9

Der Pfad schlängelte sich mit erstaunlicher Regelmäßigkeit durch den Hain. Hätte Magus sie nicht mehr als einmal beruhigt, so hätte Huma geglaubt, daß sie im Kreis liefen.

Er mochte den Hain nicht, der selbst bei Tag düster und voller tiefer Schatten war. Ohne das Licht des Stabes wären sie sicher vom Pfad abgekommen.

Huma duckte sich vor einem dornigen Ast, der in den Weg hineinragte. Nach dem ersten, scharfen Kratzer einer der zahllosen Ranken hatte er sein Visier geschlossen. Dennoch schabte jeder Dorn an dem Metall um seinen Körper entlang, und Huma bahnte sich verstimmt Schritt für Schritt seinen Weg. Doch egal, wann er zurückblickte, nie hinterließen seine Bemühungen eine Spur.

Vor ihm ließ Kaz fluchend seine Streitaxt auf einen Dornenbusch herabsausen. Der verletzte Minotaurus hackte auf die Pflanze ein, bis nur noch Späne zurückblieben. Fast im selben Moment lief er mit dem Gesicht in eine herunterhängende Ranke. Die scharfen Klingen der Axt fuhren empor und hackten auch diese in Streifen.

Der abrupte Abhang nach der nächsten Biegung kam für alle überraschend. Die Erdbewegungen durch den Elementar narrten Magus. Sein Stab senkte sich, und der Magier, der Widerstand erwartet hatte, purzelte kopfüber nach vorn. Kaz, der nächste, stürzte über den Zauberkundigen. Huma wich aus, um nicht auch noch auf dem zappelnden Haufen zu landen, rutschte an einer anderen Stelle aus und kam vom Weg ab.

Dank der riesigen Überreste eines einst mächtigen Baumes kam Huma abrupt zum Halten. Er rieb sich den Hinterkopf, der einen Teil des Sturzes aufgefangen hatte, und schaute auf.

Es gab keinen Pfad mehr. Die Bäume des Hains beherrschten das Gebiet. Hohe, alte Büsche wucherten im Raum zwischen den Bäumen. Schatten füllten den Rest. Tiefe, dunkle Schatten. Huma schloß die Augen und öffnete sie wieder, wobei er vermied, seinen Blick auf die Schatten zu richten. Ein Schauer überlief ihn. Er erstarrte. Was hatte er gesehen? Es entzog sich jeder Beschreibung, die er geben konnte. Er wußte nur, daß es irgendwo da draußen war und darauf wartete, daß er sich ihm unvorsichtig zuwandte.

»Magus! Kaz!« Die Namen hallten als Echo zu ihm zurück. Ein stilles, spöttisches Lachen schien von überall her zu kommen.

»Huuuumaaa.«

Beim Klang der Stimme griff Huma nach seinem Breitschwert und entdeckte, daß die Waffe fort war. Er erinnerte sich, daß er das Schwert in der Hand gehabt hatte. Doch er fand keine Spur von der Klinge, als er den Boden absuchte.

Etwas Großes, Mißgestaltetes brach aus den anderen Schatten hervor und kreuzte kurz sein Blickfeld. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als der Spötter wieder lachte. Huma zog einen Dolch in der Hoffnung, mit dem Stahl Eindruck zu machen.

Seine Sicht war versperrt, als sich etwas genau vor ihm aufbaute. Er stieß fest mit dem Dolch zu – und traf auf Erde und Matsch. Seine Hand versank im Schlamm, und er verlor seinen kleinen Dolch.

Mit großen Augen starrte er in die eisblauen, kristallinen Augen des Elementars.

Huma bekämpfte sein Verlangen, das seltsame Wesen zu umarmen. Der Elementar blickte auf ihn herab und sprach mit derselben rasselnden Stimme, die er benutzt hatte, um Magus zu antworten.

»Folge.« Welch wunderbares Wort für den Ritter in diesem Moment! Plötzlich war glücklicherweise auch das Schwert wieder in seiner Hand.

