5

Ich war fast bewusstlos. Ein Stück Holz des Türrahmens hatte mich an der linken Seite des Kopfes getroffen und anschließend hatten meine Beine unter mir nachgegeben. Ich lag an einer Seitenwand des Flures, eingehüllt in zerfetzten Teppichbelag, und mir kam es vor, als fiele die ganze Welt um mich herum auf mich herab. Der heiße Hurrikan brüllte und kreischte, Trümmerteile wurden emporgeschleudert und flogen durch den Korridor. Als Coyote auf uns zukam, hörte ich über allem ein Geräusch, als ob jemand in ein Rohr hineinschreien würde, das das Echo immer wieder zurückwarf; ein hoffnungsloses, verzweifeltes Schreien, das mich mehr erschreckte als alles andere.

Ich kniff zum Schutz gegen den glühenden Wind die Augen zusammen und versuchte etwas zu erkennen. George Thousand Names lag gegenüber an der Wand und Lieutenant Stroud hockte neben ihm. Jim stand etwas weiter entfernt; er hatte die Hände über seinem dünnen Haar verschränkt. Nur Dr. Weston sah ich nicht.

Dann schien sich die Luft selbst zu verdunkeln und aus dieser Dunkelheit heraus kam etwas, dass mit Bryan Corder und Dan Machin gar nichts mehr zu tun hatte. Es war eine gespenstische Erscheinung: ein Geist von unheimlicher Dichte, gebildet aus verrenktem Fleisch. Eine Art negatives Glühen umgab die Gestalt, ein Glühen aus düsteren Schatten oder glühender Leere. Sie glitt dunkel über den Korridor, der Knochenschädel lächelte grausig aus dem widerlichen Fleischumhang heraus.

Das Schreien wurde schriller und lauter, als Coyote vorüberschritt, aber da war noch ein anderes Geräusch, das seine Bewegungen begleitete. Es war das Klatschen von toter Haut, das mich an lose im Wind flatternde Teerpappe auf einem Dach erinnerte. Es war fast mehr, als ich ertragen konnte.

Das Geräusch und der Wind schienen für alle Ewigkeiten weiterzudröhnen, aber plötzlich, als ich den Kopf vorsichtig hob, wurde mir klar, dass Coyote an uns vorbeigegangen war, ohne uns zu verletzen. Ich hob den Kopf noch etwas mehr und schaute mich um. Der Dämon war verschwunden.

George Thousand Names flüsterte heiser: »Ich glaube, es ist vorbei, zumindest für eine Weile. Er sucht jetzt nach seinem Blut.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte Lieutenant Stroud.

»Sonst hätte er uns getötet und mit viel Freude Dr. Weston vergewaltigt. Er braucht jetzt sein Blut, um leben zu können. Falls er es nicht innerhalb des Mondverlaufes in dieser Nacht bekommt, wird er wieder in die Unterwelt verbannt werden.«

Lieutenant Stroud stand an die Wand gestützt da und tastete über seinen Rücken. »Das ist die erste annähernd gute Nachricht, die ich heute höre. Wir müssen Coyote nur für 24 Stunden von unwissenden Zuschauern fernhalten und das ist dann das Ende.«

George Thousand Names wischte über seine Windjacke. »Ich fürchte, nein, Lieutenant. Was Sie auch tun werden, Coyote wird dafür sorgen, dass er sein Blut bekommt.«

»Was ist mit seinem Gesicht?«, fragte ich. »Sein Gesicht war auf dem Türklopfer.«

»Danach wird er auch suchen.«

»Aber ich habe Jane fortgeschickt, damit sie ihn holt.«

George Thousand Names starrte mich an, sein Gesicht wirkte sehr ernst. »Sie haben Jane fortgeschickt, um den Türklopfer zu holen? Sie haben das wirklich getan?«

Panik stieg in mir auf. »Ja, sicher, ich dachte nur, falls er sein Gesicht nicht findet …«

George Thousand Names sagte: »Großer Geist, behüte uns. Wenn Coyote sie mit dem Ding erwischt, dann wird sie keine Chance haben.«

Lieutenant Stroud trat näher und sah sehr ungeduldig aus. »Tut mir leid, die unheilvollen Warnungen zu unterbrechen, aber was meinten Sie mit dem Blut? Das Blut müsste doch jetzt in Redwood City unter Verschluss sein, richtig, Doktor? Wie soll Coyote es finden, wie soll er an es herankommen?«

»Oh, nun hören Sie schon auf, Lieutenant«, sagte ich ebenso gereizt. »Coyote hat gerade hier faustdickes Glas durchbrochen.«

»Sie habe ich nicht gefragt«, entgegnete Lieutenant Stroud scharf. »Ich fragte hier unseren Experten.«

»Die Antwort auf Ihre Frage ist, dass Coyote so etwas wie ein Hundemonster ist«, sagte George Thousand Names. »Er hat ein übernatürliches Gehör und einen übernatürlichen Geruchssinn. Die alten Legenden erzählen, dass Coyote in der Lage war, das Bärenmädchen durch zehn Speerlängen festen Felsen zu riechen, und er zerstörte dann die Höhle und den halben Berg, um sie zu finden. Das soll am Nacimiento Peak passiert sein, vor so vielen Jahren, dass selbst die Navahos sich nicht erinnern.«

Lieutenant Stroud schaute grimmig drein: »Danke für die optimistische Vorhersage.«

»Was werden Sie jetzt tun?«, fragte ich.

»Als Erstes werde ich die SWAT-Einsatztruppe alarmieren. Wir werden diese Kreatur finden, egal, was es ist. Dann verpassen wir ihm eine Dosis von dem, was es gerade an uns ausgeteilt hat.«

»Lieutenant«, unterbrach ihn George Thousand Names. »Ich dachte, Sie seien ein kultivierter Mann. Zumindest kultivierter als die meisten Polizisten.«

»Was wollen Sie damit unterstellen?«

Der alte Indianer schaute den Polizisten kalt und ruhig an. »Ihr kraftvolles Feuerpulver ist nutzlos. Würden Sie einen Fuchs mit einem Panzer jagen oder versuchen, einen Moskito mit einem Maschinengewehr zu töten? Coyote ist zu listig für Sie, Lieutenant, zu mächtig, zu gerissen. Sie müssen ihm eine Falle stellen, auf dieselbe Weise, wie die alten Götter es getan haben, indem Sie seine Lust und seine Eitelkeit reizen und ihn dazu beschwatzen, dass er Selbstzerstörung begeht.«

»Sie scherzen? In meinem Bericht über diesen Vorfall muss ich erklären, welche Maßnamen ich anordnete und weshalb ich es tat. Und ich kann mir vorstellen, was meine Vorgesetzten sagen werden, wenn sie lesen, dass ich die Lust und Eitelkeit des Mistkerls reizte und ihn beschwatzte, bis er Selbstzerstörung beging. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.«

Der Lieutenant ging in eines der nahe gelegenen Büros und griff nach dem Telefon. Er haute einige Male auf die Tasten und bekam endlich eine Verbindung. Während er Verstärkung anforderte, sah George Thousand Names Jim und mich an und zuckte die Achseln: »Einem Weißen können Sie nie etwas erklären.«

»Was ist mit Jane? Können wir etwas tun, um ihr zu helfen?«, fragte ich.

»Natürlich«, antwortete der Indianer. »Für uns beide ist es jetzt das Beste, wenn wir zu diesem Haus in der Pilarcitos Street fahren und es mit dem stärksten magischen Bann versiegeln, den wir kennen. Wenn er noch nicht dort ist, denn er wird auf jeden Fall versuchen, den Türklopfer zu stehlen und in den Besitz dieser Bilder vom Mount Taylor und Cabezon Peak zu gelangen.«

»Warum das?«, fragte Jim.

