»Nein. Sascha ist nur einer der Solisten. Jean leitet den Chor. Und er ist Dirigent. Ein ganz hervorragender. Ausserdem der Lebensgef?hrte von Stefan.«

»Aha. Und wer ist Stefan ?«

»MEIN Chorleiter ! Junge, das habe ich dir nun aber wirklich schon dreimal erz?hlt. Der mit den Verbindungen zu St. Michaelis. Ohne Stefan w?re ich an einen so besonderen K?nstler gar nicht herangekommen.«

»Ach so, stimmt, dein Chorleiter. Dabei f?llt mir ein – eigentlich wolltest du doch mit deinem Damenchor singen. Was ist denn aus diesem h?bschen Plan geworden ?«

Hedwig sch?ttelt den Kopf.

»Ihr habt nun endlich so einen sch?nen Rahmen f?r euer Fest. Da muss der Chor etwas ganz Besonderes sein. Und das ist der Orff-Chor. Ihr werdet gar nicht merken, dass er so viele Mitglieder hat. Er singt achtstimmig. Und zwar exakt. Einfach grossartig. Der beste, den ich kriegen konnte.«

Marc f?hrt sich mit der Hand durch die Haare.

»Dann kann ich wohl froh sein, dass du nicht die Fischer-Ch?re engagiert hast.«

Hedwig runzelt die Stirn.

»Hm, die Fischer-Ch?re. Auch eine gute Idee. Meinst du, Gotthilf Fischer h?tte so kurzfristig noch Zeit ?«

»Mutter ! Das war ein Scherz !«

»Mit einer Hochzeit scherzt man nicht. Mit der Ehe noch viel weniger. Ich will diesmal eben alles von Anfang an richtig machen.«

Nun l?chelt Marc und greift nach der Hand seiner Mutter.

»Ich weiss das wirklich zu sch?tzen, aber ich glaube nicht, dass es mit Sabine schiefgegangen ist, weil nicht der richtige Chor gesungen hat. Wenn du dich um etwas k?mmern willst, habe ich aber eine andere Idee.«

Bei dem Wortk?mmern geht ein Strahlen?ber Hedwigs Gesicht.

»Gern, Junge ! Du musst mir nur sagen, was.«

»Caro hat mir gestern ja die Villa Hohwenser gezeigt. Es ist wirklich der perfekte Ort f?r unser Fest. Weil es aber ein Privathaus ist, brauchen wir noch einen Caterer. Am besten einen, der auch St?hle, Tische und so weiter hat. Also ein richtig guter Partyservice. Und nat?rlich richtig gutes Essen.«

Richtig gutes Essen– da sind die Geschm?cker doch sehr verschieden. Vielleicht sollte ich mich auch an der Suche beteiligen, damit sp?ter auch richtig gute Fleischwurst angeliefert wird ! Aber wie ich meine Menschen kenne, spielt das leider wieder keine Rolle. Na, Hauptsache, Hedwig ist gl?cklich und kann mal ihre ?bersch?ssigen Energien abbauen.

»Das mach ich, Marc. Darauf kannst du dich verlassen. Ich brauche nur noch die genaue Adresse von der Villa, dann lege ich los.«

»Moment.« Marc steht auf und holt einen Zettel und einen Stift aus dem Wohnzimmer. »So, ich schreibe dir alles auf.« Er kramt sein Handy aus der Hosentasche. »Hier ist auch die Telefonnummer von Frau Hohwenser, dann kannst du dich direkt mit ihr abstimmen. Eine sehr angenehme Frau. Und bitte nett zu ihr sein, ist n?mlich gleichzeitig eine extrem wichtige Kundin von Carolin.«

Hedwig sch?ttelt den Kopf.

»Also wirklich Marc, wie kommst du denn dazu, mir das extra zu sagen ? Ich bin immer nett.«

Marc zuckt mit den Schultern.

»Wie ich darauf komme ? Keine Ahnung. War nur so ein Gedanke. So, ich muss wieder in die Praxis. Danke f?r die Hilfe !«

Als er aus der K?che ist, murmelt Hedwig etwas, das wieUnversch?mtheit ! klingt, und r?umt die restlichen Kaffeetassen weg. Dann wischt sie den Tisch und schaut auf die Uhr.

»So, Herkules. Dann will ich mal hoffen, dass Luisa gleich aus der Schule kommt und mir bei diesem Facebook hilft. Irgendwie bekomme ich das allein nicht hin. Bevor ich den Caterer suche, m?ssen wir doch wissen, wie viele G?ste es wirklich werden.« Sie kichert vor sich hin. »Na, das wird eine ?berraschung f?r die beiden werden !«

O ja. Das wird es garantiert. Allerdings ist mir v?llig schleierhaft, warum Hedwig glaubt, dass es eine freudige sein wird. Andererseits: Wenn sie weiterhin denkt, dass Marc und Caro bei ihrem Chor in Begeisterung ausbrechen werden, dann ist sie eben einfach beratungsresistent. Ich w?nschte, ich k?nnte Caro und Marc irgendwie warnen ! Dann w?re das Schlimmste vielleicht noch zu verhindern. Aber ich f?rchte, es gibt keinen Weg, wie ich als kleiner Dackel hier die Notbremse ziehen k?nnte. Mist. Man m?sste mit Menschen sprechen k?nnen.

?ber den Flur kommt ein Qu?ken. Henri ist wach. Das Qu?ken kommt n?her. Ist er etwa von allein aus seinem Gitterbett gefl?chtet ? Das w?re schlecht, denn die Tatsache, dass Henri dort bisher nicht von selbst herauskommt, ist zuweilen sehr praktisch.Babyknast, nennt Luisa das Bettchen manchmal. Ich laufe zur K?chent?r, um nachzuschauen.

Nein. Es ist Caro, die mit Henri auf dem Arm in unsere Richtung kommt.

»So, Hedwig. Der L?tte ist wach. Nimmst du ihn ? Ich muss noch mal los.«

Hedwig nickt, steht auf und geht zu Caro hin?ber. Kaum sieht Henri seine Oma, schon streckt er die Arme zu ihr aus. Eben ein echter Hedwig-Fan, was sehr selten ist dieser Tage.

»Komm zu Omili ! Wollen wir vielleicht einen Kakao zusammen trinken ?«

Henri strahlt und nickt. Okay, auch wenn er noch nicht in ganzen S?tzen spricht, der Meister der Silbenverdopplung, versteht er jedes Wort.

Ich will gerade hinter Caro herlaufen, da dreht sie sich noch einmal zu Hedwig um.

»Ach, kann ich dir Herkules hierlassen ? Ich muss noch einmal ins Standesamt, da fehlt noch eine Geb?hr. Ist mit Hund immer ein bisschen doof.«

»Ja, mach ruhig. Dann schicke ich Luisa sp?ter mit ihm Gassi gehen.«

Caro bedankt sich, und weg ist sie. St?rt mich nicht weiter. Gassi gehen mit Luisa klingt nach einem ziemlich guten Programm.

Kurz darauf kommt sie auch schon durch die Wohnungst?r und schmeisst ihren Schulranzen in die Ecke. Ich warte an der T?r auf sie, die Leine im Maul.

»Hey, hey, Herkules ! Lust auf einen Spaziergang, richtig ? Aber ich muss erst mal irgendetwas essen, hab ’nen Riesenhunger.«

Jaul. Nie wird hier auf meine Bed?rfnisse R?cksicht genommen. Keine Fleischwurst zur Hochzeit, zu viele G?ste zum Fest, kein Gassigehen nach der Schule. Immerhin b?ckt sich Luisa zu mir und krault mich ein wenig, bevor sie zur K?che weitergeht.

»Hallo, Oma ! Ich hab einen B?renhunger, gibt es noch etwas zu essen ?«

»Nat?rlich, mein Kind !«

Hedwig stellt einen Teller mit Milchreis, der noch vom Mittagessen mit Henri?brig geblieben ist, auf den Tisch.

»Gut, dass du da bist ! Du musst mir gleich mal mit dem Computer helfen. Ich versuche herauszufinden, wer denn nun alles unserer geheimen Einladung folgen wird. Und ich muss unseren G?sten noch mitteilen, wohin genau sie am 15. Juni kommen sollen. Ich habe mir ?berlegt, dass wir sie nicht zum Standesamt, sondern gleich zur Party lotsen. So haben dann Papa und Caro die Trauung im kleinen Kreis, und danach steigt die Hochzeitsfeier mit allen G?sten.«

»Ich helfe dir gleich«, murmelt Luisa mit vollem Mund.

Zwei Teller sp?ter geht sie mit Hedwig zum Computer r?ber, ich hefte mich an ihre Fersen, auch Henri krabbelt hinterher. Luisa setzt sich vor den Computer und tippt los.

»So, mal sehen, wer sich schon gemeldet hat.«

Sie tippt weiter, wartet einen Moment. Und sagt dann nur nochoh, oh. Von unterhalb des Schreibtisches kann ich ihren Gesichtsausdruck dazu nicht sehen, aber die zwei kleinenOhs klangen irgendwie unheilvoll.

»Sag mal, Oma, ist dir eigentlich klar, dass du alle dreihundertzweiundvierzig Facebook-Freunde von Papa zur Hochzeit eingeladen hast ?«

»?h, nein. Du hattest mir doch diese Liste gemacht mit den f?nfzig Namen. Ich dachte, ich h?tte nur die … ?h … hab ich etwa nicht ?«

Luisa sch?ttelt den Kopf.

»Nee. Haste nicht. Und die schlechte Nachricht ist: Es gibt schon zweihunderteinundachtzig Zusagen, sechzehn Leute kommen vielleicht, und nur f?nfundvierzig haben abgesagt.«

Hedwig ringt nach Luft.

»Um Gottes willen ! Zweihunderteinundachtzig Zusagen ! Das ist ja entsetzlich !«

Luisa grinst.

»Cool, Oma. Du hast eine Facebook-Party gestartet ! Vielleicht kommen wir damit ins Fernsehen.«

»Aber … aber … was machen wir denn jetzt ?«

»Tja, ich w?rde sagen: Genug zu essen bestellen. Oder willst du jetzt absagen ?«

»Das geht doch nicht ! Ich kann doch nicht einem Teil absagen, und der andere Teil darf kommen. Unm?glich ! Die Leute kennen sich doch wahrscheinlich untereinander, wie sieht das denn aus ? Nachher f?llt da noch etwas auf deinen Vater zur?ck, das will ich auf keinen Fall.«

Luisa zuckt mit den Schultern.

»Dann musst du da wohl durch. Aber keine Sorge: Ich helfe dir. Wenn du m?chtest, bastle ich Tischk?rtchen f?r alle. Und wenn das jetzt zu teuer wird: Ich kann dir auch Geld leihen. Auf meinem M?usesparbuch sind schon fast 250 Euro.«

»Ach, mein Engelchen«, Hedwig streicht Luisa ?ber den Kopf. »Das ist wirklich sehr lieb von dir. Aber Oma hat die Suppe eingebrockt, Oma l?ffelt die Suppe wieder aus. Ich habe auch noch einen gut gef?llten Sparstrumpf. Hauptsache, wir finden noch einen Partyservice, der das innerhalb von zweiWochen hinkriegt. Da wird mir schon ein bisschen bang. Zweihundertachtzig Leute, ogottogottogott …«

»Ich kann Br?tchen schmieren helfen. Das kann ich sogar sehr gut.«

»Danke, im Notfall machen wir das so. Dann spanne ich noch meine Chordamen zum Kellnern ein, singen m?ssen sie nun ja nicht mehr. Ich hoffe aber ganz stark, dass ich mit dem n?tigen Kleingeld die passenden Helfer finde – ich werde wohl mein Konto pl?ndern m?ssen.«

»Sag mal, Omaaa …«

Aha. Das Kind will irgendetwas. Ich kann es genau h?ren.

»Ooomaaa ?«

»Ja ?«

»Wenn es jetzt sooo viele G?ste sind, dann k?nnte ich doch auch noch jemanden einladen, oder ? Das f?llt gar nicht auf, finde ich.«

Hedwig kneift die Augen zusammen und mustert ihre Enkeltochter.

»Es kommt ganz darauf an, wen du einladen m?chtest.«

Dazu sagt Luisa erst mal nichts.

»Nun komm schon: Wer soll noch mit auf die Liste ?«

Hedwig scheint irgendeine Ahnung zu haben. Luisa seufzt.

»Die Mama. Ich w?rde gern auch Mama einladen.«

»Und hast du das deinen Vater schon gefragt ?«

Luisa nickt.

»Ja. Aber Papa will nicht. Er sagt, Caro und er w?rden sich dann nicht wohlf?hlen. Das versteh ich nicht. Wir sind doch eine Familie. Wieso k?nnen die sich nicht einfach verstehen ? Das w?re viel sch?ner !«

Hedwig steht von dem Schreibtischstuhl auf und nimmt Luisa in den Arm.

»Engelchen, ich verstehe, dass du dir das w?nschst. Und ich bin mir sicher, dass Papa sich das eigentlich auch w?nscht. Und meistens klappt das zwischen deinen Eltern doch auch ganz gut. Aber es gibt Gelegenheiten, da darf man ruhig sagen, dass man den anderen nicht dabeihaben will. Die eigene Hochzeit ist so eine Gelegenheit.«

Luisa sieht nicht so aus, als sei sie schon v?llig ?berzeugt.

