Kapitel 16


Eine gute Gelegenheit zur Kontaktaufnahme ist immer ein lauer Abend mit einer untergehenden Sonne. Nichts macht eine Frau romantischer und unbewußt zärtlicher als der Anblick des Abendrotes. Warum, das wäre eine Frage für Psychologen, — vielleicht weil das Rot die Farbe der Leidenschaft ist und der heraufglutende Abend schon ans Bett erinnert.

Kurowski sagte sich:»Alter Junge, du hast ein unverschämtes Glück«, als er nach dem Abendessen (es gab einen schrecklichen Gemüsesaft, einen Klecks Magerquark mit Schnittlauch und fünf Scheiben rohe Gurken, was Kurowski mit düsterer Miene hinunterschlang und dann intensiv an ein riesiges paniertes Schnitzel mit in Butter gedünsteten Pilzen darüber dachte) die fremde, schöne Frau an der Balustrade der Terrasse stehen sah. Sie blickte in den Park, der im Widerschein des Abendrotes wie mit Gold überhaucht war. Kurowski blieb hinter ihr stehen, vergewisserte sich, daß niemand ihnen nachgekommen war, schnupperte das verdammt aufreizende Parfüm, das aus ihren Kleidern strömte, und sagte unvermittelt:»Wenn das einer malen würde, wär's glatter Kitsch!«

Die schöne Frau zuckte zusammen, die Stimme hinter ihr kam so plötzlich, aber sie drehte sich nicht um. Ein Ostpreuße, dachte sie. Unverkennbar, diese breite Aussprache. So sprechen sie in Masuren. Onkel Hubert sprach genauso. Ich war gerade da, als die Wildgänse zurückkamen. Wer kann so etwas vergessen? Sie hob etwas die Schultern. Merkwürdig, woran man sich alles erinnert, dachte sie. Wie die Bilder blitzschnell auftauchen… nur weil eine ostpreußische Stimme aufklingt.

«Ich habe so etwas gemalt — «, sagte sie. Ihre Stimme paßte zu ihr. Melodisch, etwas angedunkelt, Klänge in Samt gehüllt.»Der Dar-gainen-See im Abendlicht. Es wurde sogar in Berlin ausgestellt, aber ich habe es nicht verkauft.«

Kurowski steckte den Finger ins Ohr und bohrte. Er konnte das, denn die schöne Frau drehte ihm noch immer den Rücken zu.

«Sagten Sie eben >Dargainen-See

«Nein, es stimmt. Sie kennen ihn?«

«Wie soll ich den nicht kennen! Ich bin aus Adamsverdruß, - aber das kennen Sie nicht.«

«Nein. «Sie drehte sich um. Kurowski, bisher mutig wie nie, verschlug es den Atem. Erna war eine hübsche Frau… damals als junges Mädchen, heute als Mutter fast erwachsener Kinder. Aber das hier war einfach schön… einen anderen Ausdruck kannte Kurowski nicht dafür. Das war vollendet! Das war, um in seiner Branche zu bleiben, ein handgemachter Schuh aus weichem Juchtenleder.

«Adamsverdruß ist ein sehr schöner Name. Die Ostpreußen mit ihren merkwürdigen lustigen Ortsnamen. «Sie lachte dunkel, und Kurowski bekam eine Gänsehaut.»Mövenort… Ringelau.«»Swainen und Spullen.«, sagte Kurowski atemlos.»Kniepitten und Mehlsack.«

«Nautzwinkel und Groß-Puppen!«rief Kurowski.»Süßenberg und Klotainen! Klackendorf und Sackstein.«

«Ein einmaliges Land!«Die schöne Frau lachte, lehnte sich gegen die Balustrade und bog sich nach hinten. Ihre Brüste waren voll und fest, Kurowski hatte Gelegenheit, das durch den dünnen Stoff der Abendbluse festzustellen. Ihm wurde schwül unter den angegrauten Haaren und merkwürdig leicht ums Herz.»Da darf Adamsverdruß nicht fehlen, das stimmt.«

«Es war ein schönes Dorf. «Kurowski verbeugte sich.»Sie gestatten: Ewald Kurowski.«

«Marion Hellbaum. «Sie musterte ihn und schob dabei die Unterlippe etwas vor. Es sah kokett aus, und Kurowski machte sich daran, ihr Alter zu schätzen. Mindestens 30, dachte er, höchstens 40. Bei so einer herrlichen Frau kann man das nie sagen.

