Bevor ich aber noch einen genaueren Blick darauf werfen kann, hat es Marc schon in eine knisternde, glitzernde Folie eingewickelt, die ihm Polizist Hajo gerade in die Hand gedr?ckt hat. Nun erinnert es entfernt an eines der Geschenke, die Weihnachten unter dem Baum lagen. Fehlt nur noch die Schleife. Ob das irgendein besonderes Ritual bei Menschen ist? Das Einwickeln von Kindern in Geschenkpapier?

Das P?ckchen liegt jetzt auf Caros Bauch, die wiederum mittlerweile ganz ersch?pft auf der Decke liegt. Es hat aufgeh?rt, so laut zu kr?hen, sondern gibt nun ein leises Wimmern von sich. Menno, ich kann von meiner Position aus nur die bl?de Glitzerfolie sehen, traue mich aber auch nicht, n?her an Caro heranzur?cken. Hundem?tter m?gen es ja gar nicht, wenn man ihrem Nachwuchs zu dicht auf die Pelle r?ckt. Da habe ich von meiner Tante schon einmal ganz, ganz b?se Schimpfe bezogen, und diesen Fehler mache ich bestimmt nicht noch mal.

»Wir m?ssen es eigentlich noch abnabeln, ich hatte gehofft, dass der Krankenwagen nun endlich mal da w?re. Geben Sie mir mal die Handschuhe, dann mache ich das«, weist Marc den Polizisten an. Nachdem er sich die Handschuhe ?bergestreift hat, ?ffnet er die Folie ein St?ck, und endlich kann ich einen Blick auf das Baby erhaschen.

Wahnsinn! Es hat die Augen schon auf! Das wusste ich nicht. Ich dachte nat?rlich, dass auch Menschenbabys die Augen erst einmal fest geschlossen haben. Bei uns Dackeln dauert es eine ganze Weile, bis wir sie ?ffnen k?nnen. Habe ich auf Schloss Eschersbach bei meinen Cousins und Cousinen beobachtet. Aber hier ist es anders. Als ich einen kleinen

Schritt vorgehe, guckt das Baby mich direkt aus seinen grossen Augen an. Jedenfalls kommt es mir so vor. Es schaut ganz ernst – fast so, als w?sste es schon eine ganze Menge ?ber die Menschen. Und auf alle F?lle mehr als ein kleiner, dummer Dackel.

»So, die Nabelschnur habe ich mit Ihrem Handschuh abgebunden, abnabeln m?ssen dann die Sanit?ter. Die Kollegen sind ja hoffentlich bald da.«

»Marc?« Carolins Stimme klingt schwach.

»Spatzl, ich bin hier.«

»Kannst du jetzt bitte wieder von Arzt auf Papa umschalten?«

»Nat?rlich!« Marc legt sich neben Carolin, gemeinsam betrachten sie ihr Baby, Marc streicht Caro durch ihr v?llig verschwitztes Haar und k?sst sie.

»Das hast du ganz toll gemacht!«

»Also, das n?chste Kind kriegst auf alle F?lle du!« Caro versucht ein L?cheln. »Und das Wichtigste hast du mir noch gar nicht gesagt.«

»N?mlich?«

»Haben wir eine Br?nhilde oder einen Leander?«

ZW?LF

Henri? Oh Gott, das ist ja ein scheusslicher Name.« Hedwig sch?ttelt den Kopf. Und zwar so heftig, dass ich es sehen kann, obwohl ich im Grunde genommen in einem Tragekorb versteckt worden bin. »Habt ihr nichts anderes?«

»Wir haben noch ?ber Oskar nachgedacht.« Marc l?sst sich durch seine Mutter nicht aus der Ruhe bringen. Carolin rollt bestimmt schon mit den Augen, aber das kann ich nicht genau erkennen, weil mir der Henkel des Korbes die Sicht versperrt.

Hedwig l?sst sich davon allerdings nicht beirren.

»Oskar – das ist ja noch schlimmer! Dann nennt den Jungen wenigstens Heinrich, dann k?nnt ihr ihn immer noch Henri rufen.«

»Mutter, es ist dir wahrscheinlich nicht bewusst, aber das ist hier keine demokratische Angelegenheit.«

Ob dieser Einwand etwas taugt, vermag ich nicht zu beurteilen. Was bedeutet wohldemokratisch? Hedwig jedenfalls ignoriert ihn.

»Und hat der Junge noch einen zweiten Namen?«

»Ja«, mischt sich nun Carolin ein. »Er heisst Henri Leander.«

»Aha. Noch so ein komischer Name. Wie seid ihr denn auf den gekommen?«

Ich wette, Caro und Marc grinsen sich jetzt an. Ob sie Hedwig erz?hlen wollen, dass Klein-Henri quasi auf dem Grab des guten, alten Leanders geboren wurde?

»?h, das ist ein Erbonkel von mir«, schwindelt Carolin. Gut, dann eben nicht. Die Geschichte ist f?r die frischgebackene Grossmutter vielleicht auch nicht das Richtige.

Hedwig seufzt.

»Na gut, der Zweck heiligt wahrscheinlich die Mittel. Wollen wir hoffen, dass der arme Junge dann tats?chlich etwas erbt. Wann werdet ihr eigentlich entlassen?«

»Ich denke mal, morgen sind wir wieder zu Hause. Eigentlich h?tten sie mich auch gleich entlassen k?nnen, aber die Ober?rztin sagte, es sei ihr lieber, ich bliebe noch eine Nacht zur Beobachtung. So eine pl?tzliche Geburt ist doch ziemlich stressig f?r den K?rper der Mutter – und f?r dasBaby sowieso.«

Hedwig sch?ttelt schon wieder den Kopf.

»Ts.Sturzgeburt. Dass es so etwas wirklich gibt …vielleicht hast du auch einfach den Beginn der Wehen nicht bemerkt. Immerhin, als Erstgeb?rende …«

Caro schnaubt.

»Was soll das denn heissen? Ich hatte einen Blasensprung mit mehr oder weniger komplettem Fruchtwasserabgang – das war kaum zu ?bersehen. Und: Ja, eine so schnelle Geburt ist zwar selten, kommt aber immer wieder vor. Die ?rzte haben mir das genau erkl?rt und haben uns daf?r gelobt, dass wirso ruhig geblieben sind. Du bist ehrlich gesagt die Erste, die meint, dass ich einfach den Anfang der Geburt verpennt habe. ?brigens heisst das ?berst?rzte Geburt, nichtSturzgeburt!«

Caro regt sich so auf, dass Klein-Henri, der auf ihrem Bauch liegt und schlummert, pl?tzlich anf?ngt zu qu?ken.

Hedwig hebt beschwichtigend die H?nde.

»Ist ja gut, das war doch keine Kritik. Ich fahre jetzt mal nach Hause. Luisa kommt gleich aus der Schule, dann essen wir Mittag, und ich komme dann noch mal mit ihr ins Krankenhaus.

Den Hund nehme ich allerdings nicht mit, ich finde, dass er hier wirklich nichts zu suchen hat.«

Wuff! Eine Unversch?mtheit! Ich bin immerhin fast der Geburtshelfer von Klein-Henri, traurig genug, dass man mich hier heimlich reinschmuggeln musste. Caro und das Baby sind mit dem Krankenwagen, der schliesslich doch noch kam, ins Krankenhaus gebracht worden, und Marc und ich sind im Wagen hinterhergefahren. Anstatt wie ein anst?ndiger Familiendackel einfach vorne durch die Eingangst?r zu traben, musste ich dann in dem Korb Platz nehmen, mit dem Marc normalerweise leere Flaschen transportiert. Entsprechend riecht der Korb auch. Igitt! Aber da die Alternative offenbar gewesen w?re, im Auto zu warten, bis Marc wiederkommt, musste ich meiner empfindlichen Dackelnase diesen Unbill zumuten. Und alles nur wegen des v?llig bl?dsinnigen Verbots von Hunden im Krankenhaus. Dass sich nun allerdings auch noch Oma Hedwig auf die Seite des Unrechts schl?gt, finde ich geradezu emp?rend.

Caro r?uspert sich. Will sie Hedwig deswegen abmisten? Richtig w?re es. Luisa darf immerhin nachher auch noch kommen.

»Hedwig, dann tu mir bitte den Gefallen und gib Herkules bei Daniel in der Werkstatt ab. Ich habe schon mit ihm besprochen, dass er die n?chsten Tage den Hundesitter gibt.«

Klasse. Kaum ist das Baby da, schon werde ich abgeschoben. Allerdings: Seit gestern wohnt Cherie in der Werkstatt. Es w?re also eine gute Gelegenheit, sie mit der spannenden Geschichte von Caros Geburt zu beeindrucken. Hoffentlich rieche ich nun nicht genauso penetrant wie der Weidenkorb nach Bier und Wein. Das k?me bei Cherie wahrscheinlich nicht so gut an.

»Ua, Kumpel – du stinkst ja widerlich!«

Okay. Ich habe leider tats?chlich den Geruch des Korbes angenommen. Herr Beck jedenfalls tut so, als h?tte ich die letzte Nacht auf einer M?lldeponie ?bernachtet. Mist. Dabei will ich Cherie doch in ein Gespr?ch verwickeln, wenn sie sp?ter wiederkommt.

»Hm, ist es wirklich so schlimm?«

»Nein, noch schlimmer. Viel schlimmer!«

»Dann muss ich baden.«

»Du musst – WAS? Baden? Freiwillig?« Klar, dass eine Katze diesen Gedanken f?r abwegig h?lt. Herr Beck sieht allerdings richtiggehend schockiert aus.

»H?r mal, Herkules, das ist doch Bl?dsinn, der Gestank geht sicherlich irgendwann von alleine weg. Vielleicht schl?fst du mal eine Nacht draussen, ist im Sommer ja kein Problem. Dann bist du richtig sch?n ausgel?ftet, und alles ist wieder gut.«

»Du verstehst mich nicht. Ich muss sofort gut riechen, und das geht wohl nur, wenn ich bade.«

Beck sch?ttelt den Kopf.

»Ihr Hunde seid wirklich verr?ckt. Aber davon mal ganz abgesehen: Wo willst du jetzt jemanden herkriegen, der dich badet? Alleine wirst du es kaum bewerkstelligen, es sei denn, du springst mal wieder in die Alster und l?sst dich danach von deiner Angebeteten retten.«

Der fette Kater gibt ein Ger?usch von sich, das bestimmt eine Art Kichern ist. Ha, ha, wirklich sehr lustig. Aber leider hat er Recht. Ich kann mich tats?chlich nicht einfach so alleine baden. Ich brauche eine schon vorhandene Waschgelegenheit, die aber nach M?glichkeit nicht so tief wie die Alster ist.

Auf der Suche nach einer solchen stromere ich im Garten herum. Vielleicht eine Pf?tze im W?schekorb der ollen

Meier, immerhin hat es gestern geregnet. Nein, der Korb ist ganz trocken, offenbar hat sie ihn erst heute Morgen zur W?schespinne gestellt. Und die Regentonne, die an der Seite des Hauses steht, ist viel zu hoch, da komme ich nicht rauf. Ist vielleicht der Rasensprenger an? Ich laufe zum hinteren Teil des Gartens, wo das lustige Dings oft steht. Ebenfalls Fehlanzeige. Allerdings bringt mich das auf eine Idee. Der Rasensprenger h?ngt immer an dem Gartenschlauch, der direkt neben unserer Terrasse aus der Wand kommt. Vielleicht ist da ja immer Wasser drin? Und vielleicht kann ich das Wasser irgendwie anders rauskriegen? Schliesslich ist der Hahn, an dem der Schlauch h?ngt, in der N?he des Bodens angebracht. Da m?sste ich eigentlich drankommen.

Ich mache mich auf den Weg zur Terrasse, und richtig: Direkt neben der T?r, fein s?uberlich aufgerollt, liegt der Gartenschlauch. Er ist, wie ich mich richtig erinnerte, an einem Hahn in der Wand befestigt, und Letzterer liegt praktischerweise auf Schnauzenh?he. Da geht doch was! Ich setze mich direkt davor und ?berlege, was ich wohl machen muss, um das Wasser vom Schlauch auf den Dackel zu bekommen. Wie machen das die Menschen noch mal? Die fummeln doch irgendwie immer an diesem Hahndings rum. Ich gebe dem Hahn einen Stups mit meiner Schnauze. Autsch! Ganz sch?n hart, das Ding! Noch ein Versuch: Diesmal packe ich das obere Teil mit meinen Z?hnen und versuche, es hin und her zu bewegen. Vergeblich. Da tut sich gar nix.

Beim n?chsten Anlauf rutsche ich vom Hahn ab, und meine Z?hne landen im Schlauch. Im Gegensatz zum Hahn ist der so weich, dass ich sofort ein paar kleine L?cher hinterlasse. Aus diesen – tataaa! – rinnt tats?chlich etwas Wasser. Es ist allerdings so wenig, dass es kaum reichen wird, um einen ganzen Hund damit zu waschen, selbst ein so kleines Kerlchen wie

mich nicht. Und wenn ich einfach ein paar L?cher mehr in den Schlauch nage? Sicher, Carolin wird nicht begeistert sein. Aber die ist doch sowieso gerade mit dem Baby besch?ftigt, und ich muss einfach auch mal an mich denken. Und an mein Herz.

Nach zwei weiteren Bissen wird das Rinnsal langsam zu einem stetigen Wasserfluss, nach f?nf weiteren zu einem ernstzunehmenden Strahl. Sehr gut! So kann es gehen. Ich stelle mich direkt unter die so entstandene Dusche und lasse mich berieseln. Ich weiss wirklich nicht, warum sich dieser fette Kater so anstellt. Eigentlich ist Wasser an einem heissen Tag wie diesem sehr angenehm. Es k?nnte sogar noch etwas mehr sein. Ich drehe mich noch einmal zu der angenagten Stelle und beisse wieder zu. Erst passiert nicht viel mehr als vorher. Doch auf einmal gibt es ein zischendes Ger?usch – und dann platzt der Schlauch. Ein Schwall von kaltem Wasser schiesst geradezu aus der Wand, ich werde regelrecht weggestossen. Entsetzt heule ich auf. Was habe ich da bloss angestellt?

»Herkules, was ist denn los?«

Beck kommt angerannt.

»Ich … ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht.«

Becks Blicke gehen zwischen mir, dem mittlerweile triefnassen Herkules, und dem immer noch aus der Wand schie-ssenden Wasser hin und her.

»Auweia! Wie ist das denn passiert?«

»Ich habe nur ein bisschen am Schlauch genagt, weil ich duschen wollte.«

»Du verr?ckter K?ter! Jetzt sieh dir mal an, was du angestellt hast: Wenn wir das Wasser nicht irgendwie abstellen k?nnen, dann kann ich auch bald ein Bad im Garten nehmen.«

Das ist zwar?bertrieben, aber leider nur ein bisschen.

Denn tats?chlich str?mt so viel Wasser aus dem angenagten Schlauchende, dass sich zumindest auf der Terrasse schon eine ziemlich grosse Lache gebildet hat. Was noch schlimmer ist: Ein Teil des Wassers schwappt bedrohlich in Richtung Treppenstufen zur Werkstatt. Und diese liegt tiefer als die Terrasse selbst. Sogar ein Vierbeiner wie ich kann sich leicht ausrechnen, wohin das Wasser fliessen wird, wenn auf der Terrasse kein Platz mehr ist.

»Was sollen wir denn jetzt machen?«, jaule ich kleinlaut.

Herr Beck schnaubt.

»Wiesowir? Was habe ich denn damit zu tun? Ich habe dir gleich gesagt, dass diese Idee mit dem Bad v?llig abwegig ist. H?ttest du auf mich geh?rt, h?tten wir das Problem gar nicht.«

Nat?rlich hat Beck Recht. Von einem wahren Freund h?tte ich mir allerdings eine andere Antwort erwartet. Ich ziehe den Schwanz ein und jaule noch lauter.

Beck gibt ein unwilliges Knurren von sich.

»Du musst Daniel rausholen. Und zwar schnell. Also steh hier nicht wie angenagelt, sondern lauf los!«

»Daniel ist nicht da.«

»Was? Wo steckt er denn?«

»Er hat Claudia angeboten, noch die letzten Sachen aus ihrer alten Wohnung zu holen, weil er doch ein Auto hat. Deswegen ist er gerade noch mal los.«

Beck betrachtet mit finsterer Miene das Wasser, das nun tats?chlich schon die erste Treppenstufe erreicht hat.

»Da h?tte dein Hundesitter dich mal besser mitgenommen. Ihr Hunde seid so verdammt unselbst?ndig, man kann euch wirklich keinen Moment aus den Augen lassen.«

Herr Beck ist echt gemein, ich k?nnte heulen. Sollte er mal in Schwierigkeiten stecken und meine Hilfe brauchen, dann

werde ich ihn auch erst eine Runde belehren, bevor ich ihm helfe. Wenn ich ihm ?berhaupt helfe, jawoll! Ich trabe n?her an den Hahn heran – vielleicht kann ich das Loch irgendwie mit meiner Schnauze stopfen? Andererseits – wenn ich sie mitten ins Wasser stecke, ertrinke ich wahrscheinlich, obwohl ich gar nicht in die Alster gefallen bin.

Beck ist inzwischen die Stufen zur Werkstatt hinuntergesprungen.

»Na, bravo! Hier unten ist es schon nass! Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Wasser in die Werkstatt fliesst. Die Terrassent?r ist gekippt. Aber was rege ich mich auf – mir kann es ja egal sein. Ich wohne da ja nicht. F?r deine Freundin Cherie wird es nat?rlich ungem?tlich. Kann mir vorstellen, dass die ihre Babys lieber im Trockenen unterbringen will.«

»K?nnen wir nicht Nina oder Alexander alarmieren?«

Beck sch?ttelt den Kopf.

»Nina ist immer noch in Stockholm oder -halm oder wie das heisst, und Alex ist arbeiten. K?nnte h?chstens versuchen, die alte Meier irgendwie auf uns aufmerksam zu machen. Oder besser noch: Du machst sie aufmerksam. Bellen ist diesbez?glich doch um einiges wirkungsvoller als Maunzen.«

Also belle ich, was das Zeug h?lt. Und zwar sowohl im Garten vor den Balkonen als auch im Vorgarten. Immer wieder laufe ich von hinten nach vorne – ohne Erfolg.

»Und? Kommt jemand?«, will Beck wissen, als ich das n?chste Mal an der Terrasse vorbeihetze.

»Nein, es scheint niemand da zu sein.«

»So eine Scheisse!« Auweia. Wenn sich Herr Beck f?r seine Verh?ltnisse so ungew?hnlich derb ausdr?ckt, dann haben wir ein echtes Problem. »Hier unten staut sich das Wasser schon richtig. Wenn es in dem Tempo weitersteigt, hat es den T?rspalt bald erreicht.«

Oh nein! Wenn das passiert und daraufhin die ganze Werkstatt unter Wasser steht mitsamt allen Violinen und Celli, dann dreht mir Carolin wahrscheinlich den Hals um. Und dann kann Claudia nicht bei uns wohnen, und Cherie also auch nicht, und ich kann ihr nicht zeigen, dass ich ein zwar kleiner, aber cooler Hund bin, und dann wird sie niemals …

»Herkules, jetzt reiss dich endlich zusammen und h?r mit der Jaulerei auf!«, herrscht Herr Beck mich an. Er ist wieder nach oben gesprungen und guckt mich so b?se-stechend an, wie nur eine Katze es kann. »Wir m?ssen einen k?hlen Kopf bewahren und nachdenken. Also: Welche Menschen k?nnen wirjetzt noch schnell hierherlotsen? Caro? Marc?«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Nein, die sind im Krankenhaus. Hedwig und Luisa auch. Und andere Menschen, die in der N?he wohnen und die ich auch finden w?rde, kenne ich nicht.«

Einen kurzen Moment schweigen wir – und dann kommt uns beiden fast gleichzeitig die rettende Idee:

»Willi!«

»Genau, Willi! Wir m?ssen Willi holen!«

DREIZEHN

Willi war mal das, was die Menschen gemeinhin einenPenner nennen. Warum, habe ich bis heute nicht recht verstanden, denn ich habe eigentlich nicht den Eindruck, dass Willi fr?her irgendwie mehr geschlafen hat als seine Mitmenschen. Als Herr Beck und ich ihn das erste Mal trafen, wohnte er noch auf einer Bank im Park hinter Caros Werkstatt. Heute hat er allerdings eine richtige Wohnung und verkauft Zeitungen vor dem Supermarkt, in dem Marc und Caro immer einkaufen. Dieser Markt ist Gott sei Dank nicht weit von der Werkstatt entfernt, und ich kann nur hoffen, dass Willi auch jetzt dort ist, denn sonst ist die Katastrophe wohl nicht mehr zu verhindern.

Willi ist n?mlich ein ausgezeichneter Katastrophenverhinderer. Eigentlich der einzige mir bekannte Mensch, den man so bezeichnen kann. Alle anderen Menschen sind eherKatastrophenerzeuger. Nur der Willi, der ist eindeutig anders. Mich zum Beispiel hat Willi einmal vor dem sicheren Erstickungstod in einem Kaninchenbau gerettet. Zwar hat sich Carolin damals trotzdem nicht in ihn verliebt, sondern in Marc, aber das ist eine andere Geschichte. Bei Marc – typisch Mensch – geht h?ufiger mal etwas schief, siehe die Geschichte mit unserem Rausschmiss aus dem Kaufhaus. Wobei der alte von Eschersbach im Zusammenhang mit Missgeschicken anderer Menschen immer sehr gerne ein Sprichwort zitierte, in dem ein Glashaus vorkam. M?glicherweise sitze ich gerade in

einem solchen und sollte mich zum ThemaKatastrophe etwas zur?ckhalten.

»Bist du sicher, dass wir Willi hier finden?« Bisher ist Herr Beck brav neben mir hergetrabt, aber jetzt klingt er skeptisch.

»Wenn du mir nicht glaubst, h?ttest du ja zu Hause bleiben k?nnen.« Das Letzte, was ich jetzt brauchen kann, ist ein pessimistischer fetter Kater.

»Nee, nee, und dann den ganzen ?rger abkriegen, falls Daniel doch schon eher kommt und dann denkt, ich h?tte den Schlauch ramponiert? Auf keinen Fall. Lieber suche ich mit dir Willi. Wie weit ist es denn noch?«

»Gleich da vorne um die Ecke. Bisher war Willi immer da, wenn ich mit Caro vorbeispaziert bin«, versuche ich, Zuversicht zu verstr?men und mich damit selbst zu tr?sten. Willi wird da sein – und dann m?ssen wir ihn noch dazu bringen, uns zu folgen. Das ist allerdings nicht so kompliziert, wie es jetzt klingt. Willi ist n?mlich nicht nur Katastrophenverhinderer, sondern auch Dackelversteher. Als Herr Beck und ich noch versuchten, wildfremde M?nner aus dem Park in unseren Garten zu locken, auf dass endlich der Traumprinz f?r Carolin dabei w?re, war Willi im Grunde genommen der Einzige, der unseren Wink verstanden hat und freiwillig mitgekommen war. Wieso Caro damals trotzdem nicht erkannt hat, dass wir ihr den passenden Mann gewissermassen auf dem Silbertablett pr?sentiert haben, verstehe ich bis heute nicht, aber vielleicht hat das auch damit zu tun, dass Willi zu der Zeit eben ein Penner war. Wahrscheinlich hatte Caro Angst, er k?nnte ihr beim ersten Rendezvous einfach einschlafen. Und das w?re nun wirklich nicht besonders romantisch gewesen.

Endlich taucht der Supermarkt vor uns auf und: Bingo! Willi sitzt tats?chlich davor und hat auf einem kleinen Tisch neben sich einen Verkaufsstand mit Zeitungen aufgebaut.

Auch Beck hat ihn gleich gesehen, sofort wird er schneller. Zwei, drei geschmeidige S?tze, dann sitzt er direkt vor Willi. Was f?r ein Angeber, eben typisch Katze. Aber elegant gemacht, das muss der Neid ihm lassen. Auch typisch Katze, leider! W?rde ich nie so hinkriegen, zu kurze Beine! So schnell mich Letztere tragen, wetze ich hinter Beck her und setzte mich neben ihn. Immerhin kommt jetzt wieder einer meiner F?higkeiten entscheidende Bedeutung zu: richtig traurig gucken, Dackelblick eben.

Willi f?hrt sich mit der Hand durch sein l?ngeres, welliges Haar und mustert uns erstaunt, was sein runzeliges Gesicht gleich noch mehr in Falten legt.

»Na, so was! Der kleine Herkules und sein Freund, der dicke Kater, besuchen mich! Hallo, ihr beiden! Was habt ihr denn diesmal ausgefressen? Braucht ihr wieder mal Willis Hilfe?«

Wie peinlich – kaum sieht Willi uns, geht er vom Schlimmsten aus, und zwar v?llig zu Recht. In diesem Fall ist das aber Gott sein Dank nicht nur peinlich, sondern auch sehr praktisch. Denn f?r die umst?ndliche Kommunikation zwischen Mensch und Tier haben wir jetzt keine Zeit mehr. Wollen wir verhindern, dass die Werkstatt gleich geflutet wird, m?ssen wir direkt los. Herr Beck streicht mit der Tatze ?ber Willis Hose, ich jaule m?glichst mitleiderregend.

Willi seufzt und steht auf.

»Das wird mir wieder niemand glauben, wenn ich das erz?hle. Aber immerhin denkt auch keiner mehr, ich sei betrunken. Jetzt halten sie mich alle nur f?r wunderlich.«

Er stapelt die Zeitungen, die noch auf dem Tisch liegen, und verstaut sie in einer sehr grossen Tasche, die er sich umh?ngt.

»So, ihr beiden – lasst mich raten: zur Werkstatt?«

Zur Best?tigung belle ich kurz, so viel menschlicher Scharfsinn muss schliesslich unterst?tzt werden, dann rennen Beck und ich los. Ich brauche mich gar nicht umzudrehen, um festzustellen, dass Willi uns brav folgt – er schnauft beim Laufen so laut, wie Oma Hedwig manchmal schnarcht. Hoffentlich machtihm unser Tempo nicht zu schaffen! Wenn wir allerdings langsamer werden, kommen wir bestimmt nicht mehr rechtzeitig. Schon sind wir an der Gartenpforte angelangt und steuern auf die Terrasse zu.

»Ach, du Scheisse – man gut, dass ihr mich geholt habt! Hier s?uft ja gleich die ganze Bude ab«, erkennt Willi die Situation sofort und analysiert messerscharf. Fantastisch! Von verpennt keine Spur! Ein kurzer Blick, dann greift er beherzt durch den Wasserstrahl und dreht den Hahn zu. Sofort ist der Spuk vorbei, mir fallen ganze Wagenladungen von Steinen vom Hundeherz. Ich werfe einen vorsichtigen Blick Richtung Terrassent?r – das Wasser steht schon auf H?he des Spalts, und wenn meine ausgezeichneten Ohren das Ger?usch richtig interpretieren, was sie ganz deutlich h?ren, dann l?uft das Wasser auch schon munter in die Werkstatt. Das scheint auch Willi zu merken, jedenfalls zieht er jetzt die Schuhe aus, krempelt seine Hose hoch, steigt die Stufen von der Terrasse zur Werkstatt hinunter und watet zur T?r. Ob er das Wasser vielleicht wegmachen kann? Also, ich weiss jetzt auch nicht, wie – aber an einem warmen Tag wie heute verschwindet Wasser doch oft von ganz allein. Gut, wahrscheinlich dauert es bei viel Wasser ein bisschen l?nger, aber wenn Willi irgendwie nachhilft?

»Mist, die T?r kann ich von aussen nat?rlich nicht schliessen. Das m?sste man aber, damit nicht noch mehr Wasser ins Haus l?uft. Hm. Wie ist denn das bloss passiert? K?nnt ihr zwei mir nat?rlich nicht sagen. Ich f?rchte, wenn hier

nicht bald jemand kommt, muss ich wohl die Feuerwehr zum Abpumpen rufen.«

Er steigt wieder hoch und geht zum Hahn. Nachdenklich betrachtet er den Schlauch, der nun ganz schlaff zu Boden h?ngt.

»Also, ich k?nnte schw?ren, dass das hier Bissspuren sind. Herkules, hast du etwa den Schlauch angenagt? Und das Wasser war nicht abgedreht?« Er sch?ttelt den Kopf. »Mensch, du bist doch kein Welpe mehr, wie kommst du denn auf so eine Idee?«

Okay, ich weiss, dass das keine gute Entschuldigung ist – aber wieso macht es denn einen Unterschied, ob ich ein Welpe bin oder nicht? Das Ergebnis w?re doch das gleiche! Warum w?re das also bei einem Baby in Ordnung, bei mir aber nicht? Ungerecht ist das! Ich setze mich auf den Po und gucke Willi m?glichst vorwurfsvoll an, aber der ignoriert mich. Stattdessen geht er um das Haus zum vorderen Eingang. Ich folge ihm und beobachte, wie er alle Klingelkn?pfe an der Haust?r ausprobiert. Ohne Ergebnis – das h?tte ich ihm gleich sagen k?nnen. Er sieht sich fragend um, dann scheint ihm eine Idee zu kommen. Als er sich zum Gehen wendet, fange ich an zu bellen. Der will uns doch jetzt wohl nicht allein hierlassen, oder?

