17

Der Kur sank von der Klinge. Brüllend sprang ich auf einen zweiten zu und machte ihn nieder, ehe er sich erheben konnte, dann tötete ich einen dritten.

Im Augenblick des Angriffs hatten die Sklavenmädchen im Gehege die Befehle befolgt, die Hilda ihnen übermittelt hatte. Zu Hunderten waren sie aus der Umzäunung ausgebrochen und eilten durch das Lager. Die Herdensleen hüpften zwischen ihnen herum, doch bei der Menge der Sklavinnen hatten sie Mühe, sich einzelne Mädchen herauszusuchen, um sie ins Gehege zurückzutreiben. Kaum hatte sich ein Sleen eine Sklavin vorgenommen, eilten drei oder vier andere an ihm vorbei und brachten ihn von seiner Beute ab, die ihrerseits davoneilte und später dann half, andere Sleen abzulenken. Viele Mädchen ließen sich allerdings zurückbringen, um gleich darauf an einer anderen Ecke des Geheges wieder auszubrechen.

Ein Kur hob seine gewaltige Axt. Ich griff an, und meine Klinge fand ihr Ziel, ehe er zuschlagen konnte.

Ich zerrte meine Waffe frei. »Tarl Rothaar!« rief in diesem Augenblick eine Stimme. Ich wandte mich um. Es war Thyri, die ich jedoch im ersten Augenblick nicht erkannte. Blutüberströmt stand ich da, die Axt erhoben. Der Kur lag zuckend zu meinen Füßen. Entsetzt hob das Mädchen die Hand vor den Mund und huschte davon.

Ich sah, wie ein Kur einen Mann aus Thorgard von Scagnars Lager ergriff und ihm den Kopf vom Körper riß.

Die Angreifer trugen gelbe Tücher an der Schulter wie sie. Viele Kurii waren in der ersten Verwirrung dieser Täuschung zum Opfer gefallen. Inzwischen versuchten sie ohne Unterschied jeden bewaffneten Mann zu vernichten. So starben zahlreiche Kämpfer Thorgards unter den Fängen und Klingen der Kurii, und mehrere Kurii wurden auch von Thorgards Kämpfern erledigt, die sich natürlich ihrer Haut zu wehren versuchten.

Einmal sah ich Thorgard von Scagnar. Ivar Forkbeard versuchte sich sofort zu dem Mann durchzukämpfen, wurde aber von Kurii und einigen Kriegern abgedrängt und stürzte sich sofort wieder in den Kampf.

Ich hörte zwei Sklavenmädchen kreischen.

Ich sah zwei Kurii, die sich an Gorm heranschleichen wollten. Zweimal schwang ich meine Axt – einmal nach links, einmal nach rechts – und durchtrennte ihnen das Rückgrat.

In seinem Wahn hieb Gorm wie von Sinnen auf die beiden toten Kurii ein.

Schulter an Schulter kämpften Bjarni aus dem Thorstein-Lager und der junge Mann, dessen Champion ich bei dem Duell gewesen war.

Ich roch Feuer. Kurii heulten und brüllten durcheinander.

Ein Kur wich humpelnd vor Ottar zurück. Dieser verfolgte das Wesen mit wildem Blick und streckte es schließlich nieder.

Ich sah den riesigen Torvaldsländer Hrolf, den Mann aus dem Osten, der großartig kämpfte. Mit lautem Schrei stieß er einem Kur den Speer durch die Brust.

Ein anderer Kur griff an. Ich trat zur Seite und versetzte ihm einen gewaltigen Axthieb in den Leib. Ein zweiter Kur hielt unentschlossen inne. Als ich etwas die Balance verlor, griff er an. Ich zog den Axtgriff nach vorn, erwischte ihn damit im Bauch und stieß ihn zur Seite. Ich sprang auf, ließ meine Axt kreisen und traf den Hals des Ungeheuers.

