Nachwort

Philip K. Dick war der großzügigste Mensch, den ich je kennen gelernt habe. Wenn man ihn anrief und sagte: »Phil, ich wurde aus meiner Wohnung geschmissen, ich brauche vierhundert Dollar und jemanden, der mir hilft, meine Couch zu tragen«, antwortete er: »Klar, gar kein Problem! Äh – wer spricht denn da überhaupt?«

Es wird manchmal gesagt, er wäre frauenfeindlich gewesen. Diese Behauptung ist wohl auf die, gelinde ausgedrückt, etwas schwierigen Frauenfiguren zurückzuführen, die in vielen seiner Romane auftauchen, wie etwa Pris Frauenzimmer in »Die Lincoln-Maschine«. Dick selbst wäre über diese Ansicht wohl mehr als verblüfft gewesen – schließlich liebte er diese Frauen, und zwar genau so, wie er sie dargestellt hat: Pris Frauenzimmer, Pat Conley aus »Ubik« oder Kathy Sweetscent aus »Warte auf das letzte Jahr«.

Der vorliegende Roman wurde zum ersten Mal in den Jahren 1969 und 1970 in zwei Teilen in Amazing Stories veröffentlicht. Der damalige Titel – »A. Lincoln, Simulacrum« – war die Idee des Herausgebers Ted White. (Dick und White waren enge Freunde. Als ein britischer Verlag Dick um ein Foto für die Rückseite von »Das Orakel vom Berge« bat, konnte er keines finden. Er schickte ihnen stattdessen ein Bild von White, das auch prompt auf den Umschlag gedruckt wurde.)

Ich denke, der Titel, den sich White ausdachte, beweist, dass er keine Ahnung hatte, worum es in diesem Roman überhaupt geht – denn er handelt nicht in erster Linie von dem Lincoln-Simulacrum.

Als der Roman in Amazing Stories veröffentlicht wurde, hatte er neunzehn Kapitel – also eines mehr als in der vorliegenden Ausgabe. Nur dass Dick dieses letzte Kapitel überhaupt nicht geschrieben hat.

Dick erzählte mir, dass ihn Ted White davon zu überzeugen versuchte, dass das Buch unmöglich so enden konnte, wie Dick es geplant hatte – ein weiteres Kapitel wäre nötig, das der Geschichte ein vernünftiges Ende geben und alle Handlungsfäden zusammenführen sollte. Als Dick sich weigerte, dieses Kapitel zu schreiben, verfasste White einen Entwurf und schickte ihn Dick, um ihm einige mögliche Richtungen aufzuzeigen und ihn doch noch dazu zu bringen, es selbst in die Hand zu nehmen.

Doch Dick wartete einfach, bis der Abgabetermin vor der Tür stand, und schickte den Roman inklusive Whites Schlusskapitel zurück, ohne es auch nur bearbeitet zu haben – und letztendlich veröffentlichte White ihn in dieser Form in seinem Magazin. Selbstverständlich nahm Dick das Kapitel wieder heraus, als der Roman dann in Buchform erschien. Das Buch also ist und bleibt diejenige Version, die er ursprünglich geschrieben hatte.

Trotzdem ist es sehr interessant, einmal Whites Vorschlag für das Ende der Geschichte zu betrachten.

In diesem apokryphen Kapitel fährt das Lincoln-Simulacrum zur Kasanin-Klinik, um den gerade entlassenen Louis Rosen zu treffen. Die Lincoln eröffnet ihm, dass Louis – genau wie sein Vater und sein Bruder – ebenfalls ein Simulacrum ist, das von Sam Barrows bezahlt und von Pris Frauenzimmer entworfen wurde. (Sie erklärt jedoch nicht, warum Pris Chester sein Gesicht verkehrt herum aufgesetzt hat; Whites Theorie dazu hätte mich wirklich sehr interessiert.) Außerdem erfährt man, dass Louis’ Freund und Partner Maury Rock von Anfang an mit Barrows unter einer Decke steckte. Das Kapitel endet damit, dass Louis auf dem Mond lebt und versucht, menschliche Immigranten für Barrows’ dortige Wohnprojekte zu gewinnen.

Dieses Ende verblüfft. Es beinhaltet, ähnlich wie Dicks »Ubik«, eine völlig überraschende Wendung. Aber meiner Meinung nach verliert der Roman dadurch viel von seiner Kraft. Alles, was Louis durchmachen musste, sein Schmerz und seine Leidenschaften sind nur diejenigen eines künstlichen Menschen. Damit gerät nicht nur der »vornehme Humanismus« von Louis’ Vater zur Parodie, auch die Freundschaft zwischen Louis und Maury Rock stellt sich als nichts weiter als eine große Täuschung heraus.

Ich erinnere mich, wie ich Dick gegenüber einmal aus seinem Roman »Nach der Bombe« zitierte. Ich gab die Gedanken einer der Hauptfiguren wieder:

Was für Probleme uns damals nur wichtig erschienen sind! Die Unfähigkeit, sich aus einer unglücklichen Beziehung zu lösen… Heute sind wir froh, dass wir überhaupt Beziehungen zu Menschen haben. Wir haben viel dazugelernt.

»Ich habe das geschrieben?«, fragte er mich und war ungemein erfreut, als ich ihm versicherte, dass es sich genauso verhalte.

Dick bringt Louis’ zwischenmenschlichen Beziehungen – sogar dem eher vergifteten Verhältnis zu Pris – ganz offensichtlich große Wertschätzung entgegen, auch dann, wenn Louis selbst dies nicht tut. Louis’ Vater hat in seinem Leben nicht viel erreicht; trotzdem ist sein halbherziges, aber zutiefst menschliches Mitgefühl eines der Bollwerke, in das sich Louis immer wieder zurückziehen kann. Genauso verhält es sich mit Maury Rocks oft auf die Probe gestellter Loyalität. Obwohl sie nicht viel Gutes bewirkt und auch niemanden retten kann, ist sie doch eine Art Anker, an den sich Louis das ganze Buch hindurch klammern kann. Was mich an ein Gedicht von Algernon Charles Swinburne erinnert:

Hoffnung stirbt und ihr tod lässt uns wissen


Ihr glück wie ihr leiden entschwand


Eh die zeit – allzerreißend – zerrissen


Um freunde das band.

Die Hoffnungen jeder einzelnen Figur dieses Romans sind zum Scheitern verurteilt – selbst Sam Barrows’ Bemühungen scheinen nicht von Erfolg gekrönt zu sein. Nichtsdestotrotz: Louis, sein Vater, Maury Rock und all die anderen gesellen sich zu jenen Charakteren Philip K. Dicks, die – so wie Mr. Tagomi aus »Das Orakel vom Berge«, Eric Sweetscent aus »Warte auf das letzte Jahr« und Jack Bohlen aus »Marsianischer Zeitsturz« – beharrlich und manchmal starrköpfig ihre menschlichen Beziehungen aufrechterhalten wollen. Selbst in einer Welt, die sie daran zerbrechen lässt.

Tim Powers

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