«Kurowski?«sagte sie plötzlich.»Von den Aluminiumwerken?«

«Nicht direkt, wenn wir auch Aluminium als Gelenkstützen in den Schuhen verarbeiten. Kurowski von der >Westschuh<. Leverkusen. Aber muß das sein?«

«Nein.«

«Ich bin hierhergekommen, um mich zu erholen. Der Arzt meinte, es sei nötig. Ich habe ihm den Gefallen getan, — wenn man Ärzten widerspricht, werden sie gleich unangenehm und reden von Särgen! Aber was ich heute abend als Essen bekommen habe, sieht nicht so aus, als wenn ich mich dabei erhole.«

«Das war noch fürstlich! Morgen früh gibt's eine Tasse Brühe, die nach Kräutern duftet. Aus!«

«Meine Güte! Und das halten Sie aus?«

«Schon seit elf Tagen.«

«Und kratzen nicht vor Hunger die Tapeten von den Wänden?«

«Sehe ich so aus?«

Das war eine Frage, zu der Kurowski allerhand zu sagen hatte. Aber gerade in solchen Situationen fehlen einem die Worte, man ist ja kein geborener Playboy, hat zeit seines Lebens nur Schuhe besohlt und Schuhe verkauft und hat sich aus dem Dreck emporgekrabbelt. Wie soll man Worte finden, die eine solch schöne Frau beschreiben.

«Wenn ich nach elf Tagen so aus sehe wie Sie«, - sagte Kurowski —»natürlich auf männlich umgesetzt —, pilgere ich nach Rom und stelle mich dem Papst als Wunder vor.«

Marion Hellbaum lachte wieder, tief, aus geheimnisvollen Abgründen, vor denen die schöne Barriere ihrer Brüste lag. Kurowski war stolz. Er schien etwas Gutes gesagt zu haben. die Bekanntschaft war geschlossen. Die nächste Frage war nur natürlich:»Wie lange bleiben Sie noch in Bad Neuenahr?«

«Noch zwei Wochen. Und Sie, Herr Kurowski?«

«Drei Wochen! Bei dem angedrohten Essen sind das drei Jahre! Aber eins weiß ich jetzt schon ganz sicher: Zwei Wochen halte ich durch, und wenn ich nur Gras essen müßte!«

«Danke — «, sagte Marion Hellbaum und legte ihre Hand auf Ku-rowskis Unterarm. Es durchzuckte ihn wie elektrische Schläge.

«Wofür?«fragte er.

«Das war ein schönes Kompliment.«

Kurowski war verblüfft, dann wich die Verblüffung einer Verwirrtheit. So geht das also, dachte er. Das war mein erstes Kompliment. Damals, bei Erna hatte er nur gesagt:»Marjellchen, du jefällst mir«-, und die Sache war klar. Seitdem hatte er keine andere Frau mehr angeguckt. Erna war seine ganze runde Welt geworden. Ein Leben ohne Erna war undenkbar geworden. Aber jetzt plötzlich gab es auch etwas anderes, mit dem Kurowski zum erstenmal konfrontiert wurde: Das Abenteuer mit einer Frau. Es war ein neues, den ganzen Körper wie Feuer durchrinnendes Gefühl. Kurowski gab sich keine Mühe, dagegen anzukämpfen, — es war von Beginn an ein sinnloser Kampf.

An diesem Abend gingen sie durch den Park spazieren. Kurowski erzählte von Adamsverdruß und Leverkusen, seiner Ladenkette und aus dem Krieg. Er erzählte von allem… nur nicht von Erna und den Kindern. Und auch Marion Hellbaum fragte nicht:»Sie sind verheiratet? Sie haben auch Kinder?«Man übersah auf beiden Seiten dieses Thema, und Kurowski fand, daß man auf dieser Basis zwei Wochen Urlaub, selbst mit der magersten Magerverpflegung, durchstehen könnte.

Zurück auf seinem Zimmer — Marion wohnte unter ihm, schräg links, Zimmer 18 — wanderte Kurowski unruhig hin und her, trat auf den Balkon, schöpfte tief Luft, schielte nach links (Marion hatte auch noch das Licht an), ging zurück ins Zimmer, trank Wasser aus dem Wasserhahn (Bier war verboten), setzte sich dann an den Tisch und schrieb eine Ansichtskarte an Erna und die Kinder.

«Der erste Tag ist vorüber. Wenn Ihr wüßtet, was ich hier zu essen bekomme, würdet Ihr alle weinen. Aber ich halte durch! Wie sagt Kurowski: >Wir lassen uns nicht unterkriegen!< Auch hier nicht. An alle einen Kuß. Euer Vater. «Er las die Karte noch einmal durch und blieb an seinem Wahlspruch hängen.

