22

»Du? Hat Gwyneth dich geschickt?«

Der Silberdrache nickte. »Ich bin hier vor langer Zeit geboren und komme gelegentlich wieder hier vorbei. Es gehört zu meinen Pflichten und zu meinem Schicksal, hier Wache zu stehen und auf den Tag zu warten, an dem die Drachenlanzen der Welt enthüllt werden.«

»Wie habt ihr euch gegen die Finsternis verteidigen können?« fragte Huma. Er erinnerte sich daran, wie die Drachen darauf gewartet hatten, daß die magische Dunkelheit sie verschlingen würde. Damals hatte er sich gefragt, ob sie leben oder sterben würden.

»Wir wurden besiegt.« Es lag eine sehr menschliche Bitterkeit in der Drachenstimme. »Das war mehr als das Werk der Abtrünnigen. Wir konnten die Gegenwart der Schwarzen Roben fühlen, auch wenn sie sich komischerweise nur ungern hineinziehen ließen. Und dann war da noch etwas. Etwas so Böses, daß zwei von uns nur deswegen auf der Stelle starben. Wir schöpften Verdacht, und als wir verloren hatten, wußten wir Alten Bescheid.« Das Drachenweibchen zögerte. »Takhisis selbst ist auf Krynn.«

Das verschlug allen die Sprache. Der Mund des Minotaurus bewegte sich, brachte jedoch keinen Laut hervor. Magus schüttelte bloß den Kopf, als ob er es so abstreiten könnte. Huma stand einfach da, während sein versteinerter Gesichtsausdruck die Angst und Sorge verbarg, die in ihm brannten. Die Königin der Finsternis auf Krynn – nun war wohl alle Hoffnung dahin.

Oder nicht? Augenblicklich erinnerte sich Huma an die Vision von dem Platinritter, der die Finsternis mit der Herrlichkeit der Lanze besiegt hatte.

Er schnitt jeden weiteren Kommentar mit der Bemerkung ab: »Das will nichts heißen. Wir haben die Drachenlanzen. Noch gibt es Hoffnung.«

Kaz schüttelte den Kopf, während Magus einfach jedes Wort in sich hineinsog. Der Drache schaute zufrieden drein. Ihn schien Humas Reaktion sehr zu freuen.

Wieder kam Wind auf, und weder Huma noch seine Gefährten hatten große Lust, länger als nötig in den Bergen zu bleiben. Sie brauchten Schlaf und etwas zu essen.

Huma fragte den Silberdrachen: »Wo sind die Lanzen?«

»Die sind weiter unten bei euren Pferden. Ich könnte vielleicht alle tragen, aber dann könnte ich kaum noch manövrieren, geschweige denn hoch fliegen. Es wäre am besten, wenn ich unbelastet bleibe. Falls wir unterwegs angegriffen werden.«

Huma kam eine Idee. Der Ritter wandte sich an seine Gefährten. »Kaz, Magus, ihr nehmt die Pferde. Ich möchte mich darauf verlassen können, daß ihr beide zusammenhaltet. Geht das?«

Kaz blitzte den Magier an, der – nachdem die Schuld von ihm genommen war – rasch wieder zu seiner früheren Arroganz zurückgefunden hatte und deshalb den Blick mit gleicher Abneigung zurückgab. Sie würden jedoch zusammenarbeiten, weil diese Angelegenheit weit wichtiger war als ihr Stolz. Zufrieden fuhr Huma fort.

»Auf der Drachenstatue in der Lanzenkammer war ein Sattel«, berichtete er dem Drachen. »Damit konnte der Reiter seine Waffe ausrichten. Ich würde gern so einen Sattel herstellen. Wenn du gestattest, könnte ich dann mit angelegter Drachenlanze auf deinem Rücken reiten, falls wir angegriffen werden.«

Der Drache hob den Kopf und schien nachzudenken. Schließlich nickte die silberne Drachendame. »Eine ausgezeichnete Idee. Ich muß euch nämlich noch sagen, daß ich bei meiner Ankunft in den Bergen einen Schreckenswolf von Galan Drakos fand. Ich habe ihn sofort zerquetscht, aber ihr könnt darauf vertrauen, daß Galan Drakos seinen Lakaien, den Kriegsherrn Crynus, ausschicken wird, damit der euch auflauert.« Sie fuhr ihre langen Krallen aus. »Ich hätte nichts gegen eine zweite Begegnung mit dieser Mißgeburt namens Charr. Zu viele der Meinen sind diesem schwarzen Drachen und seinem kriegslüsternen Herrn zum Opfer gefallen.«

