stimme. »Soll sie doch zu Staub zerfallen! Im Feuer verbrennen! Wenn ich gewusst hätte, es damals gewusst hätte ... wenn mir klar gewesen wäre ...«

Ich zitterte, krallte mich am Sitz fest, riss mich dann los und beugte mich zu meinem Großvater vor. Er krümmte sich, bedeckte das Gesicht mit den Händen, aber die trotzigen Tränen, die kläglichen Tränen eines alten Mannes, rannen durch seine Finger und spritzten funkelnd durch die Kabine. Ich setzte ihn in den Sitz und half ihm, die Gurte anzulegen. Ich bettete meinen Kopf an seine Brust, genau wie in meiner Kindheit, als ich mich auf seinem Schoß vor allen Kränkungen, vor jedem Kummer verstecken konnte.

»Verzeih mir, Großpapa ...«

»Petja, mein Junge ...« Ein Schluchzen schüttelte ihn. »Ich bin schuldig, ich weiß, dass ich schuldig bin.«

»Großpapa, verzeih ...«

»Du hast recht, ich hätte dich nicht anlügen dürfen, nicht anlügen sollen. Jetzt glaubst du mir nicht, wirst mir nie wieder glauben. Und du hast recht. Ich habe zu viel gesagt ... über die Freiheit ... über das Recht, man selbst zu sein. Aber wir sind nicht frei, mein Junge. Wir sind Sklaven. Wir sind Diener unserer Liebe.«

»Großpapa, ich glaube dir ...«

»Ich habe die Erde zu sehr geliebt. Ich habe unsere komische Welt geliebt. Und unser unglückseliges Land, das habe ich stets noch mehr geliebt als die Erde. Und mein Zuhause wiederum habe ich mehr geliebt als mein Land. Denn so ist die Liebe nun einmal, sie speist sich aus dem Kleinen, aus Teilchen, aus etwas Komischem und Dummem, aus dem Hauseingang, in dem du das erste Mal ein Mädchen geküsst hast, aus dem Hof, in dem du dich das erste Mal geprügelt hast, aus der Arbeit, in der du dich verwirklichst ... Nicht die Freiheit ist wichtig, Petja. Die Liebe ...«

Ich löste seine Hände vom Gesicht und sah dem alten Mann in die Augen.

»Ich liebe dich, Großpapa«, sagte ich. »Und ich liebe Russland. Genau wie die Erde. Aber das ist zweitrangig. Weine bitte nicht. Gleich kommen Danilow und Mascha zurück ...«

Unwillkürlich spähte ich zur Luke in die Schleusenkammer und fuhr zusammen. Dort hingen Mascha und Danilow, sich bei den Händen haltend. Neben ihnen schwebte der Zähler.

Bestimmt hingen sie schon lange dort ...

»Pjotr, beginnen Sie mit der Reanimation der Fähre«, sagte Danilow. Und fügte hinzu: »Bitte.«

Ich nickte, brachte jedoch kein Wort heraus. Mir doch egal, was sie gehört hatten und was nicht. Meine ganze Sorge galt meinem Großvater, der immer noch weinte und die Tränen mit dem Ärmel abwischte.

»Ich könnte etwas sagen, das der Situation angemessen wäre«, zischelte der Zähler. »Und es würde ganz ehrlich klingen. Aber ich schweige, weil ich im Grunde keine relevanten Emotionen verspüre.«

»Verstehe«, erwiderte ich. »Und genau deshalb sind wir euch überlegen, Echse. Weil wir immer Gefühle empfinden, ob sie nun angemessen sind oder nicht.«

Der Reptiloid klappte mit den Kiefern. »Ich hoffe, dass die Emotionen der Menschheit uns gegenüber positiv sein werden«, bemerkte er. In einem beinahe bittenden Ton.

»Das hängt davon ab, ob ihr unsere Liebe verdient«, entgegnete ich. »Aber noch habt ihr die Chance.«

Fünf

Das Leben kehrte ins Schiff zurück.

Die Heizelemente verfügten wieder über Energie, die Computer konnten erneut auf die Flugprogramme zugreifen. Schweigend reanimierten wir alle zusammen das Schiff. Die Erde war fern, gut zwölf Lichtjahre weit weg. Und kein einziges Schiff der Erde würde uns je finden -obwohl jedes von ihnen diese Distanz genau kannte.

Denn allein auf die Richtung kam es an. Das war wie im Leben: Du verstehst schnell, wie weit ein Mensch zu gehen vermag, aber du weißt nie, welchen Weg er wählt.

Wie sich gezeigt hatte, war es ein Kinderspiel, ein Raumschiff zu entführen. Sobald alle Systeme wieder im vorgeschriebenen Modus liefen und wir zu unseren Sitzen zurückgekehrt waren - frei durch die Gegend zu schweben ist entgegen der landläufigen Meinung nämlich nicht gerade angenehm - meinte Danilow, seine kaum wahrnehmbare Verlegenheit hinter einem geschäftigen Ton verbergend: »Maria, ich sollte dich in die Benutzung der Toilette einweisen ...«

»Vielen Dank, aber ich habe die Anleitung genau studiert«, entgegnete sie.

»Gut ... die Aufsätze für Frauen müssten im Container über der Sanitäreinheit sein.«

»Ich werd sie schon finden.«

Sie errötete nicht mal. Wirklich, vor Mascha konnte ich nur den Hut ziehen. Wenn sie mit all ihren Vorzügen jetzt noch ein wenig femininer wäre ...

»Wollen wir dann vielleicht zur Sache kommen?«, fragte mein Großvater. Er blickte alle an und nickte zufrieden. »Petja und ich entschuldigen uns für unsere Schwäche ... ein paar unserer alten Probleme sind hochgekocht. Verzeiht uns. Aber jetzt wollen wir uns mit dem beschäftigen, weshalb wir zu Verbrechern geworden sind.«

»Ich kann’s kaum erwarten«, bemerkte Danilow.

Ohne dass wir uns abgesprochen hätten, schauten wir alle auf den Reptiloiden.

»Können wir uns das schon leisten?«, wollte der Zähler wissen.

»Schon längst«, stellte mein Großvater klar. »Bevor wir den Alari begegnen, möchte ich endlich eine Geschichte hören. Genauer, jene vermeintliche Geschichte, warum wir die Erde verlassen haben.«

Der Zähler zögerte selbst jetzt noch. Als verstünde er nicht, dass uns jeder Rückweg abgeschnitten war, dass wir mit einem Bann belegt und gemäß dem Artikel zu den Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt würden.

»Wir haben bereits maximale Kompromissbereitschaft bewiesen«, sagte mein Großvater. »Meinst du nicht auch, Karel?«

»Gut ...«

Der Reptiloid schwebte von seinem Sitz zum Pult des ersten Piloten. Anscheinend hatte er ihn wegen des großen Monitors ausgewählt. Als die geschuppte Pfote die Armaturen berührte, leuchtete der Bildschirm mit einem milchigen Licht auf.

»Ich werde alles darlegen und demonstrieren«, kündigte der Zähler an. »Das ist nicht sehr kompliziert. Aber da ich den Prozess der Darstellung der visuellen Information nicht kontrollieren kann, sagt mir Bescheid, wenn das Bild undeutlich ist. Machen wir einen Test ... ‚Reinliche Otter gehen gern baden im Veilchenmeer.«

Gehorsam lösten sich die sieben Farben des Spektrums - Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett - auf dem Bildschirm ab.

»Du bist besser als eine japanische Videokamera«, machte ihm Danilow ein fragwürdiges Kompliment.

»Großer Kreis, kleiner Kreis, großes Quadrat, Buchstabe A, Ziffer 7 ...«

»Alles einwandfrei zu sehen«, bestätigte mein Großvater. »Für ein Wesen, das keine Fernsehbilder erkennen kann, machst du das tadellos.«

»Dann fange ich jetzt an«, verkündete der Reptiloid. »Begeben wir uns zwölf Erdtage zurück ...«

Dunkelheit breitete sich auf dem Bildschirm aus. Die schwarze Nacht des Kosmos mit den Funken der Sterne. Hatte der Zähler je das gesehen, was er uns hier zeigte? Oder rekonstruierte er einfach Ereignisse, somit dem Bedürfnis der Menschen, alles mit eigenen Augen zu sehen, Tribut zollend?