»Aber du hast es selbst gerade gesagt: Mama und Papa haben sich wieder vertragen. Was ist denn so schlimm daran, wenn Mama auch zur Hochzeit kommt ?«

»Guck mal, Mausi: Wenn man jemanden mal sehr geliebt hat und es hat dann nicht geklappt mit der Liebe, dann ist das schon traurig. Und wenn man ein paar Jahre sp?ter wieder jemanden sehr liebt und diesmal wieder hofft, dass es f?r immer h?lt, dann will man bei der Hochzeit vielleicht nicht daran erinnert werden, dass das schon mal schiefgegangen ist.«

Also, mir leuchtet das sofort ein. Ich bin nur ein kleiner, dummer Hund, und trotzdem w?rde es mir genauso gehen. Wenn die Taktik von Beck nicht aufgeht, m?chte ich auch nicht daran erinnert werden, dass die Liebe zwischen Cherie und mir endg?ltig gescheitert ist. Keinesfalls m?chte ich ihr ?berraschend auf einem Fest begegnen. Oder ihr ?berhaupt weiter begegnen. Wie das allerdings funktionieren sollte, obwohl ich Cherie doch jeden Tag in der Werkstatt sehe, ist mir schleierhaft.

»Na gut. Dann ohne Mama. Aber wenn ich mal heirate, dann sollen beide zu meiner Hochzeit kommen !«

Luisa schiebt ihr Kinn entschlossen nach vorn. Hedwig lacht.

»Nat?rlich, Engelchen ! Wenn du heiratest, dann werden sich Mama, Papa und Caro mit dir freuen, alle werden kommen und gemeinsam ein sch?nes Fest feiern. Da bin ich mir ganz, ganz sicher ! Und dann wird deine Hochzeit das, was sie f?r ein M?dchen sein sollte: Der sch?nste Tag seines Lebens !«

Endlich l?chelt Luisa wieder.

»Das klingt gut, Oma. Und wenn ich bis dahin endlich bei Facebook bin, dann kann ich so viele Leute einladen, wie ich will. Mindestens auch dreihundert !«

»Genau. Und ich helfe dir dabei und schmiere Br?tchen !«

Ich fasse zusammen: Wir haben Tischk?rtchen f?r dreihundert Leute, Luisas M?usesparbuch, Omas Sparstrumpf undkeine Exfrau. Beste Voraussetzungen f?r eine Riesensause, w?rde ich denken. Wenn dann noch Fleischwurst f?r alle dazukommt, k?nnte selbst ich mich mit einer Riesenfete anfreunden. Und trotzdem habe ich das Gef?hl, dass Marc und Caro die ganze Sache auch ohne Sabine und mit Fleischwurst anders beurteilen werden. Ich muss die beiden irgendwie warnen. Sonst wird dies niemals der sch?nste Tag im Leben meines Frauchens.

ZWEIUNDZWANZIG

Nina, ich stehe vor deiner T?r mit einer Friedenspfeife. Einer sehr grossen Friedenspfeife.«

Nichts geschieht, obwohl Daniel erst geklingelt und dann sehr laut geklopft hat. Als er eben unten in der Werkstatt angek?ndigt hat, sich jetzt ein B?ssergewand ?berzustreifen und zu Nina zu gehen, bin ich sofort hinterher. Ich habe n?mlich noch nie ein B?ssergewand gesehen. Mittlerweile ist mir klar, dass das nicht w?rtlich gemeint war. Insofern wundere ich mich auch nicht, dass Daniel entgegen seiner Ank?ndigung gar keine Pfeife in der Hand h?lt. Erst recht keine grosse.

Daniel schaut mich unschl?ssig an.

»Immer ?rger mit den Weibern, was, Herkules ?«

Wem sagt er das ! Ob er mitbekommen hat, dass Cherie seit der Aktion mit Biene ausgesprochen frostig zu mir ist ? Bisher war meine Strategie nicht von Erfolg gekr?nt, ich hoffe sehr, dass ich mir damit nicht endg?ltig alles vermasselt habe. Falls doch, ist das nur die Schuld von diesem fetten Kater. Immer ?rger mit den Katzen !

Daniel klopft noch einmal.

»Nina, ich weiss, dass du da drin bist. Nun mach schon auf. Ich bin gekommen, um mich in den Staub zu werfen.«

Schritte hinter der Wohnungst?r, die T?r ?ffnet sich einen Spalt. Von meinem Platz auf der Fussmatte aus kann ich deutlich Ninas Gesicht von unten sehen. Guckt sie b?se ? Von hier aus schwer zu sagen.

»In den Staub ? Das will ich sehen !«

Zumindest klingt sie nicht so, als w?rde sie Daniel gleich den Hals umdrehen.

»Das war eher im ?bertragenen Sinn gemeint.«

»Schade.«

»Na gut.«

Rums ! Daniel wirft sich tats?chlich direkt neben die Fussmatte und verfehlt nur um Haaresbreite meine Schwanzspitze.

»Ist es dir so staubig genug ?«

Nina?ffnet die T?r ganz.

»Du Spinner ! Komm rein, bevor der N?chste ?ber dich stolpert.«

»Danke, sehr grossm?tig von dir.«

Daniel rappelt sich auf, klopft sich den Schmutz von seinen Sachen und geht an Nina vorbei in ihre Wohnung.

»M?chtest du vielleicht einen Kaffee ?«, bietet sie an.

»Warum nicht. Vor allem m?chte ich mit dir reden.«

»Okay, dann geh doch schon mal ins Wohnzimmer. Wieso hast du eigentlich den Dackel dabei ?«

»Gewissermassen als Schutzhund. Ich dachte, wenn du mir an die Gurgel gehen willst, dann kann mich Herkules verteidigen.«

Daniel grinst.

»Ha, ha, sehr lustig das. Aber dann denk daran, dass hier ein ?usserst gef?hrlicher Kampfkater wohnt. Da sieht der Dackel schnell alt aus.«

»Du meinst, im Gegensatz zu deinem Kater ? Weil der nicht nur alt aussieht, sondern auch alt ist ?«

Jetzt lachen beide. Sehr gut ! Vers?hnung also nicht ausgeschlossen.

Der Kampfkater liegt lang ausgestreckt auf der Wohnzimmercouch und d?st. Als wir reinkommen, schreckt er hoch.

»Oh, was macht ihr denn hier ? Dachte, Daniel hat hier Hausverbot.«

»Ich glaube, er will sich mit Nina vertragen.«

Herr Beck springt vom Sofa und landet direkt neben mir.

»So, so. Eigentlich m?sste er sich auch mit mir vertragen. Dieser Spruch ?ber Frauen, die mit Katzen zusammenleben – so, als ob das etwas Schlimmes w?re –, dieser Spruch war ja wohl das Allerletzte ! Pfui, daf?r w?nsche ich ihm glatt eine Katzenallergie !«

»Nun nimm das doch nicht so pers?nlich.« Typisch Kater. Immer dreht sich alles um ihn. »Ich bin mir sicher, Daniel hat das gar nicht so gemeint. Du siehst ja, dass ihm der ganze Streit mit Nina leidtut, sonst w?re er nicht hier. W?re doch wirklich schade, wenn zwei Menschen, die sich schon solange kennen wie die beiden, sich richtig zerstreiten w?rden.«

Mittlerweile ist Nina mit zwei Tassen Kaffee an der Couch angekommen und stellt sie auf den kleinen Tisch, bevor sie sich in einen der gegen?berstehenden Sessel setzt.

»Also, Herr Carini. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung vorzubringen ?«

»W?rden Sie mir kurz noch einmal den Tatvorwurf erl?utern ?«

»Sehr gern, Herr Carini. Ihnen wird zur Last gelegt, eine grobe Gef?hllosigkeit begangen zu haben, indem Sie sich in die Wohnung des Exfreundes der Frau Bogner einmieteten, obwohl seine Leiche noch warm war. Ausserdem beschimpften Sie Frau Bogner in der Folge als hysterische Zicke.«

»Echt jetzt ? Das ist eigentlich nicht meine Wortwahl. Bl?de Kuh vielleicht, aber bestimmt nicht hysterische Zicke.«

»So. Ist das Ihre gesamte Verteidigungsstrategie ? Ist ein bisschen d?nne, finden Sie nicht ?«

Finde ich ehrlich gesagt auch. Ich hoffe, Daniel hat noch ein Ass im?rmel. Er richtet sich auf und beugt sich vor zu Nina.

»Eine Strategie habe ich nicht. Aber ich h?tte noch die Wahrheit anzubieten: Wenn man selbst Liebeskummer hat, achtet man vielleicht nicht genug auf die Gef?hle seiner Mitmenschen.«

Das kann ich nur best?tigen. Wie ich aus eigener leidvoller Erfahrung weiss, achten liebeskummerkranke Menschen auch nicht auf die Gef?hle ihrer Haustiere. Bevor Caro mit Marc zusammenkam, hatte sie einmal f?rchterlichen Liebeskummer wegen Thomas. Ich habe alles versucht, um sie aufzumuntern – zwecklos. Sie h?rtenur stundenlang schaurige Musik, sodass mir schon die Ohren schepperten, und zur Kr?nung machte sie eines Tages eine Flasche Cognac nieder, wurde bewusstlos, ?bergab sich neben mich auf den Teppich, und ich musste sie retten. Es war eines meiner gruseligsten Menschenerlebnisse ?berhaupt.

»Hab schon geh?rt – mit Claudia ist auch Schluss. Tut mir nat?rlich leid.«

»Danke. Aber es w?re mit uns auch nicht gutgegangen. Ich wollte meine Seele nicht dem grossen Yoga-Mann verschreiben. Und Claudia war nur noch gepestet von mir. Deswegen war ich froh, als mir Alex den Tipp mit seinem Zimmer gegeben hat. Du hast nat?rlich recht: W?re netter gewesen, dich vorher mal zu fragen oder es dir zumindest zu sagen. Hab ich nicht b?se gemeint – ich wollte einfach nur raus bei Claudia.«

»Danke. Ich war aber auch zu empfindlich. Mir ist schon klar, dass ich an der ganzen Geschichte selbst schuld bin, aber traurig bin ich trotzdem. Und deswegen war ich an dem Tag, als wir uns gestritten haben, eine hysterische Zicke.« Sie l?chelt.

»Hey, ein Gest?ndnis !« Daniel lacht und steht vom Sofa auf, dann reicht er Nina die Hand. »Vertragen ?«

Sie nickt und schl?gt ein.

»Vertragen !«

»Ich habe ?brigens eine echte Weltklasseidee, was wir als Trauzeugenpaar noch zur Hochzeit beisteuern k?nnten. Und wo wir doch gerade beide gleichzeitig Liebeskummer haben, w?re es eigentlich auch eine gute Traumatherapie, Frau Psychologin.«

»Oha ! Sind wir jetzt Kollegen ? Lass h?ren !«

»Was h?ltst du davon, wenn wir den beiden eine, oder besser, mehrere Best-of-CDs unserer liebsten Abtanz-und Liebeslieder zusammenstellen ? So vier, f?nf Stunden lang. Das schmeissen wir dann in dieser Villa in die Anlage, und wenn wir zum gem?tlichen Teil des Abends ?bergehen, kann getanzt werden. F?r f?nfundzwanzig Leute lohnt sich ja kein DJ, aber ein bisschen gute Musik w?re nicht schlecht, oder ?«

Nina legt den Kopf schief und?berlegt.

»Nicht ?bel, Herr Kollege, aber ich vermisse den therapeutischen Ansatz.«

»Echt ? Dabei liegt der doch klar auf der Hand: Wir m?ssen uns vorher treffen, stundenlang gemeinsam Lieblingslieder h?ren und von alten Zeiten schw?rmen. Wenn das nicht Balsam f?r die Seele ist, weiss ich auch nicht.«

Nina lacht.

»Schon klar. Also, wann treffen wir uns ?«

»Wie w?r’s mit ?bermorgen ? Bis zur Hochzeit sind’s nur noch zehn Tage, da wird es langsam Zeit.«

»Okay. Dann ?bermorgen um 20 Uhr bei mir. Als Therapieunterst?tzung halte ich einen guten Rotwein bereit.«

Sehr gut ! Ich mag es, wenn sich alle in meinem Rudel vertragen. F?r einen Jagdhund bin ich eben ganz sch?n friedliebend.

Als ich h?re, dass Hedwig zur Villa Hohwenser fahren will, um vor Ort alles mit der Hausherrin und dem Partyservice zu besprechen, weiche ich nicht mehr von ihrer Seite. Da will ich unbedingt mit ! Eine Runde mit Biene an der Elbe entlangzutoben ist n?mlich mit Sicherheit viel spannender, als Luisa weiterbeim heimlichen Basteln von dreihundert Tischk?rtchen zuzuschauen.

Tats?chlich ist meine Taktik erfolgreich, und ich darf mitkommen. Mit Bus und Bahnund einem quengelnden Henri in der Karre dauert die Anreise zwar eine halbe Ewigkeit, aber die Vorfreude auf ausgelassene Stunden mit einem guten Kumpel macht das locker wett.

Frau Hohwenser hat die T?r noch nicht ganz ge?ffnet, da bin ich auf der Suche nach Biene schon an ihr vorbeigesaust. In der Halle drehe ich eine grosse Runde und belle ein paarmal. Aber nix. Keine Antwort. Ratlos laufe ich zu den Frauen zur?ck, die noch am Eingang stehen und damit besch?ftigt sind, f?r Henri Faxen zumachen, um das n?rgelige Kerlchen zum Lachen zu bringen. Auf mich achtet nat?rlich mal wieder niemand ! Hey, wo ist Biene ? Ich springe auf die Hinterl?ufe und mache neben der Karre M?nnchen.

»Pfui, Herkules, runter mit dir !«, schimpft Hedwig.

Aber Frau Hohwenser err?t sofort, was mit mir los ist.