»Ganz einfach, er will das Haar haben, das er Big Monster abgeschnitten hat. Sobald er es findet, ist seine Unsterblichkeit gesichert. Dann werden wir nie mehr in der Lage sein, ihn zu zerstören oder zu verbannen.«

»In Ordnung«, sagte ich. »Worauf warten wir noch?«

Als wir das Krankenhaus durch die Vordertür verließen, fuhren gerade die ersten Lkw und Wagen der SWAT vor und Blaulicht heulte und zuckte durch die Nacht. Wir gingen schnell hinüber zum Parkplatz und stiegen in Dr. Jarvis’ Monte Carlo. Während Jim den Sitz zurückklappte, damit ich auf den Rücksitz kletterm konnte, schaute er zum Krankenhausdach hinauf: »Die Vögel, sie sind verschwunden.«

George Thousand Names schien das alles mit großer Ruhe hinzunehmen. Während er sich auf den Beifahrersitz begab, meinte er: »Natürlich. Sie sind Coyote gefolgt. Sie hängen wie eine Trauerwolke über seinem Kopf. Manchmal scheinen sie die Luft mit dickem Rauch zu erfüllen, manchmal sind sie nahezu unsichtbar. Vögel sind sehr seltsame und magische Geschöpfe, Dr. Jarvis. Sie haben eine übernatürliche Gabe, die die Menschen kaum verstehen.«

Jim startete den Wagen und wir fuhren aus der Krankenhausausfahrt auf die Straßen des mitternächtlichen San Francisco. Es war eine warme, neblige Nacht und die Lichter der Stadt glitzerten durch den Dunst, der kaum zu atmen war. Obwohl es schon spät war, fuhren heute am Samstagabend noch viele Autos herum, und Pärchen spazierten über die abschüssigen Straßen.

Während wir die 17th Street in der Nähe der Delores Street entlangfuhren, sah ich in einer Seitenstraße ein Mädchen in roter Bluse und weißen Jeans. »Jim, das ist Jane! Ich bin sicher, es ist Jane! Fahr zurück!«

Jim hielt am Bordstein und fuhr rückwärts. Ich schaute angestrengt durch das kleine Rückfenster, bis Jane in Sicht kam. Sie ging zielstrebig in Richtung Mission Street. Jim hupte und erst da blieb sie stehen, krauste verwundert die Stirn und kam auf uns zu.

Jim kletterte aus dem Wagen und ich quetschte mich hinter ihm ebenfalls hinaus. Ich ging um den Wagen herum, fasste Jane am Arm und hielt sie fest. Sie war blass, ihre Augen hatten einen feuchten, kurzsichtigen Blick, aber ansonsten schien sie okay zu sein.

»Jane, Jane, was ist los?«

Sie lächelte, aber irgendwie schien sie unkonzentriert.

»Nichts ist los«, flüsterte sie. »Überhaupt nichts ist los.«

»Aber warum hast du denn kein Taxi genommen? Was tust du hier?«

»Hier?«, fragte sie, wobei sie den Kopf hob und mich irritiert anschaute.

»Dies ist die 17th Street. Du solltest doch mit einem Taxi zur Pilarcitos Street fahren.«

Jane fasste sich an die Stirn, als ob sie sich zu erinnern versuchte. »Ach ja, Pilarcitos Street.«

Jim drückte mich freundlich zur Seite und untersuchte Jane kurz. Er hob mit seinem Daumen eines ihrer Augenlider und prüfte ihren Puls. Während er das tat, stand sie still und passiv da. Sie runzelte nur schwach die Stirn, ihre Augen starrten in irgendeine persönliche Ferne, von der ich keine Ahnung hatte.

»Ist sie in Ordnung?«, fragte ich. »Sie kommt mir vor, als ob sie unter einem Schock leidet.«

»Es könnte ein Schock sein«, antwortete Jim. »Andererseits könnte es aber auch eine Art Hypnose oder Trance sein.«

»Meinst du, Coyote …?«

»John, ich weiß nicht, was ich annehmen soll. Aber wichtig ist nur, dass sie in Sicherheit ist. Setzen wir sie in den Wagen und fahren in die Pilarcitos Street. Dann kann unser indianischer Freund hier das tun, was er tun muss, um Coyote aus dem Haus zu halten, und danach können wir Jane mit zurück ins Krankenhaus nehmen.«

George Thousand Names steckte den Kopf aus dem Wagenfenster. »Dauert es noch lange?«, fragte er mich. »Je schneller wir bei dem Haus sind, desto besser. Wenn Coyote es schon erreicht hat, dann haben wir keine Chance mehr.«

Jim und ich halfen Jane auf den Rücksitz des Wagens und fuhren weiter.

Als wir die kurvenreiche Straße hochfuhren, sah das Haus 1551 ebenso dunkel und düster wie bisher aus. Die Fenster ähnelten müden Augen und der schlechte Anstrich schien noch mehr abgeblättert zu sein. Jim fuhr langsam näher. Als wir vor dem Haus ankamen, stellte er den Motor ab und eine Minute lang blieben wir schweigend sitzen.

»Glauben Sie, dass Coyote drin ist?«, fragte ich mit unsicherer Stimme.

»Das kann man unmöglich sagen«, antwortete George Thousand Names. »Falls er da drin ist, dann werden wir es bald merken.«

»Wie?«

»Er wird uns töten.«

Jim wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Aber möglicherweise kann er auch nicht da sein, stimmt’s? Er kann noch immer auf der Suche nach Seymour Wallis’ Blut sein!«

»Natürlich.«

Ich sah Jim an und Jim sah mich an; »Tja«, meinte ich kleinlaut. »Wenn wir hier sitzen bleiben, passiert nichts.«

Wir stiegen aus dem Wagen und gingen herum, um George Thousand Names zu helfen. Jane blieb, wo sie war, still und wahrscheinlich unter einem Schock stehend. Wir drei überquerten den Bürgersteig und blieben vor dem Durchgang zu Haus 1551 stehen, schauten zu den dämmrigen Fenstern, unter denen die Farbe abblätterte.

»Ist der Türklopfer noch da?«, fragte George Thousand Names. »Ich kann es ohne meine Brille von hier aus nicht erkennen.«

Jim und ich spähten in die Schatten. Zunächst dachte ich, dass er verschwunden sei, aber dann sah ich den dunklen Glanz von Bronze und wusste, dass sich Coyote noch auf der Hatz nach seinem Blut befand. Für den Augenblick waren wir in Sicherheit.

Wir öffneten das quietschende Tor und stiegen die Stufen hoch. George Thousand Names stand einen Moment vor dem grinsenden Gesicht auf dem Türklopfer, bis er langsam den Kopf schüttelte: »Wäre ein Indianer an diesem Haus vorbeigekommen und hätte das Gesicht gesehen, er hätte sofort gewusst, um was es sich handelt«, sagte er ruhig. »Es ist genauso provozierend, als hinge das Bild eines Dämons an Ihrer Tür. Jetzt wollen wir aber dafür sorgen, dass Coyote es nie benutzen kann.«

Er griff in eine Tasche seiner Windjacke und zog ein Amulett hervor. Es war ein schmales, goldenes Medaillon mit einem seltsamen, eingekratzten Zeichen. Er hielt es einen Augenblick in den Fingern seiner beiden Hände, anschließend berührte er damit seine Stirn. Dann trat er dicht an den Türklopfer heran und hob die Hand.

»Unerträglicher Coyote, du Teuflischer aus dem Südwesten«, murmelte er. »Dieses Abbild ist für immer durch meine Beschwörung gebunden, für immer vor dir verschlossen. Dieses Abbild wird dich verbrennen, dieses Abbild wird dich erfrieren lassen, dieses Abbild wird dir mit der Kraft der Winde des Nordens entgegenblasen. Du kannst dieses Abbild niemals berühren, dieses Abbild niemals benutzen, ohne dass der Zorn des Großen Geistes für immer über dich kommt.«

Nun herrschte Stille. Ein Lastwagen dröhnte über eine entfernte Straße.

Dann, leise, hörte ich ein zischendes Geräusch. Es war, als ob jemand tief Atem holt. Jemand, der zu reden beginnt.

