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Hartmanns Viper hing wie ein grausilberner Riesenvogel mit reglos ausgebreiteten Schwingen über ihr, während Charity mit unendlicher Geduld an die schwierige Aufgabe ging, Geschwindigkeit und Kurs ihres Schiffes weiter dem unberechenbar dahintrudelnden Wrack anzupassen; ein Vorhaben, das selbst mit Hilfe des hochgezüchteten Navigationscomputers fast undurchführbar schien. Skudder hatte schon zweimal versucht, sich auf dem Schiffswrack aufzurichten und nach Charitys Viper zu greifen, und es war beide Male mißlungen, weil Charity den Raumjäger im allerletzten Moment in die Höhe gerissen und den Abstand wieder vergrößert hatte.

Sie konnte nicht das allergeringste Risiko eingehen. Die beiden Schiffe hingen nun scheinbar reglos nebeneinander im All; in Wahrheit bewegten sie sich noch immer mit einer Geschwindigkeit von mehreren hundert Stundenkilometern dahin. Die winzigste Unaufmerksamkeit konnte dazu führen, daß Skudders Anzug zerriß oder daß er wie eine Kanonenkugel ins All hinausgeschleudert wurde.

»Charity!« mahnte Hartmanns Stimme in ihren Kopfhörern. Charity nickte, antwortete aber nicht, sondern konzentrierte sich ganz darauf, Position und relative Geschwindigkeit der Viper weiter zu stabilisieren. Sie wagte es nicht einmal, auf die Uhr zu schauen, wußte aber auch so, daß ihr nur noch wenige Minuten blieben. So schnell, wie sie sich von der EXCALIBUR entfernten, konnte es nicht mehr lange dauern, bis ihnen das riesige Sternenschiff keine Deckung mehr bot. Und da waren noch immer mindestens zwei der fremden Schiffe, wenn nicht mehr.

Sie konnten nicht riskieren, angegriffen zu werden und Skudder möglicherweise doch noch zu verlieren. Selbst mit den hochempfindlichen Ortungsgeräten an Bord der Vipern war es eine nahezu unlösbare Aufgabe, einen einzelnen Menschen in der Weite des Weltraumes aufzuspüren. Sie waren nicht einmal besonders weit von der Erde entfernt, aber selbst dieser winzige Bereich zwischen der Erdatmosphäre und der EXCALIBUR war unvorstellbar groß. Wenn sie eine reelle Chance haben wollten, Skudder zu retten, mußte es schnell geschehen.

Hartmann meldete sich über Funk, doch seine Stimme ging in immer lauter werdenden Störgeräuschen unter. Sein Gesicht auf dem Bildschirm war nur noch zweidimensional und wurde von farbigen, verzerrten Streifen überlagert. Das Gerät begann schon wieder zu spinnen. Aber Charity wußte auch so, was er ihr sagen wollte. Sie entfernten sich immer weiter von der EXCALIBUR. Ihre letzte Chance.

Sie stabilisierte die Viper noch einmal um eine Winzigkeit, ließ den Jäger unendlich behutsam tiefer sinken und nickte Skudder zu. Er richtete sich auf, hob die Arme und wartete, bis die Flügelspitze in Reichweite war. Charity hielt instinktiv den Atem an, als Skudder nach der Maschine griff und sich daran festklammerte.

Das waghalsige Manöver gelang. Skudder zog sich mit einer kraftvollen Bewegung auf die Tragfläche hinauf, ließ sich - vollkommen überflüssig - auf Hände und Knie herabsinken und kroch auf das Cockpit zu. Charity ließ die gesprungene Kanzel aufgleiten und blickte ihm entgegen. Skudders Lippen bewegten sich. Er sagte irgend etwas, doch Charity hörte keinen Laut. Der Funk hatte endgültig den Geist aufgegeben.

Und sie hatten ein weiteres Problem. Die Viper war ein reiner Ein-Mann-Jäger. In Charitys Kabine war gar kein Platz für einen zweiten Passagier. Sie wartete, bis Skudder heran war und sich am Cockpitrand festgeklammert hatte, dann wendete sie die Maschine und steuerte behutsam wieder auf die EXCALIBUR zu. Charity war kein bißchen überrascht, als der Funk nach wenigen Augenblicken wieder zum Leben erwachte.

»Das wurde ja auch Zeit«, maulte Skudder, grinste sie aber gleichzeitig durch den Helm hindurch breit an. »Ich dachte schon, du schaffst es nie.«

»Immerhin habe ich meine Maschine nicht zu Schrott geflogen«, antwortete Charity. Dann wurde sie übergangslos ernst. »Alles in Ordnung mit dir?«

»Ich bin nicht verletzt, wenn du das meinst«, sagte er. »Aber ich fühle mich, als hätte eine ganze Elefantenherde das Steptanzen auf mir geübt. Was, zum Teufel, war das für eine Waffe?«

»Das werden wir schneller herausfinden, als uns lieb ist, wenn wir nicht bald von hier verschwinden«, meldete sich Hartmann zu Wort. Seine Viper war der Charitys gefolgt. Die Funkverbindung funktionierte einwandfrei. »Unsere Freunde haben garantiert Verstärkung angefordert. Ist mit Skudder alles in Ordnung?«

»Kein Problem«, antwortete Skudder. »Aber ich brauche eine neue Maschine. Wir müssen noch einmal zurück.«

»Du glaubst doch nicht, daß sie noch einmal darauf hereinfallen«, sagte Hartmann.

»Hast du eine bessere Idee?«

»Nein«, gestand Hartmann. »Ich schlage vor, ihr beide bleibt hier und versucht irgendwie, die Erde zu erreichen. Auf irgendeiner Frequenz muß dieser verdammte Funk doch noch funktionieren. Sie können sie nicht alle blockiert haben.«

»Und du?« fragte Charity, von einer unguten Vorahnung erfüllt.