Dem nächsten Kur trat ich ganz offen entgegen. Der Griff seiner Axt legte sich über den Griff meiner Waffe und zwang mich auf ein Knie nieder. Langsam richtete ich mich wieder auf und drängte die Waffe, die von beiden Klauen des Kurs gehalten wurde, zurück. Das Wesen stemmte sich mit voller Kraft gegen mich, überzeugt, daß es einen Menschen zu erdrücken vermochte. Ich hielt lange genug stand, um zu erkennen, daß ich es schaffte, dann zog ich meinen Griff hastig zurück, drehte mich zur Seite und hob meine Waffe erneut. Der Kur stolperte vorwärts, und ich trat auf den Griff seiner Axt. Das Wesen versuchte die Waffe wieder in seine Gewalt zu bringen. Vor meiner erhobenen Axt rollte es sich verzweifelt zur Seite. Mein Schlag traf das linke Schulterblatt. Heulend sprang der Kur auf und wich mit entblößten Fängen vor mir zurück. Ich folgte ihm. Er wandte sich plötzlich zur Flucht, doch ich erwischte ihn vor dem Eingang eines Pavillonzelts, das Thorgard von Scagnar gehörte. Der Kur hatte kehrtgemacht und wich langsam zurück. Dabei stieß er gegen eine Zeltleine und riß den Haltepflock aus dem Boden. Ich sprang vor und schlug noch einmal zu. Der Kur verschwand blutend im Zelt, aus dem sofort das Geschrei zahlreicher Sklavinnen ertönte.

Ich folgte dem Kur, der jetzt mit dem rechten Arm nach einer der Zeltstangen griff und sie aus dem Boden zog. Ein Teil des Zeltes stürzte ein. Er stieß mit der Zeltstange nach mir. Ich wartete ab. Das Wesen war vom Blutverlust geschwächt. Wieder machte es kehrt, floh zur gegenüberliegenden Zeltwand und versuchte die Seide zu zerreißen. Dabei erwischte ich es. Ich zog meine Axt aus dem reglosen Körper und drehte mich um. Die Mädchen hatten sich verängstigt aneinandergeklammert und sahen mich zitternd an. Ich verließ das Zelt.

»Wo steckt Thorgard von Scagnar?« fragte Ivar Forkbeard, dessen Hemd zerrissen war. Brust und Wange waren blutbesudelt.

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich.

Hinter Ivar Forkbeard entdeckte ich Hilda, Thorgards Tochter.

»Die Kurii greifen bei den Verrgehegen an!« rief ein Mann.

Schleunigst eilten Ivar und ich in diese Richtung.

Der Angriff war schlecht geplant. Speere flogen in die Gruppe der Kurii. Mehrere rutschten im Schlamm der Verrgehege aus; die erschrocken blökenden Tiere sprangen zwischen den Kämpfenden hin und her und waren ihnen im Wege.

Auch Svein Blue Tooth war zu den Verrherden geeilt und leitete den Angriff, der den Ausfall der Kurii zersprengte. Der große Torvaldsländer stieg über den Leichnam eines gefallenen Kur. »Die Kurii dürfen nicht nach Süden entkommen«, schrie Svein Blue Tooth Ketil zu, dem Verwalter seiner großen Farm, der als gefürchteter Ringer bekannt war.

»Die Boskherden verhindern dort die Flucht«, erwiderte Ketil. »Einige Kurii sind sogar zertrampelt worden.«

»Man hat uns hereingelegt!« rief ein Mann. »Auf der anderen Seite des Lagers hat der wirkliche Angriff begonnen! Hunderte von Kurii! Sie brechen durch! Dieser Vorstoß war eine List, er sollte die Männer hierherziehen, damit sich die Kurii woanders neu formieren konnten!«

Ich bewunderte den Anführer der Kurii. Er war ein echter General, ein gefährlicher Gegner, skrupellos und geschickt.

»Offenbar haben wir einen würdigen Gegner«, sagte Forkbeard grinsend.

»Die Schlacht wendet sich gegen uns!« brüllte ein Mann.

»Haltet sie auf!« sagte Ivar Forkbeard. Von der anderen Seite des Lagers, fast einen Pasang entfernt, drang Kuriigeschrei herüber. »Komm, wir müssen mitkämpfen, Tarl Rothaar«, sagte Forkbeard.

Fliehende Männer eilten an uns vorbei. Forkbeard stellte sich einem der Krieger in den Weg.

»Zurück!« sagte er wütend. Der Mann machte kehrt, hob seine Waffe und floh in den Kampf. »In die Schlacht!« brüllte Forkbeard.

»Wir können sie nicht aufhalten! Sie werden das Lager zurückerobern!«

Schon sahen wir den Signalspeer Svein Blue Tooths, von Kurii umgeben. Der Speer wirkte wie eine Flagge auf einer Insel. Dicht davor stand der mächtige Rollo und hieb mit seiner Axt nach rechts und links. Wer sich von den Kurii dem Signalspeer näherte, starb. Hunderte von Männern begleiteten uns. Die Kurii, deren Streitmacht nicht ausreichte, zogen sich brüllend zurück, um sich zu einem neuen Angriff zu formieren.

