Kapitel 2

In der gleichen Nacht hatte der arme Piotr in seiner Hütte in den Weinbergen eine schlechte Stunde.

Das blinde Mütterchen empfing ihn mit einem duftenden Braten, was schon ungewöhnlich war mitten in der Woche.

«Wie gefällt sie dir?«rief das blinde Mütterchen und spuckte Sonnenblumenkerne um sich.

«Wer?«fragte Piotr ein wenig blöde.

«Das neue Töchterchen, deine Frau, du Esel! Führ sie zu mir.«

Piotr wischte sich über die Augen, schnaufte laut und sagte dann:»Ich habe keine Frau, du weißt es doch, Mütterchen.«

«Wanda Fjodorowa!«schrie die Alte.

«Nie gesehen, Mütterchen.«

«Im Weinberg war sie doch, bei dir!«

«Bei mir war keiner, Mütterchen.«

«Ein sanftes, liebes Mädchen mit einer runden, festen Brust. Gefühlt habe ich sie. Gut genug für zehn Jungen. Wo ist sie?«kreischte die Alte.

«Ich habe niemanden mit einer runden Brust gesehen, Mütterchen«, sagte Piotr ehrlich. Im Hintergrund kicherte Axinja, die Schwester, wie ein blöder Geier.

«Ruhe!«schrie die blinde Alte.»Betrug war's! Kleider hat sie genommen! Butter und Speck und Schinken! Die Hölle über sie! Zur Polizei gehst du und meldest es! Sofort! Und so lieb sprach sie, so nett war sie. Den Glauben sollte man verlieren an Gott und alle Engel. O welch ein Frauchen wäre es für meinen Piotr gewesen.«

Es half kein Widerreden; noch in der Nacht fuhr Piotr auf einem alten, rostigen Fahrrad hinunter nach Tiflis und meldete der Miliz den geheimnisvollen Vorfall. Und er wunderte sich, daß man sofort tätig wurde und ihn nicht mit einem Fußtritt auf die Straße setzte. Im Gegenteil, man umarmte ihn, nannte ihn ein kluges Bürschchen und alarmierte — so hörte es der staunende Piotr — telefonisch den General Oronitse.

«Eine heiße Spur, Genosse General!«rief der Milizhauptmann ganz aufgeregt.»In den Weinbergen nach Rustawi hin. Ich verhöre den Burschen sofort und fahre mit einem Kommando an den Ort. Jawohl, Genosse General. Mein Name ist Uman Tonjanowitsch Wje-renka. Hauptmann, Genosse General! Ich danke für das Lob, Genosse General.«

Piotr zuckte zusammen, als der Hauptmann mit den Stiefelhacken knallte. Er war nie Soldat gewesen. Zu blöd dafür, hieß es bei der Musterung. Und das will etwas heißen.

«Und nun zu dir, mein Lieber«, sagte der Milizhauptmann jovial.»Erzähle, was du weißt. Wie sieht sie aus?«

«Das weiß niemand, Brüderchen«, sagte Piotr und grinste freundlich.

«Das erschwert das alles ja.«

«Wie beschreibt dein Mütterchen das Mädchen?«

«Überhaupt nicht, Genosse Hauptmann. Gefühlt hat sie es. Abgetastet. Ein rundes Brüstchen soll sie haben, sagt sie. Mein Mütterchen ist blind.«

Hauptmann Wjerenka war ein cholerischer Mensch. Er gab Piotr sieben Ohrfeigen, und Piotr hielt sie aus, denn er war ein starker Idiot, kräftig wie ein Bulle. Nur wußte er nicht, warum er geschlagen wurde, und fragen mochte er nicht, denn das komplizierte alles nur noch mehr.

Sagte ich nicht, es war eine böse Nacht für Piotr?

Aber so ist es immer im Leben. Die Unschuldigen leiden.

Oberst Jassenskij und General Oronitse saßen auf der Ofenbank und — kauten kalten Braten. In der >schönen Ecke< des Zimmers hockten — Axinja und Piotr, und die blinde Alte lehnte am Ofen und murmelte unverständlich vor sich hin.

Draußen krochen vierzig Soldaten durch jeden Winkel von Haus und Scheune. Scheinwerfer erhellten den Garten und die Umgebung. Suchhunde bellten, und ein Jagdfieber hatte alle erfaßt, als die Hunde in der Scheune eine Spur aufnahmen, von einem Berg Maisstroh bis zum Haus und in die Stube vor den offenen Herd.

«Sie war hier«, sagte Oberst Jassenskij und polkte hinter der vorgehaltenen Hand eine Fleischfaser aus einer Zahnlücke.»Sie hielt sich in der Scheune versteckt und kam dann in die Hütte. Das Weitere kennen wir. Wie sprach sie, Mütterchen?«

Die blinde Alte unterbrach ihre leisen Selbstgespräche.

«Wie ein Töchterchen aus einer fernen Gegend. Weiß ich? Sie sprechen alle anders, die Menschen, und nennen sich doch alle Russen. Wie kann man sich da auskennen?«sagte sie böse.

«Sprach sie wie eine Deutsche, die Russisch gelernt hat?«

«O ihr toten Seelchen!«schrie die Alte.»Woher soll einer wie wir wissen, wie eine Deutsche spricht, he?«

«Das stimmt«, sagte General Oronitse leise.»Begnügen wir uns mit der Feststellung, Genosse Oberst, daß diese Bettina hier war. Die Alte ist blind, der Sohn ein Idiot, die Tochter ein blöde kichernde Maus. Mir scheint, das Mädchen hat eine natürliche Begabung, Spuren zu verwischen.«

Jassenskij sah den General böse an.»Warten Sie es ab, Fjodor Ni-kolajewitsch«, sagte er heiser.»Ein Mädchen hat nicht die Nerven eines Mannes. Vor einem Bataillon Soldaten mag es sich verstecken, und es schreit auf und wird kopflos, wenn ein Regenwurm über ihren Schenkel kriecht.«

«Warten wir also auf den Regenwurm«, sagte General Oronitse sarkastisch. Jassenskij nickte mehrmals.

«Es wird nicht lange dauern.«

Und wirklich, es schien, als sei man nahe am Ziel.

Die Spürhunde hatten die Witterung wieder aufgenommen. Hechelnd, die Schnauzen seibernd auf der Erde, liefen sie an langen Lederriemen kreuz und quer über das Land, zerrten dann an den

Leinen und rannten leise heulend den armenischen Bergen zu. Vor einem Steinhaufen gebärdeten sie sich wie toll, fesseln mußte man sie, die blutgierigen Bestien, und dann warf man die Steine zur Seite, entdeckte eine Mulde und in ihr ein zusammengeknülltes Bündel angesengter Kleider.

«Aha! Aha!«schrie Oberst Jassenskij, als der Fund auf dem Tisch lag. Die blinde Alte und ihre Kinder hatte man hinaus in den Schuppen geschickt. Dort schäkerte Axinja mit einem rotbäckigen Rotarmisten. Ein bißchen blöd war sie, gewiß, aber stramme Schen-kelchen hatte sie und auch sonst war alles an ihr so, wie ein Weibchen gebaut sein soll. Wen kümmert da die Blödheit? Wer eine Mettwurst ißt, fragt auch nicht, ob das Schweinchen schielte.

«Die Uniform ist's«, sagte General Oronitse und zerrupfte mit spitzen Fingern das Kleiderbündel.»Jacke, Bluse, Rock einer Stewardeß. Gratuliere, Safon Kusmajewitsch… sie war es. Und nach Armenien will sie. Ganz klar über die türkische Grenze. Wir sollten sofort den Oberkommandierenden in Eriwan benachrichtigen.«

Und während Bettina und Dimitri zusammen an der Ölleitung rangen und sich später küßten und den Mond bewunderten und dummes Zeug redeten, fiel entlang der sowjetisch-türkischen Grenze ein unsichtbares Gitter. Auf den Straßen stauten sich die Lastwagen kilometerlang und wurden gründlich untersucht. Unter die Achsen kroch man sogar und stemmte die Kisten der grusinischen Strumpffabrik >Krzanissi< auf, trotz lauten Protestes des Transportleiters, der sich darauf berief, als staatlicher Funktionär brauche er nicht untersucht zu werden. Was halfs? Man stemmte die Kisten auf und fand in sechs Kisten statt der Strümpfe Flaschen mit feinstem grusinischem Kognak >Jubileiny XX<.

«O ihr Teufelchen!«schrie der staatliche Transportleiter, setzte sich an den Straßenrand und weinte bitterlich.

Gegen Morgen wurde er abgeholt von der Miliz aus Tiflis.

Aber die deutsche Stewardeß Bettina Wolter entdeckte man nicht. Weder in Kisten noch unter den Achsen. Auch die Hunde versagten. An einem Bach verloren sie die Witterung, denn im fließenden Wasser bleibt kein Duft.

«Hunde sind das!«schrie Oberst Jassenskij, als man ihm das meldete.»Erbärmliche, stinkende Hunde! Eine Hündin riechen sie zehn Werst weit bei Windstille, aber hier versagen sie. Abschießen sollte man sie!«

Was half's? Es gab keine Spur mehr. Die Grenze war abgeriegelt. Irgendwo dort in den armenischen Bergen irrte das Mädchen herum, das nicht nur für Oberst Jassenskij zu einem entscheidenden Problem wurde. Auch Moskau hatte sich wieder gemeldet. Ein langes Fernschreiben fanden General Oronitse und Oberst Jassenskij vor, als sie in die Dienststelle nach Tiflis zurückkamen.

«Aha! Aha!«sagte Jassenskij wieder, und immer, wenn er so enthusiastisch» Aha «sagte, wurde Oronitse nachdenklich, denn was Jassenskij erfreute, war meistens der Kummer der anderen.»Meine Ahnung!«

Die Fernschreiben waren deutlich. Sie waren Befehle. Und wenn Moskau befahl, bedeutete das, mit dem eigenen logischen Denken aufzuhören. Nicht nur in Rußland ist es so, Freunde; überall, wo einer die Hacken zusammenschlägt und» Jawohl!«antwortet, hat der Geist nichts mehr zu suchen.

Die Befehle lauteten: Bettina Wolter muß unter allen Umständen aufgegriffen werden.

Bettina Wolter ist in Tiflis in Verwahr zu nehmen. Sie wird so schnell wie möglich nach Moskau überführt werden.

Die Nachrichtensperre bleibt.

Die Herren der deutschen Fluggesellschaft DBOA werden einige Fotos der Bettina Wolter mitbringen. Das beste Bild ist zu klischieren und anzudrucken. Alles unter Verschluß als G/Ib.

Bettina Wolter wird ab sofort zum militärischen Sicherheitsfaktor erklärt.

«Da haben wir es, Fjodor Nikolajewitsch«, sagte Oberst Jassens-kij ein wenig bedrückt und legte die Fernschreiben zurück auf den Tisch.»Solche Dinge aus Moskau. Sehen Sie nun auch ein, daß hinter dem mysteriösen Flugzeugabsturz mehr steckt als nur ein däm-licher Blitzeinschlag?«

General Oronitse schwieg. An die Nacht auf dem Flugplatz dachte er, an die schwere Maschine, die ohne Lichter aus den Wolken schoß, zu steil zur Landung ansetzte, emporgerissen wurde und dann durchsackte. Er hatte das Tonband angehört, das auf dem Kon-trollturm II von Wladimir Mironowitsch Bubnow beschrien worden war, in höchster Verzweiflung, als er das Unglück hilflos vor seinen Augen ablaufen sah. Und es war ein Unglück, weiter nichts. Aber Oronitse schwieg. Warum sich Unannehmlichkeiten machen, dachte er. Moskau befiehlt — das ist gut, Genossen. Damit geht die Verantwortung von uns weg in den Kreml, und auch die Blamage. Denn daran glaubte General Oronitse ganz fest: Bis auf die Knochen blamiert würde man eines Tages dastehen wie einer, der die Hosen voll hat.

Doch wer kennt die Gedanken des Kreml?

Dort saßen in einem kleinen Zimmer der GRU drei Männer an einem alten Tisch und blätterten in einigen Papieren.

Experten des Nachrichtenwesens, Sektion Westeuropa, Teil Bundesrepublik, waren es, und sie lasen in den wenigen Angaben, die man über Oberleutnant Wolfgang Wolter besaß.

«Er hat Verbindungen zur Gruppe Gehlen«, sagte einer der schlicht gekleideten Männer, mit einer Hornbrille auf der langen Nase.»Ein wertvoller Mann. Jassenskij muß das Mädchen sicherstellen. Haben wir das Mädchen, haben wir auch den Bruder. Uns fehlt ein Ohr im Amt Gehlen.«

In der gleichen Nacht landeten auch die deutschen Experten aus Hamburg und wurden zu den Flugzeugtrümmern geführt, die noch immer von Rotarmisten ringförmig abgesperrt waren. Dann fuhr man sie zum Grusinischen Krankenhaus Nr. I und ließ sie mit den verletzten Passagieren und mit den Piloten Pohlmann und Andresen sprechen.

Hier trafen die deutschen Experten auch auf Oberst Jassenskij und General Oronitse.