»Ich kümmere mich um Skytown.«

»Allein?« Charity lachte humorlos. »Du allein gegen drei von diesen Rochenschiffen? Sie schießen dich in Stücke, bevor du auch nur Hallo sagen kannst.«

»Ich passe schon auf mich auf«, widersprach Hartmann. »Verdammt, Charity, ich muß zurück! Net und die Kinder sind vermutlich noch dort.«

Wahrscheinlich hat er damit recht, dachte Charity betrübt. Wenn die Angreifer auf Skytown ebenso vorgegangen waren wie auf der EXCALIBUR und die gesamte Moron-Technik lahmgelegt hatten, dann funktionierte neben vielen anderen Dingen auch der Jet nicht mehr, mit dem Charity gekommen war.

Net und die anderen saßen fest.

Trotzdem sagte Charity mit Bestimmtheit: »Kommt gar nicht in Frage. Du hilfst ihnen nicht, indem du dich umbringen läßt.«

»Wenn ich hierbleibe und mich mit diesen Monstern rumschlage, kann ich ihnen noch viel weniger helfen«, antwortete Hartmann.

»Vielleicht doch«, antwortete Charity. »Ich möchte etwas ausprobieren... flieg ein paar Meilen von uns weg und versuche, Funkkontakt mit uns aufzunehmen.«

Hartmann setzte an, Charity zu widersprechen, beließ es dann aber bei einem Achselzucken und tat, was sie von ihm verlangt hatte. Seine Viper wendete und entfernte sich rasch. Schon nach ein paar Augenblicken begann sich sein Gesicht auf dem Monitor zu verzerren und erlosch dann ganz. Hartmann flog eine Schleife und kam zurück. Der Bildschirm erwachte wieder zum Leben, als sein Raumjäger neben den Charitys glitt.

»Das wollte ich wissen«, sagte sie. »Was immer unseren Funk stört, befindet sich auf der anderen Seite des Schiffes. Die EXCALIBUR schirmt uns ab. Deshalb können wir miteinander reden, so lange wir ihr nahe sind.«

»Und?« fragte Hartmann.

»Wahrscheinlich befindet sich der Störsender in einem der beiden anderen Schiffe«, sagte Skudder. »Wenn wir sie zerstören -«

»Können wir Hilfe herbeirufen«, vollendete Charity. »Das geht auf jeden Fall schneller, als zur Erde zurückzufliegen.«

Ganz davon abgesehen, fügte sie in Gedanken hinzu, daß unsere Feinde kaum tatenlos zusehen werden, wie wir verschwinden, um mit der Kavallerie zurückzukommen.

»Also, worauf warten wir noch?« fragte Skudder. »Schnappen wir uns die Kerle.«

»Mit dir als blindem Passagier?« Charity schüttelte den Kopf. »Wir haben da vorher noch ein kleines Problemchen zu lösen, meinst du nicht auch?«

»Ich würde sagen, es sind ungefähr zwanzig Probleme«, sagte Hartmann. »Seht mal nach links...«

Im ersten Moment begriff Charity nicht, was Hartmann überhaupt meinte, aber dann sah sie es: Auf dem Rumpf der EXCALIBUR war eine Anzahl winziger, dunkler Gestalten erschienen. Einige von ihnen schleppten irgend etwas mit sich, das Charity nicht genau erkennen konnte. Aber es war nicht schwer zu erraten, um was es sich handelte.

»Sind die verrückt geworden?« keuchte Skudder.

Wie zur Antwort blitzte es zwischen den ameisengroßen Gestalten auf dem Rumpf der EXCALIBUR grell auf. Blaues Elmsfeuer tanzte über den Bug von Hartmanns Viper und erlosch dann wieder. Sie waren zu weit entfernt, als daß die Waffen der Männer dort unten ihnen wirklich Schaden zufügen konnten. Aber die Warnung war deutlich genug. Noch einmal würden sie nicht unbemerkt an Bord des Schiffes kommen. Ein weiterer Energiestrahl streifte Hartmanns Schiff und verpuffte wirkungslos. Hartmann fluchte, riß seine Maschine auf der Stelle herum und feuerte mit dem Laser zurück. Charity sah, wie unter den Fremden vier grellweiße Lichtpunkte aufflammten und zwei, drei schwarzgekleidete Gestalten verschlangen. Die übrigen wichen hastig auseinander, um kein gemeinsames Ziel zu bieten, machten aber keine Anstalten, sich vollends zurückzuziehen.

Hartmann schoß nicht noch einmal auf sie. Er hatte die Nerven verloren, vielleicht aus Sorge um Net und seine Söhne, aber das würde nicht noch einmal geschehen. Es war sinnlos - und nebenbei auch nicht besonders befriedigend -, mit Schiffsgeschützen auf Infanteristen zu schießen.

»Die sind nicht verrückt«, murmelte Charity nachdenklich. »Sie versuchen mit aller Gewalt, uns von der EXCALIBUR fernzuhalten. Aber warum?«

»Der Störsender?«

Charity zuckte mit den Schultern. Die Zeit lief ihnen davon. Vielleicht dachte sie einfach zu kompliziert. Vielleicht versuchten die Fremden nichts anderes, als sie hinzuhalten.

Ein blinkender Punkt erschien auf ihrem Ortungsschirm, dann ein zweiter, dritter, vierter.

»Wir bekommen Besuch«, sagte Hartmann. »Das sind keine von uns. Dazu sind sie zu schnell.«

Charity nickte wortlos. Ihre Gedanken rasten. Wenn der Computer recht hatte, dann waren die vier Schiffe in spätestens drei Minuten hier. Und sie konnte sich nicht auf ein Gefecht mit ihnen einlassen. Nicht mit Skudder als Anhängsel an ihrem Schiff.

Charity entschied sich blitzschnell.

»Halt dich fest!«

Die Viper setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Skudder klammerte sich erschrocken am Cockpitrand fest, und Charity feuerte die Railgun ab. Noch während sich das Schiff unter dem Abschuß schüttelte, erschien in der Flanke der EXCALIBUR unter ihr ein Loch von der Größe eines Einfamilienhauses, aus dem Flammen und Milliarden glühender Trümmerstücke quollen. Charity drehte die Viper ein wenig, um sie als Schutzschild zwischen Skudder und die tödlichen Metallsplitter zu bringen, hielt aber weiter auf das Loch zu, das sie in die EXCALIBUR geschossen hatte.