Die beiden Kristalle verschwanden in die Tiefen des Erdhaufens. Zuerst bewegte der lebende Hügel sich nicht, und der Ritter dachte, das Wesen sei an Ort und Stelle festgewachsen. Huma steckte sein Schwert weg und lehnte sich gegen die Rückseite der Erdkruste des Elementars. Er hatte beschlossen, ihn aus dieser Klemme zu befreien. Als seine Hände jedoch den Hügel berührten, begann die Erde unter seinen Fingern sich unglaublich aufzuheizen, so daß Huma sie schnell wegzog. Zwei leuchtende Objekte tauchten aus dem Hügel auf.

Mit den Kristallaugen am rechten Platz wiederholte der Elementar seine vorherige Botschaft. »Folge.«

Huma sprang aus dem Weg, als das Ding sich vorwärts wälzte. Anstatt sich umzudrehen wie ein Mensch, verlagerte der Elementar einfach sein Gesicht in die Richtung, in die er sich gerade fortbewegen wollte. Das war zumindest mal beunruhigend, und Huma, der immer noch verwundert zuschaute, ignorierte erneut die nochmalige Aufforderung des Erddieners. Der Hügel wiederholte sie nicht. Unvermittelt floß er einen kleinen Abhang hoch und verschwand.

Huma wollte zunächst instinktiv sein Schwert zücken. Dann aber biß er die Zähne zusammen und stand nach vier langen Sätzen vor einem laut fluchenden Minotaurus und einem besorgten Zauberer.

»Huma!« Kaz zerquetschte ihn geradezu mit seiner ungestümen Umarmung.

Magus lächelte erleichtert. »Als du vom Pfad abgekommen bist, wollte dein Kumpel dir unbedingt hinterher stürmen. Ich konnte ihm gerade noch klarmachen, daß es ziemlich dumm wäre, wenn ihr beide da draußen herumirrt.«

Der Minotaurus ließ Huma herunter und ging auf den Zauberer los. »Du wolltest nicht hinterher! Jemand mußte schließlich gehen!«

»Es ist ja auch jemand gegangen.« Magus strich seine aristokratischen Locken zurück. »Ich kann den Hain zwar passieren, aber ich schicke doch erheblich lieber den Elementar los, der nichts zu befürchten hat, als daß ich aus reiner Höflichkeit selbst das Risiko auf mich nehme.«

»Du bist ein Feigling!«

»Ich denke praktisch.« Magus wandte sich an seinen alten Freund. »Wenn der Elementar dich nicht gefunden hätte, wäre ich dir gefolgt, das darfst du mir glauben.«

Daß Huma die Erklärung des Magiers akzeptierte, ließ Kaz verächtlich schnauben. Magus beachtete es nicht weiter. Nach einem Klopfen auf die augenblickliche Rückseite des Elementars zog die Gruppe wieder los.

Obwohl keine neuen Schwierigkeiten mehr auftauchten, hielt Huma seine Augen unablässig nervös auf den Pfad gerichtet. Schließlich kamen sie ans Licht. Strahlendes Licht. Es war, als wäre die ewige Wolkendecke endlich den goldenen Sonnenstrahlen gewichen. Selbst auf Kaz’ Gesicht zeichnete sich ein breites, von Herzen kommendes Lächeln ab. Als Magus sich zu ihnen umdrehte, grinste auch er über beide Ohren. Er hob den Stab in die Höhe.

»Willkommen bei mir zu Haus.«

Sie schauten auf ein weites, goldenes Feld. Man hätte leicht glauben können, daß irgendwo da draußen Elfen tanzten. Schmetterlinge und kleine Vögel flogen hin und her, während der helle, reife Weizen ihnen träge nachwinkte. Kleine Pelztierchen hüpften zwischen den paar Bäumen herum, die am Waldrand standen. Sollte es auf Krynn noch ein Paradies geben, so mußte es dieser Ort sein.