«Ich glaube, der geht zum erstenmal schief — «, sagte er ahnungsvoll.»Meine Ahnen kannten keine Marion Hellbaum — «

Nach vier Tagen duzten sie sich, am fünften küßten sie sich… es hatte länger gedauert, als Kurowski zuerst angenommen hatte. Aber als er Marion zum erstenmal an sich zog und küßte, wußte er, daß verdammte Probleme damit aufgerissen wurden. Der erste Schritt zu einem Betrug an Erna war gegangen, — was jetzt folgen mußte, konnte er noch abbremsen, aber er wollte es nicht. Er versuchte, sich heimlich vor sich zu rechtfertigen, zählte die im Krieg verlorenen Jahre auf, die Gefangenschaft… aber das alles war kein Grund, Erna jetzt zu vergessen, und wenn's auch nur für noch neun Tage war. Blieb es bei diesen neun Tagen? Marion Hellbaum wohnte in Wesel. Von Leverkusen nach Wesel war keine Entfernung, die schnurrte der Mercedes in kurzer Zeit weg, und wenn das auch nach Bad Neuenahr mit Marion weiterging, und es würde weitergehen, das wußte Kurowski schon heute, denn eine solche Frau gibt man nicht wieder her, dann kam über die Familie Kurowski eine böse Zeit.

An diesem Abend, nach dem Essen, machte sich Kurowski bereit, zu Marion aus Zimmer 18 zu gehen. Er badete und rasierte sich noch einmal, besprühte sich mit einem Herrenparfüm, das er gestern gekauft hatte, betrachtete sich im Spiegel und fand, daß er eigentlich so übel gar nicht aussah, etwas dicklich (aber das wollte man ja hier wegradieren), helle, klare Augen und ein gutmütiges Gesicht. Das war eine Täuschung, denn auch Opa Jochen hatte ein gutmütiges Gesicht gehabt, wie überhaupt die ganzen Kurowskis, aber wenn sie losbrüllten, begann das schalste Bier im Glas wieder zu schäumen.

An diesem Abend rief Franz Busko an.»Na, wie geht's denn, Mee-ster?«

«Gut — «, knurrte Kurowski. Er war einsilbig geworden. Verdammt, es ist gar nicht so leicht, Erna zu betrügen, dachte er. Ich werde mir einen antrinken. Aber woher nehmen? Von Gemüsesaft ist noch keiner blau geworden.

«Wie ist das Essen?«

«Das sollte man euch im Bundestag als Pflichtessen vorsetzen!«

«Und sonst?«

«Was sonst?«bellte Kurowski.

«Sie wissen schon, Meester. Sonst.«

«Ich will mich erholen und abnehmen!«brüllte Kurowski.»Und überhaupt — warum hat mir nie einer gesagt, daß ein Kuraufenthalt für mich so nötig ist?!«Das war eine Bemerkung, die ein grober Fehler war. Busko, an parlamentarischen Spitzfindigkeiten trainiert, hörte heraus, was sich da in Bad Neuenahr tat. Er rief sofort Heinrich Ellerkrug an und sagte:»Heinrich, auch wennste schon im Bett liegen solltest, — fahr mal nach Neuenahr. Der Meester ist auf der Balz. Ja, was ich dir sage! Ich hab so 'was geahnt! Nee, nicht mehr heute… morgen jenügt. Und nimm die Meesterin mit… aber ohne die Kinder. Ick hätte auch in Neuenahr bleiben sollen. Imma die Weiber.«

Ellerkrug warf den Hörer zurück. Busko hatte gut reden. seit er im Bundestag saß, hatte er ein Verhältnis mit einer Sekretärin und kaufte — er war ja auch noch Direktor der >Westschuh< — Pelze und Schmuck. Er hatte für sie ein Appartement in Godesberg gemietet und plante, seinen Urlaub im Winter in Davos zu verbringen. In dieser Nacht schlief Ellerkrug nicht wieder ein. Er mußte an Erna denken und an ihre unzerbrechliche Treue zu Ewald.

Auch Kurowski schlief nicht ein. Er lag in Zimmer 18 neben Marion auf dem Bett, hatte seine rechte Hand auf ihren herrlichen, nackten Leib gelegt, starrte an die Decke und dachte: Es war schön… aber, Kurowski, du bist ein Schwein.

Ellerkrug kam sich verdammt elend vor, als er in Leverkusen unverhofft eintraf und Erna den Vorschlag machte, Ewald in Bad Neuenahr zu besuchen. Ganz überraschend. Das heißt, — so überraschend sollte es wieder auch nicht sein, es sollte zu keiner Tragödie kommen, und Busko hatte es übernommen, Kurowski vorher telefonisch zu warnen. Wie allerdings Kurowski darauf reagieren würde, wußte niemand. Wenn ein Mann durch seinen zweiten Frühling wandelt, hört er kein Sturmblasen mehr und spürt keinen Regen. Er riecht nur Blüten. Bei Kurowski mußten es ganze Blumenfelder sein… dafür war er ein Kurowski!