Über ihr begann nun auch Hartmann zu feuern. Breit gefächerte Bahnen giftiggrünen Lichts strichen über die Flanke des Sternenschiffes und ließen die schwarzgekleideten Krieger in Panik davonstürzen. Charity wartete, bis das Trommelfeuer aus Trümmerstücken und Schrott gegen den Rumpf der Viper aufhörte, dann drehte sie das Schiff um seine Längsachse und schlug gleichzeitig auf den Schalter, der das Cockpit schloß. Skudders Hand ließ den Cockpitrand los, und er verschwand wie ein fallender Stein in der Tiefe. Sie gingen ein entsetzliches Risiko ein. Skudder hatte die Auswahl zwischen mindestens hundert verschiedenen Methoden, in den nächsten fünf oder zehn Sekunden zu Tode zu kommen. Aber wenn er in zwei oder drei Minuten nicht an Bord des Schiffes war, dann war er ganz bestimmt tot - und sie mit ihm.

Charity riß die Viper in einer komplizierten Schraube herum, blickte hastig auf den Ortungsschirm und stellte fest, daß die gegnerischen Schiffe in zwei Minuten in Schußweite sein würden. Einer der Leuchtpunkte war ein Stückchen zurückgefallen, die drei anderen hielten weiter genau auf sie zu. Der winzige ID-Schirm daneben blieb dunkel; der Computer hatte noch nicht genug Daten, um die anfliegenden Maschinen zu identifizieren.

»Hartmann!« schrie sie. »Der Störsender! Vielleicht reicht die Zeit, um ihn zu erwischen!«

Hartmann antwortete nicht, beschleunigte seinen Jäger aber bereits, um auf die andere Seite der EXCALIBUR zu gelangen. Charity jagte ihre Viper in dieselbe Richtung; schnell, aber vermutlich trotzdem nicht schnell genug, um die andere Seite des Sternenschiffes zu erreichen, bis die Angreifer hier waren.

Die Flanke der EXCALIBUR huschte unter ihr vorbei. Hier und da glühte das Metall, wo es von Hartmanns Laserschüssen getroffen worden war - und plötzlich traf etwas wie ein dumpfer Faustschlag den Jäger.

Charity kämpfte mit zusammengebissenen Zähnen mit der bockenden Steuerung, war aber viel zu schnell vorbei, um sich nach dem Schützen umzudrehen. Hartmanns Feuer hatte offensichtlich nicht alle Spaziergänger von der Außenhaut des Schiffes vertrieben.

Der Computer meldete, daß die Gegner in dreißig Sekunden in Schußweite sein würden, und die stählerne Ebene unter ihr verschwand und machte einem bodenlosen, sternenerfüllten Abgrund Platz. Einer der Sterne schleuderte Flammen und grünes Licht auf ein plumpes, walzenförmiges Objekt, aus dessen Oberseite ein ganzer Wald bizarr geformter Antennen und Empfangsschüsseln wuchs. Hartmann hatte den Störsender gefunden.

Leider war das Kommunikationsschiff nicht allein. Hartmanns Feuer hatte bisher noch keinen Schaden angerichtet. Die Schutzschirme des Kommunikationssatelliten loderten in heller Glut, schienen die Energie der Laserkanonen aber ohne Mühe zu absorbieren, und der verbliebene Transporter näherte sich mit lodernden Triebwerken.

Charity wagte es nicht, die Railgun einzusetzen; ihre Munition war begrenzt, und ihr Jäger flog zu schnell, um sorgfältig zu zielen. Noch ein Treffer mochte zuviel für die ohnehin schon beschädigte EXCALIBUR sein. So jagte sie dem Transportschiff eine volle Raketensalve entgegen und feuerte fast gleichzeitig die Laser ab.

Das Schiff flammte in weißer und grüner Glut auf und begann zu taumeln, tat Charity aber nicht den Gefallen, zu explodieren oder wenigstens in Stücke zu zerbrechen. Dann war Charity auch schon vorbei, riß die Viper herum und schaute gleichzeitig auf den Ortungsschirm. Drei der vier Feindschiffe waren in Schußweite - oder waren es gewesen, hätte die EXCALIBUR sich nicht zwischen ihnen und ihr befunden.

Charitys Viper hatte ihre Drehung beendet. Der Truppentransporter befand sich nun in gerader Linie vor ihr, und sie feuerte blindlings vier Kurzstreckenraketen ab. Drei der Geschosse explodierten harmlos an den immer noch lodernden Schutzschirmen, das vierte jedoch erzielte einen Glückstreffer.

Charity sah, wie das Geschoß grellrot aufglühte, als es in die sonnenheißen Abgase der Triebwerke geriet, aber die Explosion erfolgte mit einer fast halbsekündigen Verspätung. Eine weitere halbe Sekunde später faltete sich das Heck des Landungsschiffes auseinander wie eine bizarre Blüte aus Metall und Glut. Bevor das Schiff vollends explodieren konnte, war Charity bereits wieder vorbei und raste zu Hartmanns Jäger zurück.

Er war immer noch damit beschäftigt, die Schutzschirme des Kommunikationsschiffes mit Energie vollzupumpen. Charity wußte nicht, ob seine Bordwaffen überhaupt ausreichten, die Energieschirme des Schiffes zu überlasten, und ihr blieb auch keine Zeit, ihm zu Hilfe zu eilen.

Denn über dem stählernen Horizont der EXCALIBUR erschienen drei Rochenschiffe...

Charity feuerte sämtliche Bordwaffen der Viper zugleich ab.