Daraufhin breitete der Silberdrache seine Flügel aus, erhob sich so rasch und sanft wie möglich in die Lüfte und kam dann wieder so tief herunter, daß er fast auf Augenhöhe mit den dreien war. »Steigt auf. Ich fliege euch zu den Lanzen. Macht euch aber auf einige Kurven gefaßt. Der Wind in den Bergen kann tückisch sein.«

Als sie sicher auf ihrem Rücken saßen, breitete die Riesin ihre Flügel aus und schraubte sich in den Himmel. Zuerst sah es für die Reiter aus, als käme die Erde dort unten ihnen wieder entgegen, doch dann zog sie sich wieder zurück, als der Silberdrache höher hinauf stieg, bis er bequem sein Gleichgewicht halten konnte.

Huma betrachtete den Berg, den sie hinter sich ließen. So vieles war ihm hier begegnet, das er nie ganz verstehen würde. Er war noch nicht einmal bis zum Gipfel gelangt, wie er anfangs geglaubt hatte. Wenigstens ein Viertel des Bergriesen ragte noch über ihnen auf.

Unten verhüllten die Wolken das Land. Als sie die neblige Decke über Ansalon durchbrachen, erschauerte Huma und betete, daß er den Aufgaben gewachsen sein würde, die noch vor ihm lagen.

»Da.« Der Silberdrache deutete auf einen Punkt an der Südflanke des Berges. Huma schaute nach unten, wo die Pferde und ein Wagen warteten. Der Silberdrache hatte gut für die schwierige Reise vorgesorgt.

Erst nachdem sie gelandet waren, widersprach Kaz: »Du kannst von solchen Pferden nicht erwarten, daß sie einen Karren ziehen! Sie sind für solche Arbeit nicht abgerichtet. Das sind Streitrösser, keine Lastesel.«

»Sie werden tun, was sie können«, entgegnete das majestätische Tier.

Huma hatte mittlerweile damit begonnen, seine Idee in die Tat umzusetzen. Er hatte seinem Pferd den Sattel abgenommen und schnitt diesen mit einem von Kaz geliehenen Dolch – sein eigener ruhte immer noch irgendwo im Berg – an beiden Seiten auf, damit er besser auf den Rücken des Drachen paßte, der viel breiter war als jeder Pferderücken. Da die Gurte nicht um den Drachenleib herum reichen würden, mußte Huma ein Seil verwenden. Zum Glück war Drachenhaut viel dicker als die von Pferden. Die rauhen Gurte würden die Drachendame weder stören noch behindern.

Bezüglich der Halterung, in der die Lanze liegen sollte, war wenig zu machen. Huma konnte eigentlich nur den Sattelknauf einkerben, damit die Lanze wenigstens eine Auflage hatte. Dann band er die Drachenlanze an der Seite fest und überprüfte die Konstruktion auf ihre Haltbarkeit. Huma stellte fest, daß er nach links einigermaßen Spielraum hatte, nicht jedoch nach rechts. Als er sicher war, daß es funktionieren würde, nahm Huma die Lanze ab und zeigte dem silbernen Drachen, was er gebaut hatte. Dieser sah den Sattel zweifelnd an, akzeptierte den Aufbau jedoch.

»Der Sattel, den ich gesehen habe«, erklärte der Ritter, »sah fast genauso aus wie ein Sattel für Pferde. Er muß nur breiter sein, weil er von einem Drachen getragen wird. Der eigentliche Unterschied liegt in der Halterung für die Drachenlanze. Die auf der Drachenstatue drehte sich, als ich die Lanze abnahm. Doch dazu brauche ich mehr Material und mehr Zeit.« Huma betrachtete sein Werk stirnrunzelnd. »Im Prinzip habe ich nur sehr wenig zustande gebracht.«

»Es wird schon gehen«, erwiderte das geflügelte Wesen.

