Okay, den ersten Teil des Vorwurfs verstehe ich, der Gedanke kam mir ja auch schon. Der zweite Teil hingegen ist mir v?llig unklar. Was schon daran liegt, dass ich weder weiss, wasVegetarier noch wasPiet?t bedeutet. Um aber nicht als Trottel dazustehen, sage ich mal vorsichtshalber nichts.

Herr Beck mustert mich.

»Oder findest du nicht?«

»?h, doch, doch.«

»Du gibst mir Recht?«

»Hm.«

Herrn Becks Schnurrbarthaare beginnen zu zucken.

»Du weisst gar nicht, wovon ich rede, richtig?«

»Nat?rlich weiss ich das. Ich bin schliesslich nicht bl?d.«

»Und was ist ein Vegetarier?«, will Beck in absolutem Oberlehrerton von mir wissen.

»Auf ein Frage-und Antwortspiel habe ich keine Lust.

Daf?r musst du dir jemand anderen suchen«, winde ich mich heraus.

»Aha«, entgegnet Beck nur vielsagend, und ich ?rgere mich, dass mir keine schlauere Antwort eingefallen ist.Vegetarier.Vege –tarier. Vielleicht jemand, der irgendwas mit Wegen macht? Der seiner Wege geht? Abhaut? Hm. UndPiet?t? Ich kenne von Caro und Nina nurDi?t. Ist das etwas?hnliches? Also, wenig essen, weil man in einenBikini passen will – was auch immer das sein mag? Und dabei sehr schlecht gelaunt sein? Hm. Heisst das, dass wir aus Dankbarkeit zwar nicht abhauen m?ssen, aber weniger essen sollten? Vor allem weniger Schweinefleisch. He, he! Ich weiss n?mlich doch, was der fette Kater meint! Musste nur einen Moment dar?ber nachdenken, aber das wird wohl noch erlaubt sein.

»Ich gelobe, ich werde in Zukunft weniger Schweinefleisch essen«, schiebe ich jetzt noch hinterher und freue mich, dass Herr Beck tats?chlich sehr erstaunt guckt. Hunde sind eben doch nicht d?mmer als Katzen, auch wenn der Kater das immer behauptet!

Seitdem das Wort»Schweinfurt« gefallen ist, scheinen auch unsere mitreisenden Menschen ?ber Schweine nachzudenken.

»Willi, meinst du, dass die Schweine auf dem Bauernhof tats?chlich krank sind?«, will Luisa wissen. Willi zuckt mit den Schultern.

»Ich weiss nicht. Warum fragst du?« Na, das liegt doch auf der Hand! Weil es ein interessantes Thema ist! Ich beschliesse, mich wieder neben Luisa und Willi zu setzen, und hopse aus dem Fussraum nach oben.

Norbert dreht sich kurz zur Seite und wirft einen Blick auf Luisa.

»Wieso? Welche Krankheit haben Kallis Schweine denn?«

»Ob sie wirklich krank sind, wissen wir doch gar nicht, aber …«, beginnt Willi sehr langsam.

Da ist Luisa deutlich schneller.

»Karl-Heinz hat Angst, dass seine Schweine die Pest haben.« Sie ?berlegt kurz. »Genau. So heisst die Krankheit. Schweinepest.«

»WAAAS?«, br?llt Norbert regelrecht und bremst gleichzeitig so stark, dass ich mich nur mit M?h und Not auf dem Sitz halten kann. »Die SCHWEINEPEST?« Okay. Das scheint Norbert jetzt irgendwie problematisch zu finden. »Ihr kommt von einem Hof, auf dem es Verdachtsf?lle von Schweinepest gibt,und setzt euch in aller Gem?tsruhe in einen Viehtransporter? Seid ihr wahnsinnig? Wisst ihr, was das f?r mich bedeutet?«

Willi sch?ttelt langsam den Kopf.

»?h, nein, nicht so richtig.« Pfui, Willi! Das ist glatt gelogen! Selbst ich habe ja verstanden, dass diese Schweinepest eine ganz b?se Geschichte ist. Warum sonst h?tte Karl-Heinz noch mal nachgefragt, ob Norbert heute wirklich keine Schweine transportiert, und warum h?tten Willi und Luisa sonst im Auto ihre Klamotten wechseln m?ssen? Die Schuhe hat Daggi mit einem Lappen abgewischt, den sie vorher in eine beissend riechende Fl?ssigkeit getaucht hatte, und selbst Becks und meine Pfoten hat sie abgetupft. Und jetzt hat Willi anscheinend Angst, dass sich Norbert sonst noch mehr aufregt, und gibt den Ahnungslosen.Mein Name ist Hase, ich weiss von nichts – so hat der alte von Eschersbach diese Taktik immer genannt.

»Ach, was rede ich auch mit euch. Ihr habt ja sowieso keine Ahnung. Ich muss sofort diesen Vollpfosten von Karl-Heinz anrufen. Da vorne fahr ich raus.«

Ich merke, wie der Lastwagen langsamer wird, abbiegt

und schliesslich anh?lt. Norbert fummelt sein Handy aus der Tasche, schnappt sich eine Packung Zigaretten und springt aus der Fahrerkabine. Obwohl er draussen steht, k?nnen wir alle sehr gut h?ren, was er Karl-Heinz erz?hlt, denn er spricht immer nochsehr laut.

»Sachma, Kalli, spinnst du jetzt komplett? Ich h?re, ihr habt die Schweinepest auf dem Hof, und du Irrer schickst mir Leute von dir in die Viehvermarktung? Willst du, dass ich meinen Job verliere?« Kurze Pause. Offenbar versucht Karl-Heinz, sich zu verteidigen, kann Norbert aber nicht ?berzeugen. »Das ist mir schietegal, mein Lieber. Du weisst, wie streng die Vorschriften sind. Keiner rein und keiner raus ohne Veterin?r. Morgen fahre ich mit diesem Transporter vielleicht Schweine, was meinst du, was da los ist, wenn das jemand mitkriegt?« Wieder Pause. »Also war das blinder Alarm?« Pause. »Schweine sind wieder friedlich? Okay.« Pause. »Aha. Hat nicht einmal eine Blutprobe genommen? Na ja, dann scheint wirklich alles in Ordnung zu sein. Gott sei Dank – ich habe gerade den Schock meines Lebens bekommen. Gut, ich muss weiter – ?ber die Geschichte unterhalten wir zwei beiden uns noch mal, wenn ich wieder zur?ck bin. Tsch?ss!«

Norbert klettert wieder in die Fahrerkabine und startet den Motor. Eine ganze Weile sagt er nichts, sondern trommelt nur mit seinen Fingern auf dem Lenkrad herum. Erst als wir wieder auf der Strasse fahren, auf der alle so schnell unterwegs sind, f?ngt er an zu sprechen.

»Das ist ja auch wieder typisch mein Schwager. Wenn es um seinen ?ko-Krams geht, dann kann ihm kein Gesetz streng genug sein. Alle anderen sind dann b?se Tierqu?ler und Verbrecher, und nur bei ihm sind die Schweine gl?cklich. Zumindest, bis sie dann nat?rlich auch in der Wurst landen. Aber wenn er sich mal an ein Gesetz halten soll, das uns alle

sch?tzt, dann sind wir die spiessigen Korinthenkacker, die sich mal nicht so anstellen sollen.«

Willi r?uspert sich.

»Es tut mir leid, dass wir dich in Schwierigkeiten gebracht haben. Da haben wir nicht richtig nachgedacht.«

»Nee, nee, euch mach ich keinen Vorwurf. Ihr seid ja nicht vom Fach. Aber mein lieber Schwager, der h?tte das wissen m?ssen. Wusste er auch bestimmt. Na ja, es scheint ja alles in Ordnung zu sein mit den Schweinen. Trotzdem ?rgert es mich. Ich bin es leid, immer der Buhmann zu sein. Ist ja nicht nur Karl-Heinz mit seinem ?ko-Tick. Wenn die Leute h?ren, dass ich Viehtransporte fahre, kriege ich meistens nur dumme Spr?che. Scheinheilig ist das. Jeder will gl?ckliche Tiere, aber trotzdem soll das Schnitzel ganz billig sein. Wer kauft denn schon das Fleisch bei Karl-Heinz? 35 Euro pro Kilo! Das kann sich doch kaum jemand leisten. Aber Fleisch wollen heute alle essen. Und zwar nicht so wie fr?her, von wegen Sonntagsbraten. Nee, t?glich.«

Norbert regt sich richtig auf, und ich verstehe nur noch Sonntagsbraten. Das klingt allerdings in meinen Ohren sehr erfreulich. Wo also ist das Problem?

Jetzt mischt sich Luisa ein.

»Wisst ihr, ich glaube, ich werde Vegetarierin. Dann muss kein Tier mehr f?r mich leiden.« Wuff – da ist das Wort schon wieder. Wenn es allerdings »Abhauen« bedeutet, dann wundere ich mich ?ber Luisa. Sie ist doch l?ngst abgehauen. Und was, bitte sch?n, hat das mit dem Leiden der Tiere zu tun? Den Schweinen ist es doch – pardon – wurscht, ob Luisa in Hamburg oder M?nchen wohnt. Offenbar bedeutet Vegetarier also etwas anderes, aber ich w?rde mir eher die Zunge abbeissen, als mein Unwissen zuzugeben und Herrn Beck nach der wahren Bedeutung des Wortes zu fragen.

Norbert sch?ttelt den Kopf. Ob er auch nicht genau weiss, was Luisa meint?

»Nee, L?tte, das ist nun echt keine L?sung. So ein sch?nes St?ck Schweinebraten ist doch was ganz was Feines. Wenn wir gleich bei Manni sind, lade ich euch ein. Seine Frau Angela macht n?mlich einen ganz hervorragenden Schweinekrustenbraten nach bayerischer Art. ?berhaupt k?nnen die Bayern gut kochen. Manni hat fr?her auch bei der Viehvermarktung gearbeitet, dann hat er seine Angela geheiratet und ist in den S?den gezogen. Seitdem hat er mindestens dreissig Kilo zugenommen.« Norbert lacht.

»Ist Schweinfurt nicht eher Franken?«, erkundigt sich Willi.

»Franken, Bayern – das ist doch das Gleiche. Auf alle F?lle schmeckt es dort super. Werdet ihr gleich merken.«

»Kriegen die K?he auf dem Transporter in der Pause eigentlich auch etwas zu fressen?«, will Luisa wissen.

»Die haben eine Tr?nke im Wagen, und Heu haben sie auch, um die brauchst du dir keine Sorgen machen.«

»Und wohin f?hrst du die?«

»Nach Italien. Dort werden die meisten geschlachtet, aber ein paar werden auch in andere L?nder weiterverkauft. Ist aber alles ganz legal.«

Luisa runzelt die Stirn.»Legal?«

»Na, erlaubt. Das ist alles hundertprozentig korrekt, keine Sorge.«

Nun sagt Luisa nichts mehr, und diesem Schweigen entnehme ich, dass sie sich sehr wohl Sorgen um die Tiere macht. Sie ist eben ein liebes Kind.

Norberts Lastwagen wird wieder langsamer, wahrscheinlich haben wirMannis Futterkrippe bald erreicht. Ich richte mich zu voller Gr?sse auf und gucke aus dem Fenster. Die

Landschaft, die draussen vor?berzieht, sieht anders aus als zu Hause. Irgendwie … sanfter. W?hrend bei uns alles ganz flach ist und man selbst als Dackelmischling ziemlich weit gucken kann, gibt es hier lauter kleine H?gel. Das sieht eigentlich sehr nett aus. Der einzige H?gel, den ich pers?nlich kenne, ist der Rodelhang im Helvetiapark hinter Caros Werkstatt. Hier kann man bestimmt viel besser rodeln, wobei ich kein ausgesprochener Freund dieser Sportart bin. Das eine Mal, das mich Luisa auf ihren Schlitten gezerrt hat, habe ich noch in sehr unguter Erinnerung.

Der Lastwagen h?lt, und Norbert steigt aus.

»So«, er ?ffnet die T?r auf Willis Seite, »jetzt machen wir erst mal ein St?ndchen Pause. Kommt mit, ich stelle euch Manni und Angela vor.«

Willi steigt auch aus, hebt dann mich nach unten und hilft schliesslich Luisa heraus. Er will gerade die T?r schliessen, als ein f?r Katzenverh?ltnisse geradezu lautes Fauchen ihn daran erinnert, dass wir noch einen weiteren Mitreisenden haben.

»Oh, tut mir leid, dich h?tte ich fast vergessen, Dickerchen!« W?re ich ein Mensch, w?rde ich jetzt grinsen.Dickerchen – das wird Herr Beck sicherlich gerne h?ren. Willi b?ckt sich tief in das Wagenh?uschen und fischt meinen Kumpel heraus. Dem str?uben sich tats?chlich gerade die Nackenhaare, ich hoffe sehr, es gibt nun etwas Leckeres zu fressen f?r ihn! Und nat?rlich auch f?r mich!

Wir lassen den nach Rindviech duftenden Transporter hinter uns und laufen?ber einen riesigen Parkplatz hinter Norbert her. Hier stehen viele Lastwagen, einige noch gr?sser als der von Norbert. Es riecht nach Benzin. Norbert geht direkt auf ein sehr niedriges Haus mit grossen Fenstern zu. Auf dem Dach blinken verschiedene Lichter. Als wir n?her kommen, h?re ich durchdie ge?ffnete T?re schon eine Mischung aus

Stimmengewirr und Musik. Scheint m?chtig was los zu sein inMannis Futterkrippe!

Dieser Eindruck hat nicht get?uscht – im Haus findet offenbar gerade eine Art Party statt. Jedenfalls stehen viele Menschen herum, lachen, reden und h?ren laute Musik. Ich habe in meinem noch kurzen Dackelleben noch nicht so viele Menschenpartys erlebt, um hier verallgemeinern zu k?nnen: Aber laute Musik und alkoholischeGetr?nke gab’s da immer. So ist es auch hier, allerdings mit der Besonderheit, dass auch einige Menschen an Tischen sitzen und etwas essen. Tats?chlich riecht es sehr lecker – ganz so, wie von Norbert versprochen. Ich merke, dass mein Hunger mittlerweile so riesig ist, dass ich ganz dringendetwas in den Napf brauche. Hoffentlich ist das meinen Menschen auch klar!

Ein sehr dicker Mann steuert auf Norbert zu, umarmt ihn kurz und klopft ihm auf die Schulter. Das muss Manni sein.

»Gr?ss dich, Nobbi! P?nktlich wie ein Uhrwerk! Auf dich ist eben Verlass.«

»Hallo Manni! Klar, dein Laden ist f?r mich immer der H?hepunkt meiner S?dtour. Das habe ich auch gerade meinen Passagieren hier erz?hlt. Darf ich vorstellen – Willi und Luisa. Freunde von meinem bekloppten Schwager. Kalli, kennst du doch noch, oder?«

»Klar. Das ist doch der Bio-Fritze, oder?«

Norbert nickt kurz und guckt grimmig.

»Aber egal. Ich habe Willi und Luisa jedenfalls von Angelas original bayerischem Schweinsbraten vorgeschw?rmt, und ich hoffe sehr, der steht heute auf der Karte.«

»Uiuiui, das lass die Angie aber mal nicht h?ren.«

»Wieso? Ist doch ein Kompliment!«

»Ja, aber die Angie ist doch Fr?nkin, nicht Bayerin – ein Riesenunterschied!«

Norbert verdreht die Augen.

»F?r mich nicht.«

Manni knufft ihn in die Seite.

»Psst! Sonst kriegst du hier ?rger. Denn schlimmer als Bayern sind nur Preussen, die den Unterschied nicht auf die Reihe kriegen.«

Das soll jetzt mal einer verstehen. Bayern, Franken, Preussen? Ich sehe nur Menschen. Und die schauen f?r mich im Grossen und Ganzen alle gleich aus. Will uns Manni jetzt etwa weismachen, dass es da auch solche Unterschiede wie zwischen Dackel, Retriever oder Foxterrier gibt? Das ist doch Unsinn! Und ich h?tte es schon l?ngst gemerkt.

Norbert seufzt.

»Na gut. Aber was ist jetzt? Gibt es den leckeren Schweinsbraten mit Kruste?«

Manni grinst.

»Klaro. Das ist das Sch?ne an deiner regelm?ssigen Tour – wir wissen genau, wann du kommst, und sind gut vorbereitet. Also, setzt euch!«

Halt, halt, halt! Was ist denn nun mit Beck und mir? Ich fange an zu bellen. Ist sonst nicht meine Art, aber ohne Proviant ist so eine Flucht wirklich kein Spass. Manni schaut zu mir herunter.

»Ach, dich sehe ich ja jetzt erst. Bist du auch mit dem Nobbi gekommen? Und was ist mit der Katze? Geh?rt die auch dazu?«

Norbert nickt.

»Ja, mein Transporter ist heute fast die Arche Noah. Und ich glaube, Bello und Maunz haben auch m?chtig Hunger. Wenn du f?r die beiden auch etwas h?ttest?«

Bello und Maunz? Ich h?re wohl nicht richtig. Aber wenn es zu etwas Essbarem f?hrt, soll mir selbst das recht sein.

»Nat?rlich.Mannis Futterkrippe verl?sst niemand hungrig!«

Manni, du bist mein Mann!

Ob bayerisch oder fr?nkisch – diese K?che ist wirklich genial. V?llig vollgefressen liege ich neben dem Tisch, an dem Willi, Luisa und Norbert immer noch versuchen, ihre Teller zu leeren. Ein aussichtsloses Unterfangen. Angie hat die riesigen Teller so vollgeh?uft, dass ich selbst vom Boden aus die Fleischbergenoch sehen kann. Schade, dass ich so satt bin. Selbst wenn nun etwas ?brig bleibt, kann ich es garantiert nicht mehr essen.

»Uah, ich glaube, ich habe mir eine Magenerweiterung zugezogen«, jammert Herr Beck. Ihm geht es demnach genauso wie mir. »Ich bin ganz froh, wenn ich mich nun nicht mehr bewegen muss, sondern gleich einfach wieder in den LKW h?pfe und mich nach M?nchen kutschieren lasse. Ich werde bestimmt wundervoll schlafen. Fresskoma!«

»Fresskoma? Was ist das denn?«

»Kennst du das nicht? Das ist der Zustand, wenn du so satt bist, dass du fast nicht mehr klar denken kannst, nein – wenn du gar nicht mehr denken und dich auch nicht mehr r?hren kannst. Herrlich!«

»Du vergisst, dass ich normalerweise mit einem Tierarzt zusammenwohne. Dass Marc mein Futter nicht abwiegt, ist noch alles. Ich kann schon froh sein, wenn mir Oma Hedwig ab und zu einen Fleischwurstzipfel zusteckt.«

Herr Beck kichert.»Vielleicht sollten wir doch dauerhaft nach Bayern auswandern. Hier scheinen mir die Menschen genussfreudiger zu sein.«

»Ich dachte, hier sei Franken«, gebe ich mit meinem neu erworbenen Wissen an.

»Was auch immer – hier k?nnte ich bleiben.«

»Ja, schlecht ist es nicht«, gebe ich Herrn Beck Recht. »Die Landschaft ist auch ganz h?bsch, findest du nicht?«

»Keine Ahnung. Konnte ich vom Fussraum aus schlecht beurteilen.«

»Dann lass uns doch draussen eine kleine Runde drehen. Unsere Menschen sind mit der Nahrungsaufnahme bestens besch?ftigt, die brauchen bestimmt noch eine Weile. Mir w?rde ein bisschen Bewegung sehr guttun – StichwortFresskoma .« Ich rapple mich hoch, Beck tut es mir gleich.

»Stimmt. Nicht, dass uns im Wagen noch schlecht wird.«

Wir traben zur T?r, die immer noch einen Spalt ge?ffnet ist, und mogeln uns ins Freie. Draussen angekommen, hole ich erst einmal tief Luft. Zu viel Fleisch dr?ckt auf meinen Magen. Komisch, w?hrend es hier vorhin noch arg nach Benzin roch, hat sich nun etwas anderes in die Luft gemischt. Fast, als seien wir nicht direkt neben einer grossen Strasse, sondern auf dem Land. Es riecht nach … Kuh. Genau. Es riecht nach Kuh. Und zwar nicht der Hauch, der die ganze Zeit unseren Transporter umwehte, sondern richtig penetrant. Ich schaue vor mich. Zuerst sehe ich einen grossen Kuhfladen, der den Geruch erkl?rt. Und dann sehe ich: K?he. Eine ganze Herde. Zwischen den Lastwagen von Mannis G?sten stehen lauter Rindviecher. Wo kommen die denn auf einmal her? Ich schaue mich um – dann bleibt mein Blick an Norberts Laster h?ngen.

Die hintere Ladeklappe ist heruntergelassen. Eine Kuh steht noch auf der Rampe und sieht sich unsicher um. Heilige Fleischwurst – irgendjemand hat die K?he aus Norberts Lastwagen rausgelassen!

F?NFUNDZWANZIG

Verdammte Scheisse!« Norbert kommt aus der Futterkrippe gerannt. Ob er durch mein Bellen aufmerksam geworden ist oder schlicht aus dem Fenster geguckt und die K?he gesehen hat, kann ich nicht sicher sagen. Auf alle F?lle reicht ihm ein Blick auf seinen Laster, und er weiss offensichtlich ganz genau, was hier gerade los ist. Er l?uft auf die offene Ladefl?che zu und fuchtelt wie wild mit den Armen. »Ihr feigen Arschl?cher, dann steht wenigstens dazu, anstatt einfach abzuhauen! Kommt sofort zur?ck!«

Hm, ob er denkt, dass die K?he wirklich wiederkommen, wenn er sie beschimpft? Will er die Rindviecher bei der Ehre packen und glaubt allen Ernstes, dass das funktioniert? Da bin ich skeptisch. Ich glaube nicht, dass die freiwillig wieder einsteigen und fr?hlich Richtung Schlachthof fahren. Oder meint er am Ende gar nicht die K?he?

Jetzt ist auch Manni rausgekommen und steht neben Norbert. Fassungslos schl?gt er die H?nde ?ber dem Kopf zusammen. »Meine G?te – was ist passiert?«

»Hier!« Norbert greift nach einer Art Bettlaken, das irgendwie auf dem oberen Rand des Transporters gelandet ist, und zieht es herunter. »Lies selbst.« Er entfaltet das Laken und h?lt es Manni direkt vor die Nase. Tats?chlich steht dort in ?bergrossen Buchstaben etwas geschrieben. Ich hoffe,Manni liest laut, damit Beck und ich auch mitkriegen, worum es hier eigentlich geht.

»TIERVERRECKER, MORDVOLLSTRECKER!!!« Manni sch?ttelt den Kopf. »H?, versteh ich nicht. Wie kommt das da hin?«

Norbert kn?llt das Laken wieder zusammen, er zittert jetzt richtig.

»Nat?rlich diese Scheiss-Tiersch?tzer! Die waren hier und haben die K?he rausgelassen. Haben irgendwie die Bolzen an der Klappenverriegelung geknackt.« Auch Norberts Stimme zittert. Er ist wirklich sehr aufgeregt.

Manni hingegen wirkt noch skeptisch.

»Aber woher sollten die denn wissen, dass nun ausgerechnet heute hier ein Viehtransporter auf dem Parkplatz vorMannis Futterkrippe steht? Ich meine, die kommen hier doch nicht l?ngs, sehen deinen Laster und haben dann zuf?llig ein Bettlaken und schwarze Farbe dabei.«

»Woher die das wussten?« Norbert schnaubt w?tend. »Ganz einfach: Woher wusstest du denn, dass ich heute komme? Weil ich jeden Mittwochabend hier Pause mache. Die haben mir aufgelauert! Das war von langer Hand geplant!«

Mittlerweile sind auch Willi und Luisa herausgekommen. Erstaunt betrachten beide die K?he, die auf der Suche nach der n?chsten Weide zwischen den Autos und Lastern hin und her wandern und die Rasenstreifen zwischen den einzelnen Abstellfl?chen schon mal als kleine Vorspeise nutzen. Weil der Parkplatz eingez?unt ist, schaffen sie es allerdings nicht auf die grosse Wiese daneben, sondern dr?cken ihre Nasen nur immer wieder gegen den Zaun und muhen, so, als seien sie selbst erschrocken ?ber die ganze Geschichte. Eine Kuh l?uft direkt auf Luisa zu. Die weicht erst einen Schritt zur?ck, bleibt dann aber stehen und t?tschelt der Kuh den Hals.

»Guck mal, Willi, die Kuh ist ganz zahm! So ein liebes Tier! Ich will nicht, dass es zum Schlachter muss.«

Norbert, der diese Bemerkung offenbar geh?rt hat, f?hrt sofort herum und beginnt, Luisa anzuschreien.

»Jetzt h?r mal zu, kleines Fr?ulein: Du kannst den Rest nach M?nchen von mir aus gerne laufen! Ich lasse mich doch jetzt nicht noch von einem bl?den G?r wie dir …«

In diesem Moment f?ngt Norberts Laster an, seltsame Ger?usche von sich zu geben. Es klingt, als w?rde er w?rgen. Ob sich ein Auto ?bergeben kann? Das w?rde alles, was ich bisher ?ber Maschinen gelernt habe, auf den Kopf stellen.Wrrrr, wrrrrr, wrrrr – bilde ich mir das vielleicht ein? Nein, auch Norbert und Manni h?ren das Ger?usch.

»Nobbi, da ist jemand in deinem F?hrerhaus!« Die beiden rennen um den Laster herum, ich hinterher. Was f?r ein spannender Abend!

»Verfluchte Scheisse, die Scheibe ist eingeschlagen«, schreit Norbert und reisst die T?r auf der Fahrerseite auf – tats?chlich! Da sitzt jemand. Ob Mann oder Frau ist schwer zu sagen, denn der-oder diejenige hat eine schwarze Wollm?tze ?ber den ganzen Kopf gezogen. Norbert packt die Person am ?rmel und will sie aus der Kabine zerren.

»Los, komm da raus, du Verbrecher!«

Der Schwarzbekleidete wehrt sich und versucht, Norbert abzusch?tteln. Jetzt erkenne ich, dass noch eine zweite Person im F?hrerhaus hockt, sie kniet fast neben dem anderen Menschen und ist daher nur schlecht zu sehen. Wieder beginnt der Laster zu w?rgen.

»Gebt euch keine M?he«, br?llt Norbert, »den kann man nicht kurzschliessen! Ohne Schl?ssel riegelt der die Dieselzufuhr ab! Raus da, ihr Vollidioten!«

Aber die beiden denken gar nicht daran. Stattdessen beginnt der eine, von oben auf Norbert einzudreschen.

»Manni, ruf die Polizei! Das sind gewaltbereite Verbrecher!

« Norbert wehrt sich jetzt nach Kr?ften, und schon entsteht das sch?nste Handgemenge. Der Schwarzgekleidete h?ngt halb aus der T?r heraus und liefert sich mit Norbert eine Art Ringkampf. Luisa hat sich mittlerweile von der Kuh getrennt und steht neben mir, Willi kommt dazu und legt eine Hand auf ihre Schulter.

»Komm, Luisa, lass uns lieber wieder reingehen. Das sieht hier nach m?chtigem ?rger aus!«

»Aber was machen die denn da?«

»Siehst du doch, die streiten sich. Komm jetzt weg da!« Willi versucht, Luisa hinter sich herzuziehen, aber die bleibt stehen.

»Ich glaube, die wollen die K?he retten. Das finde ich gut!«

»Luisa, wir haben schon genug Schwierigkeiten! Das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist eine Begegnung mit der Polizei!« Wuff, Willi kann richtig energisch werden!

Bevor Luisa aber auf diese Ermahnung reagieren kann, fliegt pl?tzlich die Beifahrert?r auf, die zweite schwarze Person springt aus dem F?hrerhaus und st?rzt genau auf uns zu. Ehe ich noch richtig begriffen habe, was passiert, packt sie Luisa am Arm und zerrt sie hinter sich her.

»Komm, Kleene«, ruft die Stimme, die eindeutig einem Mann geh?rt, »wir beide organisieren uns jetzt ein Auto!«

Luisa schreit laut auf, Willi springt hinterher, ich belle aufgeregt, kurz: Das Chaos ist perfekt. Selbst Norbert l?sst seinen Gegner los und l?uft zu uns her?ber.

»Seid ihr jetzt v?llig irre? Lass sofort das Kind los!«

»Das mache ich, sobald wir sicher im Auto sitzen. So lange bleibt sie bei mir.«

Jetzt klettert auch Norberts Gegner aus dem Laster.

»He, was soll der Scheiss! Lass das M?dchen los! Das war

so nicht abgesprochen. ?rger mit den Bullen wegen der Tiere kratzt mich nicht, aber das ist zu heftig.« Aha, auch die zweite Person ist ein Mann. Und: Die Verbrecher sind sich offenbar nicht einig.

»Stell dich nicht so an. Ich lass sie los – wenn wir im Auto sitzen.«

Luisa f?ngt an zu weinen, und endlich l?st sich bei mir die Schreckstarre. Ich weiss nun genau, was zu tun ist! Ein kurzer Anlauf, ein Sprung – Treffer, versenkt! In dem Moment, in dem ich Luisas Angreifer in den Unterarm beisse, l?sst er sie sofort los.