Die kombinierte Salve aus Raketen, Laserstrahlen und dem Urankerngeschoß der Railgun hämmerte in den Schutzschirm des mittleren Rochenschiffes, ließ den Raumjäger für eine Sekunde wie eine winzige gleißende Sonne aufleuchten und warf ihn aus dem Kurs. Das Schiff explodierte nicht, aber es streifte die benachbarte Maschine. Grellweiße Überschlagblitze zuckten zwischen ihren Schutzschirmen hin und her.

Die beiden Jäger begannen zu trudeln. Dem einen fehlte ein Stück des Hecks. Offensichtlich waren die Schutzschirme der Rochenschiffe nicht in der Lage, die Urankerngeschosse der Railgun aufzuhalten.

Das dritte Schiff raste weiter heran. Charitys Ortungssystem schrie sich fast die Kehle heraus. Sämtliche Waffensysteme des Rochenschiffes mußten ihre Viper erfaßt haben. Doch der Pilot des anderen Schiffes verzichtete darauf, sie abzuschießen, sondern beschleunigte noch mehr und hielt direkt auf Hartmann zu. Grellweißes Licht sprühte aus den Schwingen des stählernen Rochen, und Hartmanns Viper taumelte.

Charity war nicht besonders überrascht, daß das Rochenschiff seine furchtbare Primärwaffe nicht einsetzte. Der Pilot hatte offenbar die Befürchtung, den Kommunikationssatelliten zu treffen. Auf diese Weise hatte Hartmann vielleicht eine winzige Chance, nicht sofort abgeschossen zu werden.

Charity jedenfalls hatte keine Zeit, ihm zu helfen.

Einer der beiden Rochen trieb brennend durch das All, aber der Pilot des anderen hatte seine Maschine mittlerweile wieder unter Kontrolle. Und ihr Ortungsschirm demotivierte sie zusätzlich mit der Nachricht, daß sich auch der vierte Gegner mittlerweile fast in Schußweite befand.

Gottlob hatte Charity nicht einmal Zeit, Angst zu haben. Sie schob den Beschleunigungshebel der Viper bis zum Anschlag nach vorne. Der Jäger machte einen Satz, der sie in die Sitzpolster preßte und ihr den Atem aus den Lungen trieb, beschleunigte mit nahezu unvorstellbaren Werten und überwand die Distanz zum gegnerischen Schiff in weniger als einer Sekunde.

Der Pilot des Rochen reagierte im letzten Augenblick. Das Schiff kippte zur Seite, und Charitys Viper raste mit flammenspeienden Triebwerken keine zwei Meter unter der linken Schwinge des Rochen hindurch. Blaue Flammen und winzige Funken stoben aus dem Metall des Rumpfes, als sie den Schutzschirm des Rochenschiffes streifte, und auf dem Instrumentenpult vor ihr begann fast ein Dutzend roter Lichter zu flackern. Einige von ihnen erloschen wieder, andere leuchteten weiter.

Charity beschleunigte noch immer mit allem, was die Triebwerke hergaben, zwang die Viper in eine enge Linkskurve und änderte jäh den Kurs, als ihr Ortungsalarm einen Treffer meldete. Mit glühendem Metall und zerfetzten Leitungen und Drähten wirbelte eine ihrer Raketenlafetten davon. Aus dem aufgerissenen Tank sprühte Treibstoff in einem feinen Nebel, entzündete sich aber wie durch ein Wunder nicht. Auf dem Pult vor ihr begannen weitere rote Lichter zu blinken, und aus dem rasenden Flug der Viper wurde ein ruckelndes Taumeln, das kaum noch unter Kontrolle zu halten war.

Trotzdem gelang es Charity irgendwie, das Rochenschiff noch einmal anzuvisieren. Sie feuerte die Railgun ab, doch statt des erwarteten, schweren Wuuusch ertönte nur ein trockenes Klacken. Die Waffe war beschädigt. Sie war so gut wie wehrlos.

Das Rochenschiff feuerte. Charitys Cockpit wurde undurchsichtig, als das Glas zu schmelzen begann und Blasen warf, und das Kontrollpult vor ihr leuchtete nun in einem einheitlichen Rot.

Charity tat zwei Dinge zugleich - beide, ohne darüber nachzudenken: Sie schlug auf den Notschalter, der den Schleudersitz auslöste, und schob den Beschleunigungshebel erneut bis zum Anschlag nach vorne. Das schmelzende Cockpit wurde aus der Maschine geschleudert und zerfiel rings um Charity herum in mehrere Teile - gerade noch rechtzeitig, um ihr zu zeigen, wie sich die sterbende Viper mit nahezu zwanzigtausend Stundenkilometern in die Unterseite des Rochenschiffs bohrte.

Beide Schiffe explodierten.

Charity schloß geblendet die Augen, als wenige hundert Meter vor ihr für Sekunden eine zweite, unglaublich helle Sonne aufging. Sie riß die Hände vor das Gesicht und wartete darauf, von der Hitze oder einem Trümmerstück getötet zu werden. Weder das eine noch das andere geschah, aber die Schockwelle ergriff sie und wirbelte sie hilflos wie ein Blatt im Herbststurm davon.

Die Erde, die EXCALIBUR und der gesamte Rest des Universums begannen einen irrsinnigen Tanz rings um sie herum, doch Charity sah trotzdem, daß es hinter dem Sternenschiff in unregelmäßigen Abständen noch immer aufblitzte. Zumindest war Hartmann noch am Leben.

Und ganz offensichtlich auch in der Lage, sich zu wehren.

Wie lange das noch für Charity galt, war fraglich.

Sie griff nach den Kontrollen ihres Rückentornisters, aber das Gerät gab nur ein protestierendes Summen von sich und schaltete sich dann ab. Der Treibstofftank war unwiderruflich leer. Es gelang Charity nicht, ihr wildes Trudeln und das Überschlagen unter Kontrolle zu bringen. Und sie entfernte sich immer weiter und weiter von der EXCALIBUR. In einigen Stunden würde das Schiff immer mehr zusammenschrumpfen und schließlich vor dem Hintergrund der Erde verschwinden. Aber das würde sie wahrscheinlich nicht mehr erleben. Ihr Sauerstoffvorrat würde noch eine Stunde reichen, vielleicht zwei.

