An Bord der guten Sonnenschreiter II:
»Kopfgeldjäger!« sagte Hazel D’Ark angewidert. »Nach allem, was wir geleistet haben, was wir durchgemacht haben, sind wir letztlich nichts weiter geworden als bessere Kopfgeldjäger!«
»Immer noch besser als das, was wir bislang getan haben«, versetzte Owen sanft. Der hochgewachsene und langgliedrige Mann mit dem dunklen Haar und den noch dunkleren Augen lümmelte schlaff im bequemsten Sessel des Salons. »Die Jagd auf Kriegsverbrecher ist eine wichtige Aufgabe. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich finde es viel nervenschonender, der Jäger zu sein als der Gejagte. Obendrein müßte es für Euch mal eine nette Abwechslung bedeuten, auf der Seite des Gesetzes zu stehen.«
»Es geht ums Prinzip!« schnauzte Hazel. »Wir waren schließlich wer! Wir haben Armeen geführt! Wir haben das Imperium gestürzt! Haben immer wieder riskiert, daß uns jemand die Ärsche wegballert, und trotzdem finden wir uns wieder, wie wir für das Parlament die Drecksarbeit tun. Am liebsten würde ich kotzen.«
Owen sah sich für einen Moment aus dem Konzept gebracht.
Eigentlich hätte er gutes Geld darauf verwettet, daß Hazel ein Prinzip nie als solches erkannt hätte, selbst wenn sie auf dem Rückweg von der Toilette darüber stolperte. Er raffte sich jedoch tapfer auf und beendete die Diskussion mit einem treffenden, wenn auch nicht gänzlich taktvollen Einwurf.
»Wenn ich mich recht entsinne, war das ohnehin alles Eure Idee.«
Hazel bedachte ihn mit einem finsteren Blick und wandte sich ab, um das nächste Schott anzufunkeln. Sie hatte wieder eine ihrer Launen und war nicht bereit, sich von simpler Logik umstimmen zu lassen. Owen seufzte, besaß jedoch ausreichend gesunden Menschenverstand, es ganz leise zu tun. Um die Wahrheit zu sagen: Auch er empfand es als eine Art Abstieg, jetzt als Kopfgeldjäger loszuziehen, aber alle Alternativen wären schlimmer ausgefallen. Während er noch in der Rebellion kämpfte, hatte er nie richtig darüber nachgedacht, was er mal tun wollte, wenn es vorbei war. Vor allem deshalb nicht, weil er die meiste Zeit zu sehr damit beschäftigt war, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, aber auch, weil er nie ernsthaft damit gerechnet hatte, noch in seiner Lebenszeit das Ende der Rebellion zu erleben. Die meisten Leute, die sich zum Widerstand aufrafften gegen Imperatorin Löwenstein XIV, auch die Eiserne Hexe genannt, landeten frühzeitig im Grab. Oft mit fehlenden Körperteilen. Aber schließlich hatte sich in Owens Leben noch nie etwas so entwickelt, wie er es erwartet hatte.
Wenn er zurückblickte, so schien er die meiste Zeit seines Lebens von einer Krise in die nächste gestolpert zu sein, oft mehr von den Umständen getrieben als aufgrund eigener Pläne und Wünsche handelnd. Überall um ihn herum spannen Intriganten und Verschwörer ihre Netze, von denen er meist nicht mehr mitbekam als den Schatten, den sie beiläufig auf sein Leben warfen. Und letztlich fand er, daß es trotz seiner Absichten und seiner kühnen Gefährten und der geheimnisvollen Kräfte, die ihm das Labyrinth des Wahnsinns verliehen hatte, die eigene schiere Sturheit gewesen war, die ihn gegen den Eisernen Thron geführt hatte, und die Weigerung, sich ungünstigen Chancen zu beugen, die einen Mann mit mehr Vernunft abgeschreckt hätten.
Er war zum Helden und zum Retter der Menschheit geworden, und niemanden hatte das mehr überrascht als ihn selbst.
Er hatte erwartet zu scheitern. Zu sterben, und zwar qualvoll.
Statt dessen stürzte er ein Imperium, das über ein Jahrtausend Bestand gehabt hatte, setzte die Herrscherin ab, vernichtete ihren Thron und erlebte das Ende praktisch jeder sozialen und politischen Struktur mit, an die er glaubte. Und damit begannen die Probleme erst richtig.
Löwensteins Leichnam war noch nicht erkaltet, als schon die Geier herabstießen. Noch während die letzten Gefechte tobten, setzte zwischen den diversen Gruppierungen der Rebellen ein heftiger Streit darüber ein, was genau an die Stelle des alten Systems treten sollte. Selbst die wenigen, die am Ende persönlich beteiligt waren, konnten zu keiner Übereinkunft gelangen.
Owen hätte am liebsten gehabt, daß die Dinge weitgehend so blieben wie bisher, daß nur ein paar politische Reformen durchgeführt und ein paar Ungerechtigkeiten bestraft wurden.
Hazel hätte am liebsten das ganze System niedergerissen und die Familien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vors Kriegsgericht gebracht. Jakob Ohnesorg beharrte auf Demokratie für alle, einschließlich aller Klone und Esper und sonstiger Unpersonen. Ruby Reise wollte die Beute sehen, die man ihr versprochen hatte.
Bald schlossen sich ihnen bei Hofe Vertreter der Klon- und Esper-Bewegung an sowie politischer Randgruppen aller Formen und Schattierungen und mehr religiöser Gruppierungen, als man überhaupt zählen konnte. Alle erpicht darauf, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Zum Glück waren alle zu müde, um sofort einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen. Der Streit entwickelte sich zu einer Sackgasse, und alle stampften in unterschiedliche Richtungen auseinander, um neue Pläne und Intrigen zu schmieden. Im Moment besorgte das Parlament die Alltagsgeschäfte des Imperiums, weil das ja irgend jemand tun mußte, und die Abgeordneten hatten wenigstens Erfahrung auf diesem Gebiet. Niemand traute ihnen auch nur so weit, wie er spucken konnte, aber das wiederum war nichts Neues.
Männer und Frauen, die einmal miteinander verbündet gewesen waren, darauf eingeschworen, sich bis in den Tod und darüber hinaus zu verteidigen, bekämpften einander nun heftig über dogmatische Punkte und Fragen der Vorrangstellung.
Owen vermutete, daß ihn das nicht hätte überraschen dürfen.
Er war schließlich Historiker. Alles, was die diversen Rebellengruppen gemein gehabt hatten, war ein gemeinsamer Feind.
Und obwohl sie alle mit Begriffen wie Gerechtigkeit und Freiheit um sich warfen, bedeuteten sie für unterschiedliche Leute auch Verschiedenes.
Und dann war da noch das Abkommen, das Ohnesorg inmitten des verzweifeltsten Kampfes geschlossen hatte – nämlich die aristokratischen Familien zwar abzusetzen, aber nicht zu vernichten. Als sich die großen Häuser mit einer zunehmend siegreichen Armee konfrontiert sahen, die nach ihrem kollektiven Blut schrie, schlossen sie sich zusammen und boten an, auf Macht und Privilegien zu verzichten, falls man ihnen dafür erlaubte, als rein ökonomische Mächte zu überleben. Das war das Zuckerbrot. Die Peitsche bestand in ihrer Drohung, die wirtschaftliche Basis des ganzen Imperiums zu zerstören und jede zivilisierte Welt in die Barbarei zurückzuschleudern. Niemand bezweifelte, daß sie dazu fähig waren. Und so traf Ohnesorg das Abkommen, um Milliarden das Leben zu retten, aber niemand dankte ihm dafür. Der Mann auf der Straße sah sich um seine Rache betrogen; die Rebellen warfen ihrem geliebten Helden vor, er hätte seine politischen Überzeugungen verkauft; und die Familien haßten ihn, weil sie ihren hochgeschätzten Adelsstand verloren hatten. Ohnesorg mußte eine Sekretärin einstellen, nur um sich um die Haßbriefe und Morddrohungen zu kümmern.
Und als wäre die Lage noch nicht kompliziert genug gewesen, tauchte der Schwarze Block aus den Schatten auf, um die Familien zu einigen und zu beherrschen und alle anderen zu Tode zu erschrecken. Der Schwarze Block war die Geheimwaffe der Familien, ein Mittel der letzten Verteidigung gegen die Imperatorin, sollte sie je die Macht und den Status der Clans ernsthaft bedrohen. Die jüngsten Söhne und Töchter aller Häuser wurden dem Schwarzen Block übergeben, ausgebildet und dazu konditioniert, den Familien bis in den Tod loyal zu bleiben. Leider stellte sich heraus, daß der Schwarze Block ganz eigene Pläne hatte.
In verborgenen Schulen lehrten gesichts- und namenlose Ausbilder die jüngeren Söhne und Töchter, von denen ohnehin niemand Titel oder Reichtum geerbt hätte, daß die Familien als Klasse viel wichtiger waren als jedes einzelne Haus. Und daß die Loyalität zum Schwarzen Block demzufolge schwerer wog als die Loyalität zu einem einzelnen Clan. Sie lehrten ihre Schützlinge auch andere Dinge, manche davon unbeschreiblich, aber das blieb weiterhin geheim. Zunächst.
Sie waren es gewesen, die Jakob Ohnesorg das Abkommen vorgeschlagen hatten, und jetzt, wo sie ohne zu blinzeln ins grelle Licht der Öffentlichkeit getreten waren, bildeten sie auch die Gruppierung, die das Abkommen durchsetzte. Die Clans sahen, was sie ahnungslos geschaffen hatten, und fürchteten sich. Und so beugten sich alle dem Schwarzen Block und behielten ihre Wut und ihre Pläne für eine blutige Vergeltung für sich.
Owen, Hazel, Jakob und Ruby waren sich einig in ihrem Entsetzen über die Büchse der Pandora, die sie da geöffnet und deren Füllung aus Problemen sie freigesetzt hatten. Allerdings konnten sie sich nicht entscheiden, was sie in dieser Hinsicht unternehmen sollten. Ohnesorg eilte von einer Konferenz zur nächsten, verzweifelt bemüht, die Lage unter Kontrolle zu halten. Dabei half ihm, daß die meisten Leute wenigstens bereit waren, ihm zuzuhören. Alle respektierten den legendären Jakob Ohnesorg. Selbst wenn sie ihn inbrünstig haßten. Seine restliche Zeit verwandte er darauf, genau die Streitkräfte wieder aufzubauen, gegen die er bis vor kurzem gekämpft hatte.
Schließlich wollte er auf Angriffe durch die zahlreichen Feinde des Imperiums vorbereitet sein. Die abtrünnigen KIs von Shub, die wiedergeborenen Hadenmänner und potentiell gefährliche Fremdwesen ohne Zahl waren allesamt durchaus fähig, ein Imperium anzugreifen, das durch interne Zerwürfnisse abgelenkt wurde.
Ruby Reise nutzte derweil jede Gelegenheit, alle auszuplündern, die schwächer waren als sie, darunter etliche Konzerne.
Auch verlor sie keine Zeit dabei, es sich in der Art Luxus gemütlich zu machen, an die sie sich schon immer hatte gewöhnen wollen. An Politik war sie nicht interessiert. Falls man etwas nicht angreifen oder ausplündern konnte, wußte Ruby meist nicht weiter. Also hielt sie sich aus den laufenden Verhandlungen heraus, und alle Welt seufzte tief erleichtert.
Und Owen und Hazel waren Kopfgeldjäger geworden und machten Jagd auf geflohene Kriegsverbrecher. Offiziell hieß es, sie sollten die Schurken zurückbringen, um ihnen öffentlich den Prozeß zu machen, aber insgeheim stimmten alle Seiten darin überein, daß es besser wäre, wenn bestimmte Parteien auf der Flucht erschossen wurden. Owen und Hazel nickten ernst, als man ihnen das erklärte, und entschieden dann, daß sie sich eine eigene Meinung zu dem Thema bilden würden, sobald es nötig wurde. Sollte es jemals Hoffnung geben, daß die neue Ordnung, an der Jakob gerade arbeitete, irgendeine Form von Stabilität aufwies, dann mußten die wirklich üblen Gesellen bestraft werden, und zwar öffentlich. Leute wie Valentin Wolf zum Beispiel, die verachtete rechte Hand der Imperatorin und Schlächter von Virimonde. Man konnte nicht irgendeine beliebige Person hinter einem so gefährlichen und verschlagenen Schurken wie dem Wolf herschicken, also kamen an diesem Punkt Owen Todtsteltzer und Hazel D’Ark ins Spiel. Schließlich waren sie die gefährlichsten Menschen, die man im Imperium je erlebt hatte.
Dabei hatte sich Owen nie etwas sehnlicher gewünscht, als wieder sein früheres Leben führen zu können, aber fast von dem Augenblick an, als die Rebellion offiziell für siegreich erklärt wurde, schien ihm, daß Krethi und Plethi sich darum stritten, ein Stück von dem legendären Helden Todtsteltzer zu ergattern. Jede politische Partei wollte ihn als Galionsfigur haben. Vertreter sämtlicher Anliegen wollten seinen Namen und sein Schwert in den Dienst ihrer Sache stellen. Manchmal kam es vor seiner Tür zu Duellen, um zu klären, wer ihn zuerst sprechen durfte.
Dazu kamen noch die Holonachrichtensender, die endlose Interviews führen wollten, und Agenten, erpicht auf die Exklusivrechte an seiner Lebensgeschichte. Alle verlangten nach Bildern und Zitaten und Antworten auf zunehmend persönliche Fragen. Ganz zu schweigen von Produktempfehlungen und Buchverträgen und Vermarktungsrechten. Verdammt, ein Unternehmen wollte sogar eine Reihe von Action-Figuren auflegen, die auf ihm und Hazel und Jakob und Ruby beruhten.
Owen wünschte jedoch nur, seinen Frieden zu haben, und tat dies immer lauter kund, ohne daß jemand zugehört hätte. Und so flüchtete er schließlich mit der Sonnenschreiter II von Golgatha und stürzte sich in etwas, was sich als der erste von vielen Einsätzen als besserer Kopfgeldjäger entpuppte, bevollmächtigt und bezahlt vom Parlament, um die gefährlicheren Schwierigkeiten des Imperiums zu beseitigen.
Hazel begleitete ihn. Sie sagte, sie täte es nur, um ein wenig Abenteuer zu erleben und nicht zu verweichlichen, aber Owen dachte sich gern, daß sie sich nur zu Tode langweilte, wenn sie keinen Feind zu bekämpfen hatte. Obwohl man ins Feld führen mußte, daß sie nie jemand gewesen war, der es schätzte, herumzusitzen und über die Lilien auf der Wiese zu sinnieren, und sie war gerade deshalb zur Gesetzlosen geworden, um kein friedliches und produktives Leben führen zu müssen. Sie konnte sich nicht mal mehr betrinken und Kneipenschlägereien anzetteln. Alle Welt wußte, wer sie war, und hatte eine Mordsangst, irgend etwas zu sagen, was sie vielleicht erzürnte. Als Ohnesorg ihr also den Auftrag anbot, flüchtige Kriegsverbrecher aufzuspüren und womöglich auch zu exekutieren, überlegte sie nicht zweimal und ging ohne Verzug daran, Owen zu
überreden, er möge sich ihr anschließen. Auch wenn sie sich an den umgekehrten Vorgang zu erinnern schien. Aber andererseits war Hazel nun mal so. Nichts machte sie glücklicher, als jemand anderem die Schuld geben zu können.
»Wir sind gerade über Virimonde aus dem Hyperraum gefallen«, flüsterte die KI Ozymandius Owen ins Ohr. »Zur Zeit halte ich eine hohe Umlaufbahn und sämtliche Schilde aufrecht. Ich weiß wirklich nicht, warum du hierher zurückkehren wolltest, Owen. Ich meine, es ist ja nicht so, daß du hier noch irgendwelche Freunde hättest. Tatsächlich muß ich sogar feststellen, daß die Gefahr für uns, mit Löchern durchsiebt zu enden, mit jeder Sekunde geometrisch zunimmt, die wir dumm genug sind, hier zu verweilen.«
»Nörgel nörgel nörgel«, wisperte Owen lautlos, damit Hazel es nicht hörte. Sie wäre nicht damit einverstanden gewesen, daß er mit einer KI sprach, die eigentlich tot sein sollte und die niemand sonst verstehen konnte. »Du möchtest nie irgendwohin, wo man Spaß hat, Oz. Hier ist jedoch unsere gegenwärtige Beute an Land gegangen, also ist es auch unser Ziel. Genau in diesem Augenblick hält sich Valentin Wolf irgendwo dort unten auf, gemeinsam mit gewissen aristokratischen Kumpanen; jeden einzelnen davon sähen die gegenwärtigen Behörden liebend gern auf der Anklagebank oder am Strick baumelnd. Vorzugsweise beides. Außerdem… Ich habe immer gesagt, daß ich eines Tages nach Virimonde heimkehren würde.«
Früher einmal war Owen Todtsteltzer Lord des ganzen Planeten Virimonde gewesen. Dann hatte ihn die Imperatorin Löwenstein zum Gesetzlosen erklärt und ihm alles genommen.
Die eigenen Sicherheitsleute versuchten ihn daraufhin umzubringen, um das Kopfgeld einzustreichen, und er mußte durch Flucht sein Leben retten. Es wurde knapp. Genau im richtigen Moment tauchte jedoch Hazel auf, um ihm den aristokratischen Hintern zu retten. Sie wurde später nie müde, ihn daran zu erinnern. Beide blieben fortan zusammen. Er verliebte sich in sie.
Bis heute wußte er nicht recht, welche Gefühle sie für ihn hegte. Sein Vetter David wurde in seiner Abwesenheit zum Lord berufen, starb aber wenig später bei dem Versuch, den Planeten gegen Löwensteins Truppen zu verteidigen, die unter dem Befehl Valentin Wolfs standen. Der Wolf führte Aufsicht über die Ermordung Millionen schutzloser Menschen und die völlige Zerstörung dessen, was einmal ein echtes ländliches Paradies gewesen war.
Und jetzt war Valentin zurückgekehrt, wie ein Verbrecher, der sich wieder am Tatort einfand, oder ein Hund, der an den eigenen Exkrementen schnüffelte. Auch Owen war erneut hier, um den Zerstörer Virimondes einer verspäteten Gerechtigkeit zuzuführen. Auf die eine oder andere Art.
Er seufzte leise vor sich hin. Auf all seinen Wanderungen als Rebell hatte er sich immer an die heimliche Hoffnung geklammert, er könnte eines Tages heimkehren und sein altes Leben als kleiner Historiker wieder aufnehmen, der für niemanden außer sich selbst von wirklicher Bedeutung war. Er hatte sich jedoch so stark verändert und in so vieler Hinsicht, daß er sich selbst nicht mehr recht wiedererkannte. Und wenn man die Berichte von der völligen Verwüstung bedachte, die ihn dort unten erwartete, war er sich nicht mal sicher, ob überhaupt noch ein Zuhause vorhanden war, in das er zurückkehren konnte.
»Führe eine Sensormessung durch«, wies er die KI lautlos an. »Suche meine alte Burg und sieh mal nach, mit welchen Mitteln sie geschützt ist.«
»Bin dir wie üblich weit voraus«, schniefte die KI. »Eine Armee von recht ansehnlicher Größe lagert rings um die Burg.
Schenkt man den Funksprüchen Glauben, die ich abhöre, wird die Festung gerade von Valentin und seinen Kumpanen bewohnt. Typisch. Nur das Beste für den lieben Valentin. Und den Informationen zufolge, die wir vor dem Aufbruch von Golgatha erhielten und auf die du sicher nicht mal einen Blick geworfen hast – da wette ich gutes Geld drauf –, ist dort unten auch eine höllische Menge wissenschaftlicher Ausrüstung vorhanden, ebenso die Wissenschaftler, die sie bedienen. Obwohl scheinbar niemand weiß, was oder wozu.«
»Werd nicht hochnäsig, Oz. Sag mir einfach, was ich wissen muß.«
»Tyrann.«
Owen hatte keine rechte Vorstellung davon, woran er bei Oz war. Der ursprüngliche Ozymandius war die Familien-KI gewesen, die Owens verstorbener Vater an ihn vererbt hatte. Es stellte sich heraus, daß sie versteckte imperiale Programme enthielt und für Löwenstein spionierte. Schließlich griff sie sogar Owen an und versuchte, ihn mit Kontrollwörtern zu versklaven, die sie in seinem Unterbewußtsein implantiert hatte.
Owen war nichts anderes übriggeblieben, als seine Labyrinthkräfte einzusetzen, um die KI zu vernichten. Nur daß Oz irgendwann später zurückkehrte. Oder eine Stimme in seinem Kopf, die nur er hören konnte und die behauptete, sie wäre die KI Ozymandius. Sicherlich war sie genauso kenntnisreich und provokant wie das Original. Owen akzeptierte diese Situation zunächst und gedachte dabei zu bleiben, solange sich die KI als nützlich erwies. Und weil er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie er die Stimme wieder loswerden sollte.
Außerdem vermißte er Oz.
»Soll ich jetzt den Anflug einleiten oder nicht?« fragte Oz forsch. »Wir sind umfassend getarnt, aber niemand weiß, wie lange selbst Schilde der Hadenmänner den Sicherheitssystemen standhalten, die Valentin dort installiert hat. Das, was früher normale Satelliten zur Wettersteuerung waren, ist mit echt heftigen Sensoren aufgebessert worden und dazu mit stärkerer Bewaffnung als der durchschnittliche Flottenkreuzer. Wenn der Wolf ›Bitte nicht stören‹ sagt, meint er es ernst.«
»Bleib im Orbit«, sagte Owen nachdrücklich. »Ich möchte erst eine wirklich gute Vorstellung von dem haben, was mich auf dem Planeten erwartet, ehe ich mich auf eine Landung festlege. Setze die Sensoren auf das Gebiet um die Burg an, in einem Radius von fünfzehn Kilometern, und gib die Lage der örtlichen Bevölkerung durch.«
»Owen… Das habe ich schon getan. Eine örtliche Bevölkerung gibt es nicht mehr.«
»Was?«
»Ich habe die Umgebung sondiert, so weit meine Sensoren reichen. Auf Hunderte von Kilometern gibt es keine lebende Seele mehr. Es tut mir leid, Owen.«
Owen schüttelte langsam den Kopf. Er hatte die Meldungen über die Zerstörung Virimondes durch Valentin gelesen, hatte sich Tobias Shrecks Filmaufnahmen davon und Interviews mit den wenigen Überlebenden angesehen, die sich vom Planeten hatten retten können, hatte aber stets vermutet, daß es Übertreibungen waren. Niemand konnte nur zum Spaß anordnen, die Bevölkerung eines ganzen Planeten zu ermorden. Nicht einmal Valentin Wolf. Tief im Herzen hatte sich ein Teil Owens verzweifelt danach gesehnt, nach Hause zurückzukehren, umjubelt von seinem Volk, das voller Freude war, den rechtmäßigen Lord endlich wiederzuhaben. Er hatte sich gewünscht, sich dafür zu entschuldigen, daß er nicht zugegen gewesen war, um die Menschen zu beschützen. Hatte ihnen versprechen wollen, daß jetzt, wo er wieder daheim war, alles anders werden würde. Er würde für ihre Sicherheit sorgen, sie beschützen, jedes Ungemach von ihnen wenden. Niemand würde ihnen je wieder weh tun, nur weil er sich gerade andernorts als Held der Rebellion herumtrieb. Er hatte so viel sagen wollen und müssen. Er hatte nicht glauben wollen, daß sein ganzes Volk tot war.
»Was ist los?« erkundigte sich Hazel. »Gibt es ein Problem?«
»Nein«, sagte Owen. »Ich habe nur nachgedacht. Darüber, wie es früher hier ausgesehen hat.«
»Tu das nicht«, sagte Hazel. »Das war schon immer dein Problem, Todtsteltzer. Daß du in der Vergangenheit lebst.«
»Ich kenne mich aus mit der Vergangenheit«, versetzte Owen. »Damals ging es einfacher zu. Ich kannte meine Welt und mein Imperium und meinen Platz darin. Oder glaubte es zu tun. Inzwischen habe ich erlebt, wie alles zerstört wurde, woran ich je glaubte, habe alles verloren, woraus ich mir je etwas machte. Und jetzt stelle ich fest, daß mir die Heimkehr versagt bleibt. Weil Valentin Wolf alles niedergebrannt und auf die Asche gepinkelt hat. Virimonde ist tot.«
»Das wissen wir erst sicher, wenn wir gelandet sind und selbst nachgeschaut haben«, sagte Hazel. »Berichte können übertrieben ausfallen; Sensoren kann man falsch deuten. Es ist ein großer Planet, Owen. Valentin kann nicht jeden umgebracht haben.«
»Und falls doch? Falls er alles getan hat, was ihm nachgesagt wird?«
»Dann schneiden wir ihm das schwarze Herz heraus, werfen es auf den Boden und trampeln darauf herum. Und das gleiche tun wir mit allen, die ihm geholfen haben.«
Owen mußte leise lächeln. »Das Leben war für Euch immer so einfach, nicht wahr, Hazel? Die Guten und die Bösen und eine direkte, kraftvolle Lösung für jedes Problem. Aber Ihr habt ja den Mann bei der Einsatzbesprechung gehört. Immer noch gibt es Mächtige, die wollen, daß Valentin für einen Schauprozeß lebend zurückgebracht wird. Wenn auch nur, um für ein kleines Vermögen die Holorechte zu verhökern.«
»Ich halte mich über alles auf dem laufenden«, entgegnete Hazel. »Und ich wette, daß ich für jede Gruppierung, die den Wolf lebend haben möchte, zehn andere nennen kann, die ihn viel lieber von Fliegen umschwärmt heimkehren sehen würden.
Nicht zuletzt die Klon- und Esper-Bewegungen. Sollte je durchsickern, daß Valentin Wolf einmal aktiver Mitarbeiter und Förderer der Untergrundbewegungen gewesen ist, verlieren sie auch noch das wenige, was sie an öffentlicher Unterstützung und Popularität genießen. Und um dem Faß die Krone aufzusetzen, findet man jede Menge Leute, die früher zweifelhafte Geschäfte mit ihm getätigt haben und nicht möchten, daß das jetzt herauskommt, wo sie sich als treuherzige Förderer der Rebellion neu herausgeputzt haben.«
»Und genau deshalb werden wir den Mistkerl lebend zurückbringen«, sagte Owen in entschiedenem Ton. »Nicht unbedingt in einem Stück, aber definitiv lebendig. Ich bin niemandes Marionette, auch nicht die irgendeiner Organisation. Ich muß deutlich machen, daß mich niemand unter Druck setzen kann. Und ich werde ihn nicht einfach nur deshalb umbringen, weil ich es möchte.«
»Du und dein verdammtes Gewissen«, sagte Hazel. »In Ordnung, wir versuchen also, ihn lebend festzunehmen. Was ist mit seinen Gefolgsleuten?«
»Meinetwegen massakriert ruhig den ganzen Haufen.«
»Das läßt sich schon eher hören!« meinte Hazel.
Owen lehnte sich zurück, verschränkte die Hände und starrte nachdenklich darauf. »Er war nicht immer ein Monster, wißt Ihr? Valentin. Als Kinder haben wir uns gekannt, in denselben Kreisen verkehrt, dieselben Parties besucht. Er kam mir damals … ganz normal vor. Nichts Ungewöhnliches. Keine Spur von dem Psychopathen, zu dem er mal werden sollte. Nur ein Junge wie alle anderen, vielleicht ein bißchen ruhiger als die meisten.
Mir sehr ähnlich. Wir waren nie richtige Freunde, aber ich kann mich an schöne Zeiten erinnern, die wir gemeinsam verlebten. Dann sind wir unterschiedlicher Wege gegangen, um als Wolf und als Todtsteltzer ausgebildet zu werden, und ich habe ihn jahrelang nicht wiedergesehen. Und manchmal ertappe ich mich bei der Frage, wie zwei einander so ähnliche Kinder zu so verschiedenen Erwachsenen werden konnten.«
»Leute verändern sich nun mal«, gab Hazel zu bedenken.