»Ah, elende Scheisst?le!« Bitte? Und du willst ein Tiersch?tzer sein? W?tend belle ich den Mann an, der soll bloss nicht auf weitere dumme Gedanken kommen. Sonst kriegt er es aber richtig mit mir zu tun! Und ich, Herkules Carl-Leopold von Eschersbach, bin ein Gegner, den man tunlichst nicht untersch?tzen sollte!

»Komm, lass uns abhauen«, ruft ihm sein Komplize zu. Bevor sie diese Idee jedoch in die Tat umsetzen k?nnen, f?hrt ein Polizeiauto auf den Parkplatz und stellt sich den beiden direkt in den Weg. Die schwarzen M?nner z?gern und scheinen zu ?berlegen, ob sie trotzdem weglaufen sollen, bleiben dann aber stehen. Zwei Polizisten steigen aus dem Polizeiwagen aus. Manni rennt fuchtelnd auf sie zu.

»Endlich sind Sie da! Wir haben es hier mit gef?hrlichen Verbrechern zu tun. Die wollten das Kind entf?hren!«

»Erst mal gr?ss Gott, die Herrschaften«, ruft der ?ltere der beiden Polizisten. Na, der hat ja die Ruhe weg! Ich winsle aufgeregt. »Was ist denn hier ?berhaupt los? Was machen die K?he hier?« Er schaut sich kurz um, spricht dann die Verbrecher an. »Und Sie? Auf dem Weg zum Maskenball? Nehmen Sie mal die albernen M?tzen ab!«

Die M?nner tun, wie ihnen geheissen. Die Gesichter, die zum Vorschein kommen, sind noch sehr jung. Eher Jungs als M?nner, der eine mit strubbeligen roten Haaren, der andere ist blond.

Der Polizist mustert sie.

»So. Und Sie wollten hier K?he klauen?«

Beide Jungs sch?tteln emp?rt den Kopf.

»Nein! Wir wollten sie befreien!«

»Befreien?«

»Genau. Und sie vor einem grausamen Schicksal retten. Diese armen Tiere werden durch die ganze Republik nach Italien gekarrt. Wenn sie sogenanntes Gl?ck haben, werden sie dort geschlachtet. Aber wenn sie Pech haben, droht ihnen ein noch schlimmeres Ende: Dann werden sie in den Nahen Osten verschifft, sind tagelang auf dem Meer unterwegs. Viele von ihnen ?berleben schon die Reise nicht, und die, die lebend ankommen, werden rituell geschlachtet. Das heisst, sie bluten bei vollem Bewusstsein aus.«

Das klingt ja furchtbar! Ich merke, dass ich anfange zu zittern. Luisa schluchzt ganz laut.

»Das ist doch Mumpitz«, regt sich Norbert auf. »Meine Firma h?lt sich an alle Bestimmungen, die es gibt. Wenn ihr das nicht einsehen wollt, dann ruft doch den Amtstierarzt, anstatt hier unbescholtene B?rger zu ?berfallen! Herr Wachtmeister, nun tun Sie doch was!«

Der so Angesprochene hebt beschwichtigend die H?nde.

»Moment, Moment. Ich ermittle noch! Aber der Herr hat Recht – warum informieren Sie nicht den Amtstierarzt, wenn Sie hier Tierqu?lerei vermuten?«

Der Blonde lacht bitter.

»Was meinen Sie denn? Das machen wir immer, aber die kommen eigentlich nie. Und das Problem ist ja auch nicht so

sehr der Transport in Deutschland, sondern wie es jenseits der Grenze weitergeht. Dagegen protestieren wir.«

Der Polizist nickt und grinst.

»Also seid ihr aufrechte K?mpfer f?r die gute Sache.«

Die beiden Jungs nicken so heftig, dass ihre verstrubbelten Haare hin und her springen. Der Rothaarige reckt sich jetzt zur vollen Gr?sse auf.

»Genau. Wir sprechen f?r die gequ?lte Kreatur, die sich nicht wehren kann! Und wenn man uns daf?r bestrafen will, dann soll es so sein. Wir w?rden es immer wieder tun!«

Nun meldet sich der j?ngere Polizist zu Wort.

»Die Rede war hier aber eben auch von einer Kindesentf?hrung. Das ist nun nat?rlich ein ganz anderes Kaliber.«

»Genau!«, rufen Manni und Norbert jetzt im Chor. »Die beiden wollten Luisa mitschleppen, um sich den Fluchtweg freizupressen.«

»Nein!«, schreit Luisa aufgebracht. Die Erwachsenen schauen sie erstaunt an. »Die wollten mir doch gar nichts tun. Die wollten doch nur die armen K?he retten! Ich bin freiwillig mitgekommen, weil ich n?mlich auch eine Tierretterin bin!«

Der?ltere Polizist kniet sich vor Luisa hin und guckt sie ernst an.

»So, so. Du bist also eine Tierretterin. Wie heisst du denn?«

Luisa schluckt. Dann nennt sie ihren Namen.

»Luisa Wagner.«

»Und kommst du aus Schweinfurt?«

Sie sch?ttelt den Kopf.

»Nein. Aus Hamburg.«

»Und bist du mit deinen Eltern hier?«

Wieder Kopfsch?tteln.

»Nein. Mit dem Willi. Der hilft mir, nach M?nchen zur Mama zu kommen. In Hamburg will ich nicht mehr sein.«

»Aha.« Der Polizist steht wieder auf und geht zu seinem Kollegen. Die beiden tuscheln miteinander, dann geht der j?ngere zum Polizeiwagen und setzt sich hinein. Der ?ltere bleibt bei uns stehen.

»Gut. Also, ich werde jetzt die Personalien aller Beteiligten aufnehmen. In der Zwischenzeit«, er spricht jetzt Norbert an, »versuchen Sie bitte, die K?he wieder einzufangen. Nicht, dass hier auch noch eine Verkehrsgef?hrdung entsteht. Brauchen Sie da Hilfe?«

»Ja, allein schaffe ich das nicht.«

Manni macht einen Schritt auf ihn zu.

»Ich helfe dir und sage auch noch ein paar G?sten Bescheid. Zusammen m?ssten wir das schaffen.«

Der j?ngere Polizist steigt wieder aus dem Auto und kommt zu uns zur?ck. Er deutet auf Willi.

»Hey, Sie, kommen Sie mal n?her.«

Willi geht einen sehr z?gerlichen Schritt nach vorn. Als er direkt neben mir steht, rieche ich … Angst! Eindeutig. Willi hat Angst.

»Sagen Sie, sind Sie Wilhelm Schamoni?«

Willi nickt.

»Und das Kind ist Luisa Wagner, zehn Jahre, aus Hamburg?« Wieder Nicken.

»Dann muss ich Sie jetzt bitten mitzukommen.«

SECHSUNDZWANZIG

Luisa!« Als Sabine Wagner uns sieht, rennt sie los und st?rzt sich mit weit ausgebreiteten Armen auf ihre Tochter.

»Gott, ist diese Frau melodramatisch«, fl?stert Herr Beck mir zu. Ich weiss nicht, was melodramatisch bedeutet, finde aber trotzdem, dass der Kater Unrecht hat. Denn egal, was es heisst – eine Mutter, die sich Sorgen um ihr Kind macht, hat mit Sicherheit jedes Recht der Welt, alles M?gliche zu sein. Von mir aus auchmelodramatisch.

Auch Marc steht am Bahnsteig. Nachdem seine Exfrau Luisa wieder freigegeben hat, kommt er heran und umarmt seine Tochter ebenfalls. Er wirkt sehr nachdenklich.

»Schatz, was machst du denn f?r Sachen?«

Luisa blickt verlegen zu Boden. Die Polizistin, die uns auf der ganzen Fahrt hierher begleitet hat, streckt Marc die Hand entgegen.

»Gr?ss Gott, Franziska Niedmayer mein Name. Ich bin von der Kripo in Schweinfurt, wir hatten telefoniert.«

Marc greift die Hand und sch?ttelt sie.

»Ja! Danke, dass Sie sich um Luisa so lieb gek?mmert haben.«

Die Polizistin l?chelt.

»Keine Ursache. Hauptsache, es kommt jetzt wieder alles in Ordnung. Und ich habe ja nicht nur Luisa mitgebracht, sondern auch ihre beiden kleinen Freunde, Zeus und Beckmann.« Luisa kichert, sagt aber nichts. »Das war fast schwieriger,

als Ihre Tochter in den Zug zu bekommen. Da gibt’s n?mlich ganz seltsame Vorschriften f?r Tiere, Sie w?rden es nicht glauben. Na ja, das konnte ich dann mithilfe meines Dienstausweises kl?ren.«

»Fahren Sie heute Nacht noch nach Hause?«, erkundigt sich Sabine.

Frau Niedmayer sch?ttelt den Kopf,

»Nein. Der n?chste Zug geht erst morgen fr?h. Aber die Kollegen haben ein Hotel f?r mich gebucht. Ich schnappe mir jetzt ein Taxi und sinke gleich in die Federn.«

»Soll ich Sie nicht lieber ins Hotel fahren?«, bietet Marc an.

»Nein, nein, bloss nicht! Ich denke mal, Luisa wird auch v?llig erledigt sein, und Sie haben sich bestimmt noch einiges zu erz?hlen.«

»Na gut, wenn Sie meinen …«

»Ja, ja, das ist v?llig in Ordnung, ich nehme ein Taxi. So, Luisa – dann hoffe ich, du hast dein Abenteuer gut ?berstanden. Und du weisst ja – wenn noch etwas ist, ruf mich an.«

Luisa nickt.

»Danke, Franziska!«

Frau Niedmayer will sich gerade umdrehen, da f?llt Luisa noch etwas ein.

»Franziska?«

»Ja?«

»Was wird denn jetzt aus Norbert und den K?hen?«

»Ich glaube, die K?he stehen erst einmal alle auf einer Weide, denn der Transporter war ja besch?digt. Aber ich f?rchte, wenn der wieder repariert ist, geht es f?r die K?he weiter nach Italien.«

Luisa schluckt.»Ausserdem mach ich mir so Sorgen um Willi. Es ist alles meine Schuld, bestimmt!«

»Luisa, das hast du uns ja genau erz?hlt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Willi keinen grossen ?rger bekommt. Aber wir mussten ihn doch mal kurz dabehalten, damit wir uns morgen in Ruhe mit ihm unterhalten k?nnen. Heute war es daf?r schon ein bisschen sp?t.«

Marc mischt sich ein.

»Aber – Herr Schamoni sitzt jetzt hoffentlich nicht in einer Zelle, oder? Ich meine, ich hatte Ihren Kollegen doch extra gesagt, dass er mich von unterwegs angerufen hat, um uns zu beruhigen. Sonst h?tte ich Ihnen doch seinen Namen nicht sagen k?nnen, weil ich gar nicht gewusst h?tte, dass er mit Luisa unterwegs ist! Keinesfalls wollte ich ihm damit Probleme bereiten. Ich bin ja froh, dass er Luisa begleitet hat.«

»Keine Sorge, Herr Wagner. Wir haben Herrn Schamoni in einem Hotel untergebracht, weil er sich in Schweinfurt zu unserer Verf?gung halten soll, bis alles ordnungsgem?ss zu Protokoll gegeben ist.«

»Ach so. Aber wenn es da irgendwie Probleme f?r ihn gibt, rufen Sie mich dann bitte an?«

»Das kann ich gerne machen. So, und jetzt lass ich Sie mal alleine. Auf Wiederschauen!« Sie sch?ttelt Marc noch einmal die Hand.

»Auf Wiedersehen.«

»Wer ist denn dieser Herr Schamoni?«, will Sabine wissen.

»Das ist ein alter Bekannter, der Luisa begleitet hat. Er hat mich von unterwegs angerufen, um uns zu beruhigen.«

»Ja, Mama, den Willi kenn ich schon ganz lange. Der hat fr?her selbst auf der Strasse gelebt, deswegen kennt der sich da so gut aus.«

Sabine Wagner reisst die Augen auf. »Wie bitte? Ein Penner reist mit unserer Tochter quer durch Deutschland, und du findest das beruhigend? Das ist jetzt nicht dein Ernst, Marc!«

Komisch? Was hat diese Frau denn gegen Willi? Die kennt ihn doch gar nicht. Vielleicht istmelodramatisch doch nicht so gut.

»Nun reg dich mal nicht auf, Sabine. Willi Schamoni ist keinPenner, sondern hat geschafft, was zumindest ich in letzter Zeit wohl nicht hinbekommen habe – n?mlich, ein offenes Ohr f?r Luisa zu haben und sich um sie zu k?mmern.«

»Tja, mein Lieber, vielleicht bist du mit zwei Kindern eben doch ?berfordert.«

Marc holt tief Luft, sagt dann aber nichts.

»Papa, wo sind eigentlich Caro und Henri?«, fragt Luisa und guckt sich suchend auf dem Bahnsteig um.

»Henri hat schon geschlafen. Deswegen ist Caro zu Hause geblieben.«

»Ausserdem bin ich ja extra gekommen, das ist hier schliesslich eine Familiensache«, f?gt Sabine hinzu und garniert diese Bemerkung mit einem sehr breiten L?cheln. So kommt es mir jedenfalls vor.

»Aber Caro geh?rt doch auch zur Familie«, widerspricht ihr Luisa. Genau! Mutterherz hin, Mutterherz her – Sabine ist nicht besonders nett. Wieso genau wollte Luisa noch mal dringend zu der?

»Nun lass uns mal nicht streiten, mein Schatz«, lenkt Sabine ein, »ich habe mir eben auch grosse Sorgen gemacht. Deshalb bin ich gleich nach Hamburg geflogen, als ich geh?rt habe, dass du heute Nacht hier ankommst.«

»Ja, das ist sch?n! ?bernachtest du heute bei uns?«, will Luisa wissen.

Sabine schaut Marc fragend an.

»Aber nat?rlich kann Mama bei uns schlafen. Ich habe schon mit Caro gesprochen, und sie hat das G?stezimmer fertig gemacht. Kein Problem.«

»Juchhu!«, freut sich Luisa. »Dann kann ich dir auch Henri zeigen!«

Sabine verzieht f?r den Bruchteil einer Sekunde den Mund, ringt sich dann aber ein L?cheln ab.

»Ja, wunderbar. Da freue ich mich nat?rlich. Ganz doll.«

Es ist schon sehr, sehr sp?t, als ich endlich in meinem geliebten K?rbchen liege. Auch ganz sch?n, mal ohne den schnarchenden Herrn Beck zu schlafen. Den haben wir n?mlich sofort bei Alex abgeliefert, der ihn offenbar schon schmerzlich vermisst hat. Kein Wunder – Frau in Stockholm, Haustier verschollen: Das ist an Trostlosigkeit auch wirklich kaum zu ?berbieten …

Was habe ich mein Zuhause unterwegs vermisst! Dieser vertraute Geruch, herrlich! Hatte ich jemals die Idee, meine Familie zu verlassen?Meine Familie? Was f?r ein absurder Gedanke! Denn egal, wie laut oder chaotisch es hier manchmal ist und wie viele Babys Carolin noch bekommen mag: Hier geh?re ich einfach hin. Wuff!

Mit diesem wohligen, heimatlichen Gef?hl will ich gerade ins Reich s?sser Tr?ume hin?berd?mmern, als mich das Klappern einer T?r wieder in die Realit?t zur?ckholt. Marc, der eigentlich schon im Schlafzimmer verschwunden war, schleicht ?ber den Flur. Der will doch nicht etwa seiner Exfrau einen Besuch im G?stezimmer abstatten? Ich winde mich gaaanz leise aus dem K?rbchen und schleiche Marc hinterher.

Der aber biegt nicht links zum G?stezimmer, sondern nach rechts zum Kinderzimmer ab und ?ffnet die T?r einen Spalt. Ah, sehr gut! Noch mal schauen, ob Luisa nach all der Aufregung ?berhaupt schlafen kann. So geh?rt sich das als guter Vater! Marc will die T?r gerade wieder schliessen, als Luisa nach ihm ruft.

»Papa?«

»Ja?«

»Kommst du noch mal?«

Marc geht hinein, ich witsche hinterher. Die Lampe neben Luisas Bett ist eingeschaltet und wirft einen runden hellen Kreis auf Luisa. Die liegt in ihrem Bett und hat ziemlich kleine?uglein. Kein Wunder, muss sie doch auch todm?de sein. Marc kniet sich neben ihr Bett und streicht ihr ?ber den Kopf.

»Kannst du nicht schlafen?«

Luisa sch?ttelt den Kopf. »Nein, nicht richtig.« Ihrer Stimme kann ich anh?ren, dass sie ?ber irgendetwas nachdenkt. »Papa, bist du mir sehr b?se?«

»Nein, ich mache mir nur Gedanken, was in letzter Zeit bei uns schiefgelaufen ist. Und nat?rlich, ob du hier ungl?cklich bist und ich daran etwas ?ndern kann.«

»Weisst du, ich habe mich so auf mein Geschwisterchen gefreut. Aber seitdem Henri da ist, habe ich das Gef?hl, dass ich gar nicht mehr dazugeh?re. Ich dachte, wir werden wieder eine richtige Familie: Du, Caro, Henri, Herkules und ich. Eben die richtigeFamilie Wagner, das wollte ich. Aber es ist ganz anders gekommen.«

Marc sagt erst einmal nichts dazu, dann seufzt er.

»Mein M?uschen, du hast vollkommen Recht. Das tut mir sehr leid. Weisst du, so ein Baby ist ganz sch?n anstrengend, aber nat?rlich h?tte ich mich trotzdem besser um dich k?mmern m?ssen. Und ich schw?re dir, ich werde mich bessern! Und da ist mir auch gerade eine gute Idee gekommen, wie wir noch mehr Familie werden. Grosses Indianerehrenwort.« Er hebt die rechte Hand hoch.

»Echt? Welche denn?«

»Das wird noch nicht verraten. Daf?r muss ich erst noch etwas kl?ren.«

»Na gut.«

»Ich habe aber auch noch eine Frage.« Marc z?gert einen Moment, bevor er weiterspricht. »Willi hat mir am Telefon erz?hlt, dass ihr auf dem Weg nach M?nchen wart. Sag mal ehrlich – m?chtest du lieber wieder bei Mama wohnen?«

Luisa schweigt, dann holt sie tief Luft. Oje, oje, ich hoffe nicht! Denn ich m?chte auf keinen Fall ohne meine Freundin Luisa leben, aber zu der doofen Sabine will ich auch nicht ziehen. Ich h?pfe vom Boden hoch auf Luisas Bett und beginne vorsichtshalber, sehr mitleiderregend zu jaulen. Luisa erschreckt sich erst, aber dann kichert sie, streckt ihre Hand aus und krault mich hinter den Ohren. Nur Marc sch?ttelt tadelnd den Kopf. Klar, Hunde im Bett passen ihm genauso wenig wie auf der Designer-Couch. Aber da muss er jetzt durch. Es gilt schliesslich, Schlimmeres zu verhindern.

»Hoppla, Herkules, wo kommst du denn auf einmal her? Guck mal, Papa! Ich kann gar nicht zu Mama ziehen. Die mag doch keine Hunde – und was wird dann aus Herkules? Den kann ich schliesslich nicht alleine hierlassen.«

Meine Rede! Nur Marc scheint das zu wundern, jedenfalls zieht er die Augenbrauen hoch.

»Ach so, Herkules kann nicht mit. Stimmt. Und das ist der einzige Grund hierzubleiben?«

Luisa grinst und nickt.

»Klar.« Pause. Dann gibt sie Marc blitzschnell einen Kuss. »Na, fast der einzige. Ein bisschen habe ich auch ganz doll Heimweh nach euch gehabt, als ich mit Willi unterwegs war.«

Marc l?chelt und streicht ihr wieder ?ber den Kopf.

»Na, da habe ich ja noch mal Gl?ck gehabt, dass Herkules hier wohnt und duein bisschen ganz doll Heimweh hattest.« Er steht vom Bett auf. »Schlaf sch?n, Luisa. Und du, Herkules, kommst jetzt mal mit raus.«

Okay. Mich zieht es sowieso in mein bequemes K?rbchen. Herrlich – endlich schlafen! Luisa l?scht ihr Licht, und Marc und ich verlassen das Zimmer. Noch ehe ich allerdings mein ruhiges Pl?tzchen erreiche, kommt uns Caro mit Henri auf dem Arm entgegen. Och nee, hoffentlich schl?ft der heute Nacht anst?ndig, ich bin wirklich stehend k. o.!

»Und, ist sie endlich eingeschlafen?«, will Carolin von Marc wissen.

»Halbwegs. Was ist mit Henri?«

»Schl?ft schlecht. Der hat die ganze Unruhe der letzten Tage bestimmt auch bemerkt. Vielleicht hatte er eben auch Angst, dass deine Ex ihn fallen l?sst – b?se genug angeguckt hat sie ihn ja.« Sie g?hnt. »Ich trage ihn einfach noch ein bisschen rum, vielleicht schl?ft er dann fester ein.«

»Ich begleite dich. Ich wollte dich sowieso noch etwas fragen. Mir ist da heute eine Idee gekommen.« Mist! Eben war ich noch so m?de – aber jetzt siegt meine Neugier. Von welcher Idee redet Marc?

»Meinst du, dass sich Luisa wieder beruhigt?«

Marc nickt.»Ich glaube schon. Aber ich denke, wir m?ssen darauf achten, dass unsere neue Familie richtig gut zusammenw?chst. Gerade Luisa hat das in letzter Zeit vermisst.«

»Ja, das kann ich verstehen. Ich habe auch irgendwie das Gef?hl, dass wir ›Familie sein‹ noch ein bisschen ?ben m?ssen. Klar, ich bin momentan sehr ersch?pft, trotzdem bekomme ich ein sehr schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, dass wir Luisa offenbar zu wenig beachtet haben. Das darf uns nicht mehr passieren!«

Gemeinsam wandern die beiden ins Wohnzimmer. Mittlerweile gibt Henri schnorchelnde, regelm?ssige Ger?usche von sich. Offenbar ist er richtig eingeschlafen. Hurra! Ruhe! Caro

setzt sich ganz, ganz vorsichtig auf das Sofa, Marc setzt sich neben sie.

»So. Dann erz?hl mal von deiner tollen Familienidee.«

»Im Grunde genommen hattest du den gleichen Gedanken schon vor einigen Wochen: Also – was haben die meisten Familien gemeinsam?«

»Marc, bitte keine Ratespiele. Ich bin v?llig fertig. Worauf willst du hinaus?«

»Na, einen gemeinsamen Namen. Die meisten Familien haben einen gemeinsamen Nachnamen. Und da dachte ich, es w?re doch sch?n, wenn du und Henri und Luisa gleich heissen w?rdet. So wie ich. Was h?ltst du davon?«

Caro schaut ihn an und zieht die Stirn kraus.

»Marc, ist das ein sehr komplizierter Weg, mich zu fragen, ob ich dich heiraten will?«

Marc grinst.

»?h – ja!«

»Wie kommst du denn ausgerechnet jetzt darauf?«

»Weisst du, Luisa hat eben etwas Bemerkenswertes gesagt: Sie m?chte, dass wir eine richtige Familie Wagner sind. Und das w?re doch ein Anfang. Also – was sagst du?«

Caro l?chelt.

»Ich werde dar?ber nachdenken.«

Menschen! Nicht immer nachdenken, einfach auch mal machen! Meinen Segen habt ihr jedenfalls. Und nun endg?ltig ab ins K?rbchen!

4. HOCHZEITSKÃœSSE

EINS

So, M?dels, jetzt geht’s um die Wurst ! Also volle Aufmerksamkeit !«

In der Kombination mit dem Wort»Wurst« ist so eine Aufforderung an mich nat?rlich v?llig ?berfl?ssig. Ich bin sofort ganz Ohr.

Gut, wahrscheinlich falle ich nicht unter»M?dels« im engeren Sinne, daf?r bin ich als ausgewachsener Dackel aber f?r jede Art von Wurst zust?ndig. Schnell renne ich also dorthin, wo sich nun auch alle Frauen dieser obskuren Veranstaltung aufgestellt haben. Fast alle Frauen. Nur die eine, die eben die Ansage gemacht hat, geht zu einem Tisch auf der anderen Seite des Raumes. Ob sie nun die versprochene Wurst holt ? Ich mache M?nnchen, um das erkennen zu k?nnen. Was tut man nicht alles f?r eine Extraportion Fleisch. Aber falscher Alarm – die Frau nimmt nur den Blumenstrauss aus der Vase, den sie vorhin noch mit sich herumgeschleppt hat. Jetzt dreht sie sich wieder zu uns herum und schwenkt den Strauss ?ber ihrem Kopf.

»Seid ihr bereit ?«

H? ?

»Jaaahaaa !«, schreien die anderen Frauen. Ausser mir scheint jeder zu wissen, was gleich passieren wird. Aber egal, diesen kleinen Nachteil werde ich durch mein wahnwitziges Reaktionsverm?gen ausgleichen. Da k?nnen Menschen sowieso nicht mithalten. Die Frau dreht uns wieder den R?cken zu – und wirft den Strauss pl?tzlich in hohem Bogen ?ber ihren Kopf, direkt auf uns zu.

Verstehe ! Hier soll apportiert werden ! Und wahrscheinlich gewinnt derjenige, der den Strauss zur?ckbringt, eine Wurst. Blitzschnell hechte ich in Richtung Strauss und will hochspringen, um ihn mir zu schnappen – da werde ich von den Damen hinter mir regelrecht ?berrannt. Wie eine v?llig ?berhitzte Meute, die Witterung aufgenommen hat, st?rzen sie ?ber mich hinweg und taumeln derBeute entgegen. Ich muss h?llisch auf meine Pfoten aufpassen und ducke mich weg. Eine Frau mit sehr tiefer Stimme scheint den Strauss erwischt zu haben, jedenfalls kreischt sie »Hab ihn gleich !«, nur um eine Sekunde sp?ter ein herzhaftes »Scheisse !« auszurufen. Wenig damenhaft ! Mein Z?chter, der alte Schlossherr von Eschersbach, h?tte bei so einer Bemerkung garantiert die Brauen gehoben. Bevor ich aber noch dazu komme, ?ber gutes Benehmen beim Menschen nachzudenken, rauscht direkt neben mir der Strauss auf den Boden. Offensichtlich hat meine Konkurrentin nicht nur keine Manieren, sie kann auch nicht gut fangen. Ich z?gere nicht, sondern packe gleich zu, und bevor die Meute weiss, wie ihr geschieht, schl?ngele ich mich zwischen den vielen Damenbeinen hindurch Richtung Tisch. Hier irgendwo muss doch die Werferin mit meinem Hauptgewinn stehen. Also, her mit der Wurst !

Stimmengewirr?ber mir, lautstarke Unmutsbekundungen.

»Wo ist denn der Strauss jetzt ?«

»Und ich hatte ihn schon so gut wie sicher !«

»Verstehe ich nicht – der kann doch nicht einfach verschwunden sein !«

Ich packe den Strauss noch fester. Den nimmt mir keiner mehr weg ! So unauff?llig wie m?glich schleiche ich noch weiter zum Tisch. Ich traue mich zwar nicht mehr, nach oben zu schauen, aber aus den Augenwinkeln kann ich schon den Saum des langen, hellen Kleides sehen, das die Werferin tr?gt. Nur noch ein, zwei Dackell?ngen, dann habe ich es geschafft.

»Da ! Der K?ter hat ihn !«

Mist ! Aufgeflogen ! Jetzt wage ich doch den Blick nach oben– und stelle fest, dass ich mich ganz offensichtlich in einer ?usserst misslichen Situation befinde. Mindestens zehn sehr entschlossen und vor allem sehr finster dreinblickende Frauen steuern direkt auf mich zu. Wuff, das sieht nach m?chtig ?rger aus ! Auf der Suche nach einem geeigneten Fluchtweg drehe ich mich einmal um die eigene Achse – Fehlanzeige ! Die Frauen haben mich umstellt. Jetzt weiss ich, wie sich ein Fuchs f?hlen muss, wenn ihn die Meute erst mal hat: Entsetzlich ! H?tte mir jemand vorher gesagt, welchen Gefahren ein kleiner Hund auf dieser Veranstaltung namens Hochzeit ausgesetzt werden w?rde, ich w?re freiwillig im Auto geblieben !

Nat?rlich k?nnte ich den Strauss auch einfach ablegen und mich vom Acker machen. Aber kampfloses Aufgeben kommt f?r mich, einen stolzen Dackel aus einem alten Jagdhundgeschlecht, selbstverst?ndlich ?berhaupt nicht in Frage. Andererseits: Genau genommen bin ich nur ein Dackelmischling. Das Ergebnis der Liebe meiner Frau Mama zum falschen Mann. Also k?nnte ich vielleicht doch … F?r weitere feige Gedanken bleibt mir keine Zeit, denn auf einmal h?re ich mein Frauchen Carolin rufen.