Eine verdammt lange Zeit um zu sterben.

Charity begann mit den Armen zu rudern, um ihr hilfloses Trudeln irgendwie unter Kontrolle zu bringen, erreichte damit aber eher das Gegenteil. Die Sterne tanzten weiter wie betrunken um sie herum, und für einen Moment wurde ihr so schwindelig, daß sie die Augen schließen mußte.

Als sie die Lider wieder hob, sah sie das Schiff.

Es war das vermißte Landungsschiff der Fremden, das direkt auf sie zuhielt. Charity sah eine verschwommene Bewegung hinter dem schrägen Cockpitfenster, dann blitzte es grell unter dem Bug des Schiffes auf. Statt des erwarteten tödlichen Laserstrahls waren es jedoch nur die Bremstriebwerke des Schiffes. Der Pilot wollte offensichtlich längsseits gehen.

Vielleicht, um ihren Todeskampf in aller Ruhe zu genießen.

Charity würde ihm diesen Gefallen nicht tun. Sie hörte auf, wild mit den Armen zu fuchteln, und wartete reglos, während das Schiff sich ihrer Geschwindigkeit anpaßte und längsseits ging; ein Kunststück, daß dem fremden Piloten übrigens wesentlich schneller gelang als vorhin Charity, als sie dasselbe mit Skudder versucht hatte.

Trotzdem dauerte es gute fünf Minuten, bis das Schiff sich ihrem Kurs so weit angepaßt hatte, daß es neben ihr scheinbar zum Stillstand kam. Eine der großen Seitentüren glitt auf, und ein riesige Gestalt in einem schwarzen Schutzanzug sprang heraus und flog auf sie zu.

Die Fremden wollten sie lebend fangen.

Charity empfing den schwarzen Giganten mit einem Fußtritt, doch der Riese nahm ihn ohne sichtbare Reaktion hin, packte ihr Bein und drehte sie mit einem brutalen Ruck herum, der ihr fast das Gelenk aus der Hüfte kugelte. Sie keuchte vor Schmerz, versuchte mit viel zu großer Verspätung, nach ihrer Waffe zu greifen und wurde abermals herumgewirbelt. Der Fremde schwang einen gewaltigen Arm von hinten um ihre Schultern, blockierte auf diese Weise Charitys Arme und drückte so heftig zu, daß sie keine Luft mehr bekam. Gleichzeitig begannen sie wieder auf die offene Luftschleuse des Landungsschiffes zuzugleiten.

Charity stellte ihren Widerstand ein und wurde damit belohnt, daß der Würgegriff des Fremden sich wieder lockerte, so daß sie atmen konnte. Sie beging nicht den Fehler, noch einmal nach ihrer Waffe greifen zu wollen. Sie hatte die unvorstellbare Kraft des Fremden gefühlt. Wahrscheinlich konnte er ihr jeden einzelnen Knochen im Leib brechen, ohne sich groß anzustrengen.

Sie erreichten das Schiff, glitten durch die Schleuse und gerieten urplötzlich in den Bereich künstlicher Schwerkraft. Charity fiel unsanft zu Boden, als der Fremde sie urplötzlich losließ.

Zwei, drei Sekunden lang blieb sie regungslos liegen und rang qualvoll nach Atem. Dennoch registrierte sie, daß die Luftschleuse gar keine Luftschleuse war. Das Schiff bestand aus einem einzigen, großen Innenraum, an dessen Wänden sich zwei Reihen metallener, unbequem aussehender Sitzbänke entlangzogen. Die Pilotenkanzel war nicht separat. Charity konnte das Kontrollpult des Shuttle erkennen, vor dem zwei Sessel mit hohen Lehnen standen. Nur einer davon war besetzt. Offensichtlich bestand die Besatzung des Transporters im Augenblick nur aus zwei Männern.

Eine Hand packte sie an der Schulter, riß sie grob in die Höhe und drehte sie gleichzeitig herum. Obwohl Charity wußte, wie sinnlos es war, griff sie abermals nach ihrer Waffe. Der Fremde machte eine blitzschnelle Bewegung, um sie Charity aus der Hand zu schlagen.

Und erstarrte in dem Moment, als sein Blick auf Charitys Gesicht fiel. Irgend etwas an ihren Anblick schien ihn regelrecht zu lähmen.

Charity kannte solche Hemmungen nicht. Sie zog ihre Waffe, zielte angesichts ihres letzten Zusammentreffens mit den schwarzen Riesen auf das schlitzförmige Helmvisier und drückte ab. Der Laserstrahl durchschlug das verspiegelte Glas und explodierte im Inneren des Helmes.

Noch während der leblose Körper nach hinten kippte, wirbelte Charity herum und zielte auf den zweiten Fremden.

Der Pilot des Transportschiffes reagierte so schnell, wie sie es befürchtet hatte. Noch während Charity herumfuhr, sprang er aus seinem Sitz und zog gleichzeitig seine Waffe. Als Charity ihre Drehung beendet hatte, blickte sie genau in die Mündung eines klobigen, aber äußerst gefährlich aussehenden Lasers.

Der Pilot schoß nicht. Alles spielte sich in Bruchteilen von Sekunden ab, doch Charity war klar, daß sie trotzdem viel zu langsam war. Der Fremde hätte jede Gelegenheit gehabt, seine Waffe abzufeuern und sie zu töten.

Er tat es nicht.

Das unglaubliche Geschehen von vorhin wiederholte sich. Der Fremde starrte sie einfach nur an. Charity konnte seinen Blick trotz des verspiegelten Visiers vor seinen Augen regelrecht spüren.

Charity erschoß ihn, bevor er seine Hemmungen überwinden konnte, welchen Grund dafür er auch immer haben mochte. Sein Helmvisier verwandelte sich in einen flammenspeienden Vulkan, als Charity einen Laserstrahl hineinjagte. Die Gestalt kippte leblos nach hinten und feuerte noch im Fallen ihre Waffe ab, aber der Strahl strich harmlos über Charity hinweg und ließ einen Teil der Deckenverkleidung schmelzen.