In der Mitte dieses wundersamen Feldes stand die Zitadelle von Magus, ein Turm, der wie das ihn umgebende Feld aus Gold zu sein schien. Ein einziges, gigantisches Holztor diente als Tür. Die obere Hälfte des Turms hatte viele Fenster, und ganz oben gab es sogar einen kleinen Wandelgang. Das Dach verlieh der Zitadelle das Aussehen einer Speerspitze. Die Seiten glänzten wie Metall, und Huma bedauerte nur, daß er kurz an den verruchten Bronzeturm erinnert wurde, der gefährlich nah am Rand des höllischen Abgrunds thronte.

Magus verbeugte sich und lud sie ein voranzugehen. Der Elementar war verschwunden, vielleicht, um wieder die äußeren Grenzen des Hains zu bewachen.

»Hier seid ihr sicher, meine Freunde. So sicher wie nirgendwo auf Ansalon.«

Der Ritter und der Minotaurus traten wie Kinder in das Feld hinaus. Vergessen war die Sorge um den Krieg. Vergessen waren Haß und Furcht. Es gab nur noch die atemberaubende Schönheit des offenen Landes vor ihnen.

Der Zauberer ließ sie vorbeigehen, wobei das Lächeln kurz aus seinem Gesicht verschwand.

Beim Gehen schien etwas Wunderliches zu passieren. Die Zitadelle wuchs. Mit jedem Schritt wurde sie größer und größer. Als sie das Tor erreicht hatten, ragte der Turm hoch in den Himmel hinein.

»Wie kann es sein, daß die Drachen etwas so Riesiges übersehen können?« Diesmal lag kein Argwohn in Kaz’ Stimme, sondern nur Verwunderung.

»Wie dieses Feld?« erwiderte Magus. »Die Dinge sind nicht immer, wie sie zu sein scheinen – oder wie sie gesehen werden. Dieser Ort wurde erschaffen, lange bevor die Menschen überhaupt einen Fuß auf Krynn setzten. Ich habe viel Zeit damit zugebracht, seine Geheimnisse zu enträtseln. Manche Dinge weisen auf Ogerarbeiten hin. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß Oger je einen so schönen Ort anlegen konnten. Vielleicht war es als paradiesischer Garten für die Götter selbst gedacht. Ich glaube, das wäre passender.«

Huma zerstörte den Zauber des Augenblicks, als er husten mußte.

Der Magier zog eine Grimasse. »Verzeiht. Ihr müßt müde und durstig sein. Laßt uns hineingehen, um uns zu erfrischen. Danach wollen wir reden.«

Magus hob wieder seinen Stab und murmelte eine lange Folge scheinbar unsinniger Worte. Der Stab, dessen Glanz nachgelassen hatte, strahlte plötzlich in neuem Licht. Huma wie Kaz waren gezwungen, vorübergehend die Augen zu bedecken.

Das Tor ging auf, wie von einer großen, unsichtbaren Hand geöffnet. Magus verblüffte Huma wieder einmal, obwohl es gut sein konnte, daß auch dieser Trick von jenen alten Vorfahren stammte.

Sie passierten das Tor und betraten eine Halle, die zwar recht klein war, doch jeden Adelssitz durch ihre schiere Extravaganz in den Schatten stellte. Skulpturen von Elfen, Tieren, großen, menschenartigen Wesen, Menschen und offenbar den Göttern selbst säumten die Wände. Wie eine überdimensionale Schlange wand sich eine einzige Treppe in die oberen Geschosse. Ein rotgoldener Wandbehang mit Sternbildern schmückte eine Seite, während ein anderer einen Berg abbildete. Er wirkte so echt, daß er sofort Humas Aufmerksamkeit auf sich zog. In seinem Hinterkopf flüsterte etwas, daß dieser Ort ihm irgendwie bekannt vorkam, obwohl Huma wußte, daß er den Berg noch nie gesehen hatte. Er starrte ihn weiter an, bis Magus’ Stimme den Zauber des Wandteppichs brach.