»Die rot-violette Flotte der Alari stellt eine unabhängige militärische Einheit dar«, führte Karel aus. »Gemäß den Entscheidungen des Konklave patrouilliert sie in mehr als dreißig Sektoren der Galaxis, ordnet sich jedoch keiner der Starken Rassen unter. Genau das kommt uns zupass!«

In der Dunkelheit des Bildschirms leuchteten weiße Punkte auf. Sie wuchsen zu den Schiffen des Geschwaders an und kamen auf uns zu. Darunter waren Kreuzer, diese Scheiben, die ich nur zu gut kannte, jede Menge Zerstörer, die wie kleine Kugeln aussahen, sowie Schiffe mir unbekannter Typen, alle von schlichter Form, alle elegant und funktional.

Wollte der Zähler etwa alle Schiffe des Geschwaders vor uns defilieren lassen? Das würde eine halbe Stunde dauern, mindestens!

»Momentan beläuft sich die Stärke des rot-violetten Geschwaders der Alari auf nur 67 Prozent der ursprünglichen Größe«, teilte der Zähler sachlich mit.

»Das Geschwader war komplett?«, hakte Danilow rasch nach.

»Ja.«

Sieh einer an!

Die Alari hatten es fertiggebracht, in zwölf Tagen gut vierzig Schiffe zu verlieren!

Wer auch immer ihren Weg gekreuzt haben mochte, er musste den Nagern ordentlich eingeheizt haben!

»Die Hauptverluste haben die kleinen Zerstörer erlitten«, fuhr der Zähler fort. »Aber auch zwei Kreuzer wurden vernichtet. Hier seht ihr das Flaggschiff.«

Sobald das Schiff auf dem Bildschirm entstanden war, stieß ich einen Pfiff aus. Es hatte ebenfalls die Form einer Scheibe, genau wie die normalen Kreuzer. Aber wenn mir mein Gedächtnis keinen Streich spielte, hatte diese Scheibe einen Durchmesser von fünf Kilometern. Die Mitarbeiter der Wesi könnten sich nur noch die Kugel geben, sollte ein solches Schiff je die Erde angreifen.

Dieses Flaggschiff dürfte sich allerdings geraume Zeit jeden Gedanken an einen Angriff verkneifen müssen.

In der Mitte der Scheibe klaffte ein Loch. Ja, richtig, ein ganz normales Loch, durch das die Sterne funkelten. Die Ränder der Scheibe, die perfekt glatt hätten sein müssen, waren zerflossen und hingen gewellt herab. In meiner Kindheit hatte ich einmal versehentlich eine alte Schallplatte aus der Sammlung meines Großvaters in der Sonne liegen gelassen. Sie war geschmolzen, und das schwarze Plastik hatte sich am Rand genauso verformt wie bei dem Schiff.

Aber da vor uns, da auf dem Bildschirm, das war keine Vinylplatte!

»Welche Kraft ist nötig, um einen solchen Schaden anzurichten?«, fragte mein Großvater.

»Es kommt nicht auf die Kraft an, das sollte die Rasse, die den Jumper ersonnen hat, wissen«, belehrte ihn der Zähler. »Allerdings hat hier tatsächlich eine gewaltige Energie gewirkt. Ich vermute, selbst die Torpp hätten sie nicht verkraftet.«

Das wurde ja immer schöner. Bisher hatte ich angenommen, diese Rasse der Starken, die in der Photosphäre der Sterne lebte, sei absolut unverletzbar.

»Weiter!«, befahl mein Großvater. Seine Augen blitzten. Endlich lag ihm der Beweis vor, dass es im Kosmos eine Kraft gab, die dem Konklave Entsetzen einzuflößen vermochte!

»Und hier haben wir den Gegner der Alari«, sagte der Zähler. Auf dem Bildschirm erschien ein weiteres Schiff, ebenfalls scheibenförmig und anscheinend aus Metall. Aber weitaus anspruchsvoller in der Form, mit einer Reihe von Vorsprüngen am Rand, die eine eigenwillige Zierkante bildeten, und einer deutlichen Verdickung in der Mitte. Damit erinnerte das Schiff eher an eine Linse als an eine Scheibe.

Und es war sehr klein. Neben dem Schiff tauchte jetzt die winzige schematisierte Figur eines Menschen auf. Die Linse schien kleiner als unsere Wolchw zu sein. Vielleicht so groß wie eine Spiral.

»Wie viele Schiffe waren es?«, wollte Danilow wissen.

»Habe ich mich derart unpräzise ausgedrückt?«, fragte Karel bestürzt. »Nur dieses eine.«

Als ich zu meinem Großvater hinübersah, bemerkte ich, wie er, das Kinn in die Hände gestützt, aufmerksam das unbekannte Schiff studierte. Im Unterschied zu mir jagte ihm das Ding keine Angst ein.

»Karel«, sagte ich, »ihr müsst euch geirrt haben. Das kann nicht jene Zweite Kraft sein, die wir brauchen, um uns auf ein diplomatisches Spiel einzulassen. Das ist einfach bloß eine Kraft. Sie fegt die Starken Rassen weg und zermalmt die Schwachen. Ohne es selbst zu merken.«

Danilow nickte. In dieser Frage vertraten wir haargenau dieselbe Auffassung.

»Es gibt da noch ein kleines Detail.« Der Zähler linste zu mir herüber. »Es gibt etwas, das über der Kraft steht.«

Jetzt lief über den Bildschirm offensichtlich eine Videoaufzeichnung. Oder etwas, das den Alari als Entsprechung diente und minutiös vom Zähler in unser Darstellungssystem übertragen worden war.

Ein riesiger Hangar - und überall Mäuse. Der Albtraum einer Katze aus einem Zeichentrickfilm. Kräftige, hundsgroße Nager. Einige nackt, andere in ungewöhnlichen, abstoßenden Raumanzügen aus metallischen Schuppen. Die Mäuse wuselten überall herum, rannten über den unebenen, schartigen Boden, der aus Steinplatten gelegt schien. Die Vorderpfoten der Mäuse waren länger als ihre Hinterbeine und mündeten in kräftige Finger. Als Folge davon ragten der Brustkasten und der Kopf auf, was sie extrem aggressiv aussehen ließ.

Inmitten der wuselnden Alari blitzten hier und da unbewegliche, verrenkte und mitleiderregende Leichen auf. Eigentlich war der ganze Boden mit ihnen übersät ...

Die Kamera fuhr heran, die Mäuse wichen auseinander, und im Hintergrund ließ sich das Schiff erkennen, jene kleine Linse, die das Flaggschiff demoliert hatte. Es lag da, krängte ein wenig und schien von Mäusen belagert. Aber das war noch nicht mal das Entscheidende ...

Das Entscheidende, das kam erst noch. Das nahm erst jetzt den ganzen Monitor ein.

Ein Körper.

Ein menschlicher Körper!

Ein junger blondhaariger Mann. Am Hals klaffte eine Wunde. Hatten die Alari im Zweikampf etwa ihre Zähne eingesetzt?

Lange Haare und braungebrannte Haut mit Blut, das aus den zahllosen Bisswunden und Kratzern lief. Da der Mann nur kurze Shorts aus silbrigem Stoff trug, war auf dem muskulösen Körper jede Wunde zu sehen. Obwohl das Blut schon fast an allen Stellen eingetrocknet war, glaubte ich, es handelte sich um frische Wunden. Komisch. Er tat mir leid, dieser Mann, der da in einer absolut unfairen Auseinandersetzung gestorben war. Außerdem kam mir sein Gesicht vage bekannt vor ...

Mein Bewusstsein hakte sich weiter an verschiedenen Details fest, an jedem Punkt der unerbittlich scharfen Darstellung ... Irgendwann gelang es mir endlich, meine Bestürzung abzuschütteln.

Das Wichtigste war nicht, dass das winzige Schiff dieses Mannes vierzig Schiffe der Alari vernichtet hatte. Und auch nicht, dass er im Zweikampf mindestens ein Dutzend Mäusekommandos erledigt hatte.

Das Wichtigste war, dass es sich um einen Menschen handelte. Oder zumindest um ein Wesen, das sich nicht von einem echten Menschen unterscheiden ließ.

