Für ein systeminternes Schiff gab es keine Zugangsrampe, nur eine dunkle Röhre, die in ein kaltes und matt erleuchtetes Inneres direkt neben dem Dock führte. Die Rau tauchte als erste hinein und schrie ihrer Besatzung etwas zu, was zu einem Hämmern und Dröhnen von Füßen auf den ungepolsterten Decksplatten führte. Die Luft war schlecht und stach in der Nase. Pyanfar kam Sekunden nach dem Kapitän der Glück an Bord, legte eine Hand an den Lukenrand, als sie sich zum Einsteigen bückte, und zog sie feucht vor Kondensation zurück — irgendwo im Recyclingsystem gab es undichte Verschlüsse. Die Götter mochten wissen, wo die Grenze dieses Lebenserhaltungssystems erreicht war. Pyanfar arbeitete sich an Schränken vorbei zum Leitstand der Sonde, verließ sich darauf, dass die anderen von Haral und Chur an Bord geführt und sicher untergebracht wurden.
»Name?« fragte sie den Rau-Kapitän, während sie sich in den dreisitzigen Leitstand gleiten ließ, der nur hüfthoch war und sie zwang, sich unter die Bildschirme an der Decke zu kauern. »Nerafy«, sagte der Kapitän, nickte in Richtung ihrer wahrscheinlichen Co-Pilotin und der Navigatorin, die an der anderen Seite in den Leitstand kamen, und fügte hinzu; »Tamy, Kihany.«
»Habe uns eine Eskorte besorgt«, berichtete Pyanfar. »Die Mahe werden dafür sorgen, dass wir sicher hin und zurück kommen. Los jetzt! Keine Erdwürmer in meinem Haufen. Gibst du mir den Kom?«
»Wir legen ab«, sagte Nerafy und versank in ihrem Sessel. Dröhnend fiel die Luke zu — ein betäubender Lärm. »Kihany: Anuurn ist unser Ziel. Gib dem Kapitän die gewünschte Verbindung!«
Der Rückstoß setzte ein. Pyanfar hangelte sich mit den Händen hinter den Sitzen herum zum Kom- / Navigations-Pult, stützte sich mit den Füßen und einer Hand auf dem Rand ab, um sich über das Pult beugen zu können. »Ich möchte«, sagte sie, ohne sich um das gegenläufige Zerren der Schwerkraft, gegen das sie sich ohne Nachdenken verlagerte, zu kümmern, »Kontakt mit der Aja Jin. Mahe. Gib mir dieses Schiff zuerst!«
Es dauerte einen Moment. Eine prasselnde Mahe-Stimme drang durch. Sie verloren G, als die Raus Glück ein schlingerndes Manöver vollführte, erlangten sie wieder. »Aja Jin. Erkennen Sie uns? Verfolgen Sie dieses Signal zurück.«
»Alles klar«, kam die beruhigende Antwort. »Alles klar. Wir sehen Sie.«
»Aus«, sagte Pyanfar. Sie unterbrach, war nicht scharf auf lange Gespräche, wo es Kif gab, die sie empfangen konnten. Mit dem Mikro in der Hand tippte sie der geplagten Navigatorin auf die Schulter. »Nächster Ruf: Über Satellit zur Bodenstation Enafy-Region, Gebiet 34, Ortsnummer 2-576-98. Sprich mit jedem, der sich meldet.«
Die Navigatorin warf ihr einen verzweifelten Blick zu, schaltete ihre Funktionsbereiche zum Posten der Co-Pilotin um und beschäftigte sich dann mit dem Kom — keine Fragen, keine Einwände. »Wo landen?« fragte die Co-Pilotin.
»Erst mal hinkommen«, sagte Nerafy. »Das hier ist ein Rettungsflug. Geschwindigkeit zählt.«
»Karten-Koordinaten 54.32/23.12«, sagte Pyanfar, während sie dem einseitigen Kom zuhörte. Sie standen in Kontakt mit Enafy. Einen Moment später hielt die Navigatorin einen Finger hoch, und Pyanfar steckte sich den Ohrhörer an und widmete sich dem Mikro.
»Chanur«, sagte sie zitternd, was jedoch nur der Kälte zuzuschreiben war. »Gibt Chanur Antwort?«
»Hier«, sagte eine Stimme von der Welt, fern und verzerrt durch den schlechten Empfang.