Eine ruhige, heimtückische Stimme sagte: »Narren.«

Ich spürte, dass ich zitterte. Ich wusste, dass es idiotisch war, derart zu zittern. Aber es war der Türklopfer, der bronzene Türklopfer, der sprach. Aus seinen wilden Augen loderte ein brutales Licht, und möglicherweise überschlug sich ja nur meine Fantasie, aber ich wusste, dass er dieses Mal mit Haaren bedeckt war und seine Zähne so erbarmungslos und scharf waren wie die eines richtigen Wolfes oder Hundes.

George Thousand Names stand kerzengerade da. Es war offensichtlich, dass er eine enorme geistige Anstrengung aufbrachte, um die Situation unter Kontrolle zu halten. Er kreuzte die Arme vor seinem Gesicht, dann vollführte er mit beiden Händen eine vertreibende, entlassende Bewegung.

»Coyote ist ein Hund, der durch die Nacht rennt.« Seine Stimme zitterte vor Gefasstheit und Ernst. »Coyote ist ein Schleicher, ein Lügner. Die Götter hören zu, die Götter wissen das. Sie lehnen dich ab, sie lehnen dich ab, sie lehnen dich ab.«

Der Türklopfer stieß ein eisiges Lachen aus.

»Still!«, schrie George Thousand Names. »Ich befehle dir, still zu sein!«

Wieder hörte man dieses Zischen und ein weiteres grässliches Gelächter.

»Du hast keine Gewalt über mich, du seniler Narr«, flüsterte der Türklopfer. »Mein Meister eilt her und dann wirst du es sehen!« Wieder lachte er.

Die Tür des Hauses öffnete sich von selbst und knallte wieder ins Schloss.

Doch George Thousand Names hatte nicht aufgegeben. Er hob erneut die Arme. »Der Frost des Nordens wird dich einhüllen, der Frost des Nordens wird dich brechen. Coyote aus der Wüste wird deine Furcht spüren und er wird zurückkriechen wie der Hund, der er ist.«

Ich konnte es immer noch nicht glauben, was ich nun sah, aber ich hatte in dieser Nacht schon so viel gesehen, dass mich ein weiterer Irrsinn auch nicht mehr erschütterte. George Thousand Names wies mit einem steifen Zeigefinger direkt auf den Türklopfer und aus seinem Finger strömte eine sichtbare, glitzernde Wolke aus Eis. Das Eis legte sich auf den Türklopfer, umhüllte ihn mit weißen Kristallen und sein Zischen erstarb fast sofort.

Er hielt seinen Finger weiterhin auf den Türklopfer gerichtet und das Eis wurde immer dicker und dicker. Von dort, wo ich stand, zwei oder drei Schritte entfernt, konnte ich die Kälte spüren. Dann zersprang der Bronzekopf plötzlich und Stücke gefrorenen Metalls regneten hinab auf die Türschwelle.

George Thousand Names ließ seinen Arm fallen. Er schwitzte und rang schwer nach Luft. Aber es war ihm noch genügend Energie geblieben, um gegen die Stücke des Türklopfers zu treten und zu sagen: »Ein seniler Narr, was? Du Klumpen Altmetall.«

Jim pfiff laut aus. »Das war erstaunlich. So etwas habe ich noch nie gesehen. Mr. Thousand Names, Sie sollten sich einen Job in der Branche für tiefgekühlte Lebensmittel suchen.«

Ich nahm einen Arm von George Thousand Names. »Sie haben eine Schlacht gewonnen. Sie haben sich mit Coyote angelegt und gewonnen.«

Er schüttelte den Kopf. »Wir sind noch längst nicht fertig und meine Kräfte sind nicht groß. Dr. Jarvis, Sie haben in Ihrem Wagen doch noch Platz für die Bilder vom Mount Taylor und Cabezon Peak?«

»Wie? Klar. Aber ich dachte, Sie wollen das Haus mit einigen Bannsprüchen versiegeln.«

George Thousand Names wischte sich die Stirn mit seinem Taschentuch trocken. »Ich wünschte, ich könnte es, Dr. Jarvis. Aber der Kampf mit dem Abbild Coyotes hat mir gezeigt, dass ich die Kraft dazu nicht habe. Ich bin zu alt, zu schwach. Wir müssen es irgendwie anders versuchen.«

Ich drückte die schwere Vordertür auf und wir traten vorsichtig ins Innere. Die Bilder hingen noch da. Ich sagte: »Gut. Lasst uns so viele wie möglich mitnehmen und sie in den Kofferraum legen. Dann verschwinden wir.«

Schnell und nahezu lautlos nahmen wir die Bilder und Zeichnungen von den Wänden und brachten sie hinaus zum Kofferraum von Jims Auto. Es waren etwa 50 oder 60 Bilder und als wir endlich fertig waren, wurde der hintere Teil des Wagens vom Gewicht der schweren Bilderrahmen heruntergedrückt.

Jane, die noch immer auf dem Rücksitz saß, schaute auf. »Ist alles in Ordnung? Ich fühle mich so seltsam.«

»Keine Angst«, sagte Jim. »Wir nehmen Sie mit zum Krankenhaus und werden Sie untersuchen.«

»Oh, nein, nein«, antwortete sie. »Es geht mir gut, ehrlich. Ich schätze, ich leide nur unter einem Schock.«

»Wie auch immer, eine gründliche Untersuchung kann doch nicht schaden.«

Jim stieg in den Wagen und startete den Motor. George Thousand Names sagte: »Wir müssen einen sicheren Platz für die Bilder finden. Einen kleinen Ort, den ich mit einem magischen Bann leicht schützen kann.«

»Wie wäre es mit meiner Wohnung?«, schlug ich vor. »Ich habe ein wirklich kleines Apartment – wenn man sich mit einem Baseballschläger hinter die Eingangstür stellt, dann kann man Horden von Barbaren eine Woche lang auf Distanz halten.«

»Das klingt gut. Können Sie uns den Weg weisen?«

Wir fuhren zu meinem Apartmenthaus. Sam, der Portier, sah uns mit unverhohlenem Misstrauen zu, als wir die ganzen Bilder in den Aufzug stopften und mit rauf nahmen. Ich schloss die Tür meines Apartments auf und wir stapelten all die Bilder in meiner kleinen Diele unter dem Poster von Dolly Parton.

Ich trat zurück und rieb mir den Staub von den Händen. »Okay. Was ist jetzt mit dem magischen Schutz?«

George Thousand Names sagte: »Ich würde gern zuerst etwas trinken.«

Wir gingen in mein winziges Wohnzimmer. Dort öffnete ich meinen schwarzen Cocktail-Schrank mit den goldenen Verzierungen und goss uns vier Hiram Walkers ein. Eigentlich mag ich diesen Whisky kanadischen Typs gar nicht so gerne, hatte aber gerade nichts anderes anzubieten. Wir vier standen müde und erregt da und tranken ihn wie Medizin.

»Ich werde das hier an Ihre Tür hängen«, sagte George Thousand Names zu mir. Er holte ein kleines Halsband aus Knochen aus der Tasche seiner Windjacke und hielt es hoch. Es sah nach nichts Besonderem aus. Die Knochen waren alt und trocken und farblos. Offensichtlich waren sie einmal rot und grün bemalt gewesen, doch davon war das meiste verschwunden.

»Dies ist das Halsband, das unser alter Held Broken Shield getragen hat, als er den Leech Lake Mountain hinaufstieg und den Donnergott herausforderte. Historisch ist es unbezahlbar. Es wird um die 3.000 Jahre alt sein. Aber es wurde gemacht, um benutzt zu werden. Deshalb möchte ich, dass Sie es heute Nacht behalten, denn Coyote von Big Monsters Skalp fernzuhalten ist weit wichtiger als irgendeine Reliquie, egal, wie wertvoll sie für uns ist. Coyote wird es nicht wagen, sie anzufassen. Falls er es tut, wird er den Zorn von Gitche Manitou heraufbeschwören, dem Großen Geist persönlich.«

»Ich dachte, Coyote sei ein Dämon, der vor nichts und niemandem Angst hat und sich mit allen anlegt«, sagte Dr. Jarvis.