»Du suchst Biene, richtig ? Da hast du heute leider Pech. Unsere Haush?lterin ist eben mit ihr zum Hundefriseur gefahren. Bienchen musste dringend getrimmt werden. So verzottelt, wie das Bienchen war, dauert das bestimmt ein paar Stunden. Tut mir leid !«

O nein ! Nun habe ich mich extra mit?ffentlichen Verkehrsmitteln hierhergequ?lt, habe ertragen, dass der schlecht gelaunte Henri st?ndig versucht hat, mich an den Ohren zu ziehen, und dass er ab der H?lfte der Strecke so infernalisch stank, dass Hedwig ihn noch schnell auf der Bank eines Warteh?uschens wickeln musste – und wof?r das alles ? Nur um mir jetzt die n?chste Stunde anh?ren zu m?ssen, welchen Stuhl man am besten wohin stellt. Da h?tte ich gleich zu Hause bleiben und mir weiter das Tischk?rtchenbasteln anschauen k?nnen. Bravo !

Missmutig schleiche ich hinter den beiden Damen her, w?hrend Frau Hohwenser Hedwig erkl?rt, wo die Festtafel aufgebaut werden kann, welche Bestuhlung wohl sinnvoll w?re und wo das B?fett stehen soll. G?hn !

»Ich freue mich, dass Sie den Partyservice beauftragt haben, den ich Ihnen empfohlen habe. Das sind echte Profis, die das Haus hier auch schon kennen. Die letzten zwei Filmteams haben mit denen zusammengearbeitet, und es hat, soweit ich das mitbekommen habe, alles geklappt wie am Schn?rchen. Ist ja nicht ganz unwesentlich, wenn sich die G?stezahl auf einmal verzehnfacht.«

Sie lacht, und Hedwig stimmt mit ein, allerdings etwas verhalten.

»Es war mir ehrlich gesagt ganz unangenehm, dass Sie ?ber die wahre G?stezahl nicht informiert waren und ich Sie damit so ?berfallen musste. Aber es soll eben eine richtige ?berraschung f?r meinen Sohn und seine Verlobte werden.«

»Aber das muss Ihnen doch nicht unangenehm sein – ich finde Ihre Idee von der ?berraschungsparty genial ! Ich bin selbst ganz begeistert davon, dass wir hier endlich mal wieder gross feiern. Sie werden sehen – Ihre Kinder werden sich ganz bestimmt freuen !«

Klar. Ganz bestimmt. Und im Himmel ist Jahrmarkt ! Ich kann immer noch nicht fassen, dass Hedwig das f?r einen tollen Plan h?lt. Und dass es offensichtlich Leute gibt, die diese Einsch?tzung teilen.

»Ach, danke, das freut mich, dass Sie das so entspannt sehen.«

»Tu ich. Und was kann Ihrem Sohn denn Besseres passieren ? Sie planen alles und bezahlen sogar alles. Grossz?giger geht’s doch nicht.«

Hedwig nickt. Man sieht, wie gut ihr dieser Zuspruch tut.

»Apropos planen: Haben Sie vielleicht ein Faxger?t ? Ich muss dem Partyservice noch die Men?folge und die endg?ltige G?stezahl schicken. Normalerweise gehe ich immer in die Praxis meines Sohnes, wenn ich etwas faxen m?chte. Aber diesmal hatte ich Sorge, dass ich auffliege, wenn ich der Sprechstundenhilfe das Blatt zum Faxen gebe.«

»Verstehe. Geheime Verschlusssache.« Frau Hohwenser l?chelt. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo mein B?ro ist. Dort steht auch ein Faxger?t.«

Hm, ich habe verstanden. Das Blatt ist gewissermassen ein Beweismittel. Auf ihm steht, wie viele G?ste Hedwig tats?chlich eingeladen hat. Wenn ich also irgendwie an dieses Blatt k?me und es zu Caro schleppen k?nnte, dann w?sste sie, was los ist. Nur: Wie kommt ein Vierbeiner wie ich unauff?llig an ein ziemlich grosses Blatt ? Immerhin ist das, was Hedwig da gerade aus ihrer Handtasche zieht, kein kleines Zettelchen, das ich mal eben im Maul transportieren k?nnte.

Frau Hohwenser geht mit Hedwig in den ersten Stock, ich folge den beiden. In einem kleineren Zimmer hinter dem Raum mit den Instrumenten stehen alle m?glichen M?bel herum, die ich auch aus der Praxis von Marc kenne. Das muss das B?ro sein. Hedwig gibt Frau Hohwenser das Blatt, die legt es auf eine Art Tischchen und tippt an der Stirnseite des Tischchens auf irgendetwas herum. Kurz darauf verschwindet das Blatt in der einen Seite des Tisches, nur um gleich wieder auf der anderen Seite aufzutauchen. Dann f?ngt das Ger?t an zu rattern und laut zu piepen. H?chst interessant !

Mit einem Mal ist von dem Piepen nicht mehr viel zu h?ren. Allerdings nicht, weil es nun leiser geworden w?re, sondern, weil etwas anderes viel lauter geworden ist: Henri ! Der sass eben noch friedlich in der Halle und spielte mit seinem mitgebrachten Kuscheltier – nun schreit er wie am Spiess. Hedwig und Frau Hohwenser lassen das Fax Fax sein und st?rzen nach unten. Einen Moment z?gere ich: Soll ich ein guter Familienhund sein und auch nach Henri gucken ? Oder die Gunst der Stunde ergreifen und mir das Blatt schnappen ?

Ich entscheide mich f?r Letzteres, springe an dem Tischchen hoch und erwische den Zettel auf Anhieb. Aber wohin mit ihm ? Wenn ich ihn im Maul transportiere, wird es Hedwig sofort bemerken. Eine Handtasche wie Hedwig m?sste ich haben, dann w?re das deutlich einfacher. Unten tr?stet Hedwig ihren Enkel, der schon nicht mehr ganz so laut weint. Bestimmt kommt sie gleich wieder hoch. Was mach ich nur ?

Mit dem Zettel im Maul laufe ich aus dem B?ro heraus und linse Richtung Treppe. Noch sind die Damen nicht zu sehen, aber bevor sie auf den Stufen auftauchen, muss mir etwas eingefallen sein. Ich schaue mich im Instrumentenraum um und entdecke einen kleinen Beistelltisch. Wenn ich das Blatt dort ablege und dann schnell wieder nehme, wenn die beiden im B?ro sind ? Dann k?nnte ich in die Halle laufen und das Blatt in den Korb unter Henris Karre legen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es Hedwig dort sofort sieht, ist nicht besonders hoch. Immerhin stecken in dem Korb ein Windelpaket, Feuchtt?cher, Wechselw?sche f?r den L?tten und, und, und. Etwas zusammengekn?llt f?llt der Zettel da bestimmt nicht auf. Um den weiteren Transport m?sste ich mir keine Sorgen machen, Hedwig w?rde mir den Zettel direkt zu Caro bringen – ohne es selbst zu merken. Falls das so klappt, w?re es grandios !

Schnell trabe ich zu dem Tischchen und lege das Blatt darunter. Dann laufe ich zum Treppenabsatz und warte schwanzwedelnd auf Hedwig und Frau Hohwenser, die kurz darauf auftauchen. Hedwig tr?gt Henri auf dem Arm und t?tschelt seine Wange.

»Armer Spatz, so ein b?ser Stuhl ! Der hat dich aber auch wirklich hinterr?cks angegriffen, kein Wunder, dass du dich so erschreckt hast.«

»Oje, unsere Eichenst?hle sind sehr massiv, da bekommt das Kerlchen bestimmt eine Beule. Ich h?tte nicht gedacht, dass er sich da schon mit so viel Kraft hochzieht.«

»Ich auch nicht. Aber ich werde ihm gleich ein Eis kaufen, dann ist bestimmt alles wieder gut. Lassen Sie uns nur eben schauen, ob das Fax durchgegangen ist, dann mache ich mich auf den R?ckweg.«

Die beiden beachten mich nicht, als sie ins B?ro weitergehen. Selbst Schuld. Ich wetze zum Tischchen, fische das Blatt darunter hervor, und dann ab nach unten in die Halle. Henris Karre steht immer noch am Eingang. Ich kaue ein bisschen auf dem Blatt herum. Nun ist es zwar angesabbert, aber so zusammengekn?llt, dass es m?helos und sehr unauff?llig in den Korb passt. Perfekt.

»Komisch, wo ist denn bloss die Bestellung geblieben ?«, wundert sich Hedwig laut, als die Damen wieder nach unten kommen. »Ich h?tte schw?ren k?nnen, ich habe die auf dem Fax liegen lassen.«

»Tja, ich wundere mich auch. Oder habe ich sie eben mitgenommen, als wir runtergelaufen sind ? Und falls ja, wo habe ich den Zettel bloss hingelegt ?« Frau Hohwenser seufzt. »So ist das, wenn man zu viele Sachen gleichzeitig macht. Man kann sich einfach nichts mehr merken. Na ja, wenn der Zettelwieder auftaucht, lege ich ihn f?r Sie zur?ck.«

Hedwig sch?ttelt den Kopf.

»Ach, keine Umst?nde. Wir haben ja die Faxbest?tigung. Das wird schon geklappt haben, ich rufe den Caterer zur Vorsicht nachher mal an. Jetzt besorge ich Henri erst mal ein Eis, und dann muss ich auch zur?ck, meiner Enkelin bei den Hausaufgaben helfen.«

»Also, wie Sie das alles machen, Frau Wagner – toll ! Ihre Familie ist doch bestimmt froh, so eine patente, tatkr?ftige Oma zu haben, die sich um alles k?mmert.«

Ich w?rde sagen: Es kommt darauf an. Aber den Hund fragt wie immer keiner.

DREIUNDZWANZIG

Es n?tzt der sch?nste Plan nichts, wenn die Menschen einfach nicht das machen, was sie sollen. Oder zumindest das, was sie sonst immer machen.Normalerweise nimmt Hedwig die Karre mit ins Haus, wenn wir von einem Ausflug oder Spaziergang kommen. Und drinnen r?umt sie alles aus der Karre heraus, was wir unterwegs dabeihatten, und nimmt es mit in die Wohnung. Auf diese Weise h?tte eigentlich auch der Korb mit dem zerkn?llten Zettel auf direktem Weg in die Wohnung gelangen m?ssen. Wie gesagt:h?tte.

Heute allerdings l?sst sie die Karre einfach im Vorgarten neben dem Hauseingang stehen und tr?gt Henri, der mittlerweile eingeschlafen ist, nach oben. Ich muss ihr wohl oder ?bel folgen, Hedwig kann es gar nicht ausstehen, wenn ich allein draussen bleibe. Sie sagt, ein herumlungernder Hund vor einer Tierarztpraxis geh?re sich nicht. Wuff ! Ich und herumlungern. So ein Quatsch ! Ich begr?sse h?chstens freundlich Marcs Patienten, wenn sie uns besuchen. Wenn sie ein gut gelauntes, gesundes Kerlchen wie mich sehen, dann wissen sie doch gleich, dass Marc ein guter Tierarzt ist. Im Vorgarten sitzen ist demnacheher eine vertrauensbildende Massnahme.

Wie dem auch sei– ich darf nicht draussen bleiben, und so komme ich nat?rlich auch nicht ungehindert an den Zettel im Korb. So ein Mist ! Was mache ich denn jetzt ? Vielleicht ein bisschen an der T?r kratzen ? Aber als ich damit anfange, bekomme ich sofort richtig Mecker von Hedwig.

»Aus, Herkules ! B?ser Hund. Ich war gerade erst mit dir spazieren. Ins K?rbchen !«

Ich tue wie befohlen. Vielleicht muss ich einfach ein bisschen abwarten und kann dann auf schwache Blase machen ? Nein. Auch bei meinem n?chsten Versuch l?sst sich Hedwig nicht erweichen.

»Sag mal, was ist denn heute bloss los mit dir ? Ich muss mit Luisa Mathe ?ben, die schreibt morgen eine Arbeit. Also gib Ruhe.«

P?h !Gib Ruhe– wie unfreundlich ! Ich beschliesse, einfach direkt an der T?r liegen zu bleiben. Irgendwann wird sie irgendwer schon ?ffnen. Und dann wird mich nichts und niemand daran hindern, den Zettel zu schnappen und Carolin vor der drohenden Party zu warnen.

Endlich h?re ich Schritte auf dem Flur. Die T?r geht auf – leider so schwungvoll, dass ich einen ordentlichen Stoss in die Rippen bekomme. Jaul !

»Mensch, Herkules, was machst du denn da ? Spielst du Fussmatte ?«

Es ist mein Frauchen. Hurra ! Ich stelle das Jaulen ein und wedele mit dem Schwanz. Hedwig kommt aus der K?che.

»Oh, bist du schon da ?«

»Ja, ich habe ein bisschen fr?her Feierabend gemacht. Ich will noch mit Nina einkaufen gehen. Oder besser gesagt: shoppen. Sie steht schon unten und wartet, ich wollte nur eben meine Kreditkarte holen.«

»Tu mir einen Gefallen und nimm den Hund mit. Der macht mich gerade wahnsinnig. Kratzt die ganze Zeit an der T?r und will spazieren gehen. Dabei muss ich mit Luisa lernen. Ich wollte die Zeit nutzen, solange Henri noch schl?ft, denn Luisa schreibt morgen eine Klassenarbeit.«

Caro z?gert.

»Hm, das passt mir eigentlich nicht so …«

»Ach, nun komm. Ich hatte ihn schon den ganzen Tag. Was wollt ihr denn kaufen ? Lebensmittel ?«

»Nee, keine Lebensmittel. Aber mehr wird nicht verraten.«

»Na, wunderbar ! Dann k?nnt ihr ihn mitnehmen, da st?rt er doch nicht«, sagt Hedwig mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. Wenn es um Luisas Leistungen in der Schule geht, kennt Hedwig keinen Spass.

Caro seufzt.

»Na gut, Herkules. Dann komm mit.«

Und bevor sie mich noch anleinen kann, flitze ich schon an ihr vorbei in den Flur und die Treppe hinunter. So, Hedwig, gleich bist du geliefert !

