11

Wie lange es dauerte, bis er den Schmerz fühlte, konnte Huma nur raten. Irgendwann hatte er die schreckliche Szenerie verlassen, um sowohl seinen wachsenden Abscheu vor sich selbst zu lindern, als auch um weiteren Verfolgern zu entkommen. Er ahnte vage, daß es noch welche geben würde, denn Drakos und der Kriegsherr Krynus waren geradezu fanatisch, was ihre Ziele anging. Und Huma rechnete damit, daß zumindest Krynus sich für seinen Verbleib interessierte. Der Schmerz wurde schlimmer. Huma starrte wie betäubt auf die zahlreichen Wunden, die ihm seine Gegner beigebracht hatten. Seine Rüstung war zerrissen und zerfetzt; das Kettenhemd praktisch nutzlos. Er fragte sich, wann dieser Schaden angerichtet worden war. Er konnte sich nicht an Einzelheiten erinnern, außer daß er sein Schwert auf alles gerichtet hatte, was sich bewegte.

Huma fand einen Fluß und wusch, so gut es ging, seine Wunden aus. Das kalte Wasser tat nicht nur dem Körper gut, sondern auch seinem Geist.

Nachdem er fertig war, beschloß er, dem Flußlauf zu folgen. Er führte mehr oder weniger nach Südwesten, und er erinnerte sich, daß Magus diese Richtung empfohlen hatte. Dabei fiel ihm Kaz ein, und der Ritter bekam Schuldgefühle, daß er seinen einzigen wahren Freund verlassen hatte. War der Minotaurus jetzt wohl irgendwo in Sicherheit?

Eine riesige Gestalt brachte die Bäume dazu, sich zu verbiegen, indem sie einen enormen Wind verursachte. Huma drückte sich instinktiv gegen einen Baum und starrte nach oben. Er erhaschte einen Blick auf einen breiten, ledrigen Flügel, der jedoch fast augenblicklich wieder verschwand, so daß er sich nicht einmal über die Farbe sicher war. Was für ein Drache es auch war, er kehrte nicht zurück.

Der Tag verstrich, ehe Huma es überhaupt bemerkte. Der Hunger begann sich zu melden, und Huma wühlte sich durch die Satteltasche, die er einem der Pferde abgenommen hatte. Die Schwarzen Garden hatten anscheinend nur wenig persönliche Dinge bei sich. Ganz unten fand er, was er gesucht hatte – Proviant für drei Tage.

Einen Augenblick später spuckte er ihn trotz seines Hungers wieder aus. Eine neue Lektion über seine Gegner: Ihr Geschmack war abscheulich, selbst bei ganz normalen eisernen Rationen. Huma wußte, daß er sich mehr Schaden als Gutes antun würde, wenn er dieses Zeug aß. In seiner gegenwärtigen Verfassung würde sein Magen es niemals bei sich behalten können.

Zum Glück fand er andere Nahrung in Form von Vogeleiern und Beeren. Das war zwar nicht besonders reichhaltig, aber es besänftigte den Hunger. Seine Nahrungssuche verriet ihm noch etwas anderes. An den meisten Sträuchern waren die eßbaren Beeren schon abgeerntet. Erst kürzlich. Und zwar viel zu sorgfältig, um das Werk von Tieren zu sein. Außerdem hatte Huma bisher nur Vögel entdeckt. Wenn er zu lange in dieser Gegend blieb, würde er verhungern. Auch der Fluß schien leergefischt.

Drei Tage lang wanderte er am Fluß entlang. Das Gesicht, das ihn am dritten Tag aus dem Wasser ansah, ließ ihn spöttisch über sich selbst lächeln. Sein Spiegelbild war zerzaust, die Haare seines Schnurrbarts zeigten in hundert verschiedene Richtungen, die Rüstung war verbeult, kaputt, blutig und dreckig. Gewissenhaft versuchte er, den Schmutz vom Symbol des Ordens der Krone abzuwischen. Er sah sein eigenes Gesicht verschwinden und eins wie Bennetts erscheinen. Trakes Sohn war wie immer makellos. Der Brustharnisch glänzte wie gewohnt. Sein stolzer Schnurrbart war dicht und perfekt gestutzt. Er war ein wahrer Ritter.