»Das ist richtig«, bestätigte George Thousand Names. »Aber wie alle überheblichen und bequemen Dämonen bevorzugt er ein ruhiges Dasein – der Zorn von Gitche Manitou würde ihm seine Freuden für die nächsten 5.000 Jahre sicherlich verdrießen.«

»Freuden?« Jim schüttelte ungläubig den Kopf.

»Dr. Jarvis«, erwiderte George Thousand Names. »Bitte denken Sie daran, dass für einige der wilden Dämonen das Verschlingen eines Menschen nicht weniger vergnüglich ist wie für uns das Essen eines Tütchens mit gerösteten Erdnüssen.«

George Thousand Names hängte das Halsband um den Griff meiner Wohnungstür und murmelte einige Beschwörungsworte darüber. Dann sagte er: »Ich nehme an, dass wir alle müde sind, aber für morgen müssen wir alle ausgeruht sein. Ich schlage vor, dass wir uns etwas Schlaf gönnen. Ich habe mir von meiner Bekannten ein Zimmer im Mark Hopkins reservieren lassen. Könnten Sie mich bitte dorthin fahren, Doktor?«

»Aber sicher«, entgegnete Jim. »Wie ist das mit dir, Jane? Kann ich dich irgendwo absetzen?«

Jane hatte die ganze Zeit in sich gekehrt auf meinem Lieblingssessel gehockt. Sie sagte mit flacher Stimme: »Nein, schon gut. Falls John nichts dagegen hat, dann möchte ich hierbleiben.«

»Etwas dagegen haben? Du willst mich wohl auf den Arm nehmen.«

George Thousand Names trat auf mich zu und schüttelte mir die Hand. Leise sagte er: »Ich möchte Ihnen danken, dass Sie genug Vorstellungsvermögen hatten, zu sehen, was hier wirklich vor sich ging. Dadurch haben wir zumindest eine kleine Chance.«

Sie wollten gerade gehen, als mein Telefon läutete. Ich winkte sie wieder ins Zimmer und nahm den Hörer ab.

»John Hyatt.«

Es war Lieutenant Stroud. »Sie sind also wieder zu Hause, hmm? Ich habe Sie gesucht. Ist dieser Indianer bei Ihnen?«

»George Thousand Names? Ja.«

Der Polizist hüstelte: »Wir hatten eine kleine Schwierigkeit auf dem Bayshore Freeway, kurz hinter Millbrae. Der Krankenwagen mit Dr. Crane und dem Körper von Seymour Wallis wurde gewissermaßen überfallen.«

»Überfallen? Sie meinen von Coyote?«

Der Lieutenant stieß laut den Atem aus. »Gut, wenn Sie es so nennen wollen. Der Fahrer des Krankenwagens berichtete, dass er ganz normal über den Freeway fuhr, als sich plötzlich ein gewaltiger Koloss auf der Fahrbahn vor ihm aufrichtete. Er konnte als Einziger lebend entkommen. Dr. Crane, es tut mir leid, dass ich das sagen muss, ist tot. Verbrannt, ebenso meine beiden Mitarbeiter.«

Ich legte meine Hand über die Sprechmuschel und sagte zu Dr. Jarvis: »Jim. Dr. Crane ist tot. Es tut mir leid. Coyote hat den Krankenwagen kurz hinter dem Flughafen überfallen.«

George Thousand Names sah todernst aus. »Das Blut«, wollte er wissen. »Hat er das Blut bekommen?«

»Mr. Thousand Names möchte wissen, ob Coyote das Blut bekommen hat«, gab ich Lieutenant Stroud durch.

Er räusperte sich: »Sagen Sie ihm, dass man Seymour Wallis eine halbe Stunde später in der Bucht gefunden hat. Er war so ausgesaugt, dass der Mann, der ihn entdeckt hat, zuerst dachte, er hätte einen toten Haifisch gefunden.«

Ich vermochte nur noch zu sagen: »Das war’s dann also. Was können wir noch tun? Haben Sie irgendeine Ahnung, wo Coyote jetzt steckt?«

»Die APB und die SWAT-Mannschaft sind draußen und überprüfen jedes mögliche Versteck. Aber wenn Sie mich fragen, ich schätze, es ist hoffnungslos.«

»Danke, Lieutenant«, sagte ich und legte den Hörer auf.

In dem ersten Morgenschimmer, der in mein Zimmer drang, sah George Thousand Names müde und erschöpft aus. Er strich sich mit den knorrigen Fingern durch sein weißes Haar. »Hoffen wir nur, dass wir diesen Kampf nicht verlieren, Freunde. Falls Coyote seine gesamten Kräfte erlangen wird, dann kann ich euch nicht beschreiben, welch ein Gemetzel er veranstalten wird.«

Jane schaute plötzlich auf und lächelte. Ich erinnere mich, dass mir dieses Lächeln äußerst seltsam vorkam. Verdammt, was gab es denn jetzt, worüber man lächeln konnte?

Ich richtete Jane ein provisorisches Bett auf dem Sofa her. Ich war zu erschöpft und erschüttert, um daran zu denken, sie zu verführen – außerdem benahm sich Jane so geistesabwesend und zurückhaltend, dass sie, hätte ich laut gerufen: »Komm, lass uns Liebe machen!«, höchstens »Wie bitte?« gefragt hätte.

Sie wickelte sich in eine Decke und schlief sofort ein. Ich ging durch die Wohnung, schaltete die Lampen aus und zog die Vorhänge vor, aber irgendwie war mir gar nicht danach, mich hinzulegen und die Augen zu schließen. Ich ging in die Diele und sah mir einige der Zeichnungen des Mount Taylor an. Das Glas in den Rahmen war ziemlich staubig und fleckig und die meisten der Bilder wiesen Stockflecken auf, aber wenn man sie näher betrachtete, erkannte man, dass jemand unter jedes Bild etwas mit Bleistift geschrieben hatte: Mount Taylor von Lookout Mountain aus gesehen, oder Mount Taylor von San Mateo aus gesehen. Ähnliche Anmerkungen standen unter den Bildern vom Cabezon Peak, etwa Cabezon Peak von San Luis aus gesehen.

Auf Zehenspitzen ging ich durch das Wohnzimmer und holte eine Straßenkarte aus einer Schublade. Dann schlich ich zurück in die Küche, schloss die Tür und faltete sie auf dem Tisch auseinander. Rundherum legte ich so viele Bilder vom Mount Taylor und Cabezon Peak, wie noch Platz blieb. Ich legte ein Blatt Wachspapier über die Karte, nahm einen Stift und markierte darauf die Stellen, von denen jede der Ansichten auf die Berge gezeichnet worden war.

Um mich wach zu halten, rauchte ich dabei eine halbe Packung Zigaretten und braute mir eine große Kanne schwarzen Kaffee, während das Sonnenlicht das Küchenfenster heraufwanderte und im Wohnzimmer die Wanduhr zu jeder vollen Stunde leise schlug.

Gegen neun Uhr hatte ich fast jeden Blickwinkel markiert. Ich hielt das Wachspapier hoch und bewunderte das entstandene Muster aus sauberen X-en, das ich darauf gezeichnet hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie alle bedeuteten. Zum Teufel noch mal – sie schienen keinerlei Muster zu bilden, doch ich hatte die Hoffnung, dass George Thousand Names mich möglicherweise erleuchten könnte.

Ich steckte das Blatt in meine Hosentasche, ging durch die Küche, setzte Wasser für eine weitere Kanne Kaffee auf und stellte den kleinen tragbaren Fernseher an, den mir meine Mutter letztes Weihnachten geschenkt hatte. Nach einigen Reklamesendungen für Zucker-Frosties und einer blöden Plastikschleuder, mit der sich Action-Man über die Hecke des Nachbarn schießen ließ, erwischte ich die Nachrichten über den Krankenwagen, aus dem Seymour Wallis’ Leiche entführt worden war.