»Herkules ! Wo steckst du denn ?«

Dem Himmel sei Dank ! Das ist meine Rettung ! Ich packe den Strauss noch ein St?ck fester, dann renne ich entschlossen los in die Richtung, aus der Caros Stimme gekommen ist. Eine Frau will noch nach mir greifen, aber ich knurre einmal kurz und werfe den Turbo an. Schwupps, schon sitze ich vor Caros F?ssen und gucke sie so treuherzig an, wie man es mit einem Strauss Blumen im Maul nur vermag. Caro kniet sich neben mich.

»Hast du etwa den Brautstrauss geklaut ? Du b?ser, b?ser Hund !«

Sie packt mich im Nacken und sch?ttelt mich. Sanft zwar, aber tadelnd. Beleidigt lasse ich das Gebinde fallen. Was heisst denn hier »geklaut« ? Das war ein harter, aber fairer Wettkampf, Mann gegen Mann. Na gut, Frau gegen Hund. Noch h?rter also. Ich schmolle, was mein Frauchen leider nicht sehen kann, weil es mir als Dackel schwerf?llt, einen Flunsch zu ziehen.

Caro hebt den Strauss auf und winkt den anderen Frauen damit zu.

»Ich habe hier was gefunden, was ihr bestimmt schon vermisst.«

Oh, nein, dann soll sie die Blumen doch wenigstens selbst behalten und die Wurst kassieren. Das steigert die Chancen, dass ich auch etwas davon abbekomme. Die alte Besitzerin des Strausses kommt auf uns zu und lacht.

»Kommt gar nicht in Frage, meine Liebe ! Die Regel besagt, dass diejenige Frau, die den Strauss als Erste fest in den H?nden h?lt, ihn behalten muss. Du weisst, was das bedeutet – oder denkst du, dein Dackelchen heiratet als N?chstes ?«

Jetzt lachen auch die anderen Frauen. H? ? Versteh ich nicht – wie kommt die Frau auf solch einen Unsinn ? Das machen wir Hunde doch gar nicht. Und nach dem heutigen Tag weiss ich auch, warum !

Auf einmal steht auch Caros Freund Marc neben uns.

»Aha ! Ein Zeichen ! Siehst du, Carolin – du kannst deinem Schicksal eben nicht entgehen. Jetzt hast du den Brautstrauss gefangen, obwohl du gar nicht mitgemacht hast.« Dann b?ckt sich Marc und streichelt mir ?ber den Kopf. »Gut gemacht, Kumpel. Bist ein braves Hundchen.«

Komisch. Eben war ich noch der b?se Hund, und nun der brave. Das verstehe, wer will. Ich nicht. Aber was auch immer es bedeutet, es f?hrt jedenfalls dazu, dass der Frauenmob sich wieder aufl?st und mir anscheinend keiner mehr ans Leben will. Also entspanne ich mich und trotte mit Caro und Marc zu dem Tisch, an dem beide eben noch gesessen haben. Als sie sich wieder setzen, lege ich mich neben Marcs Stuhl und beschliesse, nicht mehr von seiner Seite zu weichen. Ist schliesslich ein gef?hrlicher Ort hier. Marc krault mich noch einmal hinter den Ohren, dann greift er nach Caros Hand.

»Eine sch?ne Hochzeit, nicht ?«

Caro nickt, ich zucke zusammen. Auch wenn nicht jede Hochzeit so gef?hrlich sein sollte wie diese – f?r meinen Geschmack handelt es sich in jedem Fall wieder um eine dieser v?llig ?berfl?ssigen Menschenveranstaltungen, auf denen viel L?rm ohne greifbares Ergebnis gemacht wird. Auf einer Treibjagd geht es zwar auch hoch her, aber daf?r liegen nachher wenigstens f?nf, sechs ordentliche Wildsauen auf der Lichtung.

Aber Marc l?sst nicht locker.

»Ich finde, wir sollten langsam auch mal unsere Hochzeit planen. Das wollten wir doch eigentlich l?ngst tun.«

Wie bitte ? Die beiden wollen ihre Hochzeit planen ? Wieso weiss ich davon nichts ? Und vor allem: Ist das denn wirklich eine gute Idee ? Der heutige Tag hat es doch eindeutig gezeigt: Hochzeit ist, wenn Frauen hysterisch werden. Ich weiss nicht, ob das das Richtige f?r unsere Caro ist. Ich finde, wir sollten das lassen. Aber mich fragt ja wieder keiner.

»So, Caro und Marc planen jetzt also ihre Hochzeit. Wie sch?n.«

Herr Beck liegt langgestreckt auf dem flauschigen Teppich in der Wohnung von Caros Freundin Nina und sieht sehr zufrieden aus. Ein sch?ner Gegensatz zu meiner momentanen Gem?tsverfassung, was ?brigens fast an ein Wunder grenzt. Normalerweise ist der dicke schwarze Kater, der gleichzeitig mein bester Freund ist, f?r schlechte Laune zust?ndig und ich f?r gute. Und diese ?bliche Rollenverteilung gef?llt mir deutlich besser, ich bin n?mlich nicht besonders gern schlecht gelaunt.

Heute l?sst es sich aber nicht ?ndern, denn mein Gef?hl sagt mir, dass diese Hochzeitsnummer f?r m?chtig Unruhe in meinem Dackelleben sorgen wird. Dabei hatte ich mich schon so auf einen netten, beschaulichen Fr?hling mit meiner Familie gefreut. Endlich mal Ruhe nach dem ganzen Tohuwabohu der letzten Jahre. Mein Frauchen Carolin ist nat?rlich der tollste Mensch der Welt, aber in den drei Jahren, die wir schon zusammenleben, ist f?r meinen Geschmack bereits genug passiert: Erst mussten wir Caros alten Freund loswerden, dann einen neuen finden, als N?chstes mit ihm und seiner kleinen Tochter zusammenziehen und schliesslich noch ein eigenes Baby bekommen. Gut, wenn ich »wir« sage, ist das nicht ganz korrekt, tats?chlich musste sich ja Carolin trennen, neu verlieben und das Baby bekommen – aber irgendwie hat es sich f?r mich so angef?hlt, als w?re ich mindestens zur H?lfte beteiligt. Vor allem musste ich das ganze Chaos ausb?geln, das mein Frauchen und die anderen Menschen dabei verursacht haben. Ich habe mir also eindeutig eine Schonzeit verdient, aber das Kitzeln in meiner Schwanzspitze l?sst ahnen, dass es nicht so kommen wird. Und meine Schwanzspitze irrt sich nie. Niemals.

»He, alles in Ordnung, Kumpel ? Du guckst ja so tr?be.«

Alle Achtung ! Jetzt hat sogar mein sonst f?r Hundebelange so unsensibler Freund Beck bemerkt, dass ich schlecht gelaunt bin.

»Ja, dieses Hochzeitsdings macht mich nerv?s. Wir waren gerade erst auf einer, das war schrecklich. Nie im Leben h?tte ich gedacht, dass die beiden jetzt auch so was veranstalten wollen.«

»Hm.« Beck streckt sich noch ein bisschen mehr, dann rappelt er sich hoch, kommt zu mir geschlichen und setzt sich. »Aber hast du mir nicht irgendwann schon mal erz?hlt, dass die beiden heiraten wollen ?«

»Ja. Dagegen habe ich auch nichts. Aber was hat das mit unserem Thema zu tun ?«

Beck starrt mich verst?ndnislos an.

»H? ?«

»Na, wie kommst du jetzt aufs Heiraten ? Was hat das mit der Hochzeit zu tun ?«

»Bist du wirklich so bl?d oder stellst du dich nur so, um mich zu ?rgern ?«

Jetzt ist es an mir, verst?ndnislos zu gucken.

»Nee, ich verstehe es gerade wirklich nicht. Caro und Marc wollen sich heiraten, weil sie sich lieben und f?r immer zusammenbleiben wollen. So von wegenewige Treue und so. Wie J?ger und Jagdhund.« Diese Erkl?rung habe ich mir jedenfalls aus dem zusammengereimt, was Marc und Caro in dem Zusammenhang schon besprochen haben. Das ist f?r einen kleinen Hund schon eine ziemliche Leistung, finde ich ! »Was aber ewige Treue mit so einer Gruselnummer zu tun hat, bei der man wahllos Blumenstr?usse durch die Gegend wirft, das erschliesst sich mir ?berhaupt nicht.«

Beck seufzt.

»J?ger und Jagdhund. Also echt jetzt. Ich erkl?re es dir mal: Wenn Menschen heiraten, dann feiern sie ein grosses Fest. Und dieses grosse Fest nennt man Hochzeit. Verstanden ?«

Ich hab’s geh?rt. Verstanden habe ich es nicht.

»Und wieso machen sie das ? Heiraten tun doch bei den Menschen immer nur zwei Exemplare. Wieso m?ssen dann so viele von ihnen zu einer Hochzeit kommen ?«

Die Beck’sche Schwanzspitze wedelt hin und her. Ein untr?gliches Zeichen f?r schweres Nachdenken.

»Hm, keine Ahnung. Sch?tze mal, damit m?glichst viele von ihnen merken, dass ein Paar verheiratet ist.«

»Du meinst, damit das mit der ewigen Treue auch besser klappt ? Weil die anderen dann ja wissen, dass die beiden Menschen vergeben sind ?«

Herr Beck legt den Kopf schief.

»W?re denkbar.«

»Okay. Dann sollte man nat?rlich m?glichst viele Menschen auf so eine Hochzeit kriegen. Eigentlich alle, die man kennt. Sicher ist sicher.« Das w?rde nat?rlich auch erkl?ren, warum es bei der Hochzeit, auf der ich mit Marc und Caro war, so voll war. Und warum die Frauen alle so verr?cktgespielt haben. Denen war auf einmal klar geworden, dass schon wieder ein Mann vom Markt verschwunden war. Da sind sie ein bisschen durchgedreht. Klare Sache. Und deswegen ist Caro so ruhig geblieben. Weil die ja weiss, dass sie Marc so gut wie sicher hat. Was das mit dem Blumenstrauss sollte, weiss ichzwar immer noch nicht, aber vielleicht konnten die Frauen den verbliebenen M?nnern in dieser Art Wettbewerb zeigen, dass sie eine gute Kandidatin zum Heiraten w?ren. Puh, ich glaube, ich qualme langsam aus den ?hrchen.

»Sag mal, sind Nina und Alex eigentlich verheiratet ?«, will ich von Beck wissen.

Der sch?ttelt den Kopf.

»Nicht dass ich w?sste. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie es nicht sind. Nina sagt n?mlich immer, dass sie nicht an die Ehe glaubt. Dann guckt Alex jedes Mal ein bisschen ungl?cklich, aber was will er machen ? Ich glaube, man kann einen anderen nicht zum Heiraten zwingen. Selbst wenn man es ganz doll m?chte. Nur ihn wieder loswerden, das geht auch, wenn der andere gar nicht will. So funktioniert das bei den Menschen.«

Aha. Nina, die alte Ziege. Da m?chte ihr Freund ihr ewige Treue schw?ren, und sie will nicht. Wundern tut es mich allerdings nicht. Nina ist Caros beste Freundin, aber trotzdem ganz anders als Caro. Schon rein ?usserlich: Nina ist gross und dunkelhaarig, Caro zierlich und blond. Und w?hrend Caro immer etwas Warmes, Liebes hat, kann Nina ganz sch?n ?tzend zu ihren Mitmenschen sein. Sie weiss meist genau, was sie will, und auch, was sie nicht will, und l?sst das die anderen sofort sp?ren. Dass Alex sich gleich in sie verliebt hat, kaum dass sie in die Wohnung ?ber Caros Geigenbauwerkstatt gezogen war, ist mir bis heute schleierhaft. Wieso verbringt der gerne Zeit mit jemandem, der oft so kratzb?rstig ist ? Andererseits: Ich verbringe ja auch viel Zeit mit Herrn Beck. Und das ist auch nicht immer die reine Freude.

Ein Schl?ssel wird im Schloss gedreht. Caro und Nina haben ihren kleinen Einkauf, f?r den ich hier geparkt wurde, offenbar beendet. Schon h?re ich ihre Stimmen – sie scheinen bestens gelaunt, jedenfalls kichern beide, als sie in den Flur kommen. Jede hat mehrere grosse T?ten in der Hand, ein sicheresIndiz, dass es sich bei dem Einkauf um eine sogenannteShoppingtour gehandelt hat. Da kann ich wirklich froh sein, dass ich nicht mitmusste. Nichts ist langweiliger, als stundenlang in irgendwelchen Gesch?ften rumzulungern, in denen kein einziger Zipfel Fleischwurst verkauft wird.

Die Frauen stellen die T?ten ab und gehen ins Wohnzimmer, ich hinterher. Hier ist ein Haustier, das gestreichelt werden will !

Leider sind die beiden Damen so in ihr Gespr?ch vertieft, dass mich Caro v?llig ignoriert. Sie setzt sich neben Nina auf die Couch und begr?sst mich nicht einmal richtig, als ich mich direkt auf ihre F?sse lege. Na, das muss ja ein rasend interessantes Thema sein, das die beiden da am Wickel haben !

»Ja, also Stefanie sah in diesem langen, weissen Unget?m aus wie ein riesiges Baiser. Vielleicht h?tten es zwei Lagen T?ll weniger auch getan«, berichtet Caro.

»Schade, dass ich nicht dabei war. Das h?tte ich gern gesehen: Stefanie als Baiser. Ich meine, eine Elfe ist sie ja nicht gerade – wenn dann noch ihr schlechter Geschmack hinzukommt …«

»Ts, ts, ts, Nina ! Und das ist auch der Grund, warum du so selten auf Hochzeiten eingeladen wirst: Du bist einfach zu boshaft !«

»Ooch, und ich w?re sooo gerne dabei gewesen !«

Wieder lachen beide. Ich verstehe nicht ganz, wor?ber. Dass Nina bisweilen sehr boshaft ist, w?rde ich sofort unterschreiben. Ich meine, wenn ich schreiben k?nnte. Ansonsten finde ich nicht, dass Nina etwas verpasst hat. Denn seit der NameStefanie in der Kombination mitHochzeit gefallen ist, ist mir klar, dass es hier um die Veranstaltung mit der total verr?ckten Frauenmeute vor ein paar Tagen gehen muss.

»Aber mal im Ernst: Es gab tats?chlich einen rasend komischen Auftritt von Herkules. Er hat sich n?mlich den Brautstrauss geschnappt und ihn mir gebracht. Das h?ttest du mal sehen sollen: Stefanie wirft, und alle st?rzen sich wie die Geier auf das Teil. Und wer hat ihn am Ende ? Mein kleiner Herkules ! Und dann ab durch die Mitte damit zu Frauchen. Zum Wegschmeissen !«

Nina sch?ttelt den Kopf.

»Und jetzt heiratest du als N?chstes, oder wie ?«

Jetzt kichert Caro wieder, und soweit ich das von hier unten beurteilen kann, nickt sie.

»Klar, so will es der Brauch. Wer den Strauss f?ngt, heiratet als N?chstes !«

WUFF ! Ach deswegen waren die alle so hinter den Blumen her ! Da wird mir ja so einiges klar. EinBrauch. Also etwas eigentlich v?llig Sinnfreies, was die Menschen aber schon seit grauer Vorzeit machen und es deswegen f?r immens wichtig halten, ja, ihm sogar eine gewisse Zauberkraft zusprechen. Ich habe in meiner Zeit als Haustier schon die seltsamsten menschlichen Br?uche kennengelernt, aber dieser hier z?hlt definitiv zu den bl?desten. Blumen werfen, um mit dem Heiraten dran zu sein. L?cherlich. Wieso eigentlich halten sich die Menschen f?r vernunftbegabt ?

»Wenn das so ist, dann muss ja eigentlich Herkules als N?chstes heiraten.« Ninas sp?ttischer Unterton verr?t mir, dass sie eine ?hnliche Einsch?tzung hinsichtlich dieser Art von Brauchtum hat.

»Hach, nun sei doch nicht so. Ich finde, es ist ein netter Brauch. Und ausserdem wollte ich auch gar nicht mitmachen«, erkl?rt Caro und klingt dabei entschuldigend.

»Gut. Also keine Hochzeit. Dann bin ich beruhigt.«

»?h, na ja, heiraten wollen wir ja schon l?nger, und tats?chlich findet Marc jetzt, dass wir mal langsam mit der Planung anfangen sollten.«

»Also doch«, seufzt Nina, »ich hab’s ja geahnt.«

»Mensch, Nina, mach’s mir doch nicht so schwer.«

»Bitte ? Was mach ich dir denn schwer ?«

»Na, die Frage zu stellen, die ich trotz deiner Hochzeitsallergie die ganze Zeit an dich loswerden will. Deswegen rede ich auch schon den halben Nachmittag ?ber das Thema.«

»Welche Frage denn ?« Nina klingt erstaunt.

»Ob du meine Trauzeugin werden m?chtest. Ich meine«, Caro schluckt, »ich weiss ja, du und Marc, das ist nicht immer einfach … Aber es w?rde mir sehr viel bedeuten. Wirklich !«

Jetzt sagt Nina erst mal gar nichts, dann schluckt auch sie und umarmt Caro. Was auch immer das WortTrauzeugin genau bedeutet, es muss etwas enorm Wichtiges sein.

»Aber nat?rlich. Du bist doch meine beste Freundin.«

Jetzt kichern wieder beide– oder ist das eher ein Schluchzen ? Ich lausche genauer hin. Tats?chlich, sie scheinen vom Lachen zum Weinen ?bergegangen zu sein. Sehr seltsam. Eine Weile sagt keine von beiden etwas, dann r?uspert sich Caro und sagt mit belegter Stimme:

»Danke, ich freue mich sehr dar?ber. Und ich gelobe hiermit hoch und heilig: Es wird ein kleines, intimes Fest. Keine Riesenhochzeit. Kein Brautstraussgewerfe. Und garantiert kein Baiser. Indianerehrenwort !«

Wuff ! Da bin ich jetzt aber wirklich froh ! K?nnte mir jetzt noch mal schnell jemand erkl?ren, was eine Trauzeugin ist ?

ZWEI

Ja, wo ist denn der kleine Henri ? Da ist der kleine Henri ! Ja, wo ist denn der kleine Henri ? Daaaa ist der kleine Henri ! Ja, wo ist denn der kleine Henri ? Daaaaaaa…«

Eine gef?hlte Ewigkeit geht das schon so. Oma Hedwig legt Baby Henri ein Stofftuch ?ber das Gesicht, dann zieht sie es schnell weg. Baby Henri gluckst vor Freude, und auch Oma strahlt ?ber das ganze Gesicht. Dass man Menschenkinder mit einem dermassen stupiden Spiel bei Laune halten kann – unglaublich! Jeder Hundetrainer, der sich so an einem Welpen versuchen w?rde, w?re gleich die Lizenz los. Aber Henri ist begeistert und jedes Mal wieder ?berrascht, seine Oma hinter dem Tuch zu entdecken.

Eines steht schon mal fest: Henri ist nicht die hellste Kerze auf der Torte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er bei seinen begrenzten intellektuellen F?higkeiten jemals so einen komplizierten Menschenkram wie Lesen und Schreiben lernt. Aber auch f?r einfache Kommandos wieSitz ! Platz ! oderBring’s ! sehe ich schwarz, ich glaube, Henri h?tte bei einer Gebrauchshundepr?fung keine Chance.

Der sich klar abzeichnende Schwachsinn ihres Enkels tut Hedwigs Freude trotzdem keinerlei Abbruch. Seltsam. Sonst ist sie doch immer so ehrgeizig. Mit Luisa, Henris grosser Schwester, ?bt sie zum Beispiel gern und viel f?r die Schule. Wenn es dann gut klappt, ist sie furchtbar stolz auf Luisa und erz?hlt jedem, der es h?ren will, wie schlau und begabt ihre Enkeltochter ist. Weil sie es offenbar auch jedem erz?hlt, der es nicht h?ren will, bekommt sie dann manchmal sogar ?rger mit Marc. Dem ist so viel Angeberei n?mlich ein bisschen peinlich. Hedwig ist das allerdings egal – kein Wunder, sie ist schliesslich Marcs Mutter. Meine Mutter h?tte sich von mir auch nichts sagen lassen. Von mir nicht und auch von keinem anderen Junghund. Da war sie ganz klar die Chefin des Rudels, als ?ltester Hund nach meinem Opili. Und genauso ist Hedwig. Eindeutig Chefin, auch wenn das den anderen ?berhaupt nicht passt. Insbesondere Caro rollt sehr gerne mit den Augen, wenn Hedwig allen anderen Menschen mal wieder gute Tipps zur allgemeinen Lebensf?hrung gibt.

Interessanterweise tun sich Menschen nach meiner mittlerweile jahrelangen Beobachtung?berhaupt schwer mit der Rangordnung in der Familie. Wie viel Zeit die damit verdaddeln zu kl?ren, wer gerade recht hat und demzufolge bestimmen darf. Das ist bei uns Hunden eindeutig besser geregelt. Es gibt nur einen H?uptling, die anderen sind Indianer. Ganz einfach. Kann sich selbst der d?mmste Dackel merken. W?re insofern auch die beste L?sung f?r den dummen Henri. Mit allem anderen ist das kleine Kerlchen doch v?llig ?berfordert.

Wo wir gerade bei?berfordert sind: Die Sauberkeitserziehung scheint kleinen Menschen auch sehr schwerzufallen. Gerade in diesem Moment f?ngt Henri n?mlich an, einen sehr unsch?nen Geruch zu verstr?men. Ist es denn zu glauben ? Schon fast ein Jahr alt und immer noch nicht stubenrein. Der alte von Eschersbach w?re fuchsteufelswild geworden, wenn ich in diesem Alter noch einen Haufen in den Salon von Schloss Eschersbach gesetzt h?tte. Aber auch hier geniesst Henri Narrenfreiheit – im Gegenteil, Hedwig entlockt der infernalische Gestank sogar ein L?cheln. Sie beendet ihr albernes Tuch-wegzieh-Spiel und hebt Henri vom Boden hoch.

»Mein S?ssili, hast du etwa Pupsi in der Windel ? Oma macht schnell wischi-wischi, dann ist alles wieder gut.«

Okay, der Fairness halber muss ich sagen, dass Henri bei so einer Ansprache auch?berhaupt keine Chance auf eine angemessene Entwicklung seiner geistigen F?higkeiten hat.

Caro, die bis eben noch damit besch?ftigt war, Eink?ufe in den K?hlschrank einzur?umen, kommt zu uns ins Wohnzimmer.

»Komm, Hedwig, ich wickle ihn schnell selbst.«

»Ach, meine Liebe, nun lass doch mal die Oma machen. Koch du dir doch in Ruhe einen Kaffee und entspann dich etwas.«

»Vielen Dank, aber ichbin entspannt. Ich finde es total nett, dass du heute Morgen auf Henri aufgepasst hast, aber jetzt bin ich ja wieder da– da musst du dich nicht noch mit Henris dreckigen Windeln rumschlagen.«

T?usche ich mich, oder klingt Carolin ein wenig gereizt ? Warum nur ? Es war doch wirklich nett von Hedwig, sich um den Stinker zu k?mmern. Bei Beck und mir h?tte sie ihn nicht parken k?nnen, f?r eine sachgerechte Betreuung h?tte ich jedenfalls nicht garantiert. Und dann h?tte sie ihn mit zumShoppen nehmen m?ssen, was – unter uns gesagt – auch in die Hose h?tte gehen k?nnen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Ich war einmal bei einer solchen Tour dabei, ich weiss genau, wovon ich spreche.

Es war das nackte Grauen. Henri hatte auf einmal die Windel voll, Caro aber keine neue dabei. Erst stank das Baby nur, dann fing es an zu heulen. Und zwar ununterbrochen. Anstatt jetzt aber von Caro angefaucht zu werden, wie sie es bei mir sicherlich getan h?tte (»Aus, Herkules ! ! !«), wurde Klein Henri noch getr?stet. Pah ! Keine Dackelmutter w?rde ihre Welpen so verz?rteln ! So wird man niemals ein richtiger Jagdhund. Das Ende vom Lied war, dass wir den Laden schliesslich verlassen haben, ohne auch nur eine einzige Sache gekauft zu haben. Also, ohne Oma Hedwig h?tte es f?r Caro heute bestimmt keinenentspannten Einkaufsbummel mit Nina gegeben.

Etwas?hnliches scheint sich auch Hedwig zu denken, jedenfalls sieht ihr Gesichtsausdruck gerade sehr nachUndank ist der Welt Lohnaus. Im Deuten von menschlichen Gesichtsausdr?cken bin ich inzwischen ziemlich gut, was enorm wichtig ist, da Menschen nur in den seltensten F?llen sagen, was sie wirklich meinen. Oder wirklich meinen, was sie sagen. Insofern lohnt sich das Studium der menschlichen K?rpersprache und Mimik f?r ausnahmslos jedes Haustier, denn selbst ein Wellensittich will doch irgendwann einmal wissen, woran er bei Herrchen oder Frauchen tats?chlich ist.

»Du, ich wollte dir nur helfen. Aber wenn du lieber selbst die Windeln wechselst – bitte sehr ! Ich habe zwar selbst einen Sohn grossgezogen, aber ich muss mich nicht aufdr?ngen. Dann gehe ich jetzt.«

Bingo. Hedwig ist beleidigt. Und Caro rollt bestimmt gerade wieder mit den Augen.

»Tut mir leid, so war das doch gar nicht gemeint. Ich freue mich doch, dass du dich so lieb um Henri k?mmerst. Komm, ich setz uns jetzt beiden einen Kaffee auf, ein Rest Streuselkuchen ist auch noch da.«

Aha. Die Friedenspfeife.

»Na gut, wenn du meinst … dann bleibe ich noch ein bisschen. Aber vorher wickle ich Henri.«

Ich sag’s ja. Hedwig ist der Boss.

Caro und Marc sitzen mit einem Glas Rotwein auf dem Sofa, ich liege davor. Wobei– eigentlich liegt auch Caro. Sie hat die Beine ?ber die eine Sofalehne geschwungen, ihr Kopf liegt auf Marcs Schoss, er wuselt mit seinen H?nden durch ihre Haare. Sieht sehr gem?tlich aus. Gerne w?rde ich mich jetzt heimlich dazwischenmogeln und mich auch kraulen lassen, aber wahrscheinlich w?rde Marc das sofort merken und mich runterschmeissen.

Also bleibe ich, wo ich bin, und geniesse den Moment. In der Wohnung hat sich n?mlich eine herrliche Stille ausgebreitet. Baby Henri schl?ft endlich, und seine grosse Schwester Luisa ist noch auf dem Ponyhof, es sind M?rzferien. Das Leben kann so sch?n friedlich sein. Anders als Herr Beck mag ich Kinder – ehrlich ! Und unsere beiden eigenen nat?rlich besonders, aber manchmal sind die ganz sch?n laut. Wie ?berhaupt die meisten Menschen laut sind. Das muss irgendwie rassespezifisch sein. Ohne Ger?usch l?uft da fast gar nichts. Selbst Marc und Caro reden fast ununterbrochen, wenn sie zusammen sind. Umso sch?ner, dass auch sie jetzt schweigen – ich k?nnte stundenlang so mit ihnen herumliegen.

Kurz bevor mir die?uglein zufallen, r?uspert sich Caro. Okay, f?r stundenlanges Schweigen ist der Mensch wohl einfach nicht gemacht.

»Ich habe Nina heute ?brigens gefragt, ob sie meine Trauzeugin sein mag.«

»Hm.« Marc gibt nur eine Art Grunzen von sich.

»Du findest das also doof.«

»N?. Wieso ?«

»Weil du gar nichts dazu sagst.«

Marc lacht.

»Das ist ja nun typisch – ich sage nichts, und du h?rst aus meinem Nichtssagen trotzdem etwas heraus.«

Caro rappelt sich von seinem Schoss hoch.

»Nun tu mal nicht so. Es ist die Art,wie du nichts gesagt hast. Die war ganz eindeutig.«

Jetzt lacht Marc nicht mehr, sondern seufzt.

»Okay. Wie habe ich denn bitte nichts gesagt ?«

»Na, total missbilligend. Weil du es eben doof findest, dass Nina meine Trauzeugin wird. Du magst sie nicht.«

»Stimmt doch gar nicht. Ich mag Nina. Ich habe eher das Gef?hl, dass ich nicht sonderlich hoch bei ihr im Kurs stehe. Eben als der Typ, der mit ihr geflirtet, aber sich dann in ihre beste Freundin verliebt hat.«

Richtig. Genauso war es. Damals, als Nina und Caro mit mir in Marcs Tierarztpraxis auftauchten, weil er eine Zecke bei mir entfernen sollte. Erst ging Marc mit Nina aus, am Ende landete er bei uns. Begeistert war Nina dar?ber nicht. Sollte Caro das etwa vergessen haben ? Ich lege meine Schnauze auf die Sofakante und mustere sie.

»Das ist doch nun schon Jahre her. Ich bin mir sicher, dass du dir das einbildest. Ich meine, so toll, dass Frauen dir noch ewig hinterhertrauern, bist du nun auch wieder nicht.«

Sie lacht und knufft Marc in die Seite, der guckt bel?mmert.

»Wie, bin ich etwa nicht ?«

»Nee. Noch dazu, wo Nina gar nicht wissen kann, dass du der weltbeste K?sser bist, den frau garantiert nie vergisst. Oder ?«

Marc zuckt mit den Schultern.