»Keine Panik, Herkules, ich bin gleich wieder da. Gegen?ber ist eine Telefonzelle, da muss ich kurz hin.«

Auweia –Telefonzelle? Das hat doch bestimmt etwas mit einem Telefon zu tun. Sch?tze mal, jetzt ruft Willi dieFeuerwehr. Ohne genau zu wissen, was das eigentlich ist, habe ich doch das ungute Gef?hl, dass man diesen kleinen Vorfall vielleicht nun nicht mehr vor Daniel und Caro wird geheim halten k?nnen.

Nein. Das kann man nicht geheim halten. Vor dem Haus steht ein Auto, das ungef?hr so gross ist wie die Orangerie auf Schloss Eschersbach, also riesig. Auf dem Dach hat es eine Leiter und hintendran h?ngt ein ebenfalls riesiger Schlauch, dessen Ende nun auf der Terrasse liegt und mit einem sehr lauten Ger?usch das Wasser verschlingt, das eben noch an die Terrassent?r schwappte. Willi steht mit einem der M?nner, die aus dem Riesenauto gesprungen sind, daneben und unterh?lt sich angeregt. Der Mann hat sehr seltsame Kleidung an, sie erinnert mich ein wenig an das, was die M?llm?nner tragen, nur viel dunkler. Ausserdem hat er einen Helm auf dem Kopf. Warum nur? Droht hier etwa eine Gefahr, von der ich noch gar nichts ahne? Also, ausser dem Riesenanschiss, den ich mit Sicherheit demn?chst kassieren werde? Herr Beck hat sich vom Acker gemacht, und ich ?berlege, ob das nicht auch f?r mich die passende Alternative w?re. Dann bin ich wenigstens nicht dabei, wenn Daniel der unweigerliche Schlag trifft. Ob ich in Abwesenheit verurteilt werden kann? Oder gelingt es mir, mich so lange zu verstecken, bis sich die Gem?ter wieder beruhigt haben? Und wann wird das wohl voraussichtlich sein?

Fragen?ber Fragen, die sich allerdings leider nicht mehr stellen, denn genau in diesem Moment biegt Daniel um die Ecke. Fassungslos starrt er auf das Feuerwehrauto, blickt zwischen Willi, dem Feuerwehrmann und dem Schlauch, aus dem gerade ein sehr gurgelndes Ger?usch kommt, hin und her. Sch?tze mal, er hat schon gemerkt, dass es hier ein klitzekleines Problem gab. F?r eine Flucht ist es jetzt eindeutig zu sp?t. Da muss ich durch und es ertragen wie ein echter von Eschersbach. Daniel geht auf den Feuerwehrmann zu, mit dem sich Willi eben noch unterhalten hat.

»Was ist denn hier passiert?«

»Wohnen Sie hier?«

»Ja. Beziehungsweise – ich arbeite in der Werkstatt im Souterrain.«

»Tja, der Herr Schamoni hier hat uns informiert, dass am Zugang zu Ihrer Werkstatt ein grosser Wassereinbruch drohte. Offenbar gab es ein Problem mit dem Aussenhahn, so dass sich das Wasser auf der Terrasse staute. Das haben wir abgepumpt. Teilweise war das Wasser allerdings schon in das Geb?ude gelaufen, so ganz werden Sie um die nassen F?sse also nicht herumkommen. K?nnen Sie mir ?brigens sagen, wer der Eigent?mer dieses Hauses ist? Dieser Feuerwehreinsatz ist kostenpflichtig, das Abpumpen ist ja ein Service, keine Rettung.«

»Das ist ein Herr Welser, Adresse m?sste ich raussuchen. Begeistert wird der aber nicht sein.«

Der Feuerwehrmann holt tief Luft und wirkt auf einmal nicht mehr so freundlich, wie er mir eben noch vorkam.

»Tja, um Begeisterung geht es dabei nicht. In solchen F?llen von offensichtlicher grober Fahrl?ssigkeit zahlt entweder der, der Schuld ist. Das ist der Handlungsst?rer, und den d?rften wir kaum noch ausfindig machen, es sei denn, Sie sagen mir jetzt, dass Sie v?llig beknackterweise den Hahn voll aufgedreht haben, obwohl nur ein einfaches Spritzventil davorhing. Dass das irgendwann schiefgeht, ist ja wohl klar. Oder aber, wenn wir keinen Schuldigen finden, zahlt der sogenannte Zustandsst?rer, und das ist dann Ihr Herr Welser. Denn es ist sein Haus, von dem gewissermassen eine Gefahr ausging und das wir gerade vor Schlimmerem bewahrt haben. Verstanden?«

Uuuh, das klingt, als ob hier kein Widerspruch geduldet w?rde. Daniel nickt auch ganz brav, dann dreht er sich zuHerrn Schamoni.

»Gr?ss Sie, wir kennen uns doch irgendwie, oder?«

Willi nickt. Er wirkt unsicher.

»Ja, ich bin Willi, ein Bekannter von Carolin Neumann. Die arbeitet mit Ihnen zusammen, oder?«

»Richtig.«

»Tja, und ich kam gerade sowieso vorbei, da wollte ich nur mal schauen, ob sie da ist. Oder ob das Baby vielleicht schon da ist.«

H?? Was ist das denn f?r eine Geschichte? Das stimmt doch gar nicht! Auch Daniel guckt skeptisch. Wobei der wahrscheinlich noch skeptischer gucken w?rde, wenn ihm Willi die Wahrheit erz?hlen w?rde. Letzterer scheint Daniels Blick genauso zu deuten wie ich, jedenfalls legt er noch mal nach.

»Wissen Sie, so sch?nes Wetter heute, da dachte ich mir, bestimmt liegt die Frau Neumann jetzt auf einem Sonnenstuhl im Garten, die F?sse sch?n hoch, und freut sich auf ihr Baby. Und der kleine Herkules liegt daneben, und dann freuen sich die beiden, wenn der Willi mal vorbeischaut auf einen kleinen Schnack.«

»Aha. Auf einen kleinen Schnack.« Extrem skeptischer Blick.

»Na ja, und wie ich so um die Ecke biege, sehe ich, dass der Hahn voll aufgedreht ist und das Wasser nur so aus der Wand sprudelt. Und keine Menschenseele da, nur Herkules, der ganz aufgeregt bellt. Da bin ich schnell hin und habe den Hahn zugedreht. Da war aber schon das ganze Wasser die Stufen runtergelaufen, deswegen habe ich die Feuerwehr gerufen.«

»So, so.« Daniel be?ugt Willi so misstrauisch, dass ich fast f?rchte, er k?nnte denken, Willi habe das ganze Chaos verursacht.

Der Feuerwehrmann legt wieder los:»Ja, das hat der Herr Schamoni auch ganz richtig gemacht. Es h?tte nicht mehr lang gedauert, dann h?tten die T?ren dem Wasserdruck nachgegeben, und Sie h?tten die ganze Chose im Haus gehabt, da bin ich mir sicher. Die T?ren waren ja nicht richtig verschlossen. ?brigens auch im Hinblick auf Einbrecher sehr leichtsinnig, wenn man gar nicht da ist. Und ein echter Wachhund ist der Kleene hier ja nicht.«

He! Geht das etwa gegen mich? Frechheit! Den Typen w?rde ich jetzt am liebsten anpinkeln, aber da es sich um den Retter in der Not handelt, lasse ich es lieber. Der scheint mir auch gerade gar nicht zu Scherzen aufgelegt.

Daniel hebt entschuldigend die H?nde und dreht sich zu Willi.

»Nein, nein, so habe ich das gar nicht gemeint! Nat?rlich – vielen Dank, dass Sie hier gleich so geistesgegenw?rtig waren. Wenn Sie nicht gekommen w?ren, dann h?tte ich jetzt wahrscheinlich einen Totalschaden in der Werkstatt. Ich frage mich nur, wie das alles passieren konnte. «

»Das ist doch wohl klar«, poltert der Feuerwehrmann erneut. »Ich wiederhole mich ungern, aber wenn es sein muss: Irgendein Idiot hat vergessen, den Hahn zuzudrehen, und stattdessen nur das Spritzventil am Schlauch geschlossen. Irgendwann baut sich so viel Wasserdruck auf, dass das Ventil abfliegt. Ein absolut vermeidbarer Zwischenfall – da kann niemand etwas daf?r, ausser dem Hornochsen, der das Wasser nicht abgedreht hat.«

?h – sagen wir so: Es istfast die Wahrheit. Und es ist beruhigend, dass ich jedenfalls nicht so ganz allein schuld war. Hoffentlich kommt mir Daniel nicht auf die Schliche, ich f?rchte, ich kriege dann richtig ?rger. Ob der Feuerwehrmann mich dann zur Strafe gleich mitnimmt? AlsHandlungsst?rer?

Willi f?hrt sich mit den H?nden durch sein etwas wirres Haar.

»Also, ich kann nur sagen, als ich kam, war der Schlauch nicht mehr am Hahn befestigt und lag auf dem Rasen. Mehr weiss ich nicht.«

Warum nur erz?hlt Willi so einen Unsinn? Er weiss doch, dass es ganz anders war. Sehr mysteri?s. Daniel beugt sich und nimmt das Ende des Schlauchs in die Hand.

»Hm. So was Bl?des.«

Seltsam – so was Bl?des –, mehr sagt er dazu nicht? Er m?sste doch jetzt auch die Spuren meiner Z?hnchen sehen. Die sind Willi immerhin sofort aufgefallen, obwohl er so viel ?lter als Daniel ist und darum bestimmt auch viel schlechtere Augen hat. Aber anders, als ich erwartet hatte, schimpft Daniel nicht ganz dollemit mir, sondern legt nur nachdenklich die Stirn in Falten. Dann schraubt er den Halterungsring vom Hahn los, steckt den Schlauch drauf, schraubt den Hahn wieder fest und dreht sich zu Willi um.

»Gut, dass Sie gekommen sind. Ich werde jetzt mal all meinen Mut zusammennehmen und die Werkstatt untersuchen. Ich hoffe, der Schaden h?lt sich in Grenzen.«

Er geht Richtung Hauseingang.

Auch der Feuerwehrmann will sich offenbar wieder auf den Weg machen. Er reicht Willi die Hand und Daniel ein K?rtchen.

»So, Einsatz beendet, Wohnung gerettet, dann wollen wir mal wieder los. Und Sie rufen mich bitte noch an und teilen mir die Kontaktdaten von Ihrem Vermieter mit.« Er geht zur?ck zu dem Riesenauto.

Als die Feuerwehr endlich weggefahren ist, schaut Willi ihnen noch eine Weile hinterher. Dann kniet er sich neben mich, zieht etwas aus seiner Hosentasche und h?lt es mir unter

die Nase. Es ist das ziemlich glatt abgeschnittene Ende des Gartenschlauchs, deutlich sichtbar verziert mit Bissspuren.

»Herkules, das ist gerade noch mal gut gegangen. Wenn ich kein Taschenmesser dabeigehabt h?tte, um das Ende abzuschneiden, w?sste jetzt jeder, dass du die ganze Aufregung verursacht hast. Ich sach mal – dieses Beweisst?ck entsorgen wir ganz schnell. Nicht, dass dein s?sses Frauchen noch ?rger wegen dir bekommt – wer weiss, ob du versichert bist. Und dann schlage ich vor, dass du dir in Zukunft ein anderes Spielzeug suchst.«

Ich gucke Willi an und bin vom Donner ger?hrt. Dieser Mann hat gelogen, um mich nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Okay, vielleicht auch, damit Caro keine Schwierigkeiten bekommt. Aber das Ergebnis ist das gleiche – und ich bin schwer beeindruckt von menschlicher Strategie.

VIERZEHN

Also Daniel, bei allem Verst?ndnis daf?r, dass du eine scharfe Schnitte beeindrucken willst – aber wir sind gerade echt nicht in der Verfassung, hier einen Herbergsbetrieb zu er?ffnen.«

»Es ist doch nur f?r zwei, drei Tage – bis dahin ist die Werkstatt wieder bewohnbar.« Ich muss sagen: Daniel kann es in Sachen Dackelblick fast mit mir aufnehmen. Nur leider ist dieser an Marc v?llig verschwendet, denn der scheint ?hnlich finster entschlossen, Claudia keine Unterkunft anzubieten, wie der Herbergsvater im Krippenspiel an Weihnachten.

»Nein. Caro kommt morgen mit Henri aus dem Krankenhaus, und meine Quasi-Schwiegereltern haben auch schon ihren Besuch angedroht. Luisa und ich m?ssen bis dahin noch alles tipptopp aufr?umen, und ich sage dir – es muss noch einiges passieren, bis wir Caros Anspr?chen gerecht werden, von ihrenEltern will ich gar nicht reden! Das Letzte, was wir in dieser Situation brauchen, ist unbekannter ?bernachtungsbesuch mit einer tr?chtigen H?ndin. Wir haben selbst gerade Schnulleralarm. Wieso l?sst du die beiden nicht einfach bei dir pennen?«

»Ich wohne doch immer noch in einem m?blierten Zimmer. Eiche rustikal, Hunde streng verboten und nur zehn Quadratmeter gross, da passt ausser mir echt niemand rein. Es sei denn, Claudia schl?ft bei mir im Bett, aber wenn ich ihr das vorschlage, denkt sie doch sofort, ich will sie anmachen.«

Marc hebt die Brauen.

»Na und? Willst du doch auch.«

Genau! Will er doch auch! Warum dann nicht mal den direkten Weg gehen? Das ist doch wieder typisch Mensch. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht. Ich h?tte so viele Verbesserungsvorschl?ge, was das Paarungsverhalten von M?nnern und Frauen anbelangt! Aber leider fragt mich nie jemand danach.

»Ich will sie nichtanmachen. Ich w?rde mich freuen, wenn ich in ihrem Leben k?nftig eine gr?ssere Rolle spielen w?rde.«

»Bitte was?Ich w?rde mich freuen, wenn ich in ihrem Leben k?nftig eine gr?ssere Rolle spielen w?rde? Mann, Daniel, du brauchst dringend mal wieder eine Frau, du klingst schon genauso abgedreht wie meine Mutter.«

Ein Kompliment scheint mir das nicht gerade zu sein, aber Daniel ist dar?ber nicht sauer, sondern grinst.

»Eben. Dann hilf mir doch, die richtige Frau zu finden. Ich habe Claudia aus ihrer WG gelotst, und jetzt steht sie da mit ihrem ganzen Gep?ck. F?r ein Hotelzimmer fehlt ihr die Kohle, und ich habe versprochen, mich zu k?mmern. Komm schon, ich muss doch nur die n?chsten beiden Tage ?berbr?cken. Die Werkstatt ist noch total feucht, und dieser L?fter macht einen H?llenl?rm. Da kann Claudia unm?glich wohnen.«

Dazu sagt Marc erst einmal nichts, er scheint zu?berlegen.

»Okay, wenn du unbedingt den grossen Gentleman geben willst, mache ich folgenden Vorschlag: Gib Claudia dein Zimmer und ?bernachte die n?chsten zwei Tage bei mir in der Praxis. Ich stelle dir ein Feldbett auf, der K?ter kann im Aufwachraum wohnen. Geplante Operationen habe ich am Wochenende nicht, wenn ein Notfall reinkommt, wird es

eben ein wenig kuschlig. Und: Um den Hund k?mmerst du dich. Daf?r habe ich momentan garantiert keine Zeit.«

Daniel atmet erleichtert aus und klopft Marc auf die Schulter.

»Danke, Kumpel, das ist total nett von dir.«

Marc nickt.

»Ja, ist es. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf: Nach meiner Erfahrung wird einem das Nettsein von Frauen nicht unbedingt gedankt. Also, Claudia findet es bestimmt super, dass du dich so k?mmerst. Dass sie dich deswegen auch als Typ spannend findet, ist da nicht automatisch mit drin.«

»Hey, was ist hier eigentlich los, dass mich alle st?ndig warnen, ich solle nicht so nett zu Claudia sein? Ich bin ein erwachsener Mann, ich kann das schon selbst entscheiden.« Er z?gert kurz. »Aber trotzdem noch mal vielen Dank, ich fahr jetzt gleich zu mir, ein paar Sachen packen.«

Als er gegangen ist, kniet sich Marc zu mir und krault mich hinter den Ohren.

»Ja, erist erwachsen. Und ja, erist zu nett. Ich hoffe, das wird nicht die n?chste Entt?uschung f?r ihn. Und in der Zwischenzeit kannst du dich doch mal so richtig um die schicke Cherie k?mmern, nicht wahr, Herkules?«

Super. Um Daniel macht er sich Sorgen, bei mir: Fehlanzeige! Was ist denn, wenn ich da die n?chste Entt?uschung erlebe? Total nett bin und trotzdem keinen Meter weiterkomme? H?? Auch mal daran gedacht, Mister Supertierarzt? Nach der verpatzten Nummer mit dem Duschbad im Garten frage ich mich ausserdem, ob ich Cherie nicht lieber Cherie sein lassen sollte. Das wird ja doch nichts mit uns beiden. Besser k?mmere ich mich jetzt um meine eigene Familie. Immerhin sind wir ab morgen zu f?nft.

»Vorsicht, mein Schatz, du musst immer das K?pfchen st?tzen, das kann Henri noch nicht allein halten.«

Behutsam legt Marc Luisa das Baby auf den Arm. Die strahlt?ber das ganze Gesicht und zieht Henri ganz dicht an sich heran, so als sei er ein wertvolles Geschenk, das sie nun genau betrachten wolle.

»Och, Papi, der ist sooo s?ss! Am liebsten w?rde ich ihn Montag mit in die Schule nehmen und allen zeigen.«

Marc lacht.

»Das k?nnen wir gerne mal machen, aber ich w?rde vorschlagen, dass wir noch abwarten, bis Henri ein bisschen gr?sser ist. F?r so ein kleines W?rmchen ist eine ganze Horde Schulkinder wohl noch nicht das Richtige.«

Luisa verzieht den Mund.

»Aber am Mittwoch ist doch der letzte Schultag, und dann sind Sommerferien, und danach gehen wir alle auf verschiedene Schulen. Guck mal, ich gehe dann aufs Geschwister-Scholl-Gymnasium, Greta auf’s Erich-K?stner und Lena auf die Stadtteilschule. Das bringt gar nix, wenn ich dann mit Henri ankomme. Ich kenne doch noch niemanden in meiner neuen Klasse.«

»Luisa, mach dir keine Sorgen. Du kannst deine besten Freundinnen nat?rlich auch mal so zur Baby-Besichtigung einladen. Nur eben noch nicht diese Woche. Das ist zu stressig. F?r Henri und f?r Carolin. Da m?ssen wir beiden jetzt mal ein bisschen R?cksicht nehmen. Guck mal, Henri braucht noch ganz viel Schlaf und Caro ehrlicherweise auch. Die letzte Nacht war sehr anstrengend.«

Luisa nickt, dann haucht sie Henri einen Kuss auf die Stirn und gibt ihn Marc zur?ck.

»Na gut, dann lass ich euch drei jetzt schlafen. Henri pennt eh schon, und du siehst auch ziemlich m?de aus. Ich drehe

so lange eine Runde mit Herkules. Kommst du, mein Superdackel?«

Das muss man mir nat?rlich nicht zweimal sagen. Dachte schon, dass heute vor lauter Babybegeisterung niemand mehr auf die Idee kommt, dass ich mal raus muss. ?brigens: Mitraus ist hier nicht das Geparktwerden im Garten gemeint. Ein sehr liebloses Vorgehen, das f?r meinen Geschmack momentan zu h?ufig vorkommt. Und das, obwohl geradeWochenende ist. Normalerweise ist bei Menschen der freudige Ausruf»Endlich Wochenende!« ein Zeichen daf?r, dass sie entspannter sind und sich Zeit f?r die wesentlichen Dinge nehmen. Zum Beispiel f?r ihren Hund. Nicht nur bei Caro und Marc scheint das so zu sein. Die Hundewiese an der Alster ist jedenfalls am Wochenende immer besonders voll. Und keineswegs nur mit Hunden. Sind Mensch und Hund sonst in der Regel zu zweit unterwegs, wird amWochenende anscheinend alles mitgeschleift, was der Zweibeiner zu Hause noch so gefunden hat. Oma, Opa, ein bis f?nf Kinder, Fahrrad, Roller, bei sehr sch?nem Wetter auch gerne der Picknickkorb. Das habe ichunter der Woche, wie Caro die anderen Tage nennt, eigentlich noch nie gesehen.

Komisch – warum nehmen sich Menschen so selten Zeit f?r Dinge, die ihnen Spass machen? Die k?nnen doch selbst ?ber sich bestimmen. Ich meine, ich als Haustier brauche f?r verdammt viele Sachen die Erlaubnis meines Frauchens. Caro ist ein tolles Frauchen, deswegen ist das meist kein Problem. Aber trotzdem sind stundenlange Spazierg?nge ohne sie nicht drin – es sei denn, ich haue ab und riskiere damit garantiert richtig viel ?rger. Caro hingegen muss niemanden fragen, wenn sie mal den ganzen Tag durch den Wald rennen will. Marc auch nicht. Warum machen die beiden also nicht mehr aus ihrer Freiheit?Unter der Woche dauert so lang,Wochenende ist so

kurz. Da sollten die Menschen?ber eine ?nderung nachdenken! Vielleicht tauschen sie die Tage einfach aus. Kann doch so schwer nicht sein. Dann gibt es ganz viel Wochenende, und alle sind gl?cklich. Meine Wenigkeit eingeschlossen!

Luisa ahnt nat?rlich nichts von meinen unglaublich schlauen Gedanken. Sie holt einfach meine Leine von der Garderobe und wedelt mir damit vor der Nase hin und her. Ich kl?ffe begeistert und mache M?nnchen. Schliesslich muss Luisas tolle Idee angemessen gew?rdigt werden.

»Braver Herkules! Wir k?nnten auch zusammen im Zirkus auftreten. Oder uns vor dem Supermarkt neben Willi stellen und mit deinen Kunstst?ckchen ein bisschen Geld dazuverdienen. Ich stelle einen Hut hin, und du gibst eine Spezialvorf?hrung, dann sind wir bestimmt schnell reich.« Sie kichert. Dabei ist der Plan gar nicht schlecht. Mit dem Geld k?nnten wir dann im Supermarkt etwas Leckeres f?r mich kaufen. Hedwig besorgt dort ab und zu Herz oder Pansen f?r mich. Und falls von unserem Geld dann noch etwas ?brig bleibt, kaufen wir im Supermarkt auch gleich etwas Sch?nes f?r meinen HeldenWilli! Genau – so machen wir das! Und jetzt nichts wie hin!

Vor der Haust?r zerre ich sofort Richtung Supermarkt. Ich will Luisas gute Idee gleich in die Tat umsetzen. Leider scheint sie das nicht zu verstehen, sie zieht mich in die andere Richtung und m?chte anscheinend zur Alster. Aber nix da, so schnell gebe ich nicht auf! Ich lege den R?ckw?rtsgang ein.

»Herkules, nun komm schon – ich dachte, du freust dich!«

Tu ich ja auch. Aber ich will in die andere Richtung! Ich werfe mich regelrecht in mein Halsband, die Leine strafft sich mit einem Ruck.

»Hoppla, was hast du denn? Wo willst du hin?«

Folge mir doch einfach, dann wirst du es schon sehen. Zweimal ziehe ich noch kr?ftig, dann gibt Luisa mit einem Seufzen auf.

»Na gut, dann machen wir es so, wie du willst.« Sie l?sst die Leine l?nger, und ich sause los, Luisa rennt hinterher. Keine f?nf Minuten sp?ter erreichen wir den Supermarkt. Ich lege eine Vollbremsung hin, Luisa bleibt keuchend stehen. »Hierhin willst du? Aber warum? Da kann ich dich doch gar nicht mit reinnehmen.«

Ich setze mich auf den Po und gucke Luisa erstaunt an. Erinnert sie sich denn gar nicht mehr an ihre eigene Idee? Braucht sie eine kleine Ged?chtnisst?tze? Na gut. Ich mache also noch einmal M?nnchen und drehe einen Halbkreis. Wie ich an Luisas ratlosem Gesichtsausdruck sehe: vergeblich! Wo ist eigentlich Willi? Der hat doch bisher immer verstanden, was ich von ihm m?chte. Ich h?re auf, mich zum Zirkushund zu machen, und laufe zum Eingang des Marktes. Hier hat Willi meist seinen Stand. Auch heute steht das Tischchen dort, aber von Willi fehlt gerade jede Spur. Immerhin schwebt sein Geruch noch in der Luft, weit kann er also nicht sein. Auch gut. Warten wir eben. Diese Zeit m?ssen wir in meine K?nstlerkarriere investieren.

»Herrje, Herkules, was hast du denn heute bloss? Die letzten Tage hat sich wahrscheinlich niemand um dich gek?mmert, daf?r k?nntest du jetzt aber ein bisschen artiger sein und auf mich h?ren!«

»Hallo, junges Fr?ulein! Macht das Kerlchen schon wieder Probleme?«

Endlich! Willi, alter Kumpel! Du verstehst mich bestimmt – und kannst es dann Luisa erkl?ren. Ich mache wieder M?nnchen und fiepe ein wenig.

»Hallo, Willi. Tja, ich weiss auch nicht, was Herkules hat.

Er ist irgendwie komisch momentan. Eigentlich wollte ich mit ihm spazieren gehen, aber er wollte unbedingt hierher.«

Willi nickt.

»Ja, ich gebe dir Recht. Der Hund ist seltsam. Ich hatte gestern ein ganz ?hnliches Erlebnis mit ihm.«

»Meinst du das mit der Feuerwehr? Daniel hat mir davon erz?hlt. Aber was hatte Herkules damit zu tun?«

Willi?berlegt kurz, dann beugt er sich zu Luisa vor und fl?stert in ihr Ohr.

»Ich glaube, Herkules hatte das ganze Schlamassel angerichtet. Weisst du, der Schlauch war abgerissen, und die Werkstatt von Frau Neumann stand schon fast unter Wasser. Ich glaube, Herkules hat da irgendwie am Schlauch genagt. Aber pssst, das ist unser Geheimnis! Nicht, dass Herkules noch ?rger kriegt oder gar im Tierheim landet!«

Luisa reisst die Augen auf. Ich ebenfalls!

»Nein, ich schweige! Grosses Ehrenwort!«

Jaul! Tierheim – das ist hoffentlich das, was die Menschen einen Scherz nennen. Ein ziemlich ?bler noch dazu! Meine Erinnerungen ans Tierheim sind wahrlich nicht die besten. Ich war zwar nur einen Tag dort – aber dieser hatte es in sich. Ich wurde von zwei sehr ungehobelten Zeitgenossen verm?belt, die Qualit?t des Futters liess zu w?nschen ?brig, und der Zwinger entsprach nicht meinen Vorstellungen von einem gehobenen Ambiente. Nicht mal denen von einem durchschnittlichen, von Schloss Eschersbach wollen wir hier gar nicht erst anfangen.

»Hm, aber wie kommt es denn, dass sich dein Hundchen mit einem Mal so seltsam benimmt?«, will Willi von Luisa wissen.

Die zuckt mit den Schultern. Kein Wunder, kann ja nicht wissen, wie verknallt ich in Cherie bin.

»Dar?ber habe ich mich neulich schon mal mit Papa unterhalten. Ich glaube ja, Herkules ist eifers?chtig auf das neue Baby. Jedenfalls verh?lt er sich so komisch, seitdem Caro ganz doll schwanger war, und jetzt, wo Henri da ist, ist es noch schlimmer geworden.«

Was? Stimmt doch gar nicht! Ich habe nichts gegen das Baby. Gut, ich kann nicht besonders viel mit ihm anfangen, und seit der kurzen Zeit, die es nun da ist, haben sich weder Frauchen noch Herrchen wirklich um mich gek?mmert. Aber hey – das wird schon wieder! Oder? Oder etwa nicht?

Willi guckt bek?mmert.

»Weisst du, Luisa, dann ist es jetzt ganz wichtig, dass wenigstens du Herkules zeigst, dass du immer f?r ihn da sein wirst.«

Luisa nickt.

»Klar, mache ich. Herkules ist mein bester Freund. Bei mir ?ndert sich jetzt auch so viel, da bin ich froh, dass ich ihn habe. Nach den Sommerferien gehe ich auf eine neue Schule, und von meinen Freundinnen ist keine auf die gleiche gekommen. Eigentlich kenne ich nur ein einziges M?dchen aus meiner Klasse, das auch auf die neue Schule gehen wird, und das ist ziemlich doof. Sie heisst Johanna und spielt Harfe. Pferde mag sie ?berhaupt nicht und Hunde auch nicht. Sie sagt, sie sei derKatzentyp.« Luisa seufzt.

Willi klopft ihr auf die Schulter. Katzentyp – das ist nat?rlich ein ersch?tternder Mangel an gutem Geschmack. Und das schon bei einem Kind! Ich meine, Herr Beck ist im Grunde seines Herzen nicht verkehrt, aber mit einem Hund als Freund kann er es selbstverst?ndlich nicht aufnehmen. Und er ist schon die netteste Katze, die ich kenne. Wie m?gen da erst die anderen sein? Nein, diese Johanna scheint ernsthaft keine Alternative zu Luisas alten Freundinnen zu sein.

Willi sch?ttelt den Kopf,

»Nun mach dir mal nicht so viele Sorgen, L?tte! Immerhin hast du jetzt ein kleines Br?derchen, und ihr seid jetzt eine richtig sch?ne Familie: Vater, Mutter, Tochter und Sohn.«

Nun ist es an Luisa, den Kopf zu sch?tteln.