»Er war allein«, zischelte der Zähler. »Die Alari hatten Glück, dass er allein war.«

Danilow riss plötzlich den Kopf herum und starrte mich ungläubig an. Dann blickte er abermals auf den Bildschirm.

»Verflucht, Pjotr, ihr seht euch ähnlich!«

Das stimmte tatsächlich. Nein, der Unbekannte war keine genaue Kopie von mir. Sein Gesicht war etwas breiter, und die halb geöffneten Augen waren anscheinend schwarz. Die Ohrläppchen sahen auch anders aus ...

Trotzdem waren wir einander extrem ähnlich. Wie Brüder.

»Ist das ein Mensch?«, fragte ich.

»Was ist denn das, ein Mensch?« Der Reptiloid lachte leise.

»Spar dir deine Sophistereien«, bat ich nur. »Ist er tot?«

»Ja. Leider ja.«

»Haben die Alari seinen Körper untersucht?«

»Selbstverständlich. So ist sein Organismus aufgebaut ...«

Die Darstellung auf dem Bildschirm veränderte sich. Das wirkte wie ein Horrorfilm oder wie ein Dokumentarfilm für Medizinstudenten. Zunächst verschwand die Haut. Dann die Muskeln. Schließlich die inneren Organe. Ein paar Sekunden starrten wir blöd auf das Skelett, dann flackerte der Bildschirm, und der tote Körper lag wieder da, umgeben von aufgeregten Alari.

Mascha schrie leise auf. Mir behagte der Anblick ebenfalls nicht.

»Ich sollte hinzufügen, dass zu den Untersuchungsmethoden der Alari keine Obduktion gehört«, erklärte der Zähler. »Das eben war eine Inszenierung. Wenn auch auf der Grundlage genauer Daten.«

»Zeig mir noch mal das Skelett«, bat mein Großvater, den nichts aus der Ruhe brachte. »Ich konnte die Wirbel nicht zählen.«

»Sein Körperbau entspricht völlig dem der Erdbewohner.«

»Und die Zellen?«

»Ebenfalls.«

»Das Genom?«

»Nach ersten Angaben auch.«

»Aber er kann kein Mensch sein«, murmelte mein Großvater vor sich hin. »Nein, das ist unmöglich ... Wenn allerdings ...« Er streckte die zitternde Hand nach dem Zähler aus. »Wann? Wann ist das passiert?«

»Glauben Sie etwa, der Mann käme aus der Zukunft, Andrej Valentinowitsch?«, wollte der Zähler wissen.

»Ich schließe es zumindest nicht aus.«

»Daran hege ich größte Zweifel ...« Der Zähler stieß einen Seufzer aus. »Freilich kann ich diese Möglichkeit nicht kategorisch zurückweisen. Aber ich habe meine Zweifel.«

Schade. Ich hatte mir schon ausgemalt, wie schön das wäre. Vielleicht ein wenig wie in einem Kinderbuch, aber trotzdem, schön wäre es. Unsere fernen Nachfahren, stark und frei, die Hilfe in die Vergangenheit schicken ...

»Und hier seht ihr das Cockpit seines Schiffs«, fuhr der Zähler fort.

Auf dem Bildschirm erschien die Metalllinse. Sie öffnete sich, entfaltete sich wie eine Blume, indem die zarten Blütenblätter in der Mitte sich anhoben, nach unten senkten und eine Art runde Gangway oder Landefüße bildeten.

»Das Schiff hat sich automatisch’ geöffnet, als der Körper des Piloten zu ihm gebracht wurde«, berichtete der Zähler.

Genau wie ich vermutet hatte, befand sich das Cockpit im Zentrum der Linse. Wir blickten von oben in die Kabine hinein.

Zwei Sitze. Ein Pult in Form eines M, das sich um die Sitze zog. Ansonsten nur sehr wenig Platz.

»Er konnte nicht von weit her gekommen sein«, vermutete mein Großvater.

»Kommt drauf an, was für Triebwerke er hat ...«, zischelte der Zähler. »Die Alari sind tapfer. Sie haben Opfer in Kauf genommen. Den Tod ihrer Brüder. Aber sie haben nicht zu den Waffen gegriffen, und sie haben das Schiff des Fremden gestürmt, ohne es zu beschädigen.«

Jetzt sahen wir das Pult in Großaufnahme. Ein gegossenes weißes Armaturenbrett voller Lämpchen ...

Danilow seufzte enttäuscht. Mein Großvater krächzte ebenfalls, allerdings irgendwie zufrieden.

Nein, das war nicht das Pult von Menschen.

Ich suchte nach Tastaturen, Schaltern, Sensoren, nach irgendwas, das an die normalen Steuervorrichtungen bei uns auf der Erde erinnerte. Nichts. Betriebslämpchen, nach einer ungewöhnlichen Logik angeordnet, blinkten. Zwei ovale Bildschirme, die für Menschen unbequem gewesen wären. Dann noch vier kleinere Trichter, die sich vor dem gleichmäßig leuchtenden Pult ganz seltsam ausnahmen. In ihnen pulsierte, schäumte und blubberte eine dicke, ölige Flüssigkeit ...

»Haben die Alari versucht, das Pult auseinanderzunehmen?«, wollte Danilow wissen. Man konnte in der Tat annehmen, an den vier Stellen hätten die Alari versucht, das Armaturenbrett anzubohren.

»Nein. Die Dinger waren schon vorher da.«

»In meiner Kindheit habe ich gern Filme über verrückte Professoren und blutrünstige Aliens gesehen«, bemerkte mein Großvater unvermittelt. »Da wurde ... so was auch gezeigt.«

Ich weiß nicht, wie es dem Zähler erging, aber wir verstanden sofort, worauf mein Großvater anspielte.

Das Schiff war in übertriebener Weise modern. Das Pult zu schön. Auf Effekt bedacht.

»Karel, das Schiff sieht viel zu sehr nach einer Filmkulisse aus«, erklärte mein Großvater dem Zähler. »Ein Mensch nähme sich in ihm recht natürlich aus. Selbst die Geschichte über die vierzig vernichteten Schiffe der Alari passt dazu ... Aber könntet ihr nicht einfach ein Schiff auf der Grundlage eurer Technologie und des Jumpers der Menschen gebaut haben? Und jetzt wollt ihr einen von uns auf den Pilotensitz platzieren und ihn dann den Starken Rassen vorführen? Die würden daraufhin völlig zu Recht in Panik geraten. Ein Geschwader solcher Schiffe, ausgestattet mit dem Jumper und hocheffizienten Angriffs- und Verteidigungswaffen, könnte die ganze Galaxis auf den Kopf stellen.«

»Genau deshalb würden wir dergleichen nie versuchen«, konterte der Zähler. »Wir haben nämlich nicht die Absicht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Oder die Daenlo mit den Menschen.«

»Wie können wir da sicher sein?«, flüsterte mein Großvater. »Du behauptest also, das sei ein fremdes Schiff? Ein Schiff von einer bisher unbekannten Rasse? Die den Erdbewohnern in allem gleicht, inklusive dem Genom? Ihr technisch dabei aber weit überlegen ist?«

»Ja. Und genau das bedeutet euren Tod. Wenn die Starken Rassen von einer Rasse erfahren, die mit den Erdbewohnern identisch, dabei aber mehr oder weniger allmächtig ist, werden sie euch vernichten. Denn es wäre unvermeidlich, dass ihr mit der neuen Rasse ein Bündnis eingeht - und das würden die Starken Rassen niemals zulassen.«

»Aber zu diesem Bündnis würde es doch nur kommen, wenn diese Rasse« - mein Großvater nickte in Richtung Schirm - »aggressiv wäre.«

»Das ist sie. Fragen Sie die Alari, sie werden es Ihnen bestätigen.«

»Der Junge hat sich verteidigt«, ergriff ich plötzlich für den ermordeten Piloten Partei.

»Das hat er. Aber zunächst hat er versucht, einen der Zerstörer der Alari in seine Gewalt zu bekommen.«

»Du musst schon entschuldigen«, sagte ich, »aber ich empfinde deswegen keinen gerechten Zorn. Zumindest nicht, wenn ich an die Hyxoiden und das Shuttle Explorer denke.«

»Wir alle können genug anführen, was wir den anderen vorwerfen«, bekräftigte der Zähler. »Und wir alle sind auf Stärke erpicht. Vielleicht der Freiheit wegen ... vielleicht der Liebe wegen. Aber dies ist nicht die Zeit, an Rache zu denken. Dies ist die Zeit zu handeln.«

»Was habt ihr über diese Rasse in Erfahrung gebracht?«, fragte mein Großvater.