Während Huma mit dem Sattel beschäftigt war, untersuchte Magus den Karren. Er hatte nicht gerade große Lust, die Lanzen den ganzen Weg bis nach Burg Vingaard im Wagen zu transportieren – falls die solamnische Burg noch stand –, und er teilte den anderen seine Zweifel auch mit.

»Das ist alles nicht nötig. Ich kann die Lanzen wirklich im Nu hinbringen.« Der Zauberkundige hob die Hände und begann zu murmeln.

Huma ließ den Sattel fallen, als er erkannte, was da vorging. »Magus, nicht!«

Es war zu spät. Der Zauberer vollendete seinen Spruch – und nichts geschah, außer daß die Drachenlanzen noch etwas heller zu strahlen schienen. Magus sah seine Hände an, als wären die irgendwie für sein Versagen verantwortlich.

Kaz stieß ein meckerndes Gelächter aus.

»Mach das nie wieder!« Huma brüllte richtig. »Du hast Glück gehabt; die Drachenlanzen sind gegen deine Magie gefeit. Wer weiß, was passiert wäre, wenn du einen mächtigeren Spruch probiert hättest.«

Kurz danach schnallte er dem Drachen den Sattel auf. Er paßte – gerade so eben. Die Schnitte, die Huma in die Seiten des Sattels gesetzt hatte, machten ihn flacher. Die Seile waren fest gespannt, schnürten den Drachen aber nicht unbequem sein. Als er fertig war, suchte der Ritter die Originallanze zwischen den anderen heraus und befestigte sie mit Kaz’ Hilfe lose an der linken Seite des Sattelknaufs.

Sie entschieden sich dafür, daß Magus den Wagen lenken sollte, während Kaz ihn auf dem dritten Pferd eskortierte. Huma und der Drache würden über ihnen als Kundschafter und Beschützer dienen.

Huma verharrte einen Moment lang, bevor er auf den Drachen kletterte, und starrte zum Gipfel hoch. »Und Gwyneth? Was ist mit ihr?«

Die silberne Drachin wandte ihm den Kopf zu und sah ihn neugierig an. »Ist sie dir wichtig?«

Obwohl er sich seiner Gefühle nicht sicher war, nickte Huma. »Auch wenn es nur kurz war, kommt es mir so vor, als hätte ich noch nie jemanden so gut gekannt. Kommt sie nicht mit?«

Die Drachendame setzte zum Sprechen an, hielt inne und änderte dann offensichtlich ihre Meinung über das, was sie hatte sagen wollen. »Sie hat noch etwas zu erledigen. Wahrscheinlich wirst du sie wiedersehen, wenn du es am wenigsten erwartest.«

Das war nicht gerade das, was Huma hatte hören wollen, aber die Ritterschaft brauchte diese Lanzen. Sie hatten keine Zeit mehr zu verlieren.

»Vielleicht treffen wir unterwegs noch andere Drachen«, bemerkte der Drache. »Dann können wir alles im Flug transportieren und viel Zeit sparen.«

Huma setzte sich zurecht. Er überprüfte die Drachenlanze. Sie lag gut in seiner Hand. »Laßt uns aufbrechen.«

Eine einsame Gestalt auf einem Streitroß erwartete sie, als sie die Bergkette hinter sich ließen. Von weitem war unmöglich zu erkennen, ob es Freund oder Feind war, so daß Huma auf dem Rücken des Silberdrachen und hoch über seinen Gefährten und dicht über den Bäumen vorauseilte, um zu kundschaften. Auf halbem Weg sah er die Gestalt eine Hand heben und hörte sie etwas rufen. Kurz darauf dämmerte es Huma.

Buoron sah staunend, wie der Drache vor ihm aufsetzte. Er sah den Ritter mit der angelegten, strahlenden Lanze auf dem Rücken des riesigen Geschöpfs thronen.