Der Ansager berichtete: »Die SWAT-Einheit von San Francisco jagt noch immer einen unheimlichen Entführer, der einen Krankenwagen auf dem Weg vom Elmwood Foundation Hospital zur Redwood City Clinic überfiel und die Leiche von Seymour Wallis stahl, der in unserer Stadt wohnte. Der Entführer wird von den Beamten als ›bewaffnet und sehr gefährlich‹ beschrieben. Er verletzte den begleitenden Arzt Dr. Kenneth Crane sehr schwer, ebenso Miguel Corralitos, einen 27-jährigen Krankenpfleger. Der Körper von Mr. Wallis wurde später von einem Fischer in der Bucht hinter Millbrae gefunden. Bis jetzt hat die Polizei keinen Hinweis auf die Gründe für diese Tat, aber sie versprach, schnellstmöglich neue Informationen bekannt zu geben.«

Danach folgte ein Bericht über Orangen-Mehltau auf einer Fruchtfarm vor der Stadt. Ich schaltete den Fernseher aus.

Also war Coyote noch frei, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, welche Form er jetzt angenommen haben könnte oder wo er sich aufhielt. Was tut ein widerlicher Dämon während des Tages? Er kann unmöglich durch die Straßen von San Francisco streifen, besonders nicht mit Lieutenant Stroud und der SWAT-Mannschaft auf seiner Fährte. Falls er überhaupt eine Spur hinterließ.

Mein Kaffeewasser begann zu gurgeln und zu sprudeln. Ich schreckte richtig zusammen. Während ich hinaus auf die Hinterhöfe der umliegenden Apartmenthäuser schaute, zündete ich mir noch eine Zigarette an. Es war Sonntag. Auf der Feuerleiter saß ein schwangeres Mädchen im Kittel und bürstete ihr Haar in der Morgensonne trocken. Ich hustete und wünschte, ich könnte mit dem Rauchen aufhören. Im Augenblick zumindest schien es wenig Sinn zu ergeben. Wenn der Krebs mich nicht holte, dann würde es wahrscheinlich Coyote tun.

Das Telefon läutete. Ich nahm den Hörer ab. »John Hyatt.«

Es war George Thousand Names, der vom Mark Hopkins aus anrief. »Haben Sie gut geschlafen?«, fragte er.

»Gar nicht«, sagte ich. »Ich habe den Rest der Nacht damit verbracht, die verschiedenen Blickwinkel auf Mount Taylor und Cabezon Peak aufzuzeichnen.«

»Sieht es nach etwas Interessantem aus?«

»Tja, könnte sein. Aber ich glaube, jemand müsste es richtig deuten. Ich war nie besonders gut in Trigonometrie.«

»Möchten Sie rüber zu mir kommen? Solange das Halsband an der Tür hängt, wird Ihre Wohnung geschützt sein.«

»Da sind Sie sich sicher?«

»Sicher bin ich sicher. Auf jeden Fall wird Coyote jetzt sowieso ausruhen, um das Blut in seinem Körper zu absorbieren.«

»Ich frage mich, was Dämonen so am Tag treiben.«

»Dämonen sind Wesen der Dunkelheit«, sagte George Thousand Names. »Bei Sonnenlicht ist ihre Kraft geschwächt. Sie können also darauf wetten, dass Coyote sich in irgendein verlassenes Haus verzogen hat oder in einen Abwasserkanal. Vielleicht hat er sich sogar nach 1551 zurückgezogen.«

»Wäre es nicht gut, wenn wir versuchen würden, ihn jetzt bei Tageslicht aufzustöbern?«

»John … wenn ich sage, dass seine Kräfte geschwächt sind, dann meine ich damit nicht, dass er überhaupt keine Kräfte hat. Wenn wir uns dieser Kreatur nähern, sind wir totes Fleisch. Ich meine das ernst.«

»Danke für die erfreuliche Nachricht. Ich werde etwa in einer Stunde bei Ihnen sein. Ich möchte erst einmal duschen, denn ich stinke wie ein Schwein.«

»Okay«, sagte er. »Vergessen Sie nicht, Ihre Karte mitzubringen.«

Ich wollte gerade antworten: »absolut nicht«, als mir die Worte auf den Lippen erstarben. Die Küchentür hatte sich einen Spalt geöffnet und draußen stand etwas und beobachtete mich.

Ich sah das Glitzern dunkler Augen und einen düsteren Umriss. Mich überkam das Gefühl, als verschwinde die Welt unter mir, und jeder Nerv meines Körpers kribbelte und zitterte vor Angst.

»Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«, fragte die leise, weit entfernte Stimme von George Thousand Names.

»Warten Sie. Da steht etwas vor meiner Tür. Ich weiß nicht, was es ist. Warten Sie.«

»Welche Tür?«, fragte er.

»Die Küchentür. Die Küchentür, es ist …«

Die Tür wurde so hart aufgestoßen, dass Holzsplitter und herausgerissene Türangeln durch den Raum flogen. Ich schrie laut auf, warf mich von meinem Stuhl und krabbelte über den Boden zum Spülbecken. Dort bewahrte ich in einer Schublade meine Messer auf – ich brauchte jetzt eine Waffe.

Das Biest kam wie eine Flutwelle aus schwarzem Pelz durch die Tür. Es war ein Bär, ein massiver, voll ausgewachsener Grizzly, fast 150 Kilo Haare, Muskeln und bösartig gekrümmte Krallen. Er stieß heftig gegen die Küchenmöbel. Der Fernseher, die Kaffeemaschine und das Gewürzregal krachten herab und zersplitterten auf dem Boden.

Als der Bär sich umdrehte, schnaubte er böse. Ich zog die Küchenschublade zu schnell und zu kräftig auf und ein Regen aus Messern, Gabeln, Apfelentkernern und anderen Geräten ergoss sich um mich herum.

Ich duckte mich, ergriff mein größtes Küchenmesser und rollte mich, so schnell ich konnte, in Richtung der zerbrochenen Tür. Der Bär blieb stehen und schnaubte heftig. Erst jetzt sah ich ihn richtig an.

Es war nicht nur ein riesiges Biest mit zotteligem Fell und strengem animalischem Geruch. Es hatte ein bleiches weißes Gesicht – bleich wie das einer Frau, jedoch mit gelblichen Zähnen, die bei jedem Schnauben und Brummen zum Vorschein kamen. Ich starrte es an, versuchte zu verstehen, was es war, was es sein könnte. Ich war so geschockt und entsetzt, dass ich es erst einmal nicht fassen konnte, und ich vermochte meinen Verstand nicht darauf zu konzentrieren, dass dieses schreckliche Biest tatsächlich existierte.

Es war Jane. So brutal und wild sie auch waren, diese Augen waren ihre Augen. Dieses Gesicht war ihr Gesicht. Die seltsame Statue auf dem Treppengeländer in Seymour Wallis’ Haus war zum Leben erwacht. Und sie stand hier.

Ich flüsterte: »Jane.«

Sie antwortete nicht, schnaubte nur und kam unbeirrbar auf mich zu, ihre scharfen Pranken kratzten auf dem Küchenboden. Speichel tropfte von ihren Zähnen herab und in ihrem Gesichtsausdruck stand alleine blinder, animalischer Hass.

»Jane, hör doch.« Meine Stimme war nur ein Krächzen. Die ganze Zeit versuchte ich rückwärts zur Tür zu kommen. Ich sah, wie sich die Muskeln unter dem rauen, glänzenden Fell anspannten, und wusste, dass sie mich gleich anspringen würde. Dieses Mal verfehlte sie ihr Ziel wohl kaum.

Auf dem Boden wiederholte der Telefonhörer immer wieder: »John? John? Was ist los, was ist passiert?«

Man hörte ein kurzes Trommeln der scharfen Krallen, dann sprang die Bärenfrau mit der Gewalt eines riesigen schwarzen Autos auf mich zu. Ich weiß, dass ich schrie, aber es geschah dieses Mal mit aggressiver Verzweiflung, diese Art Banzai-Schrei, der einem in der Armee beigebracht wird, um das Adrenalin hochzupumpen.