»Bildet Reihen!« schrie Svein Blue Tooth in das Getümmel. Svein, der Jarl, kämpfte mitten zwischen seinen Männern. Die Torvaldsländer drängten sich danach, vor seinen Augen in der ersten Reihe Aufstellung zu nehmen.

Wir sahen die sich überlappenden Schilde der Kurii-Linie. Ich schätzte die Zahl der Gegner auf über zweitausend.

Lauthals brüllend stürmten die Kurii auf uns zu. Unsere Reihen gerieten ins Wanken, doch nach kurzem, schrecklichem Kampf wichen die Angreifer zurück.

Rechts von mir kämpfte der mächtige Rollo. Auf seinen Lippen stand Schaum, seine Augen rollten in ihren Höhlen. Links von mir lieferte Hrolf aus dem Osten einen großartigen Kampf. Aber die anderen hielten sich ebenso gut.

Zweimal noch wurde angegriffen – einmal von den Kurii, einmal von uns. Doch gegen die Schildmauer der Kurii kamen wir nicht an; nach erheblichen Verlusten zogen wir uns zurück. Ohne die Sicherheit Svein Blue Tooths, ohne die Kraft seiner Stimme hätten die Kurii die Initiative in diesem Augenblick an sich reißen können. »Bildet Reihen!« brüllte er wieder. »Formiert euch neu! Speere ins zweite Glied!« Eine Hecke aus Speeren, zwischen den Kämpfern der ersten Reihe hindurchgesteckt, erwartete die Kurii.

Hundert Meter trennten die gegnerischen Linien.

Aus dem Lager eilten weitere Kurii herbei, um ihren Kameraden beizustehen. Auch Männer lösten sich aus Einzelkämpfen und fanden ihren Weg in unsere Linien.

Ich fand es erstaunlich, daß wir gegen die Kurii standgehalten hatten – doch es war tatsächlich geschehen.

Die Kurii machten keine Anstalten, hinter ihrer Schildmauer hervorzukommen. Diese Mauer besteht aus zwei Reihen sich überlappender Schilde, die eine am Boden, die andere in Brusthöhe. Diese beiden äußeren Reihen der Kurii waren deutlich zu erkennen; die untere Reihe kniete, die obere stand. Ähnliche Mauern wurden nun auf allen Seiten um die Formation errichtet – es bildete sich das Kriegsviereck der Kurii. Im Innern des Vierecks hielt sich eine große Anzahl von Kurii auf, die zum Angriff bereit waren, sollte sich die Schildmauer öffnen oder an einer Stelle geschwächt werden. Ich schätzte, daß sich in dieser Formation etwa zweitausenddreihundert Kurii befanden.

»Wir wollen das Viereck noch einmal angreifen!« rief ein Mann.

»Nein«, bestimmte Svein Blue Tooth. »Das Viereck ist nicht zu schaffen.«

»Sie warten bestimmt auf die Nacht«, sagte Ivar Forkbeard.

Die Männer erschauderten. Ein Kur kann in der Nacht ausgezeichnet sehen, während die Menschen im Vergleich dazu praktisch blind sind.

»Bei Dunkelheit bringen sie uns um!« sagte ein Mann.

Svein Blue Tooth hob den Kopf. »Es ist Mittag vorbei. Ich habe Hunger.« Er sah sich im Kreise seiner Männer um. »Geht zu den Schuppen der Kurii. Schneidet Fleisch. Röstet es vor unseren Kampflinien.«

»Gut«, sagte Ivar Forkbeard. »Vielleicht öffnen sie die Mauer für uns.«

Aber das Viereck hielt. Kein Kur rührte sich von seinem Platz.

Aufgebracht wandte sich Svein Blue Tooth ab.

»Dein Plan hat nicht geklappt«, sagte Ivar Forkbeard.

»Ja«, erwiderte Svein Blue Tooth grimmig. »Sie warten auf die Nacht.«

Ich sah den Kur-General in dem großen Viereck, den riesigen Kur mit dem goldenen Ring am linken Arm, der meines Wissens keine militärische Bedeutung hatte. Viele Kurii tragen solche Ringe an den Armen und um den Hals. »Manchmal«, sagte ich, »reagieren die Kurii ganz automatisch auf Blut.«

»Blut haben sie jetzt genug gehabt«, erwiderte Ivar Forkbeard. »Die Luft ist förmlich damit getränkt.«

Ich warf Ivar Forkbeard einen Blick zu, den er grinsend erwiderte.