»Nicht alle Kunstwerke sind Originale, aber man kann nicht alles haben. Sei vorsichtig!«

Die Ermahnung richtete sich an Kaz, der eifrig die uralte Skulptur eines merkwürdigen Drachen untersuchte. Das Tier war lang und dünn, fast wie eine Schlange mit Beinen und Flügeln. Das wenige, was sich von der Bemalung erhalten hatte, zeigte, daß es ursprünglich grünblau schattiert gewesen war, eine sonderbare Farbzusammenstellung für einen Drachen. »Diese Skulptur stammt von jemandem aus meinem Volk.«

»Unmöglich. Sie muß elfisch sein. Guck sie dir doch an.« Kaz schnaubte. »Glaubst du, wir hätten keine Künstler? Ich erkenne die typischen Muster im Ton, auch wenn dein ›Kunstverstand‹ nichts davon bemerkt.«

»Warum sollte jemand einen solchen Drachen darstellen wollen? Ich habe noch nie einen gesehen, der so lang und dünn ist. Hat es früher so etwas gegeben?« wollte Huma von Magus wissen.

Der Zauberer zuckte mit den Schultern. »Ich habe noch keinen Beweis dafür gefunden. Meiner Meinung nach ist es eine rein künstlerische Darstellung, ein Phantasiegebilde. Ein weiterer Grund, warum es keine Minotaurenarbeit sein kann. Nebenbei bemerkt, ist es dazu viel zu alt.«

»Wir waren die erste zivilisierte Rasse.«

»Zivilisiert oder domestiziert?«

Kaz reagierte prompt, doch die kleine Statue erstarrte mitten im Flug etwa drei Fuß vor Magus’ Gesicht. Der verächtliche Ausdruck des Zauberers kam nur der furchtbaren Enttäuschung gleich, die sich in Kaz’ Miene abzeichnete. »Beim nächsten Wurf solltest du besser zielen, du Rindvieh, denn es wird dein letzter sein. Und nimm nächstes Mal etwas weniger Wertvolles.«

Mit einer Handbewegung beorderte Magus die Drachenskulptur auf ihren Platz zurück. Kaz schnaubte unaufhörlich, seine Augen waren blutunterlaufen. Plötzlich stand Huma mit blank gezogenem Schwert zwischen ihnen.

»Hört auf!«

Der Ausbruch war so heftig, daß Magier und Minotaurus ihn beide ansahen, als hätte er den Verstand verloren. Mit möglichst grimmiger Miene sah Huma vom einen zum anderen.

»Ansalon und womöglich ganz Krynn ist vielleicht hilflos der Drachenkönigin ausgeliefert, und ihr zwei führt euch auf wie Schuljungen!«

Kaz war der einzige, der beschämt aussah. Magus nahm die Rüge so gelassen hin wie alles andere auch. Er zuckte nur die Schultern und tat, als wäre nichts passiert.

»Es gibt noch mehr zu sehen, aber ich kann mir vorstellen, daß ihr beide auch ausruhen möchtet. Liege ich da richtig?«

»In diesem Punkt schon«, raunzte Kaz.

Huma steckte sein Schwert weg, war jedoch immer noch wütend. »Und was geschieht danach? Kannst du mit deinem Orden Kontakt aufnehmen? Wir können schließlich nicht für immer hierbleiben. Du bist uns suchen gekommen. Hast du nicht einen Plan?«

»Doch natürlich.« Die Antwort kam prompt, doch es lag etwas in den Augen des Zauberkundigen, das ihn Humas Meinung nach Lügen strafte. Das war wieder der Magus, der ihm fremd war. Der Magus, der vor dem einzigen Menschen, dem er hätte trauen können, Geheimnisse hatte. Wie sehr er sich verändert hatte!

Oder bin ich es, der sich verändert, überlegte Huma. Früher hätte er nie ernsthaft an Magus gezweifelt oder die Antworten seines Freundes in Frage gestellt. Die Ritterschaft hatte ihm die Augen geöffnet über die verschleierten Halbwahrheiten, die im Leben vieler Menschen eine so wichtige Rolle spielten.