«Solche Überraschungen mag er gar nicht«, sagte Erna. Sie sah dabei Ellerkrug nicht an, und er hatte den Eindruck, daß sie irgend etwas ahnte. Bisher hatte Kurowski zwei Karten geschrieben mit geradezu dummen Sätzen. Hier scheint die Sonne, mir geht's gut, ich habe drei Pfund abgenommen, wie geht es euch? Schreibt solche Karten ein Mann, der zum erstenmal in seinem Leben auf Kur gefahren ist?

«Eben deshalb fahren wir hin!«sagte Ellerkrug gepreßt.

«Er wird sich ärgern, Heinrich.«

«Wer ärgert sich, wenn seine Frau ihn besuchen kommt?«

«Ohne die Kinder?«

«Ohne. Nur du!«

Erna sah ihn lange an. Sie schwiegen beide, und es war auch nicht nötig, jetzt noch etwas zu sagen. Ellerkrug kaute an der Unterlippe. Er war noch immer in Erna verliebt, und wie sie so dasaß, in einem modernen Sommerkleid, die blonden Haare in weiche Lok-kenwellen gelegt, gütig, mütterlich, ein Stück ostpreußischer Himmel, ein Stück masurische Seen, ein Stück Kiefernwald, von allem das schönste Stück, brachte sie Ellerkrug in Versuchung, nach Neuenahr zu fahren, allein, und Kurowski ins Gesicht zu schlagen.

«Ich bleibe hier — «, sagte Erna endlich.»Ewald soll in seiner Kur nicht gestört werden.«

«Vielleicht gehört es zu seiner Kur, Erna, daß du jetzt zu ihm fährst«, sagte Ellerkrug finster.

«Wie heißt sie?«fragte sie plötzlich.

«Keine Ahnung. «Er war überrumpelt worden. Er sprang auf und stellte sich ans Fenster. Der weite Garten des Landhauses blühte in hundert Farben.»Wann fahren wir?«

«Soll ich ihm nachlaufen?«

«Du haste jahrelang auf ihn gewartet.«

«Da war er vermißt. Jetzt ist er da… das ist etwas anderes. Und ich bin älter geworden… einundvierzig.«

«Ist das ein Alter für eine Frau? Er ist einundfünfzig. Verdammt, ja, das ist für einen Mann eine Klippe, die er überspringen muß. dieses Jungseinwollen, ohne mehr jung zu sein. Dabei mußt du ihm helfen, Erna.«

«Sie ist bestimmt hübscher als ich, eleganter, gebildeter, vornehmer.«

«Aber du bist Erna Kurowski! Ohne dich und Paskuleit wäre Ewald jetzt eine Null! Dir verdankt er alles!«

«So etwas sollte man einem Mann nie sagen — «

«Natürlich nicht. Aber man sollte ihm zeigen, daß man da ist! Los, wir fahren sofort nach Neuenahr.«

In Köln holten sie Ludwig, den Ältesten, ab.»Ich hab heute nachmittag Anatomie-Repetitorium!«schrie Ludwig.»So'n Blödsinn, Paps in Neuenahr zu überraschen!«

«Die Knochen bleiben immer die gleichen!«schrie Ellerkrug zurück.»Aber wenn deine Mutter dich bittet mitzukommen, dann ist das wichtiger! Steig ein. Wie kann so 'was Dämliches nur Arzt werden!«

Franz Busko saß unterdessen in Bonn am Telefon und ließ Kurowski in Neuenahr suchen. Er war mit Marion im Cafe, aß Diätkuchen und trank ungesüßten Tee, besuchte dann das Kurkonzert im Kurpark und war rundum glücklich. Seine nächtliche Reue war verflogen, als der Morgen gekommen war und Marion ihn wieder zärtlich auf sich zog. Daß er so etwas von einem Wunder an Weib besaß — dieses Triumphgefühl war stärker als jeder Gedanke an seine Familie. So muß ein Hirsch empfinden, der das größte und schönste Rudel beherrscht.

Im Sanatorium stürzte man sofort auf Kurowski zu und berichtete ihm, daß pausenlos nach ihm aus dem Bundestag gefragt wurde. Auch jetzt.