»Sie ist biologisch mit den Menschen identisch. Sie beschreitet einen vergleichbaren Weg der Entwicklung, nämlich einen überwiegend technischen. Vielleicht würdet ihr in ein paar hundert Jahren sein wie sie. Und sie ist von außerhalb gekommen.«

»Aus einer anderen Galaxis?«, hakte mein Großvater nach.

»Ich weiß es nicht. Jedenfalls von außerhalb ...«

Auf dem Bildschirm erschien abermals ein neues Bild. Der Zähler hatte in seinem Gedächtnis eine unglaubliche Menge von Informationen gespeichert.

Der Kosmos. Sehr weit weg. Dafür brauchte ich mir die Sternbilder noch nicht einmal genauer anzusehen, das spürte ich einfach. Der Kosmos glitt weiter, als schwenke jemand die Kamera zur Seite.

»Das ist eine der Aufzeichnungen, die in dem eroberten Schiff gespeichert sind«, erläuterte der Zähler. »Wir haben es geschafft, mit dem Computer des Schiffs in Dialog zu treten. Das ist zwar wesentlich schwieriger, als eure Elektronik zu knacken, aber wir haben es trotzdem gemeistert.«

Der Schwenk endete. Als habe derjenige, der die Aufnahmen gemacht hatte, genug gesehen.

Oder hatte er nicht genug von dem, was er gesehen hatte - sondern von der Leere um ihn herum?

Mit einem Mal schien die Bewegung wieder einzusetzen. Dafür erloschen nun die Sterne.

Aus dem Nichts tauchten Schiffe auf.

Erst jede Menge Linsen. Sie flogen alle in verschiedene Richtungen auseinander und verschwanden im Nu aus dem Blickfeld. Ich entdeckte keine Hinweise auf laufende Triebwerke, keinen Flammenstrahl des verbrennenden Treibstoffs, kein Leuchten des Ionenantriebs, kein fliederfarbenes Schimmern der Gravitationsgitter. Nein, ich sah etwas, das mir völlig unbekannt war.

Plötzlich zitterte das Bild, als ertrüge der Raum nicht länger, was sich in seinem Inneren zusammenbraute.

»Herr im Himmel!«, ächzte Danilow.

Vermutlich war das Ding ein Kreuzer. Allerdings glich es weniger den Scheiben der Alari oder den Polyedern der Daenlo als vielmehr jenem Traum von Schlachtschiff, den man auf der Erde träumte.

Es war ein längliches, gigantisches Schiff. Leicht stromlinienförmig, natürlich nicht für die Landung auf einem Planeten, sondern eher als Tribut an die Ästhetik ... etwa wie ein Ozeanriese. Den Kreuzer umhüllte blaues Licht.

Er war schön, wie jedes Kriegsgerät.

»Ist das ein Kraftfeld?«, fragte Mascha mit gepresster Stimme. Meine Güte, sie interessierte sich wirklich für die taktischen und technischen Daten.

»Vielleicht. Wir kennen diesen Schiffstyp nicht«, antwortete der Zähler. »Vielleicht ist das aber auch nur Sekundärstrahlung ...«

Den letzten Satz brachte er ohne jegliche Überzeugung hervor.

»Die Größe?«, erkundigte sich mein Großvater, während der Kreuzer ruhig aus dem Bild flog.

»Genau konnten wir sie nicht ermitteln«, gestand Karel. »Wir hatten keine Vergleichswerte. Annähernd zehn bis zwanzig Kilometer.«

Die armen kleinen Alari! Wenn sie ihre riesigen Schiffe bauten, um die Komplexe, die sie wegen ihrer geringen Größe empfanden, zu überwinden, dann musste dieses Schiff für sie ein Schlag ins Gesicht sein. Noch nie hatte jemand dergleichen gebaut.

Und zwar vor allem deshalb nicht, weil niemand ein solches Schiff brauchte!

Fünf Minuten beobachteten wir, wie im Raum immer neue Schiffe auftauchten. Die Bilder wurden allmählich kleiner, als entferne sich das Schiff dieser unbekannten Rasse, das die Aufnahmen gemacht hatte.

»Das sieht in der Tat wie eine Invasion aus«, sagte mein Großvater. »Das gebe ich zu. Oder wie eine Zurschaustellung der eigenen Kräfte. Diese Aufzeichnung befand sich mit Sicherheit nicht zufällig in dem Schiff!«

»Ich nehme an, dieses Schiff war nur das erste«, meinte der Zähler. »Ein Erkundungsschiff. Es hat Aufnahmen gemacht. Es hat den Punkt ausgekundschaftet, wo sie eindringen wollten. Dann hat es ein Signal gegeben.«

»Durch die Kehrseite des Raums?«

»Warum nicht?«

Irgendwann tauchten keine neuen Kreuzer mehr auf. Oder das Erkundungsschiff war inzwischen so weit weg, dass es sie nicht mehr ins Bild bekam.

»Jetzt kommt etwas Interessantes«, kündigte der Zähler mit verschwörerischer Stimme an. »Ich lasse etwa eine Viertelstunde aus, die recht belanglos ist.«

Ich verstand nicht auf Anhieb, was da vor sich ging. Die Aufnahme flackerte, Sterne tanzten über den Bildschirm. Irgendwann flammte ein blendendes Licht auf.

Ein Stern!

Die Sonne!

Der gelbe Stern leuchtete auf dem Bildschirm, nicht wie ein Funken am Himmel, sondern wie eine Scheibe von solchen Ausmaßen wie die Sonne, wenn man sie von der Erde aus betrachtet. Das Bild hüpfte auf und ab, als führe das Schiff ein verzweifeltes Manöver durch. Ganz kurz erschien auf dem Bildschirm ein Planet, der an die Erde erinnerte, weiß und blau, der aber eben nicht die Erde war. Und selbst wenn ich schon viele Planeten gesehen habe: Dieser hier war unnormal. Irgendwie seltsam.

»Das ist nicht einfach eine Invasion«, behauptete der Zähler. »Das ist eher eine Expansion. Eine Migration. Hier ist ein ganzes Planetensystem in unsere Galaxis eingedrungen.«

»Spul noch mal zurück«, bat mein Großvater. »Ich glaube ...«

»Gern.« Der Zähler war die Liebenswürdigkeit in Person. Vielleicht verspürte er echte, nicht nur imitierte Gefühle, sobald er sein Wissen demonstrierte? »Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich eine Bildkorrektur vornehme? Wenn ich die Wolkendecke entferne und die fehlenden Ausschnitte berechne?«

Natürlich hatten wir nichts dagegen. Abermals erschien der Planet auf dem Bildschirm. Ich wurde ganz unruhig auf meinem Sitz und beugte mich unwillkürlich zum Monitor vor.

Jetzt, da der Zähler das Bild »retuschiert« hatte, indem er die Wolkendecke weggenommen hatte, sah der Planet wie ein Globus aus. Auf der uns zugewandten Seite gab es zwei Kontinente.

Einer war quadratisch.

Der andere kreisrund.

»Eine Rasse mit solchen Vorstellungen von Schönheit jagt mir einen gewissen Schrecken ein«, flüsterte Danilow. »Karel! Ist dir wirklich kein Fehler unterlaufen?«

Der Planet verschwand wieder unter den Wolken. Doch selbst durch sie hindurch ließen sich die Konturen der Kontinente erahnen.

Ein Quadrat und ein Kreis.

»So ein Unsinn!«, entfuhr Mascha ein überraschend scharfer Kommentar. »Das ist absolut nicht rational! Als ob es nicht auch anders ginge! Wenn sie nicht genug Platz haben, wenn sie derart an ... an Überbevölkerung leiden ... könnten sie doch neue Kontinente schaffen, schwimmende Inseln, Unterwassersiedlungen, von mir aus sogar Weltraumstädte! Aber so! Mit Zirkel und Lineal! Das ist idiotisch!«

»Da haben wir aber recht spaßige Brüder im Universum gefunden, Karel«, bemerkte mein Großvater kichernd.