»Hm, weiss sie das etwa nicht ? Moment, da muss ich mal ?berlegen … also, vielleicht weiss sie es ja doch … oder … ?h …«

»Hey !« Jetzt knufft ihn Caro noch mal, allerdings deutlich fester als beim ersten Mal. »Weiss sie es doch ? Frechheit ! Ich dachte, ihr habt nie …«

Marc f?ngt ihre Hand ab, die wieder in Richtung seiner Rippen zielt.

»Aua ! Das war doch nur ein Spass ! Nein, wir haben uns nie gek?sst. So weit ging’s nicht.«

Caro grinst, zieht Marc zu sich her?ber und k?sst ihn.

»Na, dann ist ja gut. Ich bin auch wirklich sicher, dass Nina ohne bleibende Sch?den ?ber dich hinweggekommen ist. Und mit Alex ist sie doch f?r ihre Verh?ltnisse schon ziemlich lange in festen H?nden.«

Marc nickt.

»Gut, dann gestehe ich hiermit aufrichtig, dass mein Schweigen vorhin in der Tat vielsagend war, aber meine Vorbehalte gleichzeitig v?llig unberechtigt. Nina wird bestimmt eine tolle Trauzeugin.«

Sie k?ssen sich wieder. Sch?n, dass ihr euch da so einig seid. Ich bin hingegen noch kein St?ck schlauer, was die Geschichte mit der Trauzeugin anbelangt. Was bedeutet das ? Und was hat Nina damit zu tun ? Was ein Zeuge ist, weiss ich ja. Das ist jemand, der etwas gesehen hat, worauf es ankommt, und das dann nachher anderen Menschen erz?hlen kann. Als Beweis f?r irgendetwas. Beweise sind bei Menschen n?mlich sehr wichtig, mit dem einfachen Glauben haben die es oft nicht so. Das hat mir Herr Beck erkl?rt, der mal bei einem Anwalt gewohnt hat. Was k?nnte Nina gesehen haben, was nun so wichtig ist ? Es muss ja mit dem Heiraten zu tun haben, das hat Caro selbst gesagt. Also, wie war das noch ?

Beim Heiraten schw?ren sich zwei Menschen ewige Liebe und Treue. Liebe und Treue, Liebe und …. ha ! Ich hab’s ! Nina hat gesehen, dass sich Caro und Marc wirklich lieben ! Das hat sie schon daran gemerkt, dass Marc nicht sie, sondern Caro gek?sst hat. Und genau das kann sie jetzt bezeugen. Deswegen ist sie nunnat?rlich die ideale Trauzeugin. Ich bin einfach ein superschlaues Kerlchen, das muss ich schon sagen. Was mir noch nicht ganz klar ist: Vor wem muss Nina das bezeugen ? Vor den ganzen Hochzeitsg?sten ? Oder vor Marcs Mama Hedwig ? Darf die die Heirat sonst m?glicherweise verbieten ? Oder wie oder was ?

W?hrend ich noch dar?ber gr?ble, was das wohl alles zu bedeuten hat, steht Marc vom Sofa auf – und tritt mir dabei genau auf die Rutenspitze. Aua ! Ich jaule laut auf, Marc springt erschreckt zur Seite.

»Oh, Mann, Herkules, das tut mir leid ! Dich habe ich gar nicht hier liegen sehen. Tut’s noch weh ?«

Na, ehrlicherweise nein. Ich entscheide, dass ein bisschen mehr Jaulen trotzdem keinesfalls schaden kann.

»Armes Dackelchen ! Komm, ich schau mal in der K?che nach einem kleinen Leckerli f?r Wautzi.«

Guter Mann ! Normalerweise ist Marc niemand, der zum Verw?hnen von Haustieren neigt, aber ein gutes Herz hat er trotzdem. Das w?rde ich sofort und ?berall bezeugen. Also, falls Ninas Wort allein nicht genug Gewicht hat: Nehmt mich ! Auch wenn ich nicht sprechen kann. Ich mache mich schon irgendwie verst?ndlich.

In diesem Augenblick kommt es offenbar zu einem der seltenen F?lle von Gedanken?bertragung zwischen Haustier und Frauchen. Caro steht vom Sofa auf, folgt Marc in die K?che und stellt sich neben ihn, als er in der Vorratskammer nach dem Leckerli sucht.

»Sag mal, wer soll denn dein Trauzeuge werden ?«

Ich hab’s ja geahnt ! Nina allein reicht nicht als Zeugin f?r eine Hochzeit ! Sofort hefte ich mich an Caros Bein und wedele euphorisch mit dem Schwanz. Marc schaut erst Caro, dann mich an. Perfekt ! Bestimmt begreift er jetzt, dass der beste Trauzeuge schon vor ihm sitzt. Oder, um es mit dem alten vonEschersbach zu sagen:Warum in die Ferne schweifen ? Sieh, das Gute liegt so nah !

»Mensch, Herkules, nun beruhig dich mal, du kriegst ja gleich dein Goodie. Was hast du gerade gesagt, Caro ?«

Okay. W?hrend die Gedanken?bertragung zu Frauchen funktioniert, muss an der zu Frauchens Herrchen noch gearbeitet werden.

»Ich wollte wissen, wer eigentlich dein Trauzeuge werden soll.«

»Tja, da habe ich noch gar nicht dr?ber nachgedacht. Vielleicht …« – wildes Schwanzgewedel meinerseits – »Herkules, aus !« Menno ! »Mein Trauzeuge. Gute Frage. Vielleicht Georg ?«

WER ? Georg ? V?llig falsch ! Ich heisse Herkules. HERKULES. Von mir aus auch Carl-Leopold von Eschersbach, mein eigentlicher Name, der leider im Tierheim verlorenging, bevor mich Carolin dort rettete. Auf jeden Fall nicht Georg. Wer ist das ?berhaupt ? So ein enger Freund kann das ja nicht sein, wenn ich den Namen noch nie geh?rt habe. Und der soll jetzt an meiner statt als Zeuge daf?r dienen, dass man Marc bedenkenlos heiraten kann ? Das Wort eines Unbekannten gilt bei Hedwig offensichtlich mehr als meines, nur weil ich ein Dackel bin und der andere ein Mensch ist ?

Ach Mist, jetzt bin ich wirklich entt?uscht. Niemand nimmt mich hier ernst. Dabei wollte ich eben noch bezeugen, was f?r ein gutes Herz dieser Bl?dmann von Marc hat. Warum eigentlich ? Soll er doch sehen, wie weit er mit diesem Georg kommt. Aber wehe, mit dem klappt es nicht: Bei mir ist jetzt zeugentechnisch der Ofen aus, wuff ! Da braucht er gar nicht mehr anzukommen. Beleidigt stelle ich das Wedeln ein und trolle mich aus der K?che. Das Leckerli kann Marc getrost selbst fressen. Menschen sind so verdammt unsensibel !

DREI

Mit Kindern ist es zwar laut, ohne aber ein bisschen langweilig. Deshalb bin ich froh, dass Carolin am n?chsten Morgen beschliesst, mit Henri einen Ausflug in ihre Werkstatt zu machen. Vielleicht bringt mich Herr Beck auf andere Gedanken, ich bin immer noch ziemlich angefasst wegen dieser Trauzeugengeschichte. Zeit also f?r ein gutes Gespr?ch unter Haustieren.

Fr?her haben wir alle im selben Haus gewohnt, Caro, Herr Beck und ich. Die Werkstatt ist im Erdgeschoss, Caros alte Wohnung war direkt dar?ber im ersten Stock. Und ?ber uns, im zweiten Stock, wohnte Herr Beck mit seinem alten Frauchen, Frau Wiese. Dann zogen Caro und ich zu Marc und Luisa, und Nina ?bernahm erst unsere alte Wohnung. Und dann auch noch den fetten Kater, als n?mlich Frau Wiese ins Altenheim kam. Ich habe Herrn Beck jeden Tag gesehen, denn erst waren wir Nachbarn, und dann habe ich Caro immer in die Werkstatt begleitet. Jetzt aber sind unsere Besuche selten geworden, denn seit das Baby auf der Welt ist, arbeitet Carolin nur noch wenig. Die meisten Geigen baut jetzt wohl ihr Freund und Kollege Daniel. Und ich merke, dass ich Herrn Beck vermisse.

Allerdings soll es gl?cklicherweise nicht bei diesem Zustand bleiben. Wenn ich es richtig verstanden habe, endet bald etwas, das sichElternzeit nennt, und Caro geht wieder t?glich in die Werkstatt. Ob das gleichzeitig bedeutet, dass wir Henri zur?ckgeben, weiss ich nicht. W?re eigentlich schade, ich mag den Kleinen, auch wenn er nicht besonders schlau ist. Die Art, wie er mich zum Beispiel gerade jetzt sehr zahnlos anstrahlt, ist schon r?hrend. Nein, ich finde, Rudelmitglieder sollte man behalten, auch wenn sie eigentlich keinen grossen Nutzen haben. Schliesslich hat von Eschersbach meinem Opili auch noch ein warmes Pl?tzchen geboten, als man mit ihm nicht mehr auf die Jagd gehen konnte.

»Bawah, gaaah !«, scheint mir Henri zuzustimmen. Mittlerweile kann er in seinem Kinderwagen sitzen und verfolgt alles, was wir auf dem kurzen Spaziergang durch den Park zur Werkstatt sehen, ganz genau. V?gel, Hunde, andere Kinder – jeder wird von ihm mit einem glucksenden Ger?usch begr?sst. Erinnert mich sehr an meine ersten Ausfl?ge in den Park – jede Eichh?rnchenf?hrte war neu und aufregend, bei jedem Kaninchen wollte ich sofort hinterher. Vielleicht sind sich Welpen und Babys doch ein bisschen ?hnlich.

Caro?ffnet die Pforte, die vom Park direkt in den grossen Garten hinter der Werkstatt f?hrt, und schiebt den Kinderwagen hindurch. Ich schnuppere kurz – eindeutig Herr Beck. Sehr gut, dann kann er nicht weit sein ! Wahrscheinlich liegt er neben dem riesigen Baum am Blumenbeet, seinem erkl?rten Lieblingsplatz. Ich trabe los, um ihn zu suchen.

Noch bevor ich ihn aber entdecken kann, stolpere ich fast?ber Daniel, der sich dort hingelegt hat, wo ich Herrn Beck vermutet habe: eben neben besagtes Blumenbeet. Ich bremse scharf und komme mit meiner Schnauze genau vor seinem Gesicht zum Stehen. Was macht der denn hier ? F?r einen Menschen ist das ein ziemlich ungew?hnlicher Ort, um ein Nickerchen zu machen – ohne Fell ist es zum Draussen-Herumliegen eigentlich noch zu kalt. Ob es Daniel nicht gut geht ? Immerhin hat er die Augen fest geschlossen. Ich schnuppere an ihm: Hm, riecht v?llig normal. Tot ist der schon mal nicht. Sehr beruhigend. In der Zwischenzeit ist auch Caro beim Blumenbeetangekommen.

»Daniel, was ist denn mit dir los ? Geht’s dir nicht gut ?«

Frauchen findet das also auch nicht normal, wenn sich Daniel zwischen die Rabatten haut. Wie gut ich die Menschen doch inzwischen kennen !

Daniel?ffnet die Augen und blinzelt uns an.

»Oh, hallo, ihr beiden ! Oder besser: ihr drei !« Er rappelt sich hoch. »Mir geht’s gut. Ich sp?re nur gerade meinen Chakren nach. Genauer gesagt meinem Anahata-Chakra.«

»Aha.«

Mehr sagt Carolin dazu nicht, und auch Baby Henri schaut ungl?ubig. Was macht Daniel ? Ich verstehe kein Wort, und da bin ich offensichtlich nicht der Einzige.

Daniel scheint zu merken, dass ihm hier das geballte Unverst?ndnis entgegenschl?gt, denn er setzt sofort zu einer Erkl?rung an.

»Also, das Anahata-Chakra ist das Herzchakra und gleichzeitig der Mittelpunkt des Chakrensystems. Swami vermutet dort eine Blockade, deshalb versuche ich, diesen Teil meines Selbst auch im Alltag bewusster wahrzunehmen. Das kann ich aber nur hier draussen, in der Werkstatt bin ich zu abgelenkt. Zuviele negative Energiefelder.«

Ich kann nicht sagen, dass mich diese Erkl?rung irgendwie weiterbringt. Aber ich bin ja hier auch nur der Hund. Vielleicht kann Carolin damit etwas anfangen. Ich werfe einen Blick auf ihr Gesicht – ihre Augenbrauen sind so hochgezogen, dass sie schon fast ihren Haaransatz ber?hren. Also eher nicht.

»Wer ist denn Swami ?«

»Claudias Yogalehrer.«

»Was in aller Welt hast du denn mit Claudias Yogalehrer zu schaffen ? Und warum empfiehlt der dir, bei ungem?tlichen zehn Grad vor der Werkstattt?r zu liegen und deinem Herzchakra nachzusp?ren ?«

Daniel sagt dazu erst einmal nichts, sondern klopft sich ein paar Grashalme von der Hose. Er scheint nachzudenken. Wahrscheinlich?ber die passende Antwort. Da bin ich wirklich mal gespannt. Die kann ja nur exotisch ausfallen. Yogalehrer – was das wohl ist ?

»Claudia und ich haben ein Yoga-Wochenende f?r Paare mit Swami besucht. Wir hatten das Gef?hl, das k?nnte hilfreich f?r unsere Beziehung sein.« Er r?uspert sich. »Na ja, Claudia hatte den Eindruck, das k?nnte hilfreich f?r unsere Beziehung sein. Sie findet, wir m?ssen daran arbeiten.«

Auweia ! Ich habe zwar nicht viel verstanden, aber eines ist klar: Sobald bei Menschen das b?se WortBeziehung f?llt, wird es richtig kompliziert. In meinen mittlerweile drei Jahren als Haustier habe ich noch kein Gespr?ch ?ber eineBeziehung erlebt, das ansatzweise erfreulich verlaufen w?re. Und besonders heikel wird es, wenn an der Beziehunggearbeitetwerden soll. Wobei ich ganz lange gebraucht habe, um zu verstehen, was es da zuarbeiten gibt. Normalerweise ist Arbeit beim Menschen ja etwas anderes: Carolin baut in ihrer Werkstatt Geigen und bekommt daf?r von Leuten, die eine Geige haben wollen, Geld. Und damit kann sie dann zum Beispiel ein sch?nes St?ck Fleischwurst kaufen. Und Marc heilt als Arzt kranke Tiere oder k?mmert sich vorher drum, dass sie gar nicht erst krank werden. Worauf ich hinauswill: Arbeit hat beim Menschen eigentlich etwas mitmachen zu tun. Bei der Beziehungsarbeit wird hingegen nach meiner Wahrnehmung vor allemgeredet. Und zwar stundenlang. Ohne etwas zu machen. Vielleicht funktioniert diese Art Arbeit deswegen auch so schlecht.

»Das klingt ja nicht so gut. Aber willst du mir die ganze Geschichte nicht lieber drinnen erz?hlen ? Mir wird kalt, und ich glaube, es f?ngt an zu regnen.«

Stimmt. Mir wird langsam ein wenig feucht ums Halsband, und Klein Henri steckt zwar in einer Art Plastik?berzug, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass der sonderlich bequem ist. Herrn Beck habe ich auch noch nicht ersp?ht – es gibt also wirklich keinen Grund mehr, hier l?nger rumzustehen.

In der Werkstatt angekommen geht Daniel in die K?che. Dem Geruch nach zu urteilen, setzt er einen Kaffee auf. Sehr sch?n ! Wenn Daniel und Caro jetzt erst mal einen Kaffee trinken, dann bleiben wir noch ein Weilchen. Schliesslich will Caro nicht nur quatschen, sondern auch ein paar Dinge erledigen, um die sich Daniel nicht k?mmern kann. So hat sie es jedenfalls Marc erz?hlt. Ich kann mir folglich noch anh?ren, was Daniel zum ThemaBeziehungsarbeit mit Claudia sagt, und habe trotzdem noch Zeit, nach Herrn Beck zu suchen.

Normalerweise w?rde mich dieses Menschengerede nicht interessieren, aber zuf?lligerweise geh?rt Claudia die sch?nste H?ndin der Welt: Cherie. Als ich sie vor zwei Jahren zum ersten Mal sah, war es Liebe auf den ersten Blick. Jedenfalls bei mir. Tagelang glaubte ich, an einer ganz schlimmen Krankheit zu leiden, weil ich so starkes Herzrasen und Magendr?cken hatte. Bis mir Herr Beck irgendwann erkl?rte, dass es sich nun mal so anf?hlt, wenn man verliebt ist.

Leider war ich wohl der einzige Hund mit Herzrasen– Cherie jedenfalls versp?rte nichts von alledem. Sie fand mich zwar nett – mehr aber wohl auch nicht. F?rchte ich jedenfalls. So ganz haben wir das nie gekl?rt, und deswegen schlummert in mir auch immer noch ein F?nkchen Hoffnung. Ein grausames F?nkchen, denn solange ich noch hoffe, kann ich sie auch nicht vergessen. Und hier kommt Claudia ins Spiel: W?re die nicht mit Daniel zusammen, w?rde ich Cherie vielleicht gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. So aber sehe ich sie hin und wieder, und jedes Mal ist es sch?n und schrecklich zugleich. Wenn Claudia und Daniel jetzt aber anfangen, an ihrer Beziehung zu arbeiten, kann es gut sein, dass sie bald kein Paar mehr sind. Und dann werde ich Cherie nie wiedersehen. Jaul !

Caro und Daniel haben sich inzwischen mit ihren Kaffeetassen in den grossen Werkraum verzogen, Henri ist offenbar auf der Decke, die wir f?r ihn mitgenommen haben, eingeschlafen, und ich lege mich neben Caros F?sse.

»Also, es fing eigentlich alles damit an, dass wir uns nach der Party von Nina und Alex so richtig in die Wolle bekommen haben.«

»Echt ?« Caro klingt ungl?ubig. »Ich habe ?berhaupt nicht mitbekommen, dass die Stimmung bei euch nicht gut war.«

»Na, auf der Party war sie auch noch gut. Jedenfalls bei mir. Aber auf dem Nachhauseweg haben wir uns so gestritten, dass Claudia mich am U-Bahnhof hat stehen lassen und mit dem Taxi nach Hause gefahren ist. Ich hatte keinen Schl?ssel mit, und als ich dann endlich draussen in Volksdorf ankam, hatsie mich echt nicht reingelassen. Hab dann im Schuppen geschlafen – das war vielleicht ein Scheiss !«

Caro sch?ttelt den Kopf.

»Wow ! Wie ?tzend ! Vielleicht h?ttest du doch nicht aufs Land ziehen sollen. Dann h?ttest du immerhin in der Werkstatt pennen k?nnen.«

»Erstens ist Volksdorf nicht auf dem Land, sondern ein Stadtteil von Hamburg, wenn auch nicht ganz im Zentrum. Und zweitens hast du recht. In dem Moment habe ich mir auch gew?nscht, ich w?rde noch hier in der N?he wohnen.« Er l?chelt schief.

»Wor?ber habt ihr euch denn so gestritten ?«

Daniel zuckt mit den Schultern.

»Tja, wenn ich das so genau erkl?ren k?nnte. Claudia findet irgendwie, ich bringe mich nicht genug ein. Sie meint, ichlasse lieben.«

»Du l?sst lieben ? Was meint sie denn bloss damit ?«

»Na ja, sie meint, dass ich keine eigenen Gef?hle in unsere Beziehung einbringe. Alles, was emotional sei, ginge von ihr aus. Sie w?rde quasi f?r mich mitlieben. Ich sei da total blockiert und m?sse ermutigt werden, Gef?hle auch zuzulassen. Und deswegen auch der Kurs bei Swami.«

»Aha.«

Carolin ist schon ein sehr h?flicher Mensch, sie w?rde Daniel vermutlich nie direkt sagen, wenn sie dies f?r den gr?ssten Unsinn seit der Erfindung der Hundeleine hielte. Aber immerhin klingt sie jetzt gerade extrem skeptisch. Ich schaue zu ihr hoch: Ja. Sie sieht auch so aus. Extrem skeptisch. Daniel scheint das aber nicht zu bemerken, vermutlich ist er gerade zu sehr damit besch?ftigt, sein Herzchakra zu suchen.

Ein vertrauter Duft weht mir in die Nase: Herr Beck ! Ich schaue in Richtung Duft– tats?chlich windet sich Beck gerade durch die Terrassent?r, die einen Spalt offen steht. Faszinierend. Dass dieser dicke Kater durch so eine schmale ?ffnung passt ! Irgendwie k?nnen sich Katzen d?nner machen, als sie in Wirklichkeit sind.

»Hallo, Kollege«, begr?sst er mich, »kleiner Familienausflug in die alte Heimat ?«

»Ja, eigentlich wollte Caro irgendetwas Gesch?ftliches mit Daniel besprechen, aber jetzt erz?hlt Daniel die ganze Zeit von seinem Herzchakra und irgend so einem Typen namens Swami. Der soll ihm helfen, seine Beziehung zu Claudia auf die Reihe zu kriegen. Also, ganz verstanden habe ich es nicht. Das ?bliche wirre Menschenzeugs, wenn es um Gef?hle geht.«

Herr Beck nickt und g?hnt.

»Ja, ich glaube, da l?uft es momentan nicht so rund. Ich habe Claudia auch schon l?nger nicht mehr hier gesehen. Daf?r singt Daniel neuerdings so seltsame Lieder. Vielleicht verstehen die sich deswegen gerade nicht gut. Daniel kann n?mlich ?berhaupt nicht singen. Es klingt grauenhaft.«

Kein Wunder. Menschliche Musik klingt in meinen Ohren meistens schlimm. Getoppt wird dies nur von dem Ger?usch, das entsteht, wenn Daniel und Caro ihre neu gebauten Geigenstimmen. Das geht dann wirklich durch Mark und Bein. Schauderhaft !

»Was genau singt Daniel denn so ?«

Beck bl?st die Backen auf, was sehr seltsam aussieht.

»Keine Ahnung. Es ist auf jeden Fall keine Sprache, die ich kenne. Es kommt ziemlich vielOoohhmm drin vor.«

»Ooohhmm ?«

Beck nickt.

»Genau. Sagt dir das was ?«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Nee. Nie geh?rt.«

»Hm. Dachte ich mir. Wenn selbst ich es nicht kenne …«

Wuff ! Das ist ja nun wieder typisch Beck. Er kann einfach nicht anders, als auf dicke Hose zu machen. Okay, er hat mehr Jahre auf dem Buckel als ich, aber ein unerfahrenes Schossh?ndchen bin ich ja nun auch nicht. Ein Schossh?ndchen sowieso nicht, aber auch unerfahren bin ich nach meinen Jahren bei Caro nicht mehr. Ich bin mir sicher, dass ich mittlerweile viele Dinge kenne, von denen wiederum Beck noch nie geh?rt hat. Ooohhhm !

»Also, Cherie war demnach in letzter Zeit auch nicht da ?«, wechsle ich das Thema elegant hin zu den wirklich wichtigen Dingen.

»Nein. Ich habe sie jedenfalls nicht gesehen. Wobei – einmal hatte sie Daniel dabei. Von Claudia keine Spur, aber Cherie lag in der Werkstatt. Ich konnte sie durch das Terrassenfenster sehen.«

Mein Herz macht einen Sprung. Wie immer, wenn Cheries Name f?llt. Wobei das in letzter Zeit unerfreulich selten ist.

»Wie sah sie aus ?«, will ich von Beck wissen.

»Immer noch wie ein Hund. Warum ? Hast du Grund zu der Annahme, sie k?nnte sich ?ber Nacht in eine Katze verwandeln ?«

Ha, ha, sehr lustig, der fette Kater. Witze auf Kosten anderer geh?ren eindeutig zu seiner Spezialit?t.

»Du weisst genau, was ich meine«, schnaube ich emp?rt.

Beck kichert.

»Klar weiss ich das. Gut: Sie sah noch genauso ?berirdisch sch?n aus wie immer. Wenn ich ein Hund w?re, ich h?tte mich sofort verliebt.«

»Ja und sonst ? Ging es ihr gut ? Wirkte sie fr?hlich ?«

»Wie ich eingangs schon erw?hnte: Ich habe sie durch das Terrassenfenster gesehen. Es mag an meinem biblischen Alter liegen, aber auf diese Entfernung konnte ich ihren Gem?tszustand nicht erkennen.«

Was frage ich den dicken Kater?berhaupt ? Wahrscheinlich h?tte er nicht erkannt, wie es Cherie geht, wenn er Nase an Nase vor ihr gestanden h?tte. Das Gegenteil vonmitf?hlend ? Klarer Fall: Herr Beck ! Der sollte auch mal bei diesem Sammy oder Swami oder wie der heisst an seinem Herzchakra arbeiten. Jawoll ! Wobei – manchmal frage ich mich, ob der Kater ?berhaupt ein Herz hat. Ein grosses kann es jedenfalls nicht sein. Sonst w?sste er doch, wie nah das Thema Cherie seinem besten Freund noch geht, und w?re dabei etwas zartf?hlender unterwegs. Mir entf?hrt ein tiefer Schnaufer.

»Alles okay, Herkules ?«

»Von einem wahren Freund w?rde ich mir etwas mehr Mitgef?hl erwarten.«

Jetzt ist es an Beck zu schnaufen.

»Herkules, ich habe Mitgef?hl. Das ?ndert aber leider an der Tatsache nix, dass du bei Cherie nicht recht von der Stelle kommst. Also, entweder, du unternimmst irgendwann noch einmal einen entschiedenen Versuch in ihre Richtung – oder du schl?gst sie dir endg?ltig aus dem Kopf. Alles dazwischen ist Unsinn, und da bringt dich auch mein Mitgef?hl nicht weiter.«

Pah ! So eine Frechheit ! Jetzt tue ich mir aber mal richtig selbst leid. Ich weiss zwar, dass ich vermutlich ein wenig ?bertreibe, aber gerade in diesem Moment geht mir Herr Beck echt auf den Zeiger. Wenn es um Cherie geht, bin ich eben empfindlich. Da will ich Trost, nicht Wahrheit ! Bl?der, gemeiner Kater !

Vielleicht ist es an der Zeit, sich neben Herrn Beck mal nach anderen Freunden umzuschauen. Es wird doch irgendwo in der n?heren Umgebung noch andere Haustiere geben, die an der tiefen Freundschaft mit einem niveauvollen Dackel interessiert sind. Na gut, Dackelmix. Mein neuer Freund sollte demnach besser kein Snob sein. Ich ?berlege, welche anderen Haustiere hier im Umkreis noch wohnen. Leider f?llt mir auf Anhieb nur ein einziges Tier ein, das seinen festen Wohnsitz auch in diesem Haus hat: der Wellensittich von Frau M?ller.

VIER

Klasse !« Luisa klatscht begeistert in die H?nde. »Ich will auf alle F?lle Bl?mchen streuen ! Das wollte ich schon immer mal machen !«

Marc lacht und streicht seiner Tochter z?rtlich ?ber den Kopf.

»Also, ich bin mir nicht sicher, ob wir das Fest so feiern, dass ein Job f?r ein Blumenstreum?dchen dabei rausspringt. Ich glaube, Caro und ich wollen nur eine kleine, pers?nliche Feier. Nur mit dir und Henri, den Trauzeugen und den Omas und Opa.«

»Oh.« Luisa klingt sehr entt?uscht. Warum nur ? Ich finde nach wie vor, dass das eine ausgesprochen gute Botschaft ist. »Heisst das auch, dass Caro gar kein richtiges Brautkleid anzieht ?«

Marc zuckt mit den Schultern und schaut hilflos zu Carolin hin?ber.

»Weiss nicht. Schatz, heisst es das ?«

Caro l?chelt.

»Klar ziehe ich ein Brautkleid an. Vielleicht nicht weiss und mit Schleppe und Schleier. Aber auf alle F?lle ein sch?nes Kleid.«

Luisa sch?ttelt den Kopf.

»Dann ist es doch kein richtiges Brautkleid ! Dann ist es einfach irgendein Kleid. Und die Hochzeit ist dann keine Hochzeit, sondern irgendeine Feier.«

»Nun komm, Spatzl, sei nicht so entt?uscht«, tr?stet sie Marc, »wir wollen eben nur mit den Menschen feiern, die uns ganz wichtig sind. Deswegen ist uns die Hochzeit selbst aber nicht weniger wichtig. Und es wird bestimmt trotzdem eine ganz tolle Feier. Du wirst schon sehen, wir ?berlegen unsetwas ganz Besonderes.«

Genau. Ein Spitzenplan, der meiner Meinung nach unbedingt auch die vierbeinigen Familienmitglieder umfassen sollte. Wenn ich schon diesem omin?sen Georg als Trauzeuge weichen muss, will ich wenigstens bei der Party dabei sein. W?hrend sich Luisa maulend in ihr Zimmer verzieht, bleibe ich noch ein bisschen bei Marc und Caro in der K?che. Vielleicht erfahre ich ein paar Details ?ber das geplante Fest ?