Absichtlich äußerte Huma: »Ich möchte gerne deinen Plan erfahren.«

»Zur rechten Zeit. Es gibt hier viel zuviel zu tun, was ich sofort erledigen muß. Während ich das mache, könnt ihr zwei euch ausruhen und etwas essen.«

Magus stieß mit seinem Stab auf den Boden. Huma fühlte einen Schauer über seinen Rücken rennen. Dann sah er den Nebel. Er umschwirrte Magus wie ein zahmer Vogel seinen Herrn. Huma konnte keinerlei Wind wahrnehmen. Es gab auch keinen ersichtlichen Grund für den Nebel. Er bewegte sich, als hätte er ein Eigenleben.

»Gäste. Führen.« Magus sagte die Worte nicht zu Huma oder Kaz, sondern zu der Wolke – und sie antwortete.

»Gässssteeee. Füüüüührennnn.« Die Stimme des Nebels zischte wie der Dampf eines gerade gelöschten Lagerfeuers.

»Zimmer für die Nacht.«

»Zimmmmmeeeer.«

Magus verzog das Gesicht. »Luftelementare sind so langsam.« Er entließ den wabernden Nebel mit einer Handbewegung. »Jetzt, bitte.« Zu Huma sagte der Zauberer: »Wenn ihr gegessen und geruht habt, werden die Dinge schon besser aussehen.«

Kaz gab ein tiefes »Humpf« von sich, das Magus ignorierte. Der Luftelementar schwebte ungeduldig um die zwei »Gäste« herum.

»Kommmmttt. Zimmmmerrrr. Gässsstteeee.«

Ihr Gastgeber beobachtete, wie sie dem Nebelwesen die Wendeltreppe hinauf folgten. Als sie außer Hörweite waren, beugte sich Kaz zu Huma hin und flüsterte: »Dieser Zauberer ist dein Freund?«

»Ja.« Huma fiel es schwer, mit Nachdruck zu antworten.

»Dann bete, daß er dich ebenfalls noch als solchen betrachtet. Ich glaube, dieser Turm mit seinen Geheimnissen könnte ein sehr sicheres und sehr dauerhaftes Gefängnis darstellen.«

Der Ritter widersprach der Bemerkung nicht, da er diese Möglichkeit bereits in Betracht gezogen hatte.

Wenn es wirklich ein Gefängnis war, dann eines, vor dem so mancher Verurteilte um Einlaß gebeten hätte. Nachdem sie sich zumindest einigermaßen an die dienstbaren Geister gewöhnt hatten, fiel es Kaz und Huma nicht schwer, das Fleisch und das Obst – nicht zu erwähnen den Wein – zu genießen, die jedem Königshof Ehre gemacht hätten.

Auch die Zimmer waren überwältigend, wenngleich viel zu groß für eine normal große Person wie Huma. Kaz jedoch empfand die Einrichtung als seiner Größe angemessen und sah darin einen weiteren Hinweis darauf, daß der Turm ein Relikt seiner eigenen Rasse war. Huma wußte, daß es keinerlei Berichte gab, nach denen sich Minotauren vor dem Krieg je so weit im Westen aufgehalten hatten, doch er behielt seine Zweifel für sich.

Sie hatten jeder ein eigenes Zimmer bekommen, wogegen Kaz zuerst Einspruch erhoben hatte: Es sei ein offensichtlicher Versuch, dem Prinzip ›Teile und Herrsche‹ zu folgen.