Als der gewaltige Bär auf mich zusprang, riss ich meinen Arm zurück und schlug ihm mit dem Fleischmesser mitten ins Gesicht. Das half wenig. Die Kraft des Sprunges warf mich gegen die Wand. Wir fielen auf den Boden in einer scheußlichen Umarmung von Blut, Fell und Klauen. Ich glaube, ich war für einen Moment bewusstlos, aber dann gelang es mir, etwas von dem Gewicht auf meinen Beinen und Hüften zur Seite zu schieben und sie herumzurollen.

Zuerst dachte ich, die Bärenfrau wäre tot. Das Messer hatte sie auf der linken Hälfte des Gesichtes getroffen und dort ein tiefes, blutiges V in ihre Stirn geschnitten und zudem ihr linkes Auge verletzt. Die Schnelligkeit ihres eigenen Sprungs hatte den meisten Schaden angerichtet, denn ich hätte niemals auf jemanden so heftig eingestochen. Ich kniete neben ihr, zitternd und vom Schrecken ergriffen. Fast wären mir meine letzten Tassen Kaffee hochgekommen.

Sie öffnete ihr rechtes Auge und sah mich an. Ich zuckte nervös zusammen und stand auf, um außer Reichweite dieser Klauen und Zähne zu kommen. Sie lächelte. Eine Art bitteres und selbstzufriedenes Grinsen.

»Mein Herr wird dich jetzt haben wollen«, flüsterte sie. »Er hat so lange auf seine wunderschöne Bärenjungfrau gewartet, und schau, was du getan hast. Mein Herr wird dich hetzen und dafür sorgen, dass du den schlimmsten Tod stirbst, den man sich nur vorstellen kann.«

Ich fragte schwerfällig: »Jane?«

Obwohl das Gesicht so aussah wie das von Jane, so gab es jedoch nichts im Verstand dieser Kreatur, das an Jane erinnerte oder dass sie mich überhaupt kannte. Sie lag da, keuchte und blutete. Ich hatte sie nicht getötet und es würde nicht lange dauern, bis sie mich wieder angriff.

Aus dem Telefonhörer drang: »Hallo? Hallo? John!«

Ich nahm es vom Boden auf. »Ich bin hier, George. Im Augenblick geht es mir gut. Die Bärenfrau ist hier. Es ist Jane. Die Bärenfrau ist Jane.«

»Hauen Sie dort ab, schnell, solange Sie noch die Chance dazu haben.«

»Sie ist verletzt. Ich habe sie mit einem Fleischermesser getroffen.«

»Das wird Coyote nicht gefallen. Hören Sie, nehmen Sie Ihre Karte und ab dafür.«

»Ab dafür? Das habe ich ja ewig nicht gehört, seit meiner Kindheit nicht mehr.«

»John, Sie sind hysterisch. Machen Sie schnell, dass Sie da rauskommen.«

Mit zitternden Knien schnappte ich mir die Straßenkarte und die Brieftasche und sprang über die zuckenden Beine der Bärenfrau zur Tür. Sie rollte ihren Augapfel herum, um mich zu sehen. Sie flüsterte: »Coyote wird dich kriegen. Nur keine Sorge.«

Ich riss die Wohnungstür auf, lief hinaus und bevor ich sie wieder schloss, schaute ich nach, ob das Halsband noch fest um den Türgriff gedreht war. Dann lief ich mit weichen Knien zum Aufzug. Erst als ich auf der Straße ein Taxi angehalten hatte und wir uns bereits mitten im Verkehr befanden, merkte ich, dass mir schlecht wurde.

Ich tippte der Fahrerin auf die Schulter.

»Ja, was is’n?«, fragte sie.

»Entschuldigung, ich glaube, ich muss mich übergeben.«

Sie drehte den Kopf zu mir und starrte mich an. Eine Zigarette hing an ihrer Unterlippe. »Mister«, sagte sie, »das hier ist keine verdammte Airline. Kotztüten gibt’s hier nicht.«

»Was dann? Was soll ich jetzt tun?« Ich schwitzte.

Sie fuhr mit 40 Meilen in der Stunde über eine Kreuzung, die Federung des Taxis wogte wild auf und ab. »Schlucken Sie’s runter.« Und damit war die Diskussion beendet.

Es mag sein, dass Indianer selbstbeherrscht und asketisch sind, aber an diesem Morgen war George Thousand Names nicht so selbstbeherrscht, dass er nicht meine Hand in seine beiden nahm, als ich durch die Tür seines Zimmers im Mark Hopkins trat, und er war auch nicht so asketisch, dass er uns nicht beiden einen großen Jack Daniels einschenkte.

»Es ist ein Albtraum. Die ganze verfluchte Sache ist ein Albtraum«, sagte ich.

Er trug einen roten Satin-Morgenmantel und Slipper, die komplett mit Perlen bestickt waren. Er wirkte wie ein Star in einem Cowboy-Film, produziert von Liberace. »Das ist der schlimmste Fehler, den Sie machen können, zu denken, dass es ein Albtraum ist. Wenn Sie das glauben, werden sie die Augen vor allem schließen, was passiert, und ständig hoffen, aufzuwachen. Aber Sie sind wach, John, und das alles passiert wirklich.«

»Aber wie zur Hölle kann eine Frau, die ich kenne, eine Frau, in die ich verliebt war, verdammt, die ich immer noch liebe, sich in eine solche Kreatur verwandeln?«

Der alte Indianer setzte sein Glas auf dem Fernseher ab. Auf dem Bildschirm verkündete irgendein Golfpromi die Vorteile einer Zahnpolitur.

»Sie war ein Bär, George. Sie hatte überall Haare, nur ihr Gesicht war frei. Und sie erkannte mich nicht einmal. Ich konnte nichts sagen. Sie kam quer durch die Küche auf mich zu wie eine Lokomotive, und sie hätte mich getötet, wenn ich ihr die Chance dazu gegeben hätte.«

George Thousand Names setzte sich auf die Bettkante. Es sah nicht benutzt aus. Ich hatte mal gehört, dass gut trainierte Indianer im Stehen schlafen können. Vielleicht war das ja nur ’ne blöde Legende, aber irgendwie konnte ich mir gut vorstellen, wie George Thousand Names in einer Ecke stand, die Arme ineinander verschränkt, und friedlich durch die Nacht schnarchte.

»Irgendwann in der Zwischenzeit, in der Sie Jane fortgeschickt haben, um den Türklopfer zu holen, und bis wir sie in der 17th Street fanden, muss Coyote sie angefallen haben.«

Ich nahm einen großen Schluck Whisky. »Angefallen? Ich verstehe nicht!«

George Thousand Names sah zu mir herüber mit ehrlicher Besorgnis. In diesem Moment spürte ich für diesen Mann zum ersten Mal echte Gefühle, wie ein Sohn sie für seinen Vater empfinden sollte. Er sorgte sich um mich und verstand mich, aber er war auch zynisch und weise, und man wusste, dass alles, was er sagte, Gottes ehrliche Wahrheit war. Oder die ehrliche Wahrheit des Manitou.