«Ein merkwürdiger Unfall, fürwahr«, sagte Jassenskij anzüglich.»Ha-ben Sie die Bilder der Bettina Wolter mitgebracht?«

«Natürlich. «Der deutsche Delegationsleiter, ein Oberingenieur, überreichte dem sowjetischen Oberst ein Kuvert mit drei Bildern. Bettina Wolter in Stewardeß-Uniform, einmal im Profil, einmal en face, einmal als Ganzfoto.»Es ist uns unerklärlich, wieso.«

«Ein hübsches Mädchen«, unterbrach Jassenskij. Auf Erklärungen der Deutschen legte er keinen Wert. Am allerwenigsten auf unerklärliche Dinge. Moskau macht sich allein ein Bild über die Vorkommnisse; man braucht keine kapitalistischen Ausflüchte.»Sie sprach Russisch?«

«Das wissen wir nicht. «Der Oberingenieur machte ratlose Augen.»Das müßte das Personalbüro wissen.«

«Wir wissen es!«sagte Jassenskij steif.»Das genügt vollauf. Die Trümmer des Flugzeuges stehen Ihnen zur Verfügung. Der Platzkommandant wird Sie bei allen Untersuchungen unterstützen. «Oberst Jassenskij wandte sich ab, aber er kehrte noch einmal zurück.»Kennen Sie Bettina Wolter?«

«Nein. «Der Oberingenieur starrte den Oberst etwas betroffen an. Bisher war der Empfang kühl, ja eisig gewesen. Ein paar Worte des Bedauerns, dann Fragen, die wie ein Verhör klangen.»Wir haben einige… zig Stewardessen. Man kennt sie beim fliegenden Personal, aber in der Konstruktionsabteilung.«

«Danke. «Oberst Jassenskij nickte wieder.»Die Toten und auch die verletzten Passagiere, soweit sie transportfähig sind, können in ihre Heimatländer geflogen werden. Lediglich die beiden Piloten bleiben in Tiflis.«

«Darf ich fragen, warum?«sagte der deutsche Delegationsleiter, nun ebenso kühl wie Jassenskij. Und er erhielt die Antwort, die er erwartet hatte und die ein Bibelspruch der Russen war:

«Fragen Sie bitte in Moskau nach. Wir haben Befehle direkt aus Moskau.«

Und man fragte nicht weiter. Moskau war weit.

Und im übrigen war das eine Aufgabe der deutschen Botschaft.

«Hast du die zweihundert Gramm Wodka mitgebracht, mein Söhn-chen?«rief Kolka Iwanowitsch Kabanow, als er seinen Ziehsohn Dimitri im Flur hörte.

Auf einem Korbsessel saß er, in Hemd und Hose und Pantoffeln an den Füßen, die weißen Haare noch struppig von der Nacht. Die Zähne hatte er sich schon geputzt und einen Tee aufgeschüttet. Auf dem Gasherd stand die Pfanne mit Eiern und Speck bereit. Aus dem Backofen duftete frisches Weißbrot, denn der alte Kolka buk das Brot selbst, weil ihm das Brot in Tiflis nicht schmeckte.»Nach Öl riecht es!«sagte er immer.»Und wenn man's ißt — bei Gott, auch einen Öllappen könnte man kauen. Alles stinkt hier nach Öl. «Das war übertrieben, aber man hatte es sich angewöhnt, über das Nörgeln von Väterchen Kolka hinwegzuhören. Er meinte es auch gar nicht so, aber irgend etwas muß der Mensch ja haben, worüber er schimpfen darf. Um Politik kümmerte sich Kolka wenig, an die Rationalisierungen hatte er sich gewöhnt, das Thema der Parteibonzen war erschöpft, vom Großen Vaterländischen Krieg kann man nicht ewig erzählen… ich frage, was bleibt einem alten Väterchen anderes übrig, als übers Essen zu schimpfen? Und da er ein vorzügliches Brot buk, ertrug Dimitri das Schimpfen und gab seinem Väterchen sogar recht. So hat man am ehesten Ruhe. Es ist ja so einfach, ruhig zu leben.

«Hast du den Wodka, Dimitri?«rief Kolka noch einmal, als die Haustür zuklappte.

Das mit dem Wodka war auch so eine Angewohnheit des Alten. Er trank ihn gar nicht am Morgen, aber er stellte die Flasche mit den 200 Gramm auf das Büfett, als sei es eine Blumenvase mit Orchideen, und besah sie sich den ganzen Tag. Erst am Abend begann er, ein Gläschen nach dem anderen zu trinken, zusammen mit kleinen Stückchen Speck, die er auf eine Messerspitze aufspießte. Das war sein Abendessen. Dazu eine dicke Scheibe seines Brotes. Seit

Jahren kannte Dimitri das so: ein blanker Tisch, ein Holzbrett mit Speck und das kleine, hohe Gläschen mit wasserhellem Wodka. Es war, als ob sich Kolka den ganzen Tag auf diese Stunde in der Abenddämmerung freute… vielleicht das letzte Vergnügen, das ihm nach einem schweren Leben geblieben war.

«Gibt es was Neues, Söhnchen?«fragte Kolka. Er stand auf, ging zum Gasherd, knipste die Flamme an, schob die Pfanne darauf und ging zu seinem Korbsessel zurück.»Du kommst später als sonst.«

«Nichts Neues, Kolka Iwanowitsch!«rief Dimitri vom Flur und schob ein Mädchen vor sich her zur Zimmertür. Unter seinen Händen, die auf ihren Schultern lagen, spürte er ihr Beben.»Keine Angst, Wanduscha«, flüsterte er und strich ihr über die kurzen blonden Haare.»Er ist ein gutes Väterchen. Ein wenig grob, aber was macht's? Ein hartes Leben hatte er. Mamuschka sprach darüber, er nie. Schwer verwundet war er im Krieg, auf den Tod lag er, mit drei Lungenschüssen. Und nie mehr erholt hat er sich davon. Ab und zu hustet er noch. Dann sagt er: >Hört, hört — eine tönende Postkarte aus Smolensk.< Ein witziges Männchen ist's. Du brauchst nicht zu zittern.«

Als er mit Bettina — sie war das Mädchen — vor dem Wohnraum stand, stieß er die Tür mit einem Ruck auf, so daß sie gegen die Wand prallte. Bettina fühlte sich in das Zimmer geschoben wie ein großes, schweres, steifes Paket. Kolka Iwanowitsch Kabanow saß auf seinem Korbsessel, kratzte sich mit beiden Händen in den weißen Haaren und starrte das fremde Mädchen in dem zu langen Pullover Dimitris an.

«Mein Wodka, Väterchen«, sagte Dimitri hinter Bettina fröhlich.»Mehr als zweihundert Gramm. Und auch ganz umsonst. Kostet kein Rubelchen, Väterchen. Was sagst du nun?«

Bettina stand in der Tür, mit hängenden Armen, wie händelos, denn die Ärmel hingen ihr ja weit über die Hände. Sie sah den alten Kolka Iwanowitsch mit ihren flehenden blauen Augen an, und wie sie sich so ansahen, stumm, auf der einen Seite ängstlich und bittend, auf der anderen Seite mit sprachlosem Erstaunen, webte etwas Unbegreifliches ein unsichtbares Band zwischen sie und fesselte sie aneinander. Sie spürten es beide. sie sahen sich in die Augen, und es war ihnen, als seien sie immer zusammen gewesen, als käme nicht ein fremdes Mädchen im beginnenden Morgen in ein unbekanntes Haus, sondern alles war so selbstverständlich, so richtig, so einfach, kurzum natürlich, daß Kolka nickte, aufstand, zum Gasherd ging, die Tür des Küchenschrankes öffnete und noch drei Eier herausnahm.

«Hunger wirst du haben, nicht wahr?«war das erste, was er zu Bettina sagte.»Ein paar Eierchen mit Speck sind das richtige.«

Dimitri lächelte glücklich. Er umarmte Bettina von hinten und preßte sie an sich.

«Wanda heißt sie, Väterchen. Wanda Fjodorowa. Sie sucht ihr On-kelchen Wanja in Tiflis. Gefällt sie dir?«

Kolka drehte sich am Gasherd um.»Müde ist sie. Sieh sie dir an, Dimitri. Geh, mach ihr das Bett in deinem Zimmer.«

«Eine böse Stiefmutter, Dunja, hat sie. Weggelaufen ist sie von ihr.«

«Essen und schlafen«, sagte der alte Kolka streng.»Du redest zuviel, Söhnchen. Ein Menschlein wie Wanda hat noch viele Tage Zeit, mir alles zu erzählen. «Er sah Bettina wieder an, mit einem Blick, der nicht einem Fremden gehörte, sondern wirklich einem Väterchen. Zärtlich war dieser Blick.»Hast du nichts anzuziehen?«

«Ich habe ihr die Kleider zerrissen«, sagte Dimitri.

«Was hat er? Zerrissen? Die Kleider? Mein Sohn?«Kolka schüttelte wild die Pfanne mit den Eiern und dem Speck.»Verzeih es ihm, Wanduscha. Ein guter Junge ist er, gut erzogen von seiner Mutter, ein kluger Kopf, fürwahr. Nur geht sein Temperament oft mit ihm durch. Ein Grusinier, weißt du. Ist wie schäumender Wein, sein Blut. Er wird dir nachher neue Kleider kaufen, auch wenn's seine Ersparnisse kostet. Aber zuerst eßt ihr.«

«Danke, Väterchen«, sagte Bettina leise.»Er hat mir die Kleider zerrissen, weil ich mich wehrte und ihn biß und kratzte. Ich wollte weglaufen vor ihm.«

«An der Pipeline, Väterchen. Ich war im Dienst«, erklärte Dimi-tri.

Kolka Iwanowitsch vergaß die Pfanne, als Bettina ihre ersten Worte sprach. Wahrhaftig, zum erstenmal vergaß er seinen Speck, und er wurde brauner, als er sein sollte.

Wie sie spricht, dachte er und bekam einen leichten Schwindel. Wie eine Ukrainerin. oder nein, nein. wie eine Deutsche, die Russisch gelernt hat. Da sind die Worte so klar, die Sätze so grammatisch richtig, die Sprache so kühl wie aus einem Eisschrank. Bat-juschka sagt sie… aber nur eine Vokabel ist's, gelernt, ohne den inneren Ton, den ein Russe in >Väterchen< legt. Und dagegen ihre Augen, so voller Güte und Vertrauen. Ein merkwürdiges Mädchen ist's, das muß man sagen. Man wird Dimitri genau befragen müssen, woher sie kommt und wie er sie gefunden hat. Und verliebt ist das Jüngelchen, man sehe nur seine glänzenden Pferdeaugen. Wie ein Affe springt er herum, holt Teller und Tassen und benimmt sich wie ein Idiot. Es werden schwere Tage werden, Kolka Iwanowitsch.

Dann aßen sie. Dimitri erzählte von den Manövern in den Bergen und wie er den Feldwebel angebrüllt hatte. Und noch während sie aßen, sank der Kopf Bettinas herunter, und sie schlief im Sitzen ein. Im Halbschlaf ließ sie sich von Dimitri ins Nebenzimmer führen, und so, wie sie war, in dem langen Pullover, fiel sie auf das Bett und schlief, kaum daß sie lag.

«Man muß sie ausziehen, Väterchen«, sagte Dimitri besorgt. Aber Kolka hielt ihn fest.

«Nicht alles auf einmal, Söhnchen«, sagte er und drückte ihn aus dem Zimmer.»Sag einmal, wo kommt sie her?«

«Von ihrer Hexe Dunja. Ihr Vater.«

«Wo lebt denn diese Dunja?«

«Ich weiß es nicht. Aber sie ist.«

«Ein merkwürdiges Russisch spricht sie. «Kolka setzte die Teller aufeinander und trug sie zum Spülbecken.

«Hast du schon einmal einen Usbeken sprechen gehört? Oder einen Jakuten? Oder gar einen Kirgisen?«sagte Dimitri.

«Geh schlafen!«Kolka zeigte auf eine andere Tür.»Mein Bett ist noch warm.«

«Ich bin nicht müde, Väterchen. Über Wanda will ich mich mit dir unterhalten.«

«Das hat Zeit, Dimitri.«

«Ich liebe sie, Väterchen! Ich verbrenne, als sei die Sonne in mir.«

«Dummheit ist's, weiter nichts!«Kolka ließ heißes Wasser über die Teller laufen. Dabei dachte er daran, wie Wanda Fjodorowa ins Zimmer kam und es ihm war, als sei sie schon seit ihrer Kindheit bei ihm gewesen.

«Ich werde sie heiraten!«rief Dimitri wild.

«Die Idioten sterben nie aus«, sagte Kolka grob.»Vielleicht ist sie eine Landstreicherin?«

«Und wenn sie in der Gosse geboren wurde, Väterchen — ich liebe sie!«schrie Dimitri.

«Halt den Mund! Du weckst sie auf. «Kolka klapperte mit den Tellern.»Geh ins Bett, du dämlicher Bär. Und in vier Stunden wecke ich dich. Dann gehst du ins Kaufhaus und holst ihr neue Kleider.«

«Die schönsten in ganz Tiflis!«rief Dimitri.»Du sollst sehen, Väterchen, wie ein Engel wird sie aussehen, und die Leute werden auf der Straße stehenbleiben, sich umdrehen und sagen: Nein, daß es so etwas unter den Menschen gibt!«

«O Himmel, leg dich hin. Du hast Fieber.«

Kolka wartete, bis Dimitri aus dem Zimmer gegangen war. Dann spülte er das Geschirr ab, trocknete es, räumte es säuberlich in die Schränke, überzeugte sich, daß Dimitri in festem Schlaf lag und schlich dann nebenan in die Kammer, wo Bettina schlief.

Vor dem Bett stand er, sah das Mädchen in dem weiten Pullover an und musterte das trotzige, im Schlaf zuckende Gesicht.

«Wer bist du?«sagte Kolka Iwanowitsch Kabanow leise, beugte sich vor und zog vorsichtig eine dünne Seidendecke über die ausgestreckte Gestalt.»Himmel, wer bist du, Töchterchen? Warum ist mir, als hätte ich dich schon gesehen mit langen blonden Zöpfen?«

Und er blieb an dem Bett sitzen, über eine Stunde lang, und starrte sie an. -

Die Begegnung zwischen Irene Brandes und Wolfgang Wolter in Bonn verlief genau so, wie es Jurij Alexandrowitsch Borokin geplant hatte. Er brachte die junge Boxerhündin Anette von der Hardthöhe zu Irenes Appartement, und sie hatte drei Stunden Zeit, sich mit dem Tier anzufreunden, es zu füttern mit rohem Fleisch und zu lernen, wie man einen Hund dieser körperlichen Stärke fest in die Hand nimmt und kommandiert.

«Gut so«, sagte Borokin zufrieden und tätschelte der schnüffelnden Anette den dicken Kopf.»Muß ich wiederholen, was Ihre Aufgabe ist, Irene?«

«Nein, Borokin. Es wird mir nicht schwerfallen, mich in den jungen Oberleutnant zu verlieben. «Irene Brandes sah noch einmal in den Dielenspiegel. Ihre Eleganz war vollkommen. Kühl wirkte sie, aber von einer Kälte, an der man sich die Finger verbrennen konnte.»Und meine Mutter?«fragte sie, als sie sich abwandte.