Ein anderes Gesicht gesellte sich zu Bennetts. Dieses gehörte keinem Ritter von Solamnia, sondern einem fremdartig gerüsteten, bärtigen Bär von Gesicht. Es trug einen höhnischen Ausdruck.


Hätte er es nicht hier und jetzt gesehen, so hätte der bärenähnliche Mann es nie geglaubt, daß ein Mann sich so schnell bewegen konnte. Irgendwie zog die abgekämpfte Gestalt, die sich da über den Fluß beugte, scheinbar aus dem Nichts ein Breitschwert, und der verblüffte Fremde schaffte es gerade noch, dem Hieb auszuweichen – und auch das hauptsächlich wegen des ungünstigen Winkels des anderen.


Huma konnte den Mann, der versucht hatte, sich an ihn anzuschleichen, nicht sofort einordnen. Er trug ein Sammelsurium verschiedener Rüstungen, teilweise nach Ogerart, teilweise aus solamnischen Rüstungen. Huma hätte den Mann laufen lassen, doch jetzt fragte er sich, ob er nicht einem Räuber begegnet war, der sogar die Toten bestahl.

Sein Gegner stieß einen Schrei aus, drehte sich um und rannte davon, erstaunlich schnell für eine so unförmige Gestalt. Huma setzte ihm nach.

Die Erschöpfung machte ihn langsam. Dennoch hatte Huma den Mann fast eingeholt, als der andere um einen kleinen Hügel lief. Huma folgte ihm auf dem Fuß…

… und wich sofort zurück, als mehr als ein Dutzend Reiter und viel, viel mehr Fußsoldaten die beiden Neuankömmlinge überrascht anstarrten.

Ein großer Mann mit schwarzem, von Silberfäden durchzogenem Haar und sorgfältig gestutztem, schwarzem Bart bellte einen Befehl. Huma verstand den genauen Wortlaut nicht, doch er wußte, was sie mit ihm tun sollten.

Jetzt verließ ihn sein Glück, denn die Bäume standen hier spärlicher, und die Reiter kannten das Gelände, wie man aus ihren gekonnten Manövern schließen konnte. Als er erkannte, daß er ihnen nicht entkommen konnte, drehte der Ritter sich um und machte sich bereit. Das waren nicht die menschlichen Streitkräfte der Drachenkönigin, soviel wußte er, doch ob Freund oder Feind, war ungewiß.

Die ersten Männer ritten auf ihn zu. Sie waren gute Reiter, aber er konnte sie mit dem Schwert auf Distanz halten. Das fiel ihm schon schwerer, als ein dritter Mann heranritt, gefolgt von Fußsoldaten, so daß Huma sich in einem rasch enger werdenden Kreis gefangen sah. Noch immer griff keiner der Soldaten an. Keiner hatte den Wunsch, diese blitzende Klinge zu kreuzen.

»Die Waffen weg! Das ist ein Befehl!«

Die anderen Reiter trafen ein. Der Mann, der den Befehl gerufen hatte, trieb sein Pferd zu dem Kreis, wo die Soldaten ihm Platz machten. Er ritt zu Huma hin und musterte ihn. Der Kommandant war ein Mann mit ausgeprägtem Profil, dessen Gesicht von der Verantwortung eines Anführers gezeichnet war. Wie viele Ritter von Solamnia trug er die habichtartigen Gesichtszüge, die auf altes, ergodianisches Blut hindeuteten – königliches Blut. Sein Gesicht war jedoch nicht so streng wie das des Großmeisters oder das von Bennett. Das feine Lächeln, das um den Mund spielte, wäre bei diesen beiden großartigen Rittern fehl am Platze gewesen. »Ein Ritter von Solamnia? Ein bißchen weit ab von Burg Vingaard, nicht wahr, Ritter der Krone?«

Huma lief rot an bei dem Gedanken, was der Mann von ihm halten mußte. Er verschaffte der Ritterschaft nicht gerade großes Ansehen. Huma versuchte, seine Würde zu wahren, indem er erwiderte: »Ich bin seit Tagen allein unterwegs. Ich habe mit Monstern und Kriegern gekämpft. Meine Wanderung war nicht ganz freiwillig.«

Er traute ihnen noch nicht genug, um mehr zu sagen.