Der Reptiloid reckte den biegsamen Hals. Er versuchte angestrengt, seinem Gegenüber bei einem Gespräch in die Augen zu sehen. Anscheinend glaubte er, die Etikette verlange dies.

»Nur ihretwegen haben wir euch Menschen hinzugezogen«, sagte er. »Unserer Ansicht nach wird eine nähere Bekanntschaft mit dieser Rasse euch davon überzeugen, dass es nicht allein auf äußere Ähnlichkeit ankommt.«

»Aber vielleicht sind sie bloß völlig besessen von Geometrie?«, gab mein Großvater in nachsichtigem Ton zu bedenken. »Ihr seid Zähler. Sie Geometer. Da wollten sie eben ihre Lieblingsformen verewigen.«

Der Reptiloid dachte relativ lange nach, bevor er schließlich fragte: »Ist das ein Scherz?«

»Ja.«

»Das ist gut. Falls euer Gott existiert, sollte er die da eure Erde lieber nicht vermessen lassen. Dann würde nämlich aus Australien ein hübsches Parallelogramm, aus Nord- und Südamerika jeweils ein Dreieck. Aber ob euch das gefallen würde?«

Er lachte sorgfältig. Ich hörte mir sein nervöses Geschnatter gar nicht an. Das brachte keinen Nutzen. Nichts brachte Nutzen. Ich schaute auf den Bildschirm, auf die von Wolken verschleierten Kontinente. Selbst die Wolken hatten sich allzu akkurat über dem Planeten zusammengezogen! Das war nicht schlicht ein Spiel der Winde. Hier verbarg ein aktiver Geist Teile des Festlands unter einer Wolkendecke, während er andere dem Licht einer fremden Sonne aussetzte.

Geometer?

Raumschiffe von alles hinwegfegender Stärke, vollständige Kontrolle über das Klima und die Planetenkruste, Technologien, die es gestatten, ganze Sternsysteme durch den Raum zu verschieben ... etwas, das mit dem Jump nie möglich wäre.

Geometer?

Die Bezeichnung passte haargenau auf diese Rasse. Ein Blick auf ihre Welt genügte - und man würde keine andere wählen. Ich besah mir den kreisrunden Kontinent, der mitten im Meer lag, besah mir seine gleichmäßige Uferlinie. Instinktiv wusste ich: Das ganze Ufer bestand aus endlosem Strand. Mit sauberem goldenen Sand ...

Vorausahnungen sind Scharlatanerie. Zumindest hatte ich das bisher immer angenommen. Doch in diesem Moment, da ich jenen fremden Planeten betrachtete, sah ich mich selbst dort, an seinem Ufer. Wie ich an der Brandungslinie entlangrannte, in dem hoffnungslosen Versuch, jemandem zu entkommen oder jemanden einzuholen. Ein endloser Lauf, immer im Kreis. Mein erschöpfter Körper schmerzte. Ich ahnte Verzweiflung und Einsamkeit.

Ich würde dort hingelangen.

Das wusste ich.

»Pjotr!«

Ich wandte mich meinem Großvater zu und lächelte schuldbewusst. »Entschuldige. Ich war grad woanders.«

»Was sagst du zu den Maßen des Planeten, Petja?«

»Sie entsprechen denen der Erde.« Ich zuckte die Schultern. »Die Maße sind allerdings nicht entscheidend. Der Typ der Atmosphäre, das Vorhandensein von Wasser und Wolken belegen die Ähnlichkeit viel besser.«

»Kannst du das Schiff da landen?«

Ich starrte Danilow an, aber auch er wartete allem Anschein nach auf meine Antwort.

»Großpapa, diese Landung auf der Straße ... das war ein Zufall. Fähren werden normalerweise nicht in der Wüste oder auf Straßen gelandet.«

»Und was ist mit den Salzseen in Amerika?«

»Also ... selbst da wird die Landebahn abgesperrt ...«

»Andrej Valentinowitsch«, schaltete sich der Zähler in vorwurfsvollem Ton ein, »ich glaube nicht, dass ein partisanenhaftes Vordringen zum Planeten der Geometer nötig sein wird.«

Ich war nicht der Einzige, dem der von meinem Großvater geprägte Name gefiel ...

»Eine Rasse, die in der Weltraumtechnik derart weit ist, wird vermutlich über ein System zur Fernüberwachung verfügen.«

»Karel, unser Schiff, das noch dazu mit chemischen Triebwerken funktioniert, ist ein Staubkorn im Vergleich zu normalen Raumschiffen.«

Anscheinend wollte mein Großvater seinen Plan nicht so schnell aufgeben.

»Andrej Valentinowitsch, wir haben ihre Sprache entschlüsselt«, teilte der Zähler mit.

»Und?«

»Das Wort für Wachsamkeit hört sich in der Sprache der Geometer genauso an wie das Wort für Entspannung

»Brr!« Mein Großvater schüttelte den Kopf. »Bist du noch bei Troste?«

»Ich entspanne und erhole mich ... ich bin wachsam und erhole mich. Das klingt beides gleich.«

»Sag es einmal in ihrer Sprache.«

»Das kann ich nicht. Ich habe mir ihre Phonetik nicht angeeignet.«

»Was gibt es sonst noch für Besonderheiten im Vokabular der Geometer?«

»Sie haben kein Wort für Frieden«, berichtete der Zähler. »Sie haben nur ein Verb, das so viel bedeutet wie Friedenskampf ... oder Friedensprozess ...«

»Vielleicht sollten wir uns doch an die Starken Rassen wenden und ihnen einen Treueid leisten?«, sinnierte Danilow.

»Wir sollten lieber zu den Alari fliegen«, sagte mein Großvater. »Solange ich das, was uns der Zähler gezeigt hat, nicht mit eigenen Augen gesehen habe ...«

»Ich habe nicht gelogen. Sie können sich davon überzeugen.«

Wie nicht anders zu erwarten, trat er wesentlich selbstsicherer auf, seit wir die Erde verlassen hatten.

»Wie weit ist es bis zur Flotte der Alari?«, fragte mein Großvater.

»Einhundertdreiunddreißig Lichtjahre.«

»Zwölf Jumps?«, schrie Danilow auf.

»Elf, wenn ich alles richtig berechnet habe.«

»Danach ist uns ein Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde sicher ...«, brachte Danilow ohne jede Begeisterung heraus. »Nie zuvor ist jemand so weit von der Erde weg gewesen ... Wenn wir nach jedem Sprung eine Stunde für die Reanimation der Wolchw ansetzen ... und wenn wir nicht schlafen, dann schaffen wir das in einem halben Tag. Berechne den Kurs, Karel.«

Der Reptiloid schwebte zum Navigationspult. Vielleicht hätte er mit meinem Großvater den Platz tauschen sollen ...

Wir brauchten dann doch statt elf Jumps dreizehn. Schuld daran war wohl weniger ein Fehler des Zählers als vielmehr das ungenaue Navigationssystem.

Nach dem sechsten Sprung legten wir eine Essenspause ein. Meinem Großvater und Mascha bereitete die Nahrungsaufnahme in der Schwerelosigkeit anscheinend großen Spaß. Früher einmal hatte auch ich voller Vergnügen schwebenden Fleischstückchen und Safttropfen nachgejagt. Vor langer, langer Zeit ...

»Das Gefühl, das du beim Jump empfindest, ist wirklich nicht mit Worten zu beschreiben!«, ließ sich mein Großvater kategorisch vernehmen. »Wie farblos doch alle Vergleiche sind. Erdbeeren mit Schlagsahne, das warme Meer, betörende Musik, schöpferische Ekstase ... und natürlich der Orgasmus. Alles Quatsch!«

»Mein Navigator ... Rinat ... erklärt es immer so: ›Als ob zwei attraktive Frauen dir den Rücken massieren, während du einen eisgekühlten Cocktail durch einen Strohhalm schlürfst und in einem orientalischen Dampfbad liegst.‹«

»Ist das sein Ernst?«, fragte mein Großvater.

»Nein, wahrscheinlich nicht. Aber es bringt die Leute dermaßen aus dem Konzept, dass sie auf weitere Nachfragen verzichten.«

Mascha beteiligte sich nicht an dem Gespräch. Sie aß schweigend ihr Essen, beobachtete meinen Großvater, ihr Gesicht hatte sich gerötet und wirkte jetzt sogar ganz hübsch. Hol mich der Teufel, sie war wirklich in ihn verknallt! Ich empfand eine grundlose, wahnsinnige Eifersucht. Ob mein Großvater ihr Verhalten überhaupt bemerkte? Oder war er als echter Stubengelehrter nicht in der Lage, seine Kenntnisse anzuwenden, sobald es um ihn persönlich ging?