»Oh, oh – da war jetzt aber eine gar nicht gl?cklich ?ber unsere Hochzeitspl?ne im kleinen Kreis«, seufzt Marc und setzt sich zu Caro an den K?chentisch.

»Tja, das tut mir nat?rlich leid. Aber es ist ja in erster Linie unsere Hochzeit. Und ich finde, wir sollten sie genau so feiern, wie wir wollen. Nicht so, wie die anderen es erwarten.«

Ein sehr interessantes Konzept. Ich kenne mich mit menschlichen Feiern nat?rlich nicht so wahnsinnig gut aus. Zumindest bei der einzigen grossen Feier auf Schloss Eschersbach, die ich selbst miterlebt habe, ging es jedoch eindeutig darum, die Erwartungen der G?ste zu erf?llen. Der junge Graf von Eschersbach hatte eingeladen, und ich w?rde sagen, dass diese Feier sogar ausschliesslich f?r die G?ste veranstaltet wurde. Unsere K?chin Emilia und das andere Hauspersonal waren schon Tage vorher im absoluten Alarmzustand, weil der junge von Eschersbach eine f?nf Meter lange Liste geschrieben hatte, die f?r das Fest abgearbeitet werden musste. Die Hecke wurde geschnitten, das Portal frisch gestrichen, der Rasen gem?ht und ?berall Laternen befestigt, dazu wurden ganze Wagenladungen mit den leckersten Speisen zubereitet: Ich fresse einen Besen, wenn dieser ganze Aufwand nicht vor allem f?r die G?ste getrieben wurde. Die Hecke hatte doch vorher auch niemanden gest?rt. Der junge Eschersbach wollte also eindeutig feiern, um seine G?ste zu beeindrucken. Das hatte auch sein Vater so gesehen – der Alte hatte sich damals sehr ?ber das Fest aufgeregt. Die ganze Veranstaltung sei neureicher Kram. Ich weiss zwar nicht, was neureicher Kram ist, aber es warklar, dass der Alte die Feier f?r Angeberei hielt.

Vom Feiern mal ganz abgesehen: Nach meiner Dackellebenserfahrung ist es den meisten Menschen schon sehr wichtig, was wiederum andere Menschen von ihnen denken. Und das geht schon bei den kleinen Menschen los: Luisa zum Beispiel hat seit Kurzem nur noch bestimmte Sachen an. Die m?ssen aus einem besonderen Laden sein, sonst weigert sie sich, die anzuziehen. Dabei ist es in diesem Laden ganz dunkel, es ist fast unm?glich zu beurteilen, was man da gerade kauft. Ich weiss, wovon ich rede, denn Luisa hat mich einmal mitgeschleift. Ein H?llenl?rm herrschte dort noch dazu, mir sind fast die Ohren abgefallen. Trotzdem m?ssen Luisas Klamotten unbedingt aus diesem Gesch?ft sein, etwas anderes will sie nicht mehr tragen. Oma Hedwig war neulich an einem Ort namens Teneriffa und hat als Geschenk ein T-Shirt von dort mitgebracht. Als Luisa es anziehen sollte, hat sie die Augen verdreht und verk?ndet, dass sie so etwas Uncooles niemals zur Schule anziehen w?rde. Da w?rden sich ja alle schlapp lachen. Oma Hedwig war t?dlich beleidigt, aber das war Luisa egal.Markenwahn hat Hedwig das genannt und gesagt, dass es das zu ihrer Zeit nicht gegeben h?tte. Das glaube ich aber nicht ganz, bestimmt gab es damals auch schon Sachen, mit denen man seine Mitmenschen beeindrucken konnte.

Nur besonders hartgesottenen Exemplaren ist die Meinung anderer Zweibeiner v?llig wumpe. Der alte von Eschersbach ist so gestrickt. Was die Leute ?ber ihn denken, interessiert ihn nicht. »Die Leute kaufen mit Geld, das sie nicht haben, Sachen, die sie nicht brauchen, um Menschen zu beeindrucken, die sie nicht m?gen«, pflegt er h?ufiger zu sagen. Wahrscheinlich ist das tats?chlich so. Wie komme ich da jetzt eigentlich drauf ? Ach richtig, die Hochzeitsfeier ! Auf alle F?lle zeigt sich da, wie schlau Carolin ist, weil sie nur so feiern m?chte, wie es ihr selbst gef?llt. Nicht, wie die anderen es erwarten. Tolle Frau, mein Frauchen !

»Hm, ich glaube, bei Daniel und Claudia l?uft es nicht mehr so rund.«

Nina ist zu Besuch, und Caro berichtet ihr von unserem Treffen mit Daniel. Als sie erz?hlt, dass er im Garten lag und sein Herzchakra suchte, runzelt Nina die Stirn.

»Er machte was ?«

»Er atmete gegen irgendwelche Blockaden in irgendeinem Chakra an.«

»Ach du Scheisse – seit wann ist Daniel denn auf dem Esoterik-Trip ?«

»Na, sag ich doch gerade – das h?ngt alles damit zusammen, dass er Stress mit Claudia hat. Ihr zuliebe hat er ein Yoga-Seminar besucht, und da haben sie festgestellt, dass er angeblich total blockiert ist.«

Nina sch?ttelt den Kopf.

»Auweia, da ist aber einer ganz sch?n verzweifelt.«

»Ja, ich f?rchte auch. Das tut mir total leid.«

»Sollte es auch. Ist ja auch irgendwie deine Schuld.«

Caro reisst die Augen auf.

»Bitte ? Wie meinst du das denn ?«

»Na, ist doch klar: Eigentlich bist du nach wie vor Daniels Traumfrau. Und da er dich nicht kriegen kann, ist es mit allen anderen einfach nicht das Wahre. Das ging doch schon mit Aurora los.«

»Na h?r mal«, schnaubt Caro und klingt dabei h?chst emp?rt, »Aurora ist eine schwierige, egozentrische Kuh. Dass das in die Hose gegangen ist, hat nun wirklich nichts mit mir zu tun !«

Genau ! Das kann ich nur best?tigen ! Ich weiss zwar nicht, was egozentrisch ist, aber schwierig war Aurora auf alle F?lle. Sie konnte zum Beispiel ?berhaupt nicht mit Hunden umgehen, und schlimmer noch: Sie mochte sie auch nicht. Das habe ich sofort gerochen, als sie das erste Mal in unserer Werkstatt auftauchte. Mag sein,dass sie eine tolle Geigerin war – als Frau fand ich sie furchtbar. Gut, dass Daniel das auch irgendwann eingesehen hat ! Mit Caro hatte das bestimmt nichts zu tun.

»Klar war die schwierig. Aber die Frage ist doch, warum Daniel ?berhaupt etwas mit der angefangen hat«, l?sst Nina nicht locker. »Das war doch eine reine Verzweiflungstat. Das hat doch ein Blinder mit Kr?ckstock gesehen. Insofern konnte einem Aurora fast leidtun. Ist bestimmt nicht sch?n, mit jemandem zusammen zu sein, der eigentlich eine andere liebt.«

Sind die Menschen kompliziert, oder sind sie kompliziert ? Aurora ist die Zicke, die den armen Daniel ziemlich terrorisiert hat, und ausgerechnet die tut Nina jetzt leid ? Unserer Nina, die sonst jede menschliche Schw?che erbarmungslos ins Visier nimmt ? Das verstehe, wer will. Ich tu es nicht. Wieso war es nicht sch?n f?r Aurora, mit Daniel zusammen zu sein ? F?r ihn war es bestimmt noch unsch?ner. Und was heisst hier »mit jemandem, der eigentlich eine andere liebt« ? Wenn das nicht so gewesen w?re, h?tte Aurora ihn doch gar nicht gekriegt. Also, wenn er mit der Frau zusammen gewesen w?re, die er tats?chlich geliebt hat. Denn das w?re ja meine Caro gewesen, und dann h?tte Aurora ja erst recht ein langes Gesicht gemacht. Dann doch besser nehmen, was man kriegen kann, und damit gl?cklich sein. Wenn Schinken aus ist, tut es eben auch Fleischwurst.

Aber wie immer scheint es so einfach beim Menschen nicht zu funktionieren. Der Mensch nimmt dann offenbar die Fleischwurst und heult die ganze Zeit wegen des Schinkens– sinnbildlich gesprochen. Und das ist ziemlich bl?d, denn nat?rlich kann einem so die leckerste Fleischwurst nicht schmecken. Das Gleiche gilt nat?rlich umgekehrt auch f?r Daniel, denn offensichtlich hat es ihm mit Aurora nicht gefallen. Tja, es ist schon sehr schwierig, einen Menschen gl?cklich zu machen. Und umso weniger finde ich, dass Caro etwas daf?r kann, wenn Daniel nicht mit einer anderen Frau gl?cklich wird. Wuff !

Caro seufzt. Nat?rlich tut ihr Daniel leid. Er ist immerhin ihr bester Freund.

»Tja, dann ist es vielleicht gut, dass Daniel sich demn?chst richtig in die Arbeit st?rzen kann. Wir haben n?mlich einen Superauftrag an Land gezogen !«

»Echt ? Was denn ?«

»Die Restaurierung einer historischen Instrumentensammlung. Insgesamt ?ber f?nfzig Geigen und Celli, auch ein paar Bratschen und Kontrab?sse sind dabei und sogar eine alte Mandoline. Eine unglaublich tolle Geschichte ! Es haben sich noch drei andere Geigenbauer beworben, aber wir haben die Ausschreibung gewonnen.«

Nina l?chelt und klopft Caro auf die Schulter.

»Super ! Und bestimmt spannender, als sich den ganzen Tag nur mit Windeln zu besch?ftigen. Apropos – was machst du denn mit dem kleinen Hosenscheisser ? Kannst du den mit in die Werkstatt nehmen ?«

Carolin sch?ttelt den Kopf.

»Nee, wir werden auch viel vor Ort arbeiten – wenn Henri dabei ist, kann ich mich nicht richtig konzentrieren, und das ist auch zu gef?hrlich. Die Instrumente sind unglaublich wertvoll, ich will mir gar nicht erst vorstellen, dass Henri so eine dreihundert Jahre alte Geige zu fassen kriegt.«

Die beiden lachen. Was ist daran so komisch ? Henri ist ja nicht nur dumm, er ist auch total ungeschickt. Was er in die Finger bekommt, ist kurz darauf kaputt. Er hat schon B?cher zu Schnipseln verarbeitet und ein h?bsches Armband von Luisa in seine Einzelteile zerlegt. UND Letztere auch noch geschluckt. Worauf der Kleine erst einmal unter grossem Hallo ins n?chste Krankenhaus gefahren wurde. Also: Sollten diese Geigen noch irgendetwas wert sein, obwohl sie schon soalt sind, sollte man Henri tunlichst auf Abstand halten.

»Nee, nee, Henri kommt nicht mit.«

»Aber was machst du dann mit ihm ? Allein zu Hause bleiben kann er ja wohl kaum mit seinen neun Monaten. Springt Oma Hedwig als Kinderm?dchen ein ?«

Abrupt setzt sich Carolin gerade hin und sch?ttelt energisch den Kopf.

»Nee. Um Gottes willen ! Bloss nicht ! Da w?rde ich lieber f?r den Rest meiner Tage Hausfrau bleiben.«

»Wieso ? Kann Hedwig nicht gut mit ihrem Enkel ?«

»Der Enkel ist nicht das Problem. Sie kann nicht gut mit ihrer Schwiegertochter. Ich erinnere mich noch mit Grauen an die Zeit, als Hedwig Marcs schwangere Arzthelferin vertreten hat. Furchtbar ! St?ndig tauchte sie auch in der Wohnung auf und gab f?r alles und jedes kluge Ratschl?ge. Ich schw?re dir, wenn sie st?ndig auf Henri aufpassen w?rde, g?be es bald Tote !«

Oha ! Das ist hoffentlich eine dieser menschlichen?bertreibungen ! Wobei ich die Zeit mit Hedwig deutlich sch?ner in Erinnerung habe, immerhin hat sie jeden Mittag gekocht – auch f?r mich ! Es war fast wie fr?her auf Schloss Eschersbach, wo K?chin Emilia auch f?r die Dackelverpflegung zust?ndig war. Hach, selige Zeiten ! Herr Beck findet zwar, ich h?tte damals so zugenommen, dass ich irgendwann wie eine Wurst auf Beinen ausgesehen h?tte, aber das ist nat?rlich v?lliger Unsinn. Und das muss gerade der Richtige sagen. Mit Sicherheit war ich nicht so fett wie der Kater. Insofern: Die Idee, dass Hedwig sich um Henri k?mmert, ist meiner Meinung nach grossartig ! Dann kann sie n?mlich auch gleich ein Auge auf den Familiendackel werfen. Leider hat Caro wohl andere Pl?ne.

»Nun ja, aber immerhin ist Hedwig hier vor Ort. Deine Eltern wohnen in L?neburg – f?r die w?re es zu weit, jeden Tag nach Hamburg zu fahren, um auf Henri aufzupassen.«

»Richtig. Aber alles kein Problem, ich habe eine ganz tolle Tagesmutter f?r Henri gefunden, die wird sich ab n?chster Woche um ihn k?mmern. Eine gute Freundin meiner Hebamme. Sie war lange selbst Hebamme und hat zwei Kinder, kennt sich also wunderbar mit Babys und Kleinkindern aus. Ein richtiger Gl?cksgriff, diese Frau Langhagen !«

Eine TagesMUTTER. Was in aller Welt ist das ? Carolin ist doch die Mutter von Henri. Und man kann doch wohl kaum zwei M?tter haben. Selbst als kleiner Mensch nicht. Ich war selbst dabei, als Caro Henri geboren hat. Aus Versehen auf der Parkbank eines Friedhofs. Mann, das war vielleicht aufregend ! Und es war garantiert keine Frau Langhagen dabei – das h?tte ich bemerkt. Nur Caro, Marc und zwei Polizisten. Und nat?rlich ich. Und sp?ter Henri. Wieso braucht der jetzt also eine zweite Mutter ? Er hat doch eine. Und ein tolle noch dazu.

Andererseits: Vielleicht ist es f?r die Mutter selbst gar nicht schlecht, wenn es noch eine Ersatzfrau gibt. Ich erinnere mich, dass unsere Mutter manchmal ziemlich genervt von uns war. Wenn wir etwa alle gleichzeitig an ihren Zitzen trinken wollten, hat sie den einen oder anderen von uns, der besonders st?rmisch war, schon mal gezwickt. Oder uns allesamt angeknurrt, wenn sie gerade ihre Ruhe haben wollte. Gek?mmert hat sie sich dann aber trotzdem, wenn auch schlecht gelaunt. H?tte es aber eine Ersatzdackelmama gegeben, h?tte sich meine Mutter einfach mal faul in ihren Hundekorb hauen und Welpen Welpen sein lassen k?nnen. Wobei sie das sicherlich auch gerne nachts gemacht h?tte, da w?re eine Nachtmutter eigentlich praktischer gewesen als eine Tagesmutter.

Wie auch immer: Wenn die Tatsache, dass Henri demn?chst eine zweite Mutter f?r tags?ber bekommt, bedeutet, dass wir ihn doch behalten k?nnen, wenn diese Geschichte namens Elternzeit vorbei ist, ist das nat?rlich eine feine Sache. Deswegen ist Caro auch noch so gut gelaunt. W?sste sie, dass Henri demn?chst weg ist, w?re sie bestimmt traurig. Als meine Tante ihren Wurf abgeben musste, war sie tagelang ganz mickrig, und ich hoffe doch, dass meine Mutter mich auch vermisst hat, als ich ins Tierheim kam.

W?hrend ich noch dar?ber sinniere, auf welch praktische Ideen Menschen immer wieder kommen, auch wenn sie sonst so kompliziert denken, steht Caro auf und holt zwei Gl?ser aus dem Wohnzimmerschrank.

»Oh, gibt’s was zu feiern ?«, erkundigt sich Nina.

Gute Frage, denn tats?chlich deuten diese Gl?ser meiner Erfahrung nach darauf hin, dass Caro ihrer Freundin gleich Alkohol servieren wird. Und daf?r ist es vor dem Mittagessen eigentlich noch etwas fr?h. Es sei denn, es ist ein besonderer Anlass. So weit immerhin habe ich das Alkoholtrinkritual schon durchschaut.

Caro lacht und stellt die Gl?ser auf den Tisch.

»Na klar, wir haben doch noch gar nicht auf dein Trauzeugenamt angestossen ! Und ich dachte, ein Gl?schen Prosecco k?nnte ein anschliessendes Brainstorming mit dir, wie genau wir feiern wollen, deutlich bef?rdern. Moment, ich hole mal die Flasche aus dem K?hlschrank.«

Sie geht in Richtung K?che, Nina bleibt sitzen und beginnt, mich gedankenverloren hinter den Ohren zu kraulen. Komisch – das macht sie sonst nie ! Als sie dann auch abgrundtief seufzt, ist mir klar, dass hier etwas nicht stimmt. Und zwar absolut nicht.

Aus der K?che kommt ein lautesPlopp, kurz darauf kommt Carolin mit einer Flasche zur?ck und f?llt die Gl?ser mit sprudelndem Inhalt.

»So, dann w?rde ich mal sagen: Auf die Liebe !«

Sie hebt ihr Glas, Nina z?gert einen Moment, dann nimmt sie ebenfalls ihr Glas.

»Ja, prost, auf die Liebe.«

Die beiden trinken, dann setzt sich Carolin wieder neben Nina.

»Weisst du, ich habe schon mal ?berlegt, wo wir feiern k?nnen. Antje und J?rg haben doch damals gleich die Trauung ins Jacobs verlegt – die haben wohl ein extra Trauzimmer im Hotel. Und danach haben sie dort mit der Familie gegessen und gefeiert. Muss ein sehr sch?nes Fest gewesen sein, ganzintim und besonders. Und eine Hochzeitsnacht im Jacobs ist nat?rlich ein Traum, oder ?«

»Ja, hm. Weiss nicht. Meins w?r’s nicht. Viel zu vornehm.«

Nina klingt, als habe sie Zahnschmerzen. Oder schlechte Laune.

»Meinst du ?«, fragt Caro entt?uscht. »Also, ich finde, f?r so einen besonderen Anlass …«

»Gut, ist nur meine Meinung«, unterbricht Nina sie, »aber euer Fest.«

»Nein, nein, deine Meinung ist mir ja wichtig. Okay, ich habe neulich in einer dieser Hochzeitszeitschriften einen Artikel ?ber einen Leuchtturm an der Elbe gesehen, da kann man heiraten und mit einer kleinen Gruppe auch feiern.«

»Leuchtturm ? Verbindet euch denn irgendwas mit der Seefahrt ?«

Okay, keine Zahnschmerzen. Sondern definitiv und einfach schlechte Laune. Und zwar so deutlich, dass es jetzt auch mein Frauchen merkt.

»Sag mal, was ist denn los mit dir ? Ich hatte gehofft, dass es dir Spass macht, ein bisschen Wedding-Planerin zu spielen.«

Was mag eine Wedding-Planerin sein ? Auf alle F?lle wohl etwas, zu dem Nina nicht die geringste Lust hat. Das ist mehr als offensichtlich.

»Na ja, Heiraten ist irgendwie gerade nicht mein Lieblingsthema.«

Sie stellt ihr Glas auf dem Couchtisch vor sich ab und starrt an die Decke. Carolin mustert sie nachdenklich.

»Liegt das an Marc ? Ist Trauzeugin doch nicht ganz das Richtige ?«

Nina sch?ttelt den Kopf.

»Nein, nein, das ist es nicht. Sonst h?tte ich schon etwas gesagt, als du mich gefragt hast. Es ist nur … seit ich von meinem Auslandsjahr zur?ck bin, l?uft es mit Alex nicht mehr so. Keine Ahnung, woran das liegt. Er ist lieb und nett und k?mmert sich um alles, aber irgendwie … ach, ich weiss auch nicht. Wenn du dann ?bers Heiraten sprichst, ist mir ein bisschen seltsam zumute.«

»Hey !« Carolin streicht Nina ?ber den Arm. »Warum hast du mir denn nichts davon erz?hlt ?«

»Weiss nicht. Ich wollte dir nicht die gute Laune verderben. Und ich freu mich ja auch f?r dich. Und nat?rlich f?r Marc. Aber ich w?re eben auch gern richtig gl?cklich verliebt.«

Auweia ! Die arme Nina ! Ich kann sie so gut verstehen ! Ich glaube, wenn der fette Kater mir vors?useln w?rde, wie gl?cklich er mit der getigerten Lady aus dem Haus zwei Ecken weiter ist, k?nnte ich mich auch nur begrenzt f?r ihn freuen. Ich meine, klar, er ist mein Freund, aber so etwas h?rt man sich doch ungern an, wenn man selbst Liebeskummer hat. Und nun hat es unsere Nina getroffen,und sie f?hlt sich schlecht. Obwohl die doch sonst immer so hart im Nehmen ist.

Komisch ist allerdings, dass sich die Zweibeiner f?r ihre Beziehungskrisen offenbar den Fr?hling aussuchen. Ich meine, das kann doch kein Zufall sein, dass es nun gleichzeitig bei Danielund Nina brodelt. Bei uns Vierbeinern ist das eigentlich die passende Zeit im Jahr, einen Partner zu finden. Nicht, ihn loszuwerden. Wobei– wenn ich bei Cherie endlich eine Chance h?tte, w?re mir die Jahreszeit egal. Es k?nnte von mir aus auch tiefster Winter sein. Jaul, Liebeskummer ist furchtbar ! Ich sollte vielleicht eine Selbsthilfegruppe mit Nina und Daniel gr?nden.

F?NF

Deine Fleischwurst-und-Schinken-Theorie finde ich gut.«

Wow ! Herr Beck lobt mich freiwillig– sensationell ! Wir sind wieder in der Werkstatt, Carolin und Daniel besprechen offenbar ihren neuen Superauftrag, Henri haben wir bei Hedwig geparkt, und Herr Beck und ich lungern im Flur herum.

»Danke, ich finde sie auch ziemlich gut. Sie zeigt auf alle F?lle, wie kompliziert Menschen ticken. Typisch Zweibeiner eben. Ich hatte ja schon l?nger den Verdacht, dass der aufrechte Gang irgendwie dem Hirn schadet.«

Herr Beck prustet.

»Na, mein Lieber, und hier ist auch der einzige Makel deiner Theorie. Sie trifft nicht nur auf Menschen zu. Ich glaube n?mlich, was dem Daniel seine Caro, ist dem Dackel seine Cherie. Sonst w?rdest du ihr doch nicht so hinterhertrauern. Die Theorie ist gut, trifft aber auf Menschenund Dackel zu. Hat also nix mit dem aufrechten Gang zu tun. Eher mit der Angewohnheit, sein Herz unvern?nftigerweise so an ein anderes Wesen zu h?ngen, dass es richtig wehtut, wenn die Liebe nicht erwidert wird. Da k?nntet ihr euch mal ein Beispiel an uns Katzen nehmen – das w?rde uns im Leben nicht passieren. Wir sind zwar sehr sensibel und nehmen jede Schwingung auf, aber wir machen uns nicht so abh?ngig von anderen.«

Beck spricht im Brustton der?berzeugung, und ich w?rde mich wahrscheinlich sehr dar?ber aufregen, wenn ich nicht w?sste, dass der Kater nur so cool tut. Ich habe ja erlebt, wie mickrig er war, als sein altes Frauchen ins Heim musste und er nicht mitkonnte. Und Nina hat er w?hrend ihres Jahres in Stockholm auch oft vermisst. Also: Ich glaube, Katzen haben ebenfalls ein grosses Herz. Sie zeigen es nur nicht so schnell. Und nicht so gern. Ich belasse es deshalb bei einem hingenuscheltenWie du meinst.

Das Thema Herz bringt mich allerdings auf einen anderen Gedanken: Nina und Alexander. Schliesslich ist Herr Beck hier Augenzeuge, weil Mitbewohner.

»Sag mal, ist dir eigentlich in letzter Zeit etwas an Nina und Alex aufgefallen ? Ich meine, seit Nina wieder da ist ?«

Beck sch?ttelt den Kopf.

»Nein. Warum ?«

So viel zum ThemaKatzen sind so sensibel und nehmen jede Schwingung auf.

»Na, Nina war gestern bei uns zu Besuch und hat da so etwas angedeutet. Dass es mit ihr und Alex nicht mehr so gut l?uft. Da dachte ich nat?rlich, du h?ttest etwas bemerkt. Es ist schliesslichdein Frauchen. Irgendwelche Schwingungen aufgenommen ?«

Zack, diese Spitze konnte ich mir einfach nicht verkneifen ! Zufrieden stelle ich fest, dass Beck jetzt ein ziemlich dummes Gesicht macht. Er hatte tats?chlich keine Ahnung.

»Schwingungen … ?h … klar. Nat?rlich. Jetzt weiss ich, was du meinst. Nina ist in letzter Zeit so … ?h … und auch Alex …«

»Ja ? Alex ist was ?«

»Na, irgendwie … ?h…«

Ich wackle mit dem Kopf, bis meine Ohren fliegen.

»Kumpel, gib’s zu: Du hast keinen blassen Schimmer. Nina ist gerade nicht besonders gl?cklich mit Alex, und du hast es nicht bemerkt.«

Schweigen. Dann Schnaufen.

»Hmpf. Stimmt. Das habe ich nicht mitgekriegt. Woran hapert’s denn ?«

»Keine Ahnung. Ich hatte ja gehofft, dass du mir das erz?hlen kannst. Nina sagte, es sei irgendwie nicht so wie vorher.«

Herr Beck wiegt seinen Kopf bed?chtig hin und her.

»Also, wenn ich so direkt dar?ber nachdenke, dann war in letzter Zeit tats?chlich das ein oder andere seltsam. Nina telefoniert zum Beispiel in letzter Zeit sehr h?ufig, und ich verstehe nichts.«

»Was soll daran besonders sein ? Frauen telefonieren einfach gern. Und wahrscheinlich wirst du langsam taub. Ich finde …«

Herr Beck sch?ttelt energisch den Kopf.

»So doch nicht ! Ich h?re jedes Wort. Ich verstehe es nur nicht.«

»Ja, ja, kenne ich. Das geht mir mit Menschen h?ufig so.«

Beck st?sst einen Laut aus, der sehr seltsam klingt und wahrscheinlich Unzufriedenheit ausdr?cken soll. So eine Art Aaargh. Tja, manchmal ist das Zusammenleben mit Menschen extrem frustrierend. Da meint man, seinen Zweibeiner nach langen Jahren in-und auswendig zu kennen, und pl?tzlich versteht man ihn nicht mehr. Schon traurig so was. Was das allerdings mit Ninas Liebesleben zu tun hat, begreife ich nicht ganz. Sie hat ja nicht gesagt, dass es zwischen ihr und Herrn Beck nicht mehr so l?uft, sondern zwischen ihr und Alex. Wahrscheinlich hat Herr Beck bis heute nicht verstanden, dass Ninas Herznicht ihm, sondern einem Zweibeiner geh?rt. Oder von mir aus auchgeh?rte.

»Herkules, du h?rst mir nicht richtig zu ! Du kapierst es einfach nicht.«

Ach, jetzt soll ich auf einmal schuld sein, dass Herr Beck Kommunikationsprobleme mit seinem Frauchen hat ? Das ist mal wieder typisch. Der kann einfach nicht zugeben, wenn es bei ihm nicht so l?uft.

»Ich sagte, ich habe kein Wort verstanden. Obwohl ich jedes Wort geh?rt habe. Und das meine ichnicht im?bertragenen Sinne: Nina hat irgendwie ganz anders gesprochen als sonst. Eine andere Sprache. Nicht so, wie sie mit mir oder Caro spricht.«

H? ? Eine andere Sprache ? Wie meint er das denn ? Herr Beck deutet meinen erstaunten Blick richtig. Immerhin, Hund und Katze verstehen sich immer noch bestens.

»Also, Menschen haben verschiedene Sprachen. Nicht ?berall sprechen sie so wie hier. Du warst doch schon mal mit Caro und Marc im Urlaub, richtig ?«

Ich nicke.

»Und – ist dir da nichts aufgefallen ? Ich meine, wenn die Menschen gesprochen haben ? Immer, wenn ich mit Frau Wiese im Urlaub war, sprachen die Menschen dort eine andere Sprache.«

»Nee. Bei uns war alles so wie immer.«

»Hm, wo wart ihr denn ?«

»Ich glaube, es war ein Ort namens St. Peter-Ording.«

»Kenne ich nicht. Wir waren immer in Rimini, da war das so. Immer, wenn wir zum Meer spaziert sind und Frau Wiese ein Eis oder etwas anderes gekauft hat, hat sie sich mit den anderen Menschen dort ganz seltsam unterhalten.«

»Ha ! Jetzt, wo du es sagst: In St. Peter-Ording war auch etwas seltsam !«

»Siehst du ! Was denn ?«

»Na, das Meer war manchmal weg. Ab und zu war es da – und dann war es wieder weg. Komisch, oder ? Wer kann denn so viel Wasser auf einmal wegschaffen ?«

Herr Beck zuckt mit dem Schwanz.