«Wir halten unser Wort, Irene. Nach Erfüllung dieses Auftrages können Sie Ihre Mutter in Herleshausen abholen. Sie wird im planmäßigen Interzonenzug sitzen. «Borokin stieß die Tür zum Treppenhaus auf.

«Gehen wir. Oberleutnant Wolter wird schon auf dem Dressurplatz sein. Sie haben mit Ihrem Make-up zu lange gebraucht.«

Wie immer hatte Borokin recht. In Sichtweite des Hundedressurplatzes trennte er sich von Irene Brandes und fuhr zurück nach Rolandseck zur sowjetischen Botschaft. Irene lenkte ihren weißen Sportwagen auf den kleinen Parkplatz, nahm Anette von der Hardthöhe straff an die Hand und ging zum Eingang einer Holzbaracke, an deren Fenster ein Mann saß und rauchte. Auf dem Platz tummelten sich die Hunde, sprangen über Holzwände, krochen durch lange Säcke oder mußten sich auf Kommando hinlegen oder ihre langsam gehenden Herren umkreisen. Oberleutnant Wolter stand noch abseits, seinen schönen Schäferhund an der Leine, und sah zu.

Er war später als bestellt gekommen und mußte nun warten, bis einer der Hundelehrer frei wurde. Er hatte seine Mutter noch vom Bahnhof abgeholt, denn Agnes Wolter hatte ihn so lange gebeten, nach Bonn kommen zu dürfen, bis er zusagte. Seit sieben Uhr morgens war er durch Bonn gefahren und hatte für seine Mutter ein möbliertes Zimmer gesucht. Er selbst wohnte in einem Zimmer eines Dienstgebäudes, das man für ledige Offiziere gebaut hatte. Dort war es unmöglich, seine Mutter unterzubringen.

Nachdem er ein schönes Zimmer gefunden hatte, war er gerade noch rechtzeitig zum Bahnhof gekommen, hatte seine Mutter abgeholt und stand nun, eine halbe Stunde zu spät, auf dem Dressurplatz, unlustig und innerlich aufgewühlt von den Nachrichten, die seine Mutter von Bettina mitgebracht hatte. Am meisten aber quälte ihn ein Gedanke, den er Agnes Wolter nie anvertrauen konnte: Ist Bettina geflüchtet aus Sorge um ihn? Hat sie wirklich geglaubt, was ich damals aus einer großsprecherischen Laune gesagt habe, daß sie mich gefährden könne, wenn sie jemals in Rußland notlanden müsse? Hält sie sich darum versteckt? Das wäre Wahnsinn; denn wer ist schon der kleine Oberleutnant Wolter in dem Riesenapparat des Verteidigungsministeriums? Er ist so unwichtig, daß man seinen Namen nicht einmal drei Zimmer weiter auf dem gleichen Flur kennt, wo er seine Dienststelle hat.

«Sie wünschen?«fragte der rauchende Mann am Barackenfenster, als Irene Brandes mit ihrer unruhigen Boxerhündin herantrat. Anette witterte und sah die anderen Hunde, ihre Ohren standen steil hoch, über dem Rücken richteten sich die Haare auf. Zwei lange, stachelige Bürsten. Ein Zittern lief durch ihren schlanken, muskulösen Körper, ein Zittern von Wildheit und Angriffswut.

«Ich bin angemeldet. Erster Tag der Dressur. Um halb elf Uhr.«

«Jetzt ist's elf!«sagte der rauchende Mann.

«Ich mußte noch tanken. Ist das ein Verbrechen?«

Der Mann musterte Hund und Frauchen, zog die Nase kraus, dachte sich etwas Unhöfliches, aber sprach es nicht aus. Dann drückte er auf einen Knopf, im Törchen summte es, Irene konnte die Pforte aufdrücken und den Dressurplatz betreten.

«Sie müssen warten, bis jemand frei wird«, sagte der Mann, hustete und rauchte weiter.»Kassieren tun die Lehrer. Im voraus. Ist der Hund bissig? Maulkörbe kann man leihen. Pro Stunde zwei Mark.«

«Anette ist brav«, sagte Irene steif.

«Das sieht man. Sie zittert ja vor Frechheit. Aber bitte, meine Dame… die Hundehalter haften allein für ihre Hunde.«

Ein grober Lümmel, dachte Irene Brandes, nahm Anette eng an die Leine und ging über den weiten Dressurplatz.

In der Nähe von Wolfgang Wolter geschah es dann.

Anette von der Hardthöhe sah den Schäferhund neben seinem Herrn sitzen, ein schönes, junges Tier mit einem hellbraunen Fell. Ihr Fell sträubte sich wieder, die breiten Lefzen sprangen auf, ein dumpfer, grollender Laut quoll aus dem blutroten Rachen, und dann duckte sie sich und sprang mit einem kreischenden Gebell auf Wolters Schäferhund. Ihre Kraft war so stark, daß Irene, die Lederleine fest um die Hand geschlungen, hinter ihr hertaumelte, mitgerissen wurde und erst festen Halt bekam, als beide Hunde sich gegenüberstanden und — an den Leinen zurückgezogen — auf den Hinterbeinen tanzten und wie toll bellten. Geiferflocken spritzten durch die warme Luft, und das Gebell war unerträglich.

«Nehmen Sie Ihre Bestie weg!«schrie Irene und zerrte vergeblich an Anettes Leine.»Sie zerfleischt ja meine Anette! So ein Raubtier gehört hinter Gitter!«

Wolfgang Wolter lachte. In seinem festen Griff tanzte sein Schäferhund noch immer auf den Hinterbeinen.

«Ihre junge Dame gefällt meinem Ajax!«rief er durch das kreischende Gebell.»Hunde sind nun mal anders als Menschen! Stellen Sie sich vor, wir machten auch solch einen Lärm bei einer schönen Frau.«

«Lassen Sie die dummen Witze!«Irene riß Anette zu sich. Alle

Kraft mußte sie aufbieten. Das Weibchen war wie toll. Ein einziges wildes Zittern war der rehbraune, muskelbepackte Körper.»Ich kann sie ja kaum halten.«

«Ein mannstolles Mädchen. «Wolfgang Wolter zog seinen Hund zu sich, drückte seinen Rücken zur Erde, und Ajax knurrte, aber legte sich brav zu seinen Füßen.»Man muß Ajax verstehen«, sagte Wolter und musterte Anette.»Ein selten schönes Boxerweibchen. Aber wie kann es auch anders sein bei einem solchen Frauchen. «Er beugte sich zu Ajax hinunter und kraulte ihm den Kopf.»Ajax, alter Junge, erschrecke nicht, wenn dein Herrchen auch gleich bellt.«

«Sie kommen sich wohl sehr witzig vor, nicht wahr?«sagte Irene Brandes. Es tat ihr weh, so abweisend zu sein, aber es gehörte zu ihrem Spiel. Wolfgang Wolter nickte lebhaft.

«Und wie! So ein Hund ist etwas Unentbehrliches. Man kann ihm Dinge sagen, die eigentlich für einen Menschen bestimmt sind, und niemand nimmt es dann übel. Zum Beispiel jetzt«- er beugte sich zu Anette vor, die ihn dumpf anknurrte.»Mein liebes Mädchen, sag einmal deinem Frauchen, daß ich Wolfgang Wolter heiße und immer schon für blondes Haar geschwärmt habe.«

Und Irene Brandes zog an der Leine und legte ihre behandschuhte Hand auf den dicken Kopf Anettes.

«Und du, Anette, sag dem frechen Herrn, daß dein Frauchen, Irene Brandes, alle diese alten Tricks kennt, mit denen die Männer versuchen, Bekanntschaften zu machen.«

«Ein kluges Tier!«Wolfgang verbeugte sich lächelnd.»Auf so etwas hat mein Ajax immer gewartet.«

Eine Stunde später fuhren sie gemeinsam zurück nach Bonn. In einem Cafe am Münsterplatz rief Irene Brandes schnell in Rolandseck an.

«Wir trinken zusammen Kaffee, Borokin«, sagte sie.»Es hat geklappt.«

«Gratuliere. «Jurij Alexandrowitsch Borokin machte eine kleine Notiz auf einem Zettel.»Fallen Sie nicht gleich um, Irene. Lassen Sie ihn zappeln, auch wenn's Ihnen schwerfallt. Männer wie Wolter ha-ben noch gewisse Ehrbegriffe, auch bei einer Frau. Mit solchen Männern gleich ins Bett zu gehen, wäre ein Fehler.«

«Sie sind ein Schwein, Borokin«, sagte Irene gepreßt.»Ich verachte Sie!«

«Leisten Sie sich diesen Luxus!«Borokin lachte laut.»Rufen Sie morgen früh wieder an und berichten Sie! Und denken Sie an Ihre Mutter… es darf nichts fehllaufen!«

In diesem Augenblick hatte Irene Brandes große Lust, den Hörer gegen die Wand zu schleudern und zu zertrümmern und dabei zu denken, es sei der Kopf Jurij Alexandrowitsch Borokins.

Als sie zurück ins Cafe ging und Wolfgang Wolter am Fenster sitzen sah, übergossen vom Sonnenlicht und mit leuchtendem, jungenhaftem Gesicht, hatte sie wirklich Angst vor dem Ende dieses Tages und vor der kommenden Nacht.

«Was machen wir mit dem angefangenen Tag?«sagte Wolfgang Wolter, als Irene Brandes wieder an den Tisch trat und sich ihm gegenübersetzte. Ihr Gesicht lag im Schatten, und wieder wurde ihr das Herz schwer, als sie seine blauen, jungenhaften Augen sah, die kurzen hellblonden Haare und seinen lachenden Mund. So ahnungslos ist er, dachte sie bitter. So unbeschwert fröhlich. Wenn ich ihm sagen würde, wer ich bin — ich glaube, er würde mich nur anstarren und es gar nicht glauben. Für ihn gibt es keine schlechten Menschen. In seinen Augen ist immer Sonnenschein.

«Gehen wir gemeinsam essen?«fragte er weiter. Er sah auf seine Armbanduhr.»Gleich halb ein Uhr. Was meinst du, Ajax?«

«Ajax ist doch in Ihrem Wagen!«

«Stimmt. Aber ich unterhalte mich mit ihm auch, wenn er nicht da ist. «Wolfgang Wolter lächelte Irene an, und sie sah weg, weil es ihr fast körperlich weh tat, ihn so ahnungslos zu sehen.»Passen Sie mal auf: Ajax… was hältst du davon? Schildkrötensuppe, ein saftiges Steak mit Champignons und Spargelspitzen, hinterher Fürst-Pückler-Eis und einen Mokka? Na?«Wolter blinzelte Irene zu.»Was glauben Sie, was Ajax antworten würde?«

«Gehen wir, Herrchen«, sagte Irene gepreßt.

«Und Ihre Anette?«

«Da kann man nicht nein sagen.«

«Wundervoll! Ober — zahlen!«Wolter nickte zum Büfett. Irene beugte sich schnell vor und legte ihre Hand auf seinen Arm.

«Herr Wolter… es war doch nur ein Scherz.«

«Bei solchen Scherzen knurrt mein Ajax. Bitte, reizen Sie ihn nicht. Wir gehen jetzt gemeinsam essen.«

«Und Ihre Zeit? Können Sie so einfach über Ihre Stunden verfügen?«

Das klang völlig harmlos, ein wenig erstaunt, ein bißchen neugierig, so hintenherum gefragt, wie es Frauen gern tun. Wolfgang Wolter zahlte und antwortete erst, als der Ober wieder gegangen war.

«Ich habe heute einen freien Tag. Sonst sieht es anders aus. Heute ist überhaupt ein Glückstag. Ajax bezwingt die hohe Mauer, Ihre Anette verliebt sich in meinen Playboy.«

«Na na!«sagte Irene Brandes stockend.

«.die Sonne scheint heiß wie im August, und ich brauche keine Uniform zu tragen.«

«Ach«, sagte Irene Brandes etwas dümmlich, und sie schämte sich maßlos, eine solche Rolle zu spielen.»Sie sind von der Bundesbahn?«

«Nicht ganz. Ich bin Offizier.«

«Sie? Offizier? Aber nein. «Irene lachte gequält.

«Wieso?«Wolfgang Wolter sah an sich herunter.»Sehe ich so dumm und krumm aus, daß dies wie ein Witz klingt? Das wäre in meinem Alter traurig. Solche Mutationen finden erst ab Stabsoffizier statt.«

«Sie sind ein richtiger Offizier? So mit Uniform und Waffen und silbernen Litzen?«

«Sogar mit einem Gesangbuch für die Truppe und einem mit Erfolg absolvierten Tanz- und Anstandskurs für Bewerber vakanter Stellen an ausländischen Missionen. «Wolfgang Wolter winkte ab, als er Irenes gut gespielten, verwirrten Blick sah.»Das klingt alles sehr hochtrabend. Ich bin Oberleutnant, und wenn ich Glück habe, bekomme ich eines Tages die Stelle eines Attaches an einer Botschaft.«

«Ich glaube, man nennt das Militärattache?«

«Ganz richtig.«

«Und so etwas werden Sie?«

«Wenn es den Ministern gefällt. «Wolter lachte und faßte Irene ungeniert unter.»Aber genug davon. Heute bin ich Zivilist — oder mit Faust: Heut bin ich Mensch, heut darf ich's sein! Und einen Bärenhunger habe ich auch. Ich sage das, bevor Sie mein Magenknurren erschreckt. «Es wurde ein schöner Tag.