»Wir brechen das Viereck«, sagte ich zu Svein Blue Tooth. »Und zwar in einer Stunde. Sucht inzwischen alles an Nahrung und Wasser zusammen, was ihr finden könnt. Gebt den Männern zu essen und zu trinken. Dann seid bereit.«

Svein Blue Tooth sah uns an, als hätten wir den Verstand verloren. »Gut«, sagte er. Seine Finger drehten den blauen Zahn des Hunjerwals.


Die Kurii hoben gespannt die Köpfe. Sie hatten das Grollen gehört, ehe es für menschliche Ohren vernehmbar wurde. Die Erde begann zu zittern.

Staub wallte wie Rauch empor.

Die Ungeheuer sahen sich an.

Im nächsten Augenblick erdröhnte Hufgetrappel, das Bellen der Bosks wurde lauter.

Zu Hunderten rasten die Tiere heran – mit trommelnden Hufen und gesenkten Köpfen stürmten sie gegen das Viereck der Kurii an. Obwohl Ivar und ich und hundert Männer brüllend hinter der Herde herjagten, hörten wir das verblüffte Kreischen der Kurii. Wir hörten das Kratzen von Hörnern auf Metall, die Schreie der aufgespießten Ungeheuer, das Heulen der Kurii, die von Hufen zertrampelt wurden. Es gibt nichts auf Gor, das der Gewalt eines fliehenden Bosk widersteht. Sogar Larls rücken vor einer solchen Attacke aus. Die Herde walzte das Viereck nieder und stürmte langsamer werdend auf die Hänge des Tals zu. Betäubte, verwirrte Kurii taumelten hin und her und sahen sich der angreifenden Horde Svein Tooths gegenüber. Die Attacke begann, während die letzten Bosks noch über die Stelle dahinrasten, an der sich das Viereck befunden hatte. Kreischende Männer tauchten mit erhobenen Äxten aus dem Staub auf und fielen über die demoralisierten Kurii her. Die Ungeheuer hatten keine Zeit, sich neu zu formieren. Heulend ergriffen sie die Flucht, und Gruppen von Männern nahmen die Verfolgung auf.

»Laßt nicht nach! Verfolgt sie!« brüllte Blue Tooth. »Keine Gnade!«

Wieder wurde das Lager zu einem Gewirr von Einzelkämpfen, doch nun waren die Kurii entschieden im Nachteil und ergriffen die Flucht, sobald sich ihnen die Gelegenheit dazu bot. Wandten sie sich nach Norden, ließen wir sie ziehen, denn dort lauerten seit dem frühen Morgen vierhundert Bogenschützen im Hinterhalt. Ein Ausweg läßt den Gegner überhaupt erst an Flucht denken; ein in die Ecke getriebener verzweifelter Gegner ist doppelt gefährlich; ein Gegner, der noch einen letzten Ausweg zu haben glaubt, denkt eher an den Rückzug.

Ivar und ich schritten durch das brennende Lager. Männer folgten uns. Wir bahnten uns einen Weg zwischen den verkohlten und ausgeraubten Zelten Thorgards von Scagnar hindurch. Im Tal brannten noch immer tausend Feuer. Da und dort waren Köpfe von Kurii auf Pfähle gespießt worden. Wir stiegen über zerbrochene Äxte, zerschmetterte Zeltstangen und zerrissene Zelthäute der Kurii-Unterkünfte. Wir kamen an einem Dutzend Männer vorbei, die Bierkrüge leerten. Zweihundert Meter vor uns erklang ein Seemannslied. Wir sahen einige Männer, die einen Kur gefangen hatten. Ein schweres Holzstück lag zwischen seinen Fängen und war dort mit Lederschnüren festgezurrt. Das Wesen blutete an der Schläfe. Seine Klauen waren vor dem Bauch zusammengebunden. Die Männer trieben das Wesen mit Speerschäften zwischen sich hin und her. »Knie nieder! Roll dich herum!« befahl einer der Kämpfer. Überall lagen Tote im Gras, zumeist Kurii – denn die Überraschung und die Wut war auf unserer Seite gewesen. Wir beobachteten fünf Männer, die um ein Feuer saßen und den Schenkel eines Kur rösteten. Der Geruch war schwer und süßlich. In der Ferne ragte der Gipfel des Torvaldsberges auf. Ich sah Hrolf aus dem Osten, den bärtigen Riesen, der sich gelassen auf seinen Speer stützte und über das Schlachtfeld schaute.