Sie war mit zwei, drei Schritten im Bug des Schiffes, zog den toten Piloten von seinem Sitz und ließ sich selbst hineinfallen. Ihr Blick irrte verzweifelt über das Instrumentenpult. Die Kontrollen waren fremdartig, aber eindeutig für Menschen gedacht. Hätte sie eine halbe Stunde Zeit gehabt, hätte sie vielleicht sogar lernen können, notdürftig damit zurande zu kommen.

Leider hatte sie keine halbe Stunde.

Sie warf einen hastigen Blick nach vorn und stellte fest, daß das Irrlichtern hinter dem Rumpf der EXCALIBUR noch immer anhielt. Hartmann lebte.

Aber wie lange noch?

Charitys Blick blieb an einem Hebel haften, der entfernte Ähnlichkeit mit einem antiquierten Joystick hatte. Sie griff danach und stellte zufrieden fest, daß sich das Schiff gehorsam in Bewegung setzte - bis das Shuttle heftig zu stampfen und zu schlingern begann. Auf dem Kontrollpult über ihr beschwerte sich ein gutes Dutzend orangerot flackender Lichter. Charity nahm das Tempo ein wenig zurück, und der Transporter beruhigte sich wieder.

Erleichtert atmete sie auf. Sie konnte nicht allzu schnell fliegen, aber sie konnte fliegen. Noch vor zwei Minuten war sie nicht sicher gewesen, ob sie die nächsten zwei Minuten überleben würde. Jetzt hatte sie wieder ein Schiff.

Behutsam schwenkte sie das Shuttle herum, zielte auf den oberen Rand der EXCALIBUR und beschleunigte bis dicht vor den Punkt, an dem das Schütteln wieder einsetzen würde. Jetzt brauchte sie nur noch eine Waffe.

Ratlos musterte sie die mit unverständlichen Schriftzeichen versehenen Instrumente vor sich. Das System, nach dem sie angeordnet waren, kam ihr vage vertraut vor, aber nicht bekannt genug, als daß sie irgendwelche Experimente gewagt hätte.

Doch jede Sekunde, die sie wartete, konnte Hartmanns Tod verursachen.

Die EXCALIBUR kam unerträglich langsam näher. Charity korrigierte den Kurs des Landungsschiffes, bis sie direkt auf das irrlichternde Lasergewitter hinter dem Sternenschiff zuhielt, und zählte mit zusammengebissenen Zähnen die Sekunden, bis sie das Schiff überflogen hatte.

Sie erschrak bis ins Mark, als sie Hartmanns Jäger sah.

Die Viper war ein Wrack. Einer ihrer Flügel war abgerissen, das hintere Drittel des Rumpfes hoffnungslos zerstört, und der Rest des Schiffes schien mehr aus glühenden Flecken und geschwärzten Laserspuren als irgend etwas anderem zu bestehen.

Das Rochenschiff umkreiste die Viper wie ein Geier seine Beute und gab immer wieder kurze, gezielte Feuerstöße ab, die grellweiße Explosionen und Funkenschauer aus dem Rumpf schlugen.

Hartmann war nur noch am Leben, weil er seine Viper genau vor das fremde Kommunikationsschiff gelenkt hatte, so daß der Rochen nicht seine gesamte Feuerkraft einsetzen konnte. Trotzdem konnte es nur noch Augenblicke dauern, bis der ungleiche Kampf zu Ende war.

Charity nahm für einen Moment ihre Geschwindigkeit zurück, visierte das Rochenschiff an und beschleunigte wieder. Der fremde Pilot stellte sein Feuer auf die wehrlose Viper ein und hielt seine Maschine an.

Wieder begann ein Licht auf dem Kontrollpult vor Charity zu flackern. Wahrscheinlich versuchte jemand, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Sie würde nicht darauf antworten, aber sie hatte dennoch eine Nachricht für den Piloten des Rochenschiffes.

Sie bezweifelte allerdings stark, daß sie ihm gefiel.

Drei- oder vierhundert Meter, bevor Charity das Rochenschiff erreichte, stieß sie den »Joystick« brutal nach vorn. Der Transporter machte einen regelrechten Satz und begann prompt wieder zu schlingen, und auch der Pilot des Rochenschiffes begriff endlich, daß irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuging.

Doch seine Reaktion erfolgte zu spät. Das Shuttle bohrte sich mit voller Geschwindigkeit in die Seite seines Schiffes.

Thors Hammer traf das Universum und zerschlug es in Stücke.

Charity wurde aus dem Sitz gerissen und nach vorne geschleudert, während sich das Pult vor ihr zusammenfaltete, als bestünde es aus dünnem Stanniolpapier. Vor ihr waren nichts als Flammen, gleißendes Licht und wirbelnde Trümmer. Sie prallte gegen die Frontscheibe, die genau in diesem Moment zu einem Wasserfall glühender, rechteckiger Scherben zerfiel, wurde zurückgeschleudert und spürte noch im Sturz, wie die künstliche Schwerkraft des Shuttle erlosch. Mit furchtbarer Gewalt wurde sie gegen irgend etwas Weiches, Nachgiebiges geschleudert, das ihrem Sturz die allerschlimmste Wucht nahm, und verlor den Kontakt zum Boden.

Sich hilflos überschlagend, segelte sie durch die gesamte Kabine, prallte mit immer noch entsetzlicher Wucht gegen die Rückwand und verlor beinahe das Bewußtsein. Wogen fürchterlicher Schmerzen rasten durch ihren Körper, und jeder Atemzug wurde von einem tiefen, quälenden Stich begleitet. Wahrscheinlich hatte sie sich eine Rippe gebrochen. Sie kämpfte mit verzweifelter Kraft darum, bei Bewußtsein zu bleiben, blinzelte die roten Schleier vor ihren Augen fort und streckte die Arme nach irgendeinem Halt aus.