»Mann, Herkules, was hat denn das mit der Sprache zu tun ?«

»?h – nix. Aber du wolltest wissen, ob mir etwas aufgefallen ist. Unddas ist mir aufgefallen. Sonst war alles wie immer.«

»Na gut. Vielleicht ist St. Peter-Ording dann einfach anders als Rimini. In Rimini jedenfalls reden die Leute so miteinander, dass man nichts versteht. Und sie reden nicht nur anders – sie bewegen sich auch ungewohnt. Beim Sprechen fuchteln sie so mit den Armen rum, dass einem angst und bang wird.«

»Also in St. Peter-Ording hat niemand beim Reden gefuchtelt. ?berhaupt wurde dort eher wenig geredet.«

Ich werde langsam ungeduldig. Wahrscheinlich, weil ich Hunger habe. Aber wenn Herr Beck nicht mal bald auf den Punkt kommt mit seiner Geschichte, dann verziehe ich mich lieber zu Carolin und Daniel und mache deutlich, dass es Zeit f?r die Napfbef?llung ist. Allein bei dem Gedanken f?llen sich meine Lefzen mit Speichel. Hunger !

»Hey, Kumpel, du sabberst ! Worauf ich eigentlich hinauswollte, war …«

»Lass gut sein, ich mach mich auf die Suche nach etwas Essbarem. Das mit der menschlichen Sprache kannst du mir wann anders erkl?ren. Ich wollte sowieso keinen Unterricht, sondern lediglich wissen, ob dir etwas Komisches an deinem Frauchen aufgefallen ist. Offenbar ist das nicht der Fall, sonst m?sstest du hier nicht von ollen Kamellen wie deinen Urlauben mit Frau Wiese erz?hlen. Mach’s gut.«

Ich drehe mich um und trabe los.

»Nun warte doch mal !« Herr Beck trabt hinter mir her.

»Ich wollte dir doch nur erkl?ren, was mir bei Nina aufgefallen ist. Und damit du mich ?berhaupt verstehst, musste ich ein bisschen weiter ausholen. ?brigens: Bildung schadet nicht. Selbst Hunden nicht !«

Ich laufe einfach weiter. Soll er jemand anderen belehren, der Kater. Meinetwegen den Wellensittich. Der kann schliesslich nicht weg, wenn ihn die M?ller im K?fig auf den Gartentisch stellt. Und als Alternative zum Gefressenwerden ist eine Stunde Oberlehrer Beck zu ertragen vielleicht gerade noch drin.

Mit der Schnauze stosse ich die T?r zum grossen Werkraum auf. Daniel und Caro stehen dort und betrachten irgendetwas, was auf der Werkbank liegt. Was genau es ist, kann ich von hier unten nicht sehen. Ist aber auch egal, es gibt schliesslich Wichtigeres. Wie zum Beispiel meinen Magen. Ich jaule ein bisschen und springe an Caros Bein hoch.

»Hoppla, Herkules, hast du mich erschreckt ! Warum schleichst du dich denn so an ?«

Sie dreht sich zu mir, beugt sich herunter und krault mich hinter den Ohren. Ich versuche, m?glichst auff?llig zu sabbern, was mir ?berhaupt nicht schwerf?llt.

»Igitt ! Was ist denn mit dir los ?« Sie zieht die Hand zur?ck und wischt sie an ihrer Jeans ab. »Also, da hat aber einer grossen Riesenhunger !« Sie schaut auf ihre Uhr. »Oh, schon zw?lf. Kein Wunder, du Armer ! Komm mit, du bekommst gleich was.«

Vor Freude mache ich M?nnchen und springe sofort zur T?r, vorbei an Herrn Beck, der es mittlerweile auch in die Werkstatt geschafft hat.

»Guck mal, da scheint sich jemand dem Lunch anschliessen zu wollen ! Ich glaube, du musst dem Kater auch etwas geben.«

Daniel ist einfach ein netter Mensch– und das trotz seines blockierten Herzchakras ! Claudia weiss offenbar nicht, was sie an ihm hat. Fleischwurst und Schinken. Das alte Problem. Aber momentan gl?cklicherweise nicht meins, denn tats?chlich ?ffnet Carolin jetzt die K?hlschrankt?r in der K?che und greift – wuff, wuff, WUFF !! ! – tats?chlich zu der Box mit dem Aufschnitt, den sie gerade eingekauft hat. Hurra ! Ein seltener Gl?cksfall ! Ich bekomme tats?chlich ein St?ck Fleischwurst, bevor sie meinen Napf mit Hundefutter f?llt. Und selbst dem ollen Beck h?lt sie ein St?ck unter die Nase. Er schnuppert kurz, schnappt, schluckt und setzt sich neben mich. Es ist ziemlich unangenehm zu fressen, w?hrend man von der Seite durchdringend gemustert wird ! Ich hebe den Kopf.

»Was ist denn ? Kann man hier nicht mal in Ruhe eine Mahlzeit einnehmen ?«

»Doch, doch. Lass dir Zeit. Wenn es denn irgendwann konveniert, sag Bescheid.«

Konve… was ? Meine G?te, ist der nervig. Und anstarren tut er mich immer noch. Hastig schlinge ich die letzten Bissen hinunter.

»Also gut. Was genau ist dir an Nina aufgefallen ?«

Wenn Herr Beck breit grinsen k?nnte – jetzt w?rde er es tun.

»In den letzten Wochen hat Nina immer sehr viel in einer Sprache telefoniert, die ich nicht verstanden habe. Sie klang auch anders als die Sorte Sprache, die ich in Rimini geh?rt habe. Irgendwie verwaschener. Jedenfalls war es immer ziemlich sp?t abends, und immer, wenn Alex oben in seiner WG imStockwerk ?ber uns war. Da ist er ja eigentlich nicht mehr sehr h?ufig, ich glaube, wenn Nina gewollt h?tte, w?re er l?ngst schon bei uns eingezogen. Jedenfalls: Kaum war er mal dreissig Sekunden aus der T?r, hat sie schon zum H?rer gegriffen. Seltsam, nicht ? Ausserdem bin ich mir sicher, dass sie mit einem Mann telefoniert hat. Ich konnte es zwar nicht genau h?ren, aber die Stimme klang tief.«

»Ich sag’s ja: Du wirst langsam taub.«

Normalerweise kann man, jedenfalls mit einem Dackelgeh?r, die Stimme am anderen Ende der Leitung schon ganz gut h?ren. Also, nicht Wort f?r Wort. Aber ob Mann oder Frau – das kriege ich immer mit. Herr Beck schnaubt. Die Sache mit der Taubheit will er einfach nicht einsehen.

»So ein Unsinn. Ich werde nicht taub. Dass ich mir nicht ganz sicher bin, liegt an der n?chsten Merkw?rdigkeit: Immer, wenn Nina diese seltsamen Telefonate f?hrt, verkr?melt sie sich in ihr Schlafzimmer und macht die T?r hinter sich zu. Fast, als solle das selbst vor mir geheim bleiben. Verr?ckt, nicht ?«

Ich nicke. Beck hat recht. Das ist wirklich merkw?rdig. Und was k?nnte es damit zu tun haben, dass sie sich mit Alex nicht mehr so versteht ? Gibt es da einen Zusammenhang ? Herr Beck scheint ?ber das Gleiche nachzudenken.

»Vielleicht hat sie sich in einen anderen Mann verliebt. Und mit dem telefoniert sie jetzt immer heimlich.«

»Meinst du ? Aber sie hat doch nicht gesagt, dass sie jemand anderes liebt, sondern, dass sie Alex nicht mehr liebt.«

»Tja, das kommt beim Menschen oft auf dasselbe raus. Als ich vor langen Jahren noch bei dem Scheidungsanwalt lebte, habe ich von diesen Geschichten so einige mitbekommen. Die Menschen merken offenbar h?ufig erst, dass sie ihren alten Partner nicht mehr lieben, wenn ihnen ein neuer begegnet. M?sste dir als Hund doch bekannt vorkommen: Ihr k?nnt doch auch nicht allein sein.«

Immer diese Spitzen– Beck kann es einfach nicht lassen !

»Lieber ein geselliger Hund als eine eigenbr?tlerische Katze. Trotzdem habe ich noch von keinem Hund geh?rt, der einfach sein Herrchen verl?sst, weil ihm ein anderer Zweibeiner irgendwie besser gef?llt !«

»Tja, wahrscheinlich seid ihr einfach treuer als die Zweibeiner. Bei denen kommt das h?ufiger vor. Das menschliche Herz ist kein besonders zuverl?ssiges Organ.«

Das ist mir beim Menschen in den letzten drei Jahren auch schon aufgefallen. Trotzdem st?rt mich noch etwas an Becks Theorie.

»Aber nehmen wir mal an, es ist so, wie du sagst. Warum ist Nina dann nicht gl?cklich ? Frisch verliebt sind doch die meisten Zweibeiner kaum zu ertragen vor guter Laune. Nina hingegen war richtig niedergeschlagen. Da stimmt doch etwas nicht !«

»Tja, vielleicht klappt es mit dem anderen nicht so richtig, und sie ist deswegen ungl?cklich.«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Aber nach deiner Theorie w?rde sie dann doch einfach Alex behalten wollen. Von wegen Menschen k?nnen nicht allein sein und so.«

Herr Beck seufzt.

»Ach, was weiss denn ich ? Vielleicht stimmt das auch alles nicht, und es ist etwas v?llig anderes faul. Versteh einer die Zweibeiner. Ich nicht.«

Hoppla ! Und das aus dem Maul von Herrn Beck ! Die Einsicht, etwas geistig nicht zu durchdringen ! Schade, dass ich nicht schreiben kann– diesen Tag m?sste ich dringend im Kalender notieren !

SECHS

Carolin, da ist eine Frau f?r dich am Telefon.«

Luisa l?uft mit dem H?rer durch die Wohnung und sucht mein Frauchen. Das ist im Bad und h?rt anscheinend nichts.

»Caaarooo, da ist eine Frau !«

Die T?r vom Badezimmer zum Flur wird ge?ffnet, Carolin schaut hinaus. »Ich komme gerade aus der Dusche und tropfe alles nass. Notierst du dir mal den Namen und die Nummer ? Ich rufe zur?ck.«

»Sie sagt aber, es sei dringend.«

»Na gut.«

Caro streckt die Hand aus und nimmt den H?rer entgegen, ich nutze die Gelegenheit und trabe ins Bad.

Caro murmelt»einen Moment bitte!« in den H?rer, dr?ckt einmal kurz auf die Tasten und stellt den Apparat ins Regal vor sich. Dann schnappt sie sich ein Handtuch, um sich abzutrocknen.

»So, kann losgehen, ich kann Sie h?ren. Ich hoffe, Sie mich auch.«

Interessant. Wen meint Caro denn damit? In diesem Moment kommt eine laute Stimme aus dem H?rer im Regal.

»Hallo, Frau Neumann, Langhagen hier. Ich kann Sie ebenfalls gut h?ren.«

Faszinierend. Man kann also mit dem H?rer auch telefonieren, wenn man ihn sich nicht direkt an den Kopf h?lt. Das ist mal wieder eine tolle menschliche Erfindung – Donnerwetter! W?re eigentlich besonders gut geeignet f?r Hunde und andere Vierbeiner – schliesslich k?nnen wir so einen H?rer sehr schlecht in der Pfote halten und ans Ohr dr?cken. Gebannt starre ich den Apparat an. Ich kenne die Stimme zwar nicht, die aus dem H?rer schallt, aber der Name Langhagen kommt mir bekannt vor.

»Hallo, Frau Langhagen, es geht um Henris Eingew?hnung n?chste Woche, stimmt’s?.«

Langhagen und Henri ? Das muss dann ja wohl die Tagesmutter sein. Wie die wohl so klingt, die zweite Mutter ? So?hnlich wie Carolin ? Neugierig hefte ich mich an Caros Bein und lausche nach der Stimme, die aus dem Telefonh?rer kommt.

»Ja, hallo, Frau Neumann. Gut, dass Sie gleich zur?ckrufen.«

Die Stimme h?rt sich anders an als die von Carolin, trotzdem sehr nett. Warm und weich. Allerdings klingt sie irgendwie auch nach schlechten Nachrichten. Tats?chlich h?re ich der menschlichen Stimme sofort an, ob sie etwas Sch?nes oder etwas Trauriges zu erz?hlen hat.

»Also, das ist mir jetzt ?usserst unangenehm, aber ich f?rchte, ich muss die Betreuung f?r Henri absagen.«

Oh. Das sind wohl wirklich keine guten Nachrichten. Denn selbst f?r meine Dackelohren nimmt sich das wie eine drastische Plan?nderung aus, und solche ?nderungen kommen beim Menschen meistens nicht so gut an. Caro sagt erst mal nichts. Daf?r f?ngt Frau Langhagen nach einer kurzen Pause wieder an.

»Ja, ich weiss, das ist jetzt wahrscheinlich ein Schock f?r Sie – aber wissen Sie, mein Mann hat ein sehr attraktives Angebot aus Norwegen. Er ist Arzt und hier schon lange nicht mehr gl?cklich. Ich k?nnte dort auch sofort wieder als Hebamme arbeiten. Wir haben lange mit uns gerungen – aberes ist nun mal so: jetzt oder nie. Irgendwann sind wir sonst zu alt. N?chsten Monat geht es schon los.«

Caro sagt nurAha. Sonst sagt sie nichts. Daf?r redet Frau Tagesmutter umso mehr. Es sprudelt geradezu aus ihr heraus.

»Ich weiss, dass das jetzt sehr kurzfristig ist, aber so eine Chance bekommt man nicht alle Tage, und wegen dieser Jobgeschichte meines Mannes hatten wir schon einige schlaflose N?chte. Sie k?nnen sich ja gar nicht vorstellen, wie schlimm das hier in Deutschland als Krankenhausarzt ist. Immer dieser Stress, die viele Verantwortung. Mein Mann hat ja mittlerweile gar nichts mehr von unseren eigenen Kindern. Immer morgens so fr?h raus und abends erst sp?t heim. Und dann die langen Dienste. Aber in Skandinavien, da ist das alles anders. Da z?hlt die Familie noch was und die Work-Life-Balance, da werden …«

Caro greift ins Regal und schnappt sich den H?rer.Klick. M?????hhhhh. Jetzt hat sie wohl aufgelegt.

Erstaunt blicke ich zu ihr hoch. Das ist etwas Neues. So beendet Carolin Telefonate eigentlich nie. Ob ihr die Geschichte zu aufregend war ? Norwegen. Skandinavien. Work-Life-Balance. Ich muss zugeben, dass ich fast nichts verstanden habe. Das war aber auch nicht n?tig. Denn der Stimme konnte man es genau anh?ren: Hier hatte jemand ein verdammt schlechtes Gewissen. Und wollte es sich von der Seele reden. Aber obwohl Carolin sonst ein ungemein mitf?hlender Mensch ist: Gerade jetzt sieht sie ?berhaupt nicht so aus, als ob ihr das pure Mitgef?hl die Sprache verschlagen h?tte. Eher so, als habe sie sich urpl?tzlich und ?berraschend eine b?se Krankheit zugezogen. Sie ist ganz blass um die Nase, und ihre Unterlippe zittert. Jaul ! Ob man sich per Telefon bei anderen Menschen anstecken kann ? M?glicherweise mit Skandinavien oder Norwegen ?

Jetzt sch?ttelt sich Carolin kurz, greift nach ihrer W?sche, die auch im Regal liegt, und zieht sich in Sekundenschnelle an. Wow – die hat es aber eilig. Dann geht sie aus dem Bad und klopft an Luisas T?r. Die ?ffnet.

»Ja ?«?»Sag mal, ich muss kurz runter in die Praxis. Henri schl?ft noch. K?mmerst du dich um ihn, falls er wach wird ?«

Luisa, ganz gewissenhafte grosse Schwester, nickt.

»Geht klar. Aber in einer halben Stunde muss ich weg. Bin mit Hanna im Kino verabredet.«

Was will Caro denn in der Praxis ? Soll ihr Marc vielleicht eine Spritze geben ? Immerhin kennt er sich als Tierarzt auch ein bisschen mit menschlichen Erkrankungen aus. Jedenfalls hat er meinen Freund Willi mal gerettet, als der im Park pl?tzlich umgekippt ist. Und als Henri zur Welt kam, wusste er auch, was zu tun ist. Ist ja auch kein Wunder. Zweiund Vierbeiner sind sich eben doch ?hnlicher, als Menschen wahrhaben wollen. Ich beschliesse, mich mit Caro in die Praxis runterzumogeln. Zusammen mit Luisa auf den schlafenden Henri aufzupassen ist mir definitiv zu langweilig.

Carolin ist noch so sehr neben der Spur, dass sie mich gar nicht bemerkt, als ich einfach hinter ihr herlaufe. Sie klingelt kurz an der Praxist?r im Erdgeschoss unter unserer Wohnung, der Summer geht, und schon sind wir drin. Ein wildes Geruchswirrwarr von verschiedensten Tieren schl?gt mir entgegen. Mindestens zwei andere Hunde, eine Katze und ein Kaninchen erkenne ich sofort. Das ist doch mal deutlich spannender als Penn-Nase Henri ! Ich will gerade ins Wartezimmer durchlaufen, da werde ich entdeckt. Und zwar nicht von Caro, sondern von Frau Warnke, Marcs Helferin.

»Oh, hallo, Frau Neumann ! Und hallo, Herkules ! Stimmt was nicht mit dem Superdackel ?«

Carolin schaut verwirrt.

»Was ? ?h, ach, ist der etwa mitgekommen ? Mensch, Herkules, was soll denn das ? Das passt mir gerade gar nicht, ich muss mal in Ruhe mit Herrchen sprechen !«

Frau Warnke beugt sich zu mir hinunter.

»Soll ich so lange auf ihn aufpassen ?«

Caro sch?ttelt den Kopf.

»Ist schon okay. Ich nehme ihn dann doch mit rein zu Marc, wenn der Zeit hat.«

»Er ist bestimmt gleich frei.«

Tats?chlich geht keine zwei Minuten sp?ter die T?r zu Marcs Behandlungszimmer auf, und ein Junge mit einer Transportbox unter dem Arm kommt uns entgegen. Riecht nach Meerschweinchen. Stehen meiner Meinung nach auf der Liste der langweiligsten Tiere ?berhaupt ganz oben. Vielleicht sogar noch vor Wellensittichen.

»So, Max, und wenn du noch mal versuchst, deinen Kumpels die Krallen zu schneiden, dann nimmst du bitte die Zange, die ich dir jetzt mitgebe, und l?sst dir von einem Erwachsenen helfen. Und ganz wichtig: Der schwarze Strich, den du sehen kannst, ist die Ader. So hoch darfst du auf keinen Fall schneiden, klar ?«

Der Junge nickt.

»Gut. Dann gr?sse deine Eltern von mir.«

Der Junge zockelt ab, Carolin begr?sst Marc, der ihr erstaunt die T?r aufh?lt.

»Oh, waren wir verabredet ?«

»Nein, aber ich muss dringend mit dir sprechen.«

»Lass mich raten«, fragt Marc lachend, »das Trauzimmer im Leuchtturm ist schon ausgebucht.«

Caro sagt dazu nichts, sondern geht an ihm vorbei ins Behandlungszimmer und schliesst die T?r. Ich muss richtig Gas geben, damit sie meine Rute nicht einklemmt – also jetzt ist Caro aber wirklich nicht gut drauf ! Sie steuert einen der beiden St?hle an Marcs Schreibtisch an und sinkt auf ihm zusammen.

»Marc, es gibt katastrophale Neuigkeiten !«

»Okay – es geht also nicht um das Trauzimmer, nehme ich an.«

Caro sch?ttelt den Kopf.

»Nein, damit hat es nichts zu tun. Es ist eine echte Katastrophe. Keine gef?hlte.«

Nun schaut Marc auch besorgt.

»Was ist denn bloss passiert, Spatzl ?«

»Frau Langhagen hat eben angerufen.«

»Wer war jetzt gleich noch mal Frau Langhagen ?«

»Die Tagesmutter !«

Caros Stimme klingt schrill und scharf.

Marc hebt beschwichtigend die H?nde.

»Entschuldige, dass ich den Namen nicht gleich parat hatte. Okay, die Tagesmutter. Was wollte sie ?«

»Sie hat abgesagt, Marc. Sie hat einfach abgesagt. Sie wird Henri nicht nehmen. In vier Wochen beginne ich wieder zu arbeiten, und wir haben keine Kinderbetreuung !« Carolin f?ngt an zu weinen.

Marc legt seinen Arm um sie.

»Spatzl, ganz ruhig. Mal der Reihe nach: Die hat abgesagt ? Aber das geht doch nicht so einfach. Die kann doch nicht kurz vorher anrufen und absagen. Wir haben immerhin einen Vertrag mit der unterschrieben.«

Caro schluchzt und zuckt mit den Schultern.

»Ja, aber was hilft uns der ? Die wandert spontan nach Norwegen aus, mit ihrer ganzen Familie. Wir k?nnen sie kaum zwingen, in Hamburg zu bleiben. Selbst wenn sie die K?ndigungsfrist noch einh?lt – was n?tzen denn vier Wochen ? So lange dauert doch schon die Eingew?hnung. Und dann ist sie weg.«

Das Schluchzen geht?ber in heftiges Tr?nenvergiessen.

Marc st?hnt.

»Scheisse. Kann nicht einfach mal irgendetwas nach Plan laufen ? Gib mir mal die Nummer von der Alten, die ruf ich jetzt an und erz?hl ihr ein paar Takte.«

Caro schluckt.

»Die Nummer gebe ich dir gleich. Aber das bringt doch sowieso nichts.«

»Wir werden sehen. Auf alle F?lle hat die dumme Kuh nach dem Telefonat mit Sicherheit so schlechte Laune wie ich gerade jetzt. Nach den n?chsten drei Patienten habe ich eine kleine L?cke, dann k?mmere ich mich drum, versprochen.«

Er zieht Carolin sanft zu sich hoch und schliesst sie kurz in seine Arme, die wischt sich die Tr?nen von der Wange.

»Okay, dann bis sp?ter.«

Beim Abendessen ist die Stimmung noch gedr?ckt. Immerhin heult Carolin nicht mehr. Luisa hat zur allgemeinen Aufmunterung ein paar Muffins gebacken und mich heimlich einen probieren lassen. Lecker ! Meine Laune ist daraufhin schlagartig blendend – vielleicht sollte Caro einen probieren ? Aber sie betrachtet nur d?ster Henri, der seinenMuffin gen?sslich bearbeitet, sich eine H?lfte in den Mund steckt, die andere H?lfte zerbr?selt und auf seinem Pulli und seiner Hose verteilt. Schliesslich kommt Marc aus der Praxis und setzt sich zu uns in die K?che.

»Und «, will Carolin wissen, »hast du mit ihr gesprochen?«

Marc nickt.

»Tja, es ist leider so, wie du sagst. Im April wandern sie aus. Sie hatte allerdings ein m?rderschlechtes Gewissen und hatte sich schon bei befreundeten Tagesm?ttern und Kinderkrippen nach Alternativen f?r uns umgeh?rt. Hier …«, er kramt einen Zettel aus seiner Hosentasche, »… hat sie ein paar Nummern f?r uns notiert. Zwei davon habe ich schon angerufen, bei einer der Adressen k?nnen wir n?chste Woche mal vorbeischauen. Die Purzelzwerge. Ist eine Elterninitiative. Zw?lf Kinder und drei Erzieher. Wirklich niedlich. Die haben eigentlich eine meterlange Warteliste, Frau Langhagen hat aber trotzdem ein Vorstellungsgespr?ch f?r uns klargemacht.«

Carolin schnaubt.

»Ach ? Dann soll ich der jetzt wohl auch noch dankbar sein, oder wie ?«

»Nein, so meinte ich das doch nicht. Ich wollte nur sagen, dass sie sich drum gek?mmert hat, weil ihr auch klar ist, wie unm?glich ihre Absage ist. Und normalerweise h?tte man sich da anmelden m?ssen, noch bevor man ?berhaupt ?ber Sex nachgedacht hat.«

»Papa !«, ruft Luisa emp?rt. »Du bist voll peinlich !«

Marc lacht.

»Ist ja gut, Schatz – ich wollte nur einen kleinen Witz machen, damit Carolin mal wieder lacht.«

Diese l?chelt daraufhin. Gequ?lt, so sieht es jedenfalls aus der Fussbodenperspektive aus.

»Ist ja gut. F?r mich ist eben heute Nachmittag eine Welt zusammengebrochen. Ich dachte, es w?re alles perfekt geregelt und Henri w?re gut versorgt. Daniel und ich haben einen Riesenauftrag an Land gezogen, ich muss sp?testens in vier Wochen wieder dabei sein, er schafft das alleine nicht. Undunabh?ngig davon: Ich will auch wieder arbeiten. Die Zeit hier mit den Kindern ist toll, aber ich vermisse meinen Job.«

»Spatzl, das verstehe ich doch.«

»Nein, tust du eben nicht. F?r dich hat sich auch kaum etwas seit der Geburt ge?ndert. F?r mich aber schon !«

»Carolin, ich widerspreche dir da gar nicht. Aber nun lass uns doch mal diese Liste abtelefonieren und n?chste Woche zu den Purzelzwergen gehen. Und wenn alle Stricke reissen, haben wir ja immer noch meine Mutter. Hedwig w?rde sich bestimmt sehr gern um Henri k?mmern.«

»Nein !« Caro springt vom Stuhl auf. »Das kommt ?berhaupt nicht in die T?te ! Auf keinen Fall erzieht deine Mutter meinen Sohn ! Die mischt sich schon genug in unser Leben ein.«

Luisa und Marc starren Carolin an, zun?chst sprachlos. Dann r?uspert sich Marc.

»Also, bitte rede nicht so von meiner Mutter. Und schon gar nicht, wenn Luisa dabei ist.«

»Was ist denn falsch mit der Oma ?«, will Luisa auch prompt wissen.

»Und was heisst hier eigentlichdein Sohn ? Das ist unser Kind.«

Oweiowei ! Hier klingt aber jemand so richtig angefasst. Und ich kann Marc verstehen. Warum ist Carolin denn auf einmal so biestig ?

Caro sagt erst einmal nichts, sondern verl?sst die K?che.

Marc sch?ttelt den Kopf und greift nach einem Muffin, Henri sagt etwas, das wie ein verwundertesGangagaah klingt, Luisa guckt daf?r sehr erstaunt.

»Papa, was hat Caro denn ?«

»Ich glaube, einen extrem schlechten Tag. Diese bl?de Tagesmutter will Henri jetzt doch nicht nehmen.«

»Aber warum ist sie denn dann sauer auf dich ? Du hast doch gar nichts gemacht.«

Eine sehr berechtigte Frage, die ich mir auch gerade gestellt habe.

»Tja, ich glaube, sie macht sich einfach Sorgen und ist deswegen so schlecht gelaunt.«

»Heisst das, dass ihr doch nicht heiratet ?«

Marc reisst die Augen auf.

»Was ? Nein, nat?rlich heiraten wir. Das hat damit gar nichts zu tun. Man kann sich doch mal streiten und sich trotzdem doll lieb haben. Aber du bringst mich auf eine gute Idee: Wir sollten uns am Wochenende ein paar von den Orten anschauen, an denen wir heiraten k?nnten. Vielleicht verbessert das Carolins Laune.«

Luisa nickt begeistert. Das Thema Hochzeit scheint ihr sehr zu gefallen.

»Aber pst ! Nicht verraten ! Wir sollten Caro damit ?berraschen. Wir tun einfach so, als wollten wir einen Ausflug machen, okay ? Und dann, schwups, stehen wir auf einmal vor dem Leuchtturm, auf dem wir heiraten k?nnten.«

»Alles klar, Paps ! Das ist eine klasse Idee.«

Das finde ich ehrlich gesagt auch. Vorausgesetzt, ich darf mitkommen. Aber daf?r werde ich schon sorgen.

SIEBEN

Daniel, bilde ich mir das ein, oder stehen Teile deines Hausstandes in unserem Werkstattflur ?«

Zwei Tage sind vergangen, und Caros Laune hat sich immer noch nicht wirklich gebessert. Aktuell hat Daniel darunter zu leiden. Wir wollten eigentlich nur kurz in der Werkstatt nach Post schauen, aber kaum hatte Carolin mehrere ihr unbekannte grosse Kartons im Flur vor der K?che entdeckt, wurde der arme Daniel zum Gespr?ch zitiert. Und zwar in einem Ton, den ich sonst nur vom alten von Eschersbach im Umgang mit unwilligem Hauspersonal kenne. Daniel guckt denn auch gleich ganz ertappt.

»?h, ja, tats?chlich, das sind ein paar Sachen, die nicht mehr in Volksdorf bleiben k?nnen.«

»Sachen, die nicht mehr in Volksdorf bleiben k?nnen ? Wie habe ich denn das zu verstehen ?«

Ich fange an zu fr?steln, so kalt und scharf klingt Caros Stimme.

»Na ja, sie sind halt … also sie erzeugen … also gewissermassen haben die Schwingungen …«

»Daniel !«, unterbricht Caro r?de sein Gestammel. »Was genau versuchst du mir da zu erkl?ren ?«

Er r?uspert sich.