»Ivar! Ivar!« rief eine Stimme.

Forkbeard hob den Kopf und sah Ottar am niedergebrannten Zelt Thorgards von Scagnar stehen. Er winkte uns heran.

»Hier gibt es Gefangene und reiche Beute!« rief Ottar und deutete auf elf Männer Thorgards von Scagnar. Man hatte ihnen Helme, Gürtel und Waffen abgenommen und ihnen Ketten um den Hals gelegt.

»Verkauft sie als Sklaven in Lydius«, sagte Forkbeard und wandte sich ab.

Dann durchstöberte er die Kisten und Truhen und Beutel. Dicht daneben knieten Thorgards Mädchen. Es waren siebzehn. Sie sahen ziemlich zerzaust und niedergeschlagen aus.

»Thorgard von Scagnar!« rief eine Stimme. Wir drehten uns um. Thorgard von Scagnar, zerrissen, zerlumpt und blutbesudelt, war an einen abgebrochenen Speerschaft gefesselt worden; man hatte ihm die Arme zurückgewinkelt und die Stange zwischen Ellbogen gelenken und Rücken durchgeschoben. Seine Handgelenke waren seitlich am Brustkorb gefesselt. Ein einfaches Seil lag um seinen Hals, und Gorm zerrte ihn daran vor Ivar Forkbeard.

Mit entsetztem Blick musterte der Gefangene den Mann von Forkbeards Heimstatt. »Du gehörst jetzt mir«, sagte Forkbeard und sah sich im Kreis um. »Bringt meine neuen Sklavinnen ins Gehege«, befahl er Olga, die die Mädchen für ihn bewacht hatte. Während die Sklavinnen zusammengetrieben und abgeführt wurden, wandte sich der große Torvaldsländer wieder an Thorgard von Scagnar.

»Einige seiner Männer sind entkommen«, sagte Gorm. »Sollen wir ihn entkleiden?«

»Nein.«

»Knie nieder«, sagte Gorm zu Thorgard von Scagnar und stieß ihn mit einem Speerschaft an.

»Nein«, sagte Forkbeard.

Die beiden Männer sahen sich an. Dann sagte Forkbeard; »Schneide ihn los!«

Gorm gehorchte.

»Gib ihm ein Schwert«, befahl Forkbeard.

Auch das geschah, und die Männer und Hilda traten zurück, machten den beiden Männern Platz. Thorgard packte den Schwertgriff. Der Himmel hatte sich bewölkt. »Du warst schon immer ein Dummkopf!« sagte Thorgard zu Forkbeard.

»Jeder Mann hat seine Schwächen«, erwiderte Ivar.

Plötzlich stieß Thorgard von Scagnar einen Wutschrei aus. Sein Bart wehte zur Seite, als er – jetzt wieder bewaffnet – auf seinen Gegner zustürmte, der den Schlag mühelos abwehrte. Ich konnte die Wucht des Schlages an der Art und Weise beurteilen, wie Forkbeards Klinge darauf reagierte. Thorgard war ein ungeheuer kräftiger Mann. Ich war überzeugt, daß er den Waffenarm manches Gegners durch schiere Gewalt ermüden konnte, und wenn der Gegner dann erschöpft war und nicht mehr reagieren konnte, erzwang er mit großer Entschlossenheit und Kraft den Sieg. Ich kannte die Kampfesweise solcher Männer.

Aber ich nahm nicht an, daß Forkbeard so schnell ermüden würde. Auf seinem Schiff saß er nicht selten selbst an den Rudern. Er fing die gewaltigen Hiebe, die stählernen Donnerschlägen glichen, mit seiner Klinge ab und lenkte sie zur Seite. Aber er selbst griff selten an.

Hilda hockte im Schlamm, die Hände vor den Mund gehoben, und verfolgte den Kampf der beiden Riesen mit verängstigten Blicken. Denn die mächtigen Hiebe forderten ihren Tribut natürlich auch vom Arm des Angreifers.