Rings um sie herum zerbrach das Schiff in Stücke. Die Pilotensessel und das Kommandopult waren nur noch ein Gewirr aus Trümmern und Schrott, und vor den herausgeborstenen Fenstern loderte noch immer grünes Feuer. Das ganze Schiff schien seine Form verloren zu haben und wirkte plötzlich asymmetrisch. Herausgerissene Sitzbänke und Trümmer segelten durch die Kabine. Aus zerborstenen Rohrleitungen quollen Flüssigkeit und Funken. Blaues Feuer züngelte nur eine Handbreit neben Charity aus dem Boden, und das gesamte Schiff erzitterte noch immer unter einer Folge rascher, schwerer Schläge.

Es würde auseinanderbrechen, erkannte Charity. Vielleicht explodieren.

Sie hatte endlich etwas gefunden, woran sie sich festhalten konnte, und hangelte sich Hand über Hand auf den Ausgang zu. Der Pilot hatte die Tür nicht mehr schließen können, bevor Charity ihn erschossen hatte. Wenn sie die Tür erreichte, hatte sie vielleicht ein Chance.

Charity arbeitete sich mit zusammengebissenen Zähnen weiter auf die Tür zu. Die Schmerzen in ihrer Brust wurden immer schlimmer. Jeder Atemzug war eine unerträgliche Qual, und ihre Muskeln versuchten den Dienst zu quittieren. Verzweifelt auf dem dünnen Grat der Bewußtlosigkeit entlang balancierend, arbeitete Charity sich weiter auf die Tür zu, erreichte sie mit letzter Kraft und katapultierte sich selbst aus dem Schiff hinaus.

Der Transporter und das Rochenschiff stürzten unter ihr in die Tiefe. Die beiden Schiffe hatten sich regelrecht ineinander verkeilt. Das Shuttle war auf zwei Drittel seiner ursprünglichen Länge zusammengestaucht worden und deutlich erkennbar in sich verdreht. Eine ununterbrochene Folge kleiner, greller Explosionen riß sein Heck immer weiter auseinander, aber durch einen schier unglaublichen Zufall arbeiteten seine Triebwerke noch immer, so daß sich das zerbrechende Wrack immer tiefer in den Rumpf des viel kleineren Rochenschiffes hineinwühlte.

Auch der Rochen war dem Untergang geweiht, selbst wenn es dem Piloten gelungen wäre, das Wrack des Transporters irgendwie abzuschütteln. Seine rechte Flanke war fast zur Gänze aufgerissen, und irgendeine Flüssigkeit - vermutlich Treibstoff - zischte unter hohem Druck aus einem Leck und verbrannte mit roten, brodelnden Flammen. Es sah tatsächlich so aus, als würde der stählerne Stachelrochen bluten.

Charity beobachtete in stummer Faszination, wie sich die beiden ineinander verkeilten Schiffe allmählich weiter entfernten, wobei sie sich ununterbrochen umeinander drehten, als führten sie einen geheimnisvollen Totentanz auf. Dabei näherten sie sich allmählich wieder der EXCALIBUR, bis sie schließlich in die Anziehungskraft des riesigen Schiffes gerieten. In der Flanke der EXCALIBUR entstand ein zweites, klaffendes Loch, als die beiden Schiffe aufschlugen und explodierten.

Erst jetzt schaltete Charity ihren Anzugfunk ein und drückte die Sendetaste.

»Hartmann?«

Endlose vier, fünf Sekunden lang bekam sie keine Antwort, dann aber hörte sie Hartmanns Stimme aus ihrem Helmlautsprecher dringen, leise, weit entfernt, von starken Störungen und statischem Rauschen überlagert und unendlich erstaunt.

»Charity? Bist... bist du das?«

»Wer sonst würde es fertig bringen, drei Schiffe in fünf Minuten zu Schrott zu fliegen?« antwortete Charity. Eigentlich war ihr nicht nach Scherzen zumute. Das Sprechen bereitete ihr große Mühe. Die Schmerzen in ihrer Brust wurden immer schlimmer, und sie schmeckte Blut.

»Großer Gott!« keuchte Hartmann. »Was ist passiert? Bist du verletzt?«

»Nein«, log Charity. »Nur ein paar Schrammen.«

»Ich sehe dich«, sagte Hartmann. »Falls diese Kiste nicht auseinanderfällt, bin ich in einer Minute bei dir!«

»Warte«, sagte Charity rasch. Alles drehte sich um sie. Sie stand kurz davor, endgültig das Bewußtsein zu verlieren. Trotzdem fuhr sie fort: »Was ist mit deinem Schiff?«

»Was soll damit sein?« fragte Hartmann und fügte trocken hinzu: »Es bricht auseinander.«

»Das meine ich nicht«, erwiderte Charity. »Hast du noch ein paar Raketen übrig?«

»Ja.«

»Dann hör auf zu reden und schieß diese verdammte fliegende Satellitenschüssel endlich ab!«

»Was meinst du, was ich die ganze Zeit versucht habe«, sagte Hartmann. »Aber das verdammte Ding hat Schutzschirme wie ein Schlachtkreuzer. Ich bräuchte eine Atombombe, um es zu knacken.«

»Schieß auf die Triebwerke«, sagte Charity. »Ich habe einen von ihnen auf diese Weise erwischt. Ich nehme an, es gibt an dieser Stelle irgendeine Lücke.«

Wenn nicht, ist ohnehin alles vorbei, dachte sie. Die Besatzung des Kommunikationsschiffes mußte den Kampf beobachtet haben. Selbst wenn die Fremden ihren Funkverkehr nicht abhörten, schrien sie jetzt wahrscheinlich aus Leibeskräften um Hilfe.

Der Gedanke brachte Charity zu einer anderen Frage, die sie sich auf einer tiefen Ebene ihres Bewußtseins schon seit einer guten Minute stellte.