»Hier Chanur-Holding.«
»Hier Pyanfar. Wir sind im Anflug. Wer spricht?«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, und sie glaubte schon, die Verbindung sei unterbrochen. »Es ist Tante Pyanfar«, zischte die Stimme am anderen Ende in Reichweite des Mikro-Empfangs. »Um der Götter willen, sag Jofan Bescheid… und beeil dich!«
»Lass doch Jofan, du BaIg! Besorg mir Kohan, und zwar schnell, hörst du?«
»Tante Pyanfar, hier Nifas. Ich glaube, Ker Jofan kommt… die Tahar sind hier; die Mahn haben herausgefordert — Kara Mahn hat es getan; und die Faha sind neutral geworden, außer Huran, die noch hier ist; und Araun und Pyruun haben angerufen und gesagt, sie würden kommen. Alle sind hier versammelt. Sie wissen… Tante Jofan, es ist…«
»Pyanfar.« Eine andere Stimme meldete sich am Mikro. »Den Göttern sei Dank. Komm her!«
»Hol mir Kohan! Hol ihn! Ich möchte mit ihm reden.«
»Er ist…« Jofans Stimme verklang oder wurde von Statik überlagert. »Ich versuche es. Bleib dran!«
»Mache ich.« Pyanfar ließ die Hand mit dem Mikro auf dem Mund ruhen und bewegte ihren schmerzenden Körper; sie waren jetzt in der intensivsten Bremsphase. Der Rand des Leitstandes schnitt ihr in den Rücken. Sie verschaffte sich etwas Erleichterung und entdeckte, dass ihre sämtlichen Glieder unter der Anstrengung zitterten, ihre Haltung beizubehalten. Sie beobachtete die Bildschirme, sah, dass sich dort auf dem Scanner etwas anderes bewegte. Aja Jin, hoffte sie. Es wäre besser so.
»Pyanfar!« Die statikverzerrte tiefe Stimme explodierte in ihrem Ohr. Kohan, ganz ohne Zweifel. »Pyanfar!«
»Kohan, ich bin unterwegs. Ich komme. Wie viel Zeit noch, Kohan?«
Ein langes Schweigen.
»Kohan.«
»Ich warte, bis du hier bist. Ich glaube, solange kann ich alles hinhalten.«
»Ich werde direkt landen. Ich möchte, dass du drin bleibst, nichts hörst und nichts siehst. Ich habe etwas dabei. Etwas, was dich interessieren wird.«
»Diesen Außenseiter.«
»Dann ist die Nachricht angekommen.«
»Tahar… erhebt Beschuldigungen gegen dich.«
»Bereits erledigt. Erledigt, verstehst du?«
Wieder ein ausgedehntes Schweigen. »Ich habe meine Sinne beisammen. Ich wusste, dass du unterwegs warst; du musstest es sein, wenn dieser Haufen mit derart würdeloser Hast daherkam.«
Sie atmete lang aus. »Gut. Gut für dich. Halte durch!«
»Wo ist Hilfy?«
»Ihr geht‘s gut, und sie ist in Sicherheit. Ich bin auf dem Weg. Jetzt. Kein weiteres Reden mehr. Wir haben was zu erledigen, hörst du?«
Ein Atemzug prasselte durch die Statik. »Ich werde diesen Mahn-Bengel zu einem Anfall treiben.« Es fing an, sich wie ein beruhigendes Glucksen anzuhören. »Ich werde im Stübchen sitzen und meinen Gfi trinken und mich am Schatten erfreuen. Mach Tempo, Pyanfar! Ich möchte dich hier haben.«
»Aus«, sagte sie. Sie reichte das Mikro zurück, wozu sie den Arm gegen den Andruck stemmen musste, ließ ihn zurückfallen und zitterte bei der Erkenntnis, wie lange dieses Gespräch gedauert hatte, wie klar gewesen war, wer aus dieser Nussschale von einem Schiff gesprochen hatte. Sie befanden sich auf Richtstrahl zum Satelliten; vielleicht hatte also doch niemand mitgehört.
»Habe alles eingerichtet«, sagte Nerafy.
»Ich gehe zu meinen Leuten zurück«, sagte Pyanfar. Sie stemmte sich aus dem Leitstand, einen Fuß auf dem Schott.