Kurowski ließ sich verbinden, hörte Franz Busko sagen:»Meester, wo war'n Se bloß? Alarm! Die Meesterin kommt, sie muß schon vor der Tür stehen. «und hängte ein, ehe Kurowski losbrüllen konnte. Bei den Kurowskis muß man schnell sein, um ihnen zu entgehen.

«Ein Freund von mir — «, sagte Kurowski, als er vom Telefon zurückkam, zu Marion.»MdB Busko. Irgendeine Lederexportsache. Liebling, wir müssen unser Programm umwerfen. Ich werde stramm auf meinem Zimmer arbeiten müssen. Du mußt heute allein ins Konzert gehen. Nicht maulen, Liebling. ich mach's wieder gut.«

Er drückte Marion die Hand und rannte zum Fahrstuhl.

In seinem Zimmer zog er sich um, duschte sich heiß Marions Parfüm von der Haut, vernichtete aus seinen Anzugtaschen alles, was verräterisch war. zwei Kinokarten, zwei Konzertkarten, zwei Kutschfahrten nach Münstereifel, zwei Dampferfahrten auf dem Rhein, immer zwei, zwei, zwei, es ist erstaunlich, was man zu zweit in so wenigen Tagen alles erleben kann. und war dann gerüstet für Ernas

Empfang. Da es eine totale Überraschung sein sollte, mußte er das nun auch spielen. Er zog die Schuhe aus, legte sich auf den Balkon und wartete. Es war mitten im Abendrot — Kurowski sah darin eine heimliche Ohrfeige des Schicksals —, als es an der Tür klopfte.

«Herein!«rief er.»Stellen Sie den verfluchten Saft auf den Tisch, Fräulein! Ohne ihn hätte ich nichts zu träumen!«Das wirkt, dachte er. Das wird Erna zeigen, wie stur ich hier die Kur mache. Er wartete ab, und als sich nichts rührte, drehte er sich um. Im Zimmer stand Marion. Sie war gerade dabei, sich aufs Bett zu legen, und sie sah wie ein Bild aus einem Märchen aus.

«Was machst du denn hier?«stotterte Kurowski.»Ich denke, du bist im Konzert?«

«Und ich denke, du arbeitest?«

«Das tue ich auch. Ich denke. Ich warte auf Anrufe aus Bonn.«

«Ich habe Männer gern, die denken. «Marion räkelte sich auf dem Bett.»Ich sehe Männern gern zu, wenn sie denken. Vielleicht brauchst du meine Hilfe, Liebling. Jeder Mann hat seine Muse, denn jeder Beruf ist irgendwie poetisch.«

Kurowski hatte wenig Sinn für Poesie in dieser Lage. Er sprang auf und wußte doch nicht, was er tun sollte. Die Katastrophe, die er befürchtet hatte, war schneller über ihn gekommen, als er gedacht hatte. Sie wäre zu vermeiden gewesen, aber Kurowski hatte in solchen Dingen keine Erfahrung. es war sein erster Seitensprung, und schon rutschte er aus.

Noch bevor er etwas sagen konnte, klopfte es wieder. Bleib draußen, hätte er schreien können. Erna, um Himmels willen, bleib draußen! Ich flehe dich an… laß uns später über alles vernünftig reden. Nur bleib jetzt draußen.

Aber er sagte nichts. Wie nach einer Lähmung ging er zur Tür, Schritt nach Schritt, als habe er gerade wieder laufen gelernt, und als er die Klinke umklammerte, fragte Marion vom Bett:

«Es kommt noch jemand, Liebling? Warte… ich verschwinde sofort. Das habe ich nicht gewußt.«

Von außen wurde die Klinke heruntergedrückt. Kurowski hielt sie fest, aber der da auf der Gegenseite drückte, hatte große Kräfte, man konnte die Klinke nicht mehr hochhalten, die Tür schwang auf, und Kurowski starrte in das Gesicht seines ältesten Sohnes. Hinter ihm, aber noch im langen Flur, stand Erna. Traurig, blond, mit weiten blauen Augen.

«Bleib einen Moment da, Mutter — «, sagte Ludwig. Er drängte Ku-rowski zurück ins Zimmer, schloß hinter sich die Tür, sah Marion an, die noch immer auf dem Bett lag und ihn sehr interessiert musterte, wandte sich dann um und holte tief Luft. Auch er ist ein Ku-rowski, dachte Kurowski. Jetzt kommt es heraus. So irrsinnig das jetzt war, — es erfüllte ihn mit Stolz.

«Mein Junge — «, sagte er zaghaft. Ludwig schwieg. Aber nach einem tiefen Atemholen hob er die Hand und schlug sie seinem Vater mitten ins Gesicht.

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