Als man sich gegen 19 Uhr trennte, nach einer kleinen Bootsfahrt auf dem Rhein bis Bad Honnef und wieder zurück, vorbei am Drachenfels und seiner berühmten Burgruine, war sich Irene Brandes klar, daß Jurij Alexandrowitsch Borokin sie in einen Auftrag hineingesetzt hatte, der über ihre Kraft ging. Sie fühlte es ganz deutlich, als das kleine weiße Schiff um die Insel Nonnenwerth fuhr und auf dem Rückweg an dem in der Abendsonne weiß leuchtenden schloßähnlichen Gebäude der sowjetischen Botschaft in Rolandseck vorbeituckerte, dem Haus, in dem sie einmal auf den Knien gelegen und geschrien hatte:»Laßt meine Mutter frei! Ich werde alles tun, wenn meine Mutter freigelassen wird!«

Vielleicht steht Borokin am Fenster seines Zimmers und sieht jetzt hinunter auf den Rhein, dachte sie, während Wolfgang Wolter neben ihr über den Rolandsbogen sprach und sagte:»Sehen Sie dort, die russische Botschaft! Da müßte man mal Mäuschen sein. «Wie immer wird er hinter der Gardine stehen, die Hände auf dem Rücken, und das kleine Boot beobachten, ohne zu wissen, daß ich mit Wolfgang Wolter darin sitze. Oder weiß er auch das? Borokin weiß alles, hatte er immer gesagt, und er bewies es auch mit Kenntnissen, die unheimlich waren.

Von dieser Minute an, während der ganzen weiteren Rückfahrt, war Irene einsilbig und wie verschlossen.

«Wann sehen wir uns wieder?«fragte Wolter, als sie sich am Alten Zoll in Bonn verabschiedeten.

«Ich weiß nicht«, sagte Irene ausweichend.»Vielleicht wieder auf dem Hundedressurplatz?«

«Erst nächste Woche? Unmöglich! Mein Ajax.«»Sie haben sicherlich strammen Dienst.«

«Abends, nach zwanzig Uhr, könnte ich mich freimachen. Sagen wir übermorgen? Darf ich Sie irgendwo abholen?«

«Wenn wir uns treffen… am Alten Zoll.«

«Einverstanden! Übermorgen zwanzig Uhr.«

«Und wenn es nicht geht? Kann ich Sie erreichen, telefonisch?«

«Nur unter einer Dienstnummer. 2 01 61, Apparat 918.«

Irene Brandes nickte. 2 01 61, die Nummer des Verteidigungsministeriums, kannte sie. Apparat 918… das war der erste kleine Schritt in das militärische Leben des Oberleutnants Wolter.

«Und wer meldet sich da?«fragte sie ganz harmlos.

«Ein Oberfeldwebel Schmitz.«

«Ach so.«

Sie gaben sich die Hand, und Irene genoß den Glanz in Wolters Augen. Als er ihr die Hand küßte, war es für sie mehr als eine Geste, auch wenn der Kuß nur gehaucht war.

«Es war ein schöner Tag«, sagte Wolfgang Wolter.»Ich danke Ihnen, Irene.«

Verwirrt sah sie ihm nach, wie er in seinen Wagen stieg und abbrauste. Schon als er längst über die Rheinstraße entschwunden war, stand sie noch immer am Straßenrand und starrte ins Leere.

Ich habe mich verliebt, dachte sie. Mein Gott, was soll daraus werden? Es geht ja jetzt nicht allein um mich, sondern auch um Mutter.

Und sie wußte plötzlich, daß Borokin ein Teufel war und sie einer gnadenlosen Zeit entgegenging.

Sie hatten Rosinenbrot mit dicker goldener Butter gegessen und dazu süße Kirschenlimonade getrunken. Väterchen Kolka bekam einen Krug Kwaß.»Das süße Zeug verklebt mir die Zunge, meine Lieben«, sagte er und schüttete sich den gegorenen Saft in einen Zinnbecher.»Und was ist ein Mensch, wenn er nicht mehr reden kann? Na? Ich weiß auch keinen Vergleich, woran man sieht, wie schlimm so etwas ist.«

Man redete eine Stunde so herum, schlich wie die Katze um den Rahmtopf, und keiner hatte den Mut, mit dem Pfötchen in die Milch zu treten. So einfach ist das nämlich gar nicht, Freunde. Da fängt man nachts an der Ölleitung ein flüchtendes Vögelchen, bringt es mit, hört sich eine Geschichte an, die einem die Tränen in die Augenwinkel drückt, man ist sogar bereit, sie zu glauben, weil das Vögelchen gar so schöne Augen hat und Wölbungen in der Bluse, die das Herzchen erfreuen — aber irgendwo, in einem Winkel des Verstandes, bleibt immer noch die Frage: Wie soll es weitergehen? Was machen wir morgen und übermorgen? Und nächste Woche? Und was am wichtigsten ist: Das Menschlein hat keinen Ausweis.

Probleme sind das! Ein Mensch ohne Papiere ist kein Mensch. Ein richtiger Mensch ist registriert, hat seinen Platz in vielen Akten und Karteikarten. Ein Heer von Beamten beschäftigt sich mit ihm. Eine wichtige Person ist er. Denn wäre er nicht da und die anderen auch nicht, ich frage: Wer sollte dann die Beamten beschäftigen, he? Und wenn man sich in der Öffentlichkeit bewegt, muß man einen Ausweis haben. Mit einem Foto, einigen Stempeln, einer Unterschrift. Erst dann lebt man. Atmen allein genügt nicht. ein Irrtum ist's, Freunde… man muß einen Stempel bei sich tragen. Die Ordnung in der Welt erfordert das.

An alles das dachten Dimitri und der alte Kolka, aber sie sprachen es nicht aus. Wanda Fjodorowa aß so hungrig das Rosinenbrot und trank so zierlich die Kirschenlimonade, daß es ein Frevel gewesen wäre, sie damit zu überfallen: Und wie wird es morgen?

«Wir werden ihr ein neues Kleid kaufen«, sagte Kolka endlich, als Dimitri unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte.»Söhnchen, du gehst in den Bazar! Sieh dir ihre Größe an, kauf etwas Gutes und komm sofort zurück. Paßt das Kleidchen, kann sie mitgehen und sich das andere kaufen.«

«Sie sind so nett, Väterchen. «Bettina senkte den Kopf.»Aber wie soll ich es annehmen? Nicht einen Rubel habe ich.«

«Und wie bist du nach Tiflis gekommen?«fragte Kolka. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn. Diese Sprache, dachte er. So redet kein Bauernweibchen, das nur Schweine getrieben und Kühe gemolken hat und an der Butterwanne stand und leise singend die Butter ausflocken ließ. Wie eine Studierte spricht sie, und auch aussehen tut sie wie ein Mädchen, das mehr gesehen hat als Misthaufen und springende Hähne. Verdammt noch mal, Kolka Iwanowitsch, das ist eine wichtige Frage, woher sie wirklich kommt.

«Ohne Rubelchen geht man auf die Reise?«fragte er noch einmal.

«Gebettelt habe ich, Väterchen. Drei Wochen lang gebettelt. Um von Dunja wegzukommen, hätte ich den Teufel rasiert.«

«Sieh, Väterchen, welch ein erbarmungswürdiges Geschöpf!«rief Dimitri.»Ein Jammer ist's, diese Dunja nicht züchtigen zu können. Den Hals müßte man ihr umdrehen.«

«Geh das Kleid holen, Dimitri!«sagte Kolka streng.»Mit Schwätzen kann sich keiner anziehen.«

Dimitri rannte hinaus. Sein Kopf glühte. Das ist das Feuer der Liebe, dachte er. Oh, ich Glücklicher. Ein heiliges Feuer ist's! Wie schön sie ist, Wanda Fjodorowa! Und wie hilflos. Gebettelt hat sie, das arme Schwänchen. Und er rannte wie ein Stürmer auf einem Fußballplatz durch die Straßen zum Bazar, zu dem kasakischen Seidenhändler Luban Stepanowitsch Filowjew, und schrie schon in dessen Ladentür:»Brüderchen, ein Kleid brauche ich! Das schönste Seidenkleid von Tiflis! Mit großen Blumen und einem tiefen Hals. Sie kann's tragen, Luban Stepanowitsch. Oh, einen Busen hat sie! Aus Marmor, bei meiner Seele. Ich lüge nicht. Zeig mir ein Kleid, das eine Prinzessin tragen könnte!«

Unterdessen hatte Kolka Iwanowitsch sein drittes Becherchen Kwaß getrunken, stopfte sich eine Pfeife, brannte sie an, paffte den Qualm gegen die Decke und faltete die Hände über dem zufriedenen Leib.

«Erzähl mir aus deinem Leben, Wanduscha«, sagte er dann.»Ich bin ein neugieriger alter Mann. Alte Männer sind wie Marktweiber; sie können über einen Kohlkopf eine Stunde reden. Wo bist du zur Schule gegangen?«

«In unserem Dorf, Väterchen«, sagte Bettina. Sie spürte, wie Gefahr von Kolka zu ihr herüberschlich. Wie ein klebriger Strom war es. Wie Leim, der über die Dielen rinnt und sie festkleben würde, wenn er sie erreichte.

«Ein guter Lehrer, Töchterchen. War er strafversetzt aus der Stadt?«

«Ich weiß es nicht. Wir nannten ihn Onkelchen Gurjan.«

«Und du hast Mist gefahren und die Schafe geschoren?«

«Nein. Ich war im Büro des Brigadiers für Weizen.«

«Aha! Aha!«machte der alte Kolka und blies den Rauch wieder gegen die Decke.»So ist das. Und da geht man einfach weg wegen des Stiefmütterchens Dunja? Und bettelt sich bis Tiflis. Das ist ein merkwürdiges Leben, Töchterchen. Sind wir noch im achtzehnten Jahrhundert? Gibt es keine Post, kein Telefon, keinen Zug, kein Auto? Kann man Onkelchen Wanja nicht benachrichtigen? Muß man wie eine Ratte durch die Berge laufen? Erklär es mir mal, Wanduscha.«

Bettina atmete ein paarmal tief auf. In den grauen Augen Kolkas sah sie das Glimmen des Mißtrauens.

«Es ist alles so furchtbar«, sagte sie und begann schnell zu weinen. Eine Flucht war's, denn wer wagt es, wenn er ein fühlendes Herz in der Brust trägt, ein weinendes Mädchen weiterhin so scharf zu fragen?

Kolka Iwanowitsch Kabanow kaute an seinem Pfeifenmundstück. Zufrieden war er nicht mit der mageren Auskunft. Keine Logik war darin. Ein verliebter Tropf wie Dimitri, ha, der glaubte es, wenn man nur schön mit den Äuglein klappert. Aber einen alten Mann betrügen, dessen Herz im Eiswind Sibiriens zu Leder wurde, wer schafft das schon? Und als Kolka bei diesen Gedanken war, biß er heftiger auf seinen Pfeifenstiel.

Sibirien, dachte er. Das ist mein Geheimnis. Das weiß weder Dimitri, noch wußte es Mascha, Dimitris Mutter, als wir heirateten. Niemand weiß es. Aber so ist es. Jeder von uns trägt einen Packen Geheimnisse mit sich herum, und wenn wir sie alle ausschütteten, diese Säcke — die ganze Menschheit könnte man unter diesem Müll begraben.

«Nicht weinen, Wanduscha«, sagte er brummend.»Ein verheultes Weibchen sieht aus wie ein Schweinchen mit Rotlauf. Trink noch eine Limonade. Es ist ja schon gut. gut ist's, hörst du. die Welt ist eben voller Merkwürdigkeiten.«

Als Dimitri zurückkam vom Bazar, das Seidenkleid über dem Arm — denn Packpapier gab es nicht, man müßte es sonst mitbringen —, stand Wanda Fjodorowa am Spülbecken und säuberte das Geschirr. Der alte Kolka saß vor einem krähenden Grammophon und spielte Platten mit donnernden Chören. Aber sie waren verkratzt und so oft gespielt, daß der Gesang klang wie das Stöhnen einer Rinderherde vor der Tränke. Kolka störte das wenig; er kannte jeden Ton, und wenn er genug Wodka getrunken hatte, sang er oft mit.»Auch ich war einmal ein guter Sänger!«brüllte er dann, wenn Dimitri ihn bat, der Nachbarn wegen leiser zu grölen.»Soll ich mich schämen? Ha! Und jetzt den Stenka Rasin! Jetzt gerade! Eine gute Stimme ist ein Geschenk Gottes! Sollen wir lästern, Bürschchen?«

So einer war Kolka Iwanowitsch.

«Welch ein schönes Kleid«, sagte Bettina leise, als Dimitri es hochhielt, als wolle er es auf dem Markt anpreisen.»Viel zu schade ist es für mich.«

«Er hat versprochen, daß du darin aussiehst wie eine Prinzessin, der Luban Stepanowitsch«, rief Dimitri mit glücklich glänzenden Augen.»Zieh es an, Wanda Fjodorowa. Sieh nur, die großen Blumen. Mohn ist es! Ein Mädchen mitten im roten Mohn. Sie werden in Tiflis die Mäuler aufsperren.«

Und so war es auch.

Bettina zog das Kleid an, und als sie aus dem Nebenzimmer herauskam, vergaß Kolka an seiner Pfeife zu kauen, und Dimitri klatschte in die Hände und war sichtbar verwirrt.

«Ein Elfchen«, sagte der alte Kolka.»Ohne Zweifel ein Elfchen.«

Bettina drehte sich im Kreise. Oh, wie raffiniert war das. Das Kleid hob sich von ihren Beinen ab, ein schwingender Reifen wurde der Rock, der höher und höher kletterte bis zu den Schenkeln, und die Brüste zitterten unter dem dünnen Seidenstoff und drückten sich durch, als wollten sie das Gewebe zerreißen.

So etwas macht atemlos, Freunde. Das sind Feierstunden des Lebens. So etwas brennt sich ins Herz ein, unauslöschlicher als jede Tätowierung.

«Es ist Dummheit, heute schon zu Onkelchen Wassilij Iwanowitsch Tschigirin zu gehen«, sagte Dimitri, als Bettina wieder ruhig stand und das Mohnkleid in der Sonne leuchtete, die durch das Fenster fiel wie der Strahl eines grellen Scheinwerfers.»Sag es auch, Väterchen! Sie ist noch zu müde von der langen Reise. Erholen soll sie sich bei uns.«

«Sehr müde ist sie«, sagte der alte Kolka und grinste über seinem Pfeifenstiel.»Kaum bewegen kann sie sich vor Mattigkeit.«

Es wurde ein schöner Tag.