»Sicherheitsleine«, riet ihr der Kapitän; sie sah sie und zog sie herab, erwischte den Haltebügel und schob die Hand hinein. Bewegte sich den langen Schlund des Zentralkorridors hinab, vorbei an feuchten Türen und gealtertem Plastik, hing dabei mit dem Anderthalbfachen des eigenen Gewichtes an dem Arm. Sie erreichte die verbarrikadierte Sitznische, wo die anderen untergebracht waren, und Haral packte sie, zog sie mit Schwierigkeiten über den gepolsterten Sicherungsriegel, der das Abteil abschloss, und in mehrere Hände, von denen ein Paar fremdartig war, ließ sie auf die Polster zu den anderen fallen.
»Hatte Kontakt mit Kohan«, ächzte sie, während sie ihre Glieder aus denen der anderen aussonderte. »Er wird sie hinhalten.«
Hilfys Gesicht. Sie sah die Erleichterung, die zusammengepressten Lippen, und verspürte ein wenig Bestürzung, als sie an das Mädchen dachte, das eine Reise zuvor an Bord der Stolz gekommen war, und an die Frau, die jetzt ihren Blick erwiderte, selbstbeherrscht und die Chancen abwägend.
»Hatte auch Kontakt mit den Mahe«, sagte Pyanfar. »Sie sind bei uns.« Sie blickte an Chur und Haral vorbei zur Llun, Ginas, die die Ohren hängen ließ und den Blick ängstlich erwiderte. »Du musste den Rückflug nicht mitmachen«, sagte Pyanfar. »Du hast keinen Grund dazu, Ker Llun. Wir setzen dich nur dies eine Mal sicher ab, das ist alles.«
»Akzeptiert«, sagte die Llun verkrampft.
»Käpt‘n.« Haral warf ihr ein Päckchen mit Fleischstreifen zu sowie eine Flasche mit einem Getränk. Pyanfar klemmte sich die Flasche in den Schoß und hieb eine Kralle in das Päckchen, die Hände vor andauernder Strapazierung zitternd, benutzte die Kralle, um zwei Löcher in den Plastikverschluss der Flasche und die Tülle zu stoßen. Das Essen half, so schwierig es auch unter dem Beschleunigungsstress zu schlucken war. Sie bot auch den anderen etwas davon an.
»Wir hatten schon«, sagte Chur. Der Reihe nach senkten sich die Körper, als sich alle zurücklegten. Tully versuchte mit Handzeichen und verstümmelten Wörtern zu reden, und Hilfy und Chur verständigten sich mit ihm, so gut es ging, sprachen langsam über etwas, das mit dem Schiff und der Atmosphäre zu tun hatte. Ihm war kalt; sie hielten ihn fest und ließen sich endlich nieder. Pyanfar rollte mühsam die Augen zu Haral und schloss sie dann wieder, vom Schmerz betäubt.
Für keine der beiden Situationen, die auf der Station und die auf dem Planeten, konnten sie jetzt noch etwas tun. Kohans Nerven würden mittlerweile schon fast ausgefranst sein. Diese Hinundher-Psychologie der Herausforderung würde stündlich an ihm fressen. Es war, wie wenn man sich den Mut für einen Sprung zuredete und dann zurückwich. Der zweite Versuch fiel dann noch schwerer, eine Anstrengung aus dem Herzen heraus. Die Götter wussten, wie lange schon die Situation an Kohans Nerven sägte. Monate. Seit der Nacht, in der Hilfy fortgegangen war. Vorher schon — seit er wusste, dass Khym Mahn wahrscheinlich unter der Herausforderung fiel. Es gab einen Punkt, über den hinaus er alles Essen wieder hochwürgen würde, das er zu sich zu nehmen versuchte; er die ganze Nacht herummarschierte und damit seine Kräfte erschöpfte, auch durch den ständig hohen Adrenalinspiegel, der ihn innerhalb von Tagen bis auf Haut und Knochen verzehren würde.