»Wenn er gewollt hätte, hätte Magus uns beide schon mindestens hundertmal erledigen können«, gab Huma zurück. »Du hast gesehen, wie er unten mit dir fertig geworden ist.«

»Glückssache. Laß mich nur an ihn ran, Mann gegen Mann.«

»Und es wird nur noch Asche von dir übrigbleiben. Magie ist für ihn so selbstverständlich wie für uns das Atmen.«

Der Minotaurus trieb seine große Faust in die Wand. Zu seiner Befriedigung gab sie ganz gut nach. »In meiner Heimat – «

Huma unterbrach ihn, bevor er fortfahren konnte. »Das hier ist Ergod. Menschenland. Menschensitten.«

»Wirklich? Hast du die Schlacht schon vergessen?«

»Hab’ ich nicht. Ich finde nur, daß du mir vertrauen solltest. Ich kenne Magus viel besser als du.«

Kaz beruhigte sich, jedoch nicht ohne einen letzten Kommentar abzugeben: »Das hoffe ich. Um unseretwillen.«Über diese Worte sann Huma nach, als er auf seiner Bettkante saß. Trotz des Kraftaufwands, den der Marsch durch den Hain gekostet hatte, konnte er nicht schlafen. Kaz hingegen schlief wie ein Toter, nur sein Schnarchen drang durch die Wände bis in Humas Zimmer.

Die Kerzen, die bei seinem Eintreten schon gebrannt hatten, waren so weit heruntergebrannt, daß viele von ihnen am Erlöschen waren. Das Flackern warf seltsame Schatten, und Huma merkte irgendwann, daß seine Augen an einem besonders großen und dunklen Schatten in der jenseitigen Ecke hingen. Es war so finster, daß es ihm so vorkam, als wenn er geradewegs hineinlaufen und durch die Wand gehen könnte.

»Huma.«

Eine offene Hand kaum aus dem Schatten. Ihr folgte eine zweite. Der Ritter wich von dieser Bettseite zurück zu seinem Schwert, das neben dem Bett hing.

»Huma, ich muß mit dir reden.«

»Magus?«

»Wer sonst?« Arme folgten den Händen, und dann erschien auch der Rest des Magiers. »Verzeih das dramatische Eintreten«, flüsterte Magus, »aber ich möchte nicht in Gegenwart des Minotaurus mit dir reden, dem einiges, was ich zu sagen habe, vielleicht mißfallen würde.«

»Und mir nicht?« Huma war gereizt. Die Tricks des Zauberers gingen allmählich selbst seinem alten Freund auf die Nerven.

Ihre Blicke trafen sich, und Magus drehte sich schnell weg. »Vielleicht schon. Aber du bist wenigstens vernünftig. Ich brauche bloß einmal unaufmerksam zu sein, dann macht mich dieser Ochse auf zwei Beinen fertig.«

»Kann ich ihm nicht völlig verdenken, Magus.«

»Ich weiß.« Der Zauberkundige bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Wie gut ich das weiß.«

Huma stand auf, ging zu seinem Jugendfreund und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. »Erzähl mir alles, und ich verspreche, ich werde ein offenes Ohr für dich haben.«

Magus schaute auf, und für kurze Zeit war es wie in alten Tagen, wo für sie nur das Vergnügen gezählt hatte. Doch der Ausdruck in seinem Gesicht verschwand fast so rasch, wie er gekommen war. Der elegante Magus streckte eine Hand aus. Sofort war sein Stab da und erwartete seine Befehle.

»Du siehst einen Zauberer von großer Macht vor dir – und von noch größerer Begabung. Ich bin nicht der erste, der das sagt. Der gute, alte Belgardin hat das seit dem Tag gesagt, an dem er mich zu fördern begann.«

Belgardin. Huma erinnerte sich an den beleibten Zauberer. Er war der erste gewesen, der gesehen hatte, welche Macht sich in dem jungen Magus regte. Macht, wie er sie nie zuvor gesehen hatte. Belgardin war ein hoher Adept der Roten Roben, und deshalb erkannte er, daß der Junge Hilfe brauchte, während er gleichzeitig nach dem Prestige schielte, einen möglichen Ordensmeister auszubilden – egal von welchem Orden.

»Er hatte recht. Du erinnerst dich. Ich habe alles mit Bravour bestanden. Ich war der klügste Schüler, den sie je gesehen haben. Ich habe Zaubersprüche gemeistert, mit denen selbst alte Hasen ihre Schwierigkeiten haben. Ich war ein Wunderkind.« Der Hauch von Eitelkeit in Magus’ Stimme war durchaus angebracht; alles, was er sagte, entsprach der Wahrheit.