»Aha.« Der Kommandant setzte sich im Sattel zurecht. »Ich bin Fürst Guido Avontal von Durendi, gegenwärtig etwas zu weit im Süden für meinen Geschmack. Wer bist du, und was machst du mitten in Ergod? Sind die Solamnier jetzt doch noch durchgebrochen?«

»Ich bin Huma, Ritter von Solamnia, Vertreter des Ordens der Krone. Ich wurde von der Schwarzen Garde in diese Gegend gehetzt, als die dunklen Horden der Drachenkönigin unsere Linien überrannten.« Er hätte lügen können, um ihnen Hoffnung zu lassen, doch er entschied sich dagegen.

Avontals Gesicht wurde weiß. Die umstehenden Soldaten begannen nervös vor sich hin zu murmeln.

»Verstehe ich das richtig? Die Ritterschaft ist zerschlagen?«

»Nein, Fürst Avontal. Unsere Linien sind zerschlagen, aber wir sollten uns weiter hinten wieder sammeln. Ich wurde leider in die falsche Richtung abgedrängt. Burg Vingaard steht noch, wie es immer war und immer sein wird.«

Der andere lächelte sarkastisch. »Uns in Ergod ist die Stärke der Ritterschaft nur zu gut bekannt, auch wenn sie anscheinend wenig Auswirkungen gezeigt hat. Ich freue mich jedoch zu hören, daß die Ritter noch nicht völlig vernichtet wurden.«

Einer der anderen Reiter kam näher, und Huma wirbelte herum, wobei er dem Mann warnend seine Klinge entgegenstreckte. Avontal hob eine Hand, um beide zu beruhigen.

»Ich habe viele Fragen, aber du scheinst müde zu sein. Du«, der Kommandant zeigte auf den Reiter, der näher gekommen war, »überläßt ihm vorläufig dein Pferd.«

»Ja, Herr.«

Huma blickte von dem angebotenen Pferd zu Guido Avontal und wieder zurück. Der Adlige runzelte die Stirn, als er die Gedanken des jungen Ritters erriet.

»Das ist keine Falle, Huma. Auch wir sind Feinde der Drachenkönigin. Lassen wir die Probleme der Vergangenheit, wo sie hingehören – in der Vergangenheit.«

»Das ist auch mein Wunsch, Fürst Avontal«, betonte Huma und kletterte dankbar auf das Pferd.

»Gut. Wenn wir wieder im Lager sind, kümmere ich mich darum, daß du etwas zu essen bekommst. Danach kannst du dich entweder ausruhen oder gleich zu mir kommen.«

Huma kam ein Gedanke. »Herr, gibt es irgendwelche Gerüchte über einen einzelnen Minotaurus in dieser Gegend?«

»Ein Minotaurus?« Avontal sah seine Sekundanten verblüfft an. Sie schüttelten den Kopf. »Anscheinend nicht. Aber wenn es einen gibt, werden wir schon mit ihm fertig, keine Sorge.«

Huma schlug einen dringlichen Tonfall an. »Herr, genau das wünsche ich nicht! Der Minotaurus – ich sehe ein, daß es schwer nachvollziehbar ist – ist ein Verbündeter und darf nicht verletzt werden. Sein Name ist Kaz.«

»So, so.« Avontal musterte Huma erneut. Diesmal länger. »So etwas habe ich noch nie gehört und hätte auch niemals erwartet, es von einem solamnischen Ritter zu hören. Aber ich werde deiner Bitte entsprechen. Genügt das?«

»Ja, Herr.«

»Gut.« Avontal drehte sich zu seinem Adjutanten um. »Mach aus diesem Haufen wieder eine Truppe. Und sperr den da ein, wenn wir zurückkommen.« Der Adlige merkte, daß er dem jungen Ritter in die Augen sah. »Der Mann, den du gejagt hast, war übrigens ein Deserteur. Meinen Dank dafür. Ich freue mich auf unser Gespräch.«

Die Berittenen und Fußsoldaten stellten sich wieder auf und setzten sich auf Fürst Avontals Befehl hin nach Süden in Marsch. Auch wenn Huma lieber weiter nach Südwesten geritten wäre, vertraute er Fürst Avontal.