Huran und einige der anderen Gefährtinnen waren geblieben. Da waren auch noch seine zwei jüngsten Söhne, die zu den Grenzen rannten, wenn sie auch nur ein bisschen Verstand besaßen, um nicht in seiner Reichweite zu bleiben. Da waren gut zwanzig Töchter, die vielleicht genug Wert an den Tag legten, um darauf zu achten, dass er aß und schlief, soviel nur möglich war, wenn diese Zeit heranrückte. Töchter, Gefährtinnen und mit den anwesenden Kapitänen noch ein paar Halbschwestern, die von allen am zuverlässigsten waren. Aber es gab auch noch ausgewachsene Chanur-Männer, die vielleicht aus dem Exil zurückkamen, um die Situation weiter hochzutreiben; zurück vom Einsiedlerleben, vom Umherwandern, von die Götter wussten welchen Beschäftigungen, die das Leben der Männer in den Freistätten ausfüllten. Sie waren bei jeder Herausforderung dabei; hoffnungslos, aufgestachelt und gefährlich trieben sie sich an den Grenzen herum.
Was den jungen Kara Mahn anging, so war er wahrscheinlich gut. Er hatte Khym bezwungen, der bis dahin weit mehr durch seinen Verstand als durch Kraft überlebt hatte.
Kara hatte das letzte mal, als sie ihn gesehen hatte, sowohl Körpergröße als auch Intelligenz versprochen. Chanurblut, letztendlich, und Chanurtemperament. Sie verfluchte ihre Dummheit, einen Gefährten wie Khym gesucht zu haben — einen ruhigen und friedlichen Wohnsitz, eine Bergzuflucht und Khym, einen Ruheort, einen Garten wie in einem Traum.
Khym hatte ihren Geschichten gelauscht, ihre Nerven beruhigt, sie mit seinem Witz zum Lachen gebracht; ein idealer Gefährte, der keinerlei Bedrohung für Chanur-Interessen darstellte. Aber, Götter, sie hatte nie daran gedacht, was sie an jenem Ort zurückließ, ihren eigenen chanurblütigen Sprössling, größer als Khyms Töchter und Söhne von örtlichen Ehefrauen, größer und stärker und auch — wenn solche Dinge vererbt werden konnten — streitsüchtig und fordernd.
Nichts Derartiges wie Familientreue. Ihr Sohn begehrte sein Chanur-Erbe so sehr, dass er es sich aneignen wollte.
Verbesserung der Rasse hatten es die Hani-Philosophen genannt. Churrau hanim. Der Tod von Männern bedeutete nichts, nichts außer der stattfindenden Veränderung: der Han passte sich an, und die Überlebenden zeugten dann die Jungen. Ein Mann war so gut wie jeder andere und diente seinem Zweck gut genug.
Aber, bei den Göttern, es stimmte nicht, denn es gab die Jungen und Rücksichtslosen, die vielleicht eines schlechten Tages gegen einen besseren Gegner gewinnen konnten; es gab Herausforderungen wie die jetzige, die sich gegen Chanur bildete, die mehr bedeutete als den Kampf von einem gegen einen.
Und manchmal — Götter — liebte man sie.
Sie schlief etwas in der stetigen Beschleunigung und bei Empfindungen, die so unbehaglich waren, dass Betäubung die beste Zuflucht war. Und in der Verwirrung von Sprung und Zeit ließ sich ihr Körper überreden, dass Freischicht war oder vielleicht die Schicht darauf.
Eine neue Wahrnehmung holte sie aus diesem Zustand heraus, Gewichtslosigkeit und jemandes Zupacken, das sie am Davonschweben hinderte, als ein Licht aufblitzte. »Zeit zum Abstieg«, sagte Haral, und Pyanfar langte vorsichtshalber nach einem sicheren Halt.
Es war ein rauer Abstieg; sie hatte nichts anderes erwartet. Sie besaß keine Vorstellung von der Form des Landers, aber es handelte sich nicht um eine der geflügelten, gleitenden Fähren. Der Lander hämmerte sich auf die Art seiner Modellreihe seinen Weg nach unten, und seine Vibrationen drangen in das Mark lebendiger Knochen und ließen Haut und Gewebe und die Augen in ihren Höhlen erzittern; man konnte nichts anderes machen, als durchhalten und sich verzweifelt wünschen, dass es etwas zu sehen gab, dass es etwas für die Hände zu tun gab, irgendeine Folge von Dingen, die Nachdenken und Erledigung erforderte.
Es ging soweit, dass Pyanfar einfach die Augen schloss und ihre wahrscheinliche Position zu errechnen versuchte; sie kam zu dem Schluss, dass ihr die Rolle eines Fahrgastes nicht zusagte. Dann nahm der Lärm zu und das Zerren änderte die Richtung — Götter, dieser Lärm! Sie hörte etwas und hoffte inbrünstig, dass es die ausfahrenden Landebeine waren.