»Ob sie es wollen oder nicht. Das Leben schreibt unseren Text, und wir erhalten nur hin und wieder Gelegenheit, improvisierte Zeilen einzubauen.«
Owen sah sie an. »Aber Hazel, das war ja beinahe tiefsinnig.«
»Sprich nicht von oben herab mit mir, Todtsteltzer. Ich habe einen Verstand. Ich habe das eine oder andere Buch gelesen.
Wenn ich nichts anderes zu tun hatte. Ich wollte nur sagen, daß das Universum uns verändert, selbst während wir dabei sind, das Universum zu verändern. Sieh dich mal an: Du bist nicht der Mensch, der du früher warst, nicht mal der von vor wenigen Jahren. Gott sei Dank. Der Owen Todtsteltzer, den ich dort unten vor dem sicheren Tod gerettet habe, unterscheidet sich erheblich von dem offiziellen Helden, der ein Imperium gestürzt hat.«
»Ich weiß«, sagte Owen. »Genau das ist es, was mir Kummer macht.«
»Gräme dich nicht darüber«, empfahl ihm Hazel. »Er war wirklich ein hochnäsiger kleiner Schnösel.«
Owen zog eine Braue hoch. »Warum seid Ihr dann bei ihm geblieben?«
Hazel lächelte. »Ich glaubte, gute Anlagen in ihm zu entdecken.«
Owens Mundwinkel zuckten. »Ich hatte ähnliche Gedanken, was Euch angeht.« Und er runzelte erneut die Stirn.
»Ach verdammt, Owen, was ist denn jetzt? Ich schwöre, daß du mehr Möglichkeiten hast als jeder andere, dich selbst zu deprimieren.«
»Ich mußte nur an Finlay Feldglöck denken. Wir hätten ihn zu dieser Fahrt mitnehmen sollen.«
»Darüber haben wir uns doch schon unterhalten, Owen. Er ist ein Besessener. Er hat geschworen, an Valentin Rache zu nehmen. Hat beim eigenen Blut und der eigenen Ehre den Eid abgelegt, ihn umzubringen. Falls wir uns dort unten Möglichkeiten offenhalten möchten, können wir uns nicht leisten, den Feldglöck irgendwo in der Nähe zu haben. Er war schon immer… unberechenbar. Man hat versucht, ihn als Kopfgeldjäger einzusetzen, aber er hat die Leute immer nur tot zurückgebracht. Manchmal in Einzelteilen. Zuletzt habe ich gehört, daß seine Freundin Evangeline Shreck versuchte, sein Interesse an der Politik zu wecken. Gott stehe dem Parlament bei, mehr fällt mir dazu nicht ein.«
»Er hat an unserer Seite gekämpft. Er war ein Held der Rebellion, genau wie wir. Und Valentin hat seine ganze Familie ausgelöscht. Für mein Gefühl ist es nicht richtig, ihn aus dieser Sache auszuschließen.«
»Owen, wir kennen den Mann kaum. Du bist es doch, der Valentin lebendig zurückbringen möchte. Wäre der Feldglöck dabei…«
»Ja, ich weiß. Aber falls wir Geheimnisse haben vor Leuten, die angeblich unsere Kameraden sind, was enthalten sie dann uns vor?«
»Ach verdammt«, sagte Hazel geringschätzig, »jeder hat Geheimnisse.«
Wie sich das anhörte, bemerkte sie erst, als die Worte heraus waren, und sie hielt für einen Moment die Luft an, bis Owen brummte und sich abwandte, um die Sensorenergebnisse auf dem Hauptbildschirm zu studieren. Hazel ließ die Luft langsam heraus, damit Owen es nicht hörte, und versuchte sich zu entspannen. Selbst heute noch enthielt sie ihm das eine oder andere vor, teils, weil sie ihn nicht aufregen wollte, teils, weil sie nach wie vor an das Prinzip glaubte, die eigenen Angelegenheiten für sich zu behalten. Seit sie zum erstenmal das Labyrinth des Wahnsinns auf der Wolflingswelt durchschritten hatte und für immer verändert worden war, machten ihr Träume zu schaffen. Zunächst waren es nur beunruhigende Bilder gewesen, aber heute verfolgten sie die Träume immer hartnäckiger bis in die wache Zeit, und sie wurde den Gedanken einfach nicht los, daß sie etwas zu bedeuten hatten. Etwas Wichtiges.
Inzwischen träumte sie jede Nacht klar und deutlich, und sie wußte nicht, ob sie die Vergangenheit oder die Zukunft sah. Es hatte den Anschein, als entwirrte sich die Zeit in Hazels Kopf, in den dunkelsten Stunden der Nacht, wenn sie am wenigsten geschützt war. Etwas in ihrem Verstand zeigte ihr Dinge und ließ einfach nicht zu, daß sie sich davon abwandte.
Auf Nebelwelt hatte sie von der imperialen Invasion geträumt, nur Stunden, ehe sie tatsächlich passierte.
Vergangene Nacht hatte sie drei Träume gehabt, einen nach dem anderen. Der erste handelte von den Blutläufern, den üblen Bewohnern der dunklen Obeah- Welten, weit draußen am Abgrund, wo niemand sonst hinfuhr. Die Blutläufer hatten einmal versucht, Hazel für ihre nie endenden Experimente über die Natur des Leidens und der Existenz zu entführen. Damals rettete Owen Hazel, griff mit seinen Gedanken über zahllose Lichtjahre hinaus und streckte den Anführer nieder. In dem Traum hatten die Blutläufer sie mit wissenden, grausamen Augen gemustert, mit entsetzlicher Geduld auf sie gewartet. Sie hielten etwas in der Hand. Etwas Scharfes.
Dann träumte sie von der Burg der Familie Owens auf Virimonde, Dort folgte sie den leeren Steinkorridoren, die ihr mühelos vertraut waren, obwohl sie nie zuvor dort gewesen war.
Es war bitterkalt, kalt wie in einem Grab, und Blut rieselte von den Wänden und verschmutzte die uralten Wandbehänge und die vorzüglichen Teppiche. Etwas lauerte hinter der nächsten Ecke und tief unter ihr, etwas Furchtbares.
Und schlußendlich träumte sie, sie stünde allein auf der Brücke der Sonnenschreiter II, während ringsherum die Hölle ausbrach. Von allen Seiten griffen Schiffe an, mehr als man zählen konnte, überwältigten ihre Abwehreinrichtungen, obwohl Hazel heftigen Widerstand leistete. Sämtliche Alarmsirenen heulten, und die Geschütze der Sonnenschreiter II feuerten unaufhörlich. Nirgendwo entdeckte Hazel eine Spur von Owen.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Vielleicht. Aber waren es Vorhersagen oder nur Warnungen? Bedeuteten sie, daß Hazel eine Chance hatte, etwas zu ändern, die Geschichte umzuschreiben, dem Schicksal zu trotzen? Oder wurde sie einfach nur verrückt wie alle anderen?
Früher einmal hatte ihr die verbotene Droge Blut geholfen, mit vielem fertig zu werden, einschließlich der Träume, aber darüber war sie hinweg. Körperlich war sie so weit transformiert worden, verglichen mit ihrem früheren Selbst, daß sie Zweifel hatte, ob Blut heute überhaupt noch die leiseste Wirkung auf ihre Körperchemie gehabt hätte. Außerdem war die Droge stark suchterzeugend, und Hazel wollte verdammt sein, wenn sie es irgend etwas oder irgend jemandem je erlauben würde, wieder Herrschaft über sie auszuüben, und das galt auch für die eigenen Schwächen.
»Was denkst du, führen Valentin und seine Kumpane da unten im Schilde?« fragte sie plötzlich, entschlossen, auf andere Gedanken zu kommen.
»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte«, sagte Owen, der weiterhin die Daten studierte, die auf dem Bildschirm an ihm vorbeiwanderten. Sie liefen viel zu schnell, als daß normale Augen ihnen hätten folgen können, aber keiner der beiden erwähnte es. Kleine Veränderungen dieser Art waren sie gewöhnt. »Er hat die Schilde der Burg verstärkt. Ich empfange nichts, was verwertbar wäre. Was an sich eine bedeutsame Information darstellt. Er dürfte eigentlich nichts zur Verfügung haben, was stark genug ist, um Hadenmänner-Sensoren auszusperren. Wer versorgt ihn mit Tech?«
»Wir werden ihn fragen müssen«, sagte Hazel. »Sobald wir dort sind.«
»Zu viele Fragen«, meinte Owen und schaltete schließlich den Bildschirm aus. »Zu viele Unbekannte. Warum ist er hierher zurückgekehrt? Warum hat er meine alte Burg übernommen? Was hofft er hier zu erreichen? Was ist ihm wichtig genug, um das Risiko einzugehen, daß ich ihn verfolge?«
»Er verfolgt eine besondere Absicht«, behauptete Hazel. »Es muß so sein, andernfalls hätte er nicht so viele Leute dazu
überreden können, ihm hierher zu folgen. Und jemand muß die ganzen tollen Sachen bezahlt haben, die er da wohl hat. Wenn du mich fragst, hat es was mit Drogen zu tun. Alles, womit sich Valentin befaßt, hat letztlich mit Drogen zu tun.«
»Oder mit Rache. Er ist schließlich ein Wolf. Und Oz sagt, Valentins Sicherheitssysteme wären viel fortschrittlicher als alles, worauf er eigentlich Zugriff haben sollte.«
Hazel musterte Owen scharf. »Du hörst immer noch Stimmen, nicht wahr?«
»Ich wünschte wirklich, Ihr würdet es nicht so ausdrücken.
Und es ist nur eine Stimme.«
»Soll mich das vielleicht beruhigen? Wenn du so weitermachst, wirst du bald behaupten, du hättest das Imperium nur gestürzt, weil der Teufel es von dir verlangt hat. Das wird der Öffentlichkeit wirklich gut schmecken.«
»Es ist nur meine alte KI!«
»Warum höre ich sie dann nicht über mein Komm-System?
Warum hört niemand sonst ihre Stimme? Und du hast sehr deutlich gesagt, du hättest das verdammte Ding umgebracht, nachdem es uns auf der Wolflingswelt verriet.«
»Ich hielt sie für tot. Heute bin ich mir in vieler Hinsicht nicht mehr so sicher wie früher. Schließlich haben auch wir beide eine Menge durchgemacht, was uns eigentlich hätte umbringen sollen. Hat es das?«
Hazel fiel keine schnelle Antwort darauf ein. Also starrten sie einander eine ganze Weile lang unbehaglich und schweigsam an, bis sie plötzlich von den Warnsirenen der Jacht unterbrochen wurden, die alle gleichzeitig losheulten. Das Deck schaukelte unter ihren Füßen, als etwas wirklich Machtvolles wie ein Hammer auf das Schiff einschlug.
»Oz!« schrie Owen. »Was zum Teufel ist da los?«
»Du kannst nicht behaupten, ich hätte dich nicht gewarnt«, antwortete die KI ruhig. »Valentins Sicherheitssysteme konnten unsere Tarnschilde schließlich durchdringen, und die bewaffneten Satelliten schießen mit allem auf uns, was sie haben.
Was wirklich beträchtlich ist. Die Hauptschilde halten stand.
Vorläufig. Habe ich deine Erlaubnis, das Feuer zu erwidern?«
»Verdammt, natürlich hast du sie! Puste die nächstgelegenen Satelliten vom Himmel und bringe uns dann nach unten, so schnell du kannst.«
»Welche Landekoordinaten?«
»Nicht zu weit von der Burg. Die Entfernung eines Fußmarsches.«
»Wird aber auch Zeit, daß du dir gesunde Bewegung verschaffst«, erklärte die KI beifällig. »Du hast in letzter Zeit zugenommen.«
»Nun?« erkundigte sich Hazel. »Was geht da vor?«
»Valentin weiß, daß wir da sind. Und die Stimme in meinem Kopf hält sich jetzt für meine Mutter. Ich bringe das Schiff schnell hinunter. Haltet Euch irgendwo fest und betet um eine weiche Landung.«
»Zur Hölle damit«, erwiderte Hazel. »Ich möchte erst selbst ein paar Treffer landen.«
»Wozu die Mühe? Die Feuerleitlektronen des Schiffs sind durchaus in der Lage…«
»Gott, du bist manchmal wirklich ein Waschlappen, Todtsteltzer. Es geht ums Prinzip!«
Und da ging sie auch schon, hinauf zur Brücke, um sich in die Feuerleitsysteme einzustöpseln. Owen ließ sie ziehen. So war nun mal Hazel. Immer dann am glücklichsten, wenn sie irgendeine Art Schußwaffe in der Hand hatte, mit der sie Verwüstungen anrichten und jemandem den Tag verderben konnte.
Er schnallte sich auf seinem Platz an und wartete geduldig ab.
Zumindest war die Sonnenschreiter II mit anständigen Geschützen ausgestattet. Die ursprüngliche Sonnenschreiter war die meiste Zeit ihres kurzen Daseins von einem Planeten zum nächsten gehetzt worden, oft beschossen und in Brand gesetzt, bis sie schließlich in den tödlichen Dschungeln von Shandrakor eine Bauchlandung hinlegte. Als Owen die neue Jacht rings um die geborgenen Maschinen der alten bauen ließ, bestand er darauf, daß die Hadenmänner so viele Waffensysteme modernsten Zuschnitts einbauten, wie überhaupt möglich war. Er fand keinen Gefallen daran, fliehen zu müssen. Es entsprach nicht seinem Naturell.
Und da schlingerte das Schiff wieder, als etwas wirklich Übles durch die Energieschilde knallte und auf den verstärkten Rumpf prallte. Die Beleuchtung flackerte kurz, und Owen spannte sich an, wartete auf das schrille Warnsignal eines Rumpfbruchs. Dazu kam es nicht, aber Owen entschied schließlich doch, daß sein Platz auf der Brücke war. Verteidigungslektronen gelangten irgendwo an ihre Grenzen. Er rannte auf ganzer Strecke, hatte aber am Ziel trotzdem noch genügend Luft, um Hazel zu fragen, was zum Teufel hier vor sich ging.
»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte«, sagte Hazel lebhaft, den Blick auf die Lektronenschalttafeln vor ihr geheftet. »Ich bin noch nie auf eine derartige Feuerkraft gestoßen.
Zumindest keine, die auf einen Menschentech zurückginge.«
Owen plumpste auf den Sitz neben ihr und studierte rasch die taktischen Anzeigen. Die Hauptschilde hielten noch, steckten aber höllisch viel ein. Am Rumpf lagen einige Außenschäden vor, aber nur oberflächlicher Art. Die Hadenmänner verstanden sich darauf, Schiffe zu bauen. »Das dürfte eigentlich nicht passieren«, sagte er schließlich. »Die Hadenmänner haben mir versichert, wir könnten jedem Gegner standhalten, einschließlich eines imperialen Sternenkreuzers.«
»Du hättest dir das schriftlich geben lassen sollen, mein Hengst«, sagte Hazel und lächelte kurz, als einer von Valentins Satelliten unter ihrem Beschuß explodierte. »Vielleicht hat auch Valentin ein Abkommen mit den Hadenmännern geschlossen. Oder vielleicht hat er sich mit Shub unterhalten.
Oder sogar den Fremdwesen. Die ganze Menschheit für simplen persönlichen Gewinn zu verhökern ist genau das, was man von Valentin Wolf erwartet. So oder so – wir stecken bis über beide Ohren im Schlamassel und sinken rasch. Vorschläge praktischer Art sind dringend erwünscht. Gebete ebenfalls.«
»Zur Hölle mit einer Entscheidung in der Schlacht«, versetzte Owen. »Bring soviel Energie wie möglich in die Schilde und lande rasch, Oz. Hoffentlich sind die Satelliten nur darauf programmiert, Ziele in einer bestimmten Zone anzugreifen. Sobald wir unter ihre Reaktionshöhe gesunken sind, müßten sie uns in Ruhe lassen. Und dann wollen wir alle hoffen, daß Valentin nicht auch in eine Bodenabwehr investiert hat.«
»Hört sich für mich nach einem guten Plan an«, stellte Hazel fest. »Kann ich die Landung durchführen?«
»Nein«, entgegnete Owen mit Bestimmtheit. »Oz soll es machen. Ich habe Eure Landungen schon erlebt, Hazel.«
»Spielverderber.«
Die Sonnenschreiter II stürzte kreischend und flammenumhüllt durch die Atmosphäre, bis sie schließlich außer Reichweite der Satelliten war und der Angriff eingestellt wurde. Owen und Hazel wappneten sich auf möglichen Beschuß vom Boden aus, aber nichts dergleichen geschah. Anscheinend war Valentin davon ausgegangen, daß nichts außer seinen frisierten Satelliten nötig war, um Besucher abzuschrecken. Bei jedem anderen Schiff hätte er wahrscheinlich recht behalten. Oz ging schließlich in eine flachere Anflugbahn über und suchte nach einem Landeplatz, der nicht zu weit von der Burg entfernt lag.
Owen entspannte sich ein bißchen.
»Es hat glatt den Anschein, daß Valentin mächtige neue Bundesgenossen gewonnen hat«, sagte er nachdenklich. »Ich frage mich, was er noch an Überraschungen für uns bereithält.«
»Zweifellos etwas Scheußliches«, meinte Hazel. »Wenn man Valentin kennt. Aber wir werden damit fertig.«
»Werdet nur nicht großspurig«, sagte Owen. »Valentin hat nicht so lange überlebt, indem er irgendwas dem Zufall überließ. Seit er sich hier eingerichtet hat, muß er wissen, daß ich kommen würde, um ihn zu holen. Er muß… Vorbereitungen getroffen haben.«
»Er kann nichts auf uns werfen, was wir nicht direkt auf ihn zurückwerfen könnten«, sagte Hazel ruhig. »Ich wäre letztlich mit den Satelliten fertig geworden, hättest du nicht gekniffen.
Nichts kann uns mehr verletzen, Owen. Nicht nach all dem, was wir durchgemacht haben.«
»Großspurig«, entgegnete Owen. »Eindeutig großspurig. Das wird alles schlecht ausgehen…«
Er hätte mehr gesagt, aber die Navigation läutete diskret und informierte ihn darüber, daß sich die Sonnenschreiter II dem Landeplatz näherte. Owen und Hazel studierten sorgfältig die Anzeigen der Nah- und Fernsensoren, aber das Schiff setzte ohne Zwischenfall auf. Oz ließ sie warten, während er seine Landungscheckliste durchging.
»Luftqualität hinnehmbar. Kalt für die Jahreszeit, aber in akzeptablen Grenzen. Keine Lebenszeichen. In Ordnung, jetzt ist es offiziell sicher, auszusteigen. Alter Zeiten zuliebe bin ich an genau der Stelle gelandet, wo Hazel dir zum erstenmal begegnet ist, Owen. Nenn mich ruhig töricht und sentimental.«
»Halt die Klappe, Oz.«
Sie gingen zur Luftschleuse hinunter, und dort wartete Owen geduldig, während Hazel sich mit ein paar weiteren Waffen und Munitionsgürteln bepackte. All ihren Ansprüchen zum Trotz, unverwundbar zu sein, ging sie nie wirklich gern in die Öffentlichkeit, solange sie nicht mehr Waffen mit sich herumschleppte als der typische bewaffnete Patrouillentrupp. Owen lehnte sich ans Stahlschott und dachte an die Umstände zurück, unter denen er Hazel D’Ark anfänglich kennengelernt hatte.
Er war gerade vor den eigenen Sicherheitsleuten geflüchtet, hatte stark verletzt und verzweifelt einen beschädigten Flieger gesteuert. Nur wenige Kilometer von seiner Burg schossen sie ihn ab. Stolpernd entfernte er sich vom brennenden Wrack. Er blutete stark und lehnte sich mit dem Rücken an einen Baum in der Nähe, damit er seine letzte Schlacht aufrecht schlagen konnte.
Und da tauchte Hazel aus dem Nichts auf und rettete ihn vor seinen Feinden, die sie niederstreckte wie eine glorreiche, wenn auch etwas von ihrer Arbeit verschmutzte Walküre. Gemeinsam flüchteten sie mit der ersten Sonnenschreiter von Virimonde. Owen war seitdem nicht wieder hiergewesen. Er hatte es immer geplant, aber die Rebellion ließ ihm nie genug Zeit.
Schon die Kindheit hatte er auf einem Dutzend verschiedener Planeten verbracht, während der Vater im Zuge seiner endlosen Intrigen kreuz und quer durchs Imperium zischte. Virimonde hatte jedoch Owen allein gehört, seine Zuflucht vor der Familie und dem Schicksal eines Kriegers, das er sich nie gewünscht hatte. Der einzige Ort, den er je als Zuhause betrachtet hatte.
»Komm schon, du Hengst, bringen wir die Show in Gang.
Ich habe schon seit Stunden niemanden umgebracht, und langsam werde ich nervös.«
Und da hatte er Hazel, lebensgroß und doppelt so gefährlich, mit genug Waffen bepackt, um einen Krieg vom Zaun zu brechen. Owen mußte lächeln.
»Was ist denn so komisch?« fragte sie argwöhnisch.
»Oh, nichts. Nur daß wir laut Oz an genau der Stelle gelandet sind, wo Ihr und ich uns zuerst begegnet sind.«
»Du warst schon immer nostalgischer, als gut für dich ist, Todtsteltzer. Knacke doch bitte diese Luftschleuse, damit wir uns endlich die Füße schmutzig machen können. Ich bin nicht den ganzen Weg gekommen, um nur herumzustehen.«
»Ihr habt keine Spur Sentimentalität im Leib, nicht wahr, Hazel?«
»Wofür ich dem lieben Gott täglich danke. Rührseligkeit behindert nur bei der Arbeit.«
Owen seufzte und öffnete die Luftschleuse. Die Luft des Planeten wehte herein, und er holte tief Luft, wobei er mit den altvertrauten Gerüchen von Gras und Erde und wachsenden Dingen rechnete. Stattdessen mußte er kräftig husten, als sich die Lungen mit heißer, trockener Luft voller Staub füllten.
Owen und Hazel blickten sich gegenseitig an, und dann trat Owen vorsichtig auf den Planeten hinaus, der ihm einmal gehört hatte. Der Himmel war düster und bewölkt, das Licht grau und leblos. Wo sich einmal grüne Felder und das reiche Laubwerk weitläufiger Wälder ausgebreitet hatten, entdeckte er in allen Richtungen nur noch aufgewühlten Schlamm, soweit er blicken konnte. Weder Felder noch Getreide noch niedrige Grenzmauern, nur der Schlamm, dunkel und grobkörnig von festgetretener Asche.
Einen Augenblick lang glaubte Owen, er wäre auf dem falschen Planeten gelandet. Nirgendwo hatte die ländliche Idylle von Virimonde jemals so ausgesehen. Aber natürlich sah sie jetzt so aus. Genauso, wie er es tief im Herzen die ganze Zeit gewußt hatte.
»Verdammt«, sagte Hazel leise. »Es tut mir leid, Owen.«
»Ich denke, die Bäume standen dort drüben«, erklärte er. Er versuchte, dorthin zu zeigen, aber der Arm war so schwer.
»Gleich da drüben. Jetzt sind sie aber weg. Alles ist weg. Alles.
Nichts verrät mehr, daß sie und wir jemals hier waren. Diese Leute haben mir sogar die Vergangenheit geraubt. Und es ist alles meine Schuld.«
»Wie zum Teufel kommst du nur auf diese Idee?« fragte Hazel.
»Ich war der Lord dieser Welt. Dieser Planet und alle seine Bewohner waren mir anvertraut und meinem Schutz unterstellt worden. Aber ich bin fortgegangen und habe sie im Stich gelassen, schutzlos, als die Wölfe des Imperiums über sie herfielen. Ich war nicht hier, als sie mich brauchten.«
»Das ist jetzt aber wirklich Quatsch«, meinte Hazel. »Sie haben dich davongejagt! Deine eigenen Sicherheitsleute haben sich gegen dich gewandt. Man hat dich zum Gesetzlosen erklärt. Und du kannst verdammt sicher sein, daß es hier niemanden gab, der dich nicht unverzüglich und begeistert verraten und verkauft hätte, um das Kopfgeld einzustreichen. Dein Vetter David war nach dir Lord und konnte sich nicht mal selbst retten, als die imperialen Truppen kamen. Verdammt, er war einer von ihnen, und sie haben ihn trotzdem umgebracht!«
»Ihr habt recht«, sagte Owen. »Aber es hilft nicht. Ich hätte hier sein sollen.«
»Dann wärst du jetzt auch tot. Möchtest du das?«
»Manchmal. Mein altes Ich ist tot. Ich habe es irgendwo auf der langen Straße der Rebellion verloren, die mich an Löwensteins Hof führte. Ich vermisse es. Es hat mir viel besser gefallen als die Tötungsmaschine, zu der ich geworden bin.«
»Fang nicht wieder damit an. Veränderung ist nicht gleich Tod.«
»Es geschah für Virimonde. Dieser Planet diente einmal der Nahrungsproduktion. Was wir hier an Getreide und Vieh zogen, hat Menschen überall im Imperium ernährt. Wer gibt ihnen jetzt zu essen? Seht euch nur um, Hazel. Sie haben diese Welt getötet.«
»Du könntest neu anfangen. Pumpe genug Mikroorganismen in die Erde, bringe die richtige Saat aus, und diese Welt könnte wieder blühen. Mit der Zeit.«
»Vielleicht. Aber es wäre nicht dasselbe. Es wäre nicht die Welt, die ich gekannt habe.«
Hazel schüttelte ärgerlich den Kopf. »Alles läuft immer auf dich hinaus, was, Todtsteltzer? Typischer Aristo, der alles selbstbezogen betrachtet. Virimonde ist nicht der einzige Planet, der nach den Launen der Imperatorin Prügel bezogen hat.
Wegen solcher Dinge haben wir die Rebellion ausgefochten, erinnerst du dich?«
Owen bemühte sich ihr zuliebe um ein Lächeln. »Ich weiß.
Ich habe nur Selbstmitleid. Eigentlich habe ich nicht das Recht dazu, schätze ich. Mein Volk hat alles verloren. Aber ich kann es wenigstens rächen. Valentin wird für das bezahlen, was er hier angerichtet hat. Ich werde zusehen, wie er stirbt, wie er langsam stirbt, und zur Hölle mit den Konsequenzen.«
Hazel versetzte ihm einen kräftigen Klaps auf die Schulter.
»Das gefällt mir schon besser. Wenn schon nichts sonst, bleibt immer die Rache.«
»Ihr seid eine Frau, die die einfachen Freuden schätzt, Hazel.«
»Das denkst du wohl, du Hengst.« Sie lächelte Owen an, und er konnte nicht umhin, das Lächeln zu erwidern.
Sie standen eine Zeitlang zusammen, genossen den Augenblick der Gemeinsamkeit. Die Welt war ganz still, und nicht einmal das Flüstern einer Brise störte die Leichenruhe. Owen und Hazel blickten sich langsam um, und nichts blickte zurück.
Hazel runzelte plötzlich die Stirn.
»Was ist?« fragte Owen.