Plötzlich überkam ihn eine Welle der Übelkeit, und er kippte fast aus dem Sattel.

»Bei den Göttern!« Die Kiefer des Kommandanten bewegten sich, doch er wußte zunächst nicht, was er sagen sollte. »Derek, halt ihn fest! Wir wollen nicht, daß er unter die Hufe seines Pferdes gerät.« Avontal betrachtete Huma genauer. »Bei den Göttern!« wiederholte er. »Er ist von Wunden übersät!«

Es gab keine Heiler der Mishakal bei der Armee. Eine neue Pestwelle hatte bei Kargod zugeschlagen, und die Kleriker dort waren unter den ersten Opfern gewesen. Avontal murmelte etwas davon, daß die Pest sehr wählerisch war, denn sie schlug meistens dort zu, wo es am meisten schmerzte. Kargod war bisher verschont geblieben und sollte das wichtigste Nachschublager für Avontals Soldaten werden. Huma schlief einen ganzen Tag lang, was den Adligen ängstigte, denn überwältigende Müdigkeit war eines der ersten Zeichen der Seuche. Erst als Huma dankbar und energiegeladen erwachte, entspannte sich Fürst Guido. Als er beruhigt war, daß der junge Ritter ganz wieder hergestellt war, rief Avontal ihn für eine Unterhaltung unter vier Augen zu sich.

Der Kommandant war ein anständiger Mensch, trotz allem, was die hochrangigen Mitglieder der Ritterschaft Huma über Ergod erzählt hatten. Avontal war auch ein glänzender Stratege, der seine Fähigkeiten allerdings lieber zum Besten seines Landes verwendet hätte. Der Kaiser von Ergod, eine unscheinbare Figur namens Bestell der Dritte, hatte verfügt, daß Fürst Avontal in seinem Namen die Armeen anführen sollte. Der Adlige war zwar ein absolut loyaler Diener seines Landes, wünschte jedoch, daß sein Herr und Meister wenigstens ein paar seiner bestens trainierten, erfahrenen Leibwachen entbehren könnte, um damit die Lücken in den bereits deutlich gelichteten Reihen des Heeres zu schließen. Wie seine Vorgänger war Bestell der Dritte jedoch mehr um sein eigenes Wohlergehen besorgt. Es gab immer irgendeinen Grund, der ihn davon abhielt, seine Leibwache weiter als bis zu den Toren der Hauptstadt auszusenden.

Die Nachricht von der Niederlage der Ritterschaft war nicht dazu angetan, Fürst Avontals wachsende Sorgen zu lindern. »Es fällt mir immer noch schwer, mich daran zu gewöhnen, aber ich weiß, daß du die Wahrheit sagst, Huma. Im Augenblick sehe ich keine Möglichkeit, dich zu deinen Gefährten zurückzubringen. Wir reiten nach Daltigod, auf Befehl des Kaisers, und werden uns danach höchstwahrscheinlich wieder gen Norden wenden. Ich komme mir vor wie eine Marionette, deren Fäden rauf und runter gezogen werden.«

Huma saß allein mit ihm im Zelt des Befehlshabers. Es war das erste Mal, daß der Ritter sein Zelt hatte verlassen dürfen. Man hatte ihn mit einer ansehnlichen ergodianischen Rüstung ausgestattet, die Avontal eigentlich seinem Sohn zugedacht hatte, bevor dieser in seiner ersten Schlacht gefallen war. Das schwere Kettenhemd ergänzte sich gut mit den Überresten von Humas Rüstung. Den Schaden an Helm und Brustharnisch hatte man ausbessern können, wofür Huma dankbar war. Sosehr er die Handwerkskunst der ergodianischen Rüstungsschmiede schätzte, vieles daran war selbst für den edelsten Ritter von Solamnia zu protzig. Avontal hatte ihm anvertraut, daß er seinen Prunkharnisch nur trug, wenn er vor dem Kaiser erscheinen mußte. Bei anderen Würdenträgern mußte seine Kampfrüstung genügen, auch wenn sie das vor den Kopf stieß.