Plötzlich trat Thorgard zurück. Forkbeard grinste ihn an. Er war nicht im geringsten geschwächt. Thorgard aber war auf der Hut und machte einen weiteren Schritt rückwärts. Forkbeard folgte ihm. Ich sah Erschöpfung in den Augen Thorgards – und zum erstenmal auch Angst. Er hatte viel Kraft vergeudet.

»Ich bin hier der Dummkopf«, sagte Thorgard.

»Das konntest du nicht wissen«, erwiderte Forkbeard.

Und jetzt trieb Forkbeard seinen Gegner Schritt für Schritt zurück. Wir folgten den beiden Kämpfern hundert Meter weit. Er trieb seinen Gegner mit unerbittlichen Schwerthieben vor sich her.

Einmal hielten die beiden inne und sahen sich an. Der Ausgang des Kampfes schien bereits klar zu sein.

Und dann folgten wir den beiden den Talhang hinauf, bis zu einer hohen Klippe über dem Thassa.

Es verwirrte mich, daß Forkbeard den entscheidenden Schlag noch nicht getan hatte.

Jetzt konnte Thorgard von Scagnar nicht weiter zurückweichen. Er stand mit dem Rücken zum Meer. Er vermochte auch den Arm nicht mehr zu heben.

Hinter ihm erstreckte sich das herrliche grüne Thassa. Der Himmel war bewölkt. Es wehte ein leichter Wind, der mit seinen Haaren und seinem Bart spielte.

»Schlag zu«, sagte Thorgard.

Einige hundert Meter vor der Küste lagen Schiffe auf dem Thassa. Eins dieser Schiffe war der Schwarze Sleen, Thorgards Schiff. Gorm hatte uns berichtet, daß einige seiner Männer entkommen waren. Sie hatten zu dem Schiff fliehen können.

Hinter mir bemerkte ich das angespannte Gesicht Hildas.

»Schlag zu«, sagte Thorgard noch einmal.

Der Hieb wäre ganz einfach gewesen. Die Männer Ivar Forkbeards waren außer sich.

Ivar drehte sich zu uns um. »Ich bin ausgerutscht«, sagte er.

Gorm und andere rannten zur Klippe. Thorgard hatte die Gelegenheit genutzt und war in die Tiefe gesprungen. Wir sahen, wie er durch die Brandung schwamm. Vom Schwarzen Sleen wurde ein Boot ins Wasser gelassen, das sofort auf ihn zuruderte.

»Wie unvorsichtig von mir«, sagte Forkbeard lächelnd.

Hilda kniete vor ihm nieder, schmiegte den Kopf an sein Bein. Tränen standen ihr in den Augen, als sie zu ihm aufblickte.

Daraufhin kehrten Forkbeard und ich und die anderen zu den Zelten Thorgards aus Scagnar zurück, wo uns bereits Svein Blue Tooth erwartete. In einiger Entfernung wurde eine lange Kette aneinandergefesselter Kurii mit Speerschäften durch das Lager getrieben.

»Unsere Falle hat vorzüglich funktioniert«, sagte Svein Blue Tooth zu Forkbeard. »Viele hundert fliehende Kurii wurden von unseren Bogenschützen niedergestreckt.«

»Hat es Überlebende gegeben?« erkundigte sich Ivar.

Blue Tooth zuckte die Achseln. »Mehrere, aber ich glaube, die Torvaldsländer haben eine Rückkehr der Kur-Armee nicht zu befürchten.«

Und das konnte stimmen. Wie zuvor mochten sich vereinzelte Kurii in den Süden verirren, doch ich nahm nicht an, daß sie sich wieder in großer Zahl zusammenrotten würden. Sie und die Torvaldsländer hatten erfahren, daß sich die Menschen gegen die Ungeheuer durchsetzen konnten. Diese Tatsache war in einem einsamen Tal des Nordens mit dem Blut von Kurii und Menschen bewiesen worden. Diese Demonstration blieb sicher auch nicht ohne Wirkung auf die fortschrittlichen Kurii in den Stahlwelten. Ich, Tarl Cabot, der die Dienste der Priesterkönige quittiert hatte, war ihnen dennoch an diesem entlegenen Ort nützlich gewesen. Forkbeard und ich hatten im Torvaldsberg den Kriegspfeil gefunden, und dieser Pfeil hatte seine Kraft an andere Pfeile weitergegeben, die in Hunderte von Dörfern und Lagern zu den freien Männern des Nordens getragen worden waren. Und gemeinsam mit diesen Männern am hatte ich gekämpft. Dies k mir seltsam vor. Ich dachte an den goldhäutigen Misk, den Priesterkönig, der einmal vor langer Zeit mit seinen Fühlern die Innenfläche meiner hochgereckten Hand berührt und mir das Nestvertrauen ausgesprochen hatte. Doch ich schlug mir den Gedanken aus dem Kopf.