»Ich hasse es, wenn ich morbide klinge… aber müßten hier nicht verdammt viele Leichen herumliegen? Oder Leichenteile oder… irgendwas? Aber ich sehe auf Kilometer hinaus nur Schlamm.«
»Das hat etwas für sich«, sagte Owen langsam. »Es wirkt ein wenig ordentlich, oder? Ich wußte gar nicht, daß jemand schon einen Trupp zum Aufräumen geschickt hat. Wartet mal eine Minute.« Er wandte sich an seine KI. »Oz, wo sind all die Toten?«
»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte, Owen. Den Berichten zufolge fand genau hier eine größere Schlacht zwischen den Bauern und den Invasionstruppen statt.«
»Untersuche mal die Gegend, Oz. Finde ein paar Leichen für mich.«
»Bin schon dabei. Das ist aber interessant. Ich entdecke da ein paar verweste tierische Überreste, die in den Schlamm hineingemischt sind, aber nirgendwo eine Spur von menschlichen Überresten in irgendeiner Form. Ich kann mir das nicht erklären.«
»Also was zum Teufel ist mit den Toten passiert? Könnte Shub zu Besuch gekommen sein, um Rohmaterial für seine Geistkrieger zu suchen?«
»Unwahrscheinlich«, antwortete die KI. »Auch wenn man bedenkt, wie verstreut die imperiale Flotte zur Zeit ist, wäre ein solcher Besuch kaum unbemerkt geblieben. Und was eine Aufräummannschaft angeht, das kannst du vergessen. Zur Zeit gibt es nicht mal genügend Personal, um für die Bedürfnisse der Lebenden zu sorgen, geschweige denn die der Toten. Es sei denn… Valentin hätte sie entfernen lassen.«
»Warum sollte er das tun?«
»Um zu demonstrieren, daß es ihm leid tut? Um Wiedergutmachung zu leisten?«
Hazel mischte sich ein und wollte wissen, was Oz sagte.
Owen erklärte es ihr, und sie schnaubte geringschätzig. »Das kannst du vergessen. Valentin hat sich noch nie im Leben für irgendwas entschuldigt.«
»Aber ich wette, er weiß, was hier passiert ist«, sagte Owen.
»Das wäre genau die Art Vorfall, über die er informiert sein möchte. Also schätze ich, werden wir uns nur durch den Schlamm zu meiner alten Burg schleppen, ihn am Kragen hervorzerren und fragen müssen.«
»Klingt für mich nach einem guten Plan«, sagte Hazel. »Ist es okay, wenn ich ihm meine Knarre ins Ohr stecke, während du ihn verhörst?«
»Seid mein Gast.«
Owen machte sich auf, das Meer aus aufgewühltem Schlamm in der Richtung zu durchschreiten, in der er seine alte Burg vermutete. Ein grauer Schleier von grimmiger Rätselhaftigkeit täuschte den Sinn für Entfernungen. Laut Oz lag Owens altes Zuhause nur wenig über drei Kilometer entfernt, so daß er und Hazel sich unmittelbar außerhalb der Burgsensoren befanden.
Es sei denn, Valentin hatte sie auch hochfrisiert. Owen lächelte humorlos. Es bedeutete einen Dreck, wenn Valentin es getan hatte. Sollte er ruhig wissen, daß sich ihm der Tod näherte.
Vielleicht standen Owen und Hazel zu zweit gegen eine unbekannte Zahl von Feinden, aber Owen war es egal. Selbst eine Armee konnte ihn jetzt nicht mehr aufhalten. Als ihm dieser Gedanke kam, blieb er abrupt stehen und machte ein finsteres Gesicht. Immer häufiger ertappte er sich bei Gedanken, die ihm Angst machten. Er fragte sich, was aus ihm wurde. Die Veränderungen, die das Labyrinth des Wahnsinns in ihm ausgelöst hatte, schienen sich glatt noch zu beschleunigen. Zuerst hatten sie ihm nur mehr Biß verliehen, dann zu einem Mann mit unbekannten ESP-Fähigkeiten gemacht, aber seit langem schon war er nicht mehr nur ein Mensch. Er ließ die menschliche Natur hinter sich und war sich dessen bewußt, und es machte ihm Angst. Vielleicht klammerte er sich deshalb so verzweifelt an die alten, menschlichen Vorstellungen von Ehre und Gerechtigkeit.
Er seufzte müde. Er hatte sich weit entfernt von dem kleinen Historiker, als der er früher hier gelebt hatte. Aber er hatte schließlich alles verloren, als man ihn zum Gesetzlosen erklärte, und keine andere Wahl mehr gehabt, als sich zu dem Krieger zu entwickeln, den sich sein Clan immer gewünscht hatte. Er hatte etwas verkörpern müssen, was er am meisten verachtete, um nicht zu sterben. Er erreichte viel auf diesem Weg, bestrafte Übeltaten und übte Gerechtigkeit in großem wie in kleinem Maßstab, aber am Ende hatte ihm einfach Blut an den Händen geklebt… Meist von Menschen, die den Tod verdient hatten, aber eben nicht nur. Auf jeden eindeutigen Schurken, der von seiner Hand gestorben war, kamen hundert Menschen, die einfach nur als Soldaten Befehlen gehorcht und getan hatten, was sie für das Richtige hielten. Die ein korruptes Imperium verteidigten, weil ihnen alle Alternativen als noch schlimmer erschienen. Tapfere Kämpfer, die starben, weil sie das Pech hatten, zwischen Owen Todtsteltzer und seiner Bestimmung zu stehen.
So viele Tote ohne Gesichter. Zuzeiten träumte er von ihnen.
Da war ein Kind, das er auf den schmutzigen Seitenstraßen von Nebelhafen verstümmelt und getötet hatte. Ein Unfall. Und das Mädchen hatte obendrein in diesem Moment versucht, ihn umzubringen. Aber nichts davon bedeutete etwas. Er hatte im Kampfesrausch blindwütig zugeschlagen, und das Ergebnis war ein junges Mädchen, das im blutbespritzten Schnee lag.
Das hatte er sich nie vergeben, und er würde es sich auch nie vergeben. Falls der Krieger, zu dem er geworden war, irgendeinen Sinn hatte, dann den, das System zu beseitigen, das solche Kinder hervorbrachte. Und vielleicht, Menschen wie sie vor Leuten wie ihm zu schützen.
Genau diese Bedeutung hatte es, ein Todtsteltzer zu sein.
Er blickte kurz zu Hazel hinüber, die entschlossen neben ihm ausschritt. Das lange, verfilzte rote Haar fiel ihr rings um das scharf gezeichnete und spitze Gesicht. Vielleicht nicht hübsch im konventionellen Sinn, aber andererseits glaubte Hazel D’Ark nicht an das Konventionelle, wenn sie es vermeiden konnte. Owen fand sie hübsch, aber er war schließlich voreingenommen. Er liebte sie still und insgeheim. Sie war überhaupt nicht die Art Frau, von der er einmal geglaubt hatte, er würde sich in sie verlieben, und sicherlich nicht die Art Frau, die zu heiraten man von ihm erwartete, um die jahrhundertealte Todtsteltzerlinie fortzusetzen, aber trotzdem liebte er sie. Ungeachtet all der genannten Überlegungen, oder vielleicht aufgrund von ihnen. Hazel war gescheit und witzig, auch ehrlich, wenn es ihr paßte, und die tapferste Frau, die er je kennengelernt hatte. Ganz zu schweigen davon, daß sie teuflisch gut mit jeder Waffe umgehen konnte, die einem nur einfiel. Er bewunderte sie enorm, achtete aber darauf, es für sich zu behalten. Sie hätte es nur ausgenutzt. Sie war zuversichtlich, wenn er verzagte, vorsichtig, wenn er es zu sein vergaß, und sie vergaß niemals, wofür sie kämpften. Und er wußte: Falls er je das Wort Liebe erwähnte, würde sie ihn glatt verlassen. Hazel hatte bei mehr als einer Gelegenheit deutlich gemacht, daß sie an solche Dinge wie die Liebe nicht glaubte. Sie schränkten ein, machten verwundbar und führten zu Themen wie Verpflichtung und Vertrauen und Offenheit, von denen keines in Hazels Leben einen Platz hatte. Also nahm Owen einfach an, was sie ihm zu eigenen Bedingungen an Wärme und Freundschaft anbot, und hoffte weiter. Sie waren zusammen, und wenn das alles war, was er erhalten konnte, dann war es immer noch mehr, als er je zuvor gehabt hatte.
»Warum gehen wir eigentlich zu Fuß?« fragte Hazel plötzlich. »Ich habe dafür gesorgt, daß man Gravschlitten an Bord brachte, ehe wir gestartet sind.«
»Schlitten würden auf den Ortungsgeräten der Burg erscheinen«, erläuterte Owen geduldig. »Wir selbst haben uns allerdings als für die meisten Abtaster unsichtbar erwiesen, seit wir das Labyrinth durchquerten. Eine weitere nützliche Nebenwirkung, die niemand erklären kann. Also gehen wir zu Fuß und schlüpfen hoffentlich unbemerkt durch Valentins Abwehrsysteme.«
»Ich hasse es zu laufen«, sagte Hazel finster. »Dabei tut mir immer der Rücken weh. Hätte Gott gewollt, daß wir zu Fuß gehen, hätte er uns nicht die Antischwerkraft geschenkt.«
»Genießt die Landschaft«, schlug Owen vor.
»Haha! Als ich letztesmal sowas durchquert habe, hatten alle Feldtoiletten gleichzeitig versagt.«
»Laufen soll sehr gesund sein.«
»Das gilt genauso für die richtige Ernährung und für Enthaltsamkeit, und ich hasse das auch. Ich möchte dich warnen, Todtsteltzer: Ich sollte auf deiner Burg lieber Gelegenheit finden, eine Menge Leute umzubringen, oder es gibt Ärger!«
»Oh, ich denke, das kann ich garantieren«, sagte Owen.
»Wenn Ihr Euch einer Sache sicher sein könnt, dann, daß wir keinerlei Freunde auf der Todtsteltzer-Festung haben.«
Die Todtsteltzer-Burg war eine große steinerne Feste auf einer Bergspitze. Das blaßgraue Gestein war hier und da von Schäden und Brandflecken durch Energiewaffen gezeichnet. Sie rührten von der Belagerung durch das Imperium her, als dieses den Lord David Todtsteltzer gefangennehmen wollte. Jetzt erduldete das Anwesen die Besetzung durch Lord Valentin Wolf und seine Kumpane. Der Wolf war mit ganz persönlichen Zielen nach Virimonde gekommen, und die anderen waren ihm gefolgt, weil ihnen keine Wahl blieb. Der Wolf bot ihnen die einzige Hoffnung darauf, die Rebellion zu besiegen und sie selbst wieder an die Macht zu bringen. Sie verlangten nicht nach dem geringeren Glanz, wie ihn Handel und Einflußpolitik boten. Sie wollten Herren und Meister sein und konnten nicht anders.
Sie waren auch deshalb hier, weil Valentin ihr Leben in der Hand hatte, obwohl sie bemüht waren, nicht daran zu denken, solange sie sich nicht genötigt sahen. Nichts anderes jedoch hätte derartige aristokratische Machtmenschen dazu bewegen können, sich so eng mit dem berüchtigten Valentin Wolf zu verbünden. Er war wahnsinnig, böse und eine gefährliche Bekanntschaft, aber er verfügte über etwas – über eine Waffe von potentiell solcher Macht, daß sie nicht riskieren konnten, sie zu verlieren. Also schlossen sie sich mit dem verachteten Wolf zusammen und verwetteten ihr Leben darauf, daß es ihnen irgendwann einmal gelingen würde, ihn auszumanövrieren. Was zeigte, wie verzweifelt sie waren.
Valentin saß ungezwungen auf dem Stuhl des Lords im großen Speisesaal dessen, was einmal die Todtsteltzer-Burg gewesen war, und verfolgte tolerant mit, wie seine Spießgesellen alles zerstörten. Sie waren zum Teil betrunken, hatten zu viele Flaschen Wein zu einer guten Mahlzeit genossen, und sie lachten jetzt, während sie mit Lebensmitteln um sich warfen und Möbel umstürzten. Lord Silvestri warf mit seinen Messern nach den Familienportraits an den Wänden, auf denen man die Todtsteltzers aller Zeiten erblickte. Er zielte auf die Augen und traf meistens. Lord Romanow hatte einen kostbaren Wandbehang heruntergerissen und trug ihn als Schal, während er Brandy aus der Flasche trank. Lord Kartakis stampfte auf dem Tisch hin und her, bewegt von der kühnen Überzeugung, er tanzte im Takt des zotigen Liedes, das er voll Trotz falsch sang. Valentin lächelte auf sie herab wie auf unartige Kinder und gönnte ihnen ihren Spaß. Sie hatten sonst nicht viel zu tun und waren schon lange in der Burg zusammengepfercht. Und Valentin sah es so gern, wie den kostbaren Habseligkeiten des Todtsteltzers Gewalt angetan wurde, wie er den Mann selbst eines Tages vernichten würde.
Valentin Wolf saß auf einem Stuhl, der viel zu groß für ihn war; er hatte eines seiner langen Beine über der Armlehne hängen und den anderen Fuß auf dem Tisch liegen. Wie immer trug er Schwarz; das blasse weiße Gesicht war von den langen dunklen Locken des geölten und parfümierten Haares umrahmt, der Mund ein scharlachroter Spalt, die Augen schwer von Wimperntusche. So vermittelte er das Abbild genau des absoluten Schurken, der zu sein er sich bemühte. Und die Drogen, die herrlichen Drogen randalierten in seinem Körper, wie sie es immer getan hatten. Von Valentin hieß es wahrheitsgemäß, daß er noch nie auf eine Chemikalie gestoßen war, die er nicht mochte, und wenn man etwas rauchen, schlucken, injizieren oder sich dort hinstecken konnte, wo die Sonne nicht schien, tauchte Valentin gleich an vorderster Front auf, bereit, es einmal zu probieren. Er betrachtete den eigenen chemisch verstärkten Verstand als Kunstwerk und bemühte sich, es ständig zu verbessern. Der absolute Rausch wartete nach wie vor irgendwo auf ihn, und Valentin suchte unablässig danach.
Zu diesem Zweck hatte er auch die seltene und augenblicklich suchterzeugende Esperdroge eingenommen, wohl wissend, daß sie einen kleinen, aber bedeutsamen Teil aller Menschen umbrachte, die sie zu sich nahmen. Valentin überlebte natürlich. Wahrscheinlich deshalb, weil man seine radikal veränderte Körperchemie durch nichts anderes mehr beeinträchtigen konnte als durch rauchende Salpetersäure. Die Esperdroge verlieh ihm geringfügige telepathische Fähigkeiten sowie die völlige Beherrschung des autonomen Nervensystems, und seine Gedanken folgten nun fremden und unvertrauten Pfaden. Er nahm eine Droge nach der anderen und wahrte durch schiere Willenskraft ein komplexes Gleichgewicht. Valentin betrachtete sich als ersten Vertreter einer neuen Art Menschen, wie die Hadenmänner eine waren – einen alchemistischen Schritt nach vorn auf der Evolutionsleiter, oder vielleicht zur Seite.
Er sah zu, wie Carlos Silvestri ein ums anderemal die Messer warf und dabei großen Männern die Augen ausstach, nur weil er es tun konnte, um allen zu beweisen, daß er den mächtigen Owen Todtsteltzer nicht fürchtete. Silvestri war groß und dünn, bestand ganz aus langen Gliedern und unerwarteten Winkeln.
Er kleidete sich in Rotschattierungen, die traditionellen Farben seines Clans. Es paßte nicht zu ihm. Das Gesicht war rund und geschwollen, als hätte es sich noch nicht entschieden, wie es einmal werden wollte, obwohl der Mann mindestens vierzig war. Er trug den Schädel kahlrasiert und rupfte sich die übrigen Haare aus. Er konnte gut mit dem Messer und noch besser mit dem Schwert umgehen. Er hätte sich als großer Schwertkämpfer und Duellant erweisen können, hätte er nur den Mut seiner Überzeugungen aufgebracht. Der Silvestri war jedoch seit eh und je ein ausgesprochen vorsichtiger Mann, der lieber von den Seitenlinien aus zusah und durch seine Untergebenen handelte und sich nie, niemals selbst die Hände schmutzig machte. Er hatte Finlay Feldglöck niemals die Ermordung seines guten Freundes William Saint John vergeben und viel Zeit und Geld in Pläne investiert, die Feldglöck ums Leben bringen sollten, aber mit nichts davon Erfolg gehabt. Nachdem Finlay wieder ein mächtiger und bedeutender Mann geworden war und der Silvestri seine Macht durch Ohnesorgs Abkommen und das Auftauchen des Schwarzen Blocks drastisch reduziert sah, war Carlos gezwungen, sich an Valentin zu wenden, seinen einzigen möglichen Retter. Und falls sich das ganz anders entwickelt hatte, als vom Silvestri ursprünglich geplant, legte er nur noch ein bißchen mehr Emphase in den Wurf seiner Messer.
Valentin lächelte und richtete die Aufmerksamkeit auf Pieter Romanow, diesen fetten, rotbackigen Mann, der sich in ein zerrissenes Meisterwerk gewickelt hatte. Pieter hegte die Auffassung, daß man einen Mann an der Breite und der Verwirklichung seiner Gelüste erkennen sollte, und er schwelgte in der Befriedigung seiner Sinne, bis sie unter der Last seines Willens ächzten. Er verspürte einen Hunger in sich, der nicht zu stillen war, so sehr er sich auch bemühte. Seine Leute gehorchten jeder seiner Launen, oder er ließ sie umbringen und durch andere ersetzen, die dazu bereit waren. Pieter war der Inbegriff eines Aristokraten, und Ohnesorgs Abkommen hatte ihn besonders hart getroffen. Für ihn waren verringerte Macht und die Profite aus bloßer Geschäftstätigkeit nichts. Also suchte er nach einem Bundesgenossen, einem großen Mann voller Macht und Einfluß, der alles wieder so richtete, wie es früher gewesen war und wie es sein sollte. Einen Mann mit Visionen, mit einer Bestimmung. Leider fand er nur Valentin. Der Wolf hatte jedoch wenigstens einen Plan, was mehr war, als man von den meisten behaupten konnte, und Pieter sah sich genötigt, einen Mann zu bewundern, dessen Sinn für Genuß tatsächlich noch seinen übertraf. Also schloß er mit Valentin einen Pakt, und wenn der Romanow die Art ihrer Machtbasis auch etwas erschreckend fand, so stöberte er doch stets eine weitere Mahlzeit und eine weitere Flasche aus dem exzellenten Weinkeller des Todtsteltzers auf, um sich abzulenken.
Und schließlich war da noch Athos Kartakis. Ein kleiner und dunkelhäutiger Mann mit strahlendem Lächeln und einem Temperament, das in einer Sekunde vom hellsten Tag zur finstersten Nacht umspringen konnte. Er sammelte Beleidigungen und betrachtete Duelle als Sport. Er akzeptierte nie das erste Blut als Siegbedingung, sondern war stets auf den Tod des Gegners aus. Die Leute achteten meist sorgfältig auf das, was sie in Gesellschaft des jungen Lord Kartakis sagten.
Sein Clan war nie mehr gewesen als ein eher kleines Haus und hatte das Geld seit Generationen schneller ausgegeben, als es hereinkam. Kartakis hatte viele Schulden geerbt und sich unverzüglich darangemacht, eigene hinzuzufügen. Die Gläubiger vergaßen ihre Rechnungen auch lieber, als das Risiko eines Duells einzugehen, aber trotzdem kannte alle Welt die tatsächliche Lage, und Kartakis wußte seinerseits, daß alle anderen sie kannten. Das Abkommen, das der Schwarze Block mit Ohnesorg geschlossen hatte, war der letzte Sargnagel gewesen. Man nehme Kartakis die Lordschaft, und es blieb nichts. Als Geschäftsmann hätte er nie überlebt. Sei es auch nur, weil er sich so viele Feinde in der Geschäftswelt gemacht hatte. Und so verpfändete er das, was von seiner Seele übrig war, an Valentin.
Valentin betrachtete seine Leute, wie sie herumspielten, und dachte voller Vorfreude an den Tag, an dem er sie nicht mehr benötigte und sie auf langsame und interessante Weise töten konnte. Er hatte gerade damit begonnen, die Methoden zu numerieren und sich für die Lieblingsmethode zu entscheiden, da läutete der Bildschirm an der Wand höflich. Valentin zog eine aufgemalte Braue hoch. Er hatte dem Dienstpersonal zu verstehen gegeben, daß er beim Essen auf keinen Fall gestört zu werden wünschte, es sei denn, es lag ein wichtiger Notfall vor, und nachdem er einen Lakaien von der Hüfte abwärts hatte häuten lassen, hatten sie die Lektion verstanden und gehorchten seinen Anweisungen buchstabengetreu. Also nahm er den Anruf entgegen und wies seine Kumpane an, still zu sein. Auf dem Bildschirm tauchte dieser finstere Fettkloß auf, der ehemalige Lord Gregor Shreck. Der Shreck saß hinter einem häßlichen, aber funktionellen Holztisch voller Papiere und Berichte. Er nickte Valentin kurz zu, was seine größte Annäherung an höfliches Verhalten war, und kam zur Sache, ohne weitere Umstände zu machen.
»Ihr steckt in Schwierigkeiten, Wolf. Das Parlament hat eine Einsatzgruppe geschickt, die untersuchen soll, was Ihr auf Virimonde im Schilde führt.«
»Tatsächlich?« fragte Wolf, ungerührt wie immer. »Und wie groß genau ist die Armee, die es entsandt hat?«
»Es ist etwas Schlimmeres als eine Armee. Es hat den Todtsteltzer und D’Ark geschickt.«
Die drei Aristokraten sahen einander kurz an und plapperten bestürzt los. Valentin gab ihnen mit einem Wink zu verstehen, daß sie ruhig sein sollten, und sie waren es. Der Wolf lächelte den Shreck bedächtig an, und der breite scharlachrote Spalt breitete sich über das totenhafte Gesicht aus. »Der liebe Owen.
Ich freue mich schon die ganze Zeit so darauf, ihm zu begegnen. Ich kann gar nicht erwarten, seine Meinung zu dem zu erfahren, was ich aus seinem alten Zuhause gemacht habe.
Wann kann ich mit dem illustren Helden und seiner kriegerischen Begleiterin rechnen?«
»Verdammt, er und das Miststück sind wahrscheinlich schon gelandet. Meine Verbindungen sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Nachrichten brauchen heute länger, bis sie mich erreichen.«
»Der Todtsteltzer kann nicht hier sein«, meinte der Kartakis.
»Die Sicherheitssysteme hätten sein Schiff vernichtet. Oder die Sensoren hätten uns gewarnt…«
»Seid nicht albern«, versetzte Valentin. »Wir sprechen hier über Owen Todtsteltzer.« Er wandte sich wieder dem Shreck zu. »Habt Ihr ansonsten bei Euch noch alles im Griff?«
»Natürlich. Liefert Ihr nur das Produkt. Ich habe arrangiert, daß es auch befördert wird.« Gregor runzelte betrübt die Stirn.
»Hätte nie erwartet, noch mal als Drogenkurier arbeiten zu müssen.«
»Ich hätte gedacht, eine solche Beschäftigung wäre geradezu ideal für Euch«, warf der Silvestri ein, der sich müßig mit einem seiner Messer die Fingernägel schnitt. »Aber schließlich erhebt sich jeder letzten Endes auf das ihm gebührende Niveau.«
»Wenigstens bin ich nicht auf der Flucht vor dem, was heute als Justiz durchgeht!« schnauzte der Shreck. »Ich habe nach wie vor meinen Turm und meine Leute.«
»Aber Ihr seid kein Lord mehr«, stellte der Romanow fest und saugte sich zwischendurch Hühnerfett von den Fingern.
»Wir haben nicht zugelassen, daß uns der Schwarze Block und dieser Verräter Ohnesorg unser rechtmäßiges Erbe rauben.«
»Und wir werden wieder Lords sein«, sagte der Kartakis kategorisch. »Selbst, wenn wir erst jeden im Imperium töten müßten, der etwas anderes behauptet.«
»Große Worte von einem kleinen Mann«, erwiderte Gregor und wiegte sich dabei in der Gewißheit, daß der Kartakis Lichtjahre entfernt war. »Wir haben versucht zu kämpfen. Wir haben verloren. Unser einzige Hoffnung ruht jetzt auf dem Plan des Wolfs. Und Gott helfe uns, falls alles schiefgeht.«
»Falls es gelingt, mache ich Euch alle zu Göttern«, sagte Valentin ruhig. »Wir werden ruhmreich heimkehren und eine Macht erfahren, die sogar über das hinausgeht, was Löwenstein früher hatte. Aber das liegt in der Zukunft. Erzählt mir von der Gegenwart, Gregor. Wie läuft das Komplott?«
»Es wächst und gedeiht ständig«, berichtete Gregor. »Niemand ist bereit, sich öffentlich zu bekennen, aber immer mehr Aristokraten und Politiker stellen Leute und Geld bereit, um die Verwirklichung Eures Plans voranzutreiben. Niemand kann jetzt schon sagen, wie viele von ihnen aufstehen und kämpfen werden, wenn die Zeit reif ist, aber ich gebe mich auch damit zufrieden, daß sie im richtigen Augenblick untätig bleiben. Die Rebellen und ihr Schoßparlament glauben vielleicht, sie hätten die Lage im Griff, aber ihr heißgeliebtes neues System ist auf Sand gebaut.«
»Und die Sanduhr, die ihre Zeit bemißt, läuft ab«, sagte Valentin. »Wie ich doch eine gute Metapher liebe! Seid jetzt ein guter Junge, Gregor, und verschwindet. Ich muß nachdenken.
Ich muß einen passenden Empfang für den lieben Owen und die respektgebietende Hazel D’Ark vorbereiten.«
»Gebt auf Euch acht«, empfahl ihm Gregor. »Das sind keine Menschen mehr. Falls sie es überhaupt je waren. Ihr werdet kräftig hinlangen müssen, um sie zu töten.«
»Falls es einfach wäre«, sagte Valentin, »würde es keinen Spaß machen, nicht wahr? Lebt wohl, Gregor.« Er schaltete den Bildschirm aus.
»Sollen sie ruhig kommen«, sagte der Silvestri. »Wir werden schon mit ihnen fertig.«
»Wir durchaus«, sagte der Kartakis. »Was Euch angeht, bin ich mir jedoch nicht sicher.«
Carlos Silvestri lief rot an und nahm ein Messer in jede Hand. »Ich kann meinen Beitrag leisten!«
»Entspannt Euch«, empfahl der Romanow und durchwühlte die Überreste seiner Mahlzeit, nur für den Fall, daß er etwas übersehen hatte. »Mit all den Wachtposten und Sicherheitssystemen, die wir hier aufgefahren haben, könnten wir uns einer ganzen Armee erwehren, bis sie verhungert wäre.«
»In jedem anderen Fall vielleicht«, entgegnete der Silvestri.
»Aber hier haben wir es mit dem Todtsteltzer und dieser D’Ark zu tun. Ich habe Geschichten über sie gehört, über das, was sie in den Straßenkämpfen auf Golgatha geleistet haben. Jemand sagte, sie wären umgekommen und hätten sich selbst wieder zum Leben erweckt.«
»Geschichten«, sagte Athos Kartakis. »Geschichten werden immer erzählt.«
»In diesem Fall könnten sie der Wahrheit entsprechen«, meinte Valentin. »Aber macht Euch keine Sorgen, geschätzte Kameraden. Sollen sie anrücken, wie sie möchten. Sie werden hier nichts anderes als den Tod finden.« Er lachte leise über diesen kleinen Scherz. Die anderen sahen nicht so aus, als wüßten sie seinen Humor besonders zu schätzen, aber schließlich taten sie das nur selten. Valentins Sinn für Humor hatte sich verändert, sich im Takt mit seiner alchemistischen Transformation verwandelt, und entsprach nicht mehr jedermanns Geschmack. Er seufzte und stand auf, gab damit das Zeichen, daß die Tafel offiziell aufgehoben war. Er tupfte sich anmutig die scharlachroten Lippen mit einer Serviette ab und ging zur Tür hinüber. Die drei Aristokraten gaben unwillkürlich diverse Laute der Beunruhigung von sich. Valentin ließ sich Zeit, bis er sich zu ihnen umdrehte.
»Ja, liebe Freunde? Ist da noch etwas?«
»Die Droge«, antwortete der Kartakis kalt. »Wir brauchen die Droge.«
»Natürlich«, sagte Valentin. »Wo war ich nur mit meinen Gedanken? Es wird Zeit für Eure tägliche Dosis, nicht wahr?