Bis auf seine kaum lösbare Aufgabe hatte Huma ihm alles erzählt. »Kann ich freies Geleit durch Ergod bekommen?«

»Wir sind mitten im Krieg, Huma. Wie kann ich dir gestatten, frei herumzuziehen?«

Huma trank einen Schluck von dem Wein, den Avontal ihm eingeschenkt hatte. Es kam ihm komisch vor, daß ein Adliger einen einfachen, solamnischen Ritter so respektvoll behandelte. Doch der Ergodianer war nicht dumm. Er wußte, daß kaum ein anderer Mann Humas Abenteuer überlebt hätte. Deshalb behandelte er Huma dementsprechend.

»Offen gestanden…« Huma warf einen Blick auf die Wachen vor dem Zelt.

Seufzend fuhr der Ritter fort: »Es gibt ein Gerücht, daß irgendwo südwestlich von hier ein Schlüssel zum Ende dieses ewigen Kriegs liegt. Irgendwo in einem Gebirgszug.«

Avontal nahm den Faden auf. »Es gibt ein Gebirge in der Richtung. Kaum jemand geht dorthin. Es ist als Schlupfloch der Drachen der Finsternis – und sonst welcher anderen Dinge – verschrien. In der Gegend könnte es wirklich etwas Wichtiges geben.«

Augenblicklich war Huma Feuer und Flamme. »Könnt ihr mich dorthin begleiten?«

Der Kommandant lachte. »Ich fürchte, dann macht mich der Kaiser einen Kopf kürzer. Außerdem ist es kein geeignetes Gelände für Kavallerie. Es sind Patrouillen in diese Berge geritten und verschwunden. Die Zauberer weigern sich, dorthin zu gehen, und alle Kleriker warnen davor. Hast du jetzt eine Vorstellung davon, worum du bittest?«

»Ja, Herr.« Huma sank in sich zusammen und stützte den Kopf auf die Arme. Es war plötzlich sehr warm im Zelt.

»Ja. Einen Moment, bitte.« Huma wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Fieberanfall ebbte ab.

Fürst Avontal sah ihn besorgt an. »Vielleicht sollten wir unser Gespräch lieber morgen fortsetzen.«

»Das wäre besser, Herr.«

»Der sehe ich.« Der Adlige rieb sich das Kinn. »Komm mit nach Kargod, dann werde ich mich darum kümmern, daß du allein in die Berge ziehen kannst, wenn du es dann noch willst.«

»Kargod?« Die Hitze ließ vor Humas Augen alles verschwimmen. Es fiel ihm schwer, den Blick des Kommandanten zu erwidern.

»Ja, Kargod. Die Kleriker werden uns um die Pestbezirke herumlotsen. Was hältst du davon?«

»Danke.« Huma stand rasch auf, woraufhin sich alles zu drehen begann. Er hatte nur noch den Wunsch, sich hinzulegen. Noch immer hatte er nicht viel von seiner normalen Kraft zurückgewonnen. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest?«

»Selbstverständlich.« Guido Avontal sah den solamnischen Ritter davoneilen. Besorgt runzelte er die Stirn, trank einen Schluck Wein und starrte dann in sein Glas.

Bevor sie in den Dienst des Kaisers gepreßt worden waren, waren die meisten Soldaten Fürst Avontals einfache Händler und Bauern gewesen. Daher kannten sie die Ritter von Solamnia fast nur aus Legenden. Jetzt reiste eine solche Legende in ihrer Mitte, und die Geschichten von seinen Abenteuern – die wahren und die erfundenen – machten im Lager bereits die Runde. Huma empfand fast ebensoviel Scheu wie die Ergodianer, denn er betrachtete sich selbst nicht als Legende, und das Angestarrtwerden war ihm eher peinlich.