Sie befanden sich jetzt im geradlinigen Abstieg — Vibrationen rhythmischer Art.
Aufsetzen, erst ein Fuß und dann die anderen, ein Ruck und noch eine Folge kleinerer Rucke, dann Stille.
Pyanfar zuckte mit den Ohren im plötzlichen Gefühl, taub zu sein, blickte sich dann zu ihren durchgeschüttelten Kameradinnen um. Oben und Unten hatten sich verlagert; der kardanisch aufgehängte Fahrgastbereich hatte sich reorientiert, so dass der Zentralkorridor jetzt flach und begehbar war. »Raus!« sagte Pyanfar. »Wollen wir mal schauen, wo sie uns abgesetzt haben.«
Hilfy schloss die gepolsterte Sicherheitsbarriere auf, und sie gingen. Hydraulische Systeme arbeiteten geräuschvoll, und als sie bis zum Leitstand gekommen waren, flutete Tageslicht durch die offene Schleuse auf das metallische Deck.
Die anderen stiegen aus. Pyanfar zögerte einen Moment der Höflichkeit lang, um der Rau- Besatzung zu danken, die ihr Schiff gesichert hatte und aus dem Leitstand geklettert kam.
»Wenn ihr mitkommt«, sagte Pyanfar, »nun, dann seid ihr auf Chanur-Land willkommen. Oder wenn ihr hier bleibt — wir bringen weitere Fahrgäste, sobald wir können.«
»Wir warten«, sagte Nerafy Rau. »Wir haben euch dicht herangebracht, Chanur. Wir halten das Schiff startbereit. Wir werden warten!«
»Gut«, sagte sie. So zog sie es auch vor. Sie duckte sich unter den Rohren hindurch und schwang sich hinunter auf die ausgefahrene Leiter, kletterte auf die felsige Ebene hinab, wo sie gelandet waren, und blieb im keilförmigen Schatten des Landers stehen. Die Luft roch nach Verbranntem und nach heißem Metall; das Schiff knackte und ächzte und Rauch kräuselte sich aus dem naheliegenden Gestrüpp.
Nach Bodenzeit war es Mittag. Die Schatten zeigten es. Pyanfar gesellte sich zu den anderen und blickte dorthin, wohin Chur deutete, zu den Gebäuden, die sich am grasbewachsenen Horizont zeigten: die Chanur-Holding; Faha war noch weiter entfernt. Und die Berge, die sich rechts von ihnen in blaue Weiten erhoben — dort lag die Mahn-Holding.
Wirklich nicht weit.
»Kommt!« sagte Pyanfar. Durch den Blick in die Ferne war ihr schwindelig geworden, und so verkürzte sie ihren Blick auf die felsige Strecke vor sich. Der Horizont lag verkehrt; und die Farben, Götter, die Farben… Die Welt besaß eine grelle Helligkeit, eine Fülle an Stoffen, den Duft von Gras und Staub und das Gefühl des warmen Windes. Man konnte sich daran berauschen; man hatte schnell genug davon, und der Anblick erfüllte sie für einen Moment mit irrationaler Panik, ein Hinübergleiten von einer Wirklichkeit in die andere.
»Es ist nicht so weit«, schnaufte Hilfy, die den Planeten später verlassen hatte als die anderen. »Bestimmt haben sie die Landung gehört. Er wird Bescheid wissen.«
»Er muss«, stimmte Haral zu.
Auch die anderen, dachte Pyanfar und verlangsamte mit Bedacht ihr Tempo. Eile führte zu Erschöpfung, und das wäre wirklich keine kluge Maßnahme. Tully folgte ihrem Beispiel und verkürzte seine langen Schritte; die Llun, die zurückgeblieben war, holte wieder auf. Die Mähnen flatterten im Wind, am stärksten die von Tully. Die Sonne strahlte mit milder Wärme herab: Herbst, erkannte Pyanfar und sah sich um, bemerkte die schweren Spitzen des Grases und die Färbungen der Landschaft. Insekten erhoben sich panisch in die Luft und setzten sich dann wieder.