Wie außerordentlich vergeßlich von mir.«
Er spazierte zum Tisch zurück und zog ein Pillenfläschchen aus der Tasche. Die drei Männer, die einmal Lords gewesen waren und Meister ihres Schicksals, betrachteten das Fläschchen und bemühten sich, nicht zu verzweifelt auszusehen. Valentin war durchaus fähig, dieses Spielchen endlos hinzuziehen, falls ihm danach zumute war. Er konnte sie zwingen, alles zu tun, einfach alles, und das auf der Stelle, und jeder von ihnen wußte es.
Entwickelt worden war die Esperdroge von einer kleinen Gruppe Wissenschaftler, die eigentlich etwas anderes suchten.
Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, daß sie eine Droge geschaffen hatten, die jedem bei regelmäßiger Einnahme geringe, aber echte telepathische Kräfte verlieh. Der ursprüngliche Hohe Lord Dram, genannt der Witwenmacher, hatte Droge und Wissenschaftler in seine Gewalt gebracht und eigenen Zwecken dienstbar gemacht, aber seine Pläne, seine Vorstellungskraft erwiesen sich als etwas beschränkt. Nach seinem Tod übernahm Valentin die Droge und das einzelne Labor, das sie herstellte. Natürlich hatte die Sache einen oder zwei Haken.
Erstens war die Droge hochgradig suchterzeugend. Hatte man sie erst mal eingenommen, mußte man für den Rest des Lebens damit fortfahren oder eines scheußlichen Todes sterben. Und zweitens starb ein kleiner Teil der Leute, die sie einnahmen, auf der Stelle. Valentin hatte das Für und Wider abgewogen, aber nicht lange dafür gebraucht. Es war schließlich nur eine Droge, und Valentin hatte nie viel davon gehalten, sich von einer Chemikalie unterkriegen zu lassen.
Die drei Ex-Lords nahmen die Droge ebenfalls und überlebten. Der Wolf hatte es ihnen zur Bedingung gemacht, um als Partner in die Massenproduktion des Mittels einzusteigen. Eine Droge, die man als Waffe nutzen konnte, um das Parlament und schließlich die zivilisierten Welten erst zu unterminieren und dann zu beherrschen. Denn jemand, der die Herstellung einer solch endlos suchterzeugenden Droge in der Hand hatte, hatte auch die völlige und vorbehaltlose Herrschaft über jeden, der sie einnahm, und für dessen ganzes Leben. Und was die wenigen anbetraf, die sich vielleicht zu widersetzen versuchten, so würde es recht einfach sein, ihnen die Droge unbemerkt unterzuschieben. Jeder mußte essen und trinken, und man brauchte nur eine Dosis.
Valentin fand seit eh und je, daß die einfachen Pläne die besten waren.
Und so verteilte er die kostbaren Pillen, und der Silvestri und der Romanow und der Kartakis schluckten sie, und somit waren alle daran erinnert, wer in der alten Todtsteltzer-Burg das Zepter schwang. Valentin besaß den Anstand, die drei Männer nicht triumphierend anzulächeln. Gerne hätten sie ihn umgebracht, um das Geheimnis zu wahren und ihr Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen, aber sie wagten es nicht. Sie wußten, daß es auch sie das Leben kostete, falls er starb, und wie schlimm sein Tod auch immer sein würde, ihrer würde schlimmer ausfallen.
»Ich hoffe doch, daß Ihr die Mahlzeit genossen habt«, sagte Valentin aalglatt. »Die heute etwas anders ausgefallen ist.«
Die drei Aristokraten musterten argwöhnisch den Eßtisch und versuchten sich zu erinnern, ob ihnen irgend etwas ungewöhnlich vorgekommen war.
»Nein, nein!« sagte Valentin, der ihren Gesichtsausdruck richtig deutete. »Ich würde doch keine meiner besonderen Kreationen auf ein Publikum verschwenden, das sie so wenig zu würdigen verstünde. Vielmehr habe ich mir überlegt, daß wir alle vom letzten echten Erzeugnis des Lebensmittelproduzenten Virimonde kosten sollten.«
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie es kapierten. Auf dem Planeten fand man keine Nahrung mehr. Alle wußten das. Und dann weiteten sich die Augen des Silvestris, und er legte sich die Hand auf den Mund, als ihm jede Farbe aus dem Gesicht wich. »Die Toten… die Menschen von Virimonde… haben wir gegessen…«
»Ja, habt Ihr«, bestätigte Valentin. »Und das mit solch ausgezeichnetem Appetit. Ach ja, so viele Tabus und so wenig Zeit!
Genießt doch zum Nachtisch den Pfefferminzlikör, meine Herren.«
Mit fröhlichem Lächeln und knappem Nicken verabschiedete sich Valentin Wolf, um die Überraschungen für Owen Todtsteltzer und Hazel D’Ark vorzubereiten, die er im Sinn hatte.
Die große Todtsteltzer-Burg war auf einem gewaltigen Vorgebirge aus massivem Granit errichtet. Vor der Front und den zwei Seitenmauern breiteten sich freie Ebenen aus. An der Rückwand folgte ein jäher Absturz von mehreren hundert Fuß, bis hinunter zu häßlichen, schartigen Klippen, die von einer heftigen Flut gepeitscht wurden. Dadurch war die Burg extrem leicht zu verteidigen und für heimliche Eindringlinge gleichzeitig nur schwer zu erreichen. Perfektes Sicherheitsdenken. Obwohl das für Owen nicht der Grund gewesen war, seine Burg hier zu errichten. Ihm hatte einfach die Aussicht gefallen.
Natürlich hatte er nie erwartet, hier mal selbst einbrechen zu müssen. Als er und Hazel also schließlich in Sichtweite seiner alten Burg waren, mußten sie anhalten und gründlich nachdenken. Eine frontale oder seitliche Annäherung kam nicht in Frage; durch ihre besondere Beschaffenheit waren Owen und Hazel vielleicht nicht für die Sensoren der Burg erkennbar, wohl aber uneingeschränkt für das bloße Auge. Und Owen teilte nicht Hazels Überzeugung von ihrer beider Unverwundbarkeit.
Nach dem Austausch einiger Argumente entschieden sie schließlich, daß der einzige praktische Weg zur Rückmauer führte. Dazu mußten sie erst ein Stück des Weges zurückgehen, den sie gerade gekommen waren, um dann langsam zum wellengepeitschten Fuß des großen Vorgebirges hinabzusteigen.
Endlich standen sie gemeinsam inmitten der hochgewirbelten Gischt und blickten mehrere hundert Fuß einer nackten Granitwand hinauf.
»Früher sah man hier Vögel«, erzählte Owen leise. »Oder Dinge, die Vögeln sehr ähnlich waren. Sie stiegen mit dem Wind auf, zogen ihre Kreise und schrien mit den traurigsten Stimmen, die man je gehört hatte. Und jetzt sind sie alle dahin.
Sie haben sogar die verdammten Vögel getötet!«
»Nur ein weiterer Grund, um Rache zu nehmen«, sagte Hazel. »Nichts geht über ein bißchen geschürte Wut, um den Körper auf einer langen, kalten Kletterpartie zu wärmen.«
»Es ist sehr kalt hier«, sagte Owen. »Ich denke nicht, daß mir je wieder warm wird.«
Er machte sich auf den Weg die dunkle Granitwand hinauf.
Er kletterte langsam und vorsichtig, und einen Moment später folgte ihm Hazel. Der Wind umrauschte sie, mühte sich, sie von der jähen Felswand zu pflücken, konnte sie aber nicht von der Stelle bewegen. So begnügte er sich damit, ihnen Tränen aus den Augen zu wehen. Owen konzentrierte sich auf die Wand vor ihm und bewegte sich selbstbewußt von einem Fußhalt und einem Handgriff zum nächsten.
Nach den ersten dreißig Metern entschied er sich definitiv, er würde keinen Blick nach unten riskieren, bis er sicher innerhalb der Burg war. Tolle Aussichten mal außer acht, hatte er sich in großer Höhe noch nie wohl gefühlt. Trotzdem fiel es ihm immer leichter, die nackte Felswand zu erklimmen, und er fand mit Händen und Füßen instinktiv Vorsprünge und Absätze, von denen er geschworen hätte, daß sie gar nicht vorhanden waren, bis er sie brauchte. Nicht zum ersten Mal hatte er das Gefühl, als wüßte der Körper selbst, was er zu tun hatte, ohne daß er es ihm hätte erklären müssen. Owen dachte darüber nach, während er kletterte. Er vollbrachte heute allerlei Dinge, zu denen er früher nie fähig gewesen war, ehe er das Labyrinth des Wahnsinns durchquerte und als jemand wieder daraus hervorkam, der sein altes Selbst so sehr übertraf. Die Talente kamen und gingen, und er konnte sich nicht immer darauf verlassen, daß sie vorhanden waren, wenn er sie brauchte. Und selbst nach all dieser Zeit war er kein bißchen schlauer geworden, welcher Art sie waren. Er blickte zu Hazel hinüber, die gelassen an der glatten Granitfläche emporkletterte wie ein Insekt an einer Glasscheibe, und mußte sich wieder abwenden. Er hoffte wirklich, daß er keinen vergleichbaren Eindruck machte. Er zwang sich, wieder hinüberzublicken, und stellte fest, daß Hazel den Blick erwiderte.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte sie gelassen.
»Wäre nicht das erste Mal«, sagte Owen. »Ich vermute, Ihr hattet vor dem heutigen Tag auch keine Ahnung vom Bergsteigen?«
»Präzise umrissen. Es scheint, als wüßten Hände und Füße genau, wohin sie sich bewegen müßten, ohne daß ich erst hinsehe – als hätten sie es schon immer gewußt. Gruselig. Ich frage mich, was wir sonst noch alles schaffen würden, wenn wir es uns nur vornähmen. Ich habe schon immer davon geträumt, mal zu fliegen…«
»Das würde ich in diesem Moment nicht gerade probieren«, erwiderte Owen. »Die Klippen dort unten wirken besonders unnachgiebig.«
»Guter Punkt.«
Sie kletterten schweigend ein Stück weiter. Owen konnte nicht umhin festzustellen, daß sie beide nicht einmal schwer atmeten.
»Denkt Ihr je über das nach, was wir alles tun können?« fragte er schließlich. »Und zu wem wir uns entwickeln? Wir sind keine Esper. Ich habe etliche führende Leute der Esper-Bewegung gebeten, mich zu sondieren. Sie haben keine Ahnung, wie ich es schaffe, all das zu tun, was mir heute möglich ist.«
»Ich bemühe mich, nicht zu viel darüber nachzudenken«, sagte Hazel. »Wir haben Gaben erhalten. Gaben, die uns in Situationen das Leben gerettet haben, in denen jeder andere eines entsetzlichen Todes gestorben wäre. Sie haben uns dabei geholfen, das Imperium zu stürzen. Warum einem solchen geschenkten Gaul ins Maul schauen?«
»Die Tatsache allein, daß etwas an jeder Ecke ein Bein hat und Heu frißt, heißt noch nicht, daß es ein Pferd ist. Esper sind trotz all ihrer Kräfte immer noch Menschen. Das ist einer der Gründe, warum wir die Rebellion ausgefochten haben. Uns hat jedoch eine extraterrestrische Anlage verändert. Wer weiß schon, welchem Zweck sie eigentlich diente, was sie hervorbringen sollte?«
»Eine Verwandlung«, sagte Hazel langsam. »Sie hat uns… besser gemacht, als wir vorher waren. Das war ihre Funktion.
Daran kann ich mich noch erinnern.«
»Aber was meinen wir mit besser? Eine menschliche Definition oder eine extraterrestrische?«
»Warum zum Teufel fragst du mich? Du bist das Hirn in dieser Partnerschaft. Ich schieße nur auf Dinge.«
Owen seufzte. »Weil ich es leid bin, mir Fragen zu stellen, auf die ich keine Antwort finde. Oder auf die ich Antworten finde, die mich einfach zu stark beunruhigen. Unsere einzige Hoffnung auf Antwort war das Labyrinth selbst, und es existiert nicht mehr. Vernichtet. Und damit waren all unsere Hoffnungen dahin, genau zu erfahren, was mit uns gemacht wurde und warum.«
»Warum quälst du dich dann?« fragte Hazel. Sie stoppte und sah ihn an, weil sie feststellte, daß er ebenfalls nicht mehr weiterkletterte.
»Weil ich Angst vor dem habe, was vielleicht aus mir wird«, antwortete Owen. »Ich habe Angst, daß ich womöglich aufhöre, ein Mensch zu sein. Daß ich die menschliche Natur hinter mir lasse. Habt Ihr je daran gedacht, daß wir uns vielleicht so weit vom normalen Menschen entfernen wie die Hadenmänner oder die Wampyre oder die KIs von Shub? Daß wir… fremdartig genug werden könnten, um zu vergessen, wer und was wir einmal waren?«
»Hör auf damit, Owen!« versetzte Hazel scharf. »Du machst dir nur selbst Angst. Ich fühle mich nicht anders als früher. Ich glaube nach wie vor an dieselben Dinge, wünsche mir dieselben Dinge, verabscheue dieselben Dinge. Ich bin immer noch ich selbst. Meine Fähigkeiten erleichtern es mir nur so sehr, das zu erreichen, was ich möchte.«
Sie kletterte weiter, und einen Augenblick später folgte ihr Owen. »Ich denke, es ist ein subtilerer Vorgang«, sagte er schließlich. »Eine kleine Veränderung bedeutet vielleicht nicht viel, aber wenn man genug davon aneinanderreiht… Ich meine, wir haben nicht mal die leiseste Idee, wie unsere Kräfte funktionieren. Warum sie kommen und gehen, wie sie es nun mal tun. Manchmal sind wir einfach Kämpfer mit mehr Biß, und zu anderen Zeiten sind wir nahezu Götter. Wir lenken unsere Kräfte nicht selbst. Sie lenken uns.«
»Sieh mal«, sagte Hazel. »Falls du versuchst, mir Angst einzujagen, hast du Erfolg, also laß es lieber. Für unseren Zustand haben wir nun mal kein Handbuch erhalten, und wir können nur darauf hoffen, durch die Praxis zu lernen.«
»Es ist gefährlich, eine neue Waffe einzusetzen, ohne vorher das Kleingedruckte zu lesen. Sie könnte Nebeneffekte haben, die uns noch nicht aufgefallen sind. Vielleicht verbrauchen wir unsere Lebenskraft. Verbrennen all die Jahre, die wir sonst noch hätten. Die Energie, die unsere Kräfte antreibt, muß schließlich aus irgendeiner Quelle stammen. Die Kerze, die doppelt so hell brennt, hält nur halb so lange durch. Und wir haben heller gebrannt als Sonnen.«
»Mein Gott, du bist heute aber in einer morbiden Stimmung!
Ich fühle mich prima. Ich fühle mich besser als prima. Vielleicht leben wir ewig.«
»Und noch etwas: Warum sind wir alle mit unterschiedlichen Kräften aus dem Labyrinth hervorgegangen?«
»Warum nicht?« fragte Hazel vernünftig. »Wir alle waren verschiedene Menschen.«
»Ja, aber… Manches von dem, was wir tun, ähnelt ESP. Jakob und Ruby sind Zünder, und Giles konnte teleportieren. Ich habe so etwas wie Psychokinese. Aber wie zum Teufel stellt Ihr das an, was Ihr tut? Was sind diese verschiedenen Versionen Eurer selbst, die Ihr in einem Kampf heraufbeschwören könnt?«
»Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte«, antwortete Hazel. »Ich rufe sie einfach, und sie tauchen auf. Keine von ihnen ist nachher jemals lange genug geblieben, um Fragen zu beantworten. Giles dachte, es wären Versionen meiner selbst von anderen Zeitschienen – also Personen, zu denen ich mich hätte entwickeln können, wäre das Leben anders verlaufen.«
»Schon, aber Zeitschienen sind reine Theorie«, gab Owen zu bedenken. »Niemand hat je beweisen können, daß verschiedene Dimensionen existieren, geschweige denn Kontakt mit ihnen aufgenommen. Vielleicht sind Eure anderen Ichs nur Produkte Eurer Vorstellungskraft, denen die Kraft in Euch Wirklichkeit verleiht.«
»Auf keinen Fall«, erwiderte Hazel mit Bestimmtheit. »Ich habe einige dieser anderen Ichs gesehen. Eine so gute Vorstellungskraft habe ich nicht.«
»Ja, aber…«
»Owen, ich weiß es nicht! Und weder ist jetzt die Zeit noch ist hier der Ort für eine Diskussion! Hör jetzt auf, Fragen zu stellen, und bring deinen Hintern in Schwung, oder ich trete dir den Arsch den ganzen Hang hinauf.«
Owen dachte darüber nach. »Das tätet Ihr wirklich, nicht wahr?«
»Verdammt richtig. Und jetzt los!«
Den restlichen Weg legten sie schweigend zurück, und schließlich erreichten sie die große runde Öffnung in der Granitwand, die zu den gewaltigen, unter der Burg ausgehobenen Höhlen führte. Owen hatte hier seine persönlichen Flieger und sonstigen Fahrzeuge geparkt, als er noch in der Burg wohnte.
Ihm erschien die Annahme vernünftig, daß auch Valentin und seine Kumpane ihre Schiffe in diesen Höhlen angedockt hatten, was bedeutete, daß die Öffnung nach wie vor passierbar sein würde. Und Owen kannte einen Geheimgang, der direkt von der Haupthöhle ins große Schlafzimmer führte.
»Ein Geheimgang?« hatte Hazel gefragt.
»O ja. Über ihn bin ich aus der Burg geflüchtet, als sich meine Leute damals gegen mich wandten.«
»Und niemand außer dir kennt ihn?«
»Es ist ein Familiengeheimnis. Nur David habe ich davon erzählt, und er ist jetzt tot.«
Lautlos stiegen sie bis an die Unterkante der Öffnung und hielten sich reglos wie Kletten am kalten Gestein fest, während sie danach lauschten, ob nicht irgendwo ein Zeichen davon zu hören war, daß man sie entdeckt hätte. Nach einer Weile gab Owen Hazel mit einer Handbewegung zu verstehen, daß er über die Kante in die Höhlenöffnung klettern wollte. Sie nickte, und er holte tief Luft und machte sich bereit. Theoretisch konnten bewaffnete Posten in beliebiger Zahl zugegen sein, die die geparkten Schiffe bewachten, aber das erschien ihm unwahrscheinlich. Nach allen normalen Begriffen hätten die Höhlen unerreichbar sein müssen. Pech für Valentin, daß Owen und Hazel schon seit längerer Zeit nicht mehr in Rufweite des Normalen lebten. Owen packte den Granitsims fest und zog sich mit einer raschen, fließenden Bewegung in die Höhle hinauf. Innerhalb einer Sekunde war er auf den Beinen, den Disruptor in der Hand, und suchte nach einem Ziel, aber alles blieb ruhig. Vier Luxusjachten mit abgestellter Energie standen hier nebeneinander, ebenso eine Handvoll Einmannflieger, aber ansonsten waren die Höhlen verlassen. Kein einziger Posten in Sicht. Owen tapste verstohlen weiter hinein und lauschte angestrengt nach dem leisesten Geräusch, hörte aber nur den eigenen Atem. Er senkte die Waffe und atmete etwas leichter.
»Alles frei, Hazel.«
Es dauerte nur einen Augenblick, bis sie über den Keramikboden gerannt kam und neben Owen stand, die Projektilwaffe in einer Hand, eine Granate in der anderen. Argwöhnisch blickte sie sich um. »Eigentlich müßte jemand hier sein. Es ergibt doch keinen Sinn, teure Schiffe wie diese unbewacht herumstehen zu lassen.«
»Wer sollte sie schon stehlen?« fragte Owen vernünftig.
»Nur Valentin und seine Privatarmee halten sich hier auf.«
»Was ist mit Überwachungskameras?«
»Oz kennt immer noch geheime Zugriffscodes für alle Sicherheitslektronen der Burg. Zur Zeit bearbeitet er die übermittelten Signale, damit wir nicht zu erkennen sind. Bei den Einsatzbesprechungen wurde das alles behandelt, Hazel. Ich wünschte wirklich, Ihr hättet daran teilgenommen.«
»Um dir den Spaß daran zu verderben, mir alles zu erklären?
Das hättest du mir nie verziehen.« Sie drehte sich langsam einmal völlig herum und kontrollierte die Ecken und Schatten.
»Mir gefällt es immer noch nicht. Es ist zu leicht. Hätte ich mir so viel Scheußliches zuschulden kommen lassen wie Valentin, würde ich mir alle Ein- und Ausgänge stark bewacht wünschen.«
»Er verläßt sich wahrscheinlich auf die Sicherheitssysteme.
Ich habe wirklich die allerbesten installiert. Und seine aufgemotzten Satelliten würden jedes normale Schiff abwehren.«
»Darüber habe ich nachgedacht«, sagte Hazel. »Was, wenn sie gemeldet haben, daß sie das Feuer auf uns eröffneten?«
»Was schon? Nach dem, was sie auf uns abgefeuert haben, sind sie wahrscheinlich davon ausgegangen, daß wir aufgrund der eingesteckten Schäden beim Landeanflug verbrannt sind.«
»Du benutzt das Wort ›wahrscheinlich‹. An Valentin Wolf ist überhaupt nichts besonders wahrscheinlich. Er ist höllisch paranoid; er denkt anders als wir anderen.«
»Hazel, vertraut mir. Hier bin ich zu Hause; ich weiß, was ich tue. Steckt jetzt bitte diese Waffe und die Granate weg, ehe Ihr einen unglücklichen und sehr lauten Unfall habt. Ich möchte mich mal umsehen.«
»Was gibt es hier schon zu sehen?« fragte Hazel. »Es ist nur eine Höhle.«
»Die erste von mehreren Höhlen«, sagte Owen und sah bewußt nicht hin, als Hazel die Schußwaffe und die Granate irgendwo an sich versteckte. »Als ich hier noch verantwortlich war, haben wir in den Zusatzhöhlen all die Sachen gelagert, für die wir in der eigentlichen Burg keinen Platz fanden. Ihr wärt erstaunt zu sehen, wieviel Schrott sich ansammelt, wenn eine Familie so alt ist wie meine. Und natürlich wagt man nicht, etwas davon wegzuwerfen, weil man fürchtet, künftige Generationen könnten einen als Barbaren beschimpfen. Weil man nie weiß, wann irgendein jahrhundertealter Mist wieder in Mode kommt oder sich als praktisch erweist, um eine alte Familienfehde oder einen alten Streit beizulegen. Ich habe die besten Stücke in der Burg ausgestellt und den Rest hier unten gelagert.
Alles ist sorgfältig katalogisiert. Irgendwo. David sagte, er würde nach seinem Einzug ordentlich aufräumen, aber ich denke nicht, daß er genug Zeit hatte. Wie auch immer, ich fühle mich besser, wenn ich nachgesehen habe. Ich mag keine Überraschungen.«
Er ging auf die Rückwand zu. Hazel verdrehte kurz die Augen, bis sie an die polierte Decke blickte, und folgte ihm, wobei sie den abgestellten Jachten weiträumig auswich, nur für den Fall, daß sie mit Alarmsystemen ausgestattet waren, die auf Annäherung reagierten. Owen kam allerdings nicht weit. Er blieb vor dem Eingang zur nächsten Höhle stehen, der mit einem leuchtenden Kraftfeld blockiert war. Er stand ganz reglos, und Hazel konnte seiner angespannten Haltung entnehmen, daß irgend etwas ganz und gar nicht stimmte. Sie beeilte sich, zu ihm zu gelangen, die Schußwaffe wieder in der Hand. Sie trat neben ihn und erstarrte, das Gesicht vor Abscheu verzerrt. Hinter dem durchsichtigen Kraftfeld war die Höhle von Wand zu Wand und vom Boden bis zur Decke mit Leichen vollgepackt.
Nicht respektvoll auf getrennten Platten oder Tischen aufgebahrt, sondern einfach so dicht wie möglich gestapelt. Eine Temperaturanzeige neben der Öffnung verriet, daß ein Kühlsystem die Leichen auf fast dem absoluten Nullpunkt hielt.
Einige der toten Gesichter waren Owen und Hazel zugewandt, und durch den Frost auf ihnen schimmerten die gefrorenen Augen fast lebendig.
»Nun«, sagte Owen schließlich, »jetzt wissen wir, was sie mit den Leichen gemacht haben.«
»Owen…«
»Jetzt nicht. Ich möchte die übrigen Höhlen überprüfen.«
Und so gingen sie von einer Höhle zur nächsten, von Öffnung zu Öffnung, und fanden alle restlos mit den eingefrorenen Toten von Virimonde gefüllt. Owen versuchte zu schätzen, wie viele Leichen es waren, aber selbst, wenn er die gewaltige Größe der Höhlen überschlug, konnte er die Dimension nicht fassen. Die Zahlen waren einfach zu riesig. Er blieb vor dem Eingang zur letzten Höhle stehen, konnte nicht weitergehen.
Alle Kräfte verließen ihn einfach. Hazel trat neben ihn und legte ihm tröstend die Hand auf den Arm, aber er spürte es kaum.
»Ich habe das Gefühl, ich müßte etwas tun«, sagte er leise.
»Ich weiß jedoch nicht, was. Sie waren mein Volk. Sie sind immer noch mein Volk. Selbst wenn sie tot sind. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Er hatte die Hände hilflos zu Fäusten geballt. Hazel drückte sich an ihn, versuchte ihn mit ihrer Nähe zu stützen und zu trösten.
»Ich schätze, Euch macht das nicht viel aus«, sagte er.
»Schließlich wart Ihr eine Klonpascherin.«
»Ich habe die Leichen nie gesehen«, sagte Hazel. »Nur manchmal hatte ich Alpträume… Warum, denkst du, hat Valentin sie…«
»Wer weiß noch, warum Valentin etwas tut?«
Hazel zögerte, als sie die kalte, bittere Wut in seinen Worten hörte, redete dann jedoch weiter. »Der Wolf ist verrückt, aber sein Wahnsinn hat immer Methode. Er muß einen Grund gehabt haben. Warum sollte er sich sonst die Mühe machen, sie einzufrieren?«
»Wie ich Valentin kenne, ist es wahrscheinlich ein sehr beunruhigendes Motiv.« Owen ließ die Luft in einem langen Seufzer fahren und öffnete die Fäuste. »Ich sage: Finden wir den Mistkerl und fragen ihn. Und falls mir seine Antworten nicht gefallen, knalle ich ihn so lange immer wieder vor die Burgmauer, bis ihm das Blut aus den Ohren fließt.«
»Klingt für mich nach einem guten Plan«, sagte Hazel.
Owen ging voraus zur Rückwand der Fliegerhöhle und öffnete eine getarnte Tür in der Wand. Dahinter lag ein schmaler Steingang, der nach oben führte. Lichter sprangen entlang des Tunnels an und erhellten ihn. Hazel war insgeheim beeindruckt.
»Er führt zu einer weiteren Geheimtür in meinem alten Schlafzimmer«, sagte Owen. »Von dort haben wir Zugang zu allen wichtigen Bereichen der Burg. Die Gebäudesicherheit beruht mehr auf Menschen als auf Tech. Aristokraten haben es nicht gern, wenn man sie ausspioniert. Haltet die Hand so, daß Ihr rasch das Schwert ziehen könnt, aber laßt Eure Schußwaffen in Ruhe. Beim Lärm einer Schußwaffe kämen die Wachtposten aus allen Richtungen angerannt. Und ich möchte keinen Krieg führen. Ich möchte nur Valentin in die Hand bekommen.«
Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Hazel Owen dafür angeschnauzt, daß er ihr Lektionen über solch offenkundige Umstände hielt, aber diesmal blieb sie friedlich. Das Reden half ihm, sich abzulenken. Sie folgte ihm in den Tunnel, und die Tür schwang hinter ihnen zu. Ihre Schritte klangen in der Stille sehr laut. Und dann blieb Owen plötzlich stehen und blickte hin und her.