»Huma?«

»Buoron.« Huma stieg nicht ab. »Warum bist du noch da? Ist im Fort etwas passiert?«

Der bärtige Ritter schüttelte den Kopf. »Nein… ich fand nur, daß für alle Fälle jemand hier warten sollte.«

Die Treue des anderen Ritters rührte Huma. »Ich weiß deine Standhaftigkeit zu schätzen, mein Freund. Wir sind auf dem Rückweg nach Solamnia. Ich fürchte, wir haben zwar keine Zeit, um im Fort haltzumachen, aber wir können wohl nicht anders, denn wir brauchen Proviant.«

»Das ist nicht nötig.« Buoron zeigte auf mehrere große, schwere Säcke an seinem Sattel. »Bei vier Leuten reicht das für eine Woche. Die Pferde können grasen; es gibt reichlich Weideland. Wasser ist auch kein Problem. Ich kann euch jede Menge Flüsse zeigen.«

Huma kniff die Augen zusammen. »Du klingst, als wolltest du uns begleiten. Die Idee gefällt mir, aber das können wir nicht von dir verlangen.«

Buoron lächelte. »Ich habe von Taggin die Erlaubnis, mit euch nach Solamnia zurückzukehren. Er findet, daß wir einen Bericht über die Pläne des Hauptquartiers brauchen, und möchte erfahren, ob wir für Großmeister Trake etwas tun können.«

»Trake ist tot. Jetzt ist Oswal Großmeister.«

»Wann ist das passiert?«

Huma machte den Mund auf, überlegte dann aber noch einmal. Er war selbst noch immer nicht davon überzeugt, daß das alles Wirklichkeit war. »Erklärungen später. Wenn du dich uns anschließen willst, werden meine Gefährten wohl kaum etwas dagegen haben.«

Der andere Ritter verzog das Gesicht. »Der Minotaurus – und der Zauberer?«

»Sie helfen beide mit.«

In diesem Moment kamen Kaz und Magus an. Huma informierte sie darüber, daß der andere Ritter sich ihnen schließen würde. Der Minotaurus begrüßte ihn als ebenbürtigen Krieger, während Magus ihn als überflüssiges Anhängsel zu betrachten schien.

An diesem Tag kamen sie nicht mehr weit. Auch wenn die Streitrösser als Zugtiere hervorragend durchhielten, wurden sie doch bald müde. Irgendwann landeten Huma und der Silberdrache, und die Gruppe schlug ihr Lager auf.

Als sie sich eingerichtet hatten, hob Huma erschreckt den Kopf. In der Ferne hatte er etwas gehört. Er hielt Buoron fest und fragte: »Sag mal, gibt es hier in der Gegend Wölfe?«

Buoron zuckte mit den Schultern. »Reichlich. Außer uns gibt es hier nur Wildnis – soweit wir wissen. Ich schätze mal, daß die Elfen da anderer Meinung wären. Warum?«

Huma schüttelte müde den Kopf. »Ach nichts. Nur die Nerven.«

Mit Kaz und Buoron zu beiden Seiten des Wagens brach die Gruppe am nächsten Tag wieder auf. Der Silberdrache schwang sich hoch in die Luft. Im Moment sollte jedoch Buoron die Führung übernehmen, da er mit dem Gelände besser vertraut war.

Sie erreichten die Wälder, und Huma wurde nervös. Von oben war es oft unmöglich, zu sehen, was sich unter den Baumwipfeln verbarg. Und wegen der Lanzen mußten seine Gefährten da unten auch noch den wenigen Wegen folgen, die durch die Wälder führten.

Huma war so darum besorgt, mit seinen Freunden Sichtkontakt zu halten, daß er seine eigene Sicherheit vernachlässigte. Auch der Silberdrache bemerkte den Angriff von oben erst im letzten Moment.

Huma hielt sich am Sattel fest, als ellenlange Krallen ihn um ein Haar vom Rücken seines großen Gefährten gerissen hätten.

Ein schriller Schrei gellte wie eine tödliche Drohung durch die Luft. Ein großer, roter Drache nahm Huma vorübergehend die Sicht, bevor sein silberner noch tiefer über die Baumkronen abtauchte. Es waren zwei Drachen, beide karmesinrot.

Seine silberne Gefährtin zögerte nicht, als Huma seine Befehle rief. Sie wendete und stieg so schnell wie möglich zu ihren Angreifern auf. Huma hatte die Drachenlanze angelegt.

Beide Tiere trugen Reiter, und der Ritter registrierte kurz, daß sie das Ebenholz der Schwarzen Garde trugen. Dann stürzten sich die beiden roten Drachen auf sie.

Huma klopfte dem Silberdrachen auf die linke Schulter, und dieser warf sich sofort herum, um den vorderen der beiden roten Drachen anzugreifen.