Nach dem Mittagessen, das Kolka wie immer kochte — heute gab es Rassolnike, eine Suppe aus Schweinenieren, Gurken und Sahne trank man noch eine Tasse Tee, und dann führte Dimitri stolz wie ein Pfau die schöne Wanda Fjodorowa durch Tiflis. Zuerst fuhren sie zum Verwaltungsgebäude des Ölkombinats, wo sich Dimitri einen Tag Urlaub holte, was gar nicht so einfach war, denn er mußte dafür vier Fragebogen ausfüllen und genau zwölf Beamte belästigen, bis er den einen Tag bewilligt bekam.

«Wo wollen wir hin, Täubchen?«rief Dimitri lustig, als er endlich wieder auf der sonnenheißen Straße stand.»Die ganze Welt möchte ich dir zeigen, aber dazu ist ein Tag zu wenig.«

«Ich kenne Tiflis nicht. Führ mich hin, wo es schön ist und ich alles vergessen kann«, sagte Bettina. Und es war nicht so dahergeredet, sondern sie meinte es ehrlich. Vergessen, dachte sie. Und wenn es nur für einen Tag ist. Vergessen, daß ich aus den brennenden Trümmern kroch. Vergessen die Angst, in Rußland zu sein. Vergessen, was noch vor mir liegt: der lange Weg in die Freiheit. Und vor allem vergessen, daß ich sie verlassen muß… den guten, alten, mißtrauischen Kolka, dessen Blick so merkwürdig vertraut ist; und Dimitri, den großen, fröhlichen Jungen, der es wert wäre, geliebt zu werden.

Vergessen. Für einen Tag. Wer weiß, was morgen ist?

«In ein Museum könnten wir gehen«, sagte Dimitri und legte den Arm um Bettinas Schulter.»Ins Grusinische Museum der Schönen Künste? Oder ins Lenin-Museum? Wir könnten auch zum Botanischen Garten und in den Wald von Chudiakov fahren. Oder zum Urdschi Monasteri, dem blauen Kloster?«

«Ich weiß es nicht. «Bettina lehnte den Kopf gegen seine Schulter, und alle, die es sahen auf der Straße, beneideten Dimitri darum und lächelten ihn an und kniffen ein Auge zu.

Viel Glück, Brüderchen. Frühling ist's. Und Februar wird's sein, wenn das Kindchen kommt. Vergiß nicht, eine Lammfelldecke zu kaufen. Rauhe Winde sind im Februar. Haha!

«Nein«, rief Dimitri plötzlich.»Ich weiß etwas Besseres. Wir fahren hinaus nach Mtscheta. Über die alte Heerstraße. Dreitausend Jahre alt ist die Stadt. Und in ihr ist die Sweti-Tschoweli-Kathedrale, die Kirche des >Lebensbaumes< oder der zwölf Apostel. Wo die Kirche jetzt steht, so sagt man, fand man das Gewand Jesu Christi.«

Und so taten sie es auch. Mit Dimitris Jeep fuhren sie durch einen blühenden Garten, am Ufer der Kura entlang, sie gingen durch die prunkvollen Gewölbe der Kathedrale und standen vor den Särgen früherer georgischer Könige aus der Dynastie der Bagrationi-den, aber wie unwichtig war das alles. Sie waren endlich allein, sie gingen Hand in Hand durch die Sonne und durch die Weinberge, saßen im hohen Gras und blickten über den Fluß, die uralte Stadt und die fernen Marmorbrüche, und als die Sonne gegen Abend pfirsichfarben wurde, standen sie zwischen Mandarinen- und Zitronenbäumen und sahen sich tief in die Augen.

«Bleib bei uns, Wanda Fjodorowa«, sagte Dimitri, und wahrhaftig, seine Stimme zitterte dabei.

«Es wird nicht gehen, Dimitri Sergejewitsch.«

«Bleib für immer bei uns. Väterchen wird alt, und er hatte immer Sehnsucht nach einem Töchterchen. Und auch ich, Wanda Fjodorowa, ich. «Er stockte, kratzte sich den Kopf und war sehr verlegen. Schwer ist's, so einfach auszusprechen, was man fühlt. Bei den anderen Mädchen, bei Marina oder Sussja etwa, war das anders gewesen. Die wußten, was sie wollten, und sie warteten nicht, bis man es ihnen sagte, wie man dachte. Das waren nette Augenblicke, aber nie hätte Dimitri sie gefragt, was ihm jetzt auf der Zunge lag und so schwer auszusprechen war.

«Du liebst mich, Dimitri?«sagte Bettina in sein Zögern hinein.

«Ja, Wanduscha, ja.«

Nun war es heraus. Ganz klar. Und das Herz schlug freier, wie von einem zwängenden Panzer befreit.

«Du weißt nicht, wer ich bin«, sagte Bettina und senkte den Kopf.

«Ich sehe, wie du bist. Was geht mich Dunja an, dein Stiefmütterchen? Was kümmert es mich, woher du kommst? Es wird unser Leben sein, das wir leben müssen, nicht das der anderen. Geben sie uns einen Rubel, wenn wir Unglück haben? Im Gegenteil, neidisch werden sie sein, wenn wir glücklich sind. Was kümmert uns das alles. Du bist da, und ich bin da — was wollen wir noch mehr vom Leben?«

Bettina schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. Schlaff fielen die Arme an Dimitris Seite herunter. Wie mit Wasser übergossen sah er aus, und trotz seiner braunen, sonnengegerbten Haut erkannte man, daß er in Wahrheit bleich war vor innerer Erschütterung.

«Ich bin nicht reich«, sagte er leise.»Neunhundert Rubel verdiene ich. Werde ich Oberingenieur, vielleicht in fünf Jahren, bekomme ich zwölfhundert Rubel. Aber ich spare. Eine kleine Datscha will ich mir eines Tages kaufen, draußen in den grusinischen Bergen, wo noch die Luchse leben und die braunschwarzen Bären. Ich jage gern, ein guter Schütze bin ich, und wenn ein Braten überm offenen Feuer hängt, glänzend im eigenen Fett. «Er wischte sich mit zitternden Händen über das schöne schmale Gesicht.»Wanduscha!«sagte er heiser.»Warum willst du nicht bei uns bleiben? Bin ich ein Ekel? Stinke ich nach Aussatz? Ist mein Anblick so, daß man Brechreiz bekommt? Oder liebst du schon einen anderen?«

«Du bist ein so lieber, guter Mensch, Dimitri Sergejewitsch«, sagte Bettina leise und ergriff seine Hände.»Und weil du es bist, sollten wir nur Freunde sein. Es gäbe zu große Komplikationen.«

«Mit deinem Paß?«Über das Gesicht Dimitris glitt ein freudiger Schimmer.»Keine Sorge, Wanduscha! Wassilij Iwanowitsch Tschi-girin, dein Onkelchen, wird das regeln. Ein einflußreicher Mann ist er in Grusinien. Mitglied der Volkskammer. Ein Wort von ihm, und man wird dir einen neuen Ausweis ausstellen.«

«Gewiß, gewiß. «Bettina nickte. Tschigirin, dachte sie. O armer Dimitri, wenn du wüßtest, daß ich eine Deutsche bin.»Laß uns zurück zu Väterchen Kolka fahren.«

Dimitri sah sie an. Seine schwarzen Augen bettelten wie die eines Hundes. Hilflos war er, obzwar in ihm ein Vulkan tobte.

«Mir wird die Sonne nie mehr so hell scheinen, wenn du weggehst«, sagte er leise.»Ewiger Winter wird um mich sein, und ich werde frieren vor Kummer.«

«Komm!«Sie ergriff seine schlaffe Hand und zog ihn aus dem Mandarinenhain. Auf dem schmalen Feldweg, der hinunter zur Straße an der Kura führte, wo Dimitris kleiner braunlackierter Jeep stand, verhielt sie den Schritt, wandte sich um und schlang die Arme um seinen Hals.

«Ich liebe dich doch auch!«schrie sie, und es war wilde Verzweiflung in ihrer Stimme.»O Himmel, wie liebe ich dich! Aber wir werden daran zugrunde gehen, glaube es mir, Dimitri. Wir werden elend daran zugrunde gehen. O Dimitri, unser Schicksal ist so gemein, so gemein, so verdammt gemein!«

So standen sie eine ganze Zeit in der pfirsichfarbenen Abendsonne, küßten sich, beklagten ihr Schicksal und spürten, wie sie innerlich von Kuß zu Kuß mehr zusammenwuchsen, bis es keine Trennung mehr geben würde.

Es war schon Nacht, als sie endlich wieder in Tiflis waren und schon auf der Straße Kolkas Abendessen rochen: Bratkartoffeln und saurer Kohl.

«Wir werden heiraten, Väterchen!«schrie Dimitri schon auf der

Treppe, als er Kolka oben in der Tür stehen sah.»Eine Hochzeit wird es geben, und du kannst herumlaufen und allen erzählen: Ich habe den glücklichsten Sohn, Leute! Beglückwünscht mich, Bürger, niemand hat ein so schönes Töchterchen wie Kolka Iwanowitsch.«

«Gott segne euch«, sagte der alte Kolka und legte seine faltige Hand auf die kurzen blonden Haare Bettinas. Noch auf der Treppe war es, und es war, als segne ein Patriarch seine Sippe.»So bekomme ich doch wieder eine Tochter.«

Dimitri starrte seinen Stiefvater groß an. Zum erstenmal wehte ein Hauch aus dem Dunkel von Kolkas Vergangenheit.

«Du hattest eine Tochter, Väterchen?«fragte er.

«Ja.«

«Und wo ist sie?«

«Sie starb«, antwortete Kolka hart und knapp.»Kommt herein, Kinder, die Kartoffeln werden schwarz. Ich habe sie mit Zwiebeln gebacken. Und einen Wein gibt's, einen Zinandali — als hätte ich es geahnt, welch feierlicher Abend es noch wird.«

Und dann, spät in der Nacht, war Bettina allein und stand am Fenster in Dimitris Zimmer. Bis hinüber zu den armenischen Bergen konnte sie sehen, hinter denen die türkische Grenze lag, das nahe und doch so unendlich weite Ziel.

War es wirklich noch ihr Ziel?

Sie lehnte die Stirn gegen den Fensterrahmen und schloß die Augen. Die Nacht war noch kühl, und über der Altstadt lag wie eine unsichtbare Wolke der Geruch von Öl, Gewürzen und trocknendem Harz.

In Göttingen wartet Mutter auf mich, dachte sie.

In Bonn macht sich Wolfgang Sorgen.

Sie werden denken, ich sei verbrannt… ein unkenntlicher Klumpen inmitten der ausgeglühten Flugzeugtrümmer.

Und sie werden weinen, und Mutter wird allein, klein und verhärmt in ihrem Stübchen hinter dem Wäscheladen sitzen, hinausstarren in den kleinen Hinterhof und nicht begreifen, warum das Schicksal sie so hart bestrafte.

Zuerst der Mann, und jetzt die Tochter, und beide Male war es Rußland. Hassen würde sie dieses Land. Hassen mit der ganzen Glut eines zerrissenen mütterlichen Herzens.

Bettina sah hinüber zu den armenischen Bergen, dem schwarzen Wall vor der Freiheit.

Wenn man eine Nachricht geben könnte, dachte sie. Nur eine Nachricht. Nur einen kleinen Satz.

Ich lebe.

Könnte man dann bei Dimitri und Kolka bleiben?

Sie wandte sich ab, deckte die Hände vor die Augen und warf sich aufs Bett.

Dimitri oder Mutter.

Kolka oder Wolfgang.

Es waren keine Fragen mehr. Ein Teufel hatte dies Entweder-Oder ersonnen, und Bettina war zu schwach, um darüber zu entscheiden.

Wer nie in einem solchen Zwiespalt war, wird es auch nie begreifen.

Man hatte nicht zuviel prophezeit, als man General Oronitse schlaflose Nächte und unangenehme Tage voraussagte. Und auch Oberst Jassenskij fühlte sich nicht wohl und kratzte sich mit seinen tabakgebeizten Fingern immer öfter unter der Nase, was bewies, wie nervös er war.

Um es rundweg zu sagen: Sie hatten versagt. Wer Moskau kennt, weiß, daß solche Einsichten angetan sind, die Hose flattern zu lassen. Ein Offizier kann dumm sein, denn nicht allen hat der liebe Gott ein reges Hirn gegeben — aber wenn er einen Befehl gut ausführt, ohne zu denken, ich bitte, was hindert ihn daran, ein guter Offizier zu sein? Wenn er hingegen denken kann und sogar stolz darauf ist, und mit seinem ganzen klugen Hirn kommt er trotzdem nicht weiter als der Blöde, der Wasser mit einem Sieb schöpfen will — dann hat man allen Grund, sich mit Wodka und Papirossy zu trösten.

Die Suche der eingesetzten Bataillone war vergeblich und wurde abgeblasen. Nur die Grenzstationen hatten weiter Alarm und belästigten die Grenzfahrer mit langwierigen Kontrollen. Die Truppen kamen aus den Bergen zurück in die Garnisonen, und General Oro-nitse schickte ihnen einen internen Tagesbefehl, in dem er jeden einzelnen beschimpfte, einen Hohlkopf nannte und eine vierzehntägige Urlaubssperre anordnete.