Die meisten Geschichten rankten sich lose um die Verfolgungsjagd und seinen berserkerhaften Kampf gegen die schwarzgerüsteten Handlanger des Kriegsherrn. Angeblich hatte er eine ganze Legion erschlagen, dazu eine Riesenmeute der dämonischen Schreckenswölfe, welche die Männer, die ihre Familie zur Zeit weit weg und ohne Schutz wußten, sehr fürchteten. Huma fand es verwirrend, daß Menschen aus Ergod, von wo seine Ritterschaft gewaltsam vertrieben worden war, ihn als Held betrachteten.

Avontal schien das zu amüsieren. Als Huma protestierte, weil die Geschichten reine Phantasieprodukte wurden, lächelte er nur und entgegnete, daß das die größte Herausforderung für jeden Sagenheld sei: seinem eigenen Ruf gerecht zu werden. »Sie brauchen ihre Helden. Es gibt ihnen Hoffnung. Hoffnung, daß Takhisis’ Finsternis irgendwie zu besiegen ist und sie zu ihren Lieben zurückkehren können.«

Gelegentlich kamen Drachen mit Nachrichten vom Krieg vorbei. Das nördliche Ergod und Hylo waren überrannt worden. Huma wurde nervös. Er fragte sich, ob Kaz weiter nach Norden geritten oder ob er gen Süden gereist war, um Huma zu suchen. Selbst wenn letzteres zutraf, würde ein Minotaurus in keiner Stadt des Landes willkommen sein. Huma sorgte sich nicht nur um Kaz – der kampferprobte Mann aus dem Osten würde sein Bestes geben, um nicht allein zu sterben.

Huma fragte nach Neuigkeiten aus Solamnia, doch die eintreffenden Drachen wußten nicht, was dort vor sich ging. Es gab Gerüchte, daß die Ritter schon halb zur Burg Vingaard zurückgedrängt waren. Über den Osten war nichts Zuverlässiges zu erfahren.

Sie lagerten zwei Tagesmärsche von Kargod entfernt vor den Ruinen einer einst blühenden Stadt. Die Stadt war zu Beginn des Krieges der Pest zum Opfer gefallen, und manche Leute glaubten, die neuste Welle sei von diesen Ruinen ausgegangen. Avontal war da anderer Ansicht.

»Du erinnerst dich sicher«, erklärte er Huma am gleichen Abend, »daß ich erwähnt habe, wie wählerisch mir die Pest vorkommt.«

»Allerdings.«

Der Adlige trommelte mit den Fingern auf dem Tisch in seinem Zelt. »Ich glaube, daß sie so wählerisch ist, weil sie gezielt von menschlichen Agenten ausgestreut wird.«

Huma wollte nicht glauben, daß jemand absichtlich Krankheiten verbreiten würde, doch er hatte schon vom Morgionkult gehört. Es hieß, daß dieser Kult in allen Schichten, allen Ländern und allen Organisationen seine Agenten hatte, die auf Kommando die tödlichen Gaben ihres Gottes freisetzten.

»Ist es möglich, daß du dich täuschst?« Huma hätte das vorgezogen.

»Ja, schon.«

Huma war nicht länger auf das Lager beschränkt. Avontal hatte diese Regel am ersten Tag erlassen, doch er hatte sie aufgehoben, sobald er sicher war, daß Huma nichts Verrücktes anstellen würde – zum Beispiel, ohne Begleitung davonzureiten. So kam es, daß Huma sich vom Lager entfernte und irgendwann auf die nächsten Ruinen zusteuerte. Die Ruinen beunruhigten ihn wie alles, was mit Pest zu tun hatte, doch Huma wußte, daß von der Krankheit nach so langer Zeit keine Spur mehr vorhanden sein konnte.

Huma hatte nicht vor, die Ruinen der unglückseligen Stadt zu betreten, bis er einen vierbeinigen Schatten vorbeihuschen sah, der sofort in den Trümmern verfallener Häuser verschwand. Es konnte einfach ein Wolf oder ein streunender Hund sein.