Sein Gesicht wurde ernst. »Ihr gewöhnlichen Menschen hört von der Prüfung oder vielmehr die Gerüchte darüber.« Magus machte mit der freien Hand eine Schnittbewegung. »Die Gerüchte sind nichts im Vergleich mit der Wirklichkeit.«

Die Prüfung war der letzte Beweis für die Fähigkeiten eines Magiers, mit der Macht umzugehen. Es war nebensächlich, zu welchem Orden er oder sie gehörte. Alle Zauberkundigen legten die Prüfung ab.

Magus stellte die Spitze seines Stabs auf den Boden und stützte sich darauf. »Ich weiß nicht, was andere durchgemacht haben, ich weiß nur, daß manche nicht überleben. Ich bin in die Prüfung gegangen und hatte mich auf alles Erdenkliche vorbereitet. Ich dachte, sie würden Dunkelelfen auf mich hetzen oder mich zwingen, einen Alten oder Kranken zu töten. Vielleicht würden sie mich an den Rand des Abgrunds stellen, um der Königin selbst ins Gesicht zu blicken. Ich wußte, daß manches Illusion sein würde, vieles jedoch völlig echt. Echt genug, um mich zu töten.«

Huma nickte verständnisvoll. Natürlich drang manches nach draußen. Einige Gerüchte enthielten anscheinend ein Körnchen Wahrheit.

Das schöne Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, das im dämmerigen Licht irre wirkte. Magus lachte leise, obwohl Huma nicht erriet, was er so lustig fand. »Sie haben mich übel hereingelegt. Oder vielleicht wußten sie nicht, was alles bei der Prüfung geschehen kann. Ich vermute, daß manchmal die Macht selbst ihre Hand im Spiel hat. Wie auch immer, ich wurde mit der einen Sache konfrontiert, die ich nicht akzeptieren konnte: meinem Tod. Meinem zukünftigen Tod.«

Es gab nichts, was Huma dazu hätte sagen können. Er konnte abstreiten, daß es wahr war, konnte versuchen, Magus zu überzeugen, daß alles eine Illusion gewesen war, aber was davon hätte er selbst geglaubt?

»Irgendwie ist es mir gelungen zu überleben. Ich glaube, daß ich wahnsinnig geworden wäre, wenn ich versagt hätte. Wahnsinnig aus der Erkenntnis heraus, daß das, was ich sah, wirklich geschehen würde. Ich verließ den Turm, verließ die Prüfung, weil ich mein Schicksal kannte und entschlossen war, etwas dagegen zu tun.

Und ich merkte, daß es nicht ging. Nicht innerhalb der strengen Vorschriften der Orden. Trotz ihrer angeblichen Freiheit konnten mir weder die Roten noch die Schwarzen Roben etwas anbieten, das mir half. Sie waren immer noch zu eingeschränkt, und ich bin sicher nicht dazu geschaffen, die Weißen Roben zu tragen, wie du wohl weißt.«

Magus grinste und seufzte dann. Die Kerzen waren fast völlig heruntergebrannt.

»Als ich erkannte, welchen Einschränkungen ich durch die Drei Orden unterworfen war, beschloß ich gezwungenermaßen, die Grenzen zu überschreiten, die sie gezogen hatten, um – verzeih mir, wenn ich das sage – die Zukunft zu ändern.«

Huma wich unwillkürlich zurück. Die wilden Zaubersprüche, die fremdartige Kleidung, die sich so von den einfachen Roben der anderen Zauberer abhob. Er schüttelte den Kopf, weil er es für unmöglich hielt, was Magus getan hatte.

»Zu jenem Zeitpunkt«, berichtete Magus nach innen gekehrt, »wandte ich mich von dem erstickenden Regelwerk des Zirkels ab und wurde zum Abtrünnigen.«

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