«Beschämend ist das!«schrie Oronitse in seinem Hauptquartier und hieb auf den Kartentisch.»Zweitausendvierhundert Rotarmisten suchen ein hilfloses Mädchen, und was bringen sie heran? Ihre Uniform! Nichts weiter als ihre ausgegrabene Uniform! Hält man das für möglich?«

«Regen Sie sich nicht auf, Fjodor Nikolajewitsch«, sagte Oberst Jassenskij.»Ich habe es Moskau zu erklären versucht. Dem Himmel sei Dank, daß auch im Kreml Leute aus Grusinien sitzen! Sie kennen das Land und sind wie ich der Ansicht, daß wir warten sollten. In den Bergen, Schluchten und Höhlen wird sich diese Bettina Wolter verbergen, bis sie glaubt, der Sturm um sie habe sich gelegt. Dann kommt sie heraus, und wir fangen sie wie einen Schmetterling.«

«Und wenn er nicht kommt, Ihr Schmetterling?«

«Sie kommt!«Jassenskij lächelte verzerrt.»Wo soll sie denn hin?«

«Vergessen Sie nicht: sie spricht Russisch.«

«Aber jeder Russe merkt, daß es ein gelerntes und kein angeborenes Russisch ist.«

«Und unsere Grenze zur Türkei ist weich. Es gibt Felsengebiete, die kaum kontrolliert werden können. Ab und zu fliegt ein Hubschrauber drüber, das ist alles.«

Oberst Jassenskij kratzte sich wieder unter der Nase. Der Pessimismus Oronitses ging ihm an die Nerven.»Sie ist noch im Lande«, sagte er laut.»Verdammt noch mal, Fjodor Nikolajewitsch, mir wäre es sogar ein Fest, wenn sie noch hier sein würde. Im Vertrauen, das Vögelchen ist uns gar nicht wichtig. Wichtiger ist, daß wir ein Mittelchen für ihren Bruder haben. Über seine Schwester werden wir ihn zu uns locken. Wir wissen jetzt, daß dieser Oberleutnant Offizier des deutschen Militärischen Abschirmdienstes ist. Zwar nur ein kleines Rädchen, aber auch kleine Rädchen können eine Maschine stören, wenn sie sich in der falschen Richtung drehen. Je länger man nichts über diese Bettina weiß, und je länger sie verschwunden bleibt, um so wirksamer können wir den Bruder bearbeiten. So gesehen, lieber Fjodor Nikolajewitsch, war die Suche gar kein Mißerfolg.«

«Da haben Sie recht, Safon Kusmajewitsch«, sagte General Oro-nitse müde.

Man muß Mitglied der GRU sein, dachte er, um mit solcher So-phistik reden zu können. Das nennt man Dialektik, Genossen! Da kann man noch etwas lernen.

Aber die Freude im stillen war nur kurz.

Es war ausgerechnet der Copilot und Funker Paul Andresen, der neue Unruhe zu Oronitse und Jassenskij trug.

Nach langen Untersuchungen und Erklärungen hatte man der deutschen Sachverständigen-Delegation zu verstehen gegeben, daß es sinnlos sei, weiter nach Ursachen zu forschen. Das Unglück war geschehen, es gab genug Augenzeugen, Chefpilot Pohlmann hatte mühsam geschildert, wie es zum Absturz gekommen war, es war eine ganz klare Situation, über die man nicht lange zu diskutieren brauchte.

Die Toten wurden freigegeben und in verlöteten Zinksärgen zunächst nach Hamburg geflogen. Die Verletzten, soweit sie transportfähig waren, brachte man auch zurück nach Deutschland. Nur vier Verletzte blieben im Grusinischen Krankenhaus Nr. I zurück. Schuld daran war Professor Klimenti Kusmanowitsch Semlakow, der Chef des Krankenhauses. Er wehrte sich gegen die Verlegung der vier Patienten, unter denen Pohlmann und Andresen waren, mit der Beredsamkeit eines Marktschreiers.

«Genossen!«sagte er mit heftigen Armbewegungen bei einer internen Besprechung mit Vertretern der maßgebenden Behörden.»Übersehen wir hier einmal die Rechtslage. Darum geht es nicht.

Wir haben die Gelegenheit, an vier verletzten Menschen der Welt zu zeigen, was die sowjetische Medizin zu leisten vermag. Wann hat man schon Gelegenheit, ein solches Forum zu finden? Demichow in Moskau setzte einem Hund einen zweiten Kopf auf, und die Welt war sprachlos. Doch, ehrlich, Genossen, was war's? Eine Spielerei. Kann man einem Menschen den Kopf abschneiden und woanders draufsetzen? Sie lachen. zum Weinen ist's, nutzlose Experimente zu machen. Wenn so etwas möglich wäre, liefen bald alle Großmütterchen mit den Köpfen von Zwanzigjährigen herum. Wobei zu überlegen wäre, wo man die Köpfe herbekommt. «Oh, Professor Semlakow war in Fahrt. Man kannte ihn, und man erwartete jetzt von ihm einen Vortrag, der reizvoller war als eine Aufführung des grusinischen Balletts in der Paliaschwili-Oper.

«Aber hier, Genossen«, rief Professor Semlakow, drückte auf einen Knopf, das Licht erlosch und auf einer großen Leinwand erschien ein buntes Bild; ein Mann in einem Krankenhausbett, den Kopf verbunden, die Brust umwickelt wie eine Mumie,»hier haben wir die Möglichkeit, Reales zu leisten. Ich zeige Ihnen vier Verletzte, an denen wir die sowjetische ärztliche Kunst demonstrieren können: Zwei Männer und zwei Frauen, bei denen wir durch Transplantationen und Korrekturoperationen die zerstörte Natur wiederherstellen können.«

Dann kamen die Bilder, schonungslos die Verwundungen zeigend, verbrannte Körperstellen, zerfetzte Gliedmaßen und ein ehemals schönes Mädchengesicht, das durch eine klaffende Wunde quer durch das Gesicht völlig entstellt war. Irene Heidfeld, die zweite Stewardeß, war es, und durch die Versammlung ging ein mitleidiges Raunen. Auch Paul Andresen wurde gezeigt: seine Kniescheibe war zertrümmert. Professor Semlakow erklärte, daß man die Splitter herausnehmen und die Knochenscheibe durch eine Schnappsehne ersetzen wolle.

Wenn auch die Vertreter der Behörden wenig von dem verstanden, was da medizinisch auf sie an Worten herabregnete — die Bilder überzeugten. Man gab die vier Verletzten als >nicht transportfähig< nicht frei, und Professor Semlakow machte sich daran, mit Hilfe eines Filmapparates, der alles aufnahm, für die Nachwelt zu beweisen, daß die Sowjetunion nicht nur das größte Agrarland der Erde, sondern auch im Besitz der besten Chirurgen war.

So kam es, daß Paul Andresen in Tiflis blieb, während man das Flugzeugunglück vergaß, der Alltag alle Erinnerungen an diese Nacht niederwalzte und nur im Grusinischen Krankenhaus Nr. I noch von den >Deutschen< gesprochen wurde, den Propaganda-Patienten des Professors Semlakow.

Nach zehn Tagen Bettruhe durfte Andresen aufstehen, humpelte an zwei Krücken durch die langen Korridore und durch den Garten. Er besuchte Irene Heidfeld, zu der er sagte, sie sähe aus wie eine Maharani, der Turban stände ihr gut. Und Irene Heidfeld lächelte dankbar, denn man hatte ihr bisher jeden Spiegel vorenthalten, und sie wußte nicht, wie schrecklich ihr Gesicht entstellt war. Dann ging er weiter zu Werner Pohlmann, den man zuerst tot gemeldet und auch zu den anderen Toten gelegt hatte. Einem Milizionär erst fiel auf, daß der >Tote< sich auf die Seite gedreht hatte, denn er konnte sich genau erinnern, ihn auf den Rücken gelegt zu haben. So entdeckte man, daß Pohlmann noch lebte, aber welch ein Leben war es! Sein ganzer Rücken war verbrannt. Mit Kreislaufspritzen und künstlicher Beatmung hielt man ihn am Leben. Er war der Glanzfall des Professors Semlakow.»Noch nie ist es gelungen, einen Menschen mit solchen Verbrennungen dritten Grades lebensfähig zu halten. Ich werde es! Ich bringe ihn durch, Genossen! Er wird mir nicht unter der Hand ersticken.«

Wie gesagt, es war unmöglich, gegen Semlakows medizinischen Fanatismus anzukommen. Und außerdem bewies er, daß er ein Genie war: Pohlmann lebte nach zehn Tagen noch immer.

Am zehnten Tag geschah das, was General Oronitse aus der Fassung brachte.

Paul Andresen hatte eine Krankenschwester entdeckt, die aus Litauen stammte. Sie sprach ein leidliches Deutsch, und Andresen sah in ihr seine große Chance.

«Mein weißer Engel«, sagte er, legte die Hand um ihre Hüfte und streichelte sie. Es mußte angenehm empfunden werden, denn Schwester Tilda hielt still und sah Andresen aus etwas kuhähnlichen Augen an.»Ich habe kein Fieber, der Kopf brummt nicht mehr, auf Krücken kann ich mich bewegen… sag einmal, Schätzchen, ist es einem Mann zuzumuten, dann wie ein Mönch zu leben?«

Schwester Tilda sah das ein.»Wenn Sie mich verraten.«, sagte sie.

«Ein Fisch wird ein Sänger gegen mich sein.«

«In Tiflis ist Jahrmarkt.«

«Mit Karussells?«

«Mit Buden und Schießständen und tanzenden Bären und einer Geisterbahn. Auch ein Kettenkarussell.«

«Da geh'n wir hin«, sagte Andresen bestimmt.»Tilde, holdes Mädchen, so eine Kirmes ist genau das, was ich brauche. Dieses sterile Klima im Krankenhaus. ich bin doch kein Frosch, Schätzchen, den man in ein Einmachglas setzt. Wann geht's los?«

«Morgen, nach der Chefvisite. Aber wenn Sie mich verraten.«

«Ich werde alles mit dir tun, Tilda, Süße, nur das nicht. «Andresen gab ihr einen Kuß, sah weg, als sie mit den Kuhaugen rollte, bat innerlich alle seine Freundinnen um Verzeihung, aber das hier war ein echter Notstand, und humpelte auf seinen Krücken wieder zu Werner Pohlmann.

Am nächsten Tag verließen Andresen und Schwester Tilda durch die Tür des Heizungskellers die Klinik, nahmen eine Taxe und ließen sich zum Festplatz fahren, am Rande des Parks für grusinische Wirtschaft.

Und hier war es, wo Paul Andresen nach einer Stunde den Mund aufriß, sprachlos wurde und mit weiten Augen dem Flug eines Sitzes des Kettenkarussells folgte.

In einem Kleid mit leuchtenden Mohnblüten, die kurzen blonden Haare strubbelig im Wind, lachend und ausgelassen wie ein Kind, mit den Beinen schlenkernd und das sonnige Glück in Person, wirbelte hoch in der Luft Bettina Wolter an ihm vorbei. Neben ihr, sie festhaltend, schwang ein schwarzlockiger junger Mann durch die

Sonnenglut.

«Das ist doch nicht möglich.«, stotterte Andresen und wischte sich über das schwitzende Gesicht.»Das ist doch Blödsinn! So etwas gibt's doch gar nicht.«

Das Karussell wurde langsamer, die Sitze senkten sich. Kinder und Erwachsene drängten sich zur Kasse, schoben und stießen Andresen zur Seite, drängten ihn ab, warfen ihn fast um, denn er stand im Weg.»Betti!«schrie er über die Köpfe der Menschen hinweg.»Bet-ti! Hier ist Paul! Betti!«

Hilflos hing er in seinen Krücken. Tilda war nicht da, sie war zu einem Süßigkeitenstand gegangen und wollte türkischen Honig kaufen. Die wogende Menschenmenge versperrte ihm die Sicht. noch einmal sah er das Mädchen mit den Mohnblüten, wie es aus dem Sitz hüpfte, zwischen Hunderten von Leibern verschwand.»Betti!«schrie er grell.»Betti!«

Er versuchte zu gehen, stieß mit den Krücken in die Rücken der Vordermänner und wurde beschimpft wie ein stinkendes Ferkel. Einer spuckte ihn sogar an, mitten ins Gesicht, und schrie:»So etwas nennt sich Bürger! Wühlt sich wie eine Sau durchs Gedränge! Hat man dich schon zum Krüppel geschlagen, Freundchen? Gib Ruhe, sonst verbiege ich dir auch noch die Nase!«

Paul Andresen gab den Kampf auf. Er lehnte sich gegen einen schrägen Pfosten einer großen Reklametafel und wartete, bis Schwester Tilda zurückkam, bepackt mit türkischem Honig.

«Wie siehst du denn aus?«fragte sie entsetzt.»Ganz bleich bist du. Du! Wenn du mich belogen hast. Wenn du noch schwer krank bist.«

«Fahren wir nach Hause«, sagte Andresen schwach. Er sah sich noch einmal um, gestützt auf Tilda.

Kein Kleid mit Mohnblüten mehr… kein blonder Mädchenkopf. Die Menschen wogten über den staubigen Platz wie graue, sturmgepeitschte Wellen. Und plötzlich war ihm der Lärm der Musik, der Ausrufer, der Karussells, der tausend Stimmen zu viel. Sie schlugen über ihm zusammen und erstickten ihn.

Am Abend saß Andresen bereits vor General Oronitse und Oberst Jassenskij. Professor Semlakow hatte seinen Ausflug entdeckt. Entgegen allen Gepflogenheiten hatte Semlakow am Nachmittag noch einmal den Patienten Andresen sehen wollen, und siehe da, der Mann war nicht da. Einen Krach gab es, als sei die ganze Apotheke gestohlen worden, und als Andresen nichtsahnend durch den Heizungskeller wieder zu seinem Zimmer humpelte, fing ihn Semlakow selbst ab und nahm ihn ins Verhör.

Und Andresen, ratlos über das, was er gesehen hatte, erzählte alles.

«Wie sah sie aus?«fragte Oronitse.

«Was hatte sie an?«keuchte Jassenskij.

Andresen rauchte langsam seine Zigarette, eine Vorausbelohnung für seine Aussagen.

«Wie immer sah sie aus«, antwortete er.»Sie trug ein Sommerkleid aus blauem Leinen, an den Rändern mit Weiß eingefaßt, ich glaube, man nennt das Paspelierung. «Andresen sagte es ganz ruhig, etwas versonnen, als erinnere er sich jetzt ganz genau.»Ja, und ein Mann war bei ihr.«

«Ein Mann?«rief General Oronitse.