Die Haust?r steht offen, draussen wartet Nina und unterh?lt sich mit Frau Warnke, die gerade eine kleine Zigarettenpause macht. Ich steuere zielstrebig auf die Kinderkarre zu und w?hle mit meiner Schnauze in dem Korb. Hab ihn, den Zettel ! Jetzt brauche ich ihn nur noch Carolin zu geben, dann ist meine Mission erf?llt.

»So, bin ausger?stet !« Caro ist mittlerweile auch vor der T?r angekommen. »Wir m?ssen leider Herkules mitnehmen. Hedwig ist irgendwie genervt von ihm.«

Nina verzieht den Mund.

»Och, ich dachte, wir machen jetzt zu zweit Hamburgs Edelboutiquen unsicher. Ob ein Dackel am Neuen Wall so gern gesehen wird ? Die machen doch eher in Haute Couture als in Hundefutter.«

»Mach dir keine Sorgen um unser Shoppingerlebnis.« Caro klopft Nina beruhigend auf die Schulter. »Ich glaube, notfalls kann ich die mit einer gut gedeckten Kreditkarte gn?dig stimmen.«

Ja, bestimmt. Aber Shopping ist doch nicht das Wichtigste, Carolin ! Guck doch mal, was ich in der Schnauze habe ! Ich springe an ihr hoch und versuche, den Papierball dabei m?glichst auffallend zu pr?sentieren.

»Was hast du denn da, Herkules ?«

Carolin greift nach dem Papier. Ah, es funktioniert.

»Weiss nicht, das hat er eben aus der Kinderkarre rausgeholt«, erz?hlt ihr Frau Warnke. »Vielleicht ’ne olle Windel oder dreckige Feuchtt?cher ?«

»Igitt ! Es ist auch ganz nass ! Wie eklig, Herkules ! Was soll das denn ?«

»Geben Sie ruhig her, ich schmeisse es weg«, bietet Frau Warnke an, »ich muss mir nach dem Rauchen sowieso die H?nde waschen.«

NEIN ! NICHT ! Nicht wegschmeissen ! Lesen ! Ich fange an zu bellen und zu hecheln, aber ich kann nicht verhindern, dass das Unheil seinen Lauf nimmt: Carolin bedankt sich artig und dr?ckt Frau Warnke das Kn?uel in die Hand, die dreht sich um und geht wieder rein. VERFLUCHT ! Mein sch?ner Plan !

»Komm, Herkules, wir m?ssen los. Aber benimm dich, wenn du schon mitdarfst ! Das ist eine grosse Ehre. Und eine Riesenausnahme. Normalerweise sind M?nner bei der folgenden Aktion verboten !«

Danke, Frauchen. Ich f?hl mich gerade auch richtig gut.

»15. Juni, sagen Sie ? Dann sind Sie aber wirklich sehr fr?h dran. Aber das macht nat?rlich nichts. Vorfreude ist die sch?nste Freude, und es ist auch nicht verkehrt, sich verschiedene Kollektionen anzusehen. Wir bekommen ja alle drei Monate neue Ware. Immer topaktuell. Mailand und Paris. Wir f?hren beides.«

Wir stehen in einem Laden voller Baisers. So jedenfalls hat Nina diese Sorte Kleid doch mal genannt: Baiser. Sie sind fast alle lang und fast alle weiss – wobei sich Caro gerade ein Kleid anschaut, das kurz ist, aber auch weiss. Sie h?ngt das Keid wieder an den St?nder und dreht sich zu der ?lteren, ziemlich stark angemalten Dame um, die hier die Verk?uferin zu sein scheint.

»Nein, nicht 15. Juni n?chstes Jahr. Ich meine 15. Juni dieses Jahr. Ich brauche ein Brautkleid f?r den 15. Juni dieses Jahres.«

Dabei l?chelt Caro sehr sanft. Die Verk?uferin schnappt nach Luft und findet im ersten Moment keine Worte. Nina, die schr?g hinter ihr steht, scheint krampfhaft ein Kichern zu unterdr?cken, jedenfalls zittert sie am ganzen K?rper. Kurz darauf hat sich die ?ltere Dame wieder gefangen.

»Dieses Jahr ? 15. Juni dieses Jahres ? Aber, aber … das ist in f?nf Tagen ! Diesen Samstag. Heute haben wir Montag !«

Caro nickt, immer noch sehr freundlich l?chelnd.

»Ja, ich weiss. Und morgen haben wir schon Dienstag. Da suche ich mir wohl besser schnell etwas aus, nicht wahr ?«

»?h, ja, dann schaue ich jetzt mal nach Kleidern in Ihrer Konfektionsgr?sse. F?r eine Bestellung beim Couturier bleibt definitiv keine Zeit mehr. 36/38, nehme ich an ?«

Caro nickt. Die Verk?uferin verschwindet mit hektischen Schritten zwischen den Kleiderst?ndern. Couturi-wer ? Ein seltsamer Laden hier.

Nina kichert.

»Na, der haste aber den Schock ihres Lebens verpasst. Ich dachte schon, ich m?sste meine verstaubten Kenntnisse ?ber die Herzdruckmassage wieder ausgraben.«

Caro kichert ebenfalls.

»Och, ich finde, es kann einem Schlimmeres passieren als eine Kundin, die ganz spontan viel Geld ausgeben will.«

»Stimmt. Ich habe allerdings auch noch nicht ganz verstanden, woher dein pl?tzlicher Sinneswandel kommt. Urspr?nglich wolltest du doch kein Brautkleid. Vor ein paar Monaten haben wir noch Witze dar?ber gemacht. Als du mich gestern Abend gefragt hast, ob ich heute mitkommen will, habe ich mich schon ein bisschen gewundert.«

»Tja, weisst du, ich stand vorletzte Woche mit Marc auf der Terrasse vom Gosslerhaus. Und da wurde mir erst so richtig bewusst, was f?r eine wahnsinnig besondere Sache das eigentlich ist. Ich meine – ich blickte in den Park und stellte mir vor, wie wir alle nach der Trauung dort mit einen Glas Sekt in der Hand stehen werden. Und ich konnte die Aufregung sp?ren, die mich Samstag garantiert am Wickel haben wird. Und dann fand ich meine Ursprungsidee mit dem normalen Abendkleid doch nicht mehr so gut. Weil es eben kein normaler Tag ist. Dann habe ich ein paar N?chte dar?ber geschlafen, und das Gef?hl war immer noch da. Deswegen habe ich dich angerufen.«

»Cool. Verstehe.«

Nee, ich verstehe es nicht. Was kann denn ein Kleid mit einem Gef?hl zu tun haben ? Wieso macht das einen so grossen Unterschied f?r Caro ? Aber vielleicht kann hier jemand nicht mitreden, der jeden Tag das Gleiche anhat, n?mlich: sein eigenes Fell.

Die Verk?uferin taucht wieder auf und schleift drei riesige S?cke hinter sich her, die sie schliesslich an die Kleiderstange neben dem grossen Spiegel h?ngt.

»So, wenn Sie mal schauen m?gen ?« Sie ?ffnet den ersten Sack und zieht etwas heraus, was wie ein gigantischer Wattebausch aussieht. »Unser Modell Prelude. Majest?tisch volumin?ser Rock in Organza, mit Wabenr?schen. Bei Ihrer schmalen Figur bestimmt sehr sch?n. Der tiefe Ausschnitt der B?ste ist drapiert.«

Nina und Caro starren das Teil an und rufen gleichzeitig»Das Baiser !«, dann fangen sie an zu lachen.

Die Verk?uferin guckt irritiert.

»Also eher nicht ?«

»Nein«, antwortet Caro, »eher nicht.«

»Aber wieso denn ?«, mischt sich Nina ein, »ich m?chte es wenigstens mal an dir sehen. Vielleicht sind wir ?berrascht, wie gut es dir steht.«

»Na gut. Wenn du meinst.«

Caro will nach dem Kleid greifen, aber die Verk?uferin h?lt l?chelnd einen Arm vor die Kleiderstange.

»Nein, nein. Das k?nnen Sie nicht einfach so anziehen. Dabei brauchen Sie Hilfe. Ich gebe Ihnen jetzt erst mal eine Korsage, einen Reifrock und passende Schuhe. Und wenn Sie das alles angezogen haben, rufen Sie mich. Dann komme ich mit dem Kleid und helfe Ihnen hinein.«

Heilige Fleischwurst ! Man kann dieses Unget?m nicht allein anziehen ? Was f?r einen Sinn macht denn bitte sch?n Kleidung, in die ein Mensch nicht allein hineinkommt ? Das wird ja immer absurder. Das Gleiche scheint sich auch Nina zu denken. Die kramt n?mlich in der grossen Schultertasche, die sie dabeihat, und zieht erst eine Flasche und dann zwei Gl?ser hervor.

»Sie gestatten, dass sich meine Freundin erst mit einem Schluck Champagner st?rkt ?«

Zu meinem Erstaunen l?chelt die ?ltere Dame und nickt.

»Aber selbstverst?ndlich ! Man kauft ja nicht jeden Tag ein Brautkleid. Warten Sie, ich hole Ihnen zwei St?hle.«

Wie nett ! Ein kleines Picknick. So etwas habe ich beim Shoppen mit Caro noch nie erlebt. Schade, dass Nina f?r mich nichts mitgenommen hat. Ich k?nnte auch ein Leckerli vertragen.

Ein Glas Champagner sp?ter verzieht sich Caro mit den Sachen, die ihr die Verk?uferin eben in die Hand gedr?ckt hat, in die Umkleidekabine. Es dauert eine ganze Weile, dann ruft sie: »Kann losgehen !«

Die Verk?uferin nimmt den Organzatraum von der Stange und verschwindet ebenfalls in der Kabine. Als die beiden wieder herauskommen, haut es mich von den Pfoten: Carolin sieht genauso aus wie das M?dchen in Luisas Lieblingsm?rchen. Carolin hat sich in Cinderella verwandelt ! Vor Schreck fange ich an zu bellen.

»Herkules gef?llt es nicht«, kommentiert Nina trocken.

Dabei stimmt das gar nicht. Es sieht schon toll aus, aber es ist eben eine v?llig fremde Frau, die auf einmal vor mir steht.

»Nun ja«, erwidert die Verk?uferin, »Ihr Dackel in allen Ehren, aber ich glaube nicht, dass wir uns allzu sehr nach seinem Geschmack richten sollten. Ich finde, das Kleid steht Ihrer Freundin ganz wunderbar.«

»Das finde ich auch. Ich bin sogar ?berrascht, wie sehr ! Wie findest du es denn selbst, Caro ?«

Carolin wendet sich vor dem Spiegel hin und her, dabei wogt der bauschige Rock um sie herum, als h?tte er ein Eigenleben.

»Es sieht toll aus, keine Frage. Allerdings finde ich es f?r eine standesamtliche Trauung mit f?nfundzwanzig Leutchen ein bisschen ?bertrieben. Ich glaube, ich h?tte lieber etwas Schlichteres. Ausserdem habe ich Angst, dass mich Marc dann gar nicht erkennt. Nicht, dass es ihm so geht wie Herkules.«

Wuff ! Was kann ich daf?r, dass Caro in diesem Kleid so ver?ndert aussieht ?

»Aber bevor ich es ausziehe, musst du ein Foto von mir machen.«

»Klar, wird erledigt.«

Nina zieht ihr Handy aus der Hosentasche und knipst. Die Verk?uferin betrachtet Carolin nachdenklich.

»Hm, schlichter, sagen Sie. Die Gr?sse war ja gut, also eine 38. Warten Sie mal, vielleicht habe ich da etwas, was Ihnen gefallen k?nnte.«

Sie verschwindet wieder. Nina schenkt Caro und sich selbst noch mal ein Glas nach.

»Feine Sache, so ein Brautkleidkauf. K?nnte man glatt h?ufiger machen.«

»Ja. Ich h?tte auch nichts dagegen, mal ein Kleid f?r dich zu kaufen, Nina.«

Caro grinst, und Nina sch?ttelt heftig den Kopf.

»Nee, um Gottes willen ! Ich glaube, vom Heiraten bin ich momentan weiter entfernt als von der Wahl zum Papst. Und das, obwohl ich evangelisch bin.«

Ich weiss zwar nicht, wer der Papst ist und wie der gew?hlt wird, aber ich w?rde Nina in diesem Punkt ohne Z?gern zustimmen. Dass die mal heiratet, scheint mir geradezu ausgeschlossen. Ich glaube, Daniel lag gar nicht so falsch mit seiner Einsch?tzung: Nina wird wahrscheinlich allein mit dem fetten Kater zusammen alt werden. Was soll sie da mit einem Brautkleid ?

»So, das ist jetzt eines meiner Lieblingsmodelle. Kurz und zweiteilig. Der untere Teil ist aus Dupionseide, gerader Ausschnitt vorne und hinten, dazu doppelte Spaghettitr?ger. Das ?berkleid ist aus Seidenorganza mit Dreiviertel?rmeln und hat einen Peter-Pan-Kragen, ebenfalls aus Dupionseide, die R?nder der ?rmel und des Kragens sind handbestickt mit Perlen und Strasssteinen.«

Caro starrt das Kleid an und trinkt ihr Glas in einem Schluck aus.