»Aber Caro ist gar nicht meine Mama! Meine Mama wohnt in M?nchen. Also, Caro ist voll nett – aber meine Mama ist sie nicht!« Fast schnaubt Luisa, und Willi beeilt sich, das wieder geradezubiegen.

»Tut mir leid – so meinte ich das gar nicht. Ich meinte … ?h … ach, vergiss einfach, was ich gesagt habe. Aber ein Br?derchen ist bestimmt trotzdem toll, wirst schon sehen! Bald spielt ihr zusammen.«

Bilde ich mir das ein, oder guckt Luisa zweifelnd? Nein, auch Willi scheint es zu bemerken, jedenfalls legt er jetzt einen Arm auf Luisas Schulter.

»Und, L?tte, wenn dir das mit dem Baby auch zu viel wird, dann kommste einfach zu Willi. Dann schnacken wir ein bisschen, du hilfst mir, ein paar Zeitungen zu verkaufen, und von dem Geld gehen wir Eis essen. Dann sieht die Welt schon viel freundlicher aus. Klar?«

Luisa l?chelt. Etwas schief, aber immerhin.

»Ja, geht klar.«

F?NFZEHN

Ich finde sie immer noch unglaublich attraktiv. Okay, sie ist mittlerweile in etwa so schlank um die Taille wie Herr Beck – aber bei Gott: Sie ist immer noch eine Sch?nheit. Seit gestern wohnt sie zusammen mit Daniel in der Praxis, und ich darf ihr Gesellschaft leisten. Jetzt schaut sie mich unter ihren langen Wimpern durchdringend an.

»Was denkst du gerade?«

»?h, nichts. Wieso?«

»Weil du mich so anguckst.«

»Nein, hab ich gar nicht.«

»Gib’s zu – du hast gedacht, dass ich ganz sch?n fett geworden bin.«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Nein, gar nicht. Und du bist auch gar nicht fett.«

»Na ja.«

»Also, klar, normalerweise bist du schlanker, aber …«

Cherie jault auf.

»Siehst du! Ich wusste es!« Beleidigt dreht sie sich von mir weg und legt sich wieder in die grosse Holzbox, die Marc eigens f?r sie in den Aufwachraum neben seinem Operationsraum gestellt hat.

Ratlos lasse ich den Kopf sinken. Was hat sie bloss? Ich wollte doch gerade ebennicht sagen, dass sie dick ist. Sie ist doch nur tr?chtig. Solche Kommunikationsprobleme habe ich sonst nie, nicht mal mit Herrn Beck. Ob es daran liegt,

dass Cherie eine H?ndin ist und ich ein R?de bin? Nina, Caros Freundin, behauptet ja immer, dass M?nner und Frauen unterschiedliche Sprachen sprechen. Bisher hielt ich das f?r Quatsch. Sie benutzen schliesslich dieselben W?rter. Aber vielleicht hat Nina das auch anders gemeint? Kann man unterschiedliche Sprachen trotz derselben W?rter sprechen?

Ich laufe um die Holzbox herum und stupse Cherie mit meiner Schnauze in die Seite.

»Hey, ich weiss nicht genau, was du gerade verstanden hast. Aber bestimmt war es nicht das, was ich sagen wollte. Du bist nicht fett. In deinem Bauch turnen nur im Moment eine Menge kleiner Hunde herum. Ehrlich gesagt, hatte ich gerade wieder bewundert, wie sch?n du bist. Dar?ber habe ich nachgedacht, als du mich gefragt hast.«

»Ehrlich?«

»Ja, ganz ehrlich.«

Cherie kommt mit ihrer Schnauze jetzt ganz dicht an meine heran und schleckt mir einmal kurz dar?ber. Sofort stellen sich s?mtliche Haare vom Nacken bis zur Rutenspitze bei mir auf. So ein sch?nes Gef?hl!

»Du bist ein guter Freund, Herkules. Manchmal denke ich, du bist vielleicht sogar mehr. Vielleicht sogar …«

Ja? Vielleicht was?! Nun sag schon, Cherie! Wie gebannt starre ich sie an und warte atemlos darauf, wie sie diesen Satz zu Ende bringen wird. Leider sagt sie nun aber gar nichts mehr, sondern springt auf einmal auf und beginnt, hin und her zu laufen und zu japsen.

»Cherie, was hast du?«

Statt zu antworten, bleibt sie nun wieder stehen und f?ngt an, mit den Vorderl?ufen auf der Decke in der Box zu scharren. Und dann passiert im Wesentlichen das Gleiche wie bei Carolin: Mit einem Plopp ergiesst sich pl?tzlich ein Schwall

Wasser auf den Boden. Und diesmal weiss ich, was das zu bedeuten hat: Ich werde zum zweiten Mal innerhalb einer Woche zum unfreiwilligen Geburtshelfer! Och n?! Was soll ich denn nun machen? Die Feuerwehr ist doch wahrscheinlich in diesem Fall nicht zust?ndig – und wie sollte ich die auch alarmieren? Wo steckt Daniel eigentlich schon wieder? Immer, wenn man den braucht, ist er nicht da! Sehr schlechte Eigenschaft, das.

Noch mal plopp. Der erste Welpe f?llt zu Boden. Plopp, der zweite. Jetzt ahne ich, warum die Menschen das bei uns HundenWerfen nennen: Es sieht tats?chlich so aus! Die Welpen liegen auf der Decke und r?hren sich kaum. Kein Wunder – sie sind n?mlich noch in einer Art feucht gl?nzendem T?tchen verpackt. Cherie dreht sich um ihre eigene Achse und beginnt, die beiden Welpen aus den T?tchen zu befreien, indem sie sie mit den Z?hnen aufreisst. So ausgepackt, liegen die Welpen mit nassem Fell auf der Decke und zucken ein wenig mit den Pfoten. Auf ihren B?uchen h?ngt ein Faden. Cherie beisst auch diesen ab und f?ngt an, ihre Babys abzuschlecken. Je st?rker sie die Kleinen mit ihrer Zunge massiert, desto mehr beginnen diese zu japsen. Sie wirken sehr ersch?pft. Ob die Geburt f?r Welpen stressig ist? Wenigstens f?r Cherie scheint die Geburt nicht ansatzweise so anstrengend zu sein, wie sie es f?r Caro war. Gut, sie atmet zwar schwer, aber Schmerzen scheint sie keine zu haben. Ich merke, wie ich mich entspanne. Offenbar istdie Feuerwehr hier ?berfl?ssig. Gut, dass wir Hunde mal wieder so pflegeleicht sind!

Nach einer Weile wieder: Plopp – Nummer drei. Wieder die gleiche Prozedur. Und kaum kr?ftig abgeschleckt, f?ngt das Kleine auch an, sich hin und her zu winden. Wie von unsichtbarer Hand geleitet, kriecht es dann auf Cheries Bauch

zu und beginnt, an ihren Zitzen zu saugen. Wahnsinn! Und das mit geschlossenen Augen! W?hrend die Kleinen noch um die besten Pl?tze an den Zitzen k?mpfen, steht Cherie wieder auf. Plopp. Nummer vier. Und auch dieser kleine Kerl macht sich, kaum hat Cherie ihn ges?ubert, gleich in Richtung Milchbar auf. Einige Zeit sp?ter wiederholt sich das Ganze, und ein f?nfter Welpe wird geboren. Dabei soll es nun offenbar bleiben, denn Cherie legt sich jetzt auf die Seite und l?sst die Neuank?mmlinge erst einmal eine Runde trinken.

Ich laufe zur kurzen Seite der Box, hier sind die Seitenleisten so niedrig, dass ich Cherie und ihre Welpen gut betrachten kann. Die Kleinen sind etwas dunkler als Cherie, aber vielleicht ist ihr Fell noch nicht ganz trocken. Ihre kleinen Ruten zucken vor und zur?ck, hin und wieder verliert ein Welpe den Kontakt zur Zitze und schnappt gierig nach, die kleinen K?pfchen dr?ngen hin und her.

»Geht’s dir gut?«, fl?stere ich. Aber Cherie reagiert nicht, stattdessen legt sie den Kopf auf ihren Vorderl?ufen ab und schliesst nun ebenfalls die Augen. Unschl?ssig stehe ich herum – und beschliesse dann, die Biege zu machen. Etwas ?berfl?ssigeres als einen Jagdhund auf der S?uglingsstation kann ich mir gerade kaum vorstellen. Und dass mir Cherie jetzt noch anvertraut, was sie mir eben eigentlich sagen wollte, halte ich auch f?r eher unwahrscheinlich. Ich werfe noch einen letzten Blick in die Box, dann drehe ich mich um und trabe aus dem Raum. Hoffentlich kommt Daniel bald – ich will nicht mehr hier sein! Ich will zu meiner eigenen Familie!

Ein Schl?ssel dreht sich im Schloss – endlich! Die T?r ?ffnet sich einen Spalt, eine Hand reicht durch und macht das Licht im Flur an. Aus einem Gef?hl von Erleichterung springe ich ihn an und schlabbere seine H?nde ab.

Daniel weicht einen Schritt zur?ck.

»Gott, Herkules, hast du mich erschreckt! Sch?n, dass du dich so freust, mich zu sehen – aber fall mich bitte nicht einfach an. Da kriege ich ja einen Herzkasper!«

Artig stelle ich mich vor ihn hin und wedele nur noch wie wild mit dem Schwanz. Daniel grinst mich an, und ich bin hin und her gerissen. Renne ich jetzt zur T?r, damit er mich nach oben in die Wohnung bringt? Oder renne ich zum Aufwachraum, damit er mal nach Cherie schaut? Ich hatte zwar den Eindruck, dass die Dame bestens allein klarkommt. Aber vielleicht bin ich auch nur eingeschnappt und will es selbst nicht wahrhaben. Mein weiches Herz siegt, ich trabe zur T?r des Aufwachraumes, und tats?chlich folgt mir Daniel. Ich laufe vor zur Box, in der Cherie und die Kleinen immer noch genauso wie eben liegen, und setze mich daneben. Daniel stellt sich zu mir. Erst scheint er gar nicht zu bemerken, welche Sensation sich hier in der letzten Stunde ereignet hat, doch dann beugt er sich ?ber die Kiste und f?ngt an zu lachen. Was, bitte, ist denn daran komisch?

»Oh Mann, Herkules – jetzt ist hier auch noch Welpenalarm! Unglaublich! Das sieht ja toll aus!«

Er langt in die Box und streichelt Cherie?ber den R?cken. Die reagiert allerdings ?berhaupt nicht auf die Ber?hrung. Gut so! Alles andere h?tte ich pers?nlich genommen – mich nimmt sie schliesslich auch nicht wahr.

»Na, S?sse, hast du das ganz alleine geschafft? Ganz ohne Doktor Wagner? Aber den m?ssen wir jetzt unbedingt holen!« Er dreht sich zu mir. »Ich w?rde sagen, du bleibst hier, Herkules, und ich hole Marc. Einverstanden?«

NEIN! Nicht einverstanden! Ich will hier nicht st?ndig als Begleithund missbraucht werden! Ich habe auch noch eigene Interessen, und ein solches lautet: Ab in die Wohnung, Fresschen bekommen und endlich meine Ruhe! Aber leider kann

Daniel im Moment so gar keine Gedanken lesen, er geht also wieder Richtung Praxist?r und l?sst mich einfachbei Cherie sitzen.

Der Geruch von Muttermilch h?ngt mittlerweile ?ber dem ganzen Raum, die Welpen schmatzen sehr zufrieden, und der Erste scheint schon satt zu sein. Jedenfalls h?ngt er nicht mehr an einer Zitze, sondern hat sich zur Seite gerollt und macht wohl ein Nickerchen. Ich stecke meinen Kopf ?ber den Rand der Box und will mir den Nachwuchs mal genauer ansehen. Bevor ich aber auch nur ansatzweise in die N?he der Welpen komme, f?hrt Cherie blitzschnell zu mir herum und knurrt mich an.

»Schnauze weg von meinen Babys!«

»He, ich wollte doch nur mal gucken!« Die hat sie doch nicht mehr alle! Ich bin doch nicht irgendwer! Beleidigt trolle ich mich zur T?r. Das muss ich mir nicht bieten lassen. Nicht mal von Cherie. Ich habe schliesslich auch meinen Stolz!

»Herkules, nun nimm das doch nicht so furchtbar pers?nlich! Das war reiner Mutterinstinkt. Selbst so ein alter Kater wie ich weiss das.«

Beck versucht, mich zu tr?sten, der alte Freund. Leider ohne Erfolg. Tr?bsal k?nnte nach wie vor mein zweiter Vorname sein. Ich habe Daniel heute in die Werkstatt begleitet. Er will nachschauen, ob so weit wieder alles in Ordnung ist, und hat sich gleichzeitig als Hundesitter f?r mich angeboten. Aus irgendeinem Grunde scheine ich nun nicht mehr zur Familie zu geh?ren, jedenfalls waren sich alle Zweibeiner einig, dass man sich »als Familie« besser aneinander gew?hnen k?nne, wenn ich nicht dabei sei. Stattdessen muss ich jetzt mit dem fetten, zugegebenermassen mitf?hlenden Kater im Garten hocken, w?hrend Daniel drei Meter weiter lautstark

telefoniert. Ich f?hle mich schlecht. Richtig schlecht. Verdr?ngt von jemandem, der nicht halb so gross ist wie ich und keinen einzigen Zahn im Mund hat. Und der die halbe Nacht so laut gebr?llt hat, dass selbst ich nicht schlafen konnte. Ausweichen konnte ich nicht. Denn unten in der Praxis liegt mein n?chstes Problem. Oder besser: meine n?chsten f?nf Probleme. Hecheln, schmatzen und schlafen auf dem Bauch der Frau, die ich liebe. Nicht, dass mich hier jemand falsch versteht: Ich mag Welpen. Ich w?rde ihnen nie ein Haar kr?mmen. Aber gerade in diesem Moment k?nnte ich auch sehr gut ohne sie weiterleben. Ich hole tief Luft und lasse den Kopf auf die Vorderl?ufe sinken.

»Hallo? H?rst du ?berhaupt, was ich sage?«

Ich drehe den Kopf zur Seite.

»Hm?«

»Ob du h?rst, was ich sage? Das mit dem Mutterinstinkt?«

Ich nicke. Und lege meinen Kopf wieder ab.

»Guck mal, zwei, drei Monate – dann sind die Welpen bestimmt weg. Diese Claudia braucht doch dringend Kohle, die will bestimmt alle Hunde schnell verkaufen. Ist doch echter Premiumnachwuchs, die sind begehrt und ratzfatz weg. Wirst sehen, die Leute schlagen sich um so edle, reinrassige … ?h … ups, ich meine, um so niedliche Welpen.«

Herr Beck schaut betreten zu Boden. Ich w?nschte, ich w?re weit weg. Ganz weit weg. Vielleicht in der Wildnis. Ohne Menschen. Nur auf mich gestellt. Bin ich jetzt schliesslich auch. Keiner interessiert sich mehr f?r mich. Gut, ab und zu stellen sie mir noch einen Fressnapf hin. Aber das w?rde ich auch noch alleine hinkriegen. So schwer kann das mit der Kaninchenjagd nicht sein. Und dann w?rde ich bestimmt jemanden kennen lernen, der sich f?r mich als Hund interessiert und nicht auf der Suche nach einem Top-Deckr?den

f?r seinen Nachwuchs ist. Und dieser Jemand w?rde schnell merken, was f?r ein grosser Hund in mir steckt. Auch wenn ich von aussen betrachtet eher kurzbeinig bin.

»Tschuldigung, Kumpel. Das war echt bl?d von mir. Und ?berhaupt nicht so gemeint. Alles, was ich sagen wollte, war, dass du Cherie bestimmt bald wieder f?r dich allein hast. Nun g?nn ihr doch die Zeit mit ihren Babys. Das ist doch nicht wie bei den Menschen. Ich meine, diesen Henri habt ihr jetzt noch Jahre an der Backe.«

Das ist in der Tat eine grauenhafte Vorstellung. Vor allem nach der letzten Nacht. Ich fange an zu jaulen.

»Meine G?te, ich kann aber auch sagen, was ich will. Was ist denn jetzt schon wieder?«

»Keiner k?mmert sich mehr um mich, seitdem das Baby da ist. Henri wohnt erst seit drei oder vier Tagen bei uns – und meinst du, Caro w?re seitdem schon mal mit mir Gassi gegangen? Sie liebt mich nicht mehr.«

Herr Beck prustet. Sehr mitf?hlend!

»H?r mal, Menschenfrauen sind einfach nicht so schnell wieder fit, wenn sie ein Baby bekommen haben. Sie brauchen dann viel Ruhe, nicht lange Spazierg?nge! Ich glaube nicht, dass Caro dich nicht mehr so lieb hat wie vorher. Aber sie muss sich erst einmal daran gew?hnen, Mutter zu sein. Bestimmtist sie bald wieder die Alte. So ein Baby ist einfach anstrengend.«

»Da sagst du was. Heute Nacht hat der Balg nur geweint. Ich konnte ?berhaupt nicht schlafen. Und runter zu Cherie wollte ich auch nicht nach der Abfuhr. Heute Morgen waren dann alle sauschlecht gelaunt. Selbst Luisa hat mich angemotzt, als ich in ihr Bett springen wollte. Und Marc ist gleich zu den Welpen runter und hat mich bei Daniel abgestellt. Ich verstehe wirklich nicht, wieso sich alle so auf das Baby gefreut

haben. Unsere Familie war vorher deutlich sch?ner. Und ruhiger.« Und, f?ge ich in Gedanken hinzu, ich war noch Teil von ihr.

»Tja, was soll ich sagen. Ich kann dir wenig Hoffnung machen, dass es in den n?chsten Jahren irgendwie leiser wird. Du kannst nur hoffen, dass es bei einem Baby bleibt. Also, der nichtsnutzige Neffe meines alten Frauchens, der hatte ja gleich drei Rotzl?ffel. Das war vielleicht ein Albtraum –f?rchterlich!«

Ich zucke zusammen.

»Du meinst, Caro k?nnte noch ein Baby bekommen?«

»Klar. Warum denn nicht? Menschen kriegen doch in den wenigsten F?llen eine vern?nftige Wurfst?rke hin. Ich glaube, selbst zwei Babys auf einmal sind schon selten bei denen. Na, da m?ssen sie es eben ?fter nacheinander versuchen. Bis zwei, drei oder vier Kinder da sind. Ich habe sogar schon Menschenfamilien mit f?nf Kindern gesehen.«

Ungl?ubig sch?ttle ich den Kopf, aber der Kater beharrt darauf.

»Doch, doch. Glaub es mal lieber. Mit diesemHenri ist es bestimmt nicht getan.«

Was f?r tr?be Aussichten. Ich habe mich immer ?ber Nina und ihre Kinderphobie lustig gemacht. Das war vielleicht ein Fehler. M?glicherweise sollte ich hoffen, dass sie mich adoptiert. Dann w?ren wir auch eine kleine Familie. Nina, Alex, Herr Beck und ich. Wobei Nina ja gerade gar nicht da ist. Sondern immer noch in Stockhalm. Oder war das Stockholm? Egal. Sch?n w?re es allerdings, wenn Luisa uns m?glichst oft besuchen k?nnte, obwohl sie ein Kind ist. Sie ist schliesslich meine Freundin. Vielleicht hat die auch bald die Nase voll von ihrem kleinen Bruder. Immerhin hat sie heute Nacht ebenfalls nicht gut geschlafen. Oder Luisa zieht gleich mit

ein. Das ist ?berhaupt die Idee. Dann h?tte Nina ein grosses Kind und k?nnte die l?stige Babyphase weglassen. Und dann w?rden wir …

»So, Herkules, ich bin so weit fertig.« Daniel taucht neben uns beiden auf. Ich beschliesse, ihn zu ignorieren. St?r mich nicht in meinem Elend! »Auf geht’s, Dicker!« Damit kann er unm?glich mich meinen. Offensichtlich will er Herrn Beck mitnehmen. Mir soll’s recht sein. Lasst mich nur allein. Daniel beugt sich zu mir herunter und zieht an meinem Halsband. Ich versuche, mich ganz schwer zu machen – aber vergeblich, Daniel zieht mich hoch. Tierqu?ler!

»Mensch, ich hab hier nicht ewig Zeit, den Dackelsitter zu spielen. Schliesslich habe ich gleich eine Verabredung mit Claudia, und vorher will ich mich noch umziehen. Komm schon.« Ich lege den R?ckw?rtsgang ein und knurre. Daniel seufzt, b?ckt sich und nimmt mich auf den Arm. Dann tr?gt er mich kurzerhand zum Auto.

Ich HASSE es, ein Haustier zu sein!

SECHZEHN

Draussen regnet es in Str?men. Ich liege in meinem K?rbchen, das nun wieder im Wohnungsflur steht, und lausche dem Regen, der ans Fenster schl?gt. Seit Stunden geht das nun schon so. Ausserdem ist es saukalt, obwohl doch Sommer ist. Keine guten Voraussetzungen also, um einen meiner Menschen zu einerausgedehnten Runde um die Alster oder durch den Park zu bewegen. Tats?chlich erbarmt sich h?chstens Luisa hin und wieder. Dann l?uft sie kurz mit mir um den Block – wenigstens etwas! Caro hingegen ist v?llig abgetaucht. Nein, falsch. Abgetaucht ist sie nat?rlich nicht, sie ist selbstverst?ndlich noch da. Aber es scheint, als sei sie durch ein unsichtbares Band mit Henri verbunden. St?ndig hat sie ihn auf dem Arm, tr?gt ihn herum, l?sst ihn trinken, kuschelt mit ihm, wickelt ihn und, und, und … So geht das, seit sie mit Henri aus dem Krankenhaus gekommen ist. Also ganz sch?n lang. ZweiWochenenden sind seitdem schon verstrichen. Wochenenden, an denen wir nichts, aber auch rein gar nichts miteinander gemacht haben. Dieser winzige Mensch hat von ihr regelrecht Besitz ergriffen, f?r ihren treuen Dackelfreund Herkules hat sie ?berhaupt keinen Blick mehr.

Mit Marc ist es nicht viel besser – auch er scheint sich nur noch f?r Klein-Henri zu interessieren. Zudem hat er weite Teile seines normalerweise beachtlichen Sprachschatzes eingeb?sst. Wenn er sich mit dem Baby unterh?lt, dann klingt das in etwa so:Dudududu, lalalala, eieieiei, killekillekille,

dutzidutzidutzi und so weiter und so fort. Kein Wunder, dass Henri nie antwortet. Dieses Ges?usel ist kaum zu ertragen. Und v?llig unverst?ndlich. Wenn Caro schl?ft, tr?gt Marc das Baby herum. Stillen kann er es nat?rlich nicht, aber ansonsten macht er alles, was Caro auch so mit dem kleinen Hosenscheisser treibt. Als w?re er auch eine Mama. Komisch. Kein R?de w?rde sich dermassen in die Jungenaufzucht einmischen. Und apropos Hosenscheisser: Herr Beck hatte es mir ja schon mal erz?hlt, und damals konnte ich es nicht glauben – aber es stimmt tats?chlich. Kleinen Menschen bindet man eine Art Tuch um den Po, damit sie nicht ?berall hinkacken. Also, Welpen machen das ja auch, aber niemand k?me doch auf die Idee, ihnen deswegen etwas um das Hinterteil zu binden. Wenn sie irgendwo ein H?ufchen oder eine Pf?tze hinmachen, dann wird ganz doll geschimpft, der alte von Eschersbach hat uns sogar mit der Nase hineingetunkt. Das hat er ein paarmal gemacht, schon war ich stubenrein. Na ja, jedenfalls fast. Emilia, die K?chin, hat sich zwar ziemlich dar?ber aufgeregt und gesagt, dass das eine gemeine Qu?lerei ist – war dem Alten aber wurscht.

Marc und Caro allerdings schimpfen noch nicht mal mit Baby Henri. Wenn er anf?ngt zu stinken, macht Marc wieder sein bl?dsinniges Dutzidutzi-Ger?usch, Caro guckt auch ganz beseelt, und dann t?deln sie beide mit ihm rum und loben ihn daf?r, dass er etwas in die Windel gemacht hat. Als ob das eine Kunst w?re! Aber, was rege ich mich ?ber menschliche Eltern auf. Tierische sind auch nicht viel besser. Cherie wohnt immer noch in unserer Praxis, weil die sowieso geschlossen hat. Marc will n?mlich momentan nicht arbeiten, sondern das Babygeniessen. Verr?ckt, oder? Und dann waren sich alle einig, dass es f?r Cherie sowieso nicht gut ist, mit ihren kleinen Welpen in den ersten Tagen nach der Geburt das Quartier

zu wechseln. Daniel und Claudia war’s recht, die hatten anscheinend gar nicht so grosse Lust, sich rund um die Uhr um die neu entstandene Hundefamilie zu k?mmern. Also, Claudia kommt zwar regelm?ssig und schaut nach Cherie. Aber ansonsten k?mmert sie sich doch lieber um Daniel. Glaube ich jedenfalls und bin mir da auch ziemlich sicher, denn jedes Mal, wenn ich Daniel sehe, klebt Claudias Geruch an ihm. Und ich weiss inzwischen, wasdas zu bedeuten hat!

Wie komme ich da gerade drauf? Ach ja – tierische Eltern. Demzufolge bin ich momentan der Einzige, der st?ndig mit Cherie zu tun hat, denn wenn Marc nach ihr und den Kleinen guckt, nimmt er mich meistens mit runter in die Praxis und l?sst mich eine Weile bei ihr. Was soll ich sagen? Cherie hat sich sehr ver?ndert. Die Welpen sind ihr Ein und Alles. Sie knurrt mich zwar nicht mehr an, wenn ich n?her an die Kleinen rankomme. Aber richtig entspannt ist sie nicht dabei. Und sie weiss auch alles besser. Obwohl sie vorher auch noch nie Welpen hatte.

Mittlerweile haben ihre Jungen die Augen auf und tapsen schon durch die Gegend, aber spielen darf ich immer noch nicht mit ihnen, weil Cherie meint, dass das noch zu anstrengend f?r die Kleinen ist. Sie bewacht die f?nf mit Argusaugen wie ein Sch?ferhund seine Schafherde. Als der Zuchtwart am dritten Tag zur Eintragung vorbeikam, hat sie sich aufgef?hrt, als habe er vorgeschlagen, aus dem Fell der Kleinen einen Pelzmantel f?r Oma Hedwig zu schneidern. Marc musste sogarseinen Maulkorb rausholen und Cherie in eine Transportbox sperren, sonst h?tte es noch ein Ungl?ck gegeben. Ob meine Mama auch so war? Falls ja, kann ich mich jedenfalls nicht mehr daran erinnern. Und ich hoffe sehr, dass Herr Beck mit seiner Einsch?tzung des Mutterinstinkts Recht hatte und Cherie irgendwann wieder die Alte wird.

Platter, platter, platter – der Regen schl?gt immer st?rker gegen die Fenster. Sehr ungem?tlich. Heute wird wahrscheinlich nicht mal Luisa mit mir spazieren gehen. Uah. Langweilig. Ich beschliesse, eine Runde zu schlafen, wohl das Beste, was ein Dackel bei diesem Wetter machen kann. Vielleicht scheint die Sonne, wennich wieder wach bin. Tats?chlich hat das Ger?usch des Regens auch etwas Einschl?ferndes. Ich rolle mich zusammen und bin schon fast wegged?mmert, als die T?r zum Wohnzimmer mit einem Schlag auffliegt und Luisa hereinst?rmt. So schnell, wie sie erschienen ist, verschwindet sie auch wieder, denn sie rennt in ihr Zimmer und haut ihre T?r mit einem lauten Knall hinter sich zu. Wuff! Was war denn das?

Eine Sekunde sp?ter taucht Marc auf, der ebenfalls vom Wohnzimmer zu Luisas Zimmer l?uft. Er wartet kurz, dann klopft er an die T?r.

»M?uschen, nun lass uns nicht streiten. Ich m?chte gerne in Ruhe dar?ber mit dir sprechen.«

Keine Antwort.

»Luisa?«

Er will die T?r ?ffnen, aber sie ist offenbar abgeschlossen. Also wieder Klopfen.

»Luisa, bitte lass mich rein. Das ist doch albern!«

Nichts passiert.

»Mach bitte die T?r auf. Ich m?chte mit dir reden.«

Caro kommt aus dem Wohnzimmer und geht zu Marc.

»Hat sie abgeschlossen?«

Marc nickt.

»Soll ich es mal versuchen?«

Er zuckt mit den Schultern.

»Wenn du meinst, dass du erfolgreicher bist als ich – nur zu!« Marc klingt angespannt, fast ein bisschen eingeschnappt.

Carolin l?sst sich davon aber nicht beirren und klopft nun selbst an die T?r.

»Luisa, ich bin’s. Wollen wir nicht doch noch mal reden? Kannst du mich bitte reinlassen?«

»Nein! Haut ab, alle beide! Ihr seid total bl?d!«

Luisas Stimme dr?hnt dumpf hinter der T?r hervor. Na immerhin. Eine Reaktion. Wohl aber nicht die erhoffte. Davon l?sst sich Caro jedoch nicht abschrecken.

»Wieso sind wir total bl?d? Das musst du mir mal erkl?ren.«

»Das weisst du ganz genau! Ihr habt gesagt, dass ich nach zwei Wochen meine Freundinnen einladen darf. Und daran haltet ihr euch nicht.«

Marc und Caro gucken sich an, Marc sch?ttelt den Kopf. Caro seufzt und klopft noch einmal.