»Sie schicken sicher einen Wagen«, meinte Chur, »wenn sie uns entdeckt haben.«
»Ich hoffe«, sagte Pyanfar; aber bislang hatte sich niemand blicken lassen; es gab keine Staubfahne, nichts in der Art. »Vielleicht«, überlegte sie, »haben sie alle Hände voll zu tun. Es wäre auch nicht gut, wenn sie von dort weggingen, nicht, wenn sich die Lage zugespitzt hat.«
Niemand antwortete darauf. Es erforderte keine Antwort. Sie ging weiter, begab sich in die erste Reihe. Dies war vertrauter Boden; sie kannte ihn schon seit ihrer Kindheit. Sie erreichten einen Bach und durchwateten sein knöcheltiefes Wasser; als sie auf der anderen Seite herauskamen, war Tully am Hinken. »Er hat sich den Fuß geschnitten«, sagte Chur und stützte ihn, während er den Fuß hob, um ihn zu untersuchen. »Du kommst mit!« sagte Pyanfar unnachsichtig, und er nickte, schnappte nach Luft und ging weiter.
Es war jetzt nicht mehr allzu weit. Sie erreichten die zu den Toren führende Straße, auf der sie alle — vor allem Tully — leichter gehen konnten. Pyanfar wischte sich die Mähne aus den Augen und begutachtete den Weg voraus, wo sich der Goldstein der äußeren Wälle der Chanur-Holding über den Horizont erstreckte — keine Verteidigungsanlage, sondern ein Hemmnis für Gartenschädlinge und ähnliches —, gegen das die freie Ebene in grasigen Wellen wogte. Dahinter — weitere Bauwerke aus demselben goldenen Gestein. Dort gab es mit Sicherheit Wagen… hinter ihnen, weiter die Straße hinab, den Flughafen. Von dort würden alle gekommen sein, die ganzen interessierten Parteien und Schmarotzer, nur nicht die Abenteurer aus den Bergen, aus den Einsiedeleien und Freistätten, die über das Land gekommen waren und an den Grenzen herumschlichen; gewiss waren Fahrzeuge über diese Straße hineingefahren, hatten die Tore durchquert und standen jetzt auf dem Feld hinter dem Haus geparkt… dort, wo sie stets ihre Besucher unterbrachten.
Als Kohan ihren Onkel besiegt hatte…
Die Jahre rollten rückwärts und wieder vorwärts, ähnlich den Impulsen eines Sprunges, und hinterließen sie ebenso aufgewühlt. Heimwärts… mit der ganzen Geistesverfassung, die die Dinge so leicht nahm, so gottverdammt eifrig.
Die Natur. Die Natur war es, die Männer nutzlos machte, zu überempfindlich, um den Planeten zu verlassen, um irgendeine Position mit Verantwortung innezuhaben, die über die Liegenschaften hinausging. Die Natur war es, die ihnen Verstand und Stabilität vorenthielt.
Oder die Erziehung.
Die Tore aus Gitterwerk standen weit offen, führten zu einer Hecke aus rostbraunblättrigem Ernafya, das selbst im Herbst nach Moschus duftete, einer Hecke, die zu den inneren Toren und dem Haus führte, ein ununterbrochener und kopfhoher Gang. Sie durchquerte das Tor, blickte zurück, während die anderen sie einholten, und als sie sich dann wieder umdrehte…
»Pyanfar!« Jemand trat aus der Hecke hervor, ein Rascheln der Blätter; eine tiefe, männliche Stimme, und sie wirbelte herum, fuhr mit der Hand zur Tasche, dachte an jemanden aus den Freistätten. Sie erstarrte, ohne die Bewegung beendet zu haben, durch die um einen Herzschlag verspätete Erkenntnis — eine ihr bekannte Stimme, eine gebeugte Gestalt, die sich aufgerichtet hatte, beschmutzt und verunstaltet.
»Khym«, murmelte sie. Die anderen waren stehen geblieben und befanden sich in einem Schleier außerhalb der Brennweite ihrer Augen. Der Anblick tat ihr weh; makellos und würdevoll war Khym gewesen; jetzt aber hing sein rechtes Ohr in Fetzen, waren Mähne und Bart von einer Wunde verunstaltet, die von der Stirn bis zum Kinn verlief; ältere Wunden überzogen seine Arme; überhaupt war sein ganzer Körper eine Karte aus Verletzungen, alten und neuen. Er sank zu Boden, kauerte sich noch halb innerhalb der Hecke zusammen, und die Knie standen aus den Lumpen seiner Hose hervor. Er senkte den verschmutzten Kopf und blickte wieder auf, schielte aus dem geschwollenen rechten Auge.