Nach dem neunten Jump gestand der Zähler einen Fehler bei der Kursberechnung ein. Wir führten dennoch zwei weitere Jumps durch, die uns allerdings nicht zum Punkt unseres Rendezvous brachten.

»Wir haben unser Ziel um sechsundzwanzig Milliarden Kilometer verfehlt«, teilte uns der Zähler mit, nachdem er die Koordinaten mehrfach überprüft hatte. »Mit dem simpelsten Überlichtantrieb würden wir diese Strecke innerhalb von einem Tag zurücklegen!«

»Und mit dem Jumper innerhalb von zwei Stunden.« Danilow nahm dem Zähler die Kritik an seiner geliebten Fähre offensichtlich krumm.

»Wenn ich mich nicht irre ...«

Zum ersten Mal räumte der Zähler ein, dass auch seinen Fähigkeiten Grenzen gesetzt waren. Ich schwebte gerade vor einem der Fenster und betrachtete verzückt die Sterne. Die völlig fremden, aparten Sternbilder. Was, wenn der Reptiloid uns nicht zu den Alari bringen konnte? Die Reserven des Schiffs würden nur für eine Woche reichen, schließlich flogen wir mit doppelter Besatzung. Und man konnte sich hier ohne weiteres verirren, in dieser endlosen Leere. Unsere Schritte sind zu groß. Unsere Augen zu kurzsichtig ...

»Bereitet euch zum Sprung vor«, sagte der Zähler.

Die Taste des Jumpers drückte der Schiffskommandant, ganz wie es sich gehörte. Dennoch war Danilows Macht über die Ereignisse nunmehr pure Illusion. Uns blieb nichts anderes übrig, als Karel alle Kursberechnungen zu überlassen. Weder ich noch Sascha oder Rinat hätten das Schiff an einen Punkt gebracht, der gut einhundertdreißig Lichtjahre von der Erde entfernt lag ...

Als wir nach dem zwölften Sprung wieder zu uns kamen, blieben wir lange in unseren Sitzen sitzen. Als ob uns alle zugleich eine nervliche Erschöpfung erfasst hätte. Der Zähler, der sich bisher so tapfer gehalten hatte, fing wieder an zu winseln, genau wie damals nach seinem ersten Jump. Wir lagen da, unter der Behäbigkeit und Schwere unserer schwerelosen Körper leidend, die Sterne leuchteten wie Funken durch die Fenster herein, das Stöhnen des Reptiloiden zerschnitt die Stille, aber wir hatten nicht einmal die Kraft, ein Leuchtröhrchen anzuzünden ...

»Irgendwann einmal«, flüsterte Danilow, »werden wir klug und stark sein ... und uns etwas Langsameres als den Jump überlegen, das aber genauso gut für interstellare Flüge taugt. Dann werden wir alle Schiffe zu einem großen Geschwader vereinen und diesen Schweinen Feuer unterm Arsch machen ... damit sie niemals ... nie wieder ...«

Ich verstand ihn. Dieses Vergnügen würde uns umbringen, alles aus uns herauspressen, was es in unserer Seele gab, was man für richtige Taten brauchte. Die Starken Rassen hatten uns mühelos zu Fuhrleuten degradiert, zu einer Tätigkeit, die so verdammt, so verteufelt angenehm war! Vermutlich wären wir besser dran, würden wir uns vor Schmerz winden und krümmen wie die Zähler ...

»Hör auf, Karel ...«, bat mein Großvater mit schwacher Stimme. »Sei still! Dein Verhalten ... ist eines derart hochentwickelten Wesens einfach nicht würdig ...«

Seltsamerweise half das. Das Gefühl des Stolzes ist ein universelles Laster. Der Zähler verstummte.

»Sehen wir zu, dass wir den Kurs berechnen«, verlangte Danilow. »Ich bin müde. Bringen wir die Reise hinter uns.«

Wenn selbst er, mit seiner ungeheuren Erfahrung, diese Sprungserie nicht ertrug, wie erging es dann wohl erst meinem Großvater und Mascha? Man spendierte den Piloten zwischen den ersten Übungssprüngen und dem Beginn der regulären Flüge aus gutem Grund einen bezahlten Urlaub in den besten Ferienorten der Erde. Um die Euphorie ein wenig abzuschwächen, um ihnen einen Fixpunkt zu geben, einen psychologischen Anker, um ihnen einzubläuen, dass es neben dem Jump noch andere Freuden im Leben gibt. Wahrscheinlich waren auch die Frauen, die uns, die verwirrten Anfänger, in Griechenland derart umschwirrten, nicht zufällig vor Ort. Die KOSKOM, die Kosmoskommission der UNO, hatte uns das Paradies auf Erden geboten. Meine Spielzeugmaus, meinen treuen Talisman, hatte mir eine Frau auf einer Jacht im Ägäischen Meer geschenkt, auch das ein Detail des ausgeklügelten Plans ...

War ich auch im normalen Leben so scharfsichtig? Oder nur nach einem Jump?

Ich holte ein Leuchtröhrchen heraus und beleuchtete das Cockpit. »Nur Mut«, sagte ich. »Man darf sich doch nicht unterkriegen lassen.«

Dann brachte uns der dreizehnte Sprung ans Ziel.


Auf dem Radar blinkten Punkte - die Schiffe des rotvioletten Geschwaders der Alari. Bestimmt rund hundert Schiffe, also alle, die nach dem Angriff noch übrig waren. Folglich lagen die Zerstörer nicht in den Ladebuchten auf den Kreuzern, sondern flogen Patrouille. Die mutigen Mäuse waren aufgeschreckt.

»Wollen wir mit unserem Manöver beginnen?«, schlug Danilow vor. Es juckte ihn vermutlich in den Fingern, sich den Schiffen zu nähern.

»Die Geschwindigkeitsdifferenz liegt bei mehr als hundert Kilometern pro Sekunde«, holte ich ihn auf den Boden der Realität zurück. »Mit unseren Triebwerken holen wir sie nie ein, Sascha.«

»Sie werden sich uns von sich aus nähern«, unterbrach uns der Zähler. »Sie stoppen bereits.«

Das stimmte. Die Alari hatten anscheinend ein Manöver eingeleitet, sobald wir im Raum aufgetaucht waren, also bereits vor einer Viertelstunde. Während wir das Schiff in Ordnung gebracht hatten, hatten sie ihre Geschwindigkeit an unsere angeglichen und sich auf uns zubewegt. Als Erstes würden uns die Zerstörer erreichen.

Vermutlich, weil ihr Zahlensystem ein quartiäres war, flogen die Alari meist in Quadrigen. Momentan umgaben uns vier Schiffe, ein Ehrengeleit vielleicht oder eine Wache.

»Ich brauche eine Verbindung ...« Der Zähler klammerte sich ans Pult. Danilow stellte den Empfänger rasch auf die Standardfrequenz des Konklave ein, die Schiffe unterschiedlicher Rassen für Nahverbindungen nutzten. Im Grunde dürften jedoch eher wir als der Reptiloid darauf angewiesen sein. Das Mikrophon ignorierte er. Aus den Lautsprechern drang die wispernde, monotone Sprache der Alari. Bei windstillem Herbstwetter rascheln so die Blätter, die zur Erde fallen. Wir sandten ein Wispern als Antwort - worauf die Stimmen der Piloten verstummten. Jetzt sprach offensichtlich der Reptiloid.

»Ist es für dich leichter, wenn du eine elektronische Verbindung herstellst?«, fragte mein Großvater.

»Ich bin außerstande, diese Geräusche selbst zu erzeugen«, erklärte der Zähler, ohne das »Gespräch« mit den Alari zu unterbrechen. »Meine Kehle ist modifiziert worden, um mit Menschen reden zu können. Für die verbale Kommunikation mit den Alari greife ich daher auf ihr Übersetzungssystem zurück.«

Die Zerstörer umkreisten uns. Statt weiter auf das Radar zu starren, schwebte ich zum Fenster. Mein Großvater und Mascha hatten das schon längst getan.