»Wow. Das muss ich sofort anprobieren. Ich glaube, das wird mir stehen.«

Eine ganze Zeit sp?ter wissen wir, dass Caro mit dieser Einsch?tzung goldrichtig lag. Nachdem ihr die Verk?uferin erst aus Kleid Nummer eins hinaus-und dann in Kleid Nummer zwei hineingeholfen hat, kommt Caro erneut aus der Kabine. Diesmal gibt es ?berhaupt keinen Grund zu bellen, denn vor uns steht eindeutig Carolin. Und sie sieht traumhaft sch?n aus, das f?llt sogar einem ignoranten Vierbeiner wie mir auf. Ihre Beine wirken in dem Kleid noch ein St?ck l?nger als normalerweise, und auch wenn lange Beine bei mir der Makel sind, der mich vom echten Dackel trennt, so sind sie meines Wissens bei Menschenfrauen h?chst willkommen. Der Stoff schmiegt sich sanft an Carolins K?rper – eng, aber nicht zu eng, sodass man ihre Formen gut sieht, aber sie nicht wie eine Wurst in der Pelle wirkt. Auch Nina ist begeistert.

»Carolin, das ist perfekt ! Das muss du unbedingt nehmen !«

Carolin dreht sich vor dem Spiegel einmal im Kreis.

»Ja, ich glaube auch, dass wir nichts Sch?neres finden werden. Genauso habe ich es mir vorgestellt. Was kostet es denn ?«

»Ach, das ist eines unserer g?nstigeren Modelle. Lassen Sie mich mal kurz schauen: Ah ja, da steht’s: 1150 Euro.«

Nina hustet und schenkt sich schnell noch ein Glas ein, Carolin hingegen zuckt nicht mal mit der Wimper.

»Wie gut, dass wir keine teure Riesenfeier veranstalten werden. Dann brauche ich jetzt nur noch die passenden Schuhe.«

Wieder zu Hause angekommen, will ich mich sofort in die Praxis schleichen. Schliesslich vermute ich dort den Zettel mit Hedwigs Bestellung, und ich habe noch eine Mission zu erf?llen. Gl?cklicherweise hat Carolin das dringende Bed?rfnis, Marc zu k?ssen, sodass ich gar nicht schleichen muss, sondern gemeinsam mit ihr durch die T?r spazieren kann.

Marc steht vorne am Tresen bei Frau Warnke– nur gut, dass Nina das Kleid mitgenommen hat. Das darf Marc n?mlich vor der Hochzeit nicht sehen, sonst gibt es Ungl?ck. So jedenfalls hat es uns die Verk?uferin eingesch?rft, als sie das Kleid sehr kunstvoll in lange Bahnen aus Seidenpapier eingeschlagen und dann in einer grossen T?te verstaut hat.

»Na, erfolgreich geshoppt ?«, begr?sst uns Marc fr?hlich.

»Das kannst du wohl sagen. Jedenfalls bin ich nun pleite – und gl?cklich !«

»Oh, dann bin ich gespannt. Erz?hl !«

Caro sch?ttelt den Kopf.

»Nee, mein Lieber, mehr wird nicht verraten !«

Doch, mehr wird verraten ! Dazu brauche ich nur den verdammten Zettel. Wo kann der bloss sein ? Wenn Frau Warnke ihn wegschmeissen wollte, dann ist er doch wahrscheinlich im M?ll. Vielleicht im Papierkorb hinter dem Tresen, da, wo Frau Warnke sitzt ? Ich lauf dorthin und versuche, unauff?llig in den Korb hineinzulinsen. Aber leider bin ich daf?r zu klein und muss M?nnchen machen. Hopp, schon besser ! Mit den Vorderl?ufen auf dem Rand des Korbs habe ich einen ganz guten Blick. Also, wo ist das Teil ?

In diesem Moment verliere ich das Gleichgewicht, und ich kippe mit dem Papierkorb um. Der gesamte M?ll, der in ihm lag, verteilt sich ?ber mich und den Boden. Auff?lliger geht’s kaum ! Heilige Fleischwurst, was f?r ein Chaos !

»Mann, Herkules, was soll das denn ?«, schimpft Marc.

Frau Warnke seufzt, steht auf, stellt den Papierkorb wieder hin und b?ckt sich dann, um den Abfall einzusammeln. In diesem Moment entdecke ich ihn, meinen zum Ball zerkn?llten Zettel ! Noch bevor Frau Warnkes Hand ihn erreicht, schnappe ich zu. Frau Warnke st?sst einen spitzen Schrei aus, dabei habe ich sie gar nicht gezwickt. Glaube ich jedenfalls. Mit dem Zettel im Maul springe ich zur Seite und laufe auf Carolin zu. Marc rennt hinter mir her und packt mich ziemlich grob am Halsband.

»Jetzt reicht es aber, du ungezogener Hund ! Ich glaube, du musst mal wieder zum Hundetrainer ! Hat er Sie erwischt, Frau Warnke ?«

»Nein, nein, alles gut. Ich habe nur einen Schreck bekommen, als er auf einmal so auf meine Hand zuschoss. Aber er wollte wohl nur diesen Zettel. Der muss ja ganz interessant riechen, den hatte er vorhin doch schon aus Henris Wickeltasche geklaut.«

Meine G?te, wie schwer von Begriff kann man denn sein ! Der riecht gar nicht ! Nun guckt euch das Teil endlich mal an ! Marc l?sst mich wieder los, und ich setze mich fast auf Caros F?sse, um den Zettel direkt vor ihr hinzulegen. Nun beugt sie sich tats?chlich und hebt den Zettel hoch.

»Hm, was will er denn damit ? Das ist kein Feuchttuch, das ist irgendein Formular.«

Sie faltet die Knitterkugel auseinander und?berfliegt murmelnd den Text.

»Hochzeit am 15. Juni. Men?folge … Anzahl G?ste …«

Dann verstummt sie und reicht Marc den Zettel, der ihn etwas angewidert anfasst.

»Lies mal. Und dann sag mir, dass ich das alles falsch verstehe.«

Marc legt den Zettel auf den Tresen, streicht ihn noch einmal glatt und beginnt dann ebenfalls zu lesen. Als er fertig ist, sch?ttelt er den Kopf.

»Nein. Ich f?rchte, das hast du ganz richtig verstanden. Ich fasse es nicht. Das kann sie unm?glich gemacht haben ! Was geht bloss im Kopf meiner Mutter vor sich ? Die kaufe ich mir gleich !«

»Dreihundert G?ste. Pfffff.«

Carolin atmet langsam aus.

»Das passende Kleid f?r so eine Veranstaltung h?tte ich jetzt allerdings. Und was f?r ein unglaublicher Zufall, dass Herkules sich gerade diesen Zettel f?rs Ballspielen ausgesucht hat. Man k?nnte fast meinen, er wollte uns warnen.«

Zufall ? Es ist nicht sch?n, so untersch?tzt zu werden !

VIERUNDZWANZIG

Komisch. Daf?r, dass Marc mit Hedwig schimpfen wollte, ist sie noch bemerkenswert gut gelaunt, als sie mit einem kleinen K?fferchen am Vorabend der Hochzeit bei uns auftaucht. Sie wird heute bei uns ?bernachten und sich um die Kinder k?mmern, w?hrend Carolin und ich bei Nina schlafen werden und Marc mit Daniel und Georg ein Bier trinken geht. Vor der Hochzeit m?ssen Braut und Br?utigam in verschiedenen Wohnungen schlafen. Sagt jedenfalls Hedwig. Mir war das neu. Aber ich bin noch nicht so lang im Hochzeits-Business. Und Marc darf Carolin vor der Trauung auch keinesfalls im Brautkleid sehen. Sonst bringt es Ungl?ck. Das wiederum wusste ich schon von der Brautkleidverk?uferin.

Also Hedwig. Nicht schlecht gelaunt. Im Gegenteil: Ich w?rde sagen, sie istblendend gelaunt. Das l?sst nur einen Schluss zu: Marc hat ihr noch nichts gesagt. Weder in den letzten vier Tagen noch heute. Aber warum nicht ? Finden Caro und Marc den Plan mit der grossen Hochzeit jetzt doch v?llig in Ordnung ? Freut sich Caro gar, dass nun so viele Menschen ihr tolles Kleid bewundern k?nnen ? Grrr, ich merke, dass ich anfange, mich zu ?rgern. Ich habe mir doch so viel M?he gegeben, Hedwigs Plan aufzudecken. Und nun ? Passiert nichts. Wuff, die ganze Anstrengung umsonst !

Carolin ist?brigens mindestens ebenso gut gelaunt wie Hedwig. Sie pfeift sogar vor sich hin, als sie ihren Riesenkoffer aus dem Schlafzimmer rollert. Was da wohl alles drin ist ? Das Kleid ist schon bei Nina, das kann es nicht sein.

»So, Herkules. Ich bin startklar. Dann verl?sst du jetzt zum letzten Mal als Dackel einer ledigen Frau dieses Haus. Ab morgen lebt dein Frauchen in geordneten Verh?ltnissen. Nix mehr wilde Ehe !«

Sie lacht, und ich verstehe den Witz nicht. Unsere Verh?ltnisse sind doch geordnet. Manchmal sogar zu sehr. Jedes Mal, wenn Marc findet, dass Henri, Luisa oder ich f?r Unordnung gesorgt haben, regt er sich auf und f?ngt an aufzur?umen. Von wegenwild. Ich lebe nun schon zwei Jahre hier und kann nur sagen: Rock’n’ Roll geht anders.

Missmutig trotte ich hinter Carolin her und bin auch nicht besser gelaunt, als wir kurz darauf bei Nina eintrudeln. Im Gegenteil, denn ich erkenne auf den ersten Blick, dass hier wieder einer dieser entsetzlich?denFrauenabende droht. Ich muss nur die langstieligen Sektgl?ser und die Flasche auf dem Couchtisch sehen, dann weiss ich Bescheid. Och n??? !

Der einzige Lichtblick ist Herr Beck, der nat?rlich auch da ist. Wobei ich auf den gerade nicht so gut zu sprechen bin. Bisher ist seine Cherie-Taktik n?mlich ein einziger Reinfall. Ich will gar nicht erst an morgen denken, denn auf der Feier werden sich Cherie und Biene wieder begegnen, und so wie es bisher ausschaut, wird Cherie mich ignorieren und Biene denken, dass ich an mehr als nur Freundschaft interessiert bin. Beste Voraussetzungen f?r schlechte Stimmung also. Und wer ist schuld ? Richtig. Ein Kater namens Beck.

Ich lasse mich neben die Couch sinken und warte auf das unvermeidlichePlopp, welches den Beginn jedes Frauenabends markiert. Plopp, da ist es auch schon. G?hn !

»Und, bist du aufgeregt ?«, will Nina von Caro wissen, w?hrend sie ihr das Glas mit Sekt f?llt.

»Klar bin ich das ! Hoffentlich sehe ich morgen auch wirklich gut aus.«

»Daran besteht doch wohl kein Zweifel ! Du hast nicht nur ein wundersch?nes Kleid, sondern auch Hamburgs Top-Stylistin an deiner Seite: Dr. Bogner ! Und Frau Dr. Bogner hat sich sehr gewissenhaft vorbereitet und sich Anleitungen f?r diverse Hochsteckfrisuren aus dem Internet geladen. Da kann garnichts schiefgehen. Und falls doch: Meine Friseurin hat Rufbereitschaft. Ich habe ihre Handynummer, wenn wir nicht allein klarkommen, darf ich sie anrufen.«

»Wow, du hast wirklich an alles gedacht ! Danke, Nina !«

»Ehrensache – ich bin schliesslich Trauzeugin. F?nfundzwanzig G?ste sind zwar ein paar weniger als bei William und Kate, aber du sollst trotzdem toll aussehen.«

Ob Caro diese gute Gelegenheit nutzt, wenigstens Nina von Hedwigs stark erweiterter G?steliste zu erz?hlen ?

»Das werde ich ganz bestimmt, bei so viel Unterst?tzung !«

Fehlanzeige. Wieder nichts. Ich rolle mich zur Seite und schliesse die Augen. Vielleicht sollte ich die Zeit hier sinnvoll nutzen und einfach eine Runde schlafen.

Aber selbst das ist mir nicht verg?nnt. Kaum habe ich die Augen geschlossen, schon stupst mich jemand in die Seite. Kann mir schon denken, wer das ist. Es riecht auf einmal verd?chtig nach Katze.

»Huhu, schl?fst du ?«

»Ich versuche es wenigstens, werde aber leider gest?rt.«

»Oh, ’tschuldigung. Warum bist du denn so schlecht gelaunt ?«

Da wundert der Kater sich. Denkt wahrscheinlich, dass er ein Monopol auf schlechte Laune hat. Ich rolle mich wieder zur?ck und gucke ihn an.

»Erstens habe ich mir in den letzten Tagen alle M?he mit meinen Menschen gegeben, und es war v?llig umsonst. Und zweitens leide ich immer noch unter den Auswirkungen deiner angeblich genialen Taktik, Cheries Herz zu gewinnen. Seitdem guckt sie mich nicht mal mehr an. Tolle Wurst.«

Erwartungsgem?ss l?sst sich Herr Beck durch mein Leid nicht beeindrucken.

»Zu zweitens kann ich nur sagen: Geduld. Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.«

»Rom ? Was ist das denn ?«

»So ungef?hr das Gleiche wie Stockholm. Nur w?rmer. Also eine andere Stadt. Und zu erstens: Mit Menschen gibt man sich doch meistens vergeblich M?he. Kein Grund, sich aufzuregen, das m?sstest du doch mittlerweile wissen. Was genau ist denn passiert ?«

Obwohl ich eigentlich nicht mehr mit Beck sprechen wollte, erz?hle ich ihm die Geschichte von Hedwigs und Luisas Facebook-Party, der Bestellung ?ber das Faxger?t von Frau Hohwenser und dem dramatischen Finale in der Tierarztpraxis. Wenigstens guckt der Kater nun angemessen beeindruckt.