Die Lanze bohrte sich so schnell und so plötzlich in das furchtbare Untier, daß der Silberdrache fast mit ihm zur Erde gerissen worden wäre, weil er nicht schnell genug zurückweichen konnte. Der Reiter des toten Drachen konnte gerade noch einen Schlag gegen Huma ausführen, dann klammerte er sich verzweifelt an seinem toten Tier fest, als die Lanze herausgezogen wurde und Mensch und Drache in den Wald stürzten.

Der zweite Drache, der den kurzen Kampf von oben gesehen hatte, stieß herunter und versuchte, Reiter und Lanze vom Rücken des Silberdrachen zu reißen. Dieser jedoch erhöhte zur Sicherheit seine Geschwindigkeit. Anstatt auf seinem Opfer zu landen, flatterte der rote Drache verwirrt wenige Längen vor seinen Gegnern in der Luft.

Der Reiter des Roten brüllte etwas. Der feindliche Drache versuchte, tiefer zu kommen, doch er zögerte einen Moment zu lange. Leider erwischte die Lanze nur die Außenhaut. Der Silberdrache jedoch zerfetzte im Vorbeiflug die linke Schwinge seines bösen Gegners.

Der Reiter des roten Drachen drehte sich um und attackierte den Silberdrachen mit einem Breitschwert. Ein gutgezielter Schlag traf ihn über die Schnauze. Das Schwert schlug eine tiefe Wunde. Die Schwarzen Garden waren weniger hilflos, als Huma und sein Drache gedacht hatten.

Der Rote taumelte davon, weil sein Flügel erheblich verwundet war. Doch er schlug nur einen engen, schnellen Bogen, um dann wieder anzugreifen.

In diesem Augenblick brachen zwei weitere Drachen durch die Wolkendecke. Einer war rot; der andere war gewaltig, viel größer als die Roten – und kohlrabenschwarz.

Der Schwarze brüllte wütend, was nicht Huma und seiner Freundin zugedacht war, sondern dem verwundeten roten Drachen. Der Rote mißachtete den Schrei, zu sehr war er darauf versessen, sich zu rächen.

Zur allgemeinen Überraschung stieß der schwarze Drache – es war tatsächlich Charr, wie Huma jetzt erkannte – eine schreckliche, flüssige Wolke aus. Der Reiter des Roten drehte sich gerade rechtzeitig um, um sie kommen zu sehen.

Die Flüssigkeit umschloß Reiter und Drachen. Sie gingen in einer riesigen Stichflamme auf, die Huma erschreckt aufkeuchen ließ. Säure. Charrs eigenes Verlangen nach Rache war so groß, daß er die beiden vernichtet hatte. Er wollte den Silberdrachen und den Ritter für sich selbst, denn sie hatten ihn und seinen Herrn verwundet. Die Überbleibsel des roten Drachen und seines Reiters fielen zur Erde.

Der einzelne Rote und sein Reiter hielten sich im Hintergrund, während Charr und die große Gestalt auf seinem Rücken – der Kriegsherr Crynus – die beiden stellten, die sie gedemütigt hatten. Dieses Mal würde der Kampf erst enden, wenn einer von beiden tot war, soviel war Huma klar.

Huma wagte einen Blick nach unten. Wie befürchtet, hielten schwarz gerüstete Gestalten einige Waldlichtungen besetzt. Weitere Schwarze Garden. Vom Karren oder von seinen Freunden war nichts zu sehen, so daß er nur beten konnte, daß sie lange genug durchhalten konnten. Huma hatte mit sich selbst schon ausreichend zu tun.

Als hätte er den Gedanken gelesen, schoß Charr auf sie herunter.

»Mach dich bereit, Huma«, rief der Silberdrache. »Ich habe ein paar Tricks auf Lager, die ich vielleicht anwenden kann, aber die Drachenlanze ist unsere größte Hoffnung, dieses Scheusal endlich zu erledigen.«

Die beiden Drachen kämpften um die höhere Position. Sie stiegen höher und höher, ohne daß einer einen Vorteil gewinnen konnte. Huma fühlte den Silberdrachen unter sich zittern, als dieser tief Luft holte. Er fragte sich, ob sie schon ermüdete. Charr, der das mitbekommen hatte, schien siegesgewiß zu lächeln.