«Ein kleiner Mann, dicklich, mit einer Knollennase. Wie ein Säufer sah er aus. Und widerliche Haare hatte er. Rotblond. Und keine Wimpern. Wie ein Schweinchen sah er aus.«

«Eine wunderbar genaue Beschreibung«, sagte Oberst Jassenskij fröhlich.»Es wird nicht schwerfallen, dieses Schweinchen zu fassen. Weitär, Härr Andresen.«

«Weiter nichts. Sie flog an mir vorbei, ein paarmal, ich habe sie deutlich erkannt. Ich habe sie noch gerufen, aber sie hörte mich nicht. «Andresen zerdrückte die Zigarette und hielt die Hand auf, Oronitse gab ihm eine neue Papirossa.»Auf jeden Fall ist sie gesund und unverletzt. Das beruhigt mich.«

«Uns auch, uns auch«, sagte Oronitse säuerlich.»Wir danken Ih-nän.«

Andresen wurde zurückgeführt in sein Zimmer. Er war zufrieden.

Seine Dummheit, aus der ersten Erschütterung geboren, hatte er, so gut es ging, wieder gutgemacht. Man glaubte ihm das blaue Kleid und den kleinen, schweinchenähnlichen Mann.

Mach's gut, Betti, dachte Andresen und legte sich ins Bett. Was immer du auch vorhast. viel Glück.

In dem Zimmer Professor Semlakows saßen sich Oronitse und Jas-senskij gegenüber und waren sich zum ersten Male einig. Jassens-kij, als Mann der GRU an logische Zusammenfassungen gewöhnt, referierte.

«Wir haben jetzt ein klares Bild: Bettina Wolter ist es gelungen, aus den Bergen zurückzukommen in die Stadt und Anschluß an einen Bürger zu finden. Ein ehrvergessener Bursche, dieser Mann, aber wir werden ihn bestrafen, wie's ihm gebührt. Sie ist eingekleidet worden, sie fühlt sich sicher, sie denkt gar nicht daran, zur türkischen Grenze durchzubrechen. Daraus geht klar hervor, daß sie einen bestimmten Auftrag hat. «Jassenskij sah Oronitse triumphierend an.»Wer hat das immer gesagt, Fjodor Nikolajewitsch?«

«Weiter!«brummte Oronitse. Die Selbstbeweihräucherung Jas-senskijs stank ihm zu sehr nach Angstschweiß.

«Machen wir jetzt die Türe zu, Genosse. «Jassenskij hieb mit der Faust auf den Tisch.»Alle Zeitungen anhalten! Auf die erste Seite das Bild der Bettina Wolter. Aufruf an alle Bürger: Es ist nationale Pflicht, dieses Mädchen der Miliz zu übergeben! Beschreibung ihres Begleiters. Wer sie abliefert, dem ist ein Lob aus Moskau sicher. Ein Diplom als Aktivist. Das zieht immer. Alle Morgenzeitungen müssen das Bild bringen. «Jassenskijs Stimme wurde zur Fanfare.»Wir haben das Schmetterlingchen, Fjodor Nikolajewitsch. Es flattert uns direkt ins Netz.«

General Oronitse schwieg. Er war nicht mißgünstig, nie war er es gewesen; aber diesen Erfolg gönnte er Jassenskij nicht, weil er ein so unsympathischer Mensch war.

Die Morgenzeitungen erschienen.

Auf der ersten Seite war ein großes Bild. Ein deutsches Mädchen in der Uniform einer Luft-Stewardeß. Es lächelte etwas kühl die Tif-liser an, das Schiffchen saß schräg auf den blonden Haaren; ein hübsches Täubchen, unnahbar und fremd, wie ein Eisvogel aus dem Norden.

Dimitri war schon früh aus dem Haus gegangen. Er hatte Dienst im Pumpwerk. Bettina hatte eine Tasche und ein Netz genommen und war hinunter zum Markt gegangen, um einzukaufen, was sie seit zehn Tagen jeden Morgen tat.

«Ruh dich aus, Väterchen«, hatte sie gesagt.»Jetzt koche ich. Ihr sollt merken, daß eine Frau im Haushalt ist. «Und Kolka war's zufrieden. Er konnte jetzt lesen, seine Platten hören, ging spazieren und fühlte sich richtig wie ein zufriedenes Großväterchen, dem immer die Abendsonne scheint.

Jeden Morgen ging Kolka um die Ecke zu dem Zeitungsstand und holte sich die >Tbilisi Prawda<. Mit ihr beschäftigte er sich bis zum Mittagessen, denn was da alles drin stand, nahm er nicht kommentarlos hin. Er diskutierte mit Wanda Fjodorowa über die Weinpreise und die Ereignisse im Kongo, schüttelte den Kopf über die westdeutschen Politiker, die man in der Zeitung unverhohlen Schwachköpfe nannte, und bestaunte Bilder aus Ost-Berlin, wo zur Maifeier eine Million hinter Fahnen hermarschierten und Freundschaft! Freundschaft!< schrien.

«Es ändert sich nichts«, sagte der alte Kolka dann.»Zwei Weltkriege, zwei Inflationen, sechzig Millionen Tote… und es geht immer weiter. Immer weiter. Die Menschen müssen einen Wurm im Hirn haben, der den Geist auffrißt. Anders kann man's nicht erklären.«

Auch an diesem Morgen holte sich Kolka Iwanowitsch Kabanow seine Tbilisi Prawda, faltete sie zusammen, steckte sie in die Tasche, denn er war nicht so einer, der schon auf der Straße liest. Zeitunglesen war wie Dinieren. Es mußte zelebriert werden, mit einem Pfeifchen, einem Gläschen Wodka oder Kwaß und viel innerer Ruhe. Auch Zeitungen kann man verdauen; seht euch Kolka an.

Und so faltete Kolka die Zeitung oben in seinem Zimmer auseinander, als er gemütlich auf seinem Rohrsessel saß und die Pfeife dampfte.

Er sah das Bild, und die Pfeife fiel aus seinem Mund, rollte über seine Brust, den Bauch, über die Schenkel und fiel auf den Teppich. Wie ein Schlag war's. Mit verkrampften Fingern hielt er die Zeitung fest, und seine grauen, nun weiten Augen lasen, was unter dem Bilde stand.

Bettina Wolter. Eine deutsche Stewardeß.

Bettina Wolter.

«Oh!«stöhnte Kolka. Die Arme fielen ihm herab, aber die Finger hielten die Zeitung umklammert.»Oh! Mein Gott, das ist nicht wahr! Mein Gott, das kann nicht sein. «Sein Kopf sank nach hinten gegen die hohe Flechtlehne, er starrte gegen die Decke, und dann schloß er die Augen, weil die Decke herabzufallen schien und eine unsichtbare Hand ihn aufhob, wegtrug in den blauen Himmel, über das Land warf, über das Gebirge, ihn wegschleuderte nach Norden… eine Steppe, Panzer rollen zurück, durch die Luft heulen die Raketengranaten der Stalinorgeln, und da läuft ein Mensch durch die Steppe, das Gewehr vor der Brust, und er rennt und rennt, denn er weiß, daß hinter ihm die Panzer alles niederwalzen… Um sein kleines Leben rennt er, die Angst hockt ihm im Nacken, und dann hört er das Knirschen der Panzerketten, das Donnern der Motoren. und er schreit und schreit und rennt weiter und will leben… leben. Und dann wirft ihn ein Stoß auf das Gesicht. er zieht die Beine an und schreit in den Steppenboden hinein. Nein! Nein! Nein! Laßt mich leben! Ich will nicht sterben. Gnade! Gnade!

Und die Panzer rollen links und rechts an ihm vorbei, bewerfen ihn mit Dreck und Staub, decken ihn zu mit Steppengras, begraben ihn mit Erdschollen.

Aber er lebt.

Shitomir.

Und der Krieg ist für ihn vorbei.

Kolka Iwanowitsch Kabanow öffnete krampfhaft die Augen.

Er ist wieder in seinem Zimmer. Die Decke ist da, die Sonne vor dem Fenster, die Zeitung in seiner Hand.

Das Bild.

Bettina Wolter.

Dreiundzwanzig Jahre alt.

«Oh«, sagte Kolka wieder.»O mein Gott, laß es nicht wahr sein! Oder doch. Doch! Laß es Wahrheit sein! Schicke mir ein Wunder! Ein herrliches Wunder, mein Gott. Schenke deinem Kolka die Gnade eines Wunders.«

Er hörte unten die Haustür klappen. Wanda Fjodorowa kam vom Markt zurück. Mit Gemüse und Milch, mit Sahne und Butter. Und mit einem Fläschchen Wodka. 200 Gramm.

Kolka Iwanowitsch erhob sich aus seinem Sessel. Die Zeitung hielt er noch immer fest, er schwankte, als er endlich stand, und in seinem Gesicht lagen Qual und fast überirdische Freude.

Bettina riß die Tür auf. Lustig war sie, wie immer, denn ein glücklicher Mensch ist immer fröhlich.

«Väterchen! Ich habe eine Überraschung für dich!«wollte sie rufen, denn sie hatte schönen gelben chinesischen Tabak entdeckt und 50 Gramm für sündhaft viele Rubel gekauft.

Aber der Ruf erstarb ihr auf den Lippen. Sie sah den alten Kol-ka schwankend vor dem Sessel stehen, die Zeitung in der Hand, und nun hob er die Arme ihr entgegen, und sie sah die erste Seite der Zeitung und darauf ihr großes Bild.

Wie ein Blitzschlag war's, der lähmend durch ihren Körper raste. Sie riß die Tasche und das Netz wie schützend vor ihre Brust und wollte zurückweichen, aber die Beine waren wie festgewachsen und nur ihr Kopf flog zurück, so wie es eine Wölfin tut, wenn sie im Winter ihren Hunger gegen den Himmel klagt.

Und Kolka Iwanowitsch ließ die Zeitung fallen, breitete die Arme aus und sagte mit zitternder Stimme:»Komm her, Töchterchen!«

Und er sagte es in deutscher Sprache, als habe er nie anders gesprochen.

«Komm her, meine kleine Bettina.«

«Ich… ich heiße Wanda.«, stammelte Bettina und lehnte sich an den Türpfosten.»Wanda Fjodorowa.«

Kolka Iwanowitsch Kabanow schüttelte den Kopf.»Warum spielen wir Versteck?«sagte er, und er sprach weiter deutsch, was Bettina maßlos entsetzte.»Ich weiß, daß du Bettina bist. Eigentlich habe ich es gleich gefühlt… hier drinnen.«, er tippte auf seine Brust und lächelte gütig, wie ein Vater, der große Freude an seinen Kindern hat.»Als Dimitri dich mitbrachte, als ich dich ansah — so zerrissen und müde und elend warst du —, da fühlte ich etwas anderes im Herzen, als man es sonst spürt, wenn man einem fremden Menschen begegnet. Bettina.«

Kolka Iwanowitsch kam noch einen Schritt näher. Bettina hob die Einkaufstasche höher. Es sah aus, als wolle sie damit auf den Alten einschlagen.

«Wer sind Sie?«fragte Bettina.»Warum sprechen Sie jetzt deutsch? Was. was wollen Sie von mir?«Und plötzlich ließ sie die Tasche und das Netz fallen, vor die Füße Kolkas, der noch einen Schritt näher kam.»Lassen Sie mich gehen!«sagte sie hart.»Grüßen Sie Dimitri von mir. Es. es war eine schöne Zeit bei Ihnen.«

«Bleib!«sagte der alte Kolka. In seinen Augen lag eine strahlende Freude. Er sah Bettina an, als sei sie gerade geboren, und er, der Vater, hebe sie empor und wäre glücklich über ihren ersten Laut.»Wir können nicht vor unserem Schicksal davonrennen.«

«Das sagte der Inder auch.«, stammelte Bettina.

«Welcher Inder?«

«Es war nur ein Gedanke, Kolka Iwanowitsch. Ich bin so verwirrt. «Bettina hatte ihren ersten Schrecken überwunden. Zu lächeln versuchte sie sogar, und es gelang ihr mühsam.»Das Bild in der Zeitung. es sieht mir ähnlich, gewiß. aber gibt es das nicht, daß sich zwei Menschen sehr ähnlich sehen? Schon auf dem Markt habe ich die Zeitung bemerkt… das Bild… aber ich habe nicht erwartet, daß Sie so reagieren, Väterchen. «Sie senkte den Kopf und strich ihr neues Kleid glatt. Es war, als wische sie damit das Glück von sich herunter, in Dimitris und Kolkas Haus zu sein.»Nun werde ich weiterziehen, Väterchen. Onkel Wanja wartet.«

«Du hast keinen Onkel Wanja«, sagte Kolka laut.

«Doch! Ich habe ihn!«schrie Bettina zurück.»Und ich gehe jetzt zu ihm!«

«Dein Onkel heißt Ludwig. Ludwig Gilles. und er wohnt in Flensburg.«, sagte Kolka ruhig.

«Nein!«Ein Aufschrei war's, ein greller Schrei, der im ganzen Hause widerhallte. Auf der oberen Treppe klappte eine Tür. Dort wohnte der grusinische Maler Arkadij Lukanowitsch Bederian, ein wüster Mensch, der soff und wahllos liebte, dekadente Bilder malte, nach Ansicht der Kulturvorsitzenden des Rates sowjetischer Künstler, und der sich vom Verkauf gezeichneter Postkarten ernährte, die er am Flugplatz und am Hauptbahnhof den Reisenden anbot. Unter der Hand flüsterte man allerdings, daß er auch Fotos verkaufte, nackte, herrliche kaukasische Mädchen, bei deren Anblick einem rechten Mann das Wasser im Munde zusammenläuft. aber wie gesagt, man munkelte es bloß. Auf jeden Fall galt Arkadij Lukanowitsch als ein großes Schweinchen, aber er lebte mit sich und der Welt zufrieden dahin.

«Was ist das da unten?«schrie Arkadij Lukanowitsch die Treppe hinunter.»Warum quietscht das süße Vögelchen? Juckt es dem Alten in den Fingern, was? Eine schöne Wirtschaft ist das, der Teufel soll's holen!«

«Komm herein und schließ die Tür«, sagte Kolka.»Arkadij ist wieder besoffen. Er braucht nicht zu hören, was wir miteinander zu reden haben. Komm herein, meine kleine Bettina.«

Die Stimme Kolkas war wie ein Magnet. Bettina trat vollends ins Zimmer und schloß hinter sich die Tür. Hinter ihrer zuckenden Stirn arbeiteten die Gedanken.