»Okay, du hast dich wirklich schwer ins Zeug gelegt. Das war ja fast so spektakul?r wie damals, als wir das schwarze Spitzenh?schen geklaut haben, um Carolin zu beweisen, dass Thomas sie betr?gt.«

Typisch Kater. Nat?rlich war die Aktion mit dem Zettel viel spektakul?rer, immerhin musste ich das Teil sogar noch aus dem M?ll fischen, aber da Beck nicht selbst daran beteiligt war, kann er das nicht zugeben. Egal. Sein Lob tut trotzdem gut. Wenigstens einer, der meinen Einsatz zu sch?tzen weiss.

»Ich verstehe einfach nicht, warum Marc Hedwig noch nicht den Marsch geblasen hat. Wenn ich mal Mist baue, werde ich immer sofort eingenordet. Hier wird mit zweierlei Mass gemessen. Das ist unfair !«

Herr Beck gibt ein kicherndes Brummen von sich.

»Herkules, ich bitte dich ! Du bist sein Haustier, Hedwig ist seine Mutter. Dassind zweierlei Mass. Ausserdem weisst du doch noch gar nicht, ob er nicht doch noch etwas unternimmt. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Marc und Caro sich das einfach so bieten lassen. Wart’s ab, da kommt noch was.«

Ich mustere ihn skeptisch.

»Wenn du meinst.«

»Meine ich. Du brauchst einfach mehr Geduld. ?brigens auch beim ersten Punkt. Dass Cherie noch beleidigt ist, sagt ?berhaupt nichts. Sie muss sich nat?rlich erst einmal an die neue Situation gew?hnen. Bisher hast du den Boden angebetet, ?ber den sie gegangen ist. Damit ist nun Schluss – dasist f?r sie nat?rlich ein ziemlicher Schlag. Aber ich sage dir: Die wird schon wieder ankommen. Du darfst jetzt nicht aufgeben ! Sei weiter nett zu Biene, dann wird Cherie irgendwann kapieren, dass sie von ihrem hohen Ross runtermuss, wenn sie dich gewinnen will.«

Ob Herr Beck recht hat ? Das w?re ja zu sch?n ! Vielleicht muss ich wirklich nur noch ein wenig warten. Zu verlieren habe ich schliesslich nichts.

»Na gut. Ich probiere es noch einmal aus. Ein bisschen Angst habe ich aber schon vor dem Fest morgen. Da treffe ich n?mlich auf beide: Cherie und Biene.«

Die Schwanzspitze von Beck zuckt hektisch hin und her.

»Siehst du: Genau das ist der Fehler. Du hast Angst. Und das merken die Frauen. Stattdessen solltest du Selbstbewusstsein und Wagemut ausstrahlen, dann klappt das schon.«

Sehr lustig ! Wie soll man denn Wagemut und Selbstbewusstsein ausstrahlen, wenn man weder das eine noch das andere hat ? Jedenfalls in Bezug auf Cherie. Herr Beck scheint zu merken, dass meine Zuversicht nicht gerade?berw?ltigend ist.

»Pass auf. Ein letzter guter Tipp: Wenn du morgen Cherie triffst, dann stell dir einfach vor, sie sei ich. Mit anderen Worten: Ein alter, dicker, kurzsichtiger Kater. Du machst das schon !«

Das Trauzimmer im Gosslerhaus sieht erstaunlicherweise genauso aus wie der Salon von Schloss Eschersbach. Ein Holzboden, der nicht aus langen Dielen wie in der Werkstatt besteht, sondern aus lauter grossen Quadraten, auf Hochglanz blankgewienert, dazu Decken so hoch, dass ich ganz nach oben schauen muss, um das feine Musterband, das einmal ringsherum l?uft, ?berhaupt sehen zu k?nnen, und bodenlange, helle Vorh?nge an jedem Fenster. Wau ! Das hat Gesicht ! Gut, dass Carolin so ein tolles Kleid anhat – damit passt sie genau hierher. Nina hat ihr morgens die Haare zu Locken gedreht und dann alles auf einen grossen Haufen get?rmt und mit zwei Flaschen Haarspray festgeklebt, nur eine einzelne Str?hne lockt sich l?ssig an Caros Wange vorbei. WobeiHaufen l?ngst nicht so elegant klingt, wie die Frisur in Wirklichkeit aussieht. Es hat zwar Stunden gedauert, das Gebilde so hinzukriegen, aber es hat sich gelohnt: Carolin sieht wundersch?n aus. Ich h?tte nicht gedacht, dass eine solche Steigerung bei meinem Frauchen noch m?glich w?re.

Aber auch alle anderen haben sich m?chtig in Schale geschmissen: Marc sieht in seinem Anzug so vornehm aus, wie ich ihn sonst nur von Weihnachten kenne, Daniel hat ausnahmsweise auch nicht Jeans und T-Shirt an, sondern eine helle Stoffhose nebst Hemd, und selbst Willi, den Marc offenbar doch eingeladen hat, hat sich in ein Jackett gezw?ngt. Das Hemd darunter spannt zwar ein wenig, und zwischen zwei Kn?pfen blitzt ab und zu sein Bauch durch, aber gemessen an dem, was er sonst immer tr?gt, wenn er Zeitungen verkauft, ist er heute superchic. Hedwig tr?gt Hut, Caros Mutter Erika ebenfalls, und bis auf Willi und Daniel haben alle M?nner eine Krawatte umgebunden. Die Stimmung ist also sehr festlich, und als endlich alle G?ste auf den hellen St?hlen Platz nehmen und sich Carolin und Marc, begleitet von Daniel und Nina, vor den Tisch an der Stirnseite des Saales setzen, k?nnte man eine Stecknadel fallen h?ren.

Der Mensch, der nun darangeht, Marc und Carolin miteinander zu verheiraten, setzt sich auf die andere Seite des Tisches und guckt sehr ernst. Dann h?lt er eine kurze Ansprache ?ber den Sinn der Ehe, was f?r Pflichten sie mit sich bringt und was passiert, wenn Marc und Caro auf die Frage, ob sie einander heiraten wollen, gleich mit »Ja« antworten. Puh, das scheint wirklich eine ernste Sache zu sein. Hoffentlich hat sich Carolin das auch gut ?berlegt.

Der eigentliche Knaller kommt aber noch: Wenn ich mich nicht verh?rt habe, heisst Carolin nicht mehr Neumann, wenn sie das unterschreibt, sondern auch Wagner. Warum denn das ? Sie ist doch nicht Marcs Tochter ! Erstaunlich. Was ist denn anNeumann verkehrt ? Ein Hund?ndert niemals seinen Zwingernamen, welchen Sinn sollte das auch machen ? Auch ich bleibe immer und ewig ein Von Eschersbach – Herkules hin oder her. Ich schaue mich vorsichtig um – aber niemand erhebt Einspruch. Nicht mal Carolins Eltern, die doch auch Neumann heissen und im weitesten Sinne diese Zucht aufgebaut haben. Auf Anhieb sehe ich nicht den geringsten Grund f?r diese seltsame Entscheidung und beschliesse, Herrn Beck danach zu fragen. Der weiss bestimmt, was es damit auf sich hat.

W?hrend ich noch dar?ber sinniere, ob sich Cherie wohl Cherie von Eschersbach nennen w?rde, wenn ich sie heiraten k?nnte, rollt mir auf einmal etwas Kleines, Kaltes und Gl?nzendes direkt vor die Nase. Ein Ring ! Wie kommt der denn hierher ? Pl?tzlich macht sich eine gewisse Unruhe am Tisch vonCaro und Marc bemerkbar, Marc ist aufgestanden und schaut sich um, Gleiches tun Daniel und Nina. Offenbar habe ich gerade etwas Wesentliches verpasst. Marc r?uspert sich.

»?hm, k?nnt ihr mal alle auf den Boden sehen ? Mir ist gerade der Trauring runtergefallen.«

Gel?chter unter den G?sten.

»Ja, ich weiss, sch?n bl?d. Aber meine H?nde haben so gezittert !«

Nun zeigt sich, dass es immer gut ist, einen Dackel dabeizuhaben ! Vorsichtig nehme ich den Ring in mein Maul und trabe nach vorn, mache neben Carolin Sitz und jaule ein bisschen. Sie guckt zu mir herunter.

»Nanu, Herkules ? Hast du etwa den Ring gefunden ?«

Sie h?lt ihre Hand unter meine Schnauze, ich lasse den Ring hineinfallen. Erstaunt betrachtet sie meinen Fund und krault mich dann hinter den Ohren.

»Super, Herkules ! Braver Hund – du rettest mal wieder die Veranstaltung ! Was wir dir bei dieser Hochzeit schon alles zu verdanken haben, unglaublich !«

Was soll ich sagen– das finde ich auch ! Auch wenn mein Sp?rsinn bis jetzt noch nichts gebracht hat. Trotzdem sch?n, mal gelobt zu werden !

Carolin steht von ihrem Stuhl auf und dreht sich zu den G?sten um.

»Herkules hat den Ring gefunden ! Also keine Sorge – diesen Saal verlasse ich erst als verheiratete Frau wieder. Da k?nnen meinem Mann noch so sehr die H?nde zittern.«

Wieder lachen alle, und Marc geht zu seinem Stuhl zur?ck. Bevor er sich aber setzt, gibt er Caro noch einen Kuss. Den h?tte eigentlich ich verdient ! Ich sehe aber ein, dass Marc lieber Caro k?sst. Bin heute mal grossz?gig.

Gut, Hedwigs Idee mit der Facebook-Party war nicht zu gebrauchen. Ihre Idee mit dem Chor hingegen war grossartig. Nachdem die Trauzeremonie zu Ende ist und endlich Braut und Br?utigam den passenden Ring am Finger tragen, kommen wir bei strahlendem Sonnenschein auf die Terrasse und werden sofort von Gesang empfangen.

I feel it in my fingers

I feel it in my toes

Love is all around me

And so the feeling grows

Die Stimme des S?ngers ist warm und weich, und die M?nner und Frauen, die hinter ihm stehen und ebenfalls mitsingen, klingen ?berhaupt nicht nach Beerdigung, wie von Caro bef?rchtet, sondern nach Freude und Gl?ck. Was genau sie singen, verstehe ich nicht, denn wenn mich nicht alles t?uscht, singen sie in diesem seltsamen Englisch. Aber das ist v?llig egal, denn obwohl ich kein Wort verstehe, weiss ich genau, wovon sie singen: von der Liebe, da bin ich mir absolut sicher.

It’s written on the wind

It’s everywhere I go, oh yes, it is

So if you really love me

Come on and let it show, oh

Ich werfe Carolin und Marc einen Blick zu– Caro hat bereits ein Taschentuch gez?ckt und wischt sich verstohlen die Tr?nen aus dem Gesicht.

You know, I love you, I always will

My mind’s made up

By the way that I feel

There’s no beginning

There’ll be no end

’cause on my love you can depend

Jetzt k?mpft auch Marc mit den Tr?nen. Ich bin beeindruckt. M?nner habe ich bis jetzt wirklich selten weinen sehen. Ausser Henri nat?rlich, der flennt bei jeder Gelegenheit, aber das z?hlt wohl nicht. Als der Chor fertig ist, applaudieren und pfeifen alle G?ste, und Marc geht zu Hedwig und umarmt sie ganz fest.

»Danke, Mutter ! Woher wusstest du das ?«

Hedwig schaut erstaunt, allerdings wirkt es gespielt.

»Was meinst du denn ?«

»Na, das Lied.Love Is All Around. Das ist Caros und mein Lied !«

Nun l?chelt Hedwig.

»Junge, du solltest deine Mutter nicht untersch?tzen. Ich bin zwar nicht mehr die J?ngste, aber noch einigermassen pfiffig.«

Die Umstehenden nicken. Ja, Hedwig ist pfiffig. Wer wollte das bestreiten.

»Und ich habe noch eine ?berraschung f?r euch.«

Aha ! Aufgemerkt ! Ich ahne, was jetzt kommt.

»Ich habe etwas organisiert, was ihr wahrscheinlich anders geplant h?ttet. Aber ich fand, dass es zu einer richtigen Hochzeit dazugeh?rt.«

Alles klar. Nun wird Hedwig gestehen, dass gleich die Riesensause steigen wird. Ob Marc geahnt hat, dass seine Mutter beichten wird ? Hat er deswegen noch nicht mit ihr geschimpft ?

»Na, dann leg mal los. Was ist denn die ?berraschung ?«

»Moment. Werdet ihr gleich sehen.«

Sie holt ihr Handy aus der Handtasche, tippt eine Nummer ein und sagt nur kurz:»Kann losgehen.«

H? ? Auch Marc und Caro gucken verwirrt. Und gucken noch verwirrter, als kurz darauf ein sehr seltsames Ger?usch n?her kommt. Ehe ich noch ?berlegen kann, wo ich dieses Ger?usch schon mal geh?rt habe, kann ich sehen, was es ist: Hufgetrappel und Pferdeschnauben. Eine Kutsche mit zwei Pferden biegt um die Ecke und h?lt genau vor der Terrasse. Grundg?tiger. Hedwig hat eine Kutsche bestellt !

Ein Raunen geht durch unsere G?ste, Marc hat offenbar eine Kiefersperre, und Carolin f?ngt hysterisch an zu kichern. Nur Hedwig bleibt ganz ruhig und strahlt.

»Liebes Brautpaar, keine Hochzeit ohne Hochzeitskutsche ! Auf dass euch diese sch?nen Pferdchen ins Gl?ck ziehen ! Es lebe das Brautpaar, hipp hipp !«

Geistesgegenw?rtig rufen Willi und Danielhurra, daraufhin stimmen alle mit Hurrarufen ein. Carolin und Marc wirken immer noch fassungslos und erholen sich nur langsam von dem Schreck. Nach einer Weile legt sich die allgemeine Aufregung jedoch. Marc stellt sich vor die G?ste und klatscht laut in die H?nde.

»Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber ich w?rde jetzt gern feiern. Deswegen werde ich nun meine Frau und meine Kinder in diese wundersch?ne Kutsche packen und losfahren. Fahrt ihr doch bitte alle schon mit dem Auto vor, am besten hinter Hedwigs Wagen her, die kennt den Weg. Oh, und kann jemand Herkules mitnehmen ?«

»Ja, gib ihn mir«, meldet sich Daniel.

Wuff, in seinem Auto sitzt Cherie, das habe ich eben schon gesehen. Ich merke, wie mein Maul ganz trocken wird. Okay, wie war das gleich ? Ich stelle mir vor, dass Cherie ein dicker, fetter Kater ist ? Wenn das mal funktioniert…

Zumindest f?hrt es dazu, dass ich w?hrend der Autofahrt nicht gleich ohnm?chtig werde, sondern sogar einen halbwegs belanglosen Smalltalk mit Cherie hinbekomme, die mich dankenswerterweise wenigstens wieder anguckt. Ich erz?hle ihr von der Kutsche, und sie ist am?siert, dann parkt Daniel auch schon vor der Villa.

Auf dem Kiesbett hat der Partyservice Stehtische aufgebaut, und junge Frauen mit schwarzen Kleidern und weissen Sch?rzen sind dabei, allen G?sten Getr?nke anzubieten. Und es sind viele G?ste – im Vergleich zur Trauung wahre Massen. Das Hallo ist dementsprechend gross, als den Neuank?mmlingen klar wird, dass sie in eine ?berraschungsparty geraten sind. Ich bereite mich innerlich schon mal auf dengrossen Knall vor, den es mit Sicherheit geben wird, wenn die Kutsche hier eintrifft. Hoffentlich schimpft Marc nicht zu doll mit Hedwig. So vor allen G?sten finde ich das dann doch unangenehm. Ein Rudel muss jedenfalls nach aussen Geschlossenheit zeigen.

Endlich kommt auch die Kutsche an und h?lt ebenfalls vor den Stehtischen. Hedwig l?uft nach vorn, um den Schlag aufzureissen. Sie steigt die Stufe zum Kutscheninneren hoch – und f?llt fast r?ckw?rts wieder hinunter. Dabei schwingt die T?r nach aussen auf, und wir alle k?nnen sehen, was Hedwig im wahrsten Sinne des Wortes so umgehauen hat: Das Innere der Kutsche ist leer. Keine Spur von Marc, Carolin und den Kindern.

F?NFUNDZWANZIG

Die wollten nicht mitfahren. Ich war auch?berrascht, aber da war nichts zu machen, ehrlich !«

Dem Kutscher ist die Situation sichtlich unangenehm. Er ist von seinem Bock geklettert und steht nun vor Hedwig, die am ganzen K?rper zittert.

»Vielleicht hatte einer der Herrschaften eine Pferdeallergie oder so – jedenfalls haben die sich dann ein Taxi gerufen, als Sie alle ausser Sichtweite waren. Na ja, und bevor sie dann weg sind, hat mir der Herr noch das f?r Sie gegeben.«

Er reicht Hedwig eine Tasche. Mit ihren zitternden H?nden l?sst sie die fast fallen, sodass Daniel rettend neben Hedwig springt und die Tasche festh?lt.

»Danke. Wissen Sie, was das ist ?«, fragt er den Kutscher.

Der sch?ttelt den Kopf. H?tte Daniel mal mich gefragt. Ich kenne die Tasche n?mlich. In der transportiert Marc immer den kleinen Computer, den man ?berallhin mitnehmen kann. Man muss ihn dann vor Ort nur aufklappen, schon funktioniert er genauso wie das grosse Teil im Wohnzimmer.

Hedwig sagt immer noch kein Wort, sondern hat mittlerweile angefangen, leise zu schluchzen. Auweia ! Das kann ja heiter werden.

Vorsichtig?ffnet Daniel die Tasche und lugt hinein.

»Ein Laptop. Sehr mysteri?s.«

Er zieht ihn aus der Tasche, und ich kann sehen, dass ein heller Zettel auf dem kleinen Computer klebt.

Daniel liest laut vor:

»Liebe Hochzeitsgesellschaft, anbei ein Grusswort vom Brautpaar. Findet ihr unter ›Brautpaar‹. Beamer ist vorhanden, einfach Frau Hohwenser fragen. Danke und viel Spass! Aha, wer ist denn hier Frau Hohwenser ?«

»Ich !«

Bienes Frauchen sch?lt sich aus dem Pulk der anderen G?ste. Auch sie sieht sehr festlich aus – aber auch sie wirkt verwirrt.

»Haben Sie im Haus einen Beamer angeschlossen ?«

»Ja, habe ich. Lustig, dass Sie danach fragen. Das Gleiche wollte auch der Br?utigam wissen, als er mich vorgestern angerufen hat. Ich habe ihm versprochen, in der Halle einen aufzubauen – ich habe ihn ja sonst im B?ro stehen.«

»Okay«, ruft Daniel laut den anderen G?sten zu, »dann gehen wir jetzt mal alle in die Halle. Das Brautpaar macht es spannend.«

Es dauert einen Moment, bis sich s?mtliche G?ste in der grossen Halle der Villa eingefunden haben. Sie sieht ganz anders aus als beim letzten Mal, denn nun ist sie wie ein Restaurant hergerichtet, mit festlich gedeckten Tischen und sehr viel Blumenschmuck. Die Fl?gelt?ren zu dem hinteren Raum sind ge?ffnet, sodass man direkt in den Garten sehen kann. Auch dort sind Stehtische aufgebaut, ausserdem eine Art Bar – so sieht der Tisch mit den vielen Gl?sern und Flaschen jedenfalls aus.

An der Stirnseite der Halle steht ein Tischchen mit einem K?stchen darauf. Daniel nimmt den kleinen Computer und st?pselt ihn mit einem Kabel an das K?stchen an. Einen Augenblick sp?ter erscheint ein grosses, helles Bild an der gegen?berliegenden Wand. Wuff, Zauberei ! Wie hat Daniel das gemacht ?

»Sag mal, weisst du, was hier los ist ?«

Cherie ist neben mir aufgetaucht.

»Das Brautpaar fehlt. Marc und Carolin waren nicht in der Kutsche. Stattdessen hat der Kutscher Daniel den Computer in die Hand gedr?ckt. Was das soll, weiss ich aber auch nicht.«

Daniel dreht an einem runden Teil herum, das vorn an das K?stchen geschraubt ist, das Bild an der Wand wird daraufhin sch?rfer, und man kann deutlich eine Schrift erkennen. Schade, dass ich nicht lesen kann, sonst w?re ich jetzt schlauer.

»Liebe Familie, liebe Freunde !«, dr?hnt auf einmal Marcs Stimme durch die Halle. Ich zucke zusammen und sehe mich um – wo ist er denn ? Sehen kann ich ihn nicht, was aber verst?ndlich ist, denn um mich herum stehen so viele Leute, dass ich nur von einem Bein zum anderen gucken kann. Allerdings kann ich Marc auch nicht riechen – und das ist wirklich ungew?hnlich !

»Da, guck mal !«

Cherie stupst mich an.

»Wo denn ?«

»Na, da vorn, an der Wand !«

Tats?chlich ! Auf dem grossen, hellen Bild an der Wand sehe ich auf einmal Marc und Carolin, die uns ?berlebensgross anl?cheln. Der Fall ist klar: In dieser Villa spukt es !

»Ich freue mich, dass so viele von euch der Einladung meiner Mutter gefolgt sind und heute mit uns feiern wollen. Wie ich sehe, hat Hedwig auch alles f?r ein rauschendes Fest arrangiert. Laut der Liste des Partyservice lauert sogar irgendwo eine f?nfst?ckige Hochzeitstorte«

Ob uns Marc wirklich sehen kann ? Und h?ren ? Luisa hat mir mal erkl?rt, dass die Leute im Fernsehen nicht sehen k?nnen, wer auf der anderen Seite vor der Kiste sitzt. Aber vielleicht ist das etwas anderes, wenn man von einer Wand guckt ? Mir ist ein bisschen gruselig, ich r?cke n?her an Cherie heran, die das auch geschehen l?sst.Angenehm !

»Hedwig, ich weiss, dass dir eine grosse Feier wichtig ist, und deswegen finden wir es gut, wenn du sie nun so feierst, wie du dir das vorgestellt hast. Wir allerdings m?ssen uns nach dem offiziellen Teil leider verabschieden, denn wir haben uns die nachfolgende Feier ja etwas kleiner gew?nscht. Nun wird sie ganz klein – nur wir und die Kinder. Also, sei uns bitte nicht b?se, wir sind es umgekehrt auch nicht. Wenn ihr unsere Botschaft h?rt, sind wir schon hier«, jetzt sind nicht mehr Marc und Caro im Bild, sondern ein grosses Fenster, hinter dem gerade ein Flugzeug sehr lautstark startet, »und bald auf dem Weg in unsere Flitterwochen in der Sonne. Macht euch keine Sorgen, in zwei Wochen sind wir wieder da !Nun sind die beiden wieder zu sehen.Und jetzt w?nschen wir euch ganz viel Spass, trinkt auf uns und feiert sch?n !«

Danach meldet sich Carolin zu Wort.»Ach so, eine Sache wollen wir euch nat?rlich nicht vorenthalten: den Hochzeitskuss !« Sie l?chelt und dreht sich zu Marc, und dann k?ssen sich beide seeehr ausgiebig. Hinter uns pfeifen und johlen einige der G?ste, dann verschwindet das Bild, und die Wand ist wieder dunkel.

Einen kurzen Moment herrscht Schweigen, dann fangen die ersten Menschen an zu applaudieren. Erst etwas z?gerlich und leise, dann immer lauter. Schliesslich klatschen alle G?ste, und auch Hedwig scheint sich wieder gefangen zu haben. Jedenfalls weint sie nicht mehr, geht nach vorn und stellt sich neben Daniel.

»Tja, liebe G?ste, es gibt anscheinend Sachen, aus denen h?lt man sich als Mutter besser raus. Diese Botschaft ist angekommen.« Sie ringt sich zu einem L?cheln durch. »Andererseits – Marc ist doch erst Ende dreissig, und ich habe bisher alle Partys f?r ihn organisiert. Sein letzter Kindergeburtstag war jedenfalls ein voller Erfolg.« Gel?chter, wieder Applaus. »Ihr w?rdet mir also einen grossen Gefallen tun, wenn ihr auch diese Feier zu einem rauschenden Fest werden lasst. Sonst muss ich vor lauter Trauer den ganzen Champagner allein trinken !«

Sie hebt das Sektglas, das ihr eine der Damen mit Sch?rze schon in die Hand gedr?ckt hatte, und ruft:

»Auf das Brautpaar ! Es lebe hoch, wo immer es auch sein mag !«

»Hoch !« »Hoch !« »Hoch !«

?berall wird angestossen, Gl?ser klirren, Menschen lachen – ich w?rde sagen, beste Voraussetzungen f?r eine gute Party.

Ein paar Stunden sp?ter hat sich meine Einsch?tzung schon bewahrheitet. Es ist ein heiteres, ausgelassenes Fest. Daniel und Nina sorgen daf?r, dass alle tanzen. Auf den kleinen, gl?nzenden Scheiben, die sie besorgt haben, scheinen sich Unmengen von Musik zu verbergen. F?r die T?nzer gibt es sogar eine eigene Fl?che in dem kleineren Saal neben der Halle, von dem die Terrasse abgeht. Auf dieser wirbeln und zappeln die Menschen, was das Zeug h?lt. Um einige muss man sich ernsthaft Sorgen machen, so wild sieht ihr Gehopse aus. Hoffentlich verletzt sich da niemand.

Die Zweibeiner sind demnach gl?cklich. Zeit, sich um die Vierbeiner zu k?mmern. Da bin ich allerdings noch etwas z?gerlich. Mit Cherie habe ich mich seit vorhin nicht mehr unterhalten, und Biene ist von den vielen fremden Menschen so eingesch?chtert, dass sie sich ?berhaupt nicht von Frau Hohwensers Bein wegbewegt. So wirdes nat?rlich schwierig, mit ihr zu flirten – es sei denn, ich klebe ebenfalls an ihrem Frauchen. Jaul, die Lage ist misslich – was mache ich bloss ?

Ratlos sitze ich am Rande der Tanzfl?che und beobachte die Menschen dabei, wie sie ihren Spass haben. Auch Daniel und Nina sind unter die T?nzer gegangen. Offenbar haben sie ?ber die Hochzeitsvorbereitungen ihren gemeinsamen Musikgeschmack entdeckt. Der nette Daniel und die zickige Nina. Wer h?tte gedacht, dass die so gut zusammenpassen, jedenfalls beim Tanzen ? Selbst Hedwig tanzt mittlerweile ausgelassen – und zwar mit Willi, der sie in einem Anfall von Wagemut vorhin aufgefordert hat.

Wagemut. Vielleicht ist es das. Was hatte Beck gesagt ? Strahle Wagemut und Selbstbewusstsein aus ! Das ist wahrscheinlich nicht ganz verkehrt. Wenn ich mich doch nur dazu aufraffen k?nnte !

Hedwig und Willi kommen an mir vorbei– Hedwig ist v?llig aus der Puste und hat Schweiss auf der Stirn, sie sieht aufgel?st, aber gl?cklich aus. Willi begleitet sie zu ihrem Platz und giesst ihr mit galanter Geste ein Glas Wasser ein. Er fragt sie irgendetwas, sie nickt. Dann geht er weiter und fordert als N?chstes Frau Hohwenserzum Tanzen auf. Willi ! Teufelskerl ! Ich sollte mir ein Beispiel an ihm nehmen.