»Was ist los?« fragte Hazel leise.
»Irgendwas stimmt hier nicht«, antwortete Owen.
Hazel blickte den Tunnel hinauf. »Ich sehe nichts.«
»Ich auch nicht, aber ich spüre es. Ihr nicht?«
Hazel konzentrierte sich, wollte ihre Gedanken in die seltsamen Richtungen aussenden, die ihrem Bewußtsein offenstanden, aber da packte Owen sie und zerrte sie zu Boden. Sie schlug so heftig auf, daß es ihr die Luft aus den Lungen drückte. Owen landete nur einen Augenblick später neben ihr und warf einen Arm über sie, um sie am Boden festzuhalten. Und von allen Seiten zuckten Disruptorstrahlen aus getarnten Geschützluken.
Wären sie beide stehen geblieben, hätte der Beschuß Hackfleisch aus ihnen gemacht.
»Soviel zu deinem Geheimgang, Todtsteltzer!« zischte Hazel und versuchte, sich in den massiven Felsboden hineinzugraben.
»Sie müssen es aus David herausbekommen haben, ehe er starb«, sagte Owen. »Versucht, Euch rückwärts zur Tür zu schlängeln.«
»Zum Teufel damit«, erwiderte Hazel. »Ich habe schließlich meinen Stolz. Warten wir doch, bis sich die Strahler abschalten, und rennen dann los, während sie sich wieder aufladen.«
»Erstens feuern sie gestaffelt. Sie werden sich nicht abschalten. Zweitens zielen sie langsam immer tiefer. Jetzt schlängelt Euch, verdammt!«
Sie krochen, so schnell sie konnten, durch den Tunnel zur Tür zurück, und die Disruptorstrahlen verfehlten sie um höchstens zwei oder drei Zentimeter. Die immer tiefer haltenden Strahler versengten die Luft direkt über Owen und Hazel und erfüllten den Tunnel mit dem Gestank ionisierter Luft. Owens Kleider ruckten beim Rückwärtskriechen hoch, was ihn verlangsamte, und er hörte Hazels zahlreiche Schußwaffen und Munitionsgürtel über den Boden scharren. Er riskierte einen Blick hinüber, gerade zum richtigen Zeitpunkt, um zu sehen, wie ein Disruptorstrahl ihren aufgerichteten Ellbogen erwischte, den Ärmel verdampfte und das freigelegte Fleisch verbrannte. Hazel schnitt eine Grimasse, gab aber keinen Laut von sich und kroch weiter. Der Geruch verbrannten Fleisches vermischte sich kurz mit dem Ozon.
Owen verdoppelte seine Anstrengungen und krabbelte rückwärts, so schnell er sich nur überwinden konnte. Er spürte beinahe, wie die Energiestrahlen die Luft direkt über ihm durchschnitten. Und dann wurde er gestoppt, als er mit den Füßen heftig an die geschlossene Stahltür stieß. Er stemmte sich mit aller Kraft gegen die Tür, aber sie gab nicht nach. Er wurde zornig und trat mit beiden Füßen zu. Die schwere Stahltür flog auf, war halb aus den Angern gerissen. Er blickte erneut zu Hazel hinüber. Sie hob bei dem Geräusch leicht den Kopf, und ein Disruptorstrahl nahm genau Kurs auf ihre Stirn.
Owen hatte das Gefühl, daß die Zeit langsamer wurde und fast stehenblieb und der Energiestrahl nur noch durch die Luft kroch. Und es war für Owen das leichteste auf der Welt, einen Satz nach vorn zu machen und seine goldene Hadenmännerhand zwischen Hazel und den Strahl zu halten, und der Disruptorschuß prallte harmlos ab. Die Zeit stürzte in ihre normale Geschwindigkeit zurück. Owen packte Hazel und zog sie mit sich, als er sich aus dem Tunnel herauswarf, zurück in die Haupthöhle. Sie schlugen heftig auf dem Boden auf und rollten sich von der Öffnung weg, brachten soviel Distanz wie möglich zwischen sich und den tödlichen Tunnel. Eine Zeitlang lagen sie nebeneinander und kamen wieder zu Atem. Dann standen sie ein wenig zittrig auf.
»Nun«, fragte Owen, »fühlt Ihr Euch immer noch unverwundbar?«
»Ach, halt die Klappe, Todtsteltzer. Wird es dir nicht leid, immer recht zu behalten?« Sie hob behutsam den Arm und musterte mit gekräuselter Lippe die Verbrennung. »Scheußlich.
Aber es wird heilen. Danke für die Rettung, Hengst.«
»Jederzeit«, sagte Owen.
Hazel betrachtete seine goldene Hand. »Ich muß sagen, ich bin beeindruckt. Der durchschnittliche Disruptorstrahl kann in weniger als einer Sekunde Stahlplatten verdampfen, aber von deinem modischen Goldaccessoire ist er einfach abgeprallt.«
»Die Hadenmänner leisten gute Arbeit.« Owen beugte die goldenen Metallfinger ein wenig befangen. »Irgendwann muß ich mich einmal mit ein paar menschlichen Wissenschaftlern zusammensetzen, damit sie dieses Ding durchgreifend analysieren, aber wie es scheint, finde ich einfach nie die Zeit dafür.
Wenn man ein Rebellenheld ist, heißt es in einem fort nur Tempo, Tempo, Tempo.«
»Gilt genauso für Kopfgeldjäger.«
»Stimmt. Wo wir davon sprechen: Ich habe eine neue Idee, wie wir uns den lieben Valentin schnappen könnten.«
»Schluck sie herunter. Deine letzte Idee hat sich als verdammt heiß erwiesen.«
»Und diese neue wird Euch auch nicht besonders gefallen.
Aber wir können hier nicht herumtrödeln; diese Disruptoren müssen überall Alarm ausgelöst haben, als sie losschossen.
Gleich werden hier Wachleute auflaufen. Eine Menge Wachleute, und bis an die Zähne bewaffnet.«
»Sollen sie nur kommen«, entgegnete Hazel. »Sollen sie ruhig alle kommen. Ich könnte schon was gebrauchen, um meine Frustration auszutoben.«
»Nicht zum erstenmal entgeht Euch der tiefere Sinn meiner Feststellung. Die Wachleute könnten uns hier festnageln, während Valentin und seine Kumpane fliehen. Und ich sehe lieber diese Burg in Trümmern liegen, als das zu erlauben. Diesmal wird Valentin für seine Verbrechen zahlen. Mit Blut.«
»Immer wieder mal erinnerst du mich daran, warum ich dich mag«, sagte Hazel. »In Ordnung, Todtsteltzer. Ich werde bestimmt bereuen, diese Frage gestellt zu haben, aber wie sieht dein toller neuer Plan aus?«
»Es gibt noch einen Geheimgang. Einen, von dem ich David nie erzählt habe. Ein Todtsteltzer behält immer ein paar Geheimnisse für sich.«
»Die Sache hat einen Haken«, sagte Hazel. »Ich weiß, daß sie einen Haken hat.«
»O ja! Der Eingang zum anderen Tunnel liegt in der Rückwand der ersten Höhle links. Der einzige Weg dorthin führt an den aufgehäuften Leichen vorbei.«
»Oh, das ist ja mal nett, Owen! Wie zum Teufel sollen wir das anstellen? Die Leichen einzeln rausziehen?«
»Zu zeitaufwendig. Die Wachtposten hätten uns erreicht, ehe wir richtig anfingen. Nein, ich sehe nur eine Möglichkeit. Wir müssen hindurchkriechen.«
»Nein!« erklärte Hazel kategorisch.
»Hazel…«
»Nein! Bist du verrückt? Uns den Weg durch Leichen graben, uns mit den Händen hindurchschaufeln? Das tue ich nicht, Todtsteltzer. Lieber stehe und kämpfe ich hier.«
»Und sterbt?«
»Ich tue das nicht!«
»Ihr wart einmal Klonpascherin!«
»Ich hatte längst vor, die Klonpascher zu verlassen, als ich dich kennenlernte. Wir können das nicht tun, Owen. Da drin ist es gefroren. Fast auf den absoluten Nullpunkt.«
»Wir haben schon Schlimmeres ausgehalten«, erwiderte Owen. »Die Wachleute werden nie auf die Idee kommen, uns zwischen den Leichen zu suchen.«
»Weil keine geistig gesunde Person überhaupt auf die Idee käme, sowas zu machen. Ich kann nicht, Owen, ich kann einfach nicht. Es wäre, als würde ich durch die Inhalte der Gefrieranlagen auf dem Klonpascherschiff kriechen. Wie der Stoff meiner Alpträume.«
»Nein, wäre es nicht. Diesmal bin ich dabei. Ihr müßt es tun, Hazel. Es ist unsere einzige Möglichkeit. Und ich schaffe es nicht ohne Euch.«
»Du bist ein Mistkerl, Todtsteltzer. Du hast dich schon immer darauf verstanden, unsauber zu kämpfen.« Hazel holte lange und ungleichmäßig Luft, die sie dann langsam wieder herausließ. »In Ordnung. Tun wir es. Bevor mir ein Anflug von Gehirn hochkommt und ich dir sage, du sollst dich zum Teufel scheren.«
»Folgt mir einfach. Ich zeige Euch den Weg.«
»Verdammt richtig, das wirst du.«
Owen ging voraus, zur Höhle hinüber. Im Augenwinkel sah er, daß Hazel stur nach vorn blickte, das Gesicht eine kalte Maske, während ihre Augen an ein verängstigtes Kind erinnerten. Owen hatte sie noch nie verängstigt erlebt, richtig verängstigt.
»Also«, sagte er und suchte nach den richtigen Worten, »Ihr hattet also schon daran gedacht, von den Klonpaschern wegzugehen, ehe wir uns kennenlernten?«
»Habe ich«, antwortete Hazel. »Sie waren sogar für mich zu grob. Und die Bezahlung war mies.«
»Wie dumm von mir. Ich dachte, es hätte vielleicht etwas mit Moralität zu tun gehabt.«
»Gebrauche in meiner Gesellschaft nicht das M-Wort, Todtsteltzer!«
Sie blieben vor dem Höhleneingang stehen. Von hinter dem schimmernden transparenten Kraftfeld blickten ihnen tote Gesichter entgegen. Hazel griff unwillkürlich nach ihren Waffen, aber sie boten ihr keinen Trost. »Zum Teufel mit dir, Todtsteltzer. Jemand wird dafür bezahlen!«
»Bleibt bei dieser Einstellung. Sie wird sich als sehr praktisch erweisen, wenn wir uns am anderen Ende durch Valentins Privatarmee hindurchkämpfen müssen.«
Hazel schnaubte. »Mit niederschmetternden Chancen werde ich schon fertig. Daran bin ich gewöhnt. Halt jetzt die Klappe und mach die verdammte Tür auf. Das schaffst du doch, oder?«
»Ich arbeite daran.«
Owen musterte das Kraftfeld nachdenklich, und ihm kam eine Idee. Er griff auf die KI zu.
»Oz, verfügst du immer noch über die Kommandoprioritäten für die Burgsysteme?«
»Natürlich. Ich kenne die Prioritätscodes für jedes System hier, ebenso für jedes neue System, das angeschlossen wurde, seit wir von hier fortgingen. Es sei denn, David oder Valentine haben sie noch einmal geändert.«
»Unwahrscheinlich. David hat sich bestimmt nicht die Mühe gemacht, und Valentin hatte nicht genug Zeit. Versuche es, Oz.
Isoliere dieses System, schalte das Kraftfeld der Höhle ab und aktiviere es wieder, sobald wir hindurch sind. Ohne irgendeinen Alarm auszulösen.«
Die KI schniefte. »Du verlangst nicht gerade viel, was?
Welch ein Glück für dich, daß ich ein solch überlegenes Modell bin. Aber ehe ich die üblichen Wunder wirke – darf ich darauf hinweisen, daß ich keine Kontrolle über die Gefrieranlagen habe, die Valentin in diesen Höhlen installiert hat? Es sind komplett eigenständige Systeme, auf die ich keinen Zugriff habe. Die Temperatur in der Höhle, die du betreten möchtest, entspricht nicht gerade dem absoluten Nullpunkt, kommt diesem Wert aber so nahe, wie du es wahrscheinlich niemals mehr erleben wirst – es sei denn, du öffnest eine Luftschleuse und trittst ins Vakuum des Alls hinaus. Obwohl ich dir so etwas durchaus zutrauen würde. Ich habe schon deprimierte Lemminge auf Fenstersimsen erlebt, mit Überlebensinstinkten, die deine übertreffen. Ich möchte es mit dem Hinweis bewenden lassen, daß jeder normale Mensch, der diese Höhle beträte, extrem rasch erfrieren würde. Mal vorausgesetzt, der Schock hätte ihn nicht vorher erwischt.«
»Hazel und ich sind keine normalen Menschen, Oz. Schon eine ganze Weile nicht mehr. Öffne die Höhle.«
Plötzlich war ein Schnalzen sich neutralisierender Energien zu hören, und das Kraftfeld war nicht mehr da. Eisige Luft stürzte aus der Höhle hervor und kondensierte in der Außenhöhle zu dichtem Nebel. Die bittere Kälte traf Owen und Hazel wie ein Schlag, und sie zuckten unwillkürlich zusammen. Sie zitterten heftig und hielten sich aneinander fest, um sich Halt zu geben. Zu riechen war nichts, kein Gestank des Todes oder der Verwesung. Dazu war es einfach zu kalt.
Owen und Hazel traten widerwillig vor, und die kalte Luft schmerzte in ihren Lungen. Die nächstliegende Leiche war die einer Frau in zerrissener Bauernkleidung. Die Ränder der von Energiewaffen erzeugten Wunden, die sie getötet hatten, waren schwarz verkohlt. Ihr Gesicht war eine blutige Ruine. Es fehlte zur Hälfte. Owen streckte eine Hand nach ihr aus, zögerte dann jedoch. Die Hand zitterte, und das nicht vor Kälte.
»Wenn sie so kalt ist, wie ich denke, könntest du eine Erfrierung bekommen, nur indem du sie anfaßt«, sagte Hazel.
»Kein Grund zur Sorge«, sagte Owen. »Bei Hofe habe ich eine Menge Frauen dieser Art gekannt.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich dachte, ich hätte schon alles erlebt. Habe geglaubt, ich hätte soviel Tod und Leid gesehen, daß mir dies hier nichts mehr ausmachen würde. Aber ich habe mich wohl geirrt.«
»Sobald du aufhörst, etwas zu fühlen«, sagte Hazel, »stirbt auch ein Teil von dir. Der menschliche Teil. Aber so schlecht du dich auch fühlst, du hast trotzdem vor, diese Aktion durchziehen, oder?«
»Natürlich. Sie ist notwendig. Er hat meine Welt gemordet.«
Owen zog den Disruptor, zielte damit auf die gestapelten Leichen vor sich und feuerte. Der Energiestrahl riß einen Pfad durch die froststarren Toten und erzeugte einen Tunnel von einem knappen Meter Durchmesser. Es sah aus, als hätte sich ein riesiger Wurm oder eine gigantische Made auf dem Weg zu einer unbekannten, scheußlichen Bestimmung einen Weg durch den Leichenberg gefressen. Owen steckte den Disruptor weg und wandte sich an Hazel.
»Wir kriechen durch den Tunnel, so weit er reicht. Ihr müßt Leichen hinter uns hereinziehen, um unsere Spur zu verwischen. Was ich uns an zusätzlichem Raum verschafft habe, ermöglicht es uns, am Ende des Tunnels zu manövrieren.«
Hazel sah ihn für einen Moment an. »Nichts wird dich aufhalten, was, Todtsteltzer?«
»Nein. Ich weiß, daß das schwierig für Euch wird, Hazel, aber… Ich brauche Euch. Tut es für mich.«
»In Ordnung. Für dich. Dafür schuldest du mir dann jedoch einen verdammt großen Gefallen.« Finster musterte sie den Tunnel. »Es wird dunkel sein, sobald wir… innerhalb des Leichenbergs. Wie sollen wir unseren Weg erkennen?«
»Ich weiß, wo ich die Geheimtür finde«, sagte Owen. »Ich spüre sie in meinen Gedanken. Ihr braucht mir nur zu folgen.
Sorgt Euch nicht. Ihr schwebt ja nicht in Gefahr, Euch darin zu verirren. Gehen wir.«
Und er wandte sich von ihr ab und betrat die Kammer der Toten. Die bittere Kälte schnitt ihn förmlich auf, und er zitterte so heftig, daß ihm die Zähne klapperten. Die gefrorene Luft brannte in Hals und Lungen, als hätte er Rasierklingen geschluckt. Sofort bildete sich Rauhreif auf Haar und Augenlidern, und die Augen taten ihm weh, als die Flüssigkeit darin zu frieren begann. Owen blinzelte kräftig, knirschte mit den Zähnen und kniete nieder, um in den Tunnel zu kriechen, den er eben erzeugt hatte. Nicht einmal mit dem auf volle Kraft und breite Streuung eingestellten Disruptor hatte er einen besonders breiten Tunnel schießen können. Er würde auf allen vieren hindurchkriechen müssen. Er stieß sich die Knie an den Leichen, die so hart wie Beton gefroren waren. Der Energiestrahl hatte einige von ihnen so sauber aufgeschnitten wie mit dem Skalpell eines Chirurgen und dabei festgefrorene Innereien freigelegt. Sie waren überwiegend grau, mit ein paar blassen Schattierungen von Rosa und Purpur; die schreckliche Kälte hatte ihnen sogar die Lebendigkeit der Farben entzogen.
Owen rutschte weiter vor, streckte die Hände aus, packte die Leichen vor sich und zerrte sich hinein. Das tote Fleisch war so kalt, daß es ihm die nackten Hände verbrannte. Alle Instinkte schrien ihn an, er solle augenblicklich loslassen, aber er hörte nicht hin. Er griff fester zu und zog sich voran. Als er dabei doch den Griff lösen mußte, blieb sein warmes Fleisch am kalten hängen, und er mußte alle Kraft aufwenden, um es loszureißen. Er ließ Hautfetzen zurück, hatte aber keine Schmerzen.
Er weigerte sich, Beunruhigung aufkommen zu lassen. Die Haut würde nachwachsen, und immer weniger würde überhaupt abreißen, da die Hände allmählich abkühlten. Der Körper adaptierte sich schon an die scheußliche Kälte; die Körpertemperatur sackte mit einer Geschwindigkeit ab, die jeden anderen Menschen umgebracht hätte. Nirgendwo fühlte er mehr etwas, und die Augen waren in geöffnetem Zustand festgefroren, aber er zitterte nicht mehr. Arme und Beine fühlten sich an, als gehörten sie jemand anderem. Der Atem dampfte nicht mehr vor ihm in der Luft. Er zog sich weiter durch den Tunnel, tiefer hinein ins Reich der Toten, und die Dunkelheit schloß sich langsam um ihn. Er hörte, daß ihm Hazel dicht auf den Fersen war, vernahm ihren rauhen Atem, und sie war sein einziger Trost.
Der Tunnel war früher zu Ende, als er erwartet hatte. Er packte die Leichen vor sich, zerrte sie auseinander, legte einen Pfad frei. Oft gerieten ihm Gliedmaßen als Hindernisse in den Weg, und er mußte daran ziehen und zerren, sie abbrechen und zur Seite legen, sie aus dem Weg schaffen. Die Arme und Beine brachen sauber ab, Holzstücken gleich. Er versuchte, sie sich als genau das vorzustellen, aber es gelang ihm nicht. Es waren Menschen, sein Volk. Manchmal mußte er mit seiner übermenschlichen Kraft Brustkörbe einschlagen, um den nötigen Platz zu schaffen. Die reglosen Toten widersetzten sich ihm störrisch, und er entwickelte Widerwillen gegen sie. Wußten sie nicht, daß er es für sie tat? Er schlug mit den Fäusten zu und freute sich aus mehr als einem Grund, daß die Hände taub waren.
Er spürte Hazel hinter sich und hörte die abgehackten, brechenden Geräusche ihres langsamen Vorrückens, aber als er ihren Namen krächzte, antwortete sie nicht. Vermutlich setzte die Kälte ihrer Stimme ebenso zu wie seiner. Ohnehin konnte er sich nicht umdrehen und nachsehen, ob irgendwas nicht stimmte. Der Platz reichte nicht. Also machte er weiter, näherte sich der Tür.
Es war inzwischen sehr dunkel. Der letzte Rest des Lichtes, das die Haupthöhle und das neu eingeschaltete Kraftfeld spendeten, war schon lange zurückgeblieben. Überall ringsherum vernahm Owen Geräusche von Bewegung, knarrende Geräusche, während sich die Gewichte im Leichenberg aufgrund seiner Aktionen verlagerten. Es schien fast, als rührten sich die Toten, aufgestört von der Anwesenheit Lebender mitten unter ihnen. Owen war dankbar für die Dunkelheit. Er hegte die lautlose Schreckensvorstellung, eines der toten Gesichter könnte die Augen öffnen und sich zu ihm umwenden, wenn er vorüberkroch, und er glaubte, er könnte recht wohl den Verstand verlieren, falls dergleichen wirklich geschah. Dinge existierten, die anzublicken kein Mensch ertragen konnte, ohne den Verstand zu verlieren. Und so kämpfte sich Owen voran; das Herz hämmerte ihm in der Brust, der Atem ging rauh und ungleichmäßig, und er rechnete fast damit, daß jeden Augenblick eine tote Hand aus der Dunkelheit heraus nach ihm griff und ihn an Arm oder Bein packte.
Angst vor der Enge machte sich langsam in ihm breit, während das Gewicht all der Leichen immer schwerer auf ihm lastete. Erste Zweifel über die eingeschlagene Richtung und die Lage der Geheimtür kamen ihm. In der völligen Dunkelheit konnte er eine Richtung nicht von der anderen unterscheiden.
Soweit er wußte, konnten sie sich genausogut in einem weiten Kreis bewegen, sich hoffnungslos im Totenreich verirrt haben.
Allmählich fand er, daß er schon viel zu lange kroch, ohne irgendwohin zu gelangen. Daß er schon längst an der Tür hätte sein müssen. Daß er hier drin für immer in der Falle saß, in seiner ganz persönlichen Hölle. Aber er war nicht allein. Hazel begleitete ihn. Und allein dieses Wissen gab ihm die nötige Kraft, den Weg fortzusetzen.
Gelegentlich verhakten sich gekrümmte Finger in seiner Kleidung, so daß er abrupt anhalten, blind hinter sich herumtasten und die metallharten Finger abbrechen mußte, ehe er seinen Weg fortsetzen konnte. Obwohl er es nicht sehen konnte, verrieten ihm die Finger, daß die Leichen vor ihm nicht immer vollständig waren. Sein Volk war im Kampf gegen die Invasoren gestorben, in den meisten Fällen eines grausamen Todes.
Die Invasion und die Zerstörung von Virimonde waren den Bewohnern des Planeten ins nachgiebige Fleisch geschnitten worden, und hier lagen die Zeichen aufbewahrt, für jedermann lesbar. Wut brannte in Owen für das, was man diesen Menschen angetan hatte, und diese Wut half ihm, sich zu wärmen, während er sich weiter vorankämpfte.
Endlich erreichte er die andere Seite und stieß mit den Händen an unnachgiebiges Metall. Die Kälte hatte sein Denken verlangsamt, und er dachte eine Zeitlang träge über die Situation nach, ehe ihm klar wurde, daß er am Ziel war. Er schrie Oz an, er solle die Geheimtür öffnen, und eine Platte öffnete sich in der Wand und glitt lautlos zur Seite. Helles Licht fiel heraus und blendete Owens froststarr offenstehende Augen. Er stieß vor Schmerz und Triumph einen heiseren Schrei aus, den Laut einer heiseren Aaskrähe, die man beim Festschmaus auf dem Schlachtfeld gestört hatte. Er zog sich aus dem Leichenberg hinaus in den Gang hinter der Öffnung und brach dort zusammen; Dampf stieg ihm in dicken Schwaden aus dem Leib.
Kalte Luft strömte durch die Öffnung und verdickte sich in der warmen Luft des Korridors zu Nebel. Owen lag hilflos auf dem Boden, und die entsetzliche Kälte spannte und lockerte sich in ihm wie herumratschende Rasierklingen. Die geschürte Hitze des Zorns gloste jedoch immer noch tief in ihm und brannte die Kälte Zentimeter um Zentimeter weg, bis das Leben in den Körper zurückkehrte und er sich wieder bewegen konnte. Die Finger rührten sich als erste, beugten und streckten sich und erzeugten dabei Knacklaute wie Zweige, die zertreten wurden. Der Körper zog sich mehrfach zusammen und entspannte sich wieder in langsamer Folge, während Wärme in kältetote Muskeln zurückfloß. Die Schmerzen waren schlimm, aber Owen begrüßte sie. Sie bedeuteten, daß er wieder zum Leben erwachte, nachdem er so lange zwischen den Toten geweilt hatte.
Nach einer Weile zwang er sich, sich aufzurappeln und zu Hazel umzudrehen, und erst in diesem Augenblick wurde ihm klar, daß sie ihm nicht aus dem Ort der Toten heraus gefolgt war. Sie war nach wie vor dort drin. Er humpelte mit laut knackenden Knien zur Öffnung und rief Hazels Namen. Sie antwortete nicht. Owen schlug mit den Händen nach dem gefrierenden Nebel und bemühte sich, in die darunterliegende Dunkelheit zu blicken, aber selbst seine Augen hatten ihre Grenzen. Er rief erneut nach Hazel, aber Kälte und Dunkelheit verschluckten seine Stimme sofort. Er blickte ins eigene Innere, suchte nach der geistigen Verbindung zu Hazel, aber sie entzog sich ihm, geschwächt durch lange Vernachlässigung. Er hatte sie in der Kälte und der Dunkelheit zurückgelassen, im Reich der Toten. Er mußte dorthin zurückkehren und sie retten.
Etwas in ihm protestierte augenblicklich. Er konnte nicht wieder in die Kälte. Er brachte es einfach nicht fertig. Die Kälte und die Dunkelheit und das Grauen all dessen hatten ihn beinahe vernichtet. Es wäre Wahnsinn, ihnen eine zweite Chance zu geben. Aber noch während er diesen Gedanken nachhing, wurde ihm klar, daß er wieder hineingehen würde.
Er mußte einfach. Hazel brauchte ihn. Ihm tat von Kopf bis Fuß immer noch alles weh, aber es würde vorübergehen. Er fürchtete sich, aber das spielte keine Rolle. Er hatte sich schon früher gefürchtet. Seit langem war Hazel D’Ark das einzige, was ihm noch etwas bedeutete.
Und so atmete er in der eisigen Luft tief ein und schob Kopf und Schultern zurück in die Dunkelheit. Die bittere Kälte schloß sich um ihn wie die Umarmung eines altvertrauten Feindes, aber er zwang sich, sie zu ignorieren, und dachte nur an Hazel. Er überwand sich, in die Dunkelheit zurückzukehren, und auf einmal blieb ihm das Herz stehen, als sich eine kalte Hand um sein Handgelenk schloß. Die Luft entrang sich ihm in einem schmerzhaften Keuchen, und die Vorstellungskraft beschwor für ihn das Bild herauf, wie die Toten ringsherum allmählich lebendig wurden, ihn festhielten, ihn zwangen, in ihrer Eishölle zu bleiben, bis er tot war wie sie. Und dann setzten Herzschlag und Atem wieder ein, als er feststellte, daß es Hazels Hand war, die ihn gepackt hatte.
Er packte sie seinerseits ums Handgelenk, versuchte mit krächzender Stimme etwas Beruhigendes zu sagen, und kämpfte wie rasend darum, sie aus der Kälte zu ziehen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er wieder den Korridor erreichte und Hazel ins Licht und die Wärme hereinzog. Sie kam in einer Folge abrupter Bewegungen zum Vorschein, ohne ihm helfen zu können. Sie war steifgefroren, und als sie endlich auf den Korridorboden fiel, klang es wie der Sturz eines Baumstamms.