Eines der Schiffe glitt gut zwanzig Meter entfernt an uns vorbei. Die mattgraue Verkleidung wirkte weich und lebendig, wie das Fell eines unbekannten kosmischen Tiers. Einige Schießscharten mit transparenter Verblendung sowie die flache Scheibe des Triebwerks glitten über die Schutzhülle und veränderten in einem fort ihre Position. Als einer der Zerstörer sich direkt neben uns befand, glaubte ich, die Kugel flache ein wenig ab und nehme vorübergehend die Form einer Bohne an.

»Karel, sind ihre Schiffe zu Transformationen in der Lage?«, fragte ich.

»Wie wenig ihr von ihnen wisst ...«, seufzte der Zähler. »Selbstverständlich. Die Schiffe der Alari sind aus sogenanntem lebendem Metall gebaut, das ihnen die Daenlo zur Verfügung stellen. Für den Kampf ist das höchst vorteilhaft. Aber ausgesprochen energieintensiv.«

Die Zerstörer tanzten so lange um unser Schiff herum, bis die Kreuzer uns erreicht hatten. Hin und wieder richteten sich weiße Lichtkegel auf uns, die uns zwangen, die Augen zusammenzukneifen. Irgendwann tauchten aus der Leere drei Scheiben auf, die uns ihren schmalen Rand zukehrten. Das Flaggschiff, das ihnen folgte, hielt uns dagegen seine flache Seite entgegen, was es wie einen gigantischen Teller aussehen ließ. Einen durchlöcherten Teller allerdings ... Inzwischen hatten sie jedoch mit den Reparaturen begonnen, und das Flaggschiff wirkte nicht mehr ganz so lädiert wie in dem Film, den uns der Zähler gezeigt hatte.

Die Maße des Flaggschiffs waren zu groß, als dass mein von der Schwerelosigkeit ermüdetes Hirn mit ihnen etwas anzufangen gewusst hätte. Außerdem störte irgendetwas die Betrachtung: Das Schiff näherte sich uns nämlich gar nicht mehr, sondern wir selbst fielen jetzt auf eine Metallfläche, die mit bunten Lichtern übersät, mit Türmen und Antennen bewehrt war. Wir fielen schneller und schneller ...

Ich starrte auf die Verkleidung und versuchte mit aller Gewalt, nicht in Panik zu geraten. Die Alari würden es doch nicht auf einen derart brutalen Zusammenstoß ankommen lassen!

Sie ließen es tatsächlich nicht darauf ankommen. Die Oberfläche der Scheibe vibrierte »unter uns«, die Schleuse öffnete sich, und das Schiff bebte. Ein Gravitationsstrahl erwischte uns ...

»Zum Boden!«, schrie ich. »Die Füße zum Boden hin!«

Aber mein Großvater und Mascha genossen die erste Schwerelosigkeit ihres Lebens viel zu sehr. Als die Anziehungskraft ins Schiff zurückkehrte, schwebten sie immer noch vor den Fenstern. Im letzten Moment schaffte ich es, meinen abstürzenden Großvater aufzufangen und den Fall durch meinen eigenen Körper zu dämpfen. Mist! Die einen magern ja ab, wenn sie alt werden, bei den anderen trifft leider das Gegenteil zu!

Die Verkleidung des Schiffs knirschte leise, als wir übergangslos vom Vakuum in die Atmosphäre wechselten. Mascha saß auf dem Boden und rieb sich den Ellbogen, den sie sich aufgeschlagen hatte. Mein Großvater kroch ächzend von mir herunter und erstarrte dann auf allen vieren. »Also ...«, brachte er überrumpelt heraus. »Danke, Petenka. In meinem Alter ... das ist einfach zu viel für mich.«

Schuldbewusst sah ich zu Mascha hinüber. Wenn ich etwas reaktionsschneller gewesen wäre, wäre keinem von beiden etwas passiert.

»Danke, Petja«, bemerkte sie in aufrichtigem Ton. »Ich Idiotin war einfach nicht bei der Sache ... Sind Sie in Ordnung, Andrej Valentinowitsch?«

»Mir ist nichts passiert«, sagte mein Großvater nachdenklich. »Ich frage mich allerdings, warum unsere Vorfahren den aufrechten Gang gewählt haben. Auf allen vieren ist es doch wesentlich bequemer.«

Ungeachtet seiner Proteste half Mascha meinem Großvater in seinen Sitz. Zwanzig Stunden in der Schwerelosigkeit sind zwar nicht viel, doch wenn man nicht daran gewöhnt ist, knicken einem einfach die Beine weg.

Ich trat vors Fenster und sah zum ersten Mal in meinem Leben ein Schiff der Außerirdischen von innen.

Es war genau der Raum, in dem der Pilot der fremden Rasse gegen die Alari gekämpft hatte. Ich erkannte ihn auf Anhieb, obwohl sich das linsenförmige Schiff nicht mehr darin befand. Ein schartiger Boden und eine unebene Decke, fast wie in einer Höhle. In den Wänden saßen große trübe Glassteine, die ein diffuses orangefarbenes Licht ausstrahlten. Und überall Alari. Anscheinend hatten sie die Hermetisierung der Schleuse nicht aufgehoben, als sie uns an Bord holten, sondern ein Kraftfeld hatte die Luft zurückgehalten. Die Aliens haben etliche solcher Tricks auf Lager.

Meine Hände wurden schweißnass. Hier wimmelte es nur so von Alari. Und sie glichen gewöhnlichen Mäusen einfach zu sehr. Als ob wir geschrumpft seien, als ob ich zu einem Nussknacker geworden sei, der ins Königreich der Mäuse geraten war ...

Wer wohl den Paten Droßelmeier abgeben würde -mein Großvater oder der Zähler?

»Und wer ist hier der Mausekönig?«, fragte mein Großvater, den Mascha hatte zum Fenster bringen müssen. Mich verblüffte überhaupt nicht, dass uns beiden der gleiche Gedanke gekommen war. Das passiert uns öfter.

»Das jüngste Wesen ...«, zischelte der Zähler. »Es ist ganz vorn ... das mit dem schwarzen Fell und dem goldenen Gewand ... Es ist der Flottenkommandant ...«

»Ist es ein Er oder eine Sie?«

»Das ist noch nicht entschieden. Die Alari bestimmen ihr Geschlecht erst, nachdem ihr Fell eine dunkelgraue Färbung angenommen hat. Aber ihr könnt ihn als Er betrachten. Die Alari wissen, dass auf der Erde die Männer herrschen.«

Mascha schnaubte.

Danilow gesellte sich zu uns. Mich plagten Gewissensbisse, denn es hätte zu meinen Pflichten gehört, ein Konservierungsprogramm zu starten, das hätte ich nicht dem Kommandanten überlassen dürfen. Danilow machte mir jedoch keinen Vorwurf. Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Wie sieht’s aus, Petja«, bemerkte er leise, »wollen wir rausgehen?«

»Etwas anderes bleibt uns wohl kaum übrig.«

Die Alari warteten. Ich zupfte meine Uniform zurecht und klopfte gegen meine Taschen. Dabei stieß ich auf Widerstand. Ach ja, das Messer. Das Geschenk meines kleinen Nachbarn ...

Ich wusste selbst nicht, warum, aber ich holte es heraus und befestigte es neben der Pistole am Gürtel. Danilow sah mich verwundert an, sagte jedoch kein Wort.

»Wartet bitte noch kurz«, bat Mascha plötzlich. »Ich glaube, bevor wir rausgehen, sollten wir uns alle ... frisch machen.«

Brav schauten wir Männer zum Fenster raus. Sollten sich die Mäuse ruhig noch ein wenig gedulden.

»Kriegen wir bei ihnen überhaupt Luft?«, fragte Danilow.

»Ja«, beteuerte der Zähler. »Der Sauerstoffgehalt ist hier sogar höher als auf der Erde. Ihr werdet keine Probleme haben.«

»Auch die Gravitation ist größer ...«, sagte mein Großvater nachdenklich.

»Nein, das scheint nur so.« Ich schüttelte den Kopf. »Sie liegt bei 0,9 oder 0,95 der Erdanziehungskraft.«

»94% der Erdanziehungskraft«, berichtigte der Zähler zuvorkommend.