Humas Gefährtin stieß plötzlich einen kegelförmigen Nebel aus, der den vorderen Teil von Charr umschloß. Der Schwarze hielt mitten im Flug inne und begann, in Richtung Erde zu stürzen.

»Huma!« rief das Drachenweibchen rauh. »Ich habe ihn nicht richtig getroffen, und er ist zu allem entschlossen. Wir müssen angreifen, bevor er sich von der Lähmung erholt.«

Noch während sie sprach, wurde sie langsamer. Huma hielt sich mit einer Hand am Sattel fest, mit der anderen umklammerte er die Drachenlanze und mit beiden Beinen den Hals seiner Freundin. Hätte er sie nicht schon einmal geritten, hätte er es bestimmt nicht geschafft.

Während ihres Sturzfluges beobachtete Huma, wie sich Charr allmählich wieder fing. Er bremste seinen Sturz bereits ab. Auf seinem Rücken tobte Crynus, fuchtelte mit seiner Streitaxt herum und zeigte auf den Ritter und den Silberdrachen über ihnen. Charrs Kopf richtete sich langsam noch oben. Diesmal gingen die beiden Drachen aufeinander los und kämpften bis aufs Blut.

Die Drachenlanze traf den bösen Drachen an der Schulter. Aus der Wunde strömte Blut.

Während die beiden gewaltigen Köpfe wieder und wieder aufeinander zufuhren, kamen sich auch die Reiter nah genug, um zuzuschlagen. Huma, den das Gewicht der Lanze behinderte, konnte nicht sein Schwert ziehen, Crynus schwang seine zweihändige Streitaxt und verfehlte nur knapp die Spitze von Humas Helm.

Beide Drachen waren mittlerweile blutüberströmt, und es war schwer zu sagen, wer mehr Verletzungen abbekommen hatte. Beide hatten mehr als ein Dutzend Bisse, Schnitte und Schrammen am Hals. Die Brust des schwarzen Drachen war aufgerissen, doch es war ihm gelungen, einen Teil der unteren Haut vom rechten Flügel des Silbernen aufzuschlitzen.

Charrs Schulterwunde und die frühere Wunde am Flügel forderten ihren Tribut. Er sank etwas tiefer, so daß es dem Silberdrachen gelang, mehrere Tatzenhiebe an seinem Hals zu landen. Noch einmal senkte sich die Drachenlanze in Charrs Schulter.

Verzweifelt holte der Schwarze tief Luft. Aus Angst, daß seine Gefährtin es nicht bemerkt hatte, trat Huma ihr fest in die Seiten. Ob wegen dieser Warnung oder nicht, auf jeden Fall schlug ihre Schnauze fest auf die von Charr, wodurch das Maul des dunklen Drachen verschlossen war. Der Säurestoß, den Charr geplant hatte, blieb stecken und kehrte sich nach innen um. Der Schwarze erzitterte, während er gleichzeitig erstickte und verbrannte.

Im grausamen Schmerz seiner Verwundung schlug er seine Klauen tief in den Leib des Silberdrachen. Charr konnte nicht mehr fliegen, und sein ganzer Körper bäumte sich gegen die Säure und den Sauerstoffmangel auf. Alle vier Kämpfer stürzten ab.

»Meine Flügel werden den Fall verlangsamen, aber wir werden trotzdem mit großer Wucht aufschlagen!« schrie der Silberdrache. »Ich werde versuchen, mich so zu drehen, daß ich deinen Aufprall abfedern kann.«

Crynus schien hingegen keine Angst vor dem Sturz zu haben. Selbst jetzt noch versuchte er, Huma oder den Silberdrachen zu treffen. Der Wind hinderte ihn daran, viel Schaden anzurichten, und vor Wut oder aus Irrsinn sprang der Kriegsherr von seinem sicheren Sattel – und wurde prompt vom Rest der Gruppe weggewirbelt.

Er schrie nicht einmal.

Huma starrte der fallenden Gestalt nach. Er konnte den Wahnsinn des schwarzgerüsteten Kriegsherrn nicht nachvollziehen.

Die Bäume rasten ihnen entgegen. Plötzlich ließ Charr locker, so daß sich der Silberdrache endlich losreißen konnte.

Doch nun war es zu spät. Mit furchtbarem Krachen stürzten sie in die Baumkronen.

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