»Coyote ist der lüsternste aller Dämonen. Er hat sie wahrscheinlich vergewaltigt. Es gibt ein altes Navaho-Lied über das Zusammentreffen von Coyote und einer Jungfrau auf einem Bergpfad. Eines Tages traf Coyote auf dem Bergpfad eine junge Frau. Was hast du in dem Paket, fragte sie. Fischeier, antwortete Coyote. Kann ich welche davon haben?, fragte die Jungfrau. Nur, wenn du die Augen schließt und dein Kleid hochhebst. Sie tat, was ihr gesagt wurde. Höher, sagte Coyote und trat an die Frau heran. Ich kann nicht, sagte sie, irgendetwas krabbelt zwischen meinen Beinen herum. Keine Sorge, sagte Coyote, es ist ein Skorpion, ich fang ihn. Dann ließ die Frau ihr Kleid fallen. Du warst nicht schnell genug, er hat mich gestochen.«

Er hatte den Text des Liedes mit flacher, monotoner Stimme aufgesagt. Als er geendet hatte, schaute er mich an. »Verstehen Sie? Er ist ebenso listig wie brutal. Wenn ich sage, angefallen, dann meine ich verführt.«

Ich konnte es nicht glauben. »Das Ding, das Ding, das wir vergangene Nacht gesehen haben, das hatte Sex mit Jane?«

George Thousand Names nickte. »Höchstwahrscheinlich. Der Legende nach wuchsen der Bärenjungfrau das Fell und die Krallen erst, nachdem Coyote ihren Verstand mit den übelsten Gedanken verdorben hatte. Tut mir leid, John, aber wenn wir dieses Wesen schlagen wollen, müssen wir den Tatsachen in die Augen sehen.«

»Oh, sicher.« Bitterkeit stieg in mir hoch. Von all den Menschen, warum Jane? Wäre ich nicht so dumm gewesen und hätte sie losgeschickt, dann wäre sie vielleicht verschont geblieben.

George Thousand Names ging zum Fenster und spähte durch die Gardinen des Hotels hindurch auf die Innenstadt von San Francisco. »John«, sagte er, »ich weiß, dass Sie das ziemlich trifft, aber begreifen Sie bitte, dass wir hier einer Situation ausgesetzt sind, in der wir um Leben und Tod kämpfen.«

Ich versuchte zu lächeln. »Es hängt davon ab, wessen Leben, oder?«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht wessen Leben, sondern wie viele Leben. Da draußen leben Leute, John, Tausende, und falls Coyote durchdreht, wird er diese Straßen schnell in ein bluttriefendes Schlachthaus verwandeln. Coyote ist ein tobsüchtiger Killer, John. Wahnsinniger als alle Wahnsinnigen. Der einzige Weg, ihn zu zerstören, ist, ihn zu überlisten und dafür zu sorgen, dass er Big Monsters abgeschnittenes Haar nicht findet.«

»Aber alle Bilder sind in meiner Wohnung.«

»Haben Sie die Tür mit dem Halsband versiegelt?«

»Natürlich.«

»Dann kann die Bärenfrau nicht heraus und Coyote nicht hinein. Das hoffe ich zumindest.«

Ich nahm eine Zigarette und zündete sie an. Sie schmeckte erbärmlich, aber ich brauchte etwas, um meine Nerven zu beruhigen. »Was tun wir jetzt?«

Er rieb sich das Kinn. »Ich schätze, wir sollten versuchen herauszufinden, wo das Haar von Big Monster sein kann«, schlug er vor. »Danach sollten wir versuchen, mit der Bärenfrau fertigzuwerden. Sie ist zwar sehr wild, aber ich glaube, ich habe Bannsprüche, die sie zähmen können. Wenn wir das getan haben, suchen wir nach dem größeren Übel: Coyote selbst.«

»Na, ich hoffe nur, dass wir das Ende dieses Tages noch erleben.«

George Thousand Names lächelte: »Die Costanoan-Indianer, die hier in San Francisco schon lebten, bevor die Spanier ankamen, hatten ein Gebet, das folgendermaßen lautet: ›Wenn der Abend kommt, gib mir die kleine Dunkelheit und nicht die große.‹«

Ich breitete meine Straßenkarte auf dem Tisch aus und nahm das zerknitterte Wachspapierblatt aus der Tasche, das ich am Morgen mit den Markierungen übersät hatte. Wir legten es auf die Landkarte und George Thousand Names betrachtete es gewissenhaft wie ein skeptischer Kunstexperte. Er rümpfte mehrmals die Nase und seine Lippen bewegten sich in einem lautlosen Flüstern, als er die Namen einiger Orte und Berge ausmachte. Nach einer Weile setzte er sich auf die Lehne der Couch und krauste konzentriert die Stirn.

»Also?«, fragte ich. »Was bedeutet das?«

Er sah mich an. »Ich bin nicht sicher. Es ist eine sehr ungewöhnliche Auswahl von Blickwinkeln, sehr unähnlich den Bilddiagrammen, die Indianer normalerweise zeichnen, um Wasserstellen zu bestimmen. Schauen Sie sich das hier an – Sie werden feststellen, dass es sich um mehrere gleichförmige Kurven handelt. Das haben Navahos nie in ihre Karten von den Wüstenbereichen eingezeichnet. Die Zeit war zu kostbar und das Land zu unwirtlich. Man malte die Bilder, wo es gerade möglich war, und um Symmetrie kümmerte sich niemand.«

»Was beweist es dann? Dass es nicht echt ist?«

George Thousand Names schüttelte den Kopf. »Nein. Wir sind mit Sicherheit auf der richtigen Spur. Schon die Tatsache, dass hier ein Muster vorliegt, ist bedeutungsvoll. Wir müssen nur herausfinden, was das Muster bedeutet.«

»Und wie stellen wir das an?«

Er hielt das Wachspapier gegen das Fenster. »Tja, ich habe das Gefühl, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Karte handelt. Diese Bilder vom Mount Taylor und Cabezon Peak haben eine magische Bedeutung, denn sie waren die Heimat von Big Monster. Aber ich frage mich langsam, ob Big Monsters Haar tatsächlich dort in dem Gebiet versteckt liegt oder ganz woanders.«

Er ging durch das Zimmer und öffnete seine braune, schweinslederne Aktentasche. Dann kam er mit einer kleinen Glasampulle zum Tisch zurück, in die offenbar ein schwarzes Pulver gefüllt worden war.

»Ich hoffe, das Übernatürliche wird Ihnen nichts ausmachen«, sagte er.

»Warum sollte es?«

»Nun … Sie sind ein Weißer. Und es ist lange her, dass die Weißen das Übernatürliche so verstanden haben, wie es wirklich ist.«

Nach alledem, was ich bisher durchgemacht hatte, und in Anbetracht des Umstandes, dass ich diesen Mann nach San Francisco geholt hatte, verdross mich die Unterstellung, dass ich auch nur ein weißer Blindgänger sein sollte. Aber ich erwiderte nur: »Eines Tages werden die Indianer erkennen, dass nicht alle Bleichgesichter gedankenlose Barbaren sind.«

George Thousand Names schob eine Augenbraue in die Höhe. »Die Indianer, die noch übrig sind.«

Wir beendeten dieses Gespräch mit dieser Entgegnung. Da Coyote sich befreit hatte, war jetzt sicher nicht der Augenblick, alte Bitterkeiten hervorzukramen. Aber ich wusste, dass ich mit George Thousand Names irgendwann zusammensitzen und eine ernsthafte Unterhaltung führen würde, falls wir lebendig aus dieser ganzen Sache herauskamen. Durch Coyotes Reinkarnation wurde mir zum ersten Mal in meinem Leben bewusst, dass Amerika nicht unser Land war, es nicht weißes Land war. Die Spanier waren erst 1775 in San Francisco gelandet und all die Jahrhunderte zuvor hatten die Legenden und die magischen Vorstellungen der Indianer dieses Land geprägt. In den verlassenen Bergen hier wohnten Dämonen und Geister, aber die waren nicht weiß – und die schwächliche Magie des Weißen Mannes kümmerte sie einen Dreck.

Während ich ihn beobachtete, öffnete George Thousand Names die Ampulle und streute bläulich-grauen Staub auf mein Wachspapier. Er blies vorsichtig darüber und flüsterte einige Worte. Direkt vor meinen Augen huschte der Staub über das Papier und formte sich wie Eisenspäne, von einem Magneten angezogen, zu einem Muster. Nach ein paar Sekunden hatte sich ein Kurvenmuster gebildet, das die von mir mit dem Stift eingezeichneten Punkte miteinander verband.