»Gefällt es dir, dein Wissen zu teilen?«, fragte ich ihn.

»Selbstverständlich. Aber das haben die Starken Rassen immer verboten.« Daraufhin stieß Karel ein hüstelndes Lachen aus.


Das Zischen des Ventils verstummte, der Druckausgleich war hergestellt. Danilow und ich hoben die Hermetisierung der Außenluke auf und öffneten sie.

Ein Geruch hing in der Luft, ein leichter, säuerlicher Geruch, wie in einem alten, unbewohnten Bauernhaus. Ein leichtes Kratzgeräusch ließ sich vernehmen. Ich begriff nicht auf Anhieb, dass es von den Krallen herrührte, die über den Boden scharrten.

Die Alari trippelten aufgeregt hin und her, beäugten uns.

Danilow ließ die leichte Notfallleiter hinunter. Ich kletterte als Erster raus, mir folgte Mascha, dann halfen wir beide meinem Großvater. Der Reptiloid sprang einfach hinunter. Als Letzter verließ Danilow das Schiff.

Die Mäuse warteten.

»Ich begrüße den Flottenkommandanten«, sprach sie der Zähler feierlich an. »Hier bin ich. Der Mensch Chrumow und seine Freunde sind mit mir gekommen. Die Menschen stehen auf unserer Seite!«

Als ob das nicht bereits in dem Moment klar gewesen wäre, da die Alari unser Schiff gesehen hatten!

Der Kommandant kam auf uns zu und umrundete uns langsam. Mein Großvater musterte den Alari völlig unverhohlen, ich folgte seinem Beispiel. Danilow tat so, als bemerke er die kräftige schwarze Maus zu seinen Füßen nicht, sondern starrte stur vor sich in die Luft. Mascha inspizierte mit steinerner Miene die Decke.

Sie hat Angst vor Mäusen!, begriff ich mit einem Mal. Ich konnte mich nicht beherrschen - und brach in Gelächter aus. In der Stille klang mein Lachen unverhältnismäßig laut. Fast wie ein Angriffssignal.

Die schwarze Maus baute sich vor mir auf. Immer noch lachend, betrachtete ich sie. Die Vorderbeine waren länger als die Hinterbeine, der kurze, pelzige Schwanz schlingerte über den Boden, die kleine, spitz zulaufende Schnauze mit den scharfen Zähnen stand ein wenig offen ... O nein, ich habe keine Angst vor dir, du Ratz in der goldenen Tunika! Du bist nämlich bloß albern. In gewisser Weise sogar nett, vor allem aber komisch.

»Pjotr ...«, sagte der Alari. »Du bist Pjotr.«

Er hatte eine schöne Stimme. Kräftig, tief, überhaupt nicht vergleichbar mit ihrem sonstigen gedämpften Genuschel. Nur kam diese Stimme nicht aus seinem Mund! Unter der spitzen Schnauze des Alari baumelte ein in dem schwarzen Fell kaum auszumachender, kleiner, vielleicht zwei Faust großer Beutel.

Das war ein Cualcua!

Ein Symbiont, der als Dolmetscher diente!

»Ja, ich bin Pjotr Chrumow«, erwiderte ich.

Hatte der Zähler also doch von Anfang an geplant, uns beide mitzunehmen.

»Eure Anwesenheit ist ebenfalls von Vorteil«, erklärte der Alari Danilow und Mascha. Geradeheraus, ohne jede Etikette. »Aber deine ist unverzichtbar.«

»Weshalb das?«

»Streck deine Hand aus.«

Ich kam gar nicht auf die Idee, Widerstand zu leisten, sondern streckte dem Alari die rechte Hand hin. In völliger Stille verfolgten alle Anwesenden, wie die schwarze Maus meinen Handteller beschnupperte. Schließlich warf sie den Kopf in den Nacken ...

Der schwarze Beutel um seinen Hals vibrierte sacht und spaltete sich in zwei Teile. Einer blieb beim Alari, der andere glitt auf meinen Finger und hing dort wie ein Klumpen Gel.

»Pjotr!«, schrie mein Großvater. Aber weder zog ich meine Hand zurück, noch schüttelte ich den Cualcua ab. Ich stand bloß da und wartete.

Denn ich verstand nichts von dem, was da geschah!

Die zähflüssige schwarze Masse kroch meinen Arm rauf. Und zwar nicht einfach über den Ärmel, sondern -fast als teile sie sich - sowohl auf der Kleidung wie auch auf der Haut.

»Keine Angst ... keine Angst ...«, flüsterte der Symbiont sanft. »Zukünftiger Wirt ...«

Er veränderte seine Farbe. Von Schwarz zu Rosa! Zur Fleischfarbe!

Nun schüttelte ich meinen Arm doch. Meine Nerven versagten. Aber den Cualcua wurde ich schon nicht mehr los. Blitzschnell war er verschwunden - als hätte er sich durch den Stoff meiner Jacke gesaugt. Die Haut an meinem Unterarm brannte ...

Wild schreiend riss ich mir die Jacke vom Leib, krempelte den Ärmel meines Hemds hoch, zerriss ihn. Doch der Cualcua blieb verschwunden.

Dafür schwoll meine Hand leicht an. Wurde muskulöser.

»Hau ab, du Mistding!«, brüllte ich. Mit der linken Hand zog ich das Messer, das mir Aljoscha geschenkt hatte, und fuchtelte damit über der Haut herum.

Das ist nicht nötig ... das ist nicht nötig ..., raunte es tonlos in meinem Hirn. Pjotr, das ist nicht nötig ...

»Das ist nicht nötig«, ließ sich hinter mir mein Großvater vernehmen. »Petja, ich glaube, ich weiß, was sie damit beabsichtigen.«

»Aber ich weiß es nicht!«, brüllte ich, bereit, mein eigenes Fleisch aufzuschlitzen, das sich so widerstandslos dem Alien unterworfen hatte. Nicht mal Schmerz empfand ich!

»Dir werden gleich alle Erklärungen gegeben«, informierte mich der Alari in tadelndem Ton.

Bevor noch irgendwer reagieren konnte, schleuderte ich den Flottenkommandanten zu Boden. Mein Messer rammte ich ihm an den Hals.

»Befiehl diesem Vieh, meinen Körper zu verlassen!«, schrie ich. Ich schaute mich um. Die Alari drückten sich alarmiert auf der Stelle herum, hatten aber anscheinend den Befehl erhalten, mir vom Leib zu bleiben. »Oder ich mach dich kalt, du Dreckskerl!«

»Hab keine Angst!«, brachte der Alari vermittels seines Symbionten heraus. »Vielleicht bringst du mich eines Tages um. Oder ich dich. Aber das wird später sein. Ein wenig später. Jetzt bist du erst einmal unser teurer Gast. Du bist die Hoffnung der Galaxis.«

»Dann soll dieser Cualcua abhauen!«

Etwas schlierte über meinen Körper und hinterließ eine leicht feuchte Spur. Wie eine riesige Egelschnecke. Ich schüttelte das Bein, und ein Klumpen amorphen Fleischs in der Farbe meiner Haut fiel aus dem Hosenbein.

»Das war nur ein Test«, setzte mich der Befehlshaber ins Bild. »Wir mussten uns überzeugen, dass ein Cualcua und der menschliche Organismus kompatibel sind. Für unseren Plan ist das von entscheidender Bedeutung.«

Ich sah mich Hilfe heischend um, aber niemand sagte ein Wort. Mascha starrte mit angewidertem Gesichtsausdruck auf den Cualcua, Danilow wich meinem Blick aus, mein Großvater gab mir ein beruhigendes Handzeichen ...

»Pjotr, wir müssen tun, was sie verlangen ...«

»Ich erlaube diesem Stück Dreck nicht, in meinem Körper herumzukriechen!«, schrie ich. »Was auch immer euer Plan vorsieht!«

»Ich glaube, die Alari haben recht«, sagte mein Großvater. »Beruhige dich, Petja.«

In dem Moment zerbrach etwas in mir.

Wie sollte er auch verstehen, was das ist: Fremdes Fleisch, das sich in deinem Körper einnistet! Eine redende, kriechende, denkende Kreatur!

Und würde er sich denn darum scheren?!

»Ich bin eben doch nur ein Werkzeug für dich!«, schrie ich. »Ein Werkzeug!«

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