»Luisa, nun komm schon. Kannst du das denn nicht verstehen? Lass mich bitte rein, dann erkl?re ich es dir noch mal in Ruhe. Bitte, S?sse!«

Erst passiert nichts, aber dann dreht sich tats?chlich der Schl?ssel im Schloss, und Luisa ?ffnet die T?r. Schnell laufe ich zu ihr, ich will schliesslich wissen, wor?ber die drei sich hier streiten. Luisa beugt sich zu mir und streichelt mir ?ber den Kopf. Ich kann sehen, dass sie geweint hat, ihre Wangen sind noch nass. Sofort f?hle ich mich schlecht – wenn es meiner Freundin nicht gut geht, geht es mir auch nicht gut! Ausserdem sch?me ich mich ein bisschen, denn ?ber das Lamento betreffs meiner eigenen Situation habe ich offenbar v?llig das Gesp?r daf?r verloren, dass andere in meiner Umgebung auch ungl?cklich sind. Opili w?rde das gar nicht gefallen. Er war der festen ?berzeugung, dass ein guter Jagdhund schon weiss, dass es Herrchen oder Frauchen schlecht geht, bevor diese es selbst merken. Umso genauer

muss ich jetzt die Schlappohren spitzen. Soweit das m?glich ist.

Caro und Marc sind mittlerweile in Luisas Zimmer gegangen und haben sich auf ihr Bett gesetzt. Luisa hockt sich im Schneidersitz auf den Teppich davor und nimmt mich auf den Schoss. Marc r?uspert sich.

»Guck mal, mein Schatz, nat?rlich darfst du Henri deinen Freundinnen zeigen. Das habe ich dir versprochen, und das halte ich auch. Aber eine ?bernachtungsparty wird uns momentan einfach zu viel. Henri schl?ft noch sehr schlecht, und wenn er dann morgens doch mal ein paar Stunden durchschl?ft, m?chten wir ungern um 6 Uhr von einer sehr netten, aber auch sehr lauten Meute Zehnj?hriger geweckt werden.«

Luisa schnieft. Ich kann zwar von meiner Position aus ihr Gesicht nicht sehen, halte es aber f?r unwahrscheinlich, dass sich darin so etwas wie Verst?ndnis spiegelt.

»Aber jetzt hab ich doch extra bis zu den Sommerferien gewartet. Damit wir morgens nicht in die Schule m?ssen. Und wenn wir die Party nicht bald machen, sind alle im Urlaub. Nur ich nicht. Wir sind die einzige Familie, die nicht wegf?hrt.«

Marc rollt mit den Augen.

»Luisa, wir sind mit Sicherheit auch die einzige Familie, die gerade ein Baby bekommen hat. Da kann man nicht so einfach in den Urlaub fahren. Henri muss noch ein bisschen gr?sser werden.«

»Aber dann will ich wenigstens eine ?bernachtungsparty feiern. Die Einladungskarten habe ich sogar schon gebastelt. Und ich habe extra Schnuller und so vorne draufgemalt, damit meine Freundinnen wissen, dass sie auch das Baby sehen k?nnen.«

Caro sch?ttelt den Kopf.

»Nein, Luisa. Es tut mir leid, aber das ist noch zu stressig. Du kannst gerne ein oder zwei M?dchen f?r den Nachmittag einladen. Aber ?bernachtet wird nicht.«

»Guck mal, das kannst du doch in den Herbstferien machen. Dann passt es bestimmt besser.«

Luisa schnieft noch einmal, Marc und Caro stehen auf. Bevor er hinausgeht, wendet sich Marc noch einmal zu Luisa.

»Schatz, ich verstehe, dass du deswegen traurig bist. Aber sieh es doch mal so: Jetzt hast du endlich das Geschwisterchen, das du dir so lange gew?nscht hast.«

Als die beiden Luisas Zimmer verlassen haben, f?ngt sie richtig an zu weinen. Sie schluchzt und dr?ckt ihr Gesicht in mein Fell, ich kann die warmen Tr?nen im Nacken sp?ren.

»Henri, Henri, immer nur Henri. Die sind so gemein! Niemand interessiert sich mehr daf?r, was ich eigentlich will. Dabei habe ich mich echt angestrengt, besonders lieb zu Henri zu sein. Die Party sollte doch auch f?r ihn sein. Alle meine Freundinnen haben schon ein kleines Geschenk f?r ihn besorgt. Das ist so ungerecht!«

Weil ich Luisa sehr gut verstehen kann, drehe ich mich halb um die eigene Achse und lecke ihr zum Trost einmal?bers Gesicht. Hm, sch?n salzig! Luisa kichert.

»Das kitzelt, Herkules!«

Ich schlabbere noch einmal los.

»Komm, ich zeige dir, was ich gebastelt habe. Papa wollte meine Einladungskarten ja nicht einmal angucken, obwohl ich mir solche M?he damit gegeben habe.«

Sie will aufstehen, also h?pfe ich von ihrem Schoss. Neugierig folge ich ihr zum Schreibtisch, von dem sie einen Stapel mit Karten nimmt und ihn mir unter die Nase h?lt. Nun bin ich wahrlich nicht der grosse Meister, was das Unterscheiden von Farben anbelangt, aber selbst mir ist auf einen Blick klar,

dass alle Karten unterschiedlich sind. Anscheinend hat sich Luisa unwahrscheinlich viel M?he gegeben, um aus jeder Karte etwas ganz Besonderes zu machen. In meinen Hundeaugen sind einige heller, einige dunkler, und vorne drauf hat Luisa aus einem anderen Papier kleine Bilder ausgeschnitten. Sie zeigen diese Dinger, die Henri ganz oft im Mund hat –Schnuller oder wie die heissen. Oder auch Teddyb?ren, auf einer Karte ist die Wiege abgebildet, in der Henri liegt. Uff, wuff – das muss ganz sch?n viel Arbeit gemacht haben! Kein Wunder, dass Luisa jetzt entt?uscht ist. Ich schlabbere ihre H?nde ab.

»Ach Herkules, wenigstens du verstehst mich, oder?«

Ich wedele mit dem Schwanz, denn Luisa hat vollkommen Recht.

»Manchmal denke ich, Papa w?rde vor lauter Henri gar nicht merken, wenn ich nicht mehr da w?re. Und dann habe ich Angst, dass Mama doch Recht hatte. So von wegen, dass Papa keine Zeit mehr f?r mich hat, wenn das Baby erst mal da ist.«

Luisa seufzt ganz schwer, und ich?berlege, wie ich sie ein bisschen aufmuntern k?nnte. Ein Spaziergang? Immerhin hat es anscheinend aufgeh?rt zu regnen. Es plattert nicht mehr. Aber als ich mit meiner Leine im Maul in Luisas Zimmer zur?ckkomme, hat die sich schon auf ihr Bett gelegt und h?rt Musik. Vermute ich jedenfalls. Selbst h?ren kann ich das nicht, Luisa hat kleine St?psel in die Ohren gesteckt und summt vor sich hin. Ein sicheres Indiz daf?r, dass erstens aus den St?pseln wirklich eine Melodie kommt und zweitens Luisa mich nun nicht mehr wahrnimmt. Das habe ich schon ein paarmal festgestellt. Aber wenn Luisa das tr?stet, ist es auch gut. Lege ich mich eben wieder in mein K?rbchen. Ich wollte doch sowieso schlafen.

SIEBZEHN

Merkt denn ausser mir niemand, dass dieser kleine Mensch zum Himmel stinkt? Im wahrsten Sinne des Wortes! Brrr, es ist unertr?glich, meine empfindliche Dackelnase schmerzt schon richtig. Ich beschliesse, der Ursache f?r dieses Problem selbst auf den Grund zu gehen, und zerre an Henris Hose. Kurz darauf halte ich sie in der Schnauze. Jetzt noch weg mit der Windel, so macht Carolin das schliesslich auch immer. Apropos Carolin – in diesem Moment biegt sie um die Ecke und st?rzt sich mit einem Schrei auf mich.

»Herkules, du b?ser, b?ser Hund! Komm sofort raus aus der Wiege!«

Sie packt mich am Nacken und gibt mir einen Klaps auf den Po. Beleidigt jaule ich auf und verkrieche mich in mein K?rbchen. Luisa hat vollkommen Recht – f?r uns interessiert sich hier niemand mehr. Und dieses Baby macht nur ?rger! Dabei wollte ich doch bloss helfen. Schliesslich hat Henri schon eine ganze Weile geheult. Kein Wunder, bei der vollen Windel. Ist bestimmt unangenehm am Po. Ausser mir hat sichaber niemand gek?mmert. Luisa ist bei einer Freundin, Marc ist in der Praxis, und Caro hat geschlafen. Mal wieder. Die macht ja kaum noch etwas anderes. Ob das jetzt f?r immer so bleibt? Grausam! Dann brauche ich dringend ein neues Zuhause!

Es klingelt, und entgegen meiner sonstigen Gewohnheit springe ich nicht auf, um zu gucken, wer uns besucht. Menschen

sind sowieso alle bl?d. Also, fast alle. Luisa nat?rlich nicht. Und Willi selbstverst?ndlich auch nicht. Aber die beiden stehen bestimmt nicht vor der T?r. Denn Luisa hat einen Schl?ssel, und Willi hat sich bisher noch nie hierhin getraut. Der weiss wahrscheinlich gar nicht, wo wir wohnen. Und alle anderen sollenmir mal gestohlen bleiben.

Es ist Daniel. Hat sich auch nicht gerade als treuer Freund erwiesen. Von wegenIch k?mmere mich um Herkules, wenn ihr mit dem Baby besch?ftigt seid. Kein St?ck! Hat doch nur noch die bl?de Claudia im Kopf. Und seitdem Cherie f?r l?ngere Spazierg?nge ausf?llt, ist Daniels Interesse daran auch schlagartig versiegt. So etwas von durchsichtig.

»Gr?ss euch!«, ruft er jetzt fr?hlich in die Runde. »Claudia ist unten bei Cherie, und da dachte ich, schau ich doch mal kurz auf ein Getr?nk vorbei.«

Caro sieht ungef?hr so euphorisch aus, wie ich mich f?hle. Das kann ich selbst von meinem K?rbchen aus erkennen.

»Hallo, Daniel. Du, ich bin total erledigt und hatte mich gerade etwas hingelegt.« P?h. Glatt gelogen. Nach meinem Eindruck pennt die schon den ganzen Tag. »Und wenn Herkules nicht gerade einen Anschlag auf Henri ver?bt h?tte, w?rde ich auch noch friedlich schlummern.« Wie bitte? Eine bodenlose Unversch?mtheit! Wie kann sie nur so etwas behaupten? Ich bin emp?rt! Daniel grinst.

»Na, aber wo du schon mal wach bist, kannst du mich doch ruhig hereinbitten, oder?«

Caro st?hnt.

»Aber nur, wenn du dich ein bisschen n?tzlich machst. In drei Stunden kommt Hedwig vorbei.«

»Ist doch klasse. Geht schliesslich nichts ?ber den Oma-Rettungsdienst.«

»Oma-Rettungsdienst? Man merkt, dass du Hedwig nicht

gut kennst. Die wird hier erst mal mit dem Finger?ber s?mtliche M?bel fahren und feststellen, dass schon seeehr lange nicht mehr Staub gewischt wurde. Vom restlichen Zustand der Wohnung ganz abgesehen. Wenn ich das also vermeiden will, muss ich gleich mal aufr?umen.«

»Entspann dich. Vielleicht solltest du keinen Kaffee, sondern ein Glas Sekt trinken.«

Caro sch?ttelt den Kopf.

»Nein. Weder noch. Trinke ich einen Kaffee, schl?ft Henri mit Sicherheit noch schlechter, und dann drehe ich durch. Und Alkohol in der Stillzeit ist auch nicht das Wahre.«

»Aber vielleicht schl?ft Henri dann besser.«

Daniel klopft Caro auf die Schulter, die muss nun wenigstens l?cheln. Ich habe den Zusammenhang von Kaffee, Sekt und Henri zwar nicht verstanden, freue mich aber, dass Daniel Caro ein bisschen aufzumuntern scheint.

»Komm, ich mach uns jetzt eine Flasche auf. Ich habe n?mlich zuf?lligerweise eine gut gek?hlte mit dabei.«

Er geht vor in Richtung K?che, Caro folgt ihm, und ich winde mich nun doch mal aus meinem K?rbchen hoch. Beleidigt sein ist auf Dauer sehr langweilig.

Im Wohnzimmer angekommen, nimmt Daniel tats?chlich eine Flasche aus seiner grossen Umh?ngetasche und stellt sie auf den Couchtisch.

»Hast du mal Gl?ser?«

»?h, klar. Aber sag doch – gibt es irgendwas zu feiern?«

Daniel nickt.

»Ja. Es ist passiert.«

»H??«

»Ich bin verliebt.«

»Das hatte sich sogar schon zu mir rumgesprochen. In diese Claudia, richtig?«

»Ja. Aber es kommt noch besser.Sie ist es ebenfalls, und gestern haben wir den Schl?ssel zu unserer neuen gemeinsamen Wohnung abgeholt. Claudia und ich – wir ziehen zusammen.«

»Bitte?«

»Super, oder? Komm, lass uns anstossen.« Er f?llt die Gl?ser, die Caro mittlerweile auf den Tisch gestellt hat, und dr?ckt ihr eins in die Hand. »Auf die Liebe!«

»Ja, ?h, auf die Liebe!«

Moment, Moment, Moment. Jetzt mal ganz langsam f?r kleine Dackel. Daniel und Claudia ziehen zusammen? So wie Marc und Caro es getan haben? Wow – das sind in der Tat Neuigkeiten. Auch Caro scheint tief beeindruckt, jedenfalls hat sie die Augen eben ganz sch?n weit aufgerissen.

»Aber, sag mal, so richtig lange kennt ihr euch noch nicht, oder? «

Daniel zuckt mit den Schultern.

»Na und? Eine Garantie gibt’s doch im Leben sowieso nicht. Ich liebe sie, sie liebt mich – und jetzt probieren wir es einfach aus. Claudia ist ein sehr spontaner Typ. Eine Wohnung brauchten wir ohnehin beide. Warum es also nicht einfach wagen.«

»Na ja, so gesehen …«

»Und letzte Woche haben wir die perfekte gefunden. Sogar mit einem kleinen Garten, und Hunde sind f?r den Vermieter kein Problem. Morgen k?nnen Cherie und die Welpen umziehen.«

»Klingt super. Gar kein Haken?«

»Ein klitzekleiner. Sie liegt in Volksdorf. Da habe ich nat?rlich demn?chst einen ziemlich weiten Arbeitsweg. Aber Claudia arbeitet sowieso zu Hause, und der Wald ist gleich um die Ecke. Ist f?r sie also ideal. Kann sie mit Cherie immer

sch?n raus. Die Innenstadtlage hier ist f?r einen Retriever eigentlich bl?d. Immer nur Alster – da kann der sich ja gar nicht richtig austoben.«

»Tja. Wenn du meinst.«

Stopp, stopp, stopp – heisst das etwa, dass ich Cherie demn?chst gar nicht mehr sehen werde? Also, ich meine, wenn wir ihre G?ren los sind und sie endlich wieder klar denken kann? Aber … aber … aber damit tr?ste ich mich hier doch die ganze Zeit. Das ist gewissermassen mein Licht am Ende des Tunnels! Das geht doch nicht!

»Mensch, was ist heute bloss mit dem K?ter los? Herkules, warum jaulst du denn jetzt? Weisst du was – du nervst mich heute ganz sch?n.«

Quer?ber den Flur f?ngt Henri an zu schreien. Caro f?hrt sich mit den H?nden durch die Haare. »Oh Gott, ich drehe heute noch durch.« Dann nimmt sie eines der Gl?ser und trinkt es in einem Zug aus. Daniel t?tschelt ihren Arm.

»Pass auf, ich nehme den Kollegen hier mal mit. Ich fahre sowieso gleich in die Werkstatt, da kann er im Garten rumtoben, w?hrend wir Claudias restliche Sachen zusammenpacken. Ich meine, f?r Herkules ist es hier wahrscheinlich gerade uferlos langweilig. Und viel zu laut.«

Caro nickt.

»Danke, das ist nett. Mir ist es auch zu laut hier. Und dann auch noch Hedwig … womit habe ich das bloss verdient?«

Ja. Eine berechtigte Frage. Ich stelle sie mir auch gerade.Womit habe ich das bloss verdient?

»Das ist nicht dein Ernst? Ich meine, du bist ein Hund, keine Katze. Das ist dir klar, oder?«

Bl?der Kater. Nat?rlich ist mir das klar.

»Ja, Beck. Ich bin ein Hund. Worauf willst du hinaus?«

»Das ist doch wohl offensichtlich: Es gibt hier in der Gegend jede Menge freilebender Katzen, aber ich habe noch keinen einzigen freilebenden Hund getroffen. Also, dein Plan, einfach abzuhauen, scheint mir noch nicht bis ins letzte Detail durchdacht. Wovon willst du zum Beispiel leben? Hast du schon mal ein anderes Tier gefangen und gefressen? In freier Wildbahn liegen Kaninchen nicht einfach morgens im Fressnapf.«

Okay. Ich h?tte Herrn Beck nichts von meinem Plan erz?hlen d?rfen. Es war vorhersehbar, dass er mir mit seiner negativen Art alles schlechtreden w?rde.

»Das lass mal meine Sorge sein. Meine Ahnen sind noch mit dem letzten Kaiser zur Jagd gegangen. Ich habe das einfach im Blut.«

Herr Beck kichert.

»Ja, vielleicht im Blut. Aber mit Sicherheit nicht im K?pfchen. Ich erinnere mich nur an die peinliche Geschichte mit dem Kaninchenbau im Park. Weisst du noch? Willi musste dich ausgraben.«

Wie k?nnte ich das vergessen. Ich bin jedoch nicht das einzige Raubtier, das sein Jagdtrieb schon mal in Schwierigkeiten gebracht hat.

»Beck, alter Freund, nat?rlich weiss ich das noch. Allerdings erinnere ich mich auch an einen fetten Kater, der bei der Jagd auf einen Wellensittich im K?fig stecken blieb. Aber ich glaube, er wurde gerettet. Von wem noch gleich? ?h … war es nicht von einem Dackel?«

Herr Beck zuckt mit den Schnurrbarthaaren.

»Okay. Eins zu eins. Trotzdem leuchtet mir dein Plan nicht ein. Ich verstehe, dass du genervt bist. Aber deswegen abhauen? Da landest du als Hund doch schneller im Tierheim, als du an einen Baum pinkeln kannst. Ausserdem: Hast du mir

nicht erz?hlt, dass Luisa auch so traurig ist? Die kannstdu als treuer Hund doch nicht einfach allein zur?cklassen. Dann hat das arme Kind ja niemanden mehr!«

Stimmt. Guter Punkt. Das hatte ich so gar nicht bedacht. Was wird aus Luisa, wenn ich nicht mehr da bin?

»Vielleicht hast du Recht«, r?ume ich z?gerlich ein.

»Aber nat?rlich habe ich Recht. Und was Cherie anbelangt: Der Park ist voller Hunde. Fr?her oder sp?ter wirst du dich in eine andere H?ndin verlieben und – schwupp! – hast du keinen Liebeskummer mehr!«

Herr Beck kennt sich mit Liebeskummer offensichtlich?berhaupt nicht aus.Schwupp. Was f?r ein Unsinn! Wenn das so einfach w?re, h?tte ich mir Cherie schon gleich am Anfang aus dem Herzen gerissen. War ja klar, dass das mit uns beiden nicht einfach werden w?rde. Aber so funktioniert mein Herz leider nicht. Es ist da sehr eigensinnig. Ob das daran liegt, dass es ein Dackelherz ist?Oder sind Herzen im Allgemeinen derart widerspenstige Gesch?pfe? ?ber diese Frage muss ich kurz ein bisschen sinnieren. Ja, wahrscheinlich ist es so. Das Herz l?sst sich vom Kopf nur schwer reinreden. Auch wenn der Kopf weiss, dass man besser die Pfoten von jemandem lassen sollte – das Herz sieht das noch lange nicht ein. Es l?sst sich eben nicht bevormunden und will seine schlechten Erfahrungen selbst sammeln. Genauso war es auch, als ich noch ein passendes Herrchen f?r mein Frauchen gesucht habe. Caro wollte einfach nicht einsehen, dass der bl?de Thomas nicht zu ihr gepasst hat. Bis ich sie endlich mit Marc zusammengebracht habe, hat es ganz sch?n gedauert. Und heute? Tja, da sind sie eine gl?ckliche kleine Familie. So gl?cklich, dass sie gar nicht merken, wie es Luisa gerade geht. Und mir! Obwohl es diese Familie ohne mich gar nicht g?be. Ist das nicht ungerecht?

Herr Beck knufft mich in die Seite. Und zwar ziemlich unsanft.

»He – was soll das?«

»Tut mir leid, aber ich kann deine Jaulerei nicht mehr h?ren. Lass uns eine Runde durch den Park stromern, das bringt dich bestimmt auf andere Gedanken!«

»Ich kann doch hier nicht einfach abhauen. Daniel ist bestimmt gleich fertig mit seinem Krams. Wenn er mich dann nicht findet, kriege ich garantiert ?rger.«

»Hey – eben wolltest du hier noch ganz den St?psel ziehen und dich f?r immer vom Acker machen. Und jetzt reicht es nicht einmal f?r eine Runde durch den Park? Was seid ihr Hunde doch f?r Feiglinge.«

Feigling? Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich rapple mich auf, sch?ttle mich kurz und werfe meinen Kopf in den Nacken.

»Du willst los? Na gut. Auf geht’s!«

Ohne gross abzuwarten, ob Herr Beck mir folgt, renne ich auf das hintere Gartent?rchen zu, welches unseren Garten von dem grossen Park hinter unserem Haus trennt. Das T?rchen ist eigentlich nie richtig abgeschlossen, und wenn man nur fest genug dagegendr?ckt, springt es auch gleich auf. So wie eben jetzt. Ich zw?nge mich durch den Spalt und flitze los.

»Nun warte doch mal auf mich, Herkules!«

Schnaufend rennt Herr Beck hinter mir her. Ich werde langsamer und gucke?ber meine Schulter.

»Und? Womit willst du mich hier aufmuntern? Wollen wir Eichh?rnchen jagen?« Kleiner Scherz meinerseits. Eichh?rnchen sind f?r mich unerreichbar. Viel zu schnell und extrem gute Kletterer. Selbst eine Katze wie Herr Beck hat da ganz schlechte Karten – f?r ein flinkes Eichh?rnchen ist der Kollege einfach viel zu dick und zu beh?big.

»Ha, ha, sehr witzig. Wenn du dir so viel zutraust, k?nnen wir es auch gleich mit ein paar Amseln versuchen!«

»Worauf du dich verlassen kannst!«

Wir sausen um die Wette auf der grossen Wiese zwischen den B?nken hin und her. Der Rasen ist noch feucht von dem vielen Regen der vergangenen Tage, und ab und zu spritzt das Wasser hoch an meinen Bauch und kitzelt mich. Ein herrliches Gef?hl! Wahrscheinlich bin ich nur so schwerm?tig, weil ich in den letzten Wochen so wenig an der frischen Luft war. Herr Beck scheint tats?chlich hinter ein paar V?geln herzujagen, jedenfalls macht er grosse Spr?nge auf ein paar Spatzen zu, die aufgeregt davonfliegen. Ich ?berlege, ob ich nach Kaninchen Ausschau halten soll, und schn?ffele deswegen nach einer entsprechenden F?hrte. Sollte ich wirklich irgendwann zum Selbstverpfleger werden, kann ich hier ruhig schon einmal ?ben. Mit zum Boden gesenkter Nase laufe ich deshalb weiter ?ber die Wiese, als ich tats?chlich eine interessante Witterung aufnehme: Luisa! T?usche ich mich? Ich schn?ffele noch einmal genau nach. Nein, kein Zweifel, das ist Luisas F?hrte. Wie kommt die denn hierher?

Ich hebe den Kopf und schaue mich um. Im Park ist es recht voll, kein Wunder, ist es doch der erste sonnige Tag seit l?ngerer Zeit. Grosse und kleine Menschen sind also unterwegs, gar nicht so leicht, hier eine bestimmte Person per Auge auszumachen. Deshalb verlasse ich mich lieber wieder auf meine Nase. Immer der F?hrte nach trabe ich los. Mittlerweile hat auch Herr Beck gemerkt, dass ich etwas Bestimmtes suche.

»Hallo, wo l?ufst du denn hin?«, will er von mir wissen.

»Luisa muss hier irgendwo sein. Ich rieche es genau.«

»Tja, warum auch nicht? Schliesslich ist sch?nes Wetter, und sie wohnt ganz in der N?he.«

»Ja, aber sie hat Caro erz?hlt, dass sie sich mit einer Freundin verabredet hat.«

»Na und? Die M?dels k?nnen sich doch im Park treffen. Wo ist das Problem?«

»Ganz einfach: Dann h?tte sie mich unter normalen Umst?nden doch mitgenommen. Nein, irgendwas ist hier komisch.«

»Herkules, es tut mir leid, das zu sagen: Du spinnst. Ich glaube, diese ganze Babynummer hat dich v?llig durcheinandergebracht. Du siehst Gespenster, wo garantiert keine sind.«

Soll er nur reden, der Kater. Ich lasse mich nicht beirren und folge weiter der Spur. Ha! Jetzt kommt noch ein zweiter bekannter Geruch hinzu: Willi! Das ist nun garantiert kein Zufall mehr. Ich werde immer schneller, komme am Ende der Wiese an und biege auf den kleinen Kiesweg, der zum Kinderspielplatz f?hrt. Die F?hrte ist nun so deutlich und so sehr aus den Ger?chen von Luisaund Willi verwoben, dass ich bestimmt gleich?ber die beiden falle. Ich schaue nach vorne und: Bingo! Dort sitzen sie. Auf den beiden Schaukeln des Spielplatzes. Ob Herr Beck mich noch sieht oder nicht, ist mir vollkommen wurscht. Ich renne sofort zur Schaukel r?ber.

»Herkules, mein Lieber! Wo kommst du denn her?« Luisa h?pft von ihrer Schaukel herunter und streichelt mich. »Hast du mich gesucht? Du bist ja lieb!«

Ich mache M?nnchen und lecke ihre H?nde ab. Sch?n, dass sie wieder so gut gelaunt ist – trotzdem werde ich das Gef?hl nicht los, dass hier irgendwas Seltsames im Gange ist. Wieso trifft sich Luisa mit Willi und erz?hlt Caro, dass sie zu einer Freundin geht? Ich lege mich zwischen die beiden Schaukeln.Vielleicht erfahre ich mehr, wenn ich noch ein bisschen hierbleibe.

Mittlerweile ist auch Herr Beck angekommen, sehr zur Freude von Willi.

»Also, diese beiden sind wirklich das lustigste P?rchen seit Dick und Doof!«

Luisa kichert.

»Na, wer Dick ist, ist hier ziemlich klar. Dann muss Herkules wohl Doof sein.«

Beide lachen laut los. Versteh ich nicht. Was ist denn daran lustig? Auch Herr Beck versteht nicht, wor?ber sich Luisa und Willi so am?sieren. Irritiert schwenkt er seinen Schwanz hin und her.

»Reden die ?ber uns? Ich finde ja menschlichen Humor selten komisch. Aber egal. So, mein Lieber, ich denke, wir sind auf der Suche nach einem Abenteuer. Das wirst du zu F?ssen von Luisa und Willi kaum finden. Lass uns mal weiter.«

»Nein, warte. Ich habe das Gef?hl, dass die beiden etwas Wichtiges besprechen.«

Herr Beck schnaubt.

»Menschenkram ist selten wichtig.« Er z?gert kurz, aber als ich keine Anstalten mache aufzustehen, legt er sich neben mich.

Luisa sitzt nun wieder auf ihrer Schaukel. W?hrend sie sich mit Willi unterh?lt, schwingt sie langsam vor und zur?ck.

»Nein, Willi. Das bilde ich mir nicht ein. Die sind total ungerecht zu mir, seit das Baby da ist. Es geht immer nur um Henri. Genau, wie meine Mama es vorher bef?rchtet hatte. Und du hast gesagt, ich soll zu dir kommen, wenn ich ein Problem habe. Also – du musst mir helfen! Ich weiss nicht, wen ich sonst fragen k?nnte.«

»Ja, das habe ich gesagt und dazu stehe ich auch – aber trotzdem finde ich, dass Abhauen keine gute Idee ist. Das l?st das Problem doch nicht. Glaube mir, ich bin in meinem

Leben schon vor vielen Problemen weggelaufen – und damit ganz sch?n auf die Schnauze gefallen. Also, rede mit deinem Vater, bitte!«

Luisa sch?ttelt so heftig den Kopf, dass die Schaukel nicht mehr vor und zur?ck schwingt, sondern von links nach rechts wackelt.

»Wenn ich mit ihm rede, wird er es mir verbieten. Oder denken, dass das Mamas Idee war. Das stimmt aber nicht, sie hat keinen Schimmer von meinem Plan. Nein, wenn du mir nicht hilfst, dann mache ich es eben allein. Ich komme schon irgendwie nach M?nchen. Und wenn ich erst wieder bei Mama bin, wird auch alles gut.«

»Luisa, bitte sei doch vern?nftig – du bist noch ein Kind. Wie willst du das denn schaffen? Das ist doch viel zu gef?hrlich.«

»Nein, Willi. Ich haue ab. Mit oder ohne deine Hilfe.«

Dann springt sie von ihrer Schaukel auf und rennt zur anderen Seite des Parks, ohne sich noch einmal umzusehen.