Er betrachtete das Bild und lächelte dann: »Nun, Wunder wird es immer geben.«

»Was bedeutet das?«

Er deutete auf das Muster: »Das ist ein sehr altes Symbol. Mit sehr alt meine ich, dass es mit der heutigen Indianersprache so viel zu tun hat wie Mittelenglisch mit der modernen amerikanischen Sprache. Man kann es nur schwer präzise ausdrücken, aber es bedeutet ungefähr: ›Diesen Ort wirst du eines Tages von der nördlichen Zeltstange im Tipi der Bestie sehen.‹«

Ich blinzelte. »Ich schätze, ich bin immer noch nicht klüger.«

George Thousand Names sah mich behutsam an. »Es ist doch ziemlich klar. Das Tipi der Bestie ist Haus Nummer 1551 in der Pilarcitos Street. Sie erinnern sich doch, wie das dreimal 6 ergab. Die nördliche Zeltstange bedeutet der Blick von der höchsten Stelle des Hauses in Richtung Norden. Was immer man von dort aus sieht, ist die Stelle, wo Big Monsters Haar versteckt wurde.«

»Dann … um Himmels willen. Worauf warten wir denn noch? Fahren wir dorthin!«

»Geben Sie mir drei Minuten, damit ich mich baden und anziehen kann. Inzwischen können Sie doch Dr. Jarvis anrufen und ihm sagen, wohin wir fahren. Falls er die Zeit hat, möchte er vielleicht mit uns kommen.«

Der alte Indianer ging ins Badezimmer und ließ Wasser in die Wanne laufen, ich setzte mich auf das Bett und nahm das Telefon. Ich wählte die Nummer des Elmwood Foundation Hospitals und bat, mich mit Dr. Jarvis zu verbinden.

»Es tut mir leid, Sir«, sagte die Telefonistin. »Dr. Jarvis ist im Augenblick nicht im Haus.«

»Kann ich ihn denn irgendwo erreichen?«

»Ich glaube nicht. Er hat das Hospital vor 20 Minuten in Begleitung einer jungen Frau verlassen.«

Ich seufzte. »Okay. Können Sie ihm eine Nachricht hinterlassen? Sagen Sie ihm, John Hyatt hat angerufen.«

»Ach, Sie sind’s, Mr. Hyatt. In diesem Fall wissen Sie vielleicht, wohin er gegangen ist. Er verließ das Haus zusammen mit einer Freundin von Ihnen.«

»Was sagen Sie?«

»Ein hübsches Mädchen mit langem Haar. Miss Torresino.«

Einen Augenblick lang wusste ich nicht, was ich sagen oder tun sollte. Mein Mund war sehr trocken, als hätte ich zu viele Cracker gegessen. Ich legte meine Hand über den Hörer und schrie: »George!«

Der Medizinmann erschien in ein langes Handtuch gewickelt im Türrahmen. »Ich habe gerade das Krankenhaus angerufen. Sie haben mir gesagt, dass Jim vor etwa 20 Minuten mit Jane fortgegangen ist.«

»Bitte?«

»Das haben die mir gesagt.«

Er begann sich hastig abzutrocknen. »Das heißt, dass wir uns jetzt wirklich beeilen müssen. Wenn Jane aus Ihrem Apartment herausgelangen konnte, dann wird Coyote wissen, wo er Big Monsters Haar zu suchen hat. Die ganzen Bilder waren ja dort, nicht?«

Ich sagte in den Hörer noch ein »Tausend Dank«, legte auf und fragte: »Was ist passiert? Ich dachte, das Halsband würde sie daran hindern, aus der Wohnung zu kommen.«

Während er in eine weite, geblümte Boxer-Shorts schlüpfte, sich aufs Bett setzte, um eine etwas zerknitterte Stoffhose anzuziehen, erklärte George Thousand Names: »Das Halsband war keine Garantie. Sie kann es irgendwie heruntergeschüttelt haben oder vielleicht hat es eine Putzfrau abgenommen. Vielleicht ist sogar Coyote gekommen und hat jemanden dazu gebracht, es fortzunehmen.«

»Aber trotzdem, George, sie ist ein Bär. Wie zur Hölle kann sie als Bär durch die Straßen laufen?«

Er band sich die Schuhe zu und griff nach einer lässigen, blauen Jacke. »Sie ist ein Bär und sie ist doch keiner. Das Haar und die Zähne, und ebenso die Krallen, das sind die physischen Manifestationen des Bösen, das ihr Coyote in den Verstand eingegeben hat. Aber das bedeutet nicht, dass sie ständig sichtbar sind. Das Bärenmädchen ist so etwas wie eine Jekyll-und-Hyde-Kreatur. Sie verändert sich nach Bedarf.«

»Sie meinen, dass sie jetzt wahrscheinlich ganz normal aussieht, aber sich jederzeit wieder in einen Bären verwandeln kann?«

Er nickte.

Ich seufzte tief und frustriert, legte meine Hand auf die Schulter von George Thousand Names und sagte ruhig: »Warum überlegen wir nicht, George, wohin sie wohl gegangen ist? Vielleicht weiß Lieutenant Stroud etwas?«

»Sie haben doch die Nachrichten gehört. Die Polizei sucht ein medizinisches Monstrum, keinen indianischen Dämon. Jetzt hat sich Coyote bestimmt irgendwo verkrochen, wartet auf den Einbruch der Nacht und lacht uns alle aus. Besonders Lieutenant Stroud.«

»Meinen Sie, dass Coyote in Nummer 1551 ist?«

»Möglich. Wenn es ihm wirklich gelungen ist, herauszufinden, wo Big Monsters Haar versteckt ist, dann schätze ich, dass das sogar so gut wie sicher ist.«

Einen Augenblick saßen wir da und blickten uns an. Beide fühlten wir mit Schrecken die enorme Last, die wir uns auferlegt hatten. Wir mussten uns ja nicht einmischen. Wir konnten alles Lieutenant Stroud und der SWAT-Mannschaft überlassen und das nächste Flugzeug nach Honolulu nehmen. Aber irgendwie fühlten wir beide, dass Coyote seine Boshaftigkeit in unser Leben gebracht hatte und dass es deshalb nur einen Ausweg gab. Der führte allerdings nicht nach Hawaii.

»George«, sagte ich ruhig. »Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, Coyote auszutricksen? Hat er denn irgendwo eine schwache Stelle, wo wir angreifen können?«

George Thousand Names starrte auf den Teppich. »Ich dachte, das Halsband würde wirken, doch offensichtlich war das nicht der Fall. Vielleicht hat Coyote während seines langen Schlafes neue Kräfte hinzuerlangt. Sein einziger schwacher Punkt, so heißt es in der Legende, war das Bärenmädchen … Doch das ist keine echte Schwäche, denn die Bärenfrau war ihm immer treu ergeben.«

»Was ist mit Big Monsters Haar?«

»Das ist die größte Bedrohung überhaupt. Sobald er es findet, besitzt er die Stärke, die er braucht, und außerdem Unsterblichkeit. Wenn das passiert, dann können wir nur noch davonlaufen.«

»Angenommen, wir finden es vorher?«

Der Indianer zuckte die Achseln. »Selbst wenn uns das gelingen würde, könnten wir doch nicht viel damit anfangen.«

»Könnten wir es nicht selbst tragen? Würde es uns Kraft geben?«

George Thousand Names sah mich an, als sei ich völlig irregeworden. »Wenn ein Sterblicher versucht, den Skalp eines Riesen oder Dämonen zu tragen, dann wird er von dem zerstört werden, was er sieht. Mit anderen Worten: Solange er es überlebt, und das wäre nicht lange, würde er selbst zu einem Dämon werden. Das könnte sein Verstand aber nicht ertragen. So sagten es die Hualapai-Indianer.«

Ich griff nach einer weiteren Zigarette. »Okay. Wir machen uns wohl am besten auf den Weg nach Pilarcitos. Etwas zu tun, ist besser, als gar nichts zu tun.«


Загрузка...