»Tahy«, sagte er mit schwacher Stimme. »Sie ist drinnen. Sie haben die Tore niedergebrannt… Ich habe gewartet — auf dich gewartet.«
Sie starrte bestürzt auf ihn hinab, die Ohren heiß wegen der Anwesenheit ihrer Besatzung und der Llun — auf dieses Wrack, das ihr Gefährte gewesen war, das auch diesen Namen verloren hatte, als Mahn von ihm an ihren Sohn gefallen war.
»Sie haben in der Halle Feuer gemacht«, stammelte Khym; sogar seine Stimme war nur noch ein Schatten ihres früheren Klanges. »Chanur hat sich nach innen zurückgezogen. Die anderen rufen nach Na Kohan — aber er kommt nicht heraus. Die Faha haben ihn im Stich gelassen — alle außer… außer Ker Huran; Araun ist noch da. Sie haben Gewehre benutzt, um die Tore niederzubrennen, Pyanfar.«
»Kohan wird jetzt kommen«, sagte Pyanfar. »Und ich erledige Tahy.« Sie machte Anstalten zu gehen, zögerte dann aber. »Wie bist du nach Chanur gekommen? Weiß Kohan Bescheid?«
Das gesunde Auge sah zu ihr auf; aus dem schielenden anderen, das fast geschlossen war, strömte Flüssigkeit. »Bin gegangen. Lange her. Habe vergessen, wie lange. Na Kohan ließ mich…, bleiben. Wusste, dass ich hier war, ließ mich aber bleiben. Geh weiter, Pyanfar! Geh weiter! Du hast keine Zeit mehr.«
Sie ging weiter, die zum Haus führende Straße entlang, nicht ohne zurückzublicken. Und Hilfy ging neben ihr her, auch Chur und die Llun, aber Tully… Tully war zurückgeblieben, starrte auf Khym hinab, und Khym streckte eine Hand aus, um ihn festzuhalten, nur um ihn zu betrachten…
Khym, der sich über die von ihr erzählten Geschichten gefreut hatte, über die Geschichten von fremden Häfen und Außenseitern, und der noch nie ein Schiff und noch nie einen Außenseiter gesehen hatte, bis jetzt nicht…
»Tully!« rief sie, und Haral packte ihn am Arm und brachte ihn schnell. Und dann: »Khym..
.« rief sie; Aus einem einzigen Grund — aus Scham. Kohan war genauso weich gewesen.., als Khym hierher in sein Exil gestreunt war, um einen besseren Tod zu finden als den von fremder Hand.
Er sah zu ihr auf, ein langsames Erwachen der Hoffnung. Sie nickte in Richtung des Hauses, und er rappelte sich auf und folgte ihnen; sie wartete gerade lange genug, um sich davon zu überzeugen, drehte sich dann sofort um und marschierte rasch die staubige Straße entlang, beäugte die Hecken, die ihrer Krümmung folgten. Sie dachte an Hinterhalt; aber das war eine Methode von Außenseitern, etwas für Kif und Mahe, nicht für Hani beim Versammeln…
Aber…
»Verteilt euch!« sagte sie und gab der Besatzung einen Wink.
»Die Gartenwand — geht dorthin, und wir erledigen diese Tochter von mir. Hilfy, du gehst mit Haral. Chur, du nimmst Tully. Ker Llun, du und ich, wir gehen durch das Tor.«
Ginas Llun nickte, die Ohren flach angelegt vor Erschöpfung, und während die anderen sich in entgegengesetzte Richtungen durch die Hecke verstreuten, steckte Pyanfar die Hände in den Gürtel und schritt rasch um die Biegung der Straße und auf die inneren Tore zu. Schritte schlurften hinter ihr — das war Khym; sie drehte den Kopf, um nachzusehen, um ihn mit einem Nicken zu ermutigen, sie selbst in grellroter Seide, ihre Begleiterin in beamtenschwarz, und Khym… in schmutzigen Lumpen, die möglicherweise einmal blau gewesen waren. Er näherte sich ihr, kam an ihre Seite, humpelte etwas; und, Götter, der Gestank von Eiter aus seinen Wunden… aber er hielt tapfer mit.