ACHTZEHN

Als der Hammer auf das kleine Ferkel zurast, zucke ich unwillk?rlich zusammen. Ich mag keine Schweine, aber das hat das arme Tier nun wirklich nicht verdient! Da muss man als Haustier solidarisch sein, keine Frage.

Aua! Mit einem klirrenden Ger?usch zerbirst das Schweinchen in viele kleine St?cke, Luisa legt den Hammer zur Seite und w?hlt in den Scherben herum. Wenn sie zu solchen Grausamkeiten f?hig ist, muss sie finster entschlossen sein. Sie fischt mehrere Scheine aus den sterblichen ?berresten des armen Ferkels, dann beginnt sie, ?ber das ganze Gesicht zu strahlen.

»Zehn, zwanzig, dreissig, vierzig – fast f?nfzig Euro, Herkules! Toll, oder?«

Tja, was soll ich dazu sagen? Ist das viel? Oder wenig? Soweit ich das von meinem Platz auf dem Sessel sehen kann, liegen auch noch eine ganze Menge M?nzen zwischen den Scherben. Vorsichtig fischt Luisa auch diese heraus und beginnt, sie zu sortieren. Als sie fertig ist, steht sie auf und holt ein kleines Umh?nget?schchen aus ihrem Kleiderschrank, in dem sie ihre gesamte Beute verstaut. Die Umh?ngetasche fliegt auf das Bett, auf dem schon ein Rucksack mit Kleidung von Luisa liegt.

»Hm, ich glaube, ich habe an fast alles gedacht. Jetzt noch etwas Proviant, dann kann es losgehen.« Sie geht aus dem Zimmer und schleicht in Richtung K?che, wo sie K?se und

Br?tchen in eine der Dosen packt, in denen ihr Marc immer das Fr?hst?ck f?r die Schule mitgibt. Die Dose steckt sie mit einer Flasche zusammen in eine T?te, dann schleicht sie wieder in ihr Zimmer und setzt sich auf ihr Bett.

»So, Herkules, ich muss jetzt los. Papa und Caro habe ich einen Brief geschrieben, damit sie sich keine Sorgen machen und wissen, dass ich weg bin. Und du mach’s gut.«

Sie nimmt mich kurz auf den Arm und dr?ckt mich ganz fest. Ich merke, dass ich anfange zu zittern. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Luisa will sich doch nicht allen Ernstes alleine zu ihrer Mutter durchschlagen? Ich weiss zwar nicht, wo dieses M?nchen liegt, habe aber das dumpfe Gef?hl, dass es mit einem etwas l?ngeren Spaziergang nicht getan sein wird. Ich muss die Flucht also unbedingt vereiteln! Nur wie? Festhalten kann ich Luisa schlecht. Und sie einfach verraten? Das w?re ?berhaupt nicht nett und … wahrscheinlich eine gute Idee. Ich beginne, laut zu bellen.

»Pssst, Herkules, leise!«

Pah, ich denke gar nicht dran. Tats?chlich werde ich noch ein bisschen lauter.

»Herkules, aus! Du weckst noch Papa und Caro! Ich habe mir extra den Wecker ganz fr?h gestellt. Leise!«

Nee, ich denke gar nicht dran. Jetzt mache ich erst richtig Radau. Ich belle und jaule, was das Zeug h?lt. Luisa wird nun richtig b?se und schimpft, aber das st?rt mich nicht. Ich mag ein Verr?ter sein, aber hier ?berwiegen h?here Interessen.

Die T?r zum Kinderzimmer wird ge?ffnet, und Marc taumelt verschlafen in den Raum.

»Hey, was ist denn hier los?«

»?h, ich glaube, Herkules muss mal. Ich wollte deswegen gerade mit ihm Gassi gehen.«

»Morgens um halb f?nf? Das ist ja seltsam. Hat sich Herkules die Blase erk?ltet? Das ist doch sonst nicht seine Zeit.«

In der Tat ist das nicht meine Zeit. Und wenn ich seit Luisas Streit mit Willi nicht f?rmlich an ihrer Hacke kleben w?rde, h?tte ich von ihren Fluchtvorbereitungen auch nichts mitbekommen. Luisa wird langsam nerv?s, ich kann ihren Schweiss riechen.

»Ja, Papa, komisch, nicht? Aber mir macht es gar nichts aus, mit ihm rauszugehen. Ehrlich nicht.«

»Das ist lieb von dir, aber nicht n?tig. Wir setzen Herkules kurz in den Garten, ich m?chte nicht, dass du im Morgengrauen mit ihm durch die Gegend l?ufst.«

»Aber Papa!«

»Nichts aber Papa. Komm, gib ihn mir, ich bringe ihn kurz runter. Und du ziehst dir mal schnell dein Nachthemd wieder an und schl?fst noch eine Runde.«

Ohne noch eine Antwort von Luisa abzuwarten, schnappt mich Marc und tr?gt mich aus dem Zimmer. Zwei Minuten sp?ter finde ich mich im Garten wieder. Marc setzt mich auf den Rasen.

»So, Kumpel. Dann mach hinne. Ich gehe so lange wieder rein. Nur mit Unterhose ist es doch ganz sch?n frisch hier.«

Soll ich jetzt netterweise so tun, als ob ich tats?chlich dringend pinkeln m?sste? Unn?tig. Marc ist schon wieder im Haus verschwunden. Andererseits: Wo ich gerade schon hier bin … Ich trabe zum Baum, der direkt an der hinteren Mauer unseres G?rtchens steht. Noch bevor ich das Bein richtig gehoben habe, h?re ich eine vertraute Stimme direkt ?ber mir.

»Na, weisst du noch? Genau so war es damals, als wir uns zum ersten Mal gesehen haben.«

Herr Beck. Was macht der denn hier? Ich setze mich und

gucke hoch. Tats?chlich. Da hockt er auf unserer Mauer und grinst zu mir runter. Ich lege den Kopf schief.

»Nat?rlich weiss ich das noch. Wie k?nnte ich das auch vergessen. Ich versuchte zum ersten Mal, mein Beinchen zu heben, und wurde dabei von einer dicken, schwarzen Katze beobachtet, die sich vor Lachen kaum auf dem Baum halten konnte. Ein schwarzer Tag in meinem Dackelleben.«

Beck prustet.

»Unsinn. Dein Gl?ckstag!«

»Du musst es ja wissen. Was machst du eigentlich hier?«

»Gegenfrage: Was machst du hier zu dieser f?r Hunde nachtschlafenden Zeit?«

»Ich versuche, Luisa am Abhauen zu hindern. Sie wollte sich eben einfach so davonschleichen, da musste ich mal kurz eingreifen und laut werden. Hat auch geklappt, aber Marc denkt jetzt, ich leide an Bettflucht und Blasenschw?che.«

»Lustig. Ich bin aus demselben Grund hier. Nach dem Theater im Park war ich mir ziemlich sicher, dass Luisa versuchen w?rde wegzulaufen. Da dachte ich, es sei besser, die Zielperson zu observieren. Bin nachts sowieso ?fter hier in der Ecke, da bot sich das an.«

Nicht nur, dass Herr Beck mal einem Anwalt geh?rt hat, er schaut auch liebend gerne Fernsehen. Bevorzugt eine Sendung, dieTatort heisst und die zuf?lligerweise auch Ninas Lieblingssendung ist. Nachher gibt er immer mit seinem Expertensprech an, wirklich l?cherlich! Herr Beck ist und bleibt ein ziemlicher Wichtigtuer.

»Aha. Und was h?ttest du gemacht, wenn die Zielperson ausgeb?chst w?re? Du kannst ja nicht mal bellen.«

»Es w?re mir schon etwas eingefallen, mach dir keine Sorgen.«

»Was denn?«

»Ich h?tte … also zum Beispiel k?nnte ich … also, vielleicht h?tte ich … ?h …«

»Gib’s zu, du hast keine Ahnung, was du gemacht h?ttest. Ihr Katzen k?nnt n?mlich doch nicht alles.«

Herr Beck faucht.

»Ich habe auch nie behauptet, dass ich alles kann. Trotzdem bin ich gekommen. Weil ich mir Sorgen gemacht habe um das M?dchen.«

Oho. Ganz neue T?ne.

»Du machst dir Sorgen? Um ein anderes Lebewesen? Gar um einen Menschen?« Was ist denn nun los? Wird der Kater altersmilde? Oder hat ihm Alex irgendetwas Bewusstseinsver-?nderndes ins Futter gemischt?

Mit einem eleganten Satz springt er von der Mauer und landet genau neben mir.

»Ja, mach dich nur lustig ?ber mich. Ich mag Luisa eben. So was kommt bei mir vielleicht nicht ganz so h?ufig vor wie bei dir, weil ich als Katze mit meiner Zuneigung eben nicht so wahllos bin wie du als Hund – aber wenn ich jemanden mag, bin ich durchaus in der Lage, mir Gedanken ?ber ihn zu machen. Und: Ja, ich hatte noch keinen Plan, aber mir w?re schon noch etwas eingefallen.«

»Dann sind wir mit unseren Sorgen ja schon zu zweit. Ich habe jedenfalls beschlossen, nicht mehr von Luisas Seite zu weichen. Mit ziemlicher Sicherheit wird sie es noch einmal versuchen, ich muss einfach zusehen, dass ich dann mit von der Partie bin. Wenn sie schon ohne Willi loszieht, muss wenigstens ich auf sie aufpassen.«

Herr Beck wiegt den Kopf hin und her.

»Kumpel, dann bin ich auch dabei. Vier Augen sehen mehr als zwei, und als Team sind wir doch eigentlich unschlagbar.«

Ein Kompliment aus Herrn Becks Mund – war doch etwas

im Futter? Auf alle F?lle hat er nat?rlich Recht, obwohl mir deutlich wohler w?re, wenn wir im Notfall noch einen Menschen dabeih?tten. Eben Willi. Herr Beck scheint das Gleiche zu denken.

»Herkules, wir sollten trotzdem versuchen, Willi mitzunehmen. Ich traue uns eine Menge zu, aber nicht alle Menschen sind freundlich zu Kindern. Was wollen wir machen, wenn Luisa unterwegs in echte Schwierigkeiten ger?t? Ich glaube, dieses M?nchen liegt nicht gerade um die Ecke, es dauert bestimmt eine Weile, bis wir da ankommen. Und ich habe neulich imTatort gesehen, wie ein kleines M?dchen …«

»Beck! Jetzt mach mich bloss nicht nerv?s! Lass uns lieber ?berlegen, wie wir Willi an Bord holen. Also, ich traue mir schon zu, Luisa zu seinem Verkaufsstand zu lotsen. Das habe ich neulich schon geschafft. Die Frage ist nur, ob er gleich kapiert, dass sie auf der Flucht ist. Erz?hlen wird siees ihm wohl kaum.«

Erneut wiegt Herr Beck den Kopf hin und her, gleichzeitig saust sein Schwanz von links nach rechts, ein untr?gliches Zeichen daf?r, dass er nachdenkt.

»Grunds?tzlich ist Willi ja gewarnt. Es m?sste uns irgendwie gelingen, ihm einen Hinweis zu geben. Auf alle F?lle bleibe ich hier auf meinem Beobachtungsposten, damit ich mich gleich an eure Fersen heften kann, wenn es losgeht.«

Marc kommt wieder in den Garten.

»Sag mal, Herkules, willst du hier Wurzeln schlagen? Ich will wieder ins Bett. Los, rein mit dir!«

Dann bemerkt er Herrn Beck.

»Hey, ist das nicht die fette Katze von Nina?« Bevor er sich Herrn Beck noch genauer angucken kann, macht der sich mit einem Sprung auf die Mauer davon. Marc sch?ttelt den Kopf. »Hm, ich h?tte schw?ren k?nnen, dass sie das war.« Dann

lacht er. »Also wirklich, ich muss noch ’ne Runde schlafen. Jetzt bilde ich mir schon ein, dass sich hier zwei Tiere miteinander unterhalten haben. Unglaublich, wie dieser permanente Schlafentzug auf das Hirn wirkt.«

»Herkules, ich tue das wirklich nicht gern. Aber ich kann dich nicht mitnehmen, schon gar nicht, wenn du so stur bist. Nimm es nicht pers?nlich, aber ich muss weg. Und du bleibst hier.«

Tats?chlich wollte sich Luisa nach dem Fr?hst?ck wieder aus dem Staub machen und sich angeblich mit einer Freundin im Park treffen, aber ich bin nicht von ihrer Seite gewichen. Schliesslich hat Carolin ihr die Hundeleine in die Hand gedr?ckt, weil ich doch offensichtlich ganz dringend raus wollte –nimm Herkules doch bitte mit zu deiner Verabredung. Jetzt steuert Luisa auf den Vorgarten eines Hauses zu, der von einem kleinen Zaun umgeben ist. Hey, will die mich etwa da anbinden? Mit aller mir zur Verf?gung stehenden Kraft werfe ich mich in die Leine und lege den R?ckw?rtsgang ein. So haben wir schliesslich nicht gewettet, mein Fr?ulein! Ausserdem sind wir nur noch eine Ecke von Willi entfernt, das w?re doch gelacht, wenn ich so kurz vorm Ziel aufgeben m?sste. Noch ein kr?ftiger Ruck, dann gleitet Luisa die Leine aus den H?nden, und ich flitze los. Und ich habe Gl?ck, sie rennt tats?chlich hinterher.

»Herkules, du ungezogener Hund! Komm zur?ck! Was soll das denn?«

Aber ich denke nat?rlich gar nicht daran zu gehorchen, sondern wetze auf den Supermarkt zu. Luisa l?uft auch weiter und ruft hinter mir her. Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass Herr Beck uns folgt, ganz so, wie wir es heute Morgen abgemacht haben.

»Also gut, wenn du unbedingt wieder zum Supermarkt willst, dann binde ich dich gleich bei Willi an.«

Nichts lieber als das!, w?rde ich ihr gerne entgegnen, denn dann merkt Willi bestimmt gleich, was Sache ist, und informiert Marc und Carolin. Direkt vor mir taucht der Markt auf, und ich sehe schon Willi neben seinem Tisch sitzen. Ich gebe noch einmal richtig Gas und spurte auf ihn zu. Als ich ihn fast erreicht habe, springt Willi ?berrascht von seinem Stuhl auf.

»Hoppla, was ist denn hier los? Willst du mich ?ber den Haufen rennen?«

Nur Sekunden sp?ter kommt auch Luisa angekeucht.

»Hallo, Willi! Herkules ist mir einfach abgehauen, ich konnte ihn nicht mehr halten.«

»Aha.« Misstrauisch be?ugt Willi das M?dchen. »Und wohin wolltest du? Einfach nur spazieren gehen?«

Luisa nickt.

»Sicher?«

»Ja, ganz sicher. Warum?«

»Na, das letzte Mal, als wir gesprochen haben, wolltest du zu deiner Mutter nach M?nchen abhauen. Und so lange ist das noch nicht her. Genau genommen war das gestern.«

»Na ja, jetzt habe ich eine Nacht dar?ber geschlafen und finde, dass du Recht hast. Ist ’ne bl?de Idee gewesen. Also mach dir keine Sorgen.«

Emp?rt jaule ich auf. Wie kann Luisa hier nur so eine L?gengeschichte auftischen. Sch?men sollte sie sich!

»Und wieso hast du dann einen Rucksack mit?«

»Ich … ?h … wollte baden gehen. Im Freibad. Ist ja endlich sch?nes Wetter.«

»Mit Hund ins Freibad? Geht denn das?«

Willi bleibt hartn?ckig ungl?ubig. Gut so!

»Stimmt, du hast Recht. Das geht nicht. Daran hab ich gar

nicht gedacht. Sag mal, kannst du mir einen Gefallen tun und die n?chste Stunde auf Herkules aufpassen? Ich hole ihn dann wieder ab, wenn ich aus dem Schwimmbad komme.«

WIE BITTE? Was f?r ein ausgefuchstes Biest! Hoffentlich f?llt Willi auf diese Finte nicht herein. Er schaut unschl?ssig, ich fange an zu bellen.

»Also, Herkules scheint mit deinem Plan nicht einverstanden zu sein. Warum bringst du ihn nicht schnell zu Hause vorbei?«

»Da ist gerade keiner.«

»So, so. Und wo sind Carolin und das Baby?«

»Beim Kinderarzt. Und die Praxis ist noch zu. Och bitte, Willi, ich will so gerne schwimmen gehen.«

Willi seufzt.

»Na gut, kleines Fr?ulein. Dann will ich dir mal glauben. Gib mir die Leine. Aber in zwei Stunden bist du sp?testens wieder da, versprochen?«

Luisa hebt die Hand.

»Grosses Indianerehrenwort!«

Dann dr?ckt sie Willi die Leine in die Hand. Mist! Was mach ich jetzt? Und wo ist mein angeblich so wild entschlossener Teamkollege Herr Beck? Der wollte sich doch etwas ganz Tolles ?berlegen, um genau diese Situation zu verhindern. Das klappt hier ja grossartig. Bevor es sich Willi noch einmal anders ?berlegen kann, ist Luisa schon fast um die n?chste Ecke verschwunden.

»Na, die hat es ja eilig, Herkules. Hoffentlich hat der Willi jetzt keinen Fehler gemacht.«

DOCH! Hast du! Warum bin ich so schlau und kann trotzdem nicht sprechen? Was ist das f?r eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Die d?mmsten Menschen k?nnen reden und qu?len ihre Umwelt mit dem gr?ssten Unsinn,

der menschliche Lippen verlassen kann – und so ein helles Kerlchen wie ich muss stumm bleiben.

Aber w?hrend ich noch mit meinem Schicksal hadere, sehe ich, wie von der anderen Seite der Strasse etwas Schwarzes pfeilschnell auf Luisa zuschiesst und aus vollem Schwung auf ihre Schultern springt. Genauer gesagt auf ihren Rucksack. Mir ist nat?rlich sofort klar, was das zu bedeuten hat, aber Willi bleibt vor lauter Staunen der Mund offen stehen.

»Was zur H?lle …?«

Bevor er den Satz noch zu Ende gesprochen hat, schl?gt Luisa mit einem spitzen Schrei der L?nge nach hin. Heilige Fleischwurst! Wer h?tte gedacht, dass in dem alten Kater noch so viel Energie steckt? Ich f?rchte nur, Herr Beck ist ein bisschen zu weit gegangen.

NEUNZEHN

Liebe geht durch den Magen. Das jedenfalls hat unsere K?chin Emilia immer behauptet und dann auch f?r uns Hunde die tollsten Sachen in den Napf gezaubert – jede Mahlzeit ein echter Liebesbeweis! Noch bei der Erinnerung f?llen sich meine Lefzen mit Wasser. Falls dieses Sprichwort nicht nur auf Dackel, sondern auch auf Menschen zutrifft, dann hat Willi Luisa sehr lieb. Denn obwohl sie ihn so angeschwindelt hat und erst mit der Wahrheit rausger?ckt ist, als Willi in den Rucksack geguckt hat, und er jetzt richtig, richtig sauer auf sie sein k?nnte, sitzen wir gerade in der winzigen K?che von Willis sehr kleiner Wohnung, und er br?t Pfannkuchen, Luisas Lieblingsgericht.

Ein verf?hrerischer Duft nach Vanille und Zimt verbreitet sich in der K?che, ich muss schlucken, um nicht auf den Boden zu sabbern. Ob Herr Beck und ich auch etwas abbekommen? Wobei – ob Herr Beck etwas bekommt, ist mir eigentlich wurscht. Hauptsache, die beiden denken an mich. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Katzen sich f?r S?ssspeisen ?berhaupt erw?rmen k?nnen.

Luisa hockt auf einem Stuhl neben dem Herd, die Knie unters Kinn gezogen, und beobachtet Willi, der in diesem Moment einen der Pfannkuchen durch die Luft fliegen l?sst. Tats?chlich landet er Sekunden sp?ter wieder in der Pfanne – wuff! Wie hat Willi das bloss gemacht? Luisa ist davon offenbar genauso begeistert, endlich l?chelt sie wieder, obwohl

auf ihrem rechten Knie ein riesengrosses Pflaster ?ber einer noch gr?sseren Beule klebt.

»Willi?«

»Ja?«

»Woher kannst du das so gut?«

»Du meinst das super-duper-spitzenm?ssige Pfannkuchenin-der-Luft-Wenden?« Willi grinst.

»Genau.«

»Weisst du, fr?her habe ich fast jedes Wochenende Pfannkuchen gebacken. F?r ein M?dchen, das war ungef?hr so alt wie du.« Obwohl Willi immer noch l?chelt, mischt sich jetzt ein anderer Ton in seine Stimme. Fast so etwas wie … ja, fast so etwas wie Traurigkeit. Auch Luisa scheint das zu bemerken.

»Wer war denn das M?dchen?«, will sie wissen.

Willi z?gert eine Sekunde; als er antwortet, klingt seine Stimmerichtig traurig.

»Ach, weisst du, ich war auch mal ein Papa, und das war meine kleine Tochter. Aber das ist lange her, und seitdem ist viel passiert. Sehr viel.«

Luisa holt Luft, als wolle sie noch etwas fragen, aber dann schweigt sie. Auch Willi sagt nichts mehr, sondern verfrachtet den fertigen Pfannkuchen auf einen Teller und giesst neuen Teig in die Pfanne. Als der letzte Pfannkuchen goldbraun gebrutzelt und auf dem Haufen mit den restlichen Kuchen gelandet ist, stellt Willi den Teller auf den kleinen Esstisch, auf den genau zwei Teller passen. Ich mache M?nnchen, nicht, dass ich hier vergessen werde!

»Na, da hat aber jemand auch Appetit! Komm, kriegst auch etwas auf einen kleinen Teller.« Willi holt ein Sch?lchen aus dem K?chenschrank und legt ein paar Pfannkuchenstreifen hinein. Wie das duftet! »Aber Vorsicht! Die sind noch ganz warm. So, Luisa, greif zu!«

Luisa legt sich einen Pfannkuchen auf den Teller und f?ngt an zu essen.

»Hm, die schmecken super, Willi!«

»Dann ist der kleine Unfall jetzt vergessen?«

Luisa nickt, und jetzt l?chelt Willi wieder.

»Aber was rede ich da? Unfall? Das war doch eher ein Anschlag, oder, Herr Kater?«

Herr Beck, der faul auf einer der Fensterb?nke liegt, schaut nur kurz hoch.Eine Katze muss tun, was eine Katze tun muss, scheint er damit zu sagen. Luisa schaut verlegen zu Boden, ihr Blick streift mich kurz.

»Na ja, wahrscheinlich haben die beiden sich um mich Sorgen gemacht.«

»Hm, glaubst du, sie wussten, dass du abhauen willst?«

»Klar! Ich habe es Herkules doch erz?hlt! Und Herkules versteht alles – wirklich jedes Wort! Zuerst wollte ich heute Morgen ganz fr?h los, aber da hat Herkules so einen Radau gemacht, dass Papa wach geworden ist. Also musste ich meinen Plan verschieben.«

Willi guckt nachdenklich.

»Und du willst es dir nicht noch einmal ?berlegen?«

Luisa sch?ttelt den Kopf.

»Nein. Ich will weg.«

»Aber Papa und Carolin werden sich grosse Sorgen machen.«

»Deswegen habe ich ihnen einen Brief hingelegt und geschrieben, dass sie jetzt ein paar Tage nichts von mir h?ren werden.«

»Hast du ihnen auch gesagt, wohin du willst?«

»Nein. Dann w?rde Papa gleich denken, dass das Mamas Idee war. Und dann streiten die beiden sich wieder. Nein, das will ich nicht.«

»Na gut. Wenn du so wild entschlossen bist, dann helfe ich dir. Es ist bestimmt besser, wenn du nicht alleine losziehst. M?nchen ist sehr weit weg, ich will nicht, dass dir unterwegs etwas passiert.«

Luisa springt von ihrem Stuhl auf und dr?ckt Willi einen Kuss auf die Wange.

»Danke, Willi! Mit dir zusammen wird das bestimmt kein Problem. Ausserdem passen Herr Beck und Herkules noch auf mich auf. Da kann gar nichts passieren.«

Willi seufzt.

»Also, die beiden Kameraden w?rde ich aber lieber in Hamburg lassen. Ich finde, das verkompliziert die Sache nur unn?tig.«

Bitte? Es ist immer gut, einen Dackel dabeizuhaben! In jeder Lebenslage, absolut jeder! Gut,?ber den Kater k?nnen wir von mir aus diskutieren, aber ich bin doch wohl gesetzt! Genauso scheint das auch Luisa zu sehen, denn sie sch?ttelt energisch den Kopf.

»Nein, die beiden m?ssen unbedingt mit. Ausserdem k?nnen wir Herkules auch nicht einfach zu Hause abliefern. Papa oder Caro haben meinen Brief bestimmt schon gelesen. Wenn ich Herkules jetzt zur?ckbringe, schnappen die mich garantiert. Das will ich auf keinen Fall riskieren. Und aussetzen k?nnen wir die beiden schlecht.«

Wuff – dass sie das ?berhaupt erw?hnt! Frechheit! Willi seufzt noch einmal, diesmal klingt es irgendwie gottergeben.

»Na gut, versuchen wir es also mit Hund und Katze. Hast du dir denn ?berlegt, wie genau du hinkommen m?chtest?«

Luisa zuckt mit den Schultern.

»Weiss nicht. Vielleicht mit dem Zug? Ich habe fast f?nfzig Euro in meinem Umh?ngebeutel.«

»Hm, wir k?nnen nach dem Essen zum Bahnhof fahren und nachsehen, was ein Ticket kostet. Ich habe noch ein bisschen Geld auf der hohen Kante, vielleicht kann ich sogar mitfahren, damit du sicher dort ankommst.«

R?hrend, wie besorgt Willi um Luisa ist. Oder ist Bahnfahren irgendwie gef?hrlich? Ich bin noch nie mit der Bahn gefahren, aber je mehr ich dar?ber nachdenke, desto mehr erinnere ich mich, dass der alte von Eschersbach in der Tat gr?sste Vorbehalte dem Bahnfahren gegen?ber hatte. Seiner Meinungnach arbeiteten dort nur Idioten, die von nichts Ahnung h?tten, von ihren Kunden schon gar nicht, und wer darauf vertraue, dass ein Zug p?nktlich k?me, m?sse schon besonders gutgl?ubig sein. Deswegen fuhr der Alte auch nie mit dem Zug, sondern immer mit seinem Chauffeur. Und der fuhr genau dorthin, wohin von Eschersbach wollte. Eigentlich also ein sehr praktisches Prinzip, und wenn ich reden k?nnte, w?rde ich Willi vorschlagen, einfach einen Chauffeur anzurufen. Der k?nnte uns dann nach M?nchen fahren. Zumal, wenn er so ein grosses Auto h?tte wie der Chauffeur vom Alten. Einmal durfte ich dort mitfahren, und es kam mir riesig vor. Es gab sogar etwas zum Trinken f?r unterwegs. Leider nix f?r Hunde, aber f?r von Eschersbach gab es im hinteren Wagenteil ein kleines Schr?nkchen mit einer Flasche voll scheusslich riechendem Zeug. Cognac, wie ich heute weiss. Und aus eben jener Flasche goss sich der Alte bei meiner einmaligen Fahrt mit ihm ein Glas ein – obwohl die Fahrt nur sehr, sehr kurz war, muss er damals unheimlich Durst gehabt haben, denn er trank gleich noch ein zweites Glas davon. Also, praktisch war das Schr?nkchen allemal. Und wenn es nach M?nchen so weit ist, dann w?re es doch gut, einen Chauffeur mit grossem Auto und ausreichend Proviant zu haben, oder? Aber es ist wie immer: Auf die naheliegenden Dinge kommen

die Menschen nicht von allein, und so wird hier weiter die Zugfahrt ins Auge gefasst. Na ja, Willi wird schon wissen, was er tut. Dannmachen wir uns jetzt eben zum Bahnhof auf.

Am Bahnhof ist es ziemlich voll. Menschen hasten scheinbar ziellos hin und her, und da viele zudem noch Koffer hinter sich herschleifen oder schwere Taschen in jeder Hand haben, ist man als Dackel gut beraten, sich ihnen nicht in den Weg zu stellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen einen unter diesen Umst?nden bemerken und rechtzeitig bremsen, sch?tze ich ?usserst gering ein. Fast herrscht eine Stimmung wie in dem furchtbaren Kaufhaus kurz vor Weihnachten. Ich merke, wie sich meine Nackenhaare langsam zu str?uben beginnen. Ein Blick zu Herrn Beck – der sieht noch v?llig entspannt aus. Kein Wunder. Der wird auch getragen, und zwar von Willi, der sich ausserdem noch einen Beutel mit ein paar Sachen f?r die Reise unter den Arm geklemmt hat. Ich bem?he mich derweil, m?glichst an Willis Hosenbein zu kleben. Herr Beck guckt mitleidig auf mich herunter. Und ein bisschen abf?llig, wie mirscheint.

»Ganz sch?n anstrengend, auf so kurzen Beinen Schritt halten zu m?ssen, was?« Nein, der Blick scheint nicht abf?llig, erist es! So eine Frechheit! Da ich aber nicht gleichzeitig auf Willi achten und mit Beck streiten kann, bleibt mir nichts anderes?brig, als mir meine b?se Erwiderung zu denken und hinterherzuhecheln. Aber warte, mein Freund, du kriegst dein Fett schon noch weg.

Jetzt bleibt Willi stehen.

»Ah. Da dr?ben ist das Reisecenter. Dort k?nnen sie uns bestimmt sagen, wann der n?chste Zug nach M?nchen f?hrt, und Fahrkarten gibt es da auch.«

Wir wandern zu einem grossen, gl?sernen Kasten, in dem viele Menschen in Reihen stehen und auf irgendetwas zu warten scheinen. Als ich neben Willi und Luisa durch die Glast?r husche, erkenne ich, dass die Menschenreihen vor hohen Tischen enden, hinter denen wiederum Menschen stehen. Ob die uns nun sagen k?nnen, wie wirnach M?nchen kommen? Willi und Luisa stellen sich an das Ende einer Reihe.

Es dauert ziemlich lange, bis wir auch nur einen halben Meter vorankommen. Der Tisch, zu dem wir wollen, ist somit immer noch sehr weit entfernt. Zeit genug also, mal ein ernstes W?rtchen mit Herrn Beck zu reden.

»Sag mal, was sollte denn der Spruch eben?«

»Welcher Spruch?«

»Na, der mit den kurzen Beinen.«

»Ja, willst du jetzt behaupten, dass du lange Beine hast?«

»Nun tu mal nicht so! Du weisst genau, was ich meine!«

Herr Beck streckt sich einmal der L?nge nach, um dann einen Buckel zu machen.

»Nein, eigentlich nicht.«

»Na, du l?sst dich hier bequem durch die Gegend tragen und kommst dann noch mit oberschlauen Spr?chen. Genau genommen frage ich mich, wieso wir dich ?berhaupt mitgenommen haben.«

»Bitte?« Oh. Herr Beck kann richtig fauchen! »Wieso ihr mich mitnehmt? Ohne mich w?ren wir gar nicht hier. Denn wenn ich mich nicht mit Todesverachtung und einem Riesensatz auf Luisa gest?rzt und sie so von der Flucht abgehalten h?tte, w?rdest du immer noch wie Piksieben mit Willi vor dem Supermarkt sitzen. Ohne Luisa. Ich werde nicht zulassen, dass sich das Kind ohne eine so kompetente und entschlossene Reisebegleitung, wie ich es nun einmal bin, auf den Weg macht.«

Okay. Ich hasse es, das zuzugeben, aber: Der fette Kater hat da einen Punkt. Trotzdem kein Grund, hier immer den Dicken raush?ngen zu lassen!

»Ja, gut, aber …«

»Weisst du, ich gebe es ungern zu, aber langsam schliesse ich den einen oder anderen Menschen doch ins Herz. Und jetzt ist Nina auf einmal wochenlang weg, obwohl sie das beste Frauchen ist, das ich mir vorstellen kann. Wenn nun auch noch Luisa verloren geht, passt mir das gar nicht. Nein, nein, dabin ich lieber vorsichtig.«

Heilige Fleischwurst – ich entdecke auf einmal ganz neue Seiten an Herrn Beck! Der wird ja geradezu anh?nglich.

»Hey, so kenne ich dich ja gar nicht. Seit wann …«

»Psst!«, f?hrt er mich an, »h?r mal!« H?? Was meint der denn? »Ich glaube, Willi versucht, Luisa das Abhauen noch einmal auszureden. Vielleicht sind wir doch schneller wieder zu Hause, als wir beide dachten.«

Ich h?re genau hin. Tats?chlich. Willi unternimmt noch einen Versuch.

»Luisa, ich bin mir wirklich nicht sicher, ob diese Fahrt nach M?nchen eine gute Idee ist. Ich glaube, ich rufe jetzt besser deinen Vater an. Deine Eltern machen sich bestimmt schon riesige Sorgen! Meinst du nicht auch?«

Luisa macht das Gleiche, was sie auf diese Frage hin seit zwei Tagen macht: Sie sch?ttelt den Kopf.

»Wenn du Papa anrufst, hau ich sofort ab. Dann versuche ich es eben allein. Irgendwie komme ich schon nach M?nchen!«

»Ja, aber guck mal, ich k?nnte doch schnell …«

»Willi, h?r auf! Du willst es mir nur ausreden.«

»Nein! Ich meine, ja, aber …«

»Hallo, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«

In diesem Moment hat das Warten ein Ende, denn vor uns steht niemand mehr in der Reihe, der uns von dem Tisch trennen kann. Das scheint auch die Frau, die hinter dem Tisch steht, so zu sehen, denn sie l?chelt Willi auffordernd an. Und sie will uns helfen, toll! Offenbar hatte der alte von Eschersbach ?berhaupt keine Ahnung vom Bahnfahren. Von wegennur Idioten, hier ist man doch ganz freundlich und hilfsbereit.

Willi r?uspert sich.

»?h, ja, ich w?sste gerne, wann der n?chste Zug nach M?nchen f?hrt und was zwei Tickets daf?r kosten. Also, f?r mich und das Kind.«

Die Frau blickt auf den Fernseher, der auf dem Tisch steht, und tippt mit den Fingern auf der Tischplatte herum. Lustig sieht das aus, jedenfalls von hier unten aus betrachtet.

»Also, der n?chste Zug geht um 13:55 Uhr, eine Direktverbindung, Sie kommen um 19:42 Uhr in M?nchen-Hauptbahnhof an. Das Ticket kostet 129 Euro. Ist das Ihre Enkelin?« Sie nickt Luisa zu.

»?h, ja.«

»Dann f?hrt das Kind kostenlos mit Ihnen.« Jetzt f?llt ihr Blick auf Herrn Beck und mich. »Sollen die Tiere auch mit?«

»Ja.«

»Haben Sie eine Transportbox?«

»Nein, wieso?«

»Dann d?rfen Sie die Katze nicht mitnehmen, und der Hund kostet 64 Euro 50.« Die Frau l?chelt.

»Ja, aber, wieso denn? Ich dachte, wenn ich selbst …«

Die Frau unterbricht ihn, immer noch l?chelnd.

»Ist das ein Blindenf?hrhund oder Begleithund f?r Sie?«

Willi sch?ttelt den Kopf.

»Nein, nat?rlich nicht!«

»Tja, dann m?ssen Sie ihn ausserdem an der Leine f?hren

und ihm einen Maulkorb anlegen, wenn Sie ihn nicht in einem Transportbeh?lter mitnehmen. Daf?r d?rfte er allerdings zu gross sein, denn das gilt nur f?r Hunde bis zur Gr?sse einer Hauskatze.«

Das L?cheln ist immer noch strahlend, und jetzt wird mir alles klar: Das ist gar kein echtes L?cheln! In Wirklichkeit ist die Frau gar nicht so nett und hilfsbereit, wie ich dachte – sonst w?rde sie doch mal mit einem besseren Vorschlag um die Ecke kommen als mit diesem ganzen Unsinn! Hat von Eschersbach also doch Recht gehabt? Willi unternimmt einen neuen Anlauf.

»Aber ich dachte, es sei kein Problem, Haustiere im Zug mitzunehmen. Wo soll ich denn jetzt einen Maulkorb herkriegen? Und die Katze kann ich doch nicht einfach hierlassen!«

»Esist auch kein Problem, Haustiere mitzunehmen. Sie haben einfach nicht die passende Ausr?stung. Sie h?tten sich vor Reiseantritt eben besser informieren m?ssen.«

Wuff, so eine b?sartige Ziege! Als ob Willi heute Morgen schon gewusst h?tte, dass ihm bald einReiseantritt bl?ht! Ich fange an zu knurren und gehe einen Schritt Richtung Tisch. Die Frau reisst die Augen auf.

»Ist der etwa gef?hrlich?«

»Nein, nein, der ist normalerweise ganz lieb. Pssst, Herkules!« Willi zerrt mich an der Leine zur?ck.

»Also, nun nehmen Sie bitte den Hund hier weg! Sie brauchen einen Maulkorb, verstanden? Am besten kommen Sie wohl noch einmal wieder, wenn Sie sich ?berlegt haben, ob Sie mit oder ohne Tiere reisen wollen.«

Bevor Willi noch etwas sagen kann, sieht sie an ihm vorbei und begr?sst den Mann, der hinter uns in der Reihe steht. Der marschiert prompt an uns vorbei und stellt sich an den Tisch,

direkt vor Willis Nase. Der dreht sich um und beugt sich zu Luisa vor.

»Komm, lass uns mal verschwinden«, fl?stert er, »ich will hier keinen ?rger bekommen. Nachher fallen wir tats?chlich noch auf.«

Er setzt Herrn Beck auf den Boden, nimmt Luisa an die Hand und zieht sie hinter sich her aus dem Glaskasten raus. Beck und ich laufen den beiden nach. Draussen angekommen bleibt Willi stehen.

»Ich glaube, Zugfahren ist keine so gute Idee. Es sei denn, wir werden noch irgendwie unsere beiden Kollegen hier los.« Er zeigt auf Beck und mich.

Luisa sch?ttelt den Kopf.

»Aber das geht doch nicht. Ich habe es dir doch schon erkl?rt: Dann m?ssten wir Herkules ja erst nach Hause bringen – und dann weiss Papa ja, dass ich wieder da bin. Das geht nicht.«

Willi nickt.

»Ja, ich weiss, dass das ein Problem ist. Und ich glaube nicht, dass die beiden so lange in meiner Wohnung alleine bleiben k?nnen. Das wird ihnen nicht gefallen, und ausserdem sind Tiere dort verboten. Wenn das jemand merkt, kriege ich m?chtig ?rger. Und das w?re schlecht, es war schwer genug f?r mich, ?berhaupt eine Wohnung zu bekommen.«

Luisa l?sst die Schultern h?ngen.

»Aber was machen wir denn jetzt?«

»Tja, oder du musst doch allein Zug fahren, und ich setze die beiden wieder bei der Werkstatt ab. Es ist ja ohne Umsteigen. Meinst du, du schaffst das? Das Ticket kann ich f?r dich kaufen, ich habe genug Geld dabei – habe extra meinen Notgroschen eingesteckt.« Willi l?chelt Luisa aufmunterndan und streicht ihr ?ber die Haare.

Richtig gl?cklich scheint Luisa aber mit diesem Vorschlag nicht zu sein, denn sie l?sst sich von Willis L?cheln nicht anstecken. Dann schluckt sie, als h?tte sie mindestens einen Apfel im Hals stecken.

»Ich glaub, ich trau mich nicht allein. Heute Morgen f?hlte sich das noch irgendwie anders an, aber jetzt … also, ich habe doch Angst ohne dich.«

Willi seufzt.

»Ja, das kann ich verstehen. Zum Gl?ck habe ich noch eine andere Idee. Sozusagen Plan B.«

ZWANZIG

Warum nicht gleich so? Endlich hat Willi ein Auto besorgt. Zwar ohne Chauffeur, aber immerhin mit vier R?dern. Es steht vor dem Haus, in dem Willis Wohnung liegt, und wartet nur darauf, uns alle nach M?nchen zu fahren. Und zwar ohne Transportbox oder Maulkorb. Ich bin begeistert, auch Beck hat wider seiner sonstigen Gewohnheit noch nicht gemeckert – nur Luisa wirkt seltsam zur?ckhaltend, dabei m?sste sie doch gl?cklich sein, dass Willi nach der Pleite am Bahnhof so schnell ein anderes Fortbewegungsmittel organisiert hat. Stattdessen schleicht sie um das Auto herum und mustert es skeptisch.

»Bist du sicher, dass das noch f?hrt?«

»Aber nat?rlich? Wie h?tte ich es sonst hier hinbekommen?«

»Schon klar. Ich meine ja auch: bis nach M?nchen.«

»Doch, doch. Mein Kumpel Paule sagt, es hat zwar schon so einige Kilometer auf dem Buckel, ist aber ansonsten top in Schuss.«

Willi?ffnet die Fahrert?r, ich linse hinein. Na also, wer sagt’s denn? Das Auto hat sogar ein Lenkrad, da kann uns doch gar nichts passieren.

»Aber es hat so viele Beulen und rostige Stellen.«

»Weisst du, Luisa, das Auto ist bestimmt nicht so schick wie das von deinem Papa, aber der Paule war damit sogar schon in Afrika. Es ist nicht besonders schnell, aber garantiert

zuverl?ssig.« Er klopft mit einer Hand auf das Wagendach und grinst von einem Ohr bis zum anderen.

Luisa atmet tief ein, dann geht sie um das Auto herum und?ffnet die Beifahrert?r.

»Na gut, dann los!« Sie steigt ein.

Willi l?dt Luisas Rucksack, seinen Beutel und eine Tasche in den Kofferraum und geht wieder auf die Fahrerseite. He! Und was ist mit uns? Herr Beck scheint das Gleiche zu denken, er schl?ngelt sich von der Seite heran, bereit, durch die T?r auf Luisas Schoss zu springen. Mist, das kriege ich nat?rlichnicht so einfach hin. Hoffentlich fahren die nicht gleich zu dritt los, und ich werde hier vergessen! Aber schon zwei Sekunden sp?ter sch?me ich mich fast f?r diesen Gedanken, denn nat?rlich steigt Willi nicht einfach ein, sondern klappt seinen Sitz nach vorne, b?ckt sich und hebt mich auf dieR?ckbank. So lande ich sogar noch eher im Auto als Beck und kann mich auf der Bank sch?n breitmachen.

»Echt, du! R?ck mal ein St?ck!« Typisch Beck. Sich erst superschlau vordr?ngeln wollen und dann einen auf beleidigt machen, wenn es nicht klappt. Aber ich will mal nicht so sein, wenn dieses M?nchen wirklich so weit weg ist, wie alle behaupten, ist eine Fahrt im Fussraum nat?rlich ein bisschen unbequem. Nicht, dass Herrn Beck noch schlecht wird. Meine Schwester Charlotte zum Beispiel musste sich bei besagter Fahrt mit dem Chauffeur tats?chlich ?bergeben. Genau auf die F?sse vom Alten. Vielleicht war das auch der Grund, warum der auf einmal so vielCognac trinken musste – gewissermassen als eine Art Medizin.

Ob es diesen Cognac auch in einer f?r Vierbeiner vertr?glichen Variante gibt? Und falls ja: Ob wir wohl welchen dabeihaben? Wir sind noch nicht lange unterwegs, und

schon jetzt ist mir so schlecht, dass ich f?rchte, mich auch bald ?bergeben zu m?ssen. Normalerweise habe ich mit dem Autofahren gar kein Problem, aber Willi f?hrt irgendwie … komisch! Wenn Caro oder Marc fahren, dann bewegt sich das Auto meistens recht gleichm?ssig fort, aber dieser Wagen ruckelt und wechselt st?ndig zwischen schnell und langsam ab, dass ich es kaum aushalten kann. Herrn Beck geht es nicht viel besser. W?hrend ich aber noch ?berlege, ob dieses Auto irgendein Problem haben k?nnte, selbst wenn es schon mal inAfrika – wo auch immer das sein mag – gewesen ist, hat er schon eine andere Fehlerquelle ausgemacht:

»Woah, das ist ja nicht zum Aushalten! Ich bin mir nicht sicher, ob Willi jemals zuvor schon ein Auto gefahren hat. Hoffentlich hat er ?berhaupt einen F?hrerschein, wir kommen hier sonst in Teufels K?che!«

Um mich von meiner?belkeit abzulenken, versuche ich, mich darauf zu konzentrieren, was Beck mir gerade erz?hlt, auch wenn es mir schon verdammt schwerf?llt.

»Was ist denn ein F?hrerschein?«

»Den braucht man, um Auto zu fahren.«

»Ja, aber Willi f?hrt doch Auto.« Vielleicht nicht gut, aber immerhin.

»Das muss noch gar nichts heissen. Mein altes Herrchen, der Anwalt, der hatte zwei grosse Gruppen von Mandanten: Die einen hatten ?rger mit Mann oder Frau und wollten ihn oder sie loswerden.« Oh nein, nicht wieder diese Anwaltsgeschichten! Ich sp?re, wie sich der Speichel in meinem Mund sammelt. Gleich muss ich spucken, ganz sicher! »Die andere grosse Gruppe hatte hingegen immer Probleme mit ihrem F?hrerschein. Unter anderem, wenn sie gar keinen hatten.«

Ich hebe den Kopf vom Polster der R?ckbank.

»Wie kann man denn mit etwas Probleme haben, was man gar nicht hat?«

»Glaub mir: Man kann! Grosse Probleme sogar. Wenn die Polizei merkt, dass du keinen F?hrerschein hast und trotzdem Auto f?hrst, kriegst du richtig ?rger! Mein Herrchen war nat?rlich ein brillanter Anwalt und konnte das Schlimmste meistens verhindern – aber teuer war es allemal.«

»Stopp, stopp, stopp – ich verstehe kein Wort. Man braucht einen F?hrerschein, um Auto zu fahren, aber man kann es auch ohne? ?h, wieso braucht man ihn dann?«

»Mann, Herkules, weil Autofahren sonst verboten ist!«

Offenbar gucke ich gerade aus der W?sche wie ein kariertes Maigl?ckchen, denn jetzt setzt Herr Beck ganz grunds?tzlich an.

»Also, ein F?hrerschein ist ein St?ck Papier. Und wenn du das nicht hast, darfst du nicht fahren, weil es sonst zu gef?hrlich ist.«

Ich kann es nicht fassen. Man braucht Papier, um Auto zu fahren? Faszinierend, wie vielseitig dieses Material ist! Menschen brauchen es, um darauf zu schreiben, sie brauchen es, um davon etwas abzulesen, und jetzt brauchen sie es sogar, um eine so grosse Maschine wie ein Auto zu bewegen. Toll! Wie das wohl funktioniert?

»Sag mal, Beck, und wieso ist es mit Papier weniger gef?hrlich? Das kann doch kaum sch?tzen, wenn man irgendwo dagegenf?hrt – dazu ist es viel zu d?nn, w?rde ich denken. W?re nicht zum Beispiel ein Helm viel besser? So einer wie der, den Luisa zum Radfahren aufsetzt?«

Wenn Katzen jaulen k?nnten, w?rde Beck es jetzt offenkundig tun, so reicht es nur f?r ein heiseres Fauchen.

»Meine G?te, bist du heute begriffsstutzig, du Dackel! Nat?rlichkannst du fahren, aber dudarfst es nicht. Weil du

es eben dann auch meistens nicht kannst. Verstanden? Du brauchst eine Erlaubnis.«

Ich will gerade einwerfen, dass es wirklich kein Wunder ist, wenn ich bei dieser v?llig wirren Erkl?rung nicht folgen kann, als Willi so scharf bremst, dass ich von der R?ckbank fliege, gegen den Sitz vor mir pralle und schliesslich im Fussraum lande. Aua! Was soll das denn? Auch Herr Beck ist sehr unsanft neben mir gelandet und faucht nun noch lauter. Willi dreht sich zu unsum.

»Entschuldigt, Jungs! Ich wollte eigentlich auf die Autobahn auffahren, aber ich komme nicht so recht darauf. Die anderen fahren doch ganz sch?n schnell, und ich bin etwas aus der ?bung.«

Luisa scheint sich ebenfalls ziemlich erschreckt zu haben, jedenfalls klingt ihre Stimme ganz zittrig, als sie Willi etwas fragt, was mich nun auch brennend interessiert.

»Aber wie lange bist du denn schon nicht mehr Auto gefahren?«

Willi r?uspert sich.

»Hm, also, so ungef?hr zwanzig Jahre, sch?tze ich. Aber keine Sorge, das ist wie Fahrradfahren, man verlernt es nie wirklich. Nur das mit der Autobahn, das lasse ich vielleicht erst mal. Auf der Landstrasse kommen wir schliesslich auch nach M?nchen. Das dauert zwar etwas l?nger, ist aber landschaftlich viel reizvoller.«

Luisa sagt dazu nichts. M?glicherweise geht es ihr wie mir, und der Unterschied zwischen Autobahn und Landstrasse ist ihr sowieso nicht klar. Die Aussicht, dass diese Fahrt nun aber noch l?nger als ohnehin schon dauern k?nnte, stimmt mich allerdings nicht gerade froh. ?bel ist mir zwar nicht mehr, aber daf?r habe ich mir bei der unfreiwilligen Flug?bung den Nacken verzogen und kann den Kopf nicht mehr ohne

Schmerzen zur Seite drehen. Herr Beck hat sich wieder aufgerappelt, aber gl?cklich sieht er auch nicht aus.

»Wir h?tten besser in Hamburg bleiben sollen. Die Flucht ist ja lebensgef?hrlich. Ich weiss wirklich nicht, was ich hier verloren habe.«

»Aber du wolltest doch unbedingt mit«, erinnere ich Beck an seine grossm?uligen Spr?che am Bahnhof.

»Na, wenn ich gewusst h?tte, dass ich die n?chsten Tage in einer totalen Rostbeule ?ber die Lande w?rde eiern m?ssen, noch dazu mit einem Fahrer, der seit Katzengedenken kein Lenkrad mehr angefasst hat – ja, wenn ich das alles gewusst h?tte, ich h?tte dankend verzichtet.«

H?tte, h?tte, Fahrradkette – ich kenn mich mit Schulhofspr?chen von Luisa normalerweise nicht gut aus, aber ich glaube, hier passt das. Erst behaupten, man sei wild entschlossen, Luisa bei allen Problemen beizustehen, und dann bei der ersten Kleinigkeit kneifen. Typisch Katze, h?tte mein Opili dazu gesagt. Schlau und gerissen, aber eben nicht tapfer und mutig.

Willis Fahrstil normalisiert sich langsam, und auch meinem verspannten Nacken geht es besser. Ich bin wieder auf die R?ckbank geh?pft und betrachte die Landschaft, die am Wagenfenster vorbeizieht. Ab und zu ein W?ldchen, dann wieder Felder, auf denen schon ziemlich hohes Korn steht. Irgendwie sieht es so aus wie die Gegend um Schloss Eschersbach. Ob wir ganz in der N?he sind? Aber eigentlich kann das nicht sein, denn Schloss Eschersbach liegt zwar auf dem Land, aber man f?hrt nicht so lange dorthin, wie wir jetzt schon unterwegs sind. Ich habe Marc ein paarmal begleitet, wenn er als Tierarzt die Dackelzucht vom alten von Eschersbach untersucht hat, und ausserdem hat Luisa dort ein Wochenende mit ein paar Freundinnen verbracht, und ich durfte mit – und

jedes Mal kam mir die Fahrt eher kurz vor. Das kann nat?rlich auch daran gelegen haben, dass Marc besser Auto fahren kann als Willi.

Die Strasse, auf der wir nun unterwegs sind, wird auf einmal ganz holprig, und wir werden geh?rig durchgesch?ttelt. Das Auto wird erst langsamer, dann h?lt es an. Willi dreht sich zu Luisa.

»Ich glaube, wir haben uns verfahren. Guck mal im Handschuhfach, da m?sste eine Strassenkarte liegen.«

Luisa greift nach vorne und?ffnet eine Art Schublade. Aha, in diesem Auto gibt es also auch ein Schr?nkchen! Ich kann von der R?ckbank aus nicht genau sehen, was sich darin befindet, aber f?r eine Flasche Cognac und Gl?ser d?rfte es zu klein sein. Luisa zieht ein grosses Buch heraus und gibt es Willi. Och nee, der willdoch jetzt nicht anfangen, hier ganz gem?tlich zu lesen, oder? Wenn Carolin sich erst mal mit einem Buch auf das Sofa gelegt hat, ist es um den Rest des Tages meistens geschehen. Ich hoffe nicht, dass Willi nun auf einmal beschlossen hat, es f?r heute mit unserer Flucht bewenden zu lassen.

»Ja, tats?chlich. Ich bin eben falsch abgebogen. Aber das macht nichts, hier gibt es eine Abk?rzung. Wenn wir die nehmen, sind wir fast keinen Umweg gefahren. Ist zwar ein Feldweg, aber das macht ja nichts. So, ich wende mal eben.«

Wieder ein Ruckeln und Poltern, dann f?hrt Willi weiter. Nach kurzer Zeit biegt er auf eine sehr, sehr kleine Strasse ab. Ob das so richtig sein kann? Dieser Weg scheint wirklich direkt durch die Felder zu f?hren. Ich will nicht in Herrn Becks allgemeines Lamento mit einstimmen, aber ein bisschen mulmig wird mir langsam auch. Hoffentlich weiss Willi, was er da tut. Was mich wieder daran erinnert, dass ich diese Sache mit dem F?hrerschein immer noch nicht richtig verstanden

habe. Allerdings habe ich auch keine Lust, Beck noch einmal danach zu fragen, denn der muss …

»Scheisse!« Willi schreit laut auf und reisst mich aus meinen Gedanken. Ich gucke nach vorne und sehe, dass ein riesiges Etwas direkt auf uns zurollt.

»Was ist das?«, will Herr Beck wissen, aber bevor wir noch genauer hinschauen k?nnen, reisst Willi das Lenkrad herum, und das Auto f?hrt eine scharfe Kurve. Wir landen direkt im Feld, um uns herum auf einmal nur noch fensterhohe ?hren. Ein paar Meter rollen wir noch, dann gibt es einen Knall, und das Auto steht. Ich kenne mich zwar nicht aus, aber: Dieses Fahrman?ver war mit Sicherheit keine Absicht.

»Scheisse«, zischt Willi noch einmal, aber deutlich leiser.

»Ist unser Auto jetzt kaputt?«, will Luisa wissen.

»Ich hoffe nicht! Aber ich musste dem Trecker ausweichen, der h?tte uns sonst gerammt. So eine verfluchte Sch… ?h, so ein Mist! Wie kommen wir jetzt wieder aus diesem Feld heraus?«

Ich hoffe doch sehr, dass Willi diese Frage nicht ernst meint! Von den Anwesenden kann sie ausser ihm selbst mit Sicherheit niemand beantworten. In diesem Moment taucht ein dunkler Schatten neben dem Fahrerfenster auf, und eine Faust klopft an die Fensterscheibe.

»Hallo? Alles in Ordnung bei euch?«

Wer ist das? Willi kurbelt die Fensterscheibe herunter. Herein guckt ein lustig aussehendes M?nnlein mit einem noch lustiger aussehenden Hut.

»Habt ihr das Schild denn da vorne nicht gesehen? Der Weg ist eine Privatstrasse, Durchfahrt verboten. Und das aus gutem Grund – wenn ich mit meinem Trecker da l?ngs komme, passt niemand an mir vorbei.«

Aha. Lustiger Hut, Felder, Trecker: Der Fall ist klar. Bei

dem M?nnlein handelt es sich um einen Bauern. Genau wie unser Nachbar auf Schloss Eschersbach. Willi hebt die H?nde, l?sst sie dann wieder auf das Lenkrad sinken.

»Entschuldigen Sie, ich habe mich verfahren und gar nicht auf irgendwelche Schilder geachtet. Tja, und jetzt haben wir den Salat.«

Das M?nnlein wiegt den Kopf hin und her.

»Hauptsache, es hat sich niemand weh getan, oder?«

Willi dreht sich zu Luisa, die sch?ttelt den Kopf.

»Nein, alles in Ordnung. Ich weiss nur nicht, wie wir wieder aus diesem Feld herauskommen. Ich bin auch gegen irgendetwas gefahren.«

»Jau, da ist noch ein kleiner Wall direkt am Feldrand. Meinen Trecker st?rt der nicht, aber so ein Auto kann da schon mal ein Problem bekommen. Raus krieg ich euch da schon, ich habe ein Tau dabei, damit kann ich euch schleppen.«

Er dr?ckt die ?hren zur Seite, geht einmal um unser Auto herum und lugt neugierig in unser Wageninneres.

»Nanu, du hast ja richtig viele Passagiere dabei. Wo wolltet ihr denn hin?«

»Nach M?nchen!«, ruft Luisa. »Zu meiner Mama. Aber das ist geheim. Sonst ist Papa sauer. Willi, Herkules und Herr Beck wollten nur aufpassen, dass ich auch heil ankomme.«

»Willi, Herkules und Herr Beck?« Das M?nnlein klingt erstaunt.

»Genau. Das sind n?mlich meine besten Freunde. Ist es denn noch weit bis nach M?nchen?«

Eine sehr gute Frage. Die Antwort w?rde mich auch brennend interessieren. Wobei – so lange, wie wir schon unterwegs sind, kann es nicht mehr lange dauern. Wahrscheinlich liegt M?nchen schon hinter dem n?chsten W?ldchen, und wir k?nnen endlich dieses Auto verlassen. Von mir aus gehen

wir den Rest zu Fuss. Das M?nnlein kratzt sich unter seinem Hut am Kopf.

»Na ja. Ihr seid jetzt kurz vor Winsen. Ich sach mal: ungef?hr siebenhundert Kilometer? Grob gesch?tzt.«

Siebenhundert Kilometer. Sind das jetzt gute oder schlechte Nachrichten?

EINUNDZWANZIG

So, min Deern, nu tu dir mal richtig wat op din Teller!«

Mit einem freundlichen L?cheln schiebt die B?uerin eine Sch?ssel mit einem sehr wohlriechenden, dampfenden Inhalt ?ber den Tisch. Ich sitze auf Luisas Schoss und w?rde dieser Aufforderung sofort nachkommen, habe aber leider keine M?glichkeit, nach dem L?ffel zu greifen, der aus der Sch?ssel ragt. Sch?tze mal, wenn ich jetzt einfach meine Schnauze in die Sch?ssel stecke, gibt’s Riesen?rger. Komm schon, Luisa, f?ll uns was auf! Luisa scheint jedoch gar keinen Hunger zu haben. Gott sei Dank holt die B?uerin jetzt noch zwei Sch?sseln aus dem K?chenschrank, f?llt sie mit etwas, das sie aus einem anderenTopf sch?pft, und stellt sie f?r Beck und mich auf den Boden.