Ihre Augen waren zugefroren, das Gesicht zu einem trotzigen Knurren erstarrt, die Zähne zusammengebissen. Ihre Haut war blau.
Owen kniete sich neben sie und rieb kräftig ihre Hände, vor allem, um überhaupt etwas zu tun. Hazels Körper würde die Kälte abwerfen, wie seiner es getan hatte, aber Owen brauchte trotzdem das Gefühl, etwas Hilfreiches zu tun. Dichter Dampf stieg von ihren starren Kleidern auf. Ihr Haar war dick mit Rauhreif überzogen, aber der schmolz rasch dahin und floß in der warmen Luft das Korridors davon. Und langsam, Zentimeter für Zentimeter, entspannte sich Hazel, kuschelte sich schließlich in Owens Arme und murmelte seinen Namen.
Endlich setzte sie sich auf und schob ihn weg, und er wußte, daß sie wieder die alte war. Sie schüttelte langsam den Kopf, als versuchte sie, ihre Gedanken von Spinnweben zu befreien.
»Ich habe mich verirrt. Der Tunnel verlief geradlinig, aber ich… habe mich verirrt, allein in der Dunkelheit. Bei den Toten.
Und du bist gekommen und hast mich geholt.« Sie schlang die Arme um sich und zitterte auf einmal. »Ich habe das Gefühl, als würde mir nie wieder warm werden. Als bliebe mir die Grabeskälte für immer treu.«
»Sie wird vergehen«, sagte Owen.
»Natürlich wird sie das«, sagte Hazel. »Wir sind mehr als nur Menschen, erinnerst du dich? Nicht länger die Opfer menschlicher Ängste und… Schwächen.«
»Hazel…«
»Ich bin wieder okay. Mir geht es gut.«
»Natürlich«, bestätigte Owen.
Sie halfen einander, auf die Beine zu kommen. Owen wies Oz lautlos an, die Wandplatte zu schließen, und die gefrorene Luft war ausgesperrt. Der Nebel im Gang verzog sich allmählich. Owen blickte sich um, suchte nach etwas, das er wiedererkannte. Es war lange her, seit er zuletzt… daheim gewesen war.
»In Ordnung«, sagte Hazel. »In welche Richtung gehen wir, Todtsteltzer?«
»Gebt mir eine Minute«, sagte Owen. »Ich weiß nicht recht…«
»Komm schon, das ist deine Burg…«
»Nun, ja, aber ich denke nicht, daß ich jemals so weit in die Tiefe gestiegen bin. Ich meine, es ist ein großes Anwesen.
Meist habe ich mich in meinem persönlichen Quartier aufgehalten. Bestimmt habe ich mir nie die Mühe gemacht, die haushälterischen Bereiche aufzusuchen. Ich hatte Leute, die das für mich besorgten.«
»Der Lebensstil der Reichen und Nutzlosen. Kein Wunder, daß deine eigenen Leute dich so leicht hinauswerfen konnten.«
»Sie haben mich nicht hinausgeworfen! Ich bin vor einer Übermacht zurückgewichen. Eine völlig vernünftige militärische Strategie.«
»Aber sicher. Sieh mal – möchtest du mir damit sagen, daß du den Weg nicht mehr weißt?«
»Den Gang hinunter und dann nach rechts«, flüsterte Oz ihm ins Ohr. »Dort erreicht ihr Valentins neue Labors.«
»Natürlich weiß ich den Weg«, erwiderte Owen. »Wir müssen einfach dort entlang gehen und dann rechts abbiegen, und wir gelangen direkt zu Valentins neuen Labors. Dort finden wir bestimmt jemanden, den Ihr so erschrecken könnt, daß er uns erzählt, was wir erfahren müssen.«
»Du würdigst einfach nicht, was ich für dich tue«, meinte Oz, als Owen und Hazel sich auf den Weg durch den Korridor machten. »Wirklich nicht.«
»Woher weißt du, wo Valentin seine Labors hat?« fragte Owen ihn lautlos, damit Hazel es nicht hörte.
»Eine treffsichere Vermutung«, antwortete Oz. »Die Zahl der freien Räume ist begrenzt, um die ganze neue Tech unterzubringen, die er angeblich hat.«
»Was täte ich nur ohne dich, Oz?«
»Mir schaudert bei der Vorstellung. Setz jetzt deinen Hintern in Bewegung, ehe irgendwelche Wachleute vorbeikommen.«
Owen gab diesen Gedanken an Hazel weiter, und sie schritten forscher aus. Die Anstrengung half ihnen, die letzten Reste der Kälte aus den Körpern zu treiben. Owen kam sich fast schon wieder wie ein Mensch vor. Hazel mußte es ebenso gehen, denn nach einiger Zeit fiel ihm auf, daß sie sich wieder für die Umgebung interessierte. Diese war der Aufmerksamkeit auch wert. Der Boden war teppichbedeckt, und in den reichen Stoff waren Muster eingewebt, so alt, daß die Schritte von Dienergenerationen der Todtsteltzers die Einzelheiten größtenteils verwischt hatten. Wandbehänge, Portraits und Holos hingen an den alten Steinwänden und zeigten meist die weniger bedeutsamen Ereignisse der langen Todtsteltzer-Geschichte. Die bedeutsameren Ereignisse und Schätze wurden auf den oberen Stockwerken der Burg gezeigt, wo man damit gegenüber aristokratischen Gästen angeben konnte. Zumindest sollten sie dort ausgestellt sein. Owen runzelte die Stirn. Bislang hatte er keinen Hinweis darauf, was Valentin damit womöglich angestellt hatte. Owen traute ihm ohne weiteres zu, alle Todtsteltzer-Schätze auf einen großen Haufen zu schichten und ihn in Brand zu stecken, nur des Vergnügens halber, um das Feuer herumzutanzen. Und der Vorfreude auf das, was Owen dazu sagen würde, wenn er es herausfand. Owen ging ein wenig schneller. Es war ein kleiner Grund zum Zorn, den er hier so vielen übrigen hinzurechnete. Er hielt die ganze Wut sorgfältig unter Kontrolle, weit genug entfernt, um seinem Auftrag nicht in die Quere zu kommen, aber bereit zum Ausbruch, wenn er schließlich dem schurkischen Wolf von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
Dann würde die Abrechnung erfolgen.
Owen folgte Oz’ geflüsterten Wegweisungen, bis er und Hazel plötzlich stehenbleiben mußten, da der Weg von einer Tür versperrt wurde, die hier eindeutig fehl am Platz wirkte. Es war eine massive Stahltür, stumpf und funktionell, mit einem Schloß, dessen Technik mehr als nur auf der Höhe der Zeit war. Hazel trat sofort dicht heran und nahm das Schloß fast hungrig in Augenschein. Hazel und Schlösser waren alte Freunde. Oder Feinde, ganz nach Sichtweise. Owen legte ein Ohr an den kalten Stahl und lauschte angestrengt. Nach einer Weile erkannte er allmählich die gemessenen, sich wiederholenden Geräusche mahlender Maschinen und das Zischen von Gasen, die unter hohem Druck standen. Owen richtete sich auf und runzelte nachdenklich die Stirn. Er hatte nichts in der Burg gehabt, was sich so angehört hätte. Und David hatte auch nichts dergleichen hierhergebracht. Welch neues Grauen hatte der Wolf in Owens altes Heim gebracht? Er blickte zu Hazel hinunter, die nach wie vor das Schloß betrachtete.
»Irgendwas entdeckt?«
»Ja, aber nichts Gutes. Ohne mein Werkzeug dauert das mindestens eine halbe Stunde. Vielleicht noch länger.«
»Zu lange«, erklärte Owen rundweg.
»Das ist mir klar!« sagte Hazel. Sie richtete sich auf und musterte die Stahltür finster. »Wir könnten das Schloß natürlich auch wegschießen.«
»Zu laut. Selbst wenn wir nicht jede Menge Alarmanlagen auslösten, was wir wahrscheinlich damit tun.«
»In Ordnung«, sagte Hazel ungeduldig. »Was schlägst du vor?«
Owen lächelte sie an, ging einen Schritt vor und trat die Tür ein. Das Schloß ging zu Bruch, als sich der massive Stahl unter dem Tritt kräftig einbeulte, und die ganze Tür flog aus den Angeln und stürzte dahinter mit einem zufriedenstellend lauten Krachen zu Boden. Hazel musterte Owen.
»Angeber.«
Sie gingen ins Labor hinein, die Waffen in der Hand, aber niemand kam ihnen entgegen. Die einzige andere Person in dem riesigen Raum war ein Techniker in einem schmuddeligen Kittel, der vor einem Lektronenterminal saß, den Stecker im Genick. Owen und Hazel senkten die Waffen. Der Kybermann war so in seine eigene Welt versunken, daß er es nicht bemerkt hätte, wenn sie ihn erschossen, bis er sich ausstöpselte. Owen und Hazel blickten sich um und versuchten, einen Sinn in dem Haufen Tech und Maschinen zu entdecken, die das Labor zum größten Teil ausfüllten.
Der Raum war riesig. Owen hatte die vage Vorstellung, daß es einmal ein Weinkeller gewesen war. Unbekannte Maschinen standen in Haufen zusammen und bedeckten den größten Teil der Grundfläche, wobei ihre Spitzen bis fast an die Decke reichten. Nichts davon wirkte besonders fein. Es waren meist primitive mechanische Konstruktionen (von daher der Bedarf an einem eingestöpselten Operator, statt Komm-Implantate zu verwenden), deren Aufgabe es war, die ihnen zugeführten Materialien zu zermahlen, zu raspeln und zu sortieren. Owen drehte sich langsam im Kreis und verfolgte den Weg der Stoffe.
Röhren führten aus den größeren Maschinen heraus, waren an den Steinmauern befestigt und kreuzten einander in einem Chaos von Farbcodes. Was immer sie beförderten gelangte schließlich in ein komplexes Filtersystem, das seinerseits die Endprodukte in konstantem Rhythmus in eine Reihe nicht gekennzeichneter Behälter tropfte. Alle übrige Tech bestand schlicht aus lektronengesteuerten Überwachungsanlagen.
Owen blickte Hazel an, und sie zuckte die Achseln, was er auch so ziemlich erwartet hatte. Also, wer im Zweifel ist, sollte jemanden fragen. Und zwar laut.
Owen marschierte zu dem Labortechniker hinüber, der glücklich und selbstvergessen mit seinen Lektronen kommunizierte, riß ihm den Stecker aus dem Nacken, drehte ihn auf dem Stuhl herum und steckte ihm die Schußwaffe in die Nase. Der Tech brauchte einen Augenblick, um zu bemerken, was geschah, war noch benommen vom plötzlichen Ausstieg aus den Lektronensystemen; dann faßte er Owens Gesicht ins Auge und sah noch besorgter aus, falls das überhaupt möglich war. Owen bedachte ihn mit einem häßlichen Lächeln, und der Tech wimmerte doch tatsächlich. Hazel trat von der anderen Seite hinzu und schenkte ihm ihr schönstes bedrohliches Funkeln, und der Mann machte sich beinahe in die Hose. Owen hatte fast schon das Gefühl, er würde eine Marionette schikanieren, unterdrückte den Gedanken aber schonungslos. Er hatte es hier mit einem von Valentins Leuten zu tun, der Mittäterschaft schuldig.
»Hallo«, wandte sich Owen an den Mann, und es klang ganz und gar nicht freundlich. »Ich bin Owen Todtsteltzer. Der Alptraum, der rechts von Euch Fleisch geworden ist, heißt Hazel D’Ark, und Ihr steckt tief in der Scheiße. Antwortet umfassend und wahrheitsgetreu auf meine Fragen, dann lebt Ihr vielleicht gerade lange genug, um vor Gericht zu stehen. Nickt, falls Ihr mir soweit folgen konntet.«
Der Techniker nickte, so gut er das mit der Schußwaffe in der Nase vermochte. Jede Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen, kaum daß Owen sich namentlich vorgestellt hatte, und kalte Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Owen war insgeheim beeindruckt. Er hatte gar nicht gewußt, daß er so furchteinflößend wirkte.
»Wer seid Ihr?« knurrte er den Tech an. »Und welchem Zweck dienen all diese Geräte? Zunächst einen Überblick, dann die Einzelheiten!«
»Ich bin Pierre Trignent, mein Lord«, antwortete der Techniker rasch, und es war kaum mehr als ein Flüstern. »Bitte, ich bin nur ein kleiner Fisch. Ein Niemand! Ihr seid bestimmt hinter denen her, die mir die Befehle geben. Ich tue nur, was man mir sagt.«
»Wir holen uns die schon«, sagte Hazel. »Beantworte jetzt seine Frage: Was tust du hier?«
Trignent schluckte heftig und schlug die Augen nieder. Er hatte vor zu lügen. Owen spürte es. Er beugte sich vor, bis er mit dem Gesicht direkt vor dem seines Opfers war. Der Tech versuchte, im Stuhl zu versinken, aber er fand einfach keinen Platz.
»Falls Ihr lügt«, sagte Owen, »merke ich das. Ich kann mir die Antworten notfalls von jemand anderem holen, aber ich schwöre Euch, daß Ihr das nicht mehr miterleben würdet.«
»Ja, mein Lord, aber…«
»Ich bin kein Lord mehr, aber immer noch ein Todtsteltzer.
Erzählt mir jetzt alles, was Ihr wißt, oder ich demonstriere Euch, was es bedeutet, ein Todtsteltzer zu sein.«
»Das hier ist eine Verarbeitungs- und Raffinierungsanlage, mein… Sir Todtsteltzer. Wir geben das Rohmaterial hinein, spalten es in seine chemischen Grundbestandteile auf, schöpfen die gewünschten Rückstände ab und lagern sie, bis sie später vom Planeten abtransportiert werden.«
»Aber was ist das Rohmaterial?« fragte Owen ungeduldig.
»Und worin zum Teufel besteht das Endprodukt?«
»Die Esperdroge«, antwortete Trignent widerwillig. »Wir stellen die Esperdroge her.«
Owen und Hazel sahen sich gegenseitig an. Sie hatten in ihrer Zeit bei der Esper-Bewegung schon von der Esperdroge gehört, aber ihre Zusammensetzung sollte eigentlich geheim sein. Trotzdem – falls irgend jemand in Frage kam, um eine neue Droge auszugraben, dann Valentin. Und die Produktion auf Virimonde anzusiedeln war ein guter Weg, sie geheimzuhalten. Das Parlament hatte nur durch Zufall davon erfahren, daß er hier war. Owen nickte bedächtig. Soweit war ihm alles klar. Aber nichts davon erklärte, warum der Tech solche Angst hatte…
»Was ist das Rohmaterial?« fragte Owen. »Woraus raffiniert Ihr die Esperdroge?«
»Bitte«, sagte Trignent. Er brach in Tränen aus. »Bitte habt Verständnis dafür. Ich tue nur, was mir befohlen wird. Sie hätten mich umgebracht, wenn ich es nicht getan hätte.«
»Ich bringe Euch um, wenn Ihr mir nicht antwortet! Was ist das Rohmaterial?«
»Die Toten«, sagte Pierre Trignent. »Die Toten von Virimonde.«
Danach blieb es eine geraume Weile lang ganz ruhig. Abgesehen von den langsamen, gleichmäßigen Geräuschen der Produktionsmaschinerie, die den neuesten Schub Rohmaterial verarbeitete.
Owen hielt die Augen fest zugekniffen, aber er sah weiterhin, was er jetzt als Mahlmaschine zur Breiherstellung erkannte. Er sah weiterhin seine toten Untertanen, aufgestapelt wie Hölzer, tiefgefroren, damit sie erhalten blieben, bis sie gebraucht wurden. Er öffnete die Augen wieder, und der Techniker brauchte nur einen Blick auf die kalte Wut zu werfen, die sich darin aufbaute, um ganz schnell draufloszureden, fast zu plappern, als wäre er erleichtert, es endlich jemandem erzählen zu können.
»Der Lord Wolf ist hierhergekommen, weil so viele Leichen vorhanden waren, die er verwerten konnte. Die Esperdroge ist schon immer aus menschlichem Gewebe gewonnen worden, genau wie die ESP-Blocker aus totem Hirngewebe von Espern stammen, aber man braucht jede Menge… von dem Rohstoff, um auch nur eine geringfügige Menge des Endprodukts herzustellen. Deshalb war die Esperdroge auch immer so selten, so geheim. Der Lord Wolf entdeckte hier eine Gelegenheit zur Massenproduktion und nutzte sie. Er verarbeitete Hunderttausende von Toten und produzierte größere Mengen der Droge, und das auch in reinerer Form, als dies je zuvor möglich war.
Es ist wirklich ein ganz einfacher Vorgang, sobald man erst alles aufgebaut hat. Nur ich und eine Handvoll weitere Personen sind da, um alles im Auge zu behalten. Bitte, ich bin ein Niemand, habe nur getan, was mir gesagt wurde…«
»Ihr habt die Vernichtung meines Volkes überwacht, um eine Droge herzustellen, die so suchterzeugend ist, daß sie jeden versklavt, der sie einnimmt«, sagte Owen in sehr leisem und sehr gefährlichem Ton. »Ich habe meinen Anteil am Grauen erlebt, in vielen Kriegen und auf vielen Schlachtfeldern. Ich bin durch Blut und Innereien gewatet, habe getötet, bis mir die Arme weh taten, habe gesehen, wie die Guten und die Bösen niedergemetzelt wurden, aber nie zuvor ist mir etwas derartig Kaltblütiges begegnet wie dies hier. Die Vernichtung der Toten… um ein Gift für die Lebenden herzustellen. Die Menschheit selbst in ein Produkt verwandeln. Oh, mein Volk… mein Volk…«
Mit bebenden Schultern wandte er sich ab, und Hazel trat auf ihn zu. Trignent erblickte seine Chance und flüchtete zur Tür.
Und Owen Todtsteltzer wandte sich um, Tränen in den Augen, und schoß dem Mann in den Rücken. Der Energiestrahl bohrte ein Loch quer durch Rücken und Brust und schleuderte Trignent an den Türrahmen. Er hielt sich dort für einen Moment fest, war schon tot, und sackte dann langsam in sich zusammen. Owen schüttelte langsam den Kopf, als wollte er leugnen, was er gerade gehört hatte. Hazel trat zu ihm, aber er gab ihr mit einem Wink zu verstehen, sie sollte sich entfernen. Er hatte in sich keinen Raum für etwas anderes als Grauen und Trauer und das wütende Bedürfnis, gegen die Ursache des Schmerzes zurückzuschlagen.
»Ich hätte ihn nicht erschießen sollen«, sagte er schließlich.
»Er war ebenso schuldig wie die anderen.«
»Ja, aber ich habe ihn nicht deshalb erschossen. Ich habe es getan, weil ich einfach jemandem weh tun mußte. Jemanden bestrafen mußte. Jemanden außer mir. Sie waren mein Volk.
Ich hätte hier sein müssen, um es zu beschützen.«
»Oh, laß es gut sein, Owen! Man hat dich für gesetzlos erklärt. Verbannt. Komm endlich darüber weg! Jeder hier hat dir den Rücken zugewandt.«
»Das macht keinen Unterschied. Ich hatte die Verantwortung für diese Menschen. Oz?«
»Ja, Owen?«
»Schalte diese Obszönität ab. Komplett. Egal, was dafür nötig wird.«
»Ja, Owen.«
»Jetzt«, sagte Owen Todtsteltzer, »gehen wir Valentin und seine Kumpane suchen. Und töten sie alle.«
Als der Chef von Valentin Wolfs Sicherheitsleuten etwas nervös auf dem Bildschirm in der großen Halle erschien und Valentin nacheinander darüber informierte, zwei Fremde wären irgendwie in der Fliegerhöhle unter der Burg aufgetaucht, wären als der legendäre Owen Todtsteltzer und die berüchtigte Hazel D’Ark identifiziert worden, hätten sich dann ungeachtet aller Sicherheitsvorkehrungen den Weg in die eigentliche Burg gebahnt und könnten, na ja, in diesem Augenblick praktisch überall sein – da hätte man eine Stecknadel fallen hören können, nachdem er ausgeredet hatte. Man hätte die Stecknadel sogar noch in der Luft hören können. Der Silvestri ließ einen seiner Dolche fallen. Der Romanow wurde ganz blaß. Und der letzte Schluck Wein, den der Kartakis zu sich nahm, geriet ganz in die falsche Richtung und erstickte ihn beinahe. Valentin Wolf ignorierte die unangenehmen Geräusche und konzentrierte sich auf den zunehmend unglücklichen Sicherheitschef, der auf dem Bildschirm zu sehen war.
»Wollt Ihr mir damit sagen«, fragte Valentin fast freundlich,
»daß alle unsere umfangreichen und unglaublich teuren Sicherheitsvorkehrungen keine zwei Leute daran hindern konnten, hier einzudringen?«
»Nun, im Grunde ja, mein Lord. Schließlich sind die beiden Leute…«
»Ich weiß, wer sie sind. Deswegen habe ich schließlich Euch und Eure Leute engagiert. Und Euer Gesicht verrät mir schon, daß noch mehr schlechte Nachrichten vorliegen. Wie lauten sie?«
Der Sicherheitschef sah noch unglücklicher aus, falls das möglich war. »Irgendein äußeres System ist in unsere Lektronen eingedrungen und gerade dabei, die Verarbeitungsanlage abzuschalten.«
»Nun, korrigiert mich, falls ich mich irre, und ich denke nicht, daß ich es tue«, sagte Valentin. »Aber ich scheine mich zu erinnern, wie Ihr mir erklärt habt, daß dergleichen völlig und vollkommen unmöglich wäre.«
»Ja, mein Lord. Streng genommen ist es wirklich unmöglich.
Es dürfte nicht passieren.«
»Aber das tut es.«
»Ja, mein Lord.«
»Ihr seid gefeuert«, erklärte Valentin. »Holt Euch die Abfindung und weist Euren Stellvertreter an, Euren Kopf an einen Stuhl zu nageln, ehe Ihr aufbrecht. Und nein, Ihr erhaltet keine Empfehlung.«
Er schaltete den Bildschirm aus und lehnte sich zurück. Der Silvestri hob den Dolch auf, der ihm entglitten war. »Ihr hättet ihn umbringen lassen sollen, Wolf.«
»Seid nicht albern, Carlos«, erwiderte Valentin geistesabwesend. »Söldner haben eine sehr starke Gewerkschaft.« Er lachte auf einmal in sich hinein, ein leiser, gefährlicher Laut. »Lieber Owen, woher wußtet Ihr nur, daß Ihr mich hier findet? Ich habe meine Spuren extrem sorgfältig verwischt. Und doch seid Ihr jetzt hier, taucht wieder mal überraschend auf und ruiniert mir den Tag. Stets seid Ihr bestrebt, mir den Spaß zu verderben.
Trotzdem hoffe ich, daß Ihr meine kleine Vergeltung zu würdigen versteht. Schließlich benötigt jede dramatische Szene ein Publikum, das sie zu würdigen weiß.«
Der Silvestri zog den zweiten Dolch aus dem Auge eines Portraits und zerriß dabei absichtlich die alte Leinwand. »Ich habe keine Angst vor dem großen bösen Todtsteltzer. Soll er doch kommen. Er und sein Miststück.«
Der Romanow warf den unbezahlbaren Wandbehang ab, den er wie einen Umhang getragen hatte, und runzelte nachdenklich die Stirn. »Ihr habt vielleicht nicht genug Verstand, um Euch vor dem Todtsteltzer zu fürchten, aber ich schon. Er ist ein gefährlicher Mann. Er hat die meisten Dinge, die man ihm nachsagt, tatsächlich vollbracht. Sogar diejenigen, die unmöglich klingen. Aber im Gegensatz zu Euch übrigen hatte ich gleich das Gefühl, unsere Sicherheitskräfte könnten sich als unfähig erweisen, eine lebende Legende aufzuhalten oder auch nur zu verlangsamen, falls diese von unserem Unternehmen hier Wind bekommen sollte. Also habe ich eigene Vorkehrungen getroffen. Eine kleine Überraschung, besonders für den Todtsteltzer. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wollt, oder sogar wenn nicht, so gehe ich jetzt lieber und packe sie aus.«
Er marschierte hocherhobenen Hauptes hinaus. Valentin spendete seinem Abgang lässig Beifall, und sein Scharlachlächeln wurde noch breiter. »Überraschungen. Ich liebe Überraschungen ja so! Wie es sich trifft, habe ich selbst eine oder zwei für den lieben Owen vorbereitet.«
»Sie sollten lieber den plötzlichen Tod unserer Feinde mit sich bringen, oder wir stecken in ernsten Schwierigkeiten«, meinte der Kartakis, der den Atem wieder unter Kontrolle hatte. Er klang auf einmal sehr ernst und schien keinesfalls glücklich darüber. »Der Todtsteltzer wird wirklich nicht erfreut sein, wenn er erfährt, was wir aus seinem alten Heim gemacht haben.«
»Ich habe keine Angst vor ihm«, versetzte der Silvestri trotzig.
»Ja, nun, das kommt daher, daß Ihr ein kompletter Idiot seid«, sagte der Kartakis gelassen. »In unserer Branche ist das normalerweise ein Vorteil, aber zur Zeit können wir uns Genüsse wie den Wahnsinn nicht erlauben. Wir müssen nachdenken. Einen Plan entwickeln. Wir haben Leute und Ressourcen.
Wenigstens hat der Todtsteltzer nicht noch eine Armee zur Unterstützung mitgebracht.«
»Er benötigt keine Armee«, gab Valentin zu bedenken. »Er hat Hazel D’Ark.«
»Ihr seid bemerkenswert ruhig bei dieser Geschichte!« schnauzte der Kartakis. »Wißt Ihr etwas, das sich unserer Kenntnis entzieht, oder habt Ihr heute ein paar Pillen extra eingenommen?«
Valentin lächelte gelassen. »Ich habe einen Plan. Einen sehr unerfreulichen Plan, geradezu maßgeschneidert, um Owens Schwächen auszunutzen. Ihr braucht nicht mehr zu tun, als diese D’Ark beschäftigt zu halten. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wollt – ich muß die Ausführung in die Wege leiten. Oh, es wird ja soviel Spaß machen, ihn leiden zu sehen!«
Er erhob sich, verneigte sich elegant und ging. Er spazierte in gelassener Haltung davon, als hätte er keine Sorge auf der Welt. Die beiden Aristokraten blickten ihm hinterher.
»Dieser Mann lebt nicht in derselben Wirklichkeit wie wir anderen«, bemerkte der Silvestri.
Der Kartakis schnaubte. »Bei seinem Plan geht es wahrscheinlich darum, seine Verluste abzuschreiben, uns im Stich zu lassen und wie der geölte Blitz zum Horizont zu flitzen.
Wenn wir überleben möchten, müssen wir selbst dafür sorgen.
Wir können sie aufhalten. Wir müssen einfach etwas… vorbereiten… was sie aus dem Konzept bringt.«
»Ich habe keine Angst vor den…«
»Wollt Ihr endlich aufhören, das zu sagen! Ihr täuscht damit niemanden.«
»Mich am allerwenigsten«, sagte Owen Todtsteltzer.
Die beiden Aristokraten wirbelten herum, und da stand er groß und einschüchternd unter der Tür, ein Schwert in der Hand, als gehörte es dorthin und hätte es schon immer getan.
Er machte ein ernstes Gesicht, der Blick kalt und gleichmäßig, und er wirkte vom Scheitel bis zu Sohle wie die eigene Legende. Hazel D’Ark war an seiner Seite und lehnte lässig am Türrahmen, eine große Projektilwaffe in der Hand. Allein bei ihrem Anblick spürte Athos Kartakis bereits, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Er hatte so viele Duelle bestritten, daß er sie nicht mehr zählen konnte, hatte dabei dem Tod ins Gesicht geblickt und ihm in die knöcherne Augenhöhle gespuckt, aber nie zuvor so viel Angst um sein Leben verspürt wie jetzt. Er hatte einen Disruptor unter den Kleidern stecken, aber er wußte, daß er schon den Versuch, ihn zu ziehen, nicht überleben würde. Es sei denn, ihm fiel ein, wie er für Ablenkung…
»Nun, Silvestri«, sagte er so gelassen, wie er es nur hinbekam, »Ihr habt doch stets geäußert, Ihr könntet es mit dem Todtsteltzer aufnehmen. Fühlt Euch frei, den Beweis anzutreten.«
Owen musterte den Silvestri interessiert. Der Aristokrat bedachte den Kartakis mit einem anklagenden Blick, und erwiderte dann Owens Blick mit Festigkeit.
»Ihr macht mir keine Angst«, sagte er laut. »Ich habe von Euren übermenschlichen Kräften gehört, aber für mich klingen sie nach etwas, hinter dem sich ein Feigling gut verstecken kann. Wie steht es damit, Owen? Habt Ihr den Mumm, als Mann gegen mich zu kämpfen, nicht als Monster? Denn ich kann es mit Euch aufnehmen, Mann gegen Mann, Stahl gegen Stahl, und tief im Herzen wißt Ihr es.«
»Na, der hört ja nicht mehr auf zu reden«, meinte Hazel.
»Sprich des richtige Wort, Owen, und ich schieße ihm die Augen weg.«
»Nein«, sagte Owen. »Ich könnte ein wenig Unterhaltung gebrauchen.« Er sah den Kartakis an. »Mischt Euch ja nicht ein! Das würde Hazel nicht gefallen.«
»Käme nicht mal im Traum auf die Idee«, versicherte ihm der Kartakis aufrichtig. Er wich zurück, zeigte offen beide Hände und dachte angestrengt nach.
Owen trat langsam in die große Halle hinaus und sah sich dabei die diversen Schäden am Inventar seines alten Heims an.
Er sah nicht wütend oder auch nur aufgebracht aus; er wirkte einfach etwas kälter und noch gefährlicher. Carlos Silvestri kam ihm entgegen und bewegte sich dabei leichtfüßig auf den Fußballen, ein schmales Messer in jeder Hand. Er sah auf seine eigene Art ebenfalls gefährlich aus, aber es war nichts, verglichen mit der kalten Unerbittlichkeit des Todtsteltzers, und alle, die zugegen waren, wußten es. Die beiden Männer kamen in der Mitte des Saals zum Kampf zusammen, und alle wußten, wie es enden würde.
Die beiden Männer umkreisten einander ohne Eile, die Klingen für jede Lücke bereitgehalten, die womöglich in der Verteidigung des anderen entstand. Theoretisch war es ein mehr oder weniger ausgeglichener Kampf. Messer waren auf kurze Distanzen ausgezeichnete Waffen, hatten aber keine Reichweite. Es sei denn, man warf sie und riskierte damit, sich selbst zu entwaffnen. Das Schwert andererseits verfügte über eine ordentliche Reichweite, aber wenn es auf Tuchfühlung ging, konnte man die lange Klinge nirgendwo mehr so rasch zur Geltung bringen wie ein Messer.
Der Silvestri startete den ersten Angriff und bewegte dabei die rechte Hand so schnell, daß das menschliche Auge ihr kaum folgen konnte. Owen parierte den Schlag und mußte dann zurückspringen, als die linke des Silvestris mit tödlicher Geschwindigkeit und Absicht aus dem Nichts heranschoß, auf Owens ungeschützten Unterleib gezielt. Die blitzende Klinge verfehlte Owens Bauch um weniger als einen Zentimeter.
Owen zog das eigene Schwert in einem raschen Rückhandschlag herum, der dicht über den Kopf des Silvestris zischte, als sich dieser im letzten Augenblick duckte. Und dann umkreisten sie einander wieder, ruhig und gesammelt und tödlich kalt.
Nachdem er Owen mit einer Finte zum Gegenangriff verlockt hatte, warf der Silvestri das Messer in der Linken nach Owens rechtem Auge. Das Schwert des Todtsteltzers war zu langsam für eine Parade, aber kaum weiteten sich die Augen des Silvestris vor Triumph, da zuckte Owens goldene Hadenmännerhand hoch, fing das Messer im Flug ab und schlug es zur Seite. Während der Silvestri für einen Augenblick aus dem Konzept war, zog Owen sein Schwert glatt durch den Hals des Gegners. Der Kopf fiel herunter und rollte über den Boden, bis er an die Füße des Kartakis’ stieß. Dieser zog lautlos eine Grimasse des Widerwillens und nahm die Füße ein wenig zurück.
»Fühlst du dich jetzt besser?« fragte Hazel.
»Etwas«, antwortete Owen. Er atmete nicht mal schwer.
In diesem Augenblick hatte Pieter Romanow seinen Auftritt, umgeben vom lauten Summen angestrengt arbeitender Servomotoren. Alle wandten sich um und sahen ihn an, während er unter der Tür stehenblieb und posierte. Er trug ein enormes Exoskelett, dessen Metallknochen ihn umgaben und stützten, während an beiden Unterarmen rechteckige Kraftfelder wütend vor sich hinbrummten. Owen hatte dergleichen schon früher gesehen, normalerweise von Docksarbeitern auf Raumhäfen getragen, um schwere Frachten zu entladen. Aufgrund des hohen Gewichts verbrannten diese Exoskelette eine Menge Energie, so daß sie sich auf Schlachtfeldern nie als wirklich praktisch erwiesen hatten. Owen mußte jedoch einräumen, daß die Apparatur eine ganz brauchbare kurzfristige Antwort auf Leute wie ihn und Hazel darstellte.
»Los, greift mich an, ihr Monster«, forderte Pieter Romanow hoheitsvoll. »Ich bin Euch jetzt gewachsen. Ich kann mich schneller bewegen, als es die Muskeln eines Menschen vermögen, und meine Kraft entspricht der von zehn Männern, denn meine Tech ist rein. Ich reiße Euch die Arme aus den Gelenken, die Köpfe von den Schultern, und meine Hunde werden Eure Eingeweide schmausen.«
Owen kämpfte noch immer mit einer passend eleganten Antwort, die ohne vulgäre Kraftausdrücke auskam, als Hazel vortrat.
»Ich bin an der Reihe«, erklärte sie mit Bestimmtheit. »Du kannst nicht den ganzen Spaß für dich haben, Todtsteltzer.«
»Seid mein Gast«, verkündete Owen großzügig.
Hazel marschierte auf den abwartenden Romanow zu und blieb ein vorsichtiges Stück außerhalb seiner Armreichweite stehen. Andere Hazels tauchten sporadisch rings um sie herum auf und verschwanden wieder, aber sie schob sie entschlossen zur Seite. Sie hegte eine wirklich amüsante Vorstellung von dem, was sie tun würde, und war nicht bereit, den Spaß mit irgend jemandem sonst zu teilen, auch nicht mit anderen Versionen ihrer selbst. Sie steckte die Projektilwaffen in die Halfter und bedachte den Romanow mit einem häßlichen Lächeln.
Er bewegte sich unbehaglich. Welche Reaktion er auch immer erwartet hatte, eine Gegnerin mit bloßen Händen und eklatantem Selbstvertrauen war es sicherlich nicht.
Hazel streckte ohne Eile die Hand nach den zurückgelassenen Mahlzeiten auf dem Tisch aus und griff sich ein reifes Stück Obst. Sie zerdrückte es, so daß ihr dicker Brei und Saft durch die Finger tropften, und warf die klebrige Masse nach dem Romanow. Ihr Arm schnellte mit übermenschlicher Kraft und Schnelligkeit vor, und das klebrige Geschoß überwand die Abwehr des Romanows, ehe er auch nur die Arme mit den Energieschilden heben konnte. Die zermatschte Frucht landete präzise im Ziel, direkt im Zentrum der freiliegenden Servomotoren am linken Arm des Romanows, und erzeugte dort ein wundervolles elektrisches Chaos. Funken flogen, und etliche Motoren schlossen sich kurz.
Der Romanow schrie empört auf und griff an, bewegte sich dabei für jemanden von seiner Größe und seinem Gewicht entsetzlich schnell. Hazel sprang auf den Tisch und wich dort dem Zugriff des Romanows blitzschnell aus. Sie schnappte sich weitere liegengebliebene Lebensmittel, zerdrückte sie zu triefendem Brei und warf sie mit verheerender Zielgenauigkeit.
Der Romanow wirbelte seine Energieschilde verzweifelt hin und her, war aber kein Gegner für Hazels Schnelligkeit und Reflexe. Immer mehr Servomotoren versagten ihm den Dienst, erlitten Kurzschlüsse und wurden hoffnungslos verklebt. Hazel lachte spöttisch.
Der Romanow brüllte vor Zorn, packte den schweren Tisch mit beiden Händen und kippte ihn rasch um. Hazel sprang hinunter, absolvierte im Flug einen Purzelbaum und landete auf den Schultern des Romanows. Sie schlang ihm die Beine um den Hals und drückte zu. Sein Gesicht lief hellrot an, und er bekam keine Luft mehr. Er wollte die Hände heben und Hazel herunterzerren, aber sie packte seinen exponierten Kopf fest mit beiden Händen.
»Wir wollen uns doch richtig verstehen«, sagte sie ruhig.
»Du ärgerst mich, und ich werde dir den Kopf von den Schultern reißen. Und deine Servomotoren sind dermaßen verkleistert, daß du überhaupt keine Chance mehr hast, mich zu packen, ehe ich damit fertig bin. Klar?«
Der Romanow dachte darüber nach. Durch das Summen der Energieschilde hörte er deutlich, wie weitere Servomotoren Kurzschlüsse erlitten. Und er mußte jetzt wirklich bald wieder Luft bekommen. Er schaltete die Energieschilde ab und lächelte Owen hoffnungsvoll an.
»Ich würde jetzt wirklich gern kapitulieren. Bitte.«
Hazel lächelte triumphierend und lockerte den Griff ein wenig. Sie sah Owen an. »Liegt bei dir, Todtsteltzer. Wenn du ihn tot sehen möchtest, gehört er dir.«
»Ach verdammt«, sagte Owen müde. »Bringen wir ihn vor Gericht. Er ist zu jämmerlich, um ihn umzubringen. Ich möchte nur Valentin.«
»In welchem Fall ich mich wirklich auch ergeben möchte«, warf der Kartakis ein. Er löste vorsichtig den Schwertgürtel und ließ ihn zu Boden fallen. Dann zog er mit Daumen und Zeigefinger den Disruptor aus dem versteckten Halfter und ließ ihn auch fallen. Hazel nickte kurz.
»In Ordnung, komm herüber zu Lord Festgeklemmt, und mach keinen Mucks, ohne daß ich es will.«
»Ich würde es nicht wagen«, sagte der Kartakis.
Hazel gab den Hals des Romanows aus der Beinklammer frei und stieg ihm von den Schultern. Owen wartete, bis Hazel sich entfernt hatte, und fixierte dann die beiden Aristokraten mit einem kalten Blick, der sie verunsicherte. »Wo finde ich Valentin Wolf?«
»Er ist kurz vor Eurem Eintreffen gegangen«, antwortete der Kartakis. »Sagte, er wollte eine Überraschung für Euch vorbereiten. Hat nicht gesagt, was für eine, und wir haben nicht gefragt. Das tut man nicht bei Valentin Wolf.«
»Ich habe ihn entdeckt«, murmelte Oz Owen ins Ohr. »Ich stehe nach wie vor mit den Sicherheitssystemen der Burg in Verbindung. Valentin hält sich gerade in der Sicherheitszentrale auf und fährt eine Gruppe sehr seltsamer Programme auf den Lektronen. Frag mich aber nicht, was für welche. Ich kann nicht behaupten, daß mir je so etwas untergekommen wäre.«
»Es ist egal, was er dort hat«, meinte Owen. »Ich bringe ihn sowieso um. Hazel, bleibt hier und bewacht die beiden. Oz hat Valentin entdeckt.«
»Jetzt mal langsam!« warf Hazel ein. »Ich möchte nicht, daß du allein hier herumläufst. Wir sind Partner, weißt du noch?«
»Ich weiß«, antwortete Owen. »Aber ich muß das allein tun.«
Hazel nickte widerstrebend. »Achte darauf, daß es nicht zu lange dauert, oder ich komme dich suchen.«
»Verstanden. Behaltet die beiden hier gut im Auge. Ihr könnt ihnen nicht trauen.«
»Natürlich nicht«, sagte Hazel. »Es sind Lords.«
Sie lächelten sich an, und Owen drehte sich um und ging.
Hazel schlenderte zu dem umgestürzten Tisch hinüber und lehnte sich daran. Der Kartakis bewegte sich ein klein wenig näher an die Waffen heran, die er fallengelassen hatte, erstarrte aber, als Hazel ihn mit funkelndem Blick fixierte. »Seid so frei, etwas zu probieren, meine Lords«, sagte sie. »Und ich bin so frei, mir etwas noch Amüsanteres auszudenken.«
Die beiden Lords sahen sich an und blieben dann ganz reglos.
Owen suchte sich rasch den Weg durch leere Steinflure und näherte sich dabei unerbittlich dem, was früher einmal seine Sicherheitszentrale gewesen war. Er war entschlossen, jeden gnadenlos niederzumachen, der ihn aufzuhalten oder zu behindern versuchte, aber er begegnete überhaupt niemandem. Was merkwürdig war. Wo steckten die Wachen? Owen ging ein klein wenig langsamer, während er darüber nachdachte. Bislang hatten Hazel und er in der Burg lediglich ein paar Wachtposten, zwei Aristokraten und einen einzelnen Labortechniker angetroffen. Wo steckten alle nur? Und welche unerfreuliche Überraschung plante Valentin für ihn? Owen schnitt ein finsteres Gesicht und schritt wieder schneller aus. Er mochte keine Rätsel. Er wollte einfach nur Valentin tot und blutig zu seinen Füßen liegen sehen, brauchte das regelrecht. Owen hatte vielleicht sein Volk nicht retten können, war aber immer noch in der Lage, es zu rächen.
Er zwang sich zu einer schnelleren Gangart, und bald rannte er regelrecht durch die vertrauten Steinflure, daß seine Stiefel laut auf den dicken Teppichen hämmerten. In ihm war für nichts anderes mehr Raum als Schuld und Schmerz und das Verlangen nach blutiger Vergeltung, die beides zum Schweigen brachte.
Endlich erreichte er die einzelne Stahltür, die zu seiner früheren Sicherheitszentrale führte. Er zügelte seine Wut und sein Verlangen und überwand sich dazu, die Tür sorgfältig zu untersuchen. Sie bestand aus etliche Zentimeter dickem, massivem Stahl ohne erkennbaren Schloßmechanismus. Zweifellos waren ein Dutzend Fallen daran montiert, von getarnten Disruptoren bis zu scharfen Sprengsätzen. Owen scherte sich nicht darum.
Er konzentrierte sich, tastete über den bewußten Verstand hinaus nach innen ins Stammhirn, das Unterbewußtsein, und dort erwachte etwas und spannte sich zum Sprung, platzte dann ohne Hemmung heraus. Der Gedankenimpuls riß die Stahltür so heftig aus dem stählernen Rahmen, daß sie in den dahinterliegenden Raum flog. Die versteckten Disruptoren und Sprengsätze wollten sich scharfmachen, aber Owen schaltete sie mit einem einzigen Gedanken ab. Seine Kraft war jetzt voll erwacht und brannte hell in ihm. Er betrat den Raum durch den leeren Türrahmen, nur um vom Laut leisen, ironischen Beifalls gestoppt zu werden. Auf der Seite gegenüber, fast im Schatten verborgen, saß Valentin Wolf lässig auf einem Drehstuhl und klatschte in die langen weißen Hände. Er war ganz in Schwarz gekleidet, und das leichenfahle Gesicht schien ohne Stütze in der Düsternis zu schweben.
»Wunderbarer Auftritt, Owen! Ihr habt wirklich einen Sinn fürs Dramatische entwickelt. Was für eine Steigerung! Ihr wart immer so anständig und spießig, ehe man Euch zum Gesetzlosen erklärte. Wirklich, es hat Euch zu dem gemacht, was Ihr heute seid.«
Owen trat ein paar Schritte vor und sah sich dabei vorsichtig um. Eine Menge Lektronen und Monitore und Terminals, aber kein Bedienungspersonal und keine Wachen. Nur Valentin, scheinbar ungerührt. Nichts und niemand, das oder der noch zwischen dem Todtsteltzer und seiner Rache gestanden hätte.
»Steht auf, Wolf«, sagte er leise, die Stimme so kalt und sicher wie der Tod. »Es ist vorbei. Hier endet es.«
»Oh, seid doch nicht so vorhersagbar, Owen«, versetzte der Wolf, verschränkte gelassen die Arme und lehnte sich zurück.
»Müssen wir wirklich das tun, was alle von uns erwarten? Die traditionellen Rollen des gutherzigen Helden und des niederträchtigen Schurken zu Ende spielen? Wir haben ein größeres Potential. Wir haben so viel gemeinsam, Ihr und ich. Wir sollten fast Brüder im Geiste sein.«
»Ich bin Euch in keiner Weise ähnlich, Wolf«, erwiderte Owen rundweg.
»Wirklich nicht? Was habe ich denn anderes getan als Ihr in Eurer Zeit als Rebell? Ich zweifle nicht daran, daß Ihr viel mehr Menschen umgebracht habt als ich, ungeachtet all meiner Bemühungen.«
»Ihr seid verantwortlich für den Tod dieses Planeten. Für die Auslöschung seiner Bevölkerung.«
»Nun, andere haben mir geholfen, aber wie viele sind auf Euer Betreiben auf Nebelwelt und Golgatha ums Leben gekommen? Wie viele gute Soldaten, die nur Befehlen folgten und ihre Pflicht taten? Die nichts von Politik verstanden und nur dem Gesetz Geltung verschafften? Uns beiden kleben Blut und Tod und Grauen an den Händen. Aber macht Euch keine Sorgen deswegen. Wir stehen über solchen Dingen. Wir sind inzwischen mehr als nur Menschen, und menschliche Grenzen gelten für uns nicht mehr.«
»Es geht nicht darum, was wir getan haben«, entgegnete Owen, »sondern darum, warum wir es getan haben. Ich habe getötet, wenn es nötig wurde, habe darum gekämpft, das Morden zu stoppen. Ihr habt es zum Vergnügen getan.«
»Möchtet Ihr damit sagen, daß Ihr es nicht genießen würdet, mich zu töten?«
»Nein, das möchte ich überhaupt nicht sagen.«
»Seht Ihr? Gewöhnliche Einschränkungen existieren für uns nicht. Wir können wunderbare, schreckliche Dinge tun, begrenzt nur durch unsere Vorstellungskraft und die Beengtheit unserer Vision. Wir werden diese Dinge tun; wir müssen sie tun, weil wir dazu fähig sind. Bleibt nicht in der Vergangenheit stecken, Owen. In dem Mann, der Ihr einmal wart, bevor man Euch den erweckenden Schlag versetzte. Ihr seid nach wie vor um kleinliche Vorstellungen besorgt, um Pflicht und Ehre und Gesetz. Das Gesetz ist für die kleinen Leute da; die Ehre für Menschen, die sich fürchten, mehr zu sein, als sie sind; und unsere einzige Pflicht gilt inzwischen uns selbst: Die Möglichkeiten zu erforschen, die uns offenstehen, alles zu werden, was wir sein können. Alles, was dahinter zurückbliebe, wäre Verrat an dem, was wir aus uns selbst gemacht haben.«
»Ich habe so viel verloren, mußte so vieles aufgeben«, sagte Owen. »Ich werde nicht auch noch meine Menschlichkeit opfern.«
Valentin zuckte gelassen die Achseln. »Vertraut mir, Owen.
Ihr wärt überrascht, wie wenig sie Euch fehlen würde. Aber ich erkenne, daß es gegenwärtig keinen Sinn hat, weiter mit Euch zu reden. Ihr seid nicht bereit, die Wahrheit zu hören. Wenn Ihr einmal so weit fortgeschritten seid wie ich, werdet Ihr es deutlicher sehen. Immerhin, ich mußte es versuchen. Ich erblicke so viel von mir selbst in Euch. Jetzt muß ich aber wirklich gehen.«
»Das denke ich nicht«, sagte Owen. »Falls ich mich richtig erinnere – was ich sicherlich tue –, dann gibt es nur einen Weg, der in diese Zentrale und aus ihr herausführt. Ich blockiere ihn.
Ihr müßt zuerst an mir vorbei. Und so gut wart Ihr noch nie.«
»Wahrscheinlich nicht. Aber das brauche ich auch gar nicht.
Ich habe mich immer darauf verlassen, daß andere die harten, niederen Arbeiten für mich verrichten. Schließlich bin ich ein Lord. Ich habe hier jemanden, der Euch gern kennenlernen würde, Todtsteltzer. Wirklich, sie freut sich schon die ganze Zeit darauf. Ihr habt sie im Stich gelassen, und ich fürchte, daß sie so etwas wie Groll gegen Euch hegt. Ihr konntet noch nie besonders gut mit Frauen umgehen, Owen.« Der Wolf blickte durch eine offene Tür in einen angrenzenden Raum. »Kommt herein und stellt Euch vor, meine Liebe.«
Aus dem angrenzenden Raum waren langsame, stolpernde Schritte zu hören. Owen rümpfte die Nase, als er den Geruch wahrnahm, einen dunklen und organischen Geruch, der völlig fehl am Platz wirkte in der makellosen, hochtechnisierten Sicherheitszentrale. Es roch nach Konservierungsmitteln, die einen kränklich süßlichen Verwesungsgestank nicht ganz verdeckten. Ein kalter Schauer lief Owen über den Rücken, eine düstere Vorahnung. Und dann betrat die tote Frau den Raum und blieb zitternd neben Valentin Wolf stehen. Sie war völlig nackt und hielt ein Schwert in der Hand. Sie hatte einige Zeit unter der Erde gelegen. Die primitiven Bestatter von Virimonde hatten ihr Bestes getan, aber die blaßpurpurfarbene und graue Haut war überall am Körper aufgesprungen und gab den Blick auf implantierte Lektronen und Servomechanismen frei. Das große Y einer Autopsienarbe lief von den eingesunkenen Brüsten bis zur Leiste hinunter, und die Nähte waren gespannt oder zerrissen. Eine einzelne Wunde, die zum Tode geführt hatte, zeichnete sich nach wie vor deutlich auf der Brust ab. Das Gesicht war gespannt und verzogen, an manchen Stellen bis auf die Knochen eingesunken. Die toten Lippen hatten sich aus der Umklammerung der Nähte losgerissen und waren vor den perfekten Zähnen zu einem konstanten Lächeln zurückgezogen, das keinerlei Humor ausdrückte. Die Augen waren tief eingesunken und gelb wie Urin. Das stumpfe blonde Haar war im Grab länger geworden. Trotzdem erkannte Owen sie wieder, und Entsetzen schloß sich wie eine Faust um sein Herz.
»Katie…«
»Kurz und präzise, Todtsteltzer«, sagte Valentin Wolf. »Eure ehemalige Geliebte, Katie DeVries, aus der Zeit, als Ihr noch jung und sorgenfrei wart. Tatsächlich war sie eine imperiale
Spionin, die Euch im Auge behalten sollte, und Ihr mußtet sie in Notwehr töten. Eure erste Liebe, die in Euren Armen starb.
Eine wahrhaft rührende Szene, da bin ich sicher. Und hier ist sie wieder, mein kleines Geschenk an Euch.
Seht Ihr, ich habe meine Hausaufgaben gemacht, was Euch angeht, Owen. Ich weiß, was Euch bewegt und was Euch zurückhält. Ich ließ die gute Katie ausgraben, als ich zum ersten Mal hier war, und wies meine Leute an, Geistkrieger-Technik in sie einzubauen. Nur für den Fall, daß Ihr mich hier aufspürt und mir erneut Schwierigkeiten bereitet. Jetzt, denke ich, überlasse ich Euch zwei Turteltauben Eurer Zweisamkeit. Ich bin sicher, daß Ihr viel zu bereden habt. Und, Owen… Nur für den Fall, daß Ihr Euch überwinden könnt, sie erneut umzubringen, ehe sie Euch umbringt, habe ich eine weitere kleine Überraschung für Euch arrangiert. Nein, macht Euch nicht die Mühe, mir zu danken. Wozu hat man Brüder?«
Er gab der toten Frau einen Wink, und sie taumelte vorwärts, das Schwert in Bereitschaft. Owen wich zurück, und die Leiche seiner ehemaligen Mätresse folgte ihm. Er wollte sie ansprechen, aber sein Mund erwies sich als zu trocken. Das war nicht Katie. Katie war tot, und die Lektronen, die zur Zeit ihren Leichnam bewohnten, sorgten sich nur um die ihnen einprogrammierten Befehle. Owen wußte das, konnte aber trotzdem nicht gegen sie kämpfen. Nicht gegen sie. Katie zu töten, das war das schwerste, was er je hatte tun müssen, und er glaubte nicht, daß er es erneut fertigbrachte. Und so duldete er, daß sie ihn von der offenen Tür wegdrängte, und Valentin Wolf schlüpfte mühelos an ihnen vorbei und lachte glücklich in sich hinein. Er lachte immer noch, als er durch den Korridor davonhuschte und Owen und die Überreste seiner alten Mätresse zurückließ, damit sie ihre Differenzen untereinander ausmachten.
Und in den Lektronen der Sicherheitszentrale tickte ein Programm langsam auf Null hinunter – Valentins letztes Geschenk an den Todtsteltzer.
Derweil langweilte sich Hazel D’Ark in der Haupthalle. Sie saß auf einem Stuhl mit dem Rücken zur Wand, damit sich niemand an sie anschleichen konnte, und behielt den Romanow und den Kartakis im Auge, die still zusammensaßen. Hazel hätte mit Owen über dessen Komm-Implantat Verbindung aufnehmen und nachfragen können, wie es lief, aber sie wußte, wie bissig er reagierte, wenn man ihn störte, während er gerade mit irgend etwas beschäftigt war. Hazel schlug ein Bein übers andere, nur um etwas zu tun zu haben, und wünschte sich, Owen würde endlich damit fertig werden, den Wolf umzubringen. Immer bestand das Risiko, daß er im letzten Augenblick weich wurde und darauf bestand, ihn lebend zurückzubringen und vor Gericht zu stellen, aber sie glaubte es diesmal im Grunde nicht. Hazel schlug das andere Bein über das erste und seufzte schwer. Langweilig, langweilig, langweilig.
Sie funkelte die beiden stillen Aristokraten an und entdeckte erst jetzt, daß der Romanow verschwunden war. Sein Exoskelett saß nach wie vor an gleicher Stelle, aber er steckte nicht mehr darin. Hazel war sofort auf den Beinen, Schußwaffe und Schwert in den Händen, und blickte forschend durch die große Halle. Wie zum Teufel konnte sie nur übersehen haben, wie sich der Romanow davonmachte? Unmöglich, daß er aus so vielen Panzerungsteilen heraussteigen konnte, ohne daß sie es merkte, egal wie sehr sie sich mit ihrer Langeweile beschäftigt hatte. Es sei denn, die Panzerung verfügte über eine eingebaute Tarntechnik in welchem Fall sich der Romanow hätte befreien können, während er sich hinter einer projizierten holographischen Illusion versteckte. Und falls der Romanow diese Illusion jetzt aufgehoben hatte, dann nur, weil er zur Zeit irgendwo durch die Halle schlich, erneut hinter irgendeiner holographischen Projektion versteckt, die ihn für alle praktischen Zwecke unsichtbar machte. Wundervoll!
Hazel streckte das Schwert nach vorn aus und wirbelte einmal im Kreis herum. Sie lauschte angestrengt nach dem leisesten Geräusch, aber die Umgebung erschien ihr völlig lautlos.