Mit gezücktem Schwert verfolgte er das Schattenwesen. Er merkte nicht, wie tief er in die Ruinen vorgedrungen war, bis er hörte, wie sich zwischen den verlassenen Gebäuden etwas bewegte. Es war kein Geräusch, das er von einem Vierbeiner erwartet hätte. Ausbildung und Erfahrung verrieten ihm, daß dieser neue Gegner auf zwei Beinen ging.

Huma versuchte, in der Dunkelheit Umrisse auszumachen. Er sah zwei schwach glühende, rote Augen, die dann in einem Gebäude verschwanden. Der Ritter ging langsam hinterher.

Zu seiner Linken hörte er in einem Haus etwas rutschen. Als er sich in diese Richtung umdrehte, konnte Huma nur etwas Schwarzes sehen. Eine große, formlose Masse stieß ihn an, als sie sich rasch hinter ihm vorbeimogelte. Er fuhr herum und wurde durch das Schmerzensgeheul der Gestalt belohnt, bevor sie buchstäblich mit der Nacht verschmolz. Mit dem Schwert in der Hand setzte Huma ihr nach.

Die Gestalt konnte nur durch den verfallenen Eingang vor dem Ritter verschwunden sein. Huma trat die Reste der Tür beiseite und drang in das Haus ein.

Das Zimmer war leer. Er durchsuchte die anderen Räume des leeren Hauses. Auch sie wurden nur vom üblichen Ungeziefer bewohnt. Sein Opfer war verschwunden. Ärgerlich ging er auf die Rückwand des Gebäudes zu und wirbelte beim Gehen Staub auf. Hinter dem Gebäude fand er noch mehr Schutt. Wenn nicht genau hinter diesen Steinen etwas flach auf dem Boden lag, dann mußte es woanders sein. Es gab einfach kein Versteck hier draußen.

Der aufgewirbelte Staub reizte Huma zu heftigem Husten. Er fühlte sich plötzlich schwach, und ihm wurde übel. Schon das Gehen fiel ihm schwer, viel schwerer noch war es, das Schwert festzuhalten. Wütend schmiß er die Klinge auf den Boden, wodurch er noch weiteren Staub aufwirbelte. Seine Rüstung war damit bedeckt, doch das kümmerte ihn nicht. Er taumelte bereits. Der Staub schien überall zu sein, drang in Augen, Nase, Ohren und Hals. Er schaffte es bis zum Eingang, wo er seufzend zusammensackte, um auf die unbelebte Straße zu starren. Auch dies wurde bald zu ermüdend, und er beschloß, daß ein Nickerchen jetzt genau das Richtige sein würde. Der Ritter schloß die Augen und begann bald zu schnarchen.

Düstere Gestalten in langen, alles verhüllenden Roben und Kapuzen warfen um ihn herum Schatten. Ihre Gesichter waren unter den weiten Kapuzen nicht zu erkennen, und nur einer von ihnen entblößte seine Hände. Er nahm ein kleines Fläschchen vom Gürtel und entkorkte es. Sorgfältig goß er den Inhalt auf den Boden. Der Inhalt, ein rotes Pulver, reagierte sofort mit dem, was Huma für jahrzehntealten Staub gehalten hatte. Die zwei Substanzen zischten und dampften und neutralisierten einander, bis nur noch die natürliche, graue Staubschicht da war, die sich über die Jahre angesammelt hatte. Die Gestalt mit der Kapuze verschloß die Flasche wieder und drehte sich zu dem zusammengesunkenen Ritter um. Sie schnipste mit den Fingern, und vier von den anderen huschten herüber, um Huma zu ergreifen.

Innerhalb weniger Momente war das Zimmer leer. Hätte irgend jemand hineingeschaut, so hätte er keinen Hinweis gefunden, daß vor kurzem jemand hier gewesen war. Es gab keine Spur von dem Ritter und keine Spur von seinen verhüllten Geiselnehmern.

Ein spöttisches Geheul durchschnitt die kalte Luft der Geisterstadt.

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