Während Hartmann seine beschädigte Viper mühsam hinter das viel größere Schiff manövrierte, fragte sie: »Hartmann?«

»Ja?«

»Wieso können wir miteinander reden? Der Funk - wieso funktioniert er?«

»Nur dein Anzuggerät, Charity«, antwortete Hartmann. »Und meines. Wir mußten irgendwo sparen, also haben wir in die Anzüge die guten alten UKW-Geräte eingebaut. In irgendeinem Lagerhaus flogen noch ein paar Millionen von den Dingen herum. Das Funkgerät meiner Viper ist so tot, wie dieses verdammte Ding da draußen hoffentlich gleich sein wird.«

Moron-Technologie, dachte Charity.

Die Vipern stammten fast hundertprozentig aus irdischer Fertigung, aber bei den Funkgeräten waren Hartmanns Techniker von diesem Prinzip abgewichen; einfach, weil sie nichts hatten, was den überlichtschnellen Kommunikationsgeräten der Aliens auch nur nahe kam. Das konnte bedeuten, daß...

Hartmann hatte sein Schiff in Schußposition gebracht und feuerte sofort; für Charitys Geschmack aus viel zu geringer Distanz. Aber sie vermutete, daß Hartmanns Viper tatsächlich kurz davor stand, auseinanderzubrechen, und daß er mit jeder Sekunde geizen mußte. Eine seiner Raketen verfehlte ihr Ziel und detonierte in einem spektakulären Feuerwerk an den Schirmen des fremden Schiffes, aber die beiden anderen verschwanden in den geschwärzten Triebwerksöffnungen.

Die Explosion erfolgte augenblicklich. Das gesamte Heck des Kommunikationsschiffes verschwand in einem gewaltigen Feuerball, dem kurz darauf zahllose weitere, wenn auch kleinere Explosionen im vorderen Teil des Schiffes folgten. Die beiden Raketen reichten nicht aus, das Schiff vollkommen zu zerstören, doch es begann augenblicklich zu taumeln. Sämtliche Lichter erloschen, dann riß eine noch heftigere Explosion ein gewaltiges Loch in seine Oberseite und den darauf befindlichen Wald aus Antennen und Sendeanlagen.

»Volltreffer«, sagte Hartmann trocken. »Ein guter Tip, Captain Laird. Ich werde Sie offiziell für eine Belobigung vorschlagen.«

Charity lächelte schmerzverzerrt. »Versuch lieber, eine Verbindung zur Erde herzustellen«, sagte sie.

Hartmann antwortete nicht, ließ sein Anzuggerät aber eingeschaltet, so daß Charity hören konnte, wie er das Hyperfunkgerät der Viper aktivierte.

»General Hartmann an Euro-Basis eins! Dies ist ein Notruf! Kommen!«

Nichts geschah. Hartmann wiederholte seine Worte, etwas lauter und in hörbar drängenderem Tonfall, doch er mußte es insgesamt viermal wiederholen, ehe er eine Antwort bekam.

Sie fiel nicht so aus, wie Charity es sich erhofft hätte, sondern so, wie sie es befürchtet hatte.

Für Sekunden füllten sich ihre Helmlautsprecher mit Lärm. Schreie, Explosionen. Dann hörte sie eine unbekannte, panikerfüllte Stimme: »Euro-Basis eins! Wir werden angegriffen! Mayday! Mayday! Ich wiederhole: Wir werden angegriffen!«

Hartmanns Stimme war von einer erstaunlichen Ruhe erfüllt, als er antwortete. Vielleicht hatte er es ebenso erwartet wie Charity.

»Wer spricht denn da?«

»Major Willemsen! Commodore Mayers ist tot, wie auch die meisten anderen, Sir! Ich habe das Kommando übernommen, aber ich kann nicht mehr viel tun! Die Angreifer sind uns hoffnungslos überlegen! Fast alle unsere Waffen versagen! Die gesamte Moron-Technologie ist ausgefallen! Wir sind wehrlos!«

»Bewahren Sie Ruhe, Major«, sagte Hartmann. »Wir sind auf denselben Gegner gestoßen. Wie ist die genaue Lage?«

»Katastrophal«, antwortete Willemsen. Seine Stimme bebte noch immer vor Panik und war viel zu schrill. Im Hintergrund war eine Serie schwerer Explosionen zu hören. »Sie bombardieren die Basis. Die meisten konventionellen Abwehreinrichtungen sind zerstört, und dieser ganze Alien-Scheiß ist vor einer Stunde komplett ausgefallen. Nichts funktioniert mehr!«

Charity lächelte flüchtig über diesen Ausdruck und funkte Hartmann an.

»Sag ihm, er soll es noch mal versuchen«, sagte sie.

»Was?«

»Den Alien-Scheiß einzusetzen«, entgegnete sie. »Schnell!«

Sie konnte Hartmanns Achselzucken regelrecht hören, aber er tat trotzdem sofort, was sie verlangte. »Versuchen Sie es, Willemsen«, sagte er. »Nehmen Sie die Moron-Technologie wieder in Betrieb.«

»Aber, Sir, wir -«

»Sofort!« Hartmanns Stimme war schneidend. »Das ist ein Befehl!«

Sein scharfer Tonfall zeigte Wirkung. Wahrscheinlich war der junge Major nicht nur am Rande der Panik, sondern mit seiner Aufgabe auch hoffnungslos überfordert und im Grunde erleichtert, daß ihm überhaupt jemand Befehle erteilte. Charity konnte hören, wie er im Hintergrund herumzubrüllen begann; dann herrschte sekundenlang verblüfftes Schweigen, das nur von Lärm des noch immer anhaltenden Angriffs unterbrochen wurde.

Als Willemsen sich wieder meldete, konnte sie sein fassungsloses Gesicht beinahe vor sich sehen.

»Es... es funktioniert, Sir«, stammelte er. »Aber wie -«

»Fragen Sie nicht«, fiel Hartmann ihm ins Wort, »benutzen Sie es! Und danach schicken Sie eine Schwadron Kampfjets zur EXCALIBUR hinauf. Oder besser gleich zwei.«

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