Der Romanow konnte überall in dieser verdammten Halle stecken… Sie warf dem Kartakis rasch einen finsteren Blick zu, um ihn zu mahnen, daß er ruhig sitzen blieb, und freute sich zu sehen, wie er sofort wieder auf seinen Platz zurücksank. Und dann packte sie von hinten ein Arm um den Hals, verstärkte den Griff, drückte ihr die Luft ab. Sie kämpfte wütend gegen den Würgegriff an, schaffte es aber nicht, den Romanow abzuschütteln. Kraft allein reichte nicht, um so einen Griff aufzubrechen, einen der wenigen Griffe, der tatsächlich eine Chance gegen jemanden bot, der so stark war wie Hazel D’Ark. Sie hatte also nach wie vor menschliche Schwachpunkte. Sie stolperte vorwärts und rückwärts, zerrte den Romanow dabei mit, rang verzweifelt nach Luft, war wütend auf sich selbst, weil sie zugelassen hatte, daß sie in der Konzentration nachließ. Sie mußte den Romanow besiegen, ehe Owen zurückkehrte, oder sie würde nie wieder ein Ende seiner Vorhaltungen erleben.
Sie beugte sich blitzschnell in der Taille vor, und der Romanow flog über ihren Kopf, so daß sein eigenes Gewicht und sein eigener Impuls den Würgegriff lösten. Sie hörte, wie er heftig auf dem Boden aufschlug, und warf sich sofort herum und pustete das Exoskelett mit ihrem Disruptor weg. Die Panzerung explodierte mit einem zufriedenstellend lauten Knall und ging in Flammen auf. Dadurch wurde die Holoillusion des Romanows abgeschaltet, und da sah sie ihn vor sich, wie er gerade aufstand, ein kurzes, aber häßliches Messer in der Hand.
Sie hätte ihn wirklich durchsuchen sollen.
Hazel saugte tief Luft in die überlasteten Lungen und hielt das Schwert ruhig vor sich ausgestreckt. Der Romanow war ein großer Kerl, aber sie hatte schon größeren gegenübergestanden, und jetzt war sie wieder im Vorteil. Der Romanow schien das zu spüren und öffnete die Hand, damit das Messer zu Boden fiel. Hazel entspannte sich ein wenig. Sie hätte wissen müssen, daß der Aristo nicht den Mumm für irgend etwas hatte, das von fern an einen fairen Kampf erinnerte.
Sie gab ihm mit einem Wink des Schwerts zu verstehen, daß er sich wieder setzen sollte, und wußte sofort, daß sie einen Fehler gemacht hatte – denn ein Mann, der eine versteckte Waffe bei sich getragen hatte, konnte gut noch eine weitere haben. In dem Augenblick, als sich Hazels Schwert von ihm fortbewegte, beugte der Romanow den Arm, und ein Messer fiel ihm aus einer getarnten Scheide in die Hand. Sofort zuckte es auf Hazels ungeschützten Unterleib zu, während ihr Schwert gerade meilenweit aus dem Gefecht war. Es war ein plötzlicher, simpler, überraschend schneller Angriff, und jedem anderen Gegner hätte er sicherlich das Leben gekostet. Hazel war aber kein beliebiger Gegner, schon lange nicht mehr. Mit übermenschlicher Kraft und Schnelligkeit riß sie das Schwert zurück in die Bahn des Messers, parierte es und schlug es zur Seite. Der Romanow, vom Schwung des eigenen Angriffs mitgerissen, spießte sich selbst auf dem bereitgehaltenen Schwert auf.
Mit verzerrtem Gesicht sank der Romanow zu Boden, ließ das Messer fallen und packte die Schwertklinge, die ihn durchbohrte, mit beiden Händen, als könnte er den tödlichen Stahl irgendwie aus sich herausziehen. Und in diesem Augenblick, als er sich mit der verzweifelten Kraft des Sterbenden an Hazels Schwert klammerte, bemerkte Hazel, daß sie den Kartakis aus den Augen verloren hatte. Sie sah sich wütend um, versuchte das Schwert loszureißen, schaffte es aber nicht. Und da erblickte sie den Kartakis auf den Beinen, ebenfalls ein bislang verstecktes Messer in der Hand. Sie traf Anstalten, mit der Schußwaffe auf ihn zu zielen, aber die Hand des Kartakis zuckte vor und schleuderte das Messer mit tödlicher Genauigkeit.
Hazel wußte, daß sie nicht mehr ausweichen konnte. Sie versuchte es trotzdem, und die Zeit kam fast zum Stillstand. Das Messer kroch zentimeterweise durch die Luft und nahm direkt Kurs auf ihr linkes Auge. Und Hazel wußte, daß sie sterben würde, allein und weit von ihren Freunden und jeder Hilfe entfernt.
O Owen, ich wünschte…
Und da war er, tauchte aus der Luft heraus auf und schlug das Messer mit der Hand weg. Es flog zum Werfer zurück und versenkte sich bis zum Griff im Hals des Kartakis, als gehörte es dorthin. Der Aristokrat beugte sich langsam vor, als verneigte er sich vor Owen und Hazel, und fiel tot zu Boden. Der Romanow tat ebenfalls seinen letzten Atemzug, löste die Hände von Hazels Schwert und kippte nach hinten. Hazel riß das Schwert heraus und drehte sich um, nur ein klein wenig außer Atem, um Owen für die Rettung im letzten Augenblick zu danken. Und erst in diesem Augenblick fiel ihr auf, wie anders er aussah.
Er trug andere Kleidung, zerrissen und blutig, darüber einen großen pelzbesetzten Umhang. Das Gesicht wirkte müde und ausgezehrt, und er atmete schwer und tief, als hätte er einen langen Lauf hinter sich. Er sah aus, als wäre er durch die Hölle marschiert und hätte sich jeden Schritt freigekämpft, aber in seinem stetigen Blick entdeckte Hazel sowohl Entschlossenheit als auch eine verzweifelte, tief im Mark sitzende Traurigkeit.
Er zeigte ihr ein seltsames, sanftes Lächeln, und streckte eine Hand aus, als wollte er ihre ergreifen. Hazel steckte die Pistole ins Halfter und wollte die Geste erwidern, und in diesem Augenblick bemerkte sie, daß Owen ihr eine Linke aus Fleisch und Blut entgegenhielt, nicht die goldene Hadenmännerhand, die sie schon vor langer Zeit ersetzt hatte. Hazel zögerte, stoppte ihre Hand unmittelbar vor seiner, und Owen lächelte traurig, als hätte er gewußt, daß sie seine Hand ausschlagen würde, sich aber trotzdem mehr erhofft. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und Hazel beugte sich verzweifelt vor, wußte irgendwie, daß es lebenswichtig war, ihn zu verstehen – aber da war er schon wieder dorthin verschwunden, wo immer er hergekommen war, zu irgendeiner verzweifelten Flucht, die er unterbrochen hatte, um sie zu retten, als niemand sonst es konnte.
Hazel sah sich um, aber die Halle war leer, abgesehen von den beiden toten Aristokraten und dem leise vor sich hinbrennenden Exoskelett. War das wirklich Owen gewesen, aus dem Nichts erschienen, um sie zu retten, als sie es am nötigsten hatte? Aber er hatte zwei Menschenhände gehabt. War es ein Owen von einer anderen Zeitschiene gewesen, wie die anderen Hazels, die sie zuzeiten heraufbeschwor? Und falls das so war, warum hatte er so traurig ausgesehen? Sie griff auf ihr Komm-Implantat zu.
»Owen, melde dich! Alles in Ordnung mit dir? Owen?
Owen!«
Die Geistkriegerin, die aus Katies Überresten bestand, wankte auf ihn zu, das Schwert einsatzbereit, und er glaubte nicht, schon jemals so wütend gewesen zu sein. Besorgt war er nicht.
Für jemanden, der einmal von Mann zu Mann gegen einen Grendel angetreten war, bedeutete eine einsame Geistkriegerin mit nur einem Schwert keine große Gefahr. Sie schlug mit dem Schwert nach ihm, und er parierte mühelos. Aber das Grab der ersten Frau zu entweihen, für die er je etwas empfunden hatte, nur eines kranken Witzes halber… einer anderen Möglichkeit halber, ihm weh zu tun… Owen packte den Schwertgriff so fest, daß ihn die Hand schmerzte. Er wollte Katie nicht noch einmal umbringen. Es war schon beim ersten Mal hart genug gewesen. Andererseits konnte er auch nicht zulassen, daß diese Verspottung einer alten Liebe weiterging. Er mußte die Sache beenden, und sei es nur, um endlich Valentin nachzusetzen und ihn mit bloßen Händen zu zerreißen. Und da öffnete sich der tote Mund, und eine Annäherung an Katies Stimme ertönte. Es war nicht die Leiche, die sprach. Die Stimmbänder mußten inzwischen verwest sein. Es war nur eine Aufzeichnung.
»Tu mir nichts, Owen«, sagte die tote Frau, und die aufgesprungenen schwarzen Lippen versuchten, sich im Takt der Worte zu bewegen. »Bitte. Ich möchte nicht noch mal sterben.
Ich weiß, daß ich nicht mehr so bin wie einst, aber ich bin immer noch dieselbe. Katie. Deine Geliebte. Valentin hat mich von den Toten zurückgerufen und mich in diesem verfaulenden Körper gefangengesetzt. Er kann heute derartige Dinge vollbringen. Er hat neue Freunde. Mächtige Bundesgenossen. Du wärst erstaunt, was er heute alles tun kann. Bitte, Owen!«
»Halt den Mund.«
»Also in Ordnung, dann bringe ich dich um, so daß wir im Tod verbunden sind und für immer Seite an Seite in der warmen Erde ruhen. Tu es für mich, Owen.«
»Du klingst kein bißchen nach ihr«, sagte Owen und wich nicht weiter zurück. »Du klingst überhaupt nicht nach meiner Katie.«
»Der Tod verändert einen.«
»Nicht so stark. Katie hat nie um etwas gebettelt. Fahrt zur Hölle, Valentin!«
Und er schlug mit den Gedanken zu. Kraft baute sich in ihm auf, gespeist aus Wut und Empörung, wurde durch diese Empfindungen konzentriert, und die wandelnde Leiche vor ihm zerplatzte in winzige Fetzen verwesten Fleisches und zerschmetterter Technik. Owen sah zu, wie das alles zu Boden fiel, und empfand nichts. Es war nicht Katie gewesen.
»Owen?« hörte er Hazels Stimme aus seinem Komm-Implantat. »Melde dich! Alles in Ordnung mit dir? Owen?
Owen!«
»Mir geht es gut«, sagte er endlich. »Valentin ist jedoch entkommen. Wir müssen die Burg nach ihm durchsuchen.
Schließt die beiden Lords ein und kommt zu mir in die Sicherheitszentrale.«
»Die Lords sind tot«, sagte Hazel und klang eine Spur schuldbewußt. »Sie haben versucht zu fliehen.«
Owen setzte zu einer schneidenden Bemerkung an, verkniff sie sich aber. Hazels Stimme hatte einen Unterton aufgewiesen… »Alles in Ordnung mit Euch, Hazel?«
»Natürlich«, antwortete sie. »Mir geht es gut. Ich bin gleich bei dir.«
Sie trennte die Verbindung. Owen blickte auf die Überreste eines Menschen hinunter, die überall auf dem Boden verstreut lagen, und redete sich ein, daß er überhaupt nichts empfand.
Gemeinsam durchsuchten Owen und Hazel die Burg, Stockwerk für Stockwerk, Zimmer für Zimmer. Es dauerte einige Zeit. Das Sicherheitssystem hätte Valentin eigentlich finden müssen, aber er hatte es so programmiert, daß es ihn ignorierte.
Der Wolf plante seine Züge immer ein gutes Stück im voraus.
Und so durchstreiften Owen und Hazel die alte Festung und fanden weder ihn noch eine Spur von seinen Leuten. Valentin Wolf hatte das Gebäude verlassen.
Schließlich gelangten sie in Owens altes Schlafzimmer. Der Geheimgang stand immer noch offen, aber Hazel redete es Owen aus, wieder hinunter in die Fliegerhöhlen zu gehen. Ihr war schon seit einiger Zeit klar, daß der Wolf aus der Burg und wahrscheinlich sogar von Virimonde geflüchtet war, aber sie ließ Owen weitersuchen, weil sie erkannte, daß er es brauchte.
Jetzt sahen sie sich im Schlafzimmer um und fragten sich, was als nächstes zu tun war. Hazel setzte sich auf die Bettkante, schlenkerte mit den Beinen und lächelte, als sie langsam in die dicke Matratze hineinsank.
»Du hast hier ja wirklich eine tolle Bleibe gehabt, Todtsteltzer. Hat das tatsächlich alles dir gehört?«
»Als ich noch ein Lord war, hat mir der ganze Planet gehört und ebenso alles, was man darauf fand«, antwortete Owen.
»Jetzt sind der Planet und alle darauf tot. Mir sind nur eine Burg geblieben, aus der ich mir nie wirklich etwas gemacht habe, und ein paar Erinnerungen.«
Hazel lächelte süffisant. »Ich wette, du hast wenigstens an dieses Zimmer ein paar gute Erinnerungen.«
»Einige«, bestätigte Owen. »Ich hatte eine Mätresse namens Katie, als ich Lord war. Wir waren hier glücklich.«
Hazel setzte sich kerzengerade auf. Owen hatte bislang nie von früheren Frauen in seinem Leben gesprochen. Sie war immer davon ausgegangen, daß es irgendwo jemanden gegeben haben mußte, aber eine Mätresse war ihr neu. Sie achtete sorgfältig auf einen beiläufigen Tonfall. »Und was ist aus dieser Katie geworden?«
»Sie erwies sich als imperiale Spionin. Hat versucht, mich zu töten, als ich zum Gesetzlosen erklärt wurde. Ich mußte sie umbringen.«
»Du hast deine eigene Geliebte umgebracht?« fragte Hazel ungläubig. »Verdammt, das war kaltblütig, Todtsteltzer!«
Owen starrte auf das Holoportrait vor ihm, das den ursprünglichen Todtsteltzer zeigte, den Gründer seines Clans. »Ich habe auch ihn umgebracht, und er war mein meistverehrter Vorfahre. Wie mir scheint, trage ich für viel zu viele Todesfälle die Verantwortung. Darunter viel zu viele Menschen, die mir etwas bedeutet haben. Vielleicht solltet Ihr Euch einen neuen Partner suchen.«
Hazel stand vom Bett auf und trat an seine Seite. »Du hast nie jemanden umgebracht, wenn es nicht nötig war.«
Owen schüttelte den Kopf.
»Ich habe mein Erbe verraten, als ich Giles tötete. Ich habe meinen Namen und die Ehre der Familie verraten.«
»Nein«, entgegnete Hazel entschieden. »Er hat selbst die Verantwortung dafür getragen, als er vergaß, wofür er eigentlich kämpfte. Er war seinerzeit der Oberste Krieger, der Beschützer der Menschheit. Als er entschied, lieber Herrscher zu sein als Beschützer, hat er uns alle verraten.«
»Er war wirklich eine Legende«, sagte Owen. »Ein echter Held. Er hat die meisten Dinge wirklich geleistet, von denen die Geschichten erzählen.«
»Richtig, darunter auch Erfindung und Gebrauch des Dunkelwüsten-Projektors. Eintausend Sonnen, innerhalb eines Augenblicks ausgelöscht. Niemand weiß, wie viele Milliarden Tote die Folge waren. Der größte Massenmörder der Geschichte.«
»Er hatte die besten Absichten. Er hatte sie immer. Er hat sich nur… verirrt.«
»Ach, verdammt«, sagte Hazel und hakte sich bei ihm unter.
»Wir alle verlieren uns hin und wieder. Du hast den Mann nur getötet, Owen. Die Legende lebt weiter.«
»Ich kann nicht heimkehren«, stellte Owen bitter fest.
»Das wäre ohnehin nicht möglich gewesen. Du hast dich zu stark verändert. Und überwiegend zum besseren.«
Owen zog eine Braue hoch. »Nur überwiegend?«
»Mann, Sir Aristo, würdest du mir beibringen, wie man eine Braue so wölbt?«
»Geht zum Teufel, Bauer.«
Sie standen eine Zeitlang zusammen, und jeder hing den eigenen Gedanken nach. »Owen«, sagte Hazel schließlich. »Hast du gerade erst kürzlich neue Fähigkeiten demonstriert?«
»Nicht, daß sie mir aufgefallen wären«, antwortete Owen.
»Warum fragt Ihr?«
»Na ja, ich habe mich nur gefragt, ob du gelernt hättest, andere Versionen deiner selbst herbeizurufen, wie ich.«
»Verdammt, nein. Etwas Derartiges wäre mir eindeutig aufgefallen. Das ist vielleicht eine unheimliche Fähigkeit, wenn Ihr mich fragt.«
»Vertrau mir, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Irgendwann mal werde ich sehen, ob ich nicht eine dieser Versionen bewegen kann, lange genug zu bleiben, damit ich ihr ein paar gezielte Fragen stellen kann.«
»Tut das«, sagte Owen. »Ich würde die Antworten sehr gern hören. Denke ich.« Und dann brach er ab und runzelte die Stirn.
»Was jetzt?« fragte Hazel.
»Valentin«, sagte Owen. »Er sagte, er hätte eine Überraschung für mich zurückgelassen.«
»O verdammt!« meinte Hazel. »Du meinst, wir müssen die ganze verfluchte Burg noch einmal durchsuchen?«
»Ich denke, wir tun es lieber. Valentins kleine Überraschungen fallen immer unerfreulich aus und zeigen eine Tendenz zum Dramatischen.«
»Owen«, machte sich Oz plötzlich bemerkbar. »Ich muß mit dir reden. Sofort.«
»Nicht jetzt, Oz. Wir sind beschäftigt.«
»Nun, du bist es gleich nicht mehr, wenn du mir nicht zuhörst. Ich habe etwas in deinen Sicherheitslektronen entdeckt.
Es sieht nach einem Countdown aus.«
»Ein Countdown?« fragte Owen. »Zu was?«
»Da liegt das Problem. Ich finde es einfach nicht heraus. Was das auch für ein Programm ist, Valentin hat es hinter einer ganzen Reihe von Paßwörtern versteckt, die zu knacken mir fürchterlich schwerfällt. Ich taste im Moment die ganze Burg ab, um… O Scheiße!«
»Du machst wieder dieses Wir-stecken-in-ernsten-Schwierigkeiten-Gesicht«, stellte Hazel fest. »Was ist los?«
»Oz sagt, er hätte einen Countdown entdeckt. Und dann sagte er o Scheiße.«
»Ah«, sagte Hazel. »Wir stecken in ernsten Schwierigkeiten.«
»Oz«, forderte Owen entschieden, »könntest du dich bitte genauer ausdrücken, was du mit o Scheiße meinst?«
»Da liegt eine Bombe«, antwortete Oz. »Tief unter der Burg angebracht. Und es ist eine wirklich schlimme. Stark genug, um die ganze Burg in eine Wolke aus freischwebenden Atomen zu verwandeln und einen glühenden Krater zu hinterlassen, groß genug, um einen kleinen Mond darin zu parken.«
»Das klingt ganz nach Valentin«, sagte Owen. »Rachsüchtig bis zum Schluß. Falls er nicht mit Sachen herumspielen kann, kann es niemand. Siehst du irgendeine Chance, sie zu entschärfen?«
»Oh, Scheiße! « sagte Oz.
»Du machst schon wieder ein anderes Gesicht«, bemerkte Hazel.
»Leider«, sagte Oz, »scheine ich durch die Entdeckung der Bombe und den Versuch, sie zu entschärfen, ein weiteres Programm gestartet zu haben…«
Und in diesem Augenblick geschah es, daß die Stahlläden vor den Fenstern zuknallten, der Geheimgang sich selbst schloß und die einzige Tür, die aus dem Raum führte, ins Schloß fiel und dieses sich mit einer Reihe ausgesprochen endgültig klingender Klicklaute zusperrte. Hazel sah sich mit wildem Blick um, Pistole und Schwert wieder in den Händen.
»Owen, sag doch was! Was zum Teufel passiert hier?«
»Valentin hat Zugriff genommen auf die Sicherheitsprogramme der letzten Ebene, die die Bewohner der Burg im Notfall schützen sollten, und sie mit jedem Versuch verknüpft, die Bombe zu entschärfen. Und da Valentin zweifelsohne alle Paßwörter geändert hat, können wir relativ sicher sein, daß wir die Lektronen nicht werden bewegen können, diesen Raum wieder zu öffnen, ehe eine sehr große Bombe hochgeht und das ganze Problem bedeutungslos macht.«
»Bombe?« fragte Hazel. »Was für eine Bombe? Niemand hat etwas von einer Bombe gesagt.«
»Oz hat es getan«, sagte Owen. »Erinnerst du dich an den Countdown?«
»Zur Hölle mit den Paßwörtern«, entgegnete Hazel. »Ich bringe uns hier heraus.«
Sie zielte mit dem Disruptor auf das nächstgelegene der verschlossenen Fenster und schoß, ehe Owen sie aufhalten konnte.
Also packte er sie und zog sie, ihrer Proteste nicht achtend, zu Boden – gerade rechtzeitig, ehe der sengende Energiestrahl von den unbeschädigten Fensterläden zurückprallte und genau dort durch die Luft zuckte, wo sie eben noch gestanden hatten.
Owen und Hazel versuchten, sich in den Teppichboden hineinzugraben, während der Strahl über ihnen hin und her schoß, von einem Fensterladen zum nächsten, bis er sich schließlich erschöpft hatte. Owen sah Hazel an.
»Bitte tut das nicht noch einmal. Solche Läden sind überall angebracht, sogar in den Wänden, und sie wurden besonders verstärkt, um Energiewaffen standzuhalten, was ich Euch auch erklärt hätte, hättet Ihr nur eine verdammte Minute lang gewartet!«
»Schrei mich nicht an, Todtsteltzer! Das ist deine Burg.
Bring uns hinaus. Tu etwas!«
Owen überlegte, ob er nicht in Panik geraten sollte, entschied aber, daß er dafür nicht genug Zeit hatte. »Oz, wie lange braucht der Countdown noch?«
»Zwei Minuten, sieben Sekunden und weiterlaufend.«
»O Scheiße! «
»Das sagte ich bereits. Es hat nicht geholfen.«
»Was ist?« fragte Hazel und musterte Owens Miene. »Was ist? W a s i s t?«
Owen dachte angestrengt nach. Es mußte einen Ausweg geben. Er war nicht so weit gekommen, nur um in einer simplen Falle wie dieser umzukommen.
»Mir gefällt der Ausdruck in deinem Gesicht wirklich nicht«, bemerkte Hazel.
»Wie verwundbar fühlt Ihr Euch zur Zeit?«
»So schlimm, ja?«
»Schlimmer. Wir haben noch zwei Minuten, bis uns die Bombe aus dieser Welt in die nächste pustet, und wir schaffen es nicht mal aus diesem Zimmer hinaus. Es sei denn, Ihr habt von Giles zufällig den Trick mit dem Teleportieren gelernt.
Wie sieht es damit aus?«
»Nein. Er ist nie dazu gekommen, den Vorgang zu erklären, bis du ihn umgebracht hast.«
»Ah ja, richtig. Meine Schuld. Vielleicht, wenn wir alle mehr miteinander redeten…«
Sie brachen ab und sahen sich an, und eine seltsame Ruhe ergriff von ihnen Besitz. »Das war es, nicht wahr?« fragte Hazel.
»Das Ende vom Lied. Komisch. Ich wußte schon immer, daß es mein Schicksal war, jung zu sterben. Aber ich habe nie erwartet, daß es auf diese Weise passieren würde. So… hilflos.«
Owen legte ihr einen Arm um die Schultern, und sie lehnte sich an ihn. »Verdammt«, sagte er, »wir leben schon von geborgter Zeit, seit wir uns das erste Mal begegnet sind. Sie mußte schließlich ablaufen. Und… Ich bin froh, daß wir unsere gemeinsame Zeit hatten. Es ist schon seltsam, aber ich denke nicht, daß ich je glücklicher war.«
»Wohl wahr«, bestätigte Hazel. »Das war vielleicht ein Abenteuer, was? Und falls wir schon sterben müssen, tun wir es wenigstens zusammen.«
Sie setzten sich nebeneinander auf die Bettkante. Sie küßten sich, als hätten sie alle Zeit der Welt, und lehnten sich dann freundschaftlich aneinander.
»Wer weiß?« sagte Hazel schließlich. »Wir haben auf Nebelwelt dem Schuß einer Disruptorkanone aus kürzester Distanz standgehalten, erinnerst du dich? Vielleicht haben wir erneut Glück.«
»Moment mal!« sagte Owen und richtete sich kerzengerade auf. »Gehen wir mal diesem Gedanken nach. Wir haben diesem Disruptorschuß standgehalten, weil wir verbunden waren.
Unsere Gedanken waren miteinander verschmolzen. So haben wir überlebt!«
Hazel runzelte die Stirn. »Die Verbindung hat mir nie gefallen. Es gefällt mir nicht, jemandem Zutritt zu meinem Bewußtsein zu erlauben.«
»Hazel, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um schamhaft zu sein. Würdet Ihr lieber sterben?«
»Verdammt. In Ordnung, tun wir es.«
Sie streckte eine Hand aus, und Owen ergriff sie mit seiner menschlichen Hand. Zögernd tasteten sie sich mit den Gedanken aufeinander zu, folgten dabei der alten mentalen Verbindung, die alle Überlebenden aus dem Labyrinth des Wahnsinns einander verband. Sie kamen sich immer näher, bis die Kraft, die sich zwischen ihnen aufbaute, ihre Gedanken zusammenrammte, daraus einen einheitlichen Willen formte und sich in etwas Neues umwandelte. Etwas Größeres. Etwas, das sie aus ihren Körpern riß, in die Luft darüber. Sie fegten als körperlose Geister innerhalb eines Augenblicks durch alle Stockwerke und Räume der Burg, bis sie schließlich die Lektronen erreichten, die Valentin in dem Raum neben der Sicherheitszentrale installiert hatte. Sie schwebten über den Geräten, wurden für einen Moment von etwas Fremdartigem zurückgehalten, für das sie keinen Namen wußten. Dann konzentrierten sie sich und hörten die Geräte denken. Es war ein zugleich einfacher und sehr komplexer Vorgang, eine Vielzahl kleiner, aber kritischer Entscheidungen, die schneller vorüberzuckten, als daß ein rein menschliches Bewußtsein je hätte hoffen können, ihnen zu folgen. Aber Owen und Hazel hatten von ihren menschlichen Anfängen bis heute einen weiten Weg zurückgelegt, und sie brauchten weniger als eine Sekunde, um in die Rechner vorzudringen und die Daten zu finden, die sie benötigten, um den Countdown anzuhalten; das Programm wurde gestoppt, und die Bombe stellte sich wieder auf Null und erwartete neue Instruktionen. Owen und Hazel durchsuchten rasch alle Speicher der Lektronen, nur um sicherzugehen, daß Valentin nicht noch weitere unerfreuliche Überraschungen hinterlassen hatte, und lösten sich wieder. Die zwingende Notwendigkeit, die sie miteinander verbunden hatte, war erschöpft, und sie verschwanden aus dem Lektronenraum, trennten sich und fielen in ihre Körper zurück. Sie sahen sich benommen um und gewöhnten sich gerade wieder ans Atmen, da verschwanden die Fensterläden und öffnete sich das Türschloß wieder.
»Du liebe Güte«, sagte Hazel schließlich. »Das war… mal etwas ganz anderes.«
»Wie ich schon immer gesagt habe«, stellte Owen fest. »Das meiste erreichen wir, wenn wir zusammenarbeiten.«
»Vielleicht. Verschwinden wir lieber von hier, Owen. Zu viel Tod hängt über diesem Ort.«
»Und Valentin ist entkommen«, sagte Owen. »Ich finde ihn jedoch. Und aufgrund dessen, was er meinem Haus und meiner Welt und meinem Volk angetan hat, errichte ich eine komplett neue Hölle, in die ich ihn schicken kann.«