Luisa sieht sehr ersch?pft aus. Seit ihr – und mir! – klar geworden ist, dass wir immer noch ziemlich am Anfang unserer Reise stehen, ist sie ganz, ganz mickrig und sagt kaum mehr ein Wort. Ab und zu verdr?ckt sie eine Tr?ne, sonst ist nichts aus ihr herauszubekommen. Ob sie Marc und Caro genauso vermisst, wie ich es gerade tue? In der Theorie f?hlte sich Abhauen irgendwie besser an.

Wenigstens gibt es jetzt etwas zu essen. Der Bauer hat uns dazu eingeladen, nachdem er das Auto aus dem Feld geschleppt hat, und ich glaube, wir waren alle sehr froh dar?ber. Selbst Herr Beck schnurrte zufrieden, als wir die Hofeinfahrt erreichten. Die B?uerin schaute zwar erstaunt, als ihr Mann

mit so viel unerwartetem Besuch auftauchte, sagte aber nichts weiter dazu. Wahre Gastfreundschaft bei Daggi und Karl-Heinz, so heissen B?uerin und Bauer.

»Hat du denn gar keinen Hunger, mein Kind?«, will Daggi wissen. Luisa sagt nichts, sch?ttelt nur den Kopf. Erst guckt die grosse, st?mmige Frau ganz sorgenvoll, dann hellt sich ihr Gesicht auf. »Dann habe ich eine gute Idee! Wir haben seit zwei Tagen ganz s?sse Ferkel, willst du die mal sehen?«

Och nee, wen interessieren denn Schweine, wenn man etwas so Leckeres zu essen bekommen kann? Und ausserdem ist doch unser Bedarf an Babys jedweder Art gerade gedeckt, oder nicht? Sonst h?tten wir ja nicht abzuhauen brauchen! Also, mit Nachwuchs kann man Luisa jetzt garantiert nicht locken.

»Echt? So richtig kleine Ferkel? Wie s?ss!«

Sie packt mich mit beiden H?nden und setzt mich auf den Boden. Wuff! Ich dachte, wir sind auf der Flucht vor zu viels?ss? Menno.

»Na, du grosser Kinderversteher? War wohl nichts mit Tr?ster in der Not. Gegen so ein kleines Ferkel siehst du einfach alt aus.«

Herr Beck kommt angeschlichen. Ich beschliesse, ihn zu ignorieren. Lieber laufe ich jetzt auch zum Schweinestall, als mich hier weiter Becks H?me auszusetzen. Selbst wenn es da meiner Erfahrung nach unglaublich stinkt.

»Also, das ist die Jolante. Die hat schon richtig viele h?bsche Ferkel bekommen, sie ist unsere beste Sau!«

Es stinkt wirklich unglaublich, aber ich scheine der Einzige zu sein, der sich daran st?rt. Luisa steht fasziniert im Stall und l?sst sich alles erkl?ren. Das fette Schwein, auf das Daggi jetzt zeigt, liegt seitlich auf einem Lager aus Stroh in einer mit Gitterst?ben abgetrennten Box. An ihren Zitzen h?ngen

sechs Ferkel und trinken gierig. Ich muss an Cherie denken. Was h?tte sie wohl zu mir gesagt, nicht gerade die Welpen gekommen w?ren? Ob sie die gleichen Gef?hle f?r mich hatte wie ich f?r sie?

»Darf ich mal ein Ferkel streicheln?«, will Luisa wissen.

»Nee, lieber nicht! Die Sau ist da sehr empfindlich, wie alle Mamis. Sie macht sich gleich Sorgen um ihre Kinder.«

Luisa dreht sich abrupt vom Stall weg.

»Um mich macht sich niemand Sorgen.«

Die B?uerin guckt sie erstaunt an.

»Aber bestimmt machen sich deine Eltern um dich Sorgen, wenn es dir schlecht geht!«

Luisa sch?ttelt so heftig den Kopf, dass ihre Haare hin und her fliegen.

»Nein. Papa hat ein neues Kind, und Mama weiss gar nicht, dass ich gerade traurig bin.«

»Oje, oje, das klingt aber nicht gut! Magst du mir davon erz?hlen?«

»Nein.«

»Hm. Soll ich dir mal unsere anderen Tiere zeigen? Wir haben auch ein Pony.«

»Okay.«

Die beiden gehen Richtung Stallausgang. Ich bleibe noch eine Weile vor der Box mit den Ferkeln sitzen. Wenn es etwas gibt, was mich noch weniger interessiert als Schweine, sind es Pferde.

»Hey, du, bist du der neue Hofhund?«

Wer spricht? Die Sau war es nicht, die ist mit ihrem Kindergarten besch?ftigt. Ich sehe mich im Stall um.

»Ich bin hier, du dummer Hund. Ich denke, ihr k?nnt so toll F?hrte aufnehmen. Da m?sstest du mich doch l?ngst gefunden haben.«

Frechheit! Das kann nur ein Schwein sein. Ich strecke mich und marschiere in die Richtung, aus der die Stimme kam.

»Ich h?tte l?ngst F?hrte aufgenommen, wenn es hier nicht so abscheulich stinken w?rde«, gifte ich zur?ck.

»Pah, also, ich hoffe f?r dich, dass dunicht der neue Hofhund bist. Wenn dich dieser Geruch schon so aus dem Konzept bringt, geh?rst du hier eindeutig nicht her.«

Jetzt habe ich die Ger?uschquelle ausgemacht: Es gibt noch eine Box weiter hinten im Stall. Mindestens zehn Schweine laufen, stehen und liegen in ihr herum, eines davon hat seinen R?ssel durch die St?be gesteckt und mustert mich neugierig.

»Na, das hat ja ganz sch?n lange gedauert. So schlau seid ihr Hunde offenbar doch nicht. Es ist mir ein R?tsel, warum Menschen das immer wieder behaupten. Es w?re viel sinnvoller, ein Schwein mit dem ganzen Kram zu beauftragen, den Hunde so erledigen sollen. Dann w?re wenigstens gesichert, dass es auch klappt.«

Schweine, so wie ich sie kenne! Einfach unversch?mt. Na warte! Ich werfe den Kopf in den Nacken.

»Ich glaube kaum, dass jemals ein Schwein ein Kaninchen aus dem Bau gest?bert hat. Du w?rst daf?r viel zu fett. Und apropos fett: F?r jemand, der bald ein Schnitzel wird und bis dahin sein freudloses, kurzes Leben in ein und demselben dunklen Stall fristen muss, bist du ganz sch?n frech.«

Ha! Diesem bl?den Schwein habe ich es aber gegeben! Sage noch einer, ich w?rde mich nicht auskennen! Ich komme schliesslich auch vom Land und weiss, wie der Hase l?uft. Respektive die Sau. Das Ger?usch, das das Schwein jetzt von sich gibt, klingt in etwa wiepffffrrrrrr und ist mit Sicherheit Ausdruck des blanken Entsetzens.

»Du bist vielleicht ein Komiker! Ha, ha,Schnitzel!« Hm, vielleicht doch nicht blankes Entsetzen. »Ich werde doch

kein Schnitzel. Ich bin eine pr?mierte Sau. Mit mir wird der Bauer bald wundersch?ne Ferkel z?chten. Und ?berhaupt ist hier alles voll ?ko.Freudlos im dunklen Stall is nich. Morgen fr?h kommen wir wieder raus auf die Wiese. Und ?rgern den neuen Hofhund, haha!«

Voll?ko? Was heisst das? Versteh ich nicht. Und wieso hat das Schwein keine Angst? Ich bin verwirrt und merke, dass ich anfange, mich richtig ?ber die Dreistigkeit der Sau zu ?rgern. Und ?ber mich selbst, denn eigentlich wollte ich mich durch Schweine nie mehr aus der Ruhe bringen lassen. Das ist eines stolzen Jagdhundes einfach unw?rdig. ?berhaupt – ich lebe jetzt in der grossen Stadt, als Hund eines Tierarztes. Da werde ich mir von den Landeiern hier doch kein X f?r ein U vormachen lassen. Ich gebe mich so selbstbewusst wie mir nur irgend m?glich:

»Neuer Hofhund? Nein, ich f?rchte, da m?sst ihr euch jemand anderen suchen. Ich halte nichts vom Leben auf dem Land. Es langweilt mich. Mein Herrchen ist Tierarzt, und ich muss ihm sehr oft helfen, ich habe sogar sein Baby mit auf die Welt gebracht. Ohne mich w?re er aufgeschmissen. Du siehst: Dein Jobangebot war zwar sehr freundlich, aber ich kann es leider nicht annehmen.«

Das Schwein starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an. Dann grunzt es fr?hlich.

»Auweia! Ihr St?dter seid ja wirklich so durchgeknallt, wie der Bauer immer behauptet! Ich dachte, das w?rde er nur sagen, um uns das Leben auf dem Hof schmackhaft zu machen. Aber nein, er hat v?llig Recht! Donnerknispel!«

Wuff! Beleidigen lassen muss ich mich nicht. Ich stehe auf und trabe zur Stallt?r.

»Hey, lauf doch nicht weg! Wir unterhalten uns doch gerade so nett! Ich bin ?brigens Virginia, und wie heisst du?«

Virginia. Was f?r ein saubl?der Name. Nein, dieses Gespr?ch ist definitiv beendet.

Auf dem Hof stehen Willi und Karl-Heinz vor Willis altem Auto und diskutieren. Ich laufe n?her heran und spitze die Ohren.

»Jau, kannst nat?rlich haben, dass die Kardanwelle gebrochen ist bei dem Aufprall. Wenn die schon rott war, hat ihr das dann den Rest gegeben, nech?«

Willi nickt zwar, aber ich k?nnte schw?ren, dass er nur so fachm?nnisch tut, eigentlich aber kein Wort versteht. Ich ?brigens auch nicht. Was ist denn eine Kardanwelle? Und was bedeutet das f?r die Fortsetzung unserer Reise? Es wird langsam dunkel, und bei Willis Fahrk?nsten bin ich auf eine Nachtfahrt nicht besonders erpicht.

Karl-Heinz verschwindet im Schuppen neben dem Haupthaus und kommt kurz darauf mit einem Brett unter dem Arm wieder. An das Brett sind Rollen geschraubt. Ha! So was habe ich schon mal gesehen! Auf dem Schulfest von Luisa. Es heisst Skateboard, und man kann sich draufstellen und damit ziemlich schnell durch die Gegend sausen. Allerdings scheint mir Karl-Heinz schon ein bisschen alt f?rs Skateboardfahren, ich kenne nur Kinder und Jugendliche, die mit dem Teil umgehen k?nnen.

Jetzt stellt Karl-Heinz das Brett auf den Boden neben das Auto – und legt sich mit dem R?cken darauf! Das habe ich nun wirklich noch nie gesehen, was soll das wohl f?r ein Kunstst?ck werden? Sehr r?tselhaft.

»Willi, wenn ich drunterliege, dann machst du den Motor an, ziehst die Handbremse fest und legst den Gang ein. Aber vorsichtig kommen lassen, nicht, dass du mir ?ber die F?sse f?hrst.«

Mit Schwung rollt sich Karl-Heinz unter das Auto. Also, das hat mit Skateboardfahren nun bestimmt nichts mehr zu tun. Willi steigt ins Auto, kurz darauf springt der Motor an. Eine Weile passiert gar nichts, dann kommt Karl-Heinz wieder unter dem Auto hervorgerollert und rappelt sich auf.

»Jau, wie ich schon vermutet hatte: Kardanwelle dreht sich nicht mehr. Die ist hin. Da brauchst du wohl ’ne neue.«

Willi macht den Motor wieder aus und wuchtet sich aus dem Wagen. Er sieht sehr nachdenklich aus.

»Ich kenn mich ja nicht so richtig gut mit Autos aus, aber das klingt irgendwie teuer. Und Geld ist bei mir gerade ein bisschen knapp. Ausserdem komme ich ja nicht mal bis nach Hamburg, geschweige denn nach M?nchen. Verdammt, was mache ich denn jetzt?«

»Na ja, mein Nachbar, der Netto-Dieter, der hat einen kleinen Schrottplatz in Winsen. Da w?rden wir schon irgendwo eine Kardanwelle finden. Geht halt nicht ganz so schnell wie in einer normalen Werkstatt.«

Willi runzelt die Stirn.

»Netto-Dieter?«

»Tja«, Karl-Heinz grinst, »der Dieter macht ganz gern mal was ohne Rechnung. Aber immer saubere Arbeit, da kannst du dich drauf verlassen. Macht es doch einfach so: Ihr nehmt jetzt die Bahn zur?ck nach Hamburg, ich kann euch zum Winsener Bahnhof fahren. Und ich kl?re das mit Dieter. Na, und wenn das Auto fertig ist, dann ruf ich an, und ihr holt es ab. Dann k?nnt ihr immer noch nach M?nchen fahren.«

Willi sch?ttelt den Kopf.

»Danke, aber das wird nicht funktionieren. Die L?tte will unbedingt weiter nach M?nchen. Ich kann es dir jetzt nicht genau erkl?ren, aber das ist wichtig. Wir k?nnen nicht nach

Hamburg zur?ck. Notfalls m?ssen wir irgendwie anders weiter. Per Anhalter, oder was weiss ich.«

»Per Anhalter? Du, die L?tte, der Dackel und der Kater? Wer soll euch denn mitnehmen? Und heute ist es sowieso zu sp?t. Komm, hol eure Sachen aus dem Auto – heute k?nnt ihr hier auf dem Hof ?bernachten, morgen ?berlegen wir weiter. ?ber dem Stall haben wir eine kleine Wohnung, da hat fr?her der Knecht gelebt. Also, auf G?ste sind wir eingestellt. Bisher haben auch alle Besucher behauptet, dass es dort nicht nach Schwein stinkt. Gut isoliert eben.« Er l?chelt und klopft Willi auf die Schulter, der seufzend den Wagenschl?ssel wieder aus der Hosentasche kramt und dann den Kofferraum aufschliesst.

Mit den Taschen in der Hand geht er hinter Karl-Heinz zur?ck ins Bauernhaus, ich trabe hinterher. Die Vorstellung, bei diesen netten Leuten zu ?bernachten, gef?llt mir. Abhauen ist doch anstrengender, als ich dachte. Lieber bette ich mein m?des Haupt jetzt auf ein kuscheliges Kissen, selbst wenn es ?ber dem Schweinestall ist.

Karl-Heinz f?hrt uns wieder in die K?che, wo Daggi gerade damit besch?ftigt ist, in einer grossen Sch?ssel herumzur?hren. Luisa sieht ihr dabei zu, und nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, geht es ihr wieder deutlich besser. Selbst Herr Beck, der auf der Bank neben ihr liegt, sieht f?r seine Verh?ltnisse sensationell gut gelaunt aus. Sein Schwanz wippt locker hin und her, und obwohl ihn niemand krault, schnurrt er. Was f?r ein friedliches Bild! Ich taxiere kurz die Bank, dann h?pfe ich auch hoch und lege mich neben Herrn Beck.

Daggi nimmt den R?hrl?ffel aus der Sch?ssel und legt ihn zur Seite.

»Ich mache gerade den Teig f?r belgische Waffeln, und Luisa hilft mir. Habt ihr auch Appetit, oder m?ssen unsere G?ste gleich weiter?«

»Lass dir Zeit, unser Besuch bleibt noch ein bisschen«, erkl?rt ihr Karl-Heinz. »Der Wagen ist so schnell nicht flottzukriegen, ich habe Willi angeboten, dass sie in der alten Gesindewohnung ?bernachten k?nnen.«

Daggi nickt und l?chelt.

»Das ist eine gute Idee! Es ist ja schon ganz sch?n dunkel draussen. Dann backe ich uns jetzt die Waffeln und schlage noch Sahne dazu, und wir machen es uns richtig gem?tlich. «

Als ich sp?tabends tats?chlich auf einem sehr weichen, bequemen Kissen im Wohnzimmer der Gesindewohnung liege, bin ich gl?cklich. Ich habe noch drei dicke Scheiben Fleischwurst abgestaubt, f?r Herrn Beck gab es sogar Fisch, und beide zusammen haben wir am Ende die grosse Sch?ssel mit der restlichen Schlagsahne ausgeschlabbert. Luisa liegt schon im Bett im Schlafzimmer und schl?ft, Willi bereitet sich gerade sein Nachtlager auf dem Sofa. Er g?hnt.

»Ein anstrengender Tag. Nicht wahr, ihr beiden? Ich bin zwar todm?de, aber gleichzeitig v?llig ?berdreht. Steht hier irgendwo ein Radio? Ich glaube, ein bisschen Musik zur Entspannung t?te mir jetzt gut. Vielleicht was Klassisches.«

Er schaut sich in dem kleinen Wohnzimmer um, dann geht er zu dem dunklen Kasten, der auf dem mittleren Regal der Schrankwand steht. Das k?nnte in der Tat ein Radio sein. Richtig! Er dreht an einem Knopf – so hat es der alte von Eschersbach auch immer gemacht. Jetzt ert?nt allerdings keine Musik, sondern eine sehr ernst klingende Stimme.

Luisa Wagner tr?gt wahrscheinlich eine Jeans und ein blau-weiss geringeltes T-Shirt und ist vermutlich in Begleitung eines kleinen Hundes unterwegs. Ich wiederhole: Vermisst wird die zehnj?hrige Luisa Wagner aus Hamburg. Luisa ist ungef?hr 1 Meter 40 gross, hat braune, gelockte Haare und blaue Augen. Sie tr?gt vermutlich

eine Jeans und ein blau-weiss geringeltes T-Shirt und ist wahrscheinlich mit ihrem kleinen Hund unterwegs. Wer Luisa Wagner gesehen hat, verst?ndige bitte umgehend die Kriminalpolizei Hamburg oder jede andere Polizeidienststelle.

ZWEIUNDZWANZIG

Willi starrt das Radio an, dann dreht er es wieder aus und holt tief Luft.

»Oha! Wollen wir mal hoffen, dass Daggi und Karl-Heinz heute Abend kein Radio mehr geh?rt haben.«

Ich bin v?llig verwirrt. »Was war das denn?«, will ich von Herrn Beck wissen. »Woher kommt diese Stimme? Und woher weiss die, dass Luisa verschwunden ist?«

»Die haben im Radio eine Vermisstenmeldung vorgelesen, die die Polizei ans Radio geschickt hat.«

»Sicher?«

»Todsicher. Habe ich imTatort schon ein paarmal gesehen. So suchen die immer nach verschwundenen Kindern.«

Ach du Schreck!Tatort? Polizei? Heisst das, nach uns wird gesucht? Ich habe von der Polizei nur eine ganz vage Vorstellung, aber ich glaube, die fangen Menschen und sperren sie ein. Den gleichen Gedanken scheint auch Willi zu haben. Er geht murmelnd auf und ab und sch?ttelt dabei den Kopf.

»Oh, oh, wenn wir da man nicht m?chtig ?rger kriegen! Aber es hilft nichts: Ich habe es Luisa versprochen, nun muss ich es auch halten. Allerdings sollte ich morgen ihren Vater anrufen, der macht sich bestimmt schon riesige Sorgen.« Er setzt sich wieder auf das Sofa. »Genau. Das mache ich. Morgen rufe ich den Herrn Doktor an. So, Kumpels, und jetzt wollen wir mal versuchen, noch eine M?tze Schlaf abzubekommen. Gute Nacht!«

Aber ich kann nicht einschlafen. Auch nicht, nachdem Willi das Licht gel?scht hat. Die ganze Zeit muss ich an die Polizei denken und ob die uns hier finden w?rde. Was dann wohl passiert? Ich habe zwar mit diesen Dingen noch keinerlei Erfahrung gesammelt, aber mein Instinkt sagt mir, dass unsere Flucht dann ein sehr abruptes Ende finden w?rde. Wom?glich w?rde die Polizei auch sehr mit Willi schimpfen, Stichwortm?chtig ?rger. Unruhig w?lze ich mich auf meinem Kissen hin und her und lausche in die Dunkelheit. H?re ich da irgendetwas? Vielleicht die Polizei, die kommt, um uns zu holen? Nein, das Ger?usch, das ich laut und deutlich neben mir vernehme, ist eindeutig nur das R?cheln von Herrn Beck. Ich robbe in seine Richtung.

»Sag mal Beck, kannst du auch nicht schlafen?«

»Nein, nicht richtig. Ich bin ja nachts sowieso kein guter Schl?fer, und gerade bin ich total wach.«

»Ich mach mir irgendwie Sorgen.«

»Geht mir genauso. Ich habe Angst, dass uns die Bullen gleich morgen schnappen.«

»Welche Bullen? Ich denke, hier gibt’s nur Schweine.«

Herr Beck kichert. Was, bitte, ist daran lustig? Ich habe hier bisher nur Schweine gesehen, und angeblich gibt es auch noch ein Pony. Von Rindern, beziehungsweise Bullen, war noch nie die Rede, und ich verstehe auch nicht, was das an unserer Lage?ndern w?rde.

»Herkules, ich meine doch menschliche Bullen.«

»Menschliche Bullen?«

Wieder ein Kichern.

»Bulle ist ein anderes Wort f?r Polizist. Und kein besonders freundliches.«

Aha. Mal wieder typisch Mensch. Wenn es darum geht, die Mitmenschen zu beschimpfen, kommen aus irgendeinem

Grund gerne mal Tiernamen ins Spiel. Obwohl das in den allermeisten F?llen wirklich unsinnig ist. Kein Tier, das ich kenne, ist auch nur ansatzweise so dumm oder faul, wie es die Menschen angeblich sind, die mit ihm beschrieben werden sollen. Zum Bespiel diedumme Gans – die gibt es gar nicht. G?nse sind ziemlich schlau. Opili hat mir erz?hlt, dass eine Gans genauso wachsam wie ein Hofhund ist. Sie nimmt auch Witterung auf, und wenn sie einen Fremden riecht, gibt sie sofort Laut. Okay, das heisst bei G?nsen irgendwie anders – vom Prinzip ist es das Gleiche. Also nix da mitdumm.

»Herkules?«

»Ja?«

»Du sagst ja gar nichts mehr, bist du jetzt doch schon eingeschlafen?«

»Nein, ich denke dar?ber nach, warum die Menschen andere Menschen Bullen nennen.«

»Na, du hast ja vielleicht einen Sinn f?r das Wesentliche. Mach dir lieber Gedanken dar?ber, was passiert, wenn die Bullen hier tats?chlich auftauchen sollten!«

»Hm. Meinst du?«

»Klar sollten wir dar?ber nachdenken. Wir brauchen ganz dringend eine Exit-Strategie. Ich habe jedenfalls keine Lust, in den Bau beziehungsweise ins Tierheim zu wandern.«

»Was brauchen wir?« Kann sich denn dieser bl?de Kater nicht mal so ausdr?cken, dass man ihn auch versteht?

»Eine Exit-Strategie. Einen Plan, wie wir hier heil rauskommen, auch wenn die Bullen den Hof schon umstellt haben.«

»Also, jetzt machst du mir langsam richtig Angst!«

»Nein, Angst bringt uns nicht weiter. Wachsamkeit allerdings schon. Und es wird dich beruhigen zu erfahren, dass ich bereits einen solchen Plan entwickelt habe.«

Ich gebe es ungern zu, aber der Gedanke beruhigt mich tats?chlich etwas.

»Und wie sieht der aus?«

»Ganz einfach: Sobald der Morgen graut, werden wir eine Wachpatrouille einrichten. Du observierst den vorderen Hofteil, ich den hinteren. Am Ende jeder Runde treffen wir uns und berichten. Wer etwas sehr Ungew?hnliches bemerkt, schl?gt nat?rlich gleich Alarm. Im Ernstfall bringen wir dann Williund Luisa dazu, sofort mit uns abzuhauen.«

»Und wie machen wir das?«

»So wie immer: ganz viel Radau veranstalten, bis sie den Ernst der Lage erkennen.«

Ich seufze. So wahnsinnig ausgefeilt erscheint mir der Plan nicht, aber immerhin ist er besser als gar keiner. Eine Frage habe ich allerdings doch noch.

»Sag mal, sieht die Polizei immer gleich aus? Ich habe die bisher nur einmal gesehen, als Caro ihr Baby auf dem Friedhof bekommen hat. Aber das war ja in Hamburg, und wer weiss, ob die Polizei hier im gleichen Aufzug erscheint.«

»Also, wenn ich meine Beobachtungen aus demTatort richtig deute, sieht die Polizei?berall gleich aus. Die kommen in weissen Autos, die von vorne bis hinten einen dicken, dunklen Balken haben, also praktisch gestreift sind. Auf dem Dach ist so ein Licht wie auf einem Krankenwagen. Und die Polizisten selbst haben dunkle Uniformen an und flache M?tzen auf. Wobei die Farben da tats?chlich variieren k?nnen, aber mit Farben hab ich es ja nicht so.«

»Aha. Okay, dann weiss ich, was du meinst. Genauso sahen die auf dem Friedhof auch aus.« Ich unterdr?cke ein G?hnen. »Ich versuche es noch mal mit dem Schlafen, damit ich morgen fr?h fit bin. Gute Nacht!«

»Gute Nacht! Ich wecke dich dann!«

Als wir am n?chsten Morgen sehr, sehr fr?h auf den Hof stolpern, ist dort schon m?chtig was los. Zuhause bei Marc und Caro bin ich eigentlich immer der Erste, der wach ist. Aber bei Karl-Heinz und Daggi scheint es sich um echte Fr?haufsteher zu handeln. Beide wuseln zwischen den verschiedenen Geb?uden hinund her, beide wirken sehr gut gelaunt. Interessant. Ich dachte immer, morgens seien Menschen automatisch ?bellaunig.

»Hoppla, der Stubentiger und der Dackel – guten Morgen, ihr beiden!«, begr?sst uns Daggi fr?hlich. Ob sie merkt, dass wir nicht einfach harmlos herumstromern, sondern den Hofobservieren wollen? Wahrscheinlich nicht. Welcher Zweibeiner traut uns das schon zu? Ich pilgere m?glichst unauff?llig zu meinem Wachposten. Der liegt neben der Wiese vom Schweinestall, von dort aus kann ich fast den gesamten vorderen Hofteil ?berblicken. Da reicht es bestimmt, wenn ich nur ab und zu eine Runde drehe. Operation Adlerauge kann beginnen.

»Hey, da bist du ja wieder. Und ich weiss immer noch nicht, wie du heisst. Verr?tst du es mir heute?«

Jaul. Das freche Schwein Virginia. Das hat mir gerade noch gefehlt. Kinder, so kann ich nicht arbeiten!

»Hallo? Redest du nicht mehr mit mir, oder bist du taub? Ich dachte immer, ihr Hunde habt so tolle Ohren. Das ist dann ja wohl nur ein Ger?cht.«

Ich drehe mich um und versuche, Virginia hochm?tig zu mustern.

»Oh, hast du Kopfschmerzen?«

»Wieso?«

»Na, du guckst so komisch.«

Wuff! Grrr!

»Tschuldigung, das war doch nicht b?se gemeint. Was hast du bloss gegen mich? Ich wollte nur nett sein.«

Soll ich das jetzt glauben? Ach, ist auch egal, die letzten beiden Tage waren schon verr?ckt genug, warum soll ich also nicht mal nett mit einem Schwein plaudern. Ich r?uspere mich.

»Ich heisse Carl-Leopold von Eschersbach, aber meine Freunde nennen mich Herkules.«

Ich glaube, Virginia grinst. So genau kann man das bei einem Schwein nat?rlich nicht sagen, dazu ist der R?ssel zu gross und zu lang. Der versperrt eindeutig die Sicht auf die Mimik.

»Gut. Dann nenne ich dich Herkules.«

So weit ist es also schon gekommen. Ich bin mit einem Schwein befreundet.

»Aber sag mal, wenn du doch gar nicht der neue Hofhund bist, was ich jetzt einfach mal annehme – warum sitzt du dann hier und beobachtest alles so genau?«

Ups. Ertappt.

»?h, das ist eine etwas komplizierte Geschichte.« Ob Virginia vertrauensw?rdig ist? Andererseits – wem sollte sie von unserer Flucht erz?hlen? Ich glaube nicht, dass die Kommunikation zwischen Mensch und Schwein derart ausgereift ist. »Also, Virginia, was ich dir jetzt anvertraue, ist streng geheim. Du darfst es niemandem weitererz?hlen.«

»Ui!« Virignia guckt erstaunt, und ich glaube, sie versucht, ihre Ohren zu spitzen.

»Wir sind auf der Flucht. Willi, Luisa und ich. Na ja, und Herr Beck nat?rlich auch.«

»Echt? Wovor? Vor dem Schlachter? Aber Hunde und Katzen will doch wohl niemand essen, oder?«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Nein, nat?rlich nicht. Wir sind auf der Flucht vor der Polizei. Die sucht uns.«

»Was ist denn die Polizei?«

»Das sind Menschen, die andere Menschen einfangen.«

»Und wieso machen die das?«

»So genau kann ich dir das auch nicht erkl?ren, aber es ist so: Luisa will zu ihrer Mama nach M?nchen. Das ist ganz weit weg. Und die Polizei, die will das nicht. Deswegen m?ssen wir Luisa helfen, verstehst du? Weil ein Kind nun mal zu seiner Mama geh?rt. Das ist doch normal.«

»Aha, verstehe! Dann ist die Polizei wie der M?ster, der auf den anderen H?fen immer die Ferkel abholt. Also, nicht bei uns – wir sind ja ?ko. Aber meine Mama, die Jolante, hat mir erz?hlt, dass bei den b?sen Bauern die Ferkel nur ganz kurz bei der Mama bleiben d?rfen. Und dann holt sie jemand ab, obwohl sie noch so klein sind und dann die ganze Zeit weinen. Das ist der M?ster. Und das ist ganz schlimm.«

M?ster? ?ko? Ich verstehe kein Wort.