Ludwig Gilles. woher weiß er, daß mein Onkel Ludwig Gilles heißt und in Flensburg wohnt? Er ist der Bruder von Mutti. Amtmann in der Stadtverwaltung. Wer. wer ist dieser Kolka Iwano-witsch Kabanow.

«Soll ich dir noch mehr sagen, Betti?«fragte der alte Kolka. Ganz nahe standen sie nun beieinander, sahen sich an, und in Bettina verschwand die Angst und die Panik, die sie wieder wegtrieb aus dem Hause Dimitris. Es war ihr wieder, als habe sie Kolka schon seit Jahrzehnten gesehen und immer diese grauen, gütigen Augen vor sich gehabt.

«Ich muß das Essen machen«, sagte sie leise.»In einer Stunde kommt Dimitri nach Hause.«

«Du heißt Bettina Julia Maria Wolter«, sagte der alte Kolka langsam. Über die Augen Bettinas zog ein Schleier, durch den sie Kol-kas Gesicht wie im Nebel schwimmend sah.»Du bist geboren am 19. Juli 1943 in Göttingen. Dein Vater lag am Tage deiner Geburt in einem Erdbunker vor Smolensk, und als das Telegramm von der Feldpostleitstelle über das Bataillon weitergegeben wurde zum Bunker, trank dein Vater mit seinen Kameraden eine halbe Flasche Kognak, die als Geschenk aus der Marketenderei kam. Er war so glücklich, dein Vater. Erst ein Sohn, Wolfgang Ludwig. nun eine Tochter. Nur einmal hat er die Kleine gesehen, bei einem Urlaub 1943, im Winter. Du lagst in einem Körbchen und schliefst, als er sich zum erstenmal über dich beugte. Und deine Mutter — Agnes, hat sie noch immer das Grübchen in der linken Wange? — weinte, als fünf Tage später ein Telegramm von der Truppe kam und dein Vater den Urlaub abbrechen mußte. Die russische Winteroffensive begann. Und dann hat dich dein Vater nie wiedergesehen.«

«Nein.«, stammelte Bettina. Die Schleier vor ihren Augen wehten. Mutters Grübchen in der linken Wange — er kennt es. Er kennt alles. Alles! O Gott, mein Herz. mein Herz.»Nein«, sagte sie kaum hörbar.»Mein Vater wurde in Rußland vermißt. Später brachte ein Heimkehrer aus der Gefangenschaft die Nachricht mit, daß er gestorben sei. Verhungert.«

«Er ist nicht verhungert«, sagte der alte Kolka und legte beide Hände um den Kopf Bettinas. Dann zog er sie an sich und umarmte sie.»Ich bin dein Vater. «Seine Stimme schwankte.»Ich bin Karl Wolter.«

Aus seinen Armen und schnell zugreifenden Händen glitt ihm Bettina weg auf die Erde. Sie wurde besinnungslos.

Und Kolka Iwanowitsch, der einmal vor zweiundzwanzig Jahren Karl Wolter hieß, hob sie auf, nahm sie auf seine Arme und trug seine Tochter hinüber in sein Zimmer, und dabei liefen ihm die Tränen aus den alten Augen und rannen über die Runzeln in seine Mundwinkel.

Um die Mittagszeit kam Dimitri nach Hause.

Er war wie immer fröhlich gestimmt, denn ein verliebter Mensch ist wie ein immer klingendes Instrument, voll Musik und seine Umwelt erfreuend. Zwei Stufen der Treppe auf einmal nahm er, begegnete dem betrunkenen Arkadij Lukanowitsch, der sich zum Flugplatz aufmachte, um seine Postkarten an den Mann zu bringen, riß die Tür auf und stürmte ins Zimmer. Kolka Iwanowitsch stand am Gasherd und kochte. Es roch nach Wurzelgemüse und Kochfleisch. Eine kräftige Nahrung, Freunde, denn an die Soße kommt viel saure Sahne.

«Hast du das gesehen, Väterchen?!«rief Dimitri und schwenkte eine Zeitung. Natürlich, die Tbilisi Prawda war's, und das Bild Bettinas war nach oben gefaltet.»Hast du schon die Zeitung studiert?«

«Natürlich«, brummte Kolka und rührte in den geschnitzelten Möhren.

«Das Bild! Diese Ähnlichkeit! Man soll's nicht für möglich halten. Gelacht habe ich. Und zu meinen Freunden habe ich gesagt: Seht es euch an! So ähnlich sieht meine Wanda aus. Und sie beneiden mich alle.«

«Ein Idiot bist du!«sagte Kolka laut und goß Bouillon in die Möhren.»Ein vollkommener Idiot.«

«Aber Väterchen! Stolz bin ich auf Wanda Fjodorowa. Darf ich mich nicht sonnen in meinem Glück?«

«Ob's ein Glück wird, das kann die nächste Stunde zeigen«, sagte Kolka Iwanowitsch.»Setz dich, das Essen ist gleich fertig. Nur noch die Soße… fünf Minuten.«

Dimitri sah sich um und legte lauschend den Kopf zur Seite. Aus den Nebenzimmern hörte er keinen Laut.

«Wo ist Wanduscha?«fragte er.

«Sie schläft«, antwortete Kolka kurz.

«Jetzt?«Dimitri warf die Zeitung auf den Tisch und kam zum Herd. Er sah jetzt, daß Väterchen Kolka verändert war, ja, wirklich, ganz anders sah er aus. Rasiert war er, bei Gott, eine glatte Wange hatte er, wie eine Kinderhaut, und mit dem Handapparat hatte er sich sogar die Haare geschnitten. Nicht mehr lang und weiß waren sie, sondern kurz, fast stoppelig, als habe sein Kopf unter einem Rasenmäher gelegen.

«Wie siehst du denn aus, Väterchen?«fragte Dimitri verblüfft.»Man erkennt dich kaum.«

«So sehe ich immer aus«, sagte Kolka ruhig, goß die Fleischbrühe in die Möhren und machte sich daran, die saure Sahnesoße für das Fleisch anzurühren.

Dimitri zögerte. Die alte, eingewurzelte Achtung vor dem Vater hielt ihn zurück, heftig zu werden. Aber dann griff er doch mit beiden Händen zu und drehte den soßerührenden Kolka herum.

«Was ist geschehen, Väterchen?«rief er.»Du veränderst dich, Wanda Fjodorowa soll am hellen Tag schlafen… was ist vorgefallen? Wo ist Wanda?«

«Nebenan, in meinem Zimmer. Mach die Tür auf und sieh sie dir an. Dein Täubchen ist unverletzt. Ein Rätsel ist's nur, daß sie einen Kindskopf wie dich liebt.«

«Hat sie zu dir gesagt, daß sie mich liebt?«Dimitris Augen glühten.»Erzähle, Väterchen! Was sagt sie über mich?«

«Sie weinte.«

«Vor Glück.«

«Aus Elend.«

Der Glanz in Dimitris Augen erlosch. Was Kolka sagte, war stets die Wahrheit gewesen, und wenn Wanda Fjodorowa weinte, so war das keine Lüge, sondern sie hatte großen Kummer.

«Ich muß zu ihr!«rief Dimitri. Aber Kolka hielt ihn am Ärmel fest:»Bleib! Laß sie schlafen, Söhnchen.«

«Sie hat geweint. Trösten muß ich sie, Väterchen.«

«Du bleibst!«

Kolka krallte die Finger in den Arm Dimitris, und dieser wunderte sich, wie stark noch die Kraft des Alten war. Kein Wehren gab's dagegen, es sei denn, man schlug zu — aber wer schlägt schon sein Väterchen? Eine ganz rohe Natur mußte man dazu schon sein.

«Geh zum Tisch und setz dich«, sagte Kolka Iwanowitsch, schob die Töpfe vom Herd und löschte die Gasflammen. Gehorsam setzte sich Dimitri, aber seine Augen funkelten. Er legte die Hände flach auf die Knie, wie ein japanischer Ringer, bevor er sich auf seinen Gegner stürzt.

«Ich sitze, Väterchen«, sagte er, als er Kolka noch herumwirtschaften sah. Er schob die Töpfe hin und her, putzte mit einem Lappen über das Emaille des Herdes, staubte ein paar Krümelchen weg und tat sehr geschäftig.

«Du wolltest etwas sagen?«fragte Dimitri, als der Alte noch immer schwieg.

«Ja, Söhnchen. «Kolka seufzte tief, warf den Aufwaschlappen gegen die Wand und kam mit tappenden Schritten näher. In seinen geliebten Korbsessel setzte er sich, stopfte sich eine Pfeife, sah auf die Tbilisi Prawda, die Dimitri auf den Tisch geworfen hatte, betrachtete stumm das Bild Bettinas in der Stewardeß-Uniform der DBOA und die große Unterschrift: Dringend gesucht wird… und seufzte noch einmal tief.

«Eine Geschichte muß ich dir erzählen, Dimitri Sergejewitsch«, sagte der alte Kolka umständlich.»Wie ein Märchen wird's klingen, das die usbekischen und aserbaidschanischen Erzähler auf den Märkten vortragen. Nur hat sie etwas Schreckliches an sich, die Geschichte: Sie ist wahr!«

«Erzähle, Väterchen«, sagte Dimitri heiser.»Ist es die Geschichte Wanda Fjodorowas? Wenn es eine böse Erzählung ist, dann hör dort auf, wo sie böse wird. Nicht wissen will ich's. Ich liebe Wanda, und es ist mir gleichgültig, woher sie stammt, wer sie ist, was sie getan hat, welches Konto sie in ihrem Leben aufgefüllt hat. Ganz gleich ist mir's. Ich liebe sie so, wie sie ist.«»Und wenn sie schon ein Kindchen hätte?«

Dimitri sah Kolka unsicher an.»Ich liebe sie, Väterchen«, sagte er.»Auch mit einem Kind.«

«Wenn sie große Schuld auf sich geladen hätte?«

Dimitri hieb auf den Tisch.»Und wär's eine Mörderin — ich heirate sie!«

«So also liebst du sie, Söhnchen?«

«Sie ist mir die Sonne und der Wind, der Regen und die Nacht, der Himmel mit allen Wolken und Sternen, und die Erde mit ihrer ewigen Kraft. Sie ist alles für mich, Väterchen!«

Kolka nickte.»Das ist eine große Welt, die du verschenkst für sie, Dimitri. Spielen wir weiter. Und wenn sie weder ein Kindchen hätte, noch eine Mörderin wäre, sondern — na sagen wir keck — eine Deutsche?«

Dimitris Gesicht verschloß sich.»Was soll das, Väterchen?«

«Nur so, Söhnchen. Ich sehe gerade das Bild da. Da kam mir der Gedanke. Wenn Wanda Fjodorowa — nur als Beispiel — diese Deutsche wäre?«

«Es ist Dummheit, so etwas zu fragen. «Dimitri starrte zum Fenster. Die Mittagsglut lag über Tiflis wie eine gläserne Glocke. Eine riesige Backhaube war die Stadt, und die Sonne glühte auf sie herunter.

«Nur ein Spielchen, Dimitri. Angenommen nur.«

«Es würde alles ändern«, sagte er leise.

«Aha!«

«Mein Vater ist in Deutschland getötet worden. Wer kann das vergessen?«

«War's der Vater von Wanda Fjodorowa, der ihn tötete? Warum soll sie büßen, was geschah, als sie noch in der Wiege lag?«

«Wir reden blödes Zeug, Väterchen. «Dimitri ballte die Fäuste.»Warum weinte Wanduscha? Hast du sie geärgert?«

«Es wird doch nötig sein, das Märchen zu erzählen«, sagte Kolka und zog an seiner Pfeife.»Aber unterbrich mich nicht, hörst du! Sitz still und hör zu. Zum Fragen ist nachher Zeit genug.«

Kolka Iwanowitsch Kabanow nahm die Tbilisi Prawda und drehte sie herum. Er wollte das Bild Bettinas nicht mehr sehen.

«Die Geschichte beginnt mit einem Nachmittag in Shitomir. Da rannte ein deutscher Feldwebel um sein Leben, aber die sowjetischen T 34 waren schneller, überholten ihn, ließen ihn leben, und man brachte den ausgepumpten, zitternden, um sein Leben nicht eine Kopeke gebenden Menschen in ein Gefangenenlager. Schwer verwundet war er, der deutsche Feldwebel. Drei Schüsse staken in seinem Rücken, und zwei sowjetische Ärztinnen operierten ihn, retteten ihm das Leben… aber das wußte er nicht. Vier Wochen lag er bewußtlos und phantasierend in einer Ecke der Sammelbaracke, und jeder, der ihn sah, mußte annehmen, daß er nur noch wenige Stunden zu leben hatte.

Aber er lebte weiter. Er wurde gesund, er kam nach Perwo-Uralsk und von dort nach Nowosibirsk und ganz zuletzt nach Grosnyi, am Osthang des Kaukasus, wo er an der Ölleitung arbeitete, die von Machatsch-Kala am Kaspischen Meer bis nach Tuapse am Schwarzen Meer führt. Er war ein armer Mensch, dieser deutsche Feldwebel. Vier Jahre schrieb er seine monatlichen Plenny-Karten nach Deutschland, denn dort hatte er eine liebe, fleißige Frau und zwei süße Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Aber nie kam Antwort. Während die anderen die Rückantwortkarten lasen, Pakete empfingen, Fotos an die Bettpfosten und in die Spinde nagelten und mit offenen Augen von der Heimat träumen durften, saß der arme, kleine Mensch mit seinem narbigen Rücken auf der Pritsche und wartete und wartete. Schließlich kam ein Brief. Zwei Jahre war er alt; wo er solange gelegen hatte, wer wußte es, wer fragt danach? Post von einem entlassenen Kameraden war's, und der Freund schrieb, daß das Haus in Göttingen durch Bomben vernichtet sei und die Frau und die beiden Kinder unter den Trümmern begraben wurden. Nun war der arme, kleine Mensch allein, ganz allein. Er hatte keine Heimat mehr, kein Haus, keine Frau, keine Kinder, seine besten Jahre lagen auf den Schlachtfeldern Rußlands. Es war nichts mehr da, was ihn nach Deutschland zog, nach der Heimat, die ihm alles genommen hatte. Und er sagte sich, daß es besser sei, alles zu vergessen.

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