»Es ist so: Claudia kann wegen der vielen elektromagnetischen Schwingungen in unserem Haus nicht mehr schlafen. Ihre Energien fliessen nicht mehr frei. Deswegen haben wir angefangen, alle gr?sseren elektronischen Ger?te, die wir nicht dringend brauchen, zu entfernen. In den Kartons sind mein Fernseher, meine Stereoanlage und mein Rechner. Bis ich weiss, wohin damit, wollte ich sie erst mal hier parken.«

Carolin sch?ttelt den Kopf.

»Das glaube ich jetzt nicht – die hat doch eine Vollmeise. Und du offen gestanden auch, dass du so einen Zirkus mitmachst. Musst du ja selbst wissen – aber hier kann der Krempel nicht stehen bleiben.«

Gut, ich finde auch, dass Daniel momentan seltsame Sachen treibt. Und ohne zu wissen, was genau elektromagnetische Schwingungen sind, habe ich das Gef?hl, dass die Geschichte oberfaul ist und schwer in Richtung Herzchakra geht. Aber einem guten Freund wie Daniel h?tte man das schon etwas mitf?hlender sagen k?nnen. Daniel scheint der gleichen Meinung zu sein, denn obwohl der geduldigste Mensch unter der Sonne, schaut er mittlerweile ziemlich s?uerlich.

»Ist ja gut, Caro. Reg dich ab. Du musst Claudia und mich nicht verstehen. Ist schon in Ordnung. Allerdings ist es nun mal so, dass sie gerade eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin macht und sich deswegen in einer extrem sensiblen Phase befindet. Sie ?berlegt auch, bei uns zu Hause Kurse anzubieten. Und daf?r muss sie sich dort hundertprozentig konzentrieren k?nnen. Glaube es oder lass es bleiben: Das geht eben nicht, wenn dort so starke Kraftfelder bestehen. Und da mir die berufliche Zukunft meiner Freundin sehr wichtig ist, nehme ich das ernst und k?mmere mich um das Problem. Und wenn das bedeutet, dass mein Fernseher raus muss, dann ist es eben so.«

Mit den H?nden in den Hosentaschen stapft Daniel auf die Kartons zu und schiebt sie mit dem Fuss noch ein St?ck n?her an die Wand.

»Ich r?ume die Sachen gleich in den Keller. Ich glaube, da ist noch Platz.«

»Ja, mach das. Und dann k?mmere dich gern weiter um das berufliche Fortkommen deiner Freundin. Wie es mit der Werkstatt weitergeht, ist ja nicht so wichtig.«

Schneller, als ich das von ihm gewohnt bin, dreht sich Daniel um und steht keine zwei Sekunden sp?ter neben Carolin und mir.

»Sag mal, was ist heute eigentlich mit dir los ? Deine Laune ist unertr?glich. Sonst bist du doch immer gut gelaunt, wenn du in die Werkstatt kommst.«

»Ach, nix.«

H? ? Warum erz?hlt sie Daniel denn nicht von dem ?rger mit der Tagesmutter ? Das geht ihn doch genauso etwas an. Schliesslich hat auch er ein Problem, wenn Caro nicht wieder anf?ngt zu arbeiten.

»Nix ? Das glaube ich dir nicht. Stress mit Marc ?«

»Nee.«

»Nun komm schon ! Ich lass hier die Hosen runter von wegen Yoga und Chakra – und ich bin mir ziemlich sicher, du hast mich schon f?r den Titel ›Weichei des Jahres‹ nominiert –, da kannst du mir auch ruhig sagen, wo dich der Schuh dr?ckt.«

Immer noch Schweigen. Kurzentschlossen packt Daniel Caro und dr?ckt sie ganz fest. Die schnappt ?berrascht nach Luft, aber Daniel l?sst sie nicht los.

»Hey, wir sind doch Freunde. Also, was ist los ?«

»Ach, ich will dich nicht beunruhigen.«

Jetzt l?sst Daniel sie los und grinst.

»Keine Sorge, das wirst du nicht. Was k?nnte denn beunruhigender sein als die Tatsache, dass meine Freundin meine Wohnung quasi unter meinem Arsch weg in ein Yoga-Zentrum verwandelt ?«

Caro kichert.

»Siehst du ! Und trotzdem bin ich noch gut gelaunt. Also heraus mit der Sprache: Was ist los ?«

Caro seufzt.

»Die Kinderbetreuung f?r Henri ist futsch. Die Tagesmutter, die wir gefunden haben, hat vorgestern v?llig ?berraschend abgesagt. Wandert nach Norwegen aus. Und jetzt weiss ich nicht, was ich machen soll. Ich habe gestern schon mit f?nf weiteren Tagesm?ttern und Kinderkrippen telefoniert – aber so kurzfristig hat nat?rlich niemand mehr einen Platz. N?chste Woche haben wir noch ein Gespr?ch bei den Purzelzwergen, aber wenn das auch nichts wird, weiss ich echt nicht mehr weiter.«

Daniel sch?ttelt ungl?ubig den Kopf.

»Die Purzelzwerge ? Klingt abenteuerlich.«

»Nee, ist eine ganz niedliche Elterninitiative. Denen ist wohl auch jemand abgesprungen, und jetzt d?rfen wir mit f?nf anderen Elternpaaren zum Vorsingen. Echt ?tzend, das sage ich dir !«

»Okay, dann verstehe ich deine schlechte Laune. Aber irgendwas wird sich schon finden, ganz bestimmt.«

Caro zuckt mit den Schultern.

»Weiss nicht. Jetzt mache ich mir nat?rlich Sorgen um unseren Auftrag. Deswegen wollte ich dir das auch nicht sagen, bevor ich keine andere L?sung habe. Damit du dir nicht auch noch Sorgen machst.«

»Das ist doch Quatsch. Ich mach mir keine Sorgen. H?chstens um meine Freundin Carolin. Aber was ist denn f?r eine ?bergangszeit mit Oma Hedwig ? Kann die nicht aufpassen ? Die ist doch ganz resolut.«

Caro rollt mit den Augen.

»Resolut trifft den Nagel auf den Kopf. Da wird Hedwig sich nicht nur um die Erziehung von Henri, sondern auch gleich um die aller anderen Familienmitglieder k?mmern. Nein, danke ! Das brauch ich wirklich nicht ! Dann nehme ich Henri lieber mit und setze ihn hier in einen Laufstall.«

Daniel hebt beschwichtigend die H?nde.

»Schon in Ordnung. War nur ’ne Idee. Ich r?um jetzt mal die Kartons weg.«

Pfuhhh ! Hoffentlich sorgt wenigstens Marcs Idee mit dem Geheimausflug f?r bessere Laune bei seiner S?ssen. So ist sie wirklich ungeniessbar !

Das Wetter spielt jedenfalls schon mal mit bei Marcs Plan. Am Sonntagmorgen werde ich von Sonnenstrahlen geweckt, die mich in der Nase kitzeln. Ich rolle mich aus meinem K?rbchen und schnuppere – ja, das wird ein guter Tag ! Eindeutig ! Marc und Luisa haben ihn auch perfekt vorbereitet – sie haben heimlich einen Picknickkorb gepackt mit einem heimlich gebackenen Kuchen, heimlich geschmierten Broten und einer ebenso heimlich kalt gestellten Flasche Sekt. Die Windeltasche f?r Henri ist auch schon neu best?ckt, und ein Ersatzschnuller liegt griffbereit. Auch ihren kleinen Bruder selbst hat Luisa schon startklar gemacht und angezogen. Um meine Teilnahme muss ich nicht bangen. Ich habe beobachtet, dass Luisa ein sorgf?ltig verpacktes T?tchen Hundefutter und meinen Trinknapf eingesteckt hat – es kann also losgehen ! Na gut, die Hauptperson fehlt noch, die durfte heute ausschlafen.

In der K?che blubbert die Kaffeemaschine, Marc ist dabei, Carolin eine Tasse von dem Zeugs mit dem Milchschaum obendrauf zu machen. Warme Milch – eklig ! Eigentlich nur was f?r Katzen, aber Carolin liebt es. Und in diesem Moment geht Marc auch schon gut gelaunt mit besagter Tasse in Richtung Schlafzimmer, um Carolin damit zu wecken. Ich wetze gleich hinterher – wenn Frauchen morgens auch noch von ihrem Lieblingsdackel begr?sst wird, kann doch wohl nichts mehr schiefgehen mit der guten Laune.

»Guten Morgen, mein Schatz !«

Marc setzt sich neben Caro aufs Bett und h?lt ihr die Tasse in sicherem Abstand unter die Nase. Caro gibt ein leisesMhmmm von sich. Ich h?pfe auf das Fussende und mogle mich vorsichtig nach oben, um einen besseren Blick zu haben. Der menschlichen Nase bei der Arbeit zuzugucken ist n?mlich meistens ziemlich unterhaltsam. So auch diesmal: Als Carolin den Duft von frischem Kaffee erschnuppert, kr?uselt sich ihre Nase, und die Sommersprossen auf ihr bilden ein lustiges Muster. Dann macht sie die Nase wieder lang, dann wieder kraus, und aus dem leisenMhmmm wird ein etwas lauteres, und schliesslich schl?gt sie die Augen auf.

»Oh, hallo, ihr beiden ! Das ist ja eine nette ?berraschung. Kaffee ans Bett – danke dir !«

Sie rappelt sich im Bett hoch, Marc reicht ihr die Tasse.

»Ja, und es wird heute nicht die einzige ?berraschung bleiben. Luisa und ich haben generalstabsm?ssig einen kleinen Ausflug mit dir und Henri geplant. Das Wetter ist toll, der Fr?hling endlich richtig da – also, auf geht’s !«

Er gibt ihr einen Kuss.

»Wow ! Und wohin ?«

Marc sch?ttelt den Kopf.

»Das wird nicht verraten. Du wirst es schon sehen.«

Kurze Zeit sp?ter sitzen alle im Auto, ich liege zu Caros F?ssen, und Marc steuert unser erstes Ziel an, das Luisa gewissenhaft auf einem Zettel notiert und ihm kurz vorher unter die Nase gehalten hat.

»Ihr alten Geheimniskr?mer ! Jetzt k?nnt ihr mir doch verraten, wohin es geht !«

»Kommt ?berhaupt nicht in Frage. Abwarten, meine Liebe !«

Caro seufzt, dann beugt sie sich zu Marc hin?ber und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Super ! Marcs Plan funktioniert: Caro ist gl?cklich, und der ganze ?rger der letzten Tage scheint vergessen.

Wir fahren eine ganze Weile, dann wird Marc langsamer und h?lt schliesslich an.

»So. Bleib mal einen Moment sitzen, ich hole etwas.«

Marc steigt aus und?ffnet kurz darauf Caros Wagent?r.

»Bitte sch?n !«

Er h?lt ihr irgendetwas entgegen. Ich blinzele ins helle Sonnenlicht, um es zu erkennen. Ein langstieliges Glas. Offenbar hat Marc die Flasche Sekt gek?pft.

»So, mein Spatzl ! Willkommen auf unserer Hochzeits-Erkundigungstour. Erste Station: Pri?rinnenhaus des ehemaligen Klosters Uetersen. Prost – auf unsere Hochzeit !«

Caro strahlt, dann klirren die Gl?ser, und die beiden trinken einen Schluck. Henri macht vom R?cksitz aus deutlich, dass er auch durstig ist, Luisa hat sogar eine Trinkflasche f?r ihn griffbereit. Klasse – heute passt einfach alles ! Ist irgendwie deutlich sch?ner als die Tage, an denen alles schiefgeht.

Caro stellt ihr leeres Glas auf den Fahrersitz, dann steigt sie aus, und ich h?pfe gleich hinterher. Vor uns steht ein ziemlich grosses Haus, das an der einen Seite von Efeu umrankt wird. Eigentlich scheinen es sogar eher zwei bis drei H?user zu sein, die ein bisschen verwinkelt ineinander ?bergehen. Die Fenster sind auch gross und haben viele Sprossen, die T?ren sehen aus, als ob sie in zugemauerten Torbogen liegen.

»Wow – wie toll ist das denn !«, ruft Carolin begeistert. »Das ist ja ein richtiges Schloss !«

Ich betrachte das Haus noch einmal gr?ndlich und sch?ttle den Kopf. Innerlich wohlgemerkt, denn ich bin ja ein h?flicher Dackel. Aber ich kann meine vornehme Abstammung nicht verleugnen, und nat?rlich ist dieses grosse Haus kein Schloss, sondern bestenfalls ein h?bsches Geh?ft. Diesen Unterschied erkennt man wohl nur, wenn man selbst auf einem Schloss geboren ist. Eine B?rgerliche wie Carolin ist damit offensichtlich ?berfordert. Nun ja, sie kann nichts daf?r – so ist es eben.

Ich laufe ein paar Schritte von Carolin weg und schaue mich interessiert um. Immerhin, das Geh?ft scheint einen netten kleinen Park zu haben. Es riecht nach den ersten Blumen, und neben dem Weg gibt es einen sorgf?ltig geschnittenen Rasen. Der Gutsherr scheint also einen G?rtner zu besch?ftigen. Sehr l?blich – bei uns zu Hause ist leider Marc f?r das Rasenm?hen zust?ndig, was er aber fast nie macht. Das ist zwar zum Umherstreifen im Garten nett, geh?rt sich aber eigentlich nicht. Der alte von Eschersbach h?tte so eine ungepflegte Wiese hinter dem Schloss auf keinen Fall durchgehen lassen.

Luisa kommt zu mir gelaufen.

»Sch?n ist es hier, oder, Herkules ?« Sie b?ckt sich und krault mich. »Papa sagt, drinnen gibt es ein Zimmer, das fast wie eine Kirche aussieht, und da wird man dann getraut. Dann ist es gar nicht mehr so schlimm, dass Papa und Caro nicht in einer echten Kirche heiraten. Und die Standesbeamtengeben sich hier auch ganz viel M?he, also fast so wie der Pastor in der Kirche. Klasse, oder ?«

Ich kenne mich mit dem Thema ja nicht so aus. Genau genommen war ich erst einmal im Leben in der Kirche. N?mlich an Weihnachten vor Henris Geburt. Dort war es sehr laut und unglaublich voll, und am Ende gab es ein dermassen dr?hnendes Glockengel?ut, dass ich gefl?chtet bin. F?r mich ist die Sache mit der Kirche also definitiv nichts. Aber wenn Marc f?r die Hochzeit nun etwas sucht, was so ist wieeine Kirche – n?mlich mit einem solchen Raum und einem Menschen, der sich so benimmt wie ein Pastor –, dann frage ich mich, warum Caro und Marc nicht gleich in einer echten Kirche heiraten. Das w?re doch viel einfacher. Nichts gegen unseren kleinen Ausflug, aber warum suchen wir denn etwas, was wie eine Kirche ist, ohne eine Kirche zu sein ? Wo es doch ziemlich viele echte Kirchen gibt ? R?tsel ?ber R?tsel bei den Zweibeinern …

Inzwischen hat Marc auch Henri aus seiner Sitzschale gesch?lt und in seinen Buggy gesetzt. Der Kleine ist begeistert und klatscht immer wieder in die H?nde. Ich kann’s verstehen – f?r ihn muss Autofahren ?hnlich langweilig wie f?r mich sein, denn von dieser Babyschale aus kann Henri bestimmt nicht richtig aus dem Fenster gucken.

»So, dann lasst uns mal reingehen. Frau Holtrop wartet schon auf uns, sie wird uns das Trauzimmer zeigen und auch die R?umlichkeiten, in denen wir sp?ter feiern k?nnten. Zu dem alten Gem?uer hier geh?rt n?mlich auch ein sehr sch?nes Restaurant.«

An der T?r werden wir von einer jungen Frau begr?sst. Ob das die Gutsherrin ist ? Daf?r sieht sie f?r meinen Geschmack eigentlich zu leger aus.Aber was will man machen, h?tte der alte Eschersbach gesagt,die jungen H?hner machen ja doch, was sie wollen. Da war seine eigene Schwiegertochter nicht anders, die lief auch rum, wie sie wollte, obwohl sie mit dem jungen Schlossherrn verheiratet war.

»Hallo, Sie m?ssen Herr Wagner sein, richtig ?«, strahlt die Frau mein Herrchen an und reicht ihm die Hand.

Der nickt.

»Genau, und das sind meine Verlobte, Frau Neumann, und unsere Kinder Luisa und Henri.«

Hey, und was ist mit mir ? Normalerweise st?rt es mich nicht, beim menschlichen Vorstellungszeremoniell aussen vor gelassen zu werden. Aber wenn wir hier auf einem Gut sind, sollte man Carl-Leopold von Eschersbach schon erw?hnen. Das w?rde auf alle F?lle Eindruck machen, auch wenn hier nur der niedere Landadel residiert. So viel Zeit muss einfach sein !

Dennoch werde ich schm?hlich ignoriert, und so dackle ich im wahrsten Sinne des Wortes einfach hinterher. Hinter der T?r kommen wir in eine Halle, von der mehrere T?ren abgehen sowie eine Treppe. Frau Holtrop nimmt die ersten Stufen, wir hinterher. Oben angekommen ?ffnet sie eine n?chste T?r – und selbst ich kleiner, ignoranter Hund bin platt: Vor uns liegt ein heller, grosser Saal, der ganz locker mit dem grossen Salon in Schloss Eschersbach mithalten kann. Wahrscheinlich sogar mit dem Ballsaal, aber den habe ich selbst nur einmal ganz kurz und durch Zufall gesehen. Und danach war er f?r mich, nachdem ich dort aus der Not heraus auf das Parkett gepinkelt hatte, allerstrengstens verboten. Meine Erinnerung daran ist demzufolge nicht besonders gut – aber dieser Saal ist toll. Sieht allerdings ?berhaupt nicht wie unsere kleine Kirche aus.

Meine Menschen schweigen and?chtig, sie sind bestimmt auch beeindruckt.

Caro r?uspert sich. »Und das hier ist nur das Trauzimmer ?«

Frau Holtrop nickt.

»Genau. Der ehemalige Konventsaal. Dieses Klostergeb?ude wurde 1664 gebaut, der Saal ist also schon fast 350 Jahre alt. Und ich finde, immer noch sehr eindrucksvoll. Ihren G?sten wird es bestimmt gefallen, und sie h?tten sicherlich alle Platz. Steht Ihr Termin denn schon genau fest ?«

»Der f?nfzehnte Juni w?re toll, aber daf?r sind wir wahrscheinlich schon ein bisschen sp?t dran, oder ?«, will Marc wissen.

Die junge Frau zuckt mit den Schultern.

»Das muss ich nachsehen. Wenn Sie allerdings mit dem Wochentag ein bisschen flexibel sind, finden wir garantiert noch eine L?cke im Juni. Sie k?nnen hier n?mlich an jedem Tag im Jahr heiraten.«

Caro r?uspert sich erneut.

»Also, ich finde das hier auch wundersch?n, aber unsere Hochzeitsgesellschaft ist nicht besonders gross. Ich frage mich, ob wir in diesem Saal nicht ein wenig verloren wirken w?rden.«

»Wie viele G?ste erwarten Sie denn ?«

»Na, ausser meinem Mann und mir die beiden Kinder, meine Eltern und meine Schwiegermutter. Macht schon mal f?nf Erwachsene und zwei Kinder. Dann die beiden Trauzeugen mit Partner, das sind noch mal vier Erwachsene. Somit insgesamt elf Leute.«

»Tja, das sind wirklich nicht besonders viele …«

»Moment mal«, widerspricht Marc, »ein paar mehr G?ste haben wir vielleicht doch, glaube ich. Mehr aus der Familie oder enge Freunde w?rde ich schon noch gern einladen.«

»Welche Familie denn noch ? Darf ich dich daran erinnern, dass wir beide Einzelkinder sind ?«

»Ja, stimmt schon – aber ich dachte, meine Cousine Edda w?re vielleicht ganz gern dabei. Sie ist wirklich sehr nett.«

»Marc, von dieser Cousine h?re ich heute zum ersten Mal.«

»Und was ist mit Daniel ? Den willst du doch nicht etwanicht einladen.«

Stimmt. Was ist mit Daniel ? Wenn der auch kommt, nimmt er bestimmt Claudia mit. Und die wiederum nimmt bestimmt Cherie mit. Also, Marc hat ganz recht: Daniel m?ssen wir unbedingt einladen !

Caro seufzt.

»Klar, Daniel. Aber dann m?ssen wir auch Claudia einladen, und die Frau wird mir immer suspekter. Ich habe eigentlich keine Lust, mir meine Hochzeit durch irgendwelches Esoterik-Gequatsche ruinieren zu lassen.«

»Esoterik-Gequatsche ?«

Marc zieht die Augenbrauen hoch.

»Na ja, die macht doch jetzt ’ne Umschulung zur Yoga-Lehrerin.«

»Soviel ich weiss, sind Yoga und Esoterik aber nicht dasselbe.«

Marc grinst.

Ich schaue ratlos von einem zum anderen. Gut, Yoga ist, wenn man im Garten liegt und atmet. Aber was bitte istEsoterik ?

»Dann eben Yoga-Gequatsche. Kommt f?r mich aufs Gleiche raus. Wenn wir wirklich nur im ganz kleinen Kreis mit Familie feiern, kann ich Daniel schon erkl?ren, warum er nicht dabei ist.«

Och n? ! Das finde ich richtig doof !

»Nun ja, wir haben hier auch manchmal Trauungen im ganz kleinen Kreis«, mischt sich Frau Holtrop wieder ein. »Da k?nnen Sie anschliessend im Kaminzimmer feiern, das hat genau die richtige Gr?sse f?r eine kleinere Gesellschaft. Soll ich es Ihnen mal zeigen ?«

»Ja«, Caro nickt, »das ist eine gute Idee.«

»Obwohl – ich finde, wir sollten auch die gr?ssere Variante noch mal diskutieren«, beharrt Marc.

»Selbstverst?ndlich zeige ich Ihnen auch gern die gr?sseren R?ume. Sie k?nnen es sich ja auf jeden Fall noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Man heiratet schliesslich nur einmal im Leben.«

Carolin kichert.

»Da liegen Sie im Hinblick auf meinen Zuk?nftigen leider falsch, Frau Holtrop. Der ist Wiederholungst?ter.«

Frau Holtrop lacht ebenfalls, aber es klingt ein bisschen unsicher. Marc lacht nicht. T?usche ich mich, oder findet er das ?berhaupt nicht komisch ?

»Ich hoffe doch sehr«, sagt er dann s?uerlich, »dass ich nicht unter Ausschluss der ?ffentlichkeit heiraten muss, weil es f?r mich das zweite Mal ist.«

Nein, ich t?usche mich nicht. Marc findet es nicht komisch. Offenbar ist seine erste Ehe nicht gerade sein Lieblingsthema. Das wundert mich freilich nicht. Sabine, seine Exfrau, ist wirklich furchtbar. Ich kenne niemanden, der sie mag. An die w?rde ich auch nicht gern erinnert werden.

Carolin gibt sich unger?hrt.

»Also wirklich, nun stell dich mal nicht an. Du weisst genau, wie ich das gemeint habe.«

Marc wirft ihr einen b?sen Blick zu, sagt aber nichts mehr. Luisa hingegen scheint das kleine Scharm?tzel auf eine Idee gebracht zu haben.

»Jetzt weiss ich, wen ihr noch einladen m?sst – Mama !«

Ich muss mich korrigieren: Ich kenne doch jemanden, der Sabine mag. Aber ich finde, die eigene Tochter z?hlt nicht.

ACHT

Auf der Fahrt zu unserem n?chsten Besichtigungsziel ist Carolin nicht mehr ganz so gut gelaunt. Ich sch?tze mal, dass die Aussicht, Sabine auf ihrer eigenen Hochzeit zu begegnen, daran schuld ist. Auch Marc ist auf einmal ganz still. Ob er ?berlegt, wie er Luisa das mit Sabine wieder ausreden kann ? Ich ahne es schon: Die Einladungspolitik bei einer menschlichen Hochzeit ist sehr diffizil. Ich sollte meinem Sch?pfer immer wieder danken, dass ich nur ein kleiner Hund bin, der gl?cklich ist, wenn sein Napf gut gef?llt ist und ihn jemand ab und zu am Bauch krault.

»Also«, bricht Marc schliesslich das Schweigen, »vielleicht ist der Plan mit dem ganz engen Kreis doch ziemlich gut. Und unser n?chstes Ziel w?rde perfekt dazu passen. Ich glaube, da passen ?berhaupt nur elf Leute ins Trauzimmer.«

»Da bin ich aber mal gespannt.«

Ich kann es zwar nicht sehen, aber an ihrer Stimme h?re ich, dass Caro wieder l?chelt. Sehr sch?n ! Ich hatte schon Angst um unseren Ausflug. Wenn von drei Menschen – Henri z?hle ich in diesem Zusammenhang nicht mit – einer schlecht gelaunt ist, sind es meiner Erfahrung nach bald alle.

Marc nimmt eine Hand vom Lenkrad und legt sie vorsichtig auf Caros Knie.

»Ein bisschen musst du dich gedulden. Es ist noch ein ganzes St?ckchen hin. Ein wundersch?ner Ort. Ich hatte sowieso ?berlegt, ob wir unsere Trauung nicht mit einem kleinen Kurzurlaub verbinden, und auch dazu w?rde diese Location hervorragend passen.«

Die Fahrt dauert tats?chlich noch eine ganze Weile. Ich merke, wie mein Magen zu knurren anf?ngt. Hoffentlich kommt als N?chstes der Picknickkorb zum Einsatz ! Nur gut, dass dort auch ein T?tchen f?r mich drin schlummert.

Als wir endlich ankommen und ich aus dem Auto h?pfe, sehe ich erst einmal: nichts ! Also, jedenfalls nichts, was so aussieht, als ob man dort als Mensch heiraten k?nnte. Denn es gibt absolut kein Geb?ude, sondern nur sehr viel Gras. Genau genommen stehen wir auf einer riesigen Wiese. Am Horizont scheint die Wiese sogar von einer Mauer umgeben zu sein, die ebenfalls aus Wiese besteht. Auf der Mauer stehen und liegen Tiere herum, dem Geruch nach Schafe. Interessant. Will Marc etwa vorschlagen, auf Hochzeitsg?ste zu verzichten und stattdessen ein paar Schafe einzuladen ?

Auch Carolin schaut sich erstaunt um.

»Was wollen wir denn hier ? Am Deich ?«

Stimmt. Die gr?ne Mauer heisst Deich. Das weiss ich noch aus meinem Urlaub in St. Peter-Ording. Marc nimmt Caro an die Hand.

»Genau hier wollen wir nichts. Es ist noch ein bisschen zu laufen. Guck mal, dahinten ist es !«

Marc zeigt auf etwas, und ich folge mit dem Blick der Richtung, in die seine Hand zeigt. Dort steht ein sehr, seeehr hoher Turm, links und rechts von ihm zwei H?user.

»Zu dem Leuchtturm ?«

Marc nickt.

»Genau.«

Aha, ein Leuchtturm. Was das wohl ist ? Na, ich werde es ja gleich aus der N?he sehen. Allerdings ist das noch ein ganzes St?ck weit weg. Ich w?re dann doch erst mal f?r ein ausgedehntes Picknick. Nicht auszudenken, einer von uns k?nnte auf dem Weg zu diesem Turmdings einen Schw?cheanfall erleiden. Zwischen lauter Schafen ! Ich setze mich auf meinen Po und beginne zujaulen. Luisa hockt sich neben mich.

»Herkules hat bestimmt Hunger. Ich ?brigens auch. Wollen wir nicht erst einmal unser Picknick machen ?«

»Das ist eine gute Idee. Wir haben ohnehin noch ein wenig Zeit. Wir k?nnen den Turm erst in einer Stunde besichtigen.«

Kurz darauf sitzen wir auf der Picknickdecke und geniessen die mitgebrachten K?stlichkeiten, wobei sich Henri auf Bananenst?ckchen beschr?nkt und ich mich auf Trockenfutter. Caro und Marc trinken noch ein Glas Sekt. Versonnen schaut Carolin zum Leuchtturm r?ber.

»Toll, das ist der Leuchtturm, ?ber den ich gelesen habe. Das ist ja wie im M?rchen.«

»Das Trauzimmer ist auf der vierten Plattform. Also, es sind ziemlich genau f?nfundsechzig Stufen zum Gl?ck.« Er l?chelt und gibt ihr einen Kuss. »Zu Fuss m?sste es von hier aus ungef?hr eine Dreiviertelstunde sein, na ja, mit Henri wahrscheinlich eher eine gute – aber man kann auch eine Kutsche mieten.«

Caro h?lt ihm ihr Glas zum Nachf?llen hin.

»Ich h?tte nicht gedacht, dass du so kreativ bei der Hochzeitsvorbereitung wirst ! Das gef?llt mir gut ! Sehr gut sogar.«

Sie beugt sich zu Marc hin?ber, und dann k?ssen sie sich wieder.

W?hrend die beiden mit Romantik besch?ftigt sind, mache ich mir ganz andere Gedanken. F?nfundsechzig Stufen ! Ich hoffe, die liegen nicht zu weit auseinander. F?r mich als Fast-Dackel kann das zum Problem werden. Meine Beine sind zwar nicht so kurz wie die meiner Mama – aber richtig lang sind sie eben auch nicht. Ab einem gewissen Stufenabstand kann ich nicht mehr laufen, sondern muss richtig springen. Und das f?nfundsechzigmal – keine sch?ne Vorstellung ! Misstrauisch ?uge ich zu dem Turm – ob mich Luisa vielleicht tragen kann ? Und apropos tragen: Was ist eigentlich mit Henri ? Dass der bis zum Sommer noch laufen lernt, wage ich zu bezweifeln.

»Na, ihr seid ja ganz sch?n fr?h dran mit eurem Picknick ! Riecht aber lecker !«

Ein grosser, zotteliger Hund ist neben uns aufgetaucht und betrachtet uns interessiert.

»Wieso fr?h ? Es ist bestimmt schon Mittag. Da gibt es bei uns immer etwas zu futtern.«

»Nein, ich meine: fr?h im Jahr. Normalerweise ist es jetzt Menschen doch noch zu kalt, um so lange draussen zu sitzen. Im Sommer sind immer ganz viele von ihnen hier, aber momentan ist Besuch nicht so h?ufig. Der Sch?fer hat es auch nicht gern um diese Jahreszeit. Wir haben viele L?mmer, und die Muttertiere sind schnell genervt von Besuch.«

Zottel ist hier also der Sch?ferhund. Mittlerweile haben ihn auch meine Menschen gesehen.

»Oh, der ist aber niedlich ! Guck mal, Papa ! Meinst du, der hat Hunger ? Vielleicht will er ein paar von unseren Hundeleckerlis ?«

Bitte ? Spinnt Luisa jetzt v?llig ? Finger weg von meinen Leckerlis ! Ich knurre ein bisschen. Zottel stellt ?berrascht die Ohren auf.

»Hey, Kumpel, ruhig Blut ! War nicht meine Idee !«

Marc lacht.

»Nee, Luisa, lass mal ! Erstens passt dein Vorschlag Herkules offenbar gar nicht. Zweitens m?chte ich nicht, dass du fremde Hunde f?tterst. Du sollst ?berhaupt keine fremden Tiere f?ttern. Nachher vertragen sie das angebotene Futter nicht und werden krank – das muss ja nicht sein.«

»Aber er guckt doch so traurig !«, verteidigt Luisa ihre Schnapsidee.

Marc sch?ttelt den Kopf.

»Nichts zu machen ! Aber ansonsten ist das von dir ein guter Hinweis. Das n?chste Mal, wenn du dein Zimmer nicht aufr?umen willst, gucke ich auch ganz traurig.«

»Menno, Papa ! Du bist richtig doof !«

»Gaaawaaah ! Papaaa !«, kr?ht Henri wie zur Best?tigung und schmiert Marc ein St?ck Banane an die Hose. Auweia, Marc ist doch so ein Sauberkeitsfanatiker – das gibt bestimmt ?rger ! Tats?chlich reisst Marc die Augen auf – aber statt des zu erwartenden Donnerwetters st?sst er einen kleinen Jauchzer aus.

»Caro, hast du das geh?rt ? Er hatPapa gesagt ! Henris erstes Wort istPapa !«

Unsinn. Henris erstes Wort warGaaawaaah. Ich habe es genau geh?rt. Okay, das Wort danach klang tats?chlich wie Papa, aber das war bestimmt Zufall. Von mir aus auch Wunschdenken.

Marc jedoch ist nicht zu bremsen.

»Wahnsinn ! Mein Sohn ist noch kein Jahr und kann schon sprechen ! Dabei sagt man doch immer, Jungs sind in der Beziehung langsamer – stimmt gar nicht ! Wahrscheinlich ist Henri eben hochbegabt ! Papa ! Wahnsinn ! Mensch, Caro, ist das nicht toll ?«

»Ja, ich hab es auch geh?rt.« Caro lacht. »Aber war es nicht eher einMama ?«

Sagt mal, habt ihr es alle auf den Ohren ? Es war weder Mama noch Papa. Es war eindeutigGaaawaaah. Doch was rege ich mich auf. Mir h?rt ja eh keiner zu. Auch wenn in einem einzigenWuffvon mir garantiert mehr Information steckt als in einem ganzen Sack vollGaaawaaah von Henri.

Zottel setzt sich neben die Decke.

»Warum seid ihr eigentlich hier ? Wollt ihr dem Sch?fer ein Osterlamm abkaufen ?«

»Osterlamm ? Nee. Wir wollen heiraten. Auf dem komischen Dings da dr?ben.«

»Ach so. Dann brauchen sich meine Schafe ja keine Sorgen zu machen. Die M?tter sind eben schon ganz unruhig geworden, als euer Auto gekommen ist. Erst gestern hat der Sch?fer zwei L?mmer verkauft, da war hier aber was los ! Also – haltet euch besser von der Herde fern. Man soll es nicht glauben, aber so ein Schaf kann schon ungem?tlich werden, und ich kann nicht ?berall gleichzeitig sein.«

Pah ! Sehe ich aus, als h?tte ich vor einem Schaf Angst ? Immer diese ungebetenen Ratschl?ge !

»Mach dir keine Sorgen, Kollege. Ich komm schon klar.«

»Ich mach mir keine Sorgen. Ich wollte es nur gesagt haben. Und man weiss nie, auf was f?r dumme Gedanken Menschenkinder kommen. Pass also ein bisschen auf dein Rudel auf. Besser isses.«

Er zockelt Richtung Deich ab. Ich blicke ihm hinterher. Gef?hrliche Schafe. Lachhaft ! Aber so sind sie wohl, die H?tehunde. K?nnen einfach nicht aus ihrer Haut. Sehen hinter jedem Busch einen R?uber. Da bin ich als Jagdhund nat?rlich ganz anders gestrickt. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich die Gefahr suche – aber ich verstecke mich auch nicht vor ihr. Wobei von diesen Wollkn?ueln auf vier Beinen doch sowieso keine Gefahr ausgeht.

Marc und Caro haben mittlerweile ihr Picknick beendet, die Sachen zusammengepackt und Henri in seine Karre verfrachtet. Leuchtturm, wir kommen ! Je n?her der ?brigens r?ckt, desto h?her sieht er aus. Kann mir mal jemand verraten, warum wir dieses Hochzeitsdings m?glicherweise hoch ?ber der Erde durchziehen wollen ? Ist es vielleicht, um sicherzugehen, dass Sabine nicht kommt ?

»Guck mal, Carolin«, Luisa zeigt auf ein paar Schafe, die direkt neben unserem Weg stehen, »sind die nicht s?ss ? Die sehen so flauschig aus !«

Sie macht einen Schritt auf zwei kleine L?mmer zu, die uns mit grossen Augen anschauen. Sofort kommt ein gr?sseres Schaf hinzu und bl?kt emp?rt. Vorsicht, Luisa ! Ich habe nat?rlich keine Angst vor dem Vieh, aber wenn man meiner Luisa zu nahe kommt, werde ich, Carl-Leopold von Eschersbach, selbst zum Tier. Na ja, im ?bertragenen Sinne. Ich trabe also neben Luisa und knurre vorsichtshalber ein bisschen.

»Pfui, aus, Herkules ! Lass die L?mmer in Ruhe !«, schimpft Marc v?llig zu Unrecht mit mir.

Ich h?re auf zu knurren und trolle mich beleidigt. Soll er halt selbst auf sein T?chterlein aufpassen. Luisa l?sst die L?mmer allerdings auch L?mmer sein und schiebt stattdessen die Karre, die sie jetzt von Caro ?bernimmt, vor sich her.

Der Leuchtturm ist vielleicht noch einen kurzen Spurt von uns entfernt, da entdeckt auch Henri die kleinen L?mmer f?r sich und beginnt, ihnen zuzuwinken. Klar, die gefallen ihm. Sind ja gewissermassen Altersgenossen.

»Gaaagagaaa, waaahaaa !«, ruft er begeistert.

»Die sind s?ss, oder ?«, will Luisa von ihm wissen.

Henri strahlt und winkt weiter.

»Komm, ich fahr dich mal ein bisschen n?her ran.«

Luisa schiebt los, Richtung L?mmchen.

Oh, oh– ob das so eine gute Idee ist ? Ich schaue zu Caro und Marc. Aber die sind ins Gespr?ch vertieft und merken gar nicht, dass Luisa vom Kurs abkommt. Schnell hefte ich mich an ihr Bein. Jetzt kommt sie bei den L?mmern an.

»Guck mal, Henri. Jetzt kannst du sie streicheln.«

Sofort versucht Henri, mit seinen Patscheh?ndchen nach den Sch?fchen zu greifen.

Eines ist ein bisschen mutiger und kommt n?her. Wahrscheinlich riecht es den Bananenmatsch an Henris Fingern. Jetzt leckt es tats?chlich an seinem H?ndchen. Henri gluckst, das Lamm meckert. Dann packt es offensichtlich in der Hoffnung auf Futter noch mal zu – und Henri br?llt wie am Spiess los.

Auf einmal geht alles ganz schnell: Henri schreit, das Schaf bl?kt, Luisa schreit auch und wedelt dem L?mmchen mit der Hand vor der Nase herum, um es zu verscheuchen.

Mutter Schaf bekommt offenbar nur die H?lfte mit und macht einen Satz auf die Karre zu, die kippt mitsamt Henri um, Henri schreit noch lauter – und mir bleibt keine andere Wahl: Angriff, Attacke ! Wer meinen Kleinen angreift, kriegt es mit mir zu tun !

Noch bevor das Mutterschaf Henri richtig zu fassen bekommt, mache ich einen gewaltigen Sprung und werfe mich dazwischen. Das Schaf bl?kt laut auf, h?lt kurz inne und zwickt mich dann in den Hinterlauf. Autsch ! Das tat weh ! Aber besser ich als Henri ! Ich knurre und schnappe nach meiner Angreiferin, die weicht tats?chlich ein paar Schritte zur?ck. Wie hat mir Opili das damals noch erkl?rt ? Stellen und verbellen ? Wie gingdas noch ? Ich stelle mich genau vor das Schaf und fange an zu bellen. Tats?chlich kommt es nicht wieder n?her, sondern scheint zu ?berlegen, was es als N?chstes machen soll. Wuff, Taktik funktioniert !

Mittlerweile haben auch Marc und Carolin gemerkt, dass unser Ausflug eine etwas ungem?tliche Wendung genommen hat.

»Henri ! Was ist passiert ?«

Caro l?uft zur Karre und hebt ihren Sohn hoch.

Luisa heult.

»Die Schafe haben Henri gebissen !«

Schnell zieht Caro sie am?rmel von den Schafen weg und bringt einen sicheren Abstand zwischen Kinder und Viecher.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass nun ein paar andere Schafe ihrer Kollegin zur Hilfe eilen, und ehe ich michs versehe, steht nicht nur ein Schaf vor mir, sondern gleich vier. Ich belle tapfer weiter, aber so langsam wird mir ein bisschen mulmig. Wo steckt eigentlich Zottel ? Das ist doch hier seine Truppe, die sich gerade nicht im Griff hat !

Ein besonders vorwitziger Vertreter wagt sich nun ganz dicht an mich heran und verpasst mir dann einen kr?ftigen St?ber mit seiner Nase. Ich jaule auf und gehe sofort in die Offensive, indem ich nach ihm schnappe. Leider erwische ich nur Luft – wer h?tte gedacht, dass ein Schaf so schnell sein kann ? Seine Kumpane haben mittlerweile einen Kreis um mich gebildet, bl?ken und scharren mit den Hufen. Ich knurre und belle noch lauter, doch das scheint sie nicht zu beeindrucken, denn sie r?cken langsam n?her. Was hatte Zottel gesagt ? Die k?nnen ungem?tlich werden ? Vielleicht hatte er damit doch ein klein wenig recht. Und wo steckt der Meister ?berhaupt ? HILFE ! ! !

Ich beschliesse, einen Ausbruchsversuch zu wagen und mich zu Marc und Caro durchzuschlagen. Die sind leider so damit besch?ftigt, die Kinder zu tr?sten, dass sie offenbar ?berhaupt nicht bemerken, in welcher Notlage ich mich befinde. Entschlossen presche ich auf die L?cke zwischen zwei Schafen zu – und ebenso entschlossen senkt das eine seinen dicken Sch?del und rammt mich in die Seite. Jaul ! Das tat aber richtig weh ! Hey, Friede ! Ich will doch gar nichts von euren L?mmern ! Ich will doch nur wieder zu meiner Familie ! Und ?berhaupt – wenn Henri nicht mit den Bananen gematscht h?tte, w?redas alles nicht passiert. Ist doch nicht meine Schuld !

Ein heiseres Bellen, die K?pfe der Schafe fahren herum.

Zottel. Endlich ! Er kommt aus Richtung Deich angest?rmt, umrundet einmal meine Angreifer und zwickt dann zwei von ihnen geschickt in die Hinterl?ufe. Die brechen daraufhin zur Seite aus und geben den Weg f?r mich frei. Schnell bringe ich mich in Sicherheit und renne zu Marc und Caro. Wuff. Das war knapp. Sehr knapp. Ich kann sp?ren, wie mein Herz rast, und lege mich erst einmal b?uchlings zum Verschnaufen ins Gras.

»Endlich, Herkules, da bist du ja ! Wo warst du denn ? Ein toller Wachhund bist du ja nicht gerade !«

Schimpft Marc etwa mit mir ? Mit mir, dem tapferen Jagdhund, der sich mutig vor die Kinder seines Herrchens geschmissen hat ? Dieser Vorwurf tut mehr weh, als von einem Schaf ins Bein gezwackt zu werden. Ich vergrabe den Kopf zwischen meinen Vorderpfoten und winsele. Die Welt ist so ungerecht !

Marc streicht mir?ber meine tief gefurchte Stirn.

»Nichts f?r ungut, Herkules. Aber w?hrend du hier rumgestromert bist, mussten wir uns mit gemeingef?hrlichen Schafen herumschlagen. Da w?re es schon besser gewesen, du w?rst nicht einfach abgehauen. Vielleicht sollte ich dich besser anleinen.«

Bitte ? Zur Strafe an die Leine ? Tats?chlich. Marc zieht die Leine aus seiner Jackentasche, kniet sich hin und leint mich an. In einiger Entfernung sitzt Zottel und beobachtet das Ganze. Feixend, wie mir scheint. Was f?r eine Dem?tigung ! Carl-Leopold von Eschersbach, Nachfahre ber?hmter Jagdhunde, Retter von Henri und Luisa, an die Leine gelegt. VOR einem ganz gew?hnlichen H?tehund !

Gesenkten Hauptes trotte ich hinter meinen Menschen her. Die Schafe bl?ken geh?ssig.

Zottel kommt angetrabt.

»Ich hab’s dir ja gesagt – die Muttertiere sind ganz sch?n nerv?s momentan. Aber ist noch mal gut gegangen. Eure Kinder haben sich nur erschreckt, oder ?«

Ich nicke und trotte weiter.

»Alles okay bei dir ?«

Kein Kommentar.

»Hey, nimm’s nicht so schwer. Das kann immer mal passieren. Ich meine – ihr kennt euch mit Schafen eben nicht aus. Ihr seid aus der Stadt, oder ? Sieht man doch schon daran, wie ihr hier rumlauft. Und dann – heiraten auf dem Turm. Mein Sch?fer w?rde jetzt sagen, dass nur St?dter auf so einen seltsamen Gedanken kommen. Du m?sstest das im Sommer mal sehen: Die Br?ute in ihren langen Kleidern – hier, wo Menschen doch eher Gummistiefel brauchen. Und als Hund verliert man in der Stadt wahrscheinlich auch alle ?berlebenswichtigen Instinkte. Na, hat man ja gerade auch an dir gesehen. Also, ich w?rde sagen …«

Ich bleibe stehen und mustere Zottel.

»Apropossagen: Wenn du mich nicht eben gerettet h?ttest, w?rde ich jetzt sagenSchnauze, Landei !«

Und dann lasse ich den Idioten einfach stehen und trabe weiter Richtung Leuchtturm. In der Hoffnung, dass es Caro dort oben nicht gef?llt und ich nie wieder hierhinmuss. An den Ort meiner Schmach.

Am Turm angekommen best?tigt sich eine Bef?rchtung nicht: Die Stufen sind selbst f?r jemanden mit meiner Beinl?nge locker zu bew?ltigen. Allerdings f?hren sie wie eine Spirale im Kreis nach oben, nach drei Runden ist mir ganz schwindelig, und ich muss ein kurzes P?uschen machen. Ob mich nicht einer meiner Menschentragen kann ? Immerhin wird Henri auch nach oben geschleppt, und der wiegt mittlerweile bestimmt mehr als ich ! Aber nein, sie turnen alle munter an mir vorbei. Super. Ein Weltklasseausflug. Von Schafen maltr?tiert, vom Frauchen missachtet.

Nach drei weiteren Runden kommen wir endlich in einem Raum an, in dem ein Tisch und mehrere St?hle stehen. Der Raum ist ganz rund, Licht f?llt nur durch Fenster, die ganz oben an der Wand liegen m?ssen, ich kann sie jedenfalls nicht sehen. Hier im Turminneren kann man auch erkennen, dass er komplett aus metallenen Vierecken zusammengesetzt zu sein scheint. Fast sieht es aus, als st?ndenwir mitten in einer Maschine. ?berhaupt ist der Raum ganz schlicht, kein Vergleich zu den holzget?felten und geschm?ckten Zimmern, die wir eben im Kloster besichtigt haben.

»Und, wie findest du es ?«, will Marc von Carolin wissen.

Die dreht sich z?gerlich hin und her.

»Weiss nicht. Ist nat?rlich schon sehr karg hier.«

»Maritim eben.«

»Hm. Das sah in dem Hochzeitsmagazin viel netter aus. Na ja, wenn ich dich auf einem Schiff kennengelernt h?tte, w?rde es passen.«

»Hast du aber nicht, richtig ?«

»Richtig.«

»Okay. War auch nur ein Vorschlag.«

Sehr gut. Scheint so, als ob ich die bl?den Schafe nie wiedersehen m?sste.

NEUN

Ja, okay, ich versuche, es irgendwie zu schaffen ! Bis gleich !«

Als Caro auflegt, ist sie ganz aufgeregt. Dann verstaut sie das Handy nicht etwa in ihrer Jackentasche, sondern w?hlt sofort wieder.

»Marc ? Du musst sofort mit Henri kommen. In den Katharinenweg. Die Purzelzwerge haben eben angerufen.«

Ich kann nicht genau h?ren, was Marc antwortet, aber er klingt erstaunt.

»Ja, ich weiss, dass wir da eigentlich erst morgen den Termin haben, aber da klappt es doch nicht bei ihnen, aber sie k?nnten heute in der Mittagspause. Wenn wir da nicht gleich erscheinen, ist der Platz weg.«

Pause.

»Genauso ist es. Jetzt oder nie !«

Sie legt auf, und nun verstaut sie das Handy wirklich wieder in der Jacke.

»Komm, Herkules, gib Gas. Wir m?ssen gleich einen superguten Eindruck machen. Schon schlimm genug, dass ich dich ?berhaupt mitbringen muss – also benimm dich !«

Dann scheint ihr noch etwas anderes durch den Kopf zu schiessen, und sie kramt wieder ihr Handy hervor.

»Marc ? Ich bin es noch mal. Tu mir mal einen Gefallen – setz Henri bitte nicht in die Karre, sondern pack ihn ins Tragetuch. Genau. Warum ? Nein, die Karre ist heil – aber ich will, dass wir einen besonders guten Eindruck machen. Und ich glaube, V?ter, die ihre Kinder im Tragetuch tragen, machen bei Erzieherinnen bestimmt einen sehr engagierten, netten Eindruck. Bestimmt. Bis gleich !«

W?hrend wir eben noch Kurs Werkstatt unterwegs waren, ?ndern wir jetzt unsere Richtung. Weil ich nicht weiss, wo genau Carolin nun hinwill, bleibt mir nichts anderes ?brig, als einfach hinter ihr herzulaufen. Und dabei ?ber das zu sinnieren, was ich eben geh?rt habe. V?ter mit Traget?chern machen einen guten Eindruck. Wie kann Caro das gemeint haben ? Was f?r einen Unterschied macht es denn, ob Marc, der heute kurz auf Henri aufpassen sollte, w?hrend wir in die Werkstatt wollten, Henri nun in der Karre oder im Tuch anschleppt ? Das kann doch nicht ernsthaft f?r irgendjemanden von Belang sein. Und falls doch, muss ich feststellen, dass die Aufzucht des menschlichen Nachwuchses ungleich komplizierter ist, als einen Dackelwurf grosszukriegen. Wobei man das gar nicht meinen sollte, denn f?r mich liegt es v?llig im Bereich des Unm?glichen, dass es einen strengeren Verein als den Deutschen Teckelclub von 1888 gibt. Und bei denen nutzt einem ein Tragetuch, will sagen, ein netter, engagierter Eindruck, gar nichts. Entweder man hat die richtigen Papiere – oder man darf nicht z?chten. So einfach ist das.

»So, stopp, da w?ren wir schon. Hier sind die Purzelzwerge. Und jetzt gilt: Gutes Benehmen ist Pflicht ! Du weichst nicht von meiner Seite. Nicht, dass das wieder so ein Durcheinander wie am Leuchtturm gibt !«

Pah ! Diese Spitze kann sie sich sparen ! Soll sie mal besser ein Auge auf den Junior haben, dann passiert auch nichts. Ausserdem kann ich mir nicht vorstellen, dass es bei den Purzelzwergen Schafe gibt.

Von aussen betrachtet sieht das Haus, vor dem wir jetzt stehen, n?mlich ganz normal aus. Direkt vor uns kann man durch eine Schaufensterscheibe in einen kleinen Laden gucken. Offenbar wird dort Kinderspielzeug verkauft, denn selbst aus meiner Augenh?he sehe ich sehr viel davon in dem Laden herumliegen.Puppen, Baukl?tzchen – eben all das, was auch in Henris Zimmer herumfliegt, weil er damit noch nicht viel anfangen kann. Wohingegen ich damit bei Strafe nichts anfangen darf, obwohl ich es durchaus k?nnte. So ungerecht ist die Welt !

Caro wirft einen Blick aufs Klingelschild, dann dr?ckt sie einen der Kn?pfe, und kurz darauf geht der Summer, und wir stehen im Hausflur. Es riecht alt und muffig, und ich bin mir ziemlich sicher, auch einen Hauch dreckiger Windel zu erschnuppern. Alles in allem kein tolles Geruchserlebnis. Warum wollen wir gerade hier einen guten Eindruck machen ?

Die T?r zum Laden hin ?ffnet sich, und eine junge Frau schaut heraus.

»Hallo ! Bist du Caro ?«

Caro nickt.

»Ich bin die D?rte. Kommt doch rein.«

»Danke ! Und das mit dem Hund ist wirklich kein Problem ? Ich bin ihn nicht so schnell losgeworden.«

»Nein, ist v?llig okay. Unser Anruf war ja ziemlich spontan. Wir haben ein altes Kissen rausgekramt, da kann er sich gern drauflegen. Wir sind hier sowieso nicht so eine sterile Einrichtung. Ist ?berhaupt nicht gut f?r Kinder.«

Falls steril ein anderes Wort f?rordentlich sein soll, muss ich D?rte sofort recht geben. Es ist wirklich nicht besonders ordentlich hier. Ich erkenne jetzt, dass wir uns nicht in einem Spielzeugladen befinden, sondern dass der grosse Raum vielmehr eine Art Spielzimmer ist, in dem alles wild durcheinanderfliegt. Gut, dass Hedwig nicht hier ist. Die w?rde einenAnfall bekommen. Vielleicht iststeril aber auch ein anderes Wort f?rsauber. W?rde auch passen. Auf Anhieb finde ich auf dem Boden vor mir n?mlich Kr?mel von Keksen und etwas, was selbst meine sensible Dackelnase nicht identifizieren kann. Es riecht nach fast gar nichts. Wie mag es wohl schmecken ? Schnell schlabbere ich es auf. Hm. Scheint eine Art Reiskeks zu sein. Ungesalzen. Fast ohne Geschmack. Sollten die damit hier etwa die Kinder f?ttern ? Gottogott. Der arme Henri !

Ein kr?ftiger Ruck an meiner Hundeleine.

»Sag mal, spinnst du, Herkules ?«, zischt Carolin mir zu. »Du kannst doch hier nicht vom Boden fressen !«

Wahrscheinlich stimmt das. Viel zu gef?hrlich ! Ich w?rge ein paar Kr?mel wieder aus.

Ein neuer Ruck an meinem Halsband.

»Jetzt reicht’s aber ! Ich will hier einen guten Eindruck machen. H?r auf mit dem Mist, oder ich binde dich draussen am erstbesten Laternenpfahl an !«

So ist das also ! Nicht Sorge um meine Gesundheit, sondern Sorge um D?rtes Wohlwollen ! Was ist denn bloss mit Carolin los ? Die gibt doch sonst nicht so viel darauf, was andere Leute von ihr denken. Beleidigt trolle ich mich auf das grosse Kissen, das D?rte direkt neben das Schaufenster gelegt hat. Caro versucht, sich m?glichst unauff?llig zu b?cken, und sammelt die ausgew?rgten Brocken mit einem Taschentuch ein, das sie anschliessend in ihrer Handtasche verstaut.

»Ist mein Freund noch gar nicht da ?«

»Nee, du bist die Erste von euch. M?chtest du vielleicht einen Roibuschtee ? Ich habe eben einen f?r das andere Bewerberp?rchen gekocht, da m?sste noch einer in der Kanne sein.«

»Das ist lieb, vielen Dank, aber im Moment nicht.«

Jetzt klingelt es wieder, genauer gesagt ert?nt ein sanfter Gong. Caro guckt erstaunt, und D?rte erkl?rt kurz:

»Lustig, unsere Klingel, oder ? Ist, damit die Kinder in der Mittagsruhe nicht immer aufwachen. Das ist bestimmt dein Mann.«

Richtig. Im T?rrahmen erscheint Marc mit einem vor seinen Bauch geknoteten Henri. Gut, dass der offenbar schl?ft – das Konstrukt sieht n?mlich sehr ungem?tlich aus, und im wachen Zustand w?rde Henri vermutlich lautstark protestieren.

»Hallo, Schatz. Das ist Marc, mein Freund. Und das schlafende P?ckchen ist Henri. Marc, das ist D?rte.«

Die beiden sch?tteln sich kurz die Hand, D?rte streicht dem schlafenden Henri mit einemWie s?ss !?ber die Wange.

»So, dann will ich mit euch erst mal einen kurzen Rundgang machen. Hier dr?ben« – sie geht ein paar Schritte von der Haust?r den Flur entlang – »ist unsere K?che.«

Wir folgen ihr und kommen in einen relativ grossen Raum, in dem auch drei niedrige Tische mit noch niedrigeren St?hlen stehen.

»Hier wird gekocht, gleichzeitig haben wir genug Platz, um mit allen Kindern zu essen. Unser Essen ist nat?rlich bio und ausserdem vegetarisch.«

Vegetarisch ? Das habe ich schon mal geh?rt – Luisa hat es mir erkl?rt. Es bedeutet mit ohne Fleisch. Ich bin erstaunt. K?nnen Menschenkinder ?berhaupt ohne Fleisch richtig gross werden ? Nicht, dass unser Henri nicht nur schwachsinnig bleibt, sondern auch mickrig. Das w?re ja ganz furchtbar !

»Es ist so ruhig hier«, stellt Marc fest. »Wo sind denn die ganzen Kinder ?«

D?rte l?chelt.

»Die machen gerade Mittagsschlaf. Um eins legen wir sie immer hin, dann ist hier mindestens eine Stunde Ruhe. Warte, ihr k?nntet mal einen Blick ins Schlafzimmer werfen.«

Sie geht aus der K?che und ?ffnet eine T?r schr?g gegen?ber. Schnell trabe ich zu ihr und linse durch den Spalt. Tats?chlich ! Auf einem Matratzenlager liegen lauter Kinder dicht an dicht und schnarchen friedlich vor sich hin. Im Rudel schl?ft es sich eben doch am besten !

»Tja, viel mehr gibt es auch nicht zu sehen. Wir sind eine sehr kleine Einrichtung, und das sind wir bewusst.«

Mit diesen Worten geht D?rte ins Spielzimmer vor und bietet Caro und Marc einen Platz auf dem Boden neben meinem Hundekissen an. Sehr seltsam. Wieso setzen die sich nicht auf St?hle ? Ich hebe den Kopf und schaue mich um. Verstehe. Hier gibt es gar keine St?hle. Nicht mal kleine wie in der K?che. Ein interessantes Konzept.

»So«, beginnt D?rte das Gespr?ch, »gleich kommen noch die Karin, die ist hier auch Erzieherin, und der J?rg. Der ist Vater und hat hier das ›Neue Eltern‹-Amt. Wie ihr wisst, sind wir eine Elterninitiative. Das heisst, bestimmte Aufgaben werden von den Eltern wahrgenommen, um Geld zu sparen. Damit bezahlen wir dann eine halbe Stelle mehr, sodass wir einen besseren Personalschl?ssel haben. Kommt also den Kindern zugute. Und den Eltern irgendwie auch, denn die lernen sich ja untereinander viel besser kennen als in so einer grossen Einrichtung.«

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