»Sag mal, was ist denn dieses ?ko, von dem du immer sprichst?«

»Das bedeutetnat?rlich. Oder wie der Bauer immer sagt: Man kann ein Schnitzel auch im Einklang mit der Natur herstellen.«

Klingt logisch. Mir als Jagdhund leuchtet das sofort ein. Bevor man das Kaninchen zur Strecke bringt, darf es sich ruhig wohl f?hlen.

»Und deswegen ist der M?ster der B?se – weil das eben nicht nat?rlich ist. Verstehst du?«

Einigermassen – und da kommt mir eine geniale Idee. Vielleicht kann Virginia uns helfen.

»Klar, habe ich verstanden. Und in unserem Fall ist die Polizei quasi der M?ster. Genau deswegen brauchen wir deine Unterst?tzung.«

»Was soll ich tun?«

»Du bist doch den ganzen Tag hier draussen. Kannst du bitte die Augen aufhalten, ob dir irgendetwas Ungew?hnliches auff?llt? Ich meine, Herr Beck und ich versuchen, den ganzen Hof im Blick zu behalten, aber der ist ganz sch?n gross. Besser w?re es, wir h?tten noch jemanden, der uns hilft.«

»Geht klar! Und Herr Beck ist der fette Kater, oder wie?«

»Genau.«

»Und was soll ich machen, wenn mir etwas auff?llt?«

Gute Frage.

»Vielleicht kannst du irgendetwas Lautes veranstalten? Mit deinen Kollegen zusammen? Irgendetwas, was wir auch mitkriegen, wenn wir am anderen Ende des Hofes sind?«

»Hm.« Virginia legt die Stirn in Falten. »Dar?ber muss ich mal nachdenken. Aber mir f?llt bestimmt was ein.«

Okay. Vielleicht sind Schweine doch nicht ganz bl?d.

»Willi, ich hab ?ber euer Problem nachgedacht, und ich glaube, ich habe die L?sung.« Karl-Heinz sieht sehr zufrieden mit sich und der Welt aus. Nachdem mittlerweile auch Luisa und Willi wach sind, sitzen wir wieder alle in der grossen Bauernhausk?che. Die Menschen fr?hst?cken – und wir Tiere auch. Diesmal gibt’s Pansen f?r mich und einen Rest H?hnerfrikassee f?r Herrn Beck. Lecker!

»Also«, f?hrt Karl-Heinz fort, »der Norbert, mein Schwager, der ist ein echter Idiot. Aber ausserdem ist er auch LKW-Fahrer. Arbeitet bei der ?rtlichen Viehvermarktung und macht immer die grossen Touren von der Sammelstelle in Nordergellersen bis nach Italien. Tja, ich glaube, da kommt er direkt an M?nchen vorbei. Viehtransporter f?hrt er, der Verbrecher, also da k?nnte ich euch Geschichten erz?hlen, das ist n?mlich so eine Sauerei, wie die da …«

Karl-Heinz wird richtig laut, Daggi legt ihren Arm auf seinen und dr?ckt ihn kurz.

»Kalli, du sollst dich doch nicht so aufregen! Guck mal, Norbert macht sein Ding, und wir machen unseres.«

»Nee, nee, Daggi – das ist ein Verbrechen, wie die mit den Tieren umgehen! Das geht doch nicht!«

»Ja, du hast ja Recht. Aber das bringt uns momentan nicht weiter. Nun erz?hl doch mal deinen Plan.«

Karl-Heinz holt tief Luft.

»Na gut. Also, ich werde jetzt Norbert, den Idioten, anrufen und ihm sagen, dass er einiges f?r den Familienfrieden tun kann, wenn er Willi und Luisa auf seiner n?chsten Tour mitnimmt. Nachdem er mich auf Omas letztem Geburtstag als ?ko-Heini beschimpft hat, hab ich noch einen gut bei ihm.«

»Und wann ist die n?chste Tour?«, erkundigt sich Willi.

Karl-Heinz zuckt mit den Schultern.

»Weiss nicht genau. Kann sogar sein, dass die heute Mittag schon losgeht. Oder dass einer seiner Kollegen heute so eine Fahrt hat, die Viehvermarktung ist ein ziemlich grosser Laden. Ich w?rde euch dann nach Nordergellersen fahren. Muss da sowieso noch was erledigen.«

»Und was machen wir mit meinem Auto?«

Stimmt, das gibt’s ja auch noch! Ich hoffe allerdings, dass ich nicht so bald wieder darin Platz nehmen muss.

»Keine Sorge. Ich habe schon mit Netto-Dieter gesprochen. Er sieht sich mal auf dem Schrottplatz um. Bis du wieder aus M?nchen zur?ck bist, l?uft die Karre wieder.«

»Soll ich dir Geld dalassen? Viel habe ich nicht, aber besser als nichts.«

Karl-Heinz sch?ttelt den Kopf.

»Lass stecken. Netto schuldet mir noch einen Gefallen.

Ich ruf jetzt mal den Norbert an. Daggi, haben wir die Handynummer?«

Daggi nickt.

»Ja, im Adressb?chlein steht sie drin, guck mal auf dem Schreibtisch.«

Karl-Heinz steht auf und verschwindet Richtung Telefon, Daggi schenkt Willi noch eine Tasse Kaffee ein.

»Heute Morgen seht ihr beide schon viel besser aus. Hast du gut geschlafen, Luisa?«

Die nickt.

»Ja, habe ich. Ausserdem hab ich von Mama getr?umt und wie sie sich freut, wenn wir endlich ankommen.«

»Das ist doch gut! Und das wird sie bestimmt auch. Apropos, habt ihr sie eigentlich schon angerufen, dass ihr sp?ter kommt? Nicht, dass sie sich Sorgen macht.«

Willi hustet.

»Es soll eher eine ?berraschung sein.« Na, wenn Daggi w?sste,wie?berraschend unser Aufkreuzen f?r Sabine sein wird! »Telefonieren w?rde ich allerdings trotzdem gerne, wenn m?glich.«

»Klar, mach ruhig. Das Telefon steht im Arbeitszimmer. Zeige ich dir gleich.«

Karl-Heinz kommt wieder in die K?che.

»So, geht alles klar! Norbert macht die Tour selbst, um 12 Uhr ist er mit dem Verladen fertig. Am besten, wir fahren so gegen 11 Uhr los, dann seid ihr rechtzeitig da.«

Willi f?ngt an zu l?cheln. Erst ganz zur?ckhaltend und scheu, aber nach kurzer Zeit von einem Ohr bis zum anderen.

»Danke, Karl-Heinz. Das weiss ich sehr zu sch?tzen.« Er setzt an, noch etwas zu sagen, aber in diesem Moment bricht draussen auf dem Hof un?berh?rbar L?rm los. Daggi und Karl-Heinz schauen sich erstaunt an.

»Nanu? Was ist denn da los?«

»Klingt ja fast so, als ob die Schweine verr?ckt spielen. Ich geh mal raus.«

Die Schweine? Ich ahne Schlimmes. Die Polizei ist da! Mit einem Mal bekomme ich furchtbares Ohrenrauschen. Und ein bisschen Z?hneklappern.

DREIUNDZWANZIG

Es ist nicht die Polizei. Im Grunde genommen nicht mal ansatzweise. Als ich mit Kalli nach vorne laufe, bin ich fast ein bisschen entt?uscht. Das P?rchen, das neben der Schweinewiese steht, sieht ganz normal aus. Fast so wie Daggi und Karl-Heinz, eben ?ltere Leute, gekleidet f?r die Arbeit im Stall oder auf dem Feld.Praktisch w?rde Hedwig das nennen.

Die beiden wirken erleichtert, als sie Karl-Heinz sehen. Kein Wunder, bieten die Schweine auf der Wiese daneben doch einen sehr ungew?hnlichen und ein wenig bedrohlichen Anblick: Sie laufen wild durcheinander, grunzen und quieken laut, immer wieder schmeisst sich eines zu Boden, um Sekunden sp?ter wieder aufzuspringen. Virginia ist dabei eindeutig am wildesten.

»Gr?ss dich, Kalli! Was ist denn mit deinen Schweinen los?«, will der Mann wissen.

Kalli kratzt sich am Kopf.

»Tja. Wenn ich das w?sste – so habe ich die auch noch nie erlebt. Die sind so laut, die habe ich sogar in der Stube geh?rt. Seltsam.«

Eine Weile betrachten die drei schweigend die Schweine. Die Show ist auch wirklich toll, ich frage mich nur, warum Virginia und ihre Kollegen sie veranstalten. Ich hatte ihr doch genau erkl?rt, wann sie Laut geben sollte. Wenn etwasUngew?hnliches passiert. Unser Besuch sieht allerdings – wie schon erw?hnt – v?llig normal aus. Da hat mich Virginia wohl nicht

richtig verstanden. Offenbar sind Schweine doch nicht schlau. Fast h?tte mich Virginia vom Gegenteil ?berzeugt, aber jetzt stimmt mein Weltbild wieder.

»Sach ma, J?rgen, gibt’s was Bestimmtes, oder warum schaut ihr vorbei?«

»?h, stimmt, was wollte ich gleich? Tut mir leid, die Schweine machen mich ganz nerv?s. B?rbel, sach mal, was war das gleich?«

Die Frau macht einen entschlossenen Schritt auf Karl-Heinz zu.

»Du hast doch gestern diesen fremden Wagen abgeschleppt, nech? Hamburger Kennzeichen.«

Karl-Heinz sieht sie erstaunt an.

»Ja, woher weisst du das?«

»Na, ich habezuf?lligerweise gerade aus dem K?chenfenster geguckt, als ihr bei uns l?ngs kamt. Und gestern Abend kam doch diese Meldung im Radio …«

Oh, oh, mir schwant B?ses! Virginia hat doch Recht. Ich werde nie wieder etwas Absch?tziges ?ber Schweine sagen, in Wirklichkeit sind sie superschlau! Ich renne zur Wiese.

»Los, Virginia, gib noch mal alles, sonst sind wir gleich geliefert!«

Wie auf ein geheimes Kommando drehen die Schweine noch einmal richtig auf. Vor allem Virginias Vorstellung ist grossartig – sie rennt direkt auf Karl-Heinz, B?rbel und J?rgen zu, stoppt kurz vor dem Zaun und torkelt dann von links nach rechts. Dabei schwankt sie so stark, dass sie fast umf?llt.

»… also, im Radio war doch …« B?rbel muss nun schreien, um die Schweine zu ?bert?nen. J?rgen unterbricht sie.

»Scheisse, das sieht aus wie Schweinepest! Guckt doch mal, dieser schwankende Gang in der Hinterhand, ganz typisch! Und auch die anderen – die haben ja regelrechte Anf?lle!«

Karl-Heinz wird auf einen Schlag kreidebleich.

»O mein Gott – hoffentlich nicht die Schweinepest! Ich muss sofort den Veterin?r anrufen. J?rgen, B?rbel, tut mir leid, erz?hlt es mir ein anderes Mal.«

J?rgen nickt.

»Klar, wir fahren sofort. Und ruf mich an, wenn du Genaueres weisst. Scheisse, ich hoffe, es ist etwas anderes. Wir sind der Nachbarhof, da w?ren wir ja auch im Sperrbezirk. Los, B?rbel, ab nach Hause.«

B?rbel hat es offenbar die Sprache verschlagen. Stumm trabt sie hinter ihrem Mann her, der schon auf dem Absatz kehrtgemacht hat, als sei er dem Leibhaftigen begegnet. Schweinepest klingt zwar wirklich nicht wie etwas, was man unbedingt selbst haben will, aber dass nun alle so panisch reagieren, wundert mich. Egal, mir soll es recht sein. Die sind wir erst mal los.

Karl-Heinz macht sich auf den R?ckweg Richtung Bauernhaus, ich laufe hinterher. Noch bevor wir am Haus angelangt sind, kommen uns Daggi, Willi und Luisa allerdings schon entgegen.

»Kalli, was ist los mit dir? Ist was passiert?« Auch Daggi ist gleich aufgefallen, dass ihr Mann v?llig verst?rt wirkt.

»Die Jungsauen!«, ruft er mit br?chiger Stimme. »Schweinepest, vielleicht haben wir die Schweinepest!«

Daggi schnappt nach Luft.

»O Gott, wie kommst du darauf?«

»Die Sauen zittern und torkeln, haben richtige Anf?lle. Das musst du dir mal ansehen – ganz schlimm!«

»Was ist denn Schweinepest?«, will Luisa wissen.

»Das ist eine Krankheit, an der Schweine immer sterben«, erkl?rt ihr Karl-Heinz mit ernster, ruhiger Stimme. »Und weil die so gef?hrlich ist, m?ssen alle Schweine im Stall get?tet

werden, wenn auch nur ein einziges krank ist. Und die Schweine der Nachbarn auch. Alle Schweine im Sperrbezirk, also drei Kilometer um einen Hof herum, werden gekeult, so nennt man das T?ten. Und dreissig Tage lang darf auch kein anderes Tier den Hof verlassen, es sei denn, der Tierarzt erlaubt es. Schweinepest ist ganz, ganz schlimm, deswegen haben alle Bauern so grosse Angst davor. Ich rufe jetzt denTierarzt an, damit der gleich vorbeikommt. Und dann bete ich, dass es etwas anderes ist.«

Herr Beck stellt sich neben mich.

»Schweinepest? Was es auf dem Land alles gibt. Ich hoffe, wir kommen hier noch weg, bevor die den ganzen Hof abriegeln.«

»Du, die haben gar keine Schweinepest. Virginia ist v?llig gesund. Sie wollte nur verhindern, dass Karl-Heinz und Daggi merken, dass wir gesucht werden. Ich hatte sie darum gebeten.«

Beck maunzt laut auf.

»Dann wollen wir mal hoffen, dass der Schuss nicht nach hinten losgeht und wir die n?chsten dreissig Tage auf dem platten Land kaserniert werden.«

Den gleichen Gedanken scheint auch Willi zu haben.

»Heisst das, dass wir Herkules und Herrn Beck nicht mehr mitnehmen k?nnen, wenn hier erst mal ein Sperrbezirk eingerichtet sein sollte?«

B?rbel nickt.

»Ja, das stimmt. Das ist nat?rlich ziemlich ?bervorsichtig, aber im Zweifel h?ngt ihr hier fest.«

Herr Beck fixiert mich.

»Na, das war ja mal eine richtig gute Idee von dir! Herzlichen Gl?ckwunsch, Superdackel!«

Luisa f?ngt an zu weinen.

»Aber ich kann doch nicht ohne meinen Herkules weiterfahren! Das geht nicht! Herkules ist mein bester Freund!«

»Bitte?«, faucht Herr Beck. »Und mich w?rde das bl?de G?r hierlassen? Nach allem, was ich mit ihr durchgemacht habe? So sind Menschen – untreue Tomaten!«

»Echt, jetzt halt dich mal zur?ck«, brumme ich zur?ck, »Luisa hatte es in letzter Zeit ganz sch?n schwer. Ausserdem geht es jetzt nicht darum, dein Ego zu pampern, sondern um die Frage, wie wir m?glichst alle ganz schnell nach M?nchen kommen. Also, wenn du dazu eine Idee hast, schiess los, ansonsten halt die Klappe.« Jawoll. Wuff!

»Nun komm«, Daggi legt ihren Arm um Luisa, »uns f?llt schon noch etwas ein. Vielleicht haben die Schweine auch gar nichts.«

Karl-Heinz nickt.

»Zumindest scheinen sie sich wieder beruhigt zu haben. Man h?rt jedenfalls nichts mehr. Lass uns noch mal nach vorne schauen.«

Unser Trupp setzt sich in Bewegung. Vor der Schweinewiese angekommen, bleiben wir alle mit einigem Abstand stehen. Ob die Menschen Angst haben, sich anzustecken?

Karl-Heinz kratzt sich am Kopf.

»Hm. Jetzt sind sie wieder absolut ruhig und bewegen sich auch ganz normal.«

»Hast du sie dir denn schon mal genauer angeguckt?«, will Daggi wissen. »Von hier aus sehen sie v?llig gesund aus. Keine Einblutungen, keine zugeschwollenen Augen. Vielleicht haben sie nur im Spiel wild herumgetobt, es sind doch noch sehr junge Schweine.«

»Also, das sah schon sehr seltsam aus. Ich hoffe nat?rlich auch, dass sie nichts haben. Trotzdem muss ich den Tierarzt rufen, zumindest zur Sicherheit.«

»Aber dann lass mich wenigstens vorher Willi und Luisa nach Nordergellersen bringen. Und zwar mit Hund und Katze. Habt ihr Wechselklamotten dabei?«

Willi nickt.

»Ja, warum?«

»Eine Vorsichtsmassnahme. Wenn wir den Hof verlassen haben, zieht ihr euch um und lasst die alten Sachen im Auto liegen.«

»Moment«, wendet Karl-Heinz ein, »das geht aber nur, wenn Norbert heute keine Schweine transportiert. Sonst ist es zu gef?hrlich.«

Daggi rollt mit den Augen.

»Also, jetzt bist du aber ?bervorsichtig. Das ist doch v?llig ?bertrieben. Und wenn ich mir die Schweine hier so ansehe – die haben doch wahrscheinlich gar nichts.«

Karl-Heinz presst die Lippen aufeinander und sch?ttelt den Kopf.

»Trotzdem. Ich will nicht schuld sein, wenn was passiert. Ich ruf ihn an.« Er stapft in Richtung Bauernhaus davon.

Virginia dr?ckt mit dem R?ssel gegen den Zaun.

»Na, wie war meine Vorstellung?«

Ich schleiche vorsichtig zu ihr hin?ber.

»Sehr ?berzeugend. Nun glauben alle, ihr h?ttet die Schweinepest.«

»Auweia! Echt? Na, hoffentlich krieg ich da nicht ?rger. Meine Mama erz?hlt, dass die Schweinepest etwas ganz Schlimmes ist. In alten Zeiten sind viele Schweine daran gestorben.«

Mit einemHm, hm lasse ich meine Schnauze sinken.

»Aber was guckst du denn jetzt so traurig? Wir sind die beiden doch super losgeworden. Ich hab gleich gemerkt, dass mit denen was nicht stimmt. Die haben sich n?mlich schon

?ber euch unterhalten, als sie aus dem Auto ausgestiegen sind. Ich wusste sofort, worauf das hinausl?uft. Meine Geschwister zu ?berzeugen, ein bisschen Theater zu machen, war dann nicht schwierig – denen war sowieso gerade langweilig.« Sie kichert.

Oh, oh, hoffentlich habe ich sie nicht in grosse Schwierigkeiten gebracht. Ich merke gerade, wie ich ein sehr schlechtes Gewissen bekomme.

»Herkules!« Willi ruft nach mir. Und zwar ungewohnt energisch. »Komm sofort von den Schweinen weg!« Als ich nicht sofort gehorche, geht er auf mich zu und zerrt mich am Halsband weg. Aua! Nicht so grob! Ich will gerade anfangen zu lamentieren, als Karl-Heinz wieder auftaucht. Er macht eine Bewegung mit den H?nden, seine Daumen zeigen nach oben. Ist das ein gutes Zeichen?

»Mit dem Transport geht alles klar, Norbert f?hrt heute K?he. Ihr k?nnt also mit, keine Gefahr.«

Daggi atmet h?rbar aus.

»Gott sei Dank! Hast du ihm gesagt, was hier los ist?«

»Nee, nat?rlich nicht. Ich habe wenig Lust, mir seine Vortr?ge anzuh?ren von wegensiehst du, das kann auch einem?kobauern passieren! Das erspare ich mir lieber. Aber wenn ihr noch rechtzeitig in Nordergellersen sein wollt, m?sst ihr jetzt los.«

Karl-Heinz hatte Recht: Dieser Norbert ist wirklich ein Unsympath. Gerade hat uns Daggi am vereinbarten Treffpunkt abgesetzt, und jetzt stehen wir hier wie Piksieben, w?hrend uns Norbert mustert, als h?tte jeder von uns zwei K?pfe.

Erst sagt er nichts, dann fragt er:»Na, wer seid ihr? Die Bremer Stadtmusikanten? Und den Hahn und den Esel habt ihr vergessen, was?« Er sch?ttelt den Kopf. »Nee, nee, nee,

mein Schwager kennt immer Leute! Ihr geh?rt doch bestimmt auch zu dieser ?ko-Mischpoke. Und is ja mal wieder typisch: Erst uns hart arbeitender Bev?lkerung mit euren Predigten das Leben schwer machen, aber dann kein Geld f?r die Zugfahrkarte und jetzt hier auf Mitleid und f?r lau mitfahren. Na ja, steigt ein, sonst krieg ich ?rger mit meiner Frau. Die will ja immer, dass ich mich mit ihrem bekloppten Bruder vertrage. Von mir aus. Das n?chste Weihnachtsfest kommt bestimmt.«

Wuff! Weihnachten und die Schweinepest. Nach meiner bisherigen Lebenserfahrung ist das wohl die schlimmste Kombination, die?berhaupt passieren kann. Jedes f?r sich genommen schon unsch?n, aber zusammen? Da m?chte ich echt nicht dabei sein.

Willi und Luisa sagen aber nichts zu dem unfreundlichen Norbert, stattdessen hilft Willi Luisa dabei,?berhaupt in den Wagen hineinzukommen. Der ist n?mlich riesig, gr?sser als unser Auto und sogar gr?sser als ein Feuerwehrauto. Hinten – und das ist jetzt die echte Sensation – h?ngt sogar ein echter Stall dran. Nicht gelogen: Hinter dem Riesenteil, in dem die Menschen sitzen, befindet sich eine Art grosse Stallbox auf R?dern. Die Box hat l?ngliche Schlitze, die wie kleine Fenster aussehen. Was sich dahinter verbirgt, kann man zwar nicht genau erkennen, aber man kann es h?ren und vor allem riechen. K?he. In jedem Fall Rinder. Genau weiss ich das nicht.

Luisa sitzt, und Willi reicht ihr erst Herrn Beck, dann mich nach oben. W?hrend sie Beck in den Fussraum setzt, darf ich neben ihr auf der Bank hocken, den Kopf auf ihrem Schoss. Neugierig blicke ich mich um. Hoppla! Hier ist deutlich mehr Platz als in den Autos, die ich kenne. Auch das Lenkrad, hinter dem Norbert nun sitzt, ist riesig. Die Fahrerkabine wirkt fast wie ein richtiges Zimmer, und eigentlich ist es ganz gem?tlich

hier. Norbert hat sich in seinem Wagen h?uslich eingerichtet: Es gibt einen Halter, in dem ein Becher steht, im Fach darunter eine Kanne, dem Geruch nach mit Kaffee. Auf dem Boden liegt ein richtiger Teppich, und auf dem Armaturenbrett vor uns kleben jede Menge Fotos von Kindern. Nett! Es sieht fast aus wie auf dem Schreibtisch von Marc in der Praxis. Nun kommt auch Willi hochgeklettert, setzt sich und schnallt sich an.

Norbert wirft ihm einen Blick zu.

»Dann wollen wir mal los, nech? Oder haben wir noch jemanden vergessen?«

»Nein«, antwortet Willi knapp.

»Nach M?nchen wollt ihr, hat Kalli gesagt. Also, direkt reinfahren kann ich da mit meinem Transporter nicht. Aber es gibt eine Abfahrt bei dem Fussballstadion, da ist eine U-Bahn-Station. Da setze ich euch ab. Okay?«

»Ja, danke.« Knapp.

»Sch?tze mal, in neun bis zehn Stunden sind wir da.«

»Okay.« Sehr knapp. Ich ahne es schon: Bei der vor uns liegenden Reise wird der Schwerpunkt nicht auf den guten, wertvollen Gespr?chen von Mann zu Mann liegen. Aber das soll mir recht sein. Meistens reden Menschen sowieso zu viel. Kann ich wenigstens ein bisschen pennen. Denn gerade merke ich, dass ich mittlerweile v?llig ersch?pft bin. Ein Blick auf meine Mitreisenden – denen geht es offenbar ?hnlich. Luisa kann die Augen kaum noch aufhalten, hat sich schon an Willi angelehnt. Und ich glaube, Herr Beck pennt bereits. Jedenfalls hat er sich auf dem Teppich im Fussbodenraum zusammengerollt und atmet ganz regelm?ssig. Ich schliesse die Augen, kuschle mich zwischen Luisa und Willi ein und beginne zu tr?umen. Von einem fremden Ort namens M?nchen, fern von schreienden Babys und tapsigen Welpen.

VIERUNDZWANZIG

Der Geruch von Salami kitzelt in meiner Nase und weckt mich. Er erinnert mich gleichzeitig daran, dass ich ziemlich hungrig bin. Ich?ffne die Augen, um zu schauen, ob mir ein freundliches Wesen vielleicht einen Wurstzipfel unter die Nase h?lt und ich lediglich zuzuschnappen brauche. Aber Fehlanzeige: Luisa und Willi haben nur die Brote ausgepackt, die ihnen Daggi noch beim Fr?hst?ck geschmiert hatte. Jaul, denkt denn niemand an die Vierbeiner hier im Wagen? Oder wenigstens an den Hund?

»Guck mal, ich glaube, Herkules ist aufgewacht. Meinst du, er hat auch Hunger?« Luisa ist eben ein sensibles Kind, die gute Freundin.

»Das kann schon sein«, entgegnet Willi, »aber ich glaube, wir haben nichts, was wir ihm so auf der Fahrt geben k?nnten.« Na super – wie f?rsorglich von euch!

»Und ausserdem«, mischt sich Norbert ein, »will ich nicht, dass mir das Viech w?hrend der Fahrt das Fahrerhaus vollkotzt. Ich hatte mal einen K?ter, dem durftest du vor der Fahrt rein gar nichts geben. Hat er in der ersten Kurve alles wieder ausgespuckt. Nee, nee, lass mal lieber warten. Bis M?nchen werden die beiden schon nicht verhungern. Sehen ja ganz wohlgen?hrt aus.«

Wie bitte? Werde ich hier etwa gerade mit dem fetten Kater?ber einen Kamm geschoren? Ich glaub’s ja nicht! Beleidigt jaule ich auf und h?pfe zu Herrn Beck in den Fussraum.

Wenn man uns so direkt nebeneinander sieht, muss doch selbst einem Blinden auffallen, dass unsere Gewichtskategorien geradezu Welten trennen.

Luisa sieht das zum Gl?ck ganz ?hnlich.

»Ich glaube, Herkules hat richtig Hunger. Und er ist auch l?ngst nicht so dick wie Herr Beck.«

Letzterer ist mittlerweile auch wieder wach und schnaubt emp?rt.

»Kann mir mal jemand sagen, warum hier st?ndig auf meinem Gewicht herumgehackt wird? Ich bin ein gestandener Kater! Und ich habe ?brigens auch Hunger.«

Norbert hat leider keine so sensiblen Antennen wie Luisa f?r unsere tierischen Bed?rfnisse und reagiert nur sehr verhalten auf ihre Anmerkung.

»Also, wenn es unbedingt sein muss, k?nnen die beiden etwas fressen, wenn ich eine Pause mache. Kurz nach Schweinfurt mache ich immer einen l?ngeren Stopp, weil ich dann sowieso meine Lenkpause einhalten muss.«

Schweinfurt – ein verheissungsvoller Name! Ich sch?me mich zwar ein bisschen daf?r, weil es ja immerhin ein Schwein war, das uns heute Morgen gerettet hat – aber bei dem Wort »Schwein« denke ich jetzt zuallererst an einen lecker gef?llten Fressnapf. Und nicht an meine neue Freundin Virginia. Verstohlen blicke ich nach oben, anscheinend hat niemand meine sch?ndlichen Gedanken erraten. Stattdessen erl?utert Norbert noch immer langatmig seine Pausenpl?ne.

»… ja, und da fahre ich von der Autobahn runter und esse etwas bei einem alten Kumpel.Mannis Futterkrippe –sensationelle K?che! Richtig was auf’m Teller und superg?nstig.« Norbert schnalzt mit der Zunge, offenbar ist allein der Gedanke an Mannis Kochk?nste schon sehr verheissungsvoll.

Mein Magen beginnt zu knurren – und zwar so laut, dass sogar Norbert mir einen kurzen Blick zuwirft.

»K?nnte mir vorstellen, dass der Manni auch was f?r eure kleinen Freunde parat hat.«

Na also. Warum nicht gleich so? Herr Beck stupst mich in die Seite.

»Meinst du, es dauert noch lange bis Schweinfurt? Komischer Name, nicht wahr?«

»Och, ich finde, der klingt ganz gut. So, als ob es da wirklich ordentlich was zu essen g?be.«

Herr Beck rollt mit den Augen.

»Dackel, du bist unm?glich. Heute Morgen l?sst du dir noch von einem Schwein den – verzeih – Arsch retten, und jetzt das! Gut, man kann von uns schlecht erwarten, dass wir aus Dankbarkeit Vegetarier werden, aber ein bisschen Piet?t schadet trotzdem nicht.«

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