»Was soll mit den gefangenen Kurii geschehen ?« fragte ich Svein Blue Tooth und deutete auf die gefangenen Ungeheuer, die an uns vorübergetrieben wurden.

»Wir werden ihnen die Zähne ausbrechen und die Krallen ausreißen. Und dann sollen sie uns in Ketten als Lasttiere dienen.«

Der große Plan der Anderen, der Kurii aus den Stahlwelten, war fehlgeschlagen. Eingeborene Kurii, auf primitive Waffen beschränkt, waren offenbar nicht in der Lage, Gor zu erobern und die Priesterkönige im Sardargebirge zu isolieren, bis sie vernichtet oder dazu verleitet werden konnten, ihre eigenen Waffengesetze zu verraten, weil sie die Menschen bewaffnen mußten, oder ihre eigene Technologie einsetzen mußten, was für die Kurii in den Stahlwelten sehr interessant gewesen wäre. Der Plan war brillant gewesen, hatte aber wenig auf das Leben der Kurii Rücksicht genommen. Der Fehlschlag der Kurii-Invasion gab dem großen Krieg natürlich eine neue Dimension. Ich fragte mich, welche Ersatzpläne jetzt wohl in Angriff genommen würden. Vielleicht gab es solche Pläne schon seit Jahren oder Jahrhunderten. Ich betrachtete die Reihe der gefesselten Kurii. Sie hatten versagt. Doch sicher waren schon andere, frische Kurii in den Stahlwelten am Werk, in den Kommandozentralen und Kartenräumen, um neue Befehle zu geben, noch ehe die Asche in diesem entlegenen Tal des Nordens abgekühlt war. Ich sah mich auf dem Schlachtfeld um, unter dem wolkigen Himmel. Sicher waren schon neue verschlüsselte Anweisungen zwischen den fernen Stahlwelten ausgetauscht worden. Der Kur ist ein aggressives Wesen. Seine Evolution scheint ihn nur für ein Leben in Vorherrschaft zu prädestinieren. Ivar Forkbeard und Svein Blue Tooth mochten sich zu ihrem Sieg gratulieren. Ich, der ich die Kurii und die Kriegsgeheimnisse der Priesterkönige besser kannte, nahm an, daß dies nicht das letzte Wort der Ungeheuer war.

Doch diese Gedanken sollten sich andere machen, nicht Bosk aus Port Kar, nicht Tarl Rothaar. Sollten doch andere für die Priesterkönige kämpfen, sollten andere in den Krieg ziehen! Wenn ich in dieser Hinsicht einmal verpflichtet gewesen war, so hatte ich diese Schuld längst abgetragen.

Zum erstenmal seit meiner Abreise aus Port Kar fühlte sich die linke Seite meines Körpers seltsam kalt und taub an. Eine Sekunde lang konnte ich den linken Arm und das linke Bein nicht bewegen und wäre fast gestürzt. Dann war der Anfall vorüber. Auf meiner Stirn stand Schweiß. Das Gift von den Klingen aus Tyros lauerte noch immer in meinem Blut.

Ich war nach Norden gekommen, um die Ermordung Telimas zu rächen. Dieser Entschluß, mein Haß, hatte mich angetrieben. Doch schien ich meine Mission nicht erfüllt zu haben. In meinem Beutel ruhte das Armband, das mir Ho-Hak in Port Kar gegeben hatte, das Armband von der Stelle, an der Telima angegriffen worden war.

»Alles in Ordnung?« fragte Ivar.

»O ja«, sagte ich.

»Ich habe deinen Bogen und die Pfeile gefunden«, sagte Gorm. »Sie waren in der Beute.«

»Vielen Dank«, sagte ich, prüfte den Bogen und hängte mir die Waffe über die Schulter.

»In vier Tagen soll ein großes Fest stattfinden, wenn wir genügend Vorräte zusammenbekommen«, sagte Svein Blue Tooth. »Es war ein großer Sieg!«

»Ja«, sagte ich, »laßt uns feiern, denn wir haben einen großen Sieg errungen.«

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