Sie konnten es jetzt hören, das Murmeln von Stimmen, das gelegentliche Rufen einer Stimme, die lauter war als die anderen. Pyanfars Ohren senkten sich und richteten sich wieder auf; eine Adrenalinwoge belebte ermüdete Muskeln und drohte, sie in Zittern zu versetzen. »Das ist keine Herausforderung«, knurrte sie. »Das ist Aufruhr.«
»Tahar ist hier«, berichtete Khym zwischen schweren Atemzügen. »Na Kahi und seine Schwestern. Das ist die zweite Schwierigkeit. Alles organisiert, Pyanfar.«
»Darauf wette ich. Wo ist das Gehirn unseres Sohnes?«
»Unterhalb seines Gürtels«, sagte Khym, und fügte nach einigen Schritten hinzu, als die Geräusche von Unruhe lauter geworden waren: »Pyanfar. Bring mich an Tahy und ihrem Haufen vorbei, und ich kann hierbei etwas ändern… ihm die Schärfe nehmen, vielleicht soviel.«
Sie runzelte die Nase und blickte ihn von der Seite her an. Das, was er vorschlug, war nicht strikt ehrenhaft; aber auch das, was Tahy im Schilde führte, war es nicht. Ihren Sohn… durch ein solches Manöver zu erledigen…
»Wenn ich es nicht aufhalten kann«, sagte sie,…nimm ihn!« Khym gluckste, ein kehliges Raspeln. »Du warst immer Optimistin.
Sie umrundeten die letzte Kurve, und vor ihnen lag das Tor, weit offen zu den Gärten, den alten Bäumen, dem rebenbedeckten Goldstein der Holding selbst. Eine Menge trieb sich vor dem Haus herum und zertrampelte die Anpflanzungen und die Reben. Sie brüllten Schmähungen und Spott gegen Chanur und rüttelten an den Fensterriegeln.
»Verflucht sollen sie sein!« flüsterte Pyanfar und eilte auf das Tor zu. Eine Handvoll Mahn erspähte sie und schrie auf, und das war alles, was sie wollte. Sie schrie gellend und stürmte mit Khym an ihrer Seite zwischen sie, und die Mahn zogen sich in die Gärten zurück, um Verstärkung zu holen. »Hai!« schrie sie, und plötzlich tauchten Hilfy und Haral oben auf der Mauer auf und schossen Streufeuer in die Erde vor den Fußen der Mahn, die hastig Deckung suchten.
»Nehmt die Tür!« rief Pyanfar und winkte ihnen zu, und sie sprangen und rannten los.
Weitere Mahn und einige ihrer Schmarotzer befanden sich auf der Säulenveranda, und auf einmal erschienen Chur und Tully auf der seitlich dazu verlaufenden niedrigen Gartenmauer, und Chur brüllte, als würde sie eine ganze Gruppe von Hilfskräften anfeuern. Die Mahn rannten wie eine aufgescheuchte Herde hierhin und dorthin und verschwanden von der Tür angesichts des von drei Seiten erfolgenden Angriffs. Pyanfar raste die Stufen hinauf und traf auf Haral und Chur, die Pistole in der Hand, brach einen halben Schritt vor ihnen durch den Eingang in das mattere Licht und das Chaos von Körpern und den Rauchgestank dahinter durch. Es war ein gewaltiger Raum, erleuchtet durch verriegelte Fenster, am hinteren Ende voller Trümmerstücke der Doppeltore. Die Hani dort drehten sich um und standen ihrem Angriff in plötzlicher Lähmung gegenüber, einhundert Eindringlinge, die in angelegte Chanurgewehre starrten.
Einige bewegten sich. Junge Frauen begaben sich in die vorderste Reihe. Andere nahmen um die Ränder herum vorsichtig neue Positionen ein. Stimmen hallten tief in der Halle wider.
Pyanfar hielt die Pistole mit beiden Händen, ihr Blick zuckte hierhin und dorthin, um sämtliche Bewegungen aufzunehmen.
Diese junge Frau dort — ihr eigenes Ebenbild, rotgoldene Mähne und ein Körperbau, der ihre Mahn-Schwestern überragte:
Tahy. Pyanfars Blick verengte sich. Der junge Mann — Götter, groß und aufrecht und breitschultrig… Jahre her, seit sie die beiden zum letzten Mal gesehen hatte. Längere Jahre für ihre planetengebundenen Kinder, