Die Baronie Azkfru, akkafischis Reich

Datham Hains Körper lag im Betäubungsschlaf in der Mitte des untersten Stockwerks von Baron Azkfrus Nest. Der Raum war angefüllt mit Computerschränken, die surrten und knackten und blinkten. Vier große Kabel waren mit Anschlüssen an Hains Kopf befestigt, zwei kleinere an ihren Fühlern. Zwei Markling-Technikerinnen prüften die Anzeigen der Meßgeräte.

Baron Azkfrus Fühler verrieten vollkommene Befriedigung. Er hatte sich oft gefragt, was der Kaiserliche Haushalt sagen würde, wenn er wüßte, daß er eines dieser Geräte besaß.

Zumindest würde es einen Bürgerkrieg geben, dachte er.

Die Konditionieranlage war vor fast achtzig Jahren von einem besonders begabten akkafischen Wissenschaftler entwickelt worden. Sie beendete die regelmäßig ausbrechenden Revolten der Barone und sicherte die Stabilität der neuen — jetzt alten — Ordnung, indem sie eine Revolution praktisch unmöglich machte.

Vermutlich träumte jeder Baron davon, die Herrschaft zu stürzen, aber sie vermochten einem direkten kaiserlichen Befehl nicht zu widerstehen.

Nur Azkfru konnte das.

Sein Vater hatte die Anlage hier nachgebaut, und Schlüsselfiguren wurden mit ihrer Hilfe von der alten Konditionierung befreit und einer neuen unterworfen. Immer klappte das nicht, weil die Grundstruktur nicht beeinflußt werden konnte. Deshalb hatte Ytil beseitigt werden müssen. Er war zu dumm, um den Mund zu halten.

Azkfru stieg hinunter, und zwei Kabel wurden an seinen Fühlern befestigt. Wenn er jetzt etwas sagte, würde es in die Anlage gelangen, verstärkt, verarbeitet und direkt in das Gehirn Datham Hains eingegeben werden, wo es sich tief einprägen würde.

»Datham Hain!«rief das Gehirn des Botschafters.

Hain antwortete trotz seiner Bewußtlosigkeit.

»Ja?«

»Deine Vergangenheit bis zu diesem Punkt behältst du, aber sie ist eine akademische Vergangenheit, unwichtig für deine Gegenwart und Zukunft«, erklärte der Baron. »Das einzige für dich Wichtige ist, daß du eine Brüter-Markling der Baronie Azkfru bist. Deine Bestimmung ist, was der Baron von Azkfru wünscht, und das ist für dich annehmbar und normal. Mein Wille ist dein Wille, dein einziger Wille. Du existierst nur, um mir zu dienen. Du wirst mich nie verraten noch zulassen, daß mir etwas Böses geschieht. Du bist mein Eigentum, und das ist alles, was gut und schön ist in deinem Denken und Leben. Ich bin dein Führer, dein Herr und dein einziger Gott. Deine Anbetung ist normal. Verstehst du das?«

»Ich verstehe, Mylord«, antwortete Hain automatisch.

Der Baron bedeutete den Technikerinnen, den Kontakt zu unterbrechen, was sofort geschah.

»Wie hat es gewirkt?«fragte er.

»Das Subjekt ist aufnahmefähig. Das psychologische Profil verrät jedoch extreme Eigensucht. Das könnte den Einfluß der Konditionierung einmal zunichte machen und zum geistigen Zusammenbruch führen.«

»Was raten Sie dann?«

»Passen Sie sich dem an. Machen Sie ihr klar, daß ihr einziger Weg zu Reichtum und Macht über Sie und niemand anderen führt. Das kann sie ohne Vorbehalt akzeptieren. Wenn sie wach ist und Sie mit ihr reden, bieten Sie ihr die höchste Stellung an, die eine Markling-Brüterin erreichen kann.«

»Verstehe«, sagte der Baron. Damit war alles klar. »Bringen wir die Konditionierung zum Abschluß«, befahl er.

Datham Hain erwachte mit sehr seltsamen Gefühlen, ahnte aber nichts davon, daß über zehn Tage vergangen waren, seitdem sie im Land der Akkafier aufgetaucht war.

Eine Markling mit den Abzeichen des Barons Azkfru kam herein und sah, daß sie wach war.

»Sie müssen sehr hungrig sein«, sagte sie. »Kommen Sie mit.«

Datham Hain war halb verhungert und schlang sich im Nährraum mit großen, weißgerippten Würmern voll.

»Der Baron züchtet seine Fighfs selbst«, erklärte seine Führerin, als Hain sich vollaß. »Nur das Beste für diesen, bis Mitternacht am Schacht der Seelen.«

Hain hörte plötzlich auf zu essen.

»Wie war das?«fragte sie.

»Ach, das ist nur ein Spruch.«

Hain vergaß es für den Augenblick und aß weiter. Danach folgte sie der Führerin in einen großen Vorraum, der mit weichem Pelz ausgelegt war, wurde allein gelassen und ging nervös auf und ab.

Der Baron hatte bereits einen Gast — oder Gäste, er wußte es nicht genau. Die nördliche Halbkugel war ihm so fremd, daß er mehr Verbundenheit mit den völlig andersartigen Rassen im Süden als mit den näher verwandten im Norden empfand.

Das Objekt seiner Überlegungen und Befürchtungen schwebte etwa drei Meter vor ihm. Ja, schwebte, entschied er — keine sichtbaren Mittel für Stützung oder Fortbewegung. Es sah aus wie ein etwas nach oben gewölbter Streifen Kristall, von dem Dutzende kleiner Kristallglöckchen herabhingen. Das Ganze war etwa einen Meter lang und endete knapp über dem Boden. Auf dem Kristallstreifen schwebte ein Wesen, das aus Hunderten rasch aufzuckender Lichter zu bestehen schien. Ihr Muster und ihre Regelmäßigkeit deuteten an, daß sie in einer durchsichtigen Kugel existierten, die in den Kristallhalter paßte — aber so sehr er sich auch mühte, er konnte die Kugel, von deren Vorhandensein er überzeugt war, nicht sehen.

Der Erahner und Der Rel mochten ihn ebenso unsicher und bedenklich betrachten, begriff er, aber erfahren würde er es nie. Er wollte nicht und konnte nicht in seiner Welt sein, aber er war in der akkafischen, und das tröstete ihn ein wenig.

»Bleibt dieser Hain Ihnen treu?«fragte Der Rel, offenbar seine Glöckchen gebrauchend, um die Worte hervorzubringen, was ihnen jede Betonung nahm.

»Meine Technikerinnen versichern es«, erwiderte Azkfru. »Obwohl ich nicht einsehe, warum sie notwendig sein soll. Ich traue ungern jemandem, der so neu und unbekannt ist.«

»Trotzdem ist es notwendig«, erwiderte Der Rel. »Erinnern Sie sich, daß Der Erahner vorausgesagt hat, Sie würden einen der Außerweltlichen erhalten, und daß die Lösung unserer Probleme ohne ihn nicht möglich sei.«

»Ich weiß, ich weiß, und ich bin dankbar, daß ich es war, mit dem sich Ihre Leute in Verbindung gesetzt haben. Für uns steht ebenso viel auf dem Spiel wie für Sie, müssen Sie wissen. Aber warum sind Sie so sicher, daß das der Neuzugang ist, den wir brauchen?«

»Wir sind es nicht«, gab Der Rel zu. »Der Erahner weiß nur, daß einer der vier gebraucht wird, um den Schacht zu öffnen. Einer war für Czill bestimmt, einer für Adrigal, einer für Dillia, und einer für hier. Von den vier Personen war der, den Sie erhielten, dafür bekannt, daß er psychologisch am empfänglichsten für unser Angebot sein würde.«

»Verstehe. Fünfundzwanzig Prozent waren besser als null Prozent. Warum holen wir uns dann nicht einfach die anderen, um ganz sicherzugehen?«

»Die Antwort kennen Sie. Wenn wir nur einen der Neuzugänge verfehlen, würde er sich verstecken, und wir könnten ihn nicht überwachen. So wissen wir, wo sie sind, und was sie machen.«

»Hm, ja, und dazu kommt die zweite Prophezeiung.«

»Gewiß«, bestätigte Der Rel. »Wenn der Schacht geöffnet ist, werden alle hindurchgehen. Wenn wir also einen bei uns behalten, haben wir die beste Aussicht, mit ihnen hindurchzugehen.«

Azkfru starrte das Gebilde unsicher an. Welche Macht besaß es? Was führte es im Schilde?

Der Erahner — oder Der Rel — schien das zu spüren und sagte:»Unsere Hexagons sind so fremdartig wie nur möglich. Wir haben keine gemeinsamen Interessen oder Betätigungen. Ihr seid uns unverständlich in jeder Beziehung. Wir wären unter Gefährdung unserer geistigen Gesundheit nicht hier, wenn es nicht um das Überleben unserer Rassen ginge. Unser einziges Ziel besteht darin, alles so zu erhalten, wie es ist.«

Der Baron seufzte.

»Wann wollen Sie beginnen?«fragte er.

»Viel hängt von Ihnen ab«, betonte Der Rel. »Ohne Skander bricht alles zusammen.«

»Und Sie können ihn ausmachen, nur Sie«, sagte der Baron. »Ich bin bereit, sobald Sie es sind.«

»Dann nicht länger als eine Woche. Wir haben Grund zu der Vermutung, daß Skander später nicht mehr erreichbar sein wird.«

»Nun gut. Ich konditioniere zwei meiner besten Markling-Kämpferinnen dafür. Dazu brauchen Sie Hain ja nicht, oder?«

»Nein. Das geht sehr gut. Wir müssen nachts arbeiten und uns tagsüber verbergen, so daß wir einen ganzen Tag brauchen, um uns dort einzurichten. Zwei Tage, um hinzugelangen. Können Sie innerhalb eines Tages von jetzt an alles vorbereiten?«

»Ich denke schon.«

»Während Sie die beiden vorbereiten, möchte ich mit jemandem reden, der von Strukturen und elektrischen Systemen etwas versteht. Geht das?«

»Sicher, aber warum?«

»Es wird notwendig sein, kleinere Sabotageakte vorzunehmen, um uns unsere Aufgabe zu erleichtern«, erwiderte Der Rel rätselhaft.

»Also gut. Jetzt muß ich mich um andere Dinge kümmern. Gehen Sie dort hinaus, eine Mitarbeiterin wird Sie in einen privaten Raum führen. Ich schicke Ihnen die Technikerinnen.«

Der Rel schwebte hinaus.

Azkfru wartete einige Minuten, dann ging er zum Eingang seines Wartezimmers und drückte mit dem rechten Vorderbein auf den Knopf.

»Herein, Mar Datham!«sagte er herrisch und begab sich schnell zurück auf das Podest, das ihm als sein Arbeitsbereich diente.


* * *

Datham Hain betrat den Raum, von einem Schauer der Ehrfurcht geschüttelt, beugte sich vor der majestätischen Erscheinung nieder.

Er ist Gott, dachte sie voll Überzeugung. Er ist die Verkörperung der Größe.

»Mein Herr und Meister, ich bin Ihre Sklavin, Datham Hain. Befehlen Sie.«

Azkfru war befriedigt. Die Konditionierung hielt.

»Gibst du dich mir, Mar Datham, Körper und Seele, daß ich verfahre mit dir, wie mir beliebt, für immer und ewig?«sagte er feierlich.

»Ja, Herr, mein Gott, ja. Befehlen Sie mir, zu sterben, und ich tue es gern.«

Wunderbar, dachte Azkfru. Und jetzt noch einmal.

»Du bist das Niedrigste des Niedrigen, Mar Datham, niedriger als die Fighfs, die als Nahrung gezüchtet werden, niedriger als die Fäkalien der niedrigsten Fighfs

Und so war es, begriff sie. Sie fühlte sich so niedrig und unbedeutend wie nur irgend möglich, so winzig und klein, daß sie kaum zu denken vermochte.

»Du wirst niedriger Abschaum bleiben«, verkündete der Herr und Meister, »bis ich andere Verwendung für dich habe. Aber so, wie du das Niedrigste bist, kannst du durch meinen Befehl auch zur höchsten Höhe gelangen. Eine große Aufgabe wird dir übertragen werden, und deine Liebe und Hingabe für mich werden entscheiden, was in deiner Zukunft liegt, ob die hirnlose Reinigerin der Fäkaliengruben oder vielleicht sogar die erste Konkubine eines Königs.«

Hain krümmte sich unterwürfig.

»Und dein Name soll von nun an Kokur sein, du wirst auf keinen anderen hören, und das wirst du bleiben, bis du die Aufgaben erfolgreich erfüllt hast. Dann wirst du wieder einen Namen bekommen, und er wird groß sein. Geh jetzt. Meine Diener zeigen dir deine Pflichten, bis ich dich rufen werde.«

Sie drehte sich um und verließ auf zitternden Beinen schnell den Raum.

Als die Tür hinter ihr zuging, atmete der Baron auf.

Nun, es ist geschehen, dachte er. Nach einigen Tagen würde Hain alles tun, um fortzukommen von der Stelle, wo er jetzt hingeschickt wurde, und ihm, Azkfru, dienen, was immer er auch befehlen mochte.

Kokur war kein Name, sondern eine Berufsbezeichnung.

Bis Der Erahner und Der Rel zurückkamen, würde Datham Hain in den Fäkaliengruben arbeiten, den Inhalt aufhäufen und mit einer Reihe von Chemikalien und Stoffen behandeln, durch die er zu einer scheußlichen, aber harmlosen Masse wurde. Hain würde dort nicht nur arbeiten, sondern auch darin schlafen, herumlaufen und es essen. Und der einzige Name, auf den sie reagieren, unter dem sie denken konnte, war Kokur — was ›Dungfresser‹ hieß.

Wenn sie dann mit Dem Erahner und Dem Rel unterwegs war, würde das eine ständige und demütigende Erinnerung an ihren niedrigen Status und ihr lebenslanges Schicksal sein, das sogar durch die Übersetzungsanlagen auf der ganzen Welt verbreitet werden konnte.

Datham Hain würde seine sehr gehorsame Sklavin sein.

Eigentlich sogar sehr attraktiv, dachte Azkfru. Zu schade, daß sie eine Brüterin ist.

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