Als er mit Frau Hohwenser auf der Tanzfl?che ankommt, trabe ich zu den Tischen hin?ber. Irgendwo dort muss doch nun eine einsame Dackeldame sitzen. Richtig – schon habe ich Biene gesichtet, die etwas ungl?cklich zwischen all den Menschenund Tischbeinen hockt. Ich schleiche mich zu ihr und muss dabei h?llisch aufpassen, dass mir niemand auf die Pfoten tritt.

»Hallo, Biene ! Ist nicht so deine Veranstaltung, richtig ?«

»Nee, echt nicht. Zu viele Fremde. Da bekomme ich Angst.«

»Hm, wollen wir in den Garten ? Da geht es dir bestimmt besser.«

Der Vorschlag ist nicht ganz uneigenn?tzig. Ich habe gesehen, dass auch Cherie mittlerweile auf der Terrasse hockt. Wenn Biene und ich rausgehen, wird sie uns mit Sicherheit sehen. Wagemut !

»Gute Idee. Finde ich total nett, dass du dich so um mich k?mmerst.«

»Mach ich doch gern.«

Draussen angekommen legen wir uns zusammen ins Gras. Es ist noch warm und kitzelt ein bisschen am Bauch, ein sehr sch?nes Gef?hl. Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass Cherie uns genau beobachtet. Auch das ist ein sch?nes Gef?hl !

»Schon komisch, dieses Fest, oder ? Warst du vorher schon einmal auf einer Hochzeit ?«, will Biene wissen.

»Ja. Einmal. Da ging es auch wild her. Das Brautpaar war allerdings dabei. Die Braut hat dann ihren Blumenstrauss geworfen, und ich habe ihn gefangen und wollte ihn apportieren – da war vielleicht was los ! Wie die Meute hinter dem Fuchs waren auf einmal alle Frauen hinter mir her.«

»Ach, und wieso ?«

»Na ja, das ist offenbar ein alter Brauch bei den Menschen. Wer den Strauss f?ngt, heiratet als N?chstes. Und da sind anscheinend alle ganz scharf drauf. Ist auch verst?ndlich, wer will schon allein bleiben und nicht die Liebe seines Lebens finden.«

»Hm.«

Mehr sagt Biene nicht.

»Liebe ist doch wichtig, findest du nicht ?«

»Ich finde, Freundschaft ist wichtig. Liebe ist bestimmt auch sch?n, nur kann ich das noch nicht so beurteilen. Aber wenn man einen richtig guten Freund hat, dann ist das eine wirklich tolle Sache. Und allein ist man dann auch nicht.«

Ich denke kurz dar?ber nach.

»Sicher. Freundschaft ist auch toll. «

Biene schweigt eine Weile.

»Weisst du, manchmal ist es schade, dass man eine Freundschaft verliert, weil man Liebe sucht. Denn die Freundschaft w?re doch genauso wertvoll gewesen.«

Hm, was will Biene mir damit sagen ? Ich bin etwas erstaunt?ber die Richtung, die das Gespr?ch hier nimmt.

»Wie meinst du das ?«

Biene schluckt.

»Na ja, weisst du, das erste Mal, als du hier zu Besuch warst, da hatten wir so viel Spass zusammen. Es war, als ob wir uns schon ganz lange kennen w?rden. Wir sind rumgetobt wie zwei alte Kumpel – das war toll ! Ich habe es so genossen und mich riesig gefreut, als mich mein Frauchen mit zu euch in die Werkstatt genommen hat.«

»Ging mir ganz genauso !«, pflichte ich ihr bei.

»Ja, aber dann warst du auf einmal so komisch. Ich meine, einerseits hast du mir Komplimente gemacht und so, und andererseits warst du gar nicht mehr so kumpelig. Guck mal, du hast nicht mal den h?bschen Retriever mitspielen lassen, der heute Abend auch da ist, Cherie oder wie die heisst. Du warst fast ein bisschen gemein zu ihr – das hat mich ?berrascht. So kannte ich dich nicht.«

Wuff, wie peinlich ! Biene hat es gemerkt !

»?h, ich weiss jetzt gar nicht, was du meinst«, versuche ich mich aus der Situation zu retten.

»Ich habe mich halt im Nachhinein gefragt, warum du so anders warst. Und bin zu dem Schluss gekommen, dass es eher mit Cherie als mit mir zu tun haben muss. Und deswegen w?re es toll, wenn du das mit ihr kl?rst. Damit du bei mir wieder so sein kannst wie an dem Nachmittag an der Elbe. Ich h?tten?mlich furchtbar gern einen Freund wie dich, Herkules.«

Sie guckt mir direkt in die Augen, und mir wird auf einmal sehr, sehr warm. Wenn ich kein Fell h?tte, k?nnte man jetzt sehen, dass ich mich tiefrot verf?rbe – jede Wette ! Gott, ist mir das unangenehm.

»Ich … ?h … also …«

Dieses Gestammel ist grauenhaft. Ich beschliesse, wenigstens zu Biene ehrlich zu sein. Sie hat v?llig recht – eine Freundschaft ist wertvoll. Da sollte ich nicht gleich mit L?gereien anfangen.

»Weisst du, ich fand den Nachmittag mit dir auch grosse Klasse und habe mich genauso gefreut wie du, als du in die Werkstatt gekommen bist. Und es stimmt – ich war so komisch wegen Cherie. Ich bin schon ziemlich lange verliebt in sie, aber irgendwie kann ich es ihr nie so richtig sagen. Ein paarmal habe ich schon den Anlauf genommen, aber dann wurde es immer nichts.«

Biene rollt sich auf den R?cken.

»Tja, so etwas ?hnliches dachte ich mir schon. Ich finde, dass man sofort merkt, dass du in sie verknallt bist.«

»Ich habe halt gehofft, dass sie ein bisschen eifers?chtig wird, wenn sie dich sieht und merkt, wie gut wir uns verstehen. War ’ne Idee von dem fetten Kater, mit dem ich immer rumh?nge. Hat aber leider nicht geklappt. Stattdessen ist Cherie nun sauer auf mich.«

»So viel zu Tipps von Katzen. Nimm lieber einen Tipp von mir: Da vorne liegt deine Herzensdame. Nichts wie ran !«

»Und du meinst, ich soll Selbstbewusstsein und Wagemut ausstrahlen ?«

»Nee. Nicht ausstrahlen. Selbstbewusst und wagemutig sein ! Ich weiss, du kannst das, du alter Kaninchenschreck ! Los, nun mach schon.«

Ich atme tief durch. Vermutlich stimmt das. Aber schon bei dem Gedanken an ein Liebesgest?ndnis schlottern mir die Pfoten. Ich schaue zu Cherie hin?ber – sie guckt betont gelangweilt. Okay, das ist nicht Cherie, das ist ein dicker, fetter Kater, mit dem ich nun einfach mal ein paar Worte wechseln werde.

»Hallo, Cherie. Nette Party, oder ?«

Gut, nicht besonders einfallsreich, aber immerhin zwei gerade S?tze.

Cherie schaut mich an.

»Findest du ?«

»Ja, du nicht ?«

»Geht so. Ist halt eher f?r Menschen. F?r uns ist es doch langweilig.«

»Hm.«

Mehr f?llt mir dazu nicht ein. Komm schon, Herkules, da geht noch was !

»?h, da unten fliesst gleich die Elbe.«

Jaul, wenig geistreich !

»Ich weiss. Du erw?hntest es schon, als deine neue Freundin zu Besuch war. Vielleicht willst du einfach mit ihr dort ein bisschen spazieren gehen.«

Cherie steht auf und will sich umdrehen.

Los, Herkules, tu was, sonst ist sie gleich weg ! Wagemut, sofort !

»Nein. Ich w?rde lieber mit dir dort spazieren gehen. Kommst du mit ?«

Cherie reisst die Augen auf und starrt mich an.

»Mit mir ?«

»Habe ich gerade gesagt. Mit dir !«

Sie z?gert, dann dreht sie sich wieder in meine Richtung.

»Gut, k?nnen wir machen.«

Schweigend laufen wir nebeneinanderher, und ich?berlege krampfhaft, was genau ich zu ihr sagen soll, wenn wir unten am Strand angekommen sind. Leider f?llt mir nichts Intelligentes, Charmantes, Beeindruckendes ein – nur die Wahrheit. Dann muss es eben die werden.

Wir setzen uns in den Sand. Ich nehme all meinen Mut zusammen.

»Cherie, ich weiss nicht, ob du es schon weisst, aber …«

»Ja, was denn ?«

»Cherie, ich liebe dich. Seit dem ersten Moment, als ich dich gesehen habe, finde ich dich toll. Und dieses Gef?hl ist in der vergangenen Zeit nicht weniger geworden, sondern mehr. Ich will, dass du das endlich weisst.«

Mir ist so heiss, am liebsten w?rde ich in die Elbe springen, aber dann k?nnte ich nat?rlich nicht mehr h?ren, was Cherie dazu sagt. Ob sie ?berhaupt was sagt – oder ob sie gleich vor Lachen zusammenbricht.

Aber sie lacht nicht. Kein bisschen. Sie guckt mich aus ihren grossen braunen Augen ganz lange an, und dann reibt sie ihre Nase an meiner.

»Ich finde dich auch toll.«

Was ? Hat sie gerade tats?chlich gesagt, dass sie mich auch toll findet ? Ich bekomme Herzrasen.

»?h, echt ?«

»Ja, echt. Ich dachte nur immer, dass du mich mittlerweile viel zu gross findest. Eben nicht passend f?r dich. Weisst du, ich habe dir schon einmal gesagt, dass du ein ganz besonderer Hund f?r mich bist. Damals, als du mir zu verstehen gegeben hast, dass du gern mal was mit mir zusammen machen w?rdest. Und danach haben wir uns so lange nicht gesehen. Als wir uns dann wiedergetroffen haben, hast du nichts mehr gesagt. Na ja, ich habe mir gedacht, dass du mittlerweile erwachsen geworden bist und sich dein Geschmack bestimmt ge?ndert hat.«

Wuff, ich muss bellen ! Das stimmt doch gar nicht !

»?berhaupt nicht ! Mein Geschmack ist immer noch derselbe wie fr?her ! Du bist f?r mich die sch?nste H?ndin auf der ganzen Welt.«

»Echt ?« Cherie legt den Kopf schr?g. »Ich dachte schon, du stehst jetzt eher auf Dackeldamen.«

»Ich weiss, was du meinst, aber Biene ist nur eine Freundin. Ein echter Kumpel eben. Und das soll sie auch bleiben, das finden wir beide am besten.«

»Ach so.«

Sie schweigt.

»Du, Cherie ?«

»Ja ?«

»Warst du ein bisschen eifers?chtig auf Biene ?«

Sie nickt.

»Schon.«

Wieder wird mir unglaublich warm, aber diesmal ist es ein tolles Gef?hl. Es durchstr?mt mich vom Kopf bis zur Schwanzspitze und macht mich noch mutiger, als ich eben schon war.

»Meinst du, wir k?nnten mehr sein als nur Freunde, Cherie ?«

Sie wedelt wild mit dem Schwanz.

»Auf jeden Fall.«

Ich r?cke noch n?her an sie heran und beginne, sie abzuschlecken – sie erwidert es. Mein Fell scheint in Flammen zu stehen, aber um nichts in der Welt w?rde ich dieses Feuer l?schen wollen. Mittlerweile schl?gt mein Herz so schnell, dass ich f?rchte, es k?nnte jederzeit aus meinem Schlund h?pfen. Ein unglaubliches Gef?hl !

Es ist schon dunkel, als ich mich so weit beruhigt habe, dass ich meine Umgebung wieder wahrnehmen kann. Cherie sitzt noch neben mir. Gott sei Dank, es war kein Traum.

»Guck mal«, sie stupst mich in die Seite, »da dr?ben sind Daniel und Nina.«

Tats?chlich. Daniel und Nina hat es auch an den Elbstrand verschlagen. Sie sitzen im Sand und reden miteinander. Cherie verrenkt sich fast den Hals, um die beiden h?ren zu k?nnen.

»Hey, die verstehen sich heute ja richtig gut ! Lass uns mal da hinschleichen, ich bin neugierig.«

»Och n? ! Hier ist es gerade so sch?n«, widerspreche ich.

»Nun komm schon ! Daniel ist immerhin mein Herrchen. Ich will wissen, wor?ber die reden.«

Ich seufze.

»Na gut. Dann los.«

Wir pirschen uns an die beiden heran, was eigentlich?berfl?ssig ist, da sie sehr ins Gespr?ch vertieft sind. Etwa drei Hundel?ngen vor ihnen verstecken wir uns hinter einem angeschwemmten Baumstamm. Von hier kann man sie sehr gut h?ren und sehen.

»Als die Kutsche heute ohne die beiden ankam, dachte ich schon: Ach, du Scheisse, das geht hier gleich richtig in die Hose«, sagt Daniel.

Nina lacht.

»Aber so war es doch noch eine tolle Feier.«

Daniel nickt.

»Aber eine Sache fehlt trotzdem.«

»Ach ja ? Was denn ?«, will Nina wissen.

»Ein Hochzeitskuss. Ich finde, per Videobotschaft z?hlt das nicht.«

»Meinst du ?«

»Ja. Und es ist meine Pflicht als Trauzeuge, diesen stellvertretend f?r den Br?utigam auszuf?hren. Wenn ich darf.«

Er schaut Nina an, die kichert.

»Na gut. Aber nur aus Gr?nden der Pflichterf?llung.«

Daniel sagt nichts mehr. Sondern k?sst Nina – was ?brigens ?berhaupt nicht nach Pflichterf?llung aussieht.

Diese Menschen. Wohin soll das nur wieder f?hren ? Ach, ist mir eigentlich auch egal. F?r solche Gedanken bin ich heute selbst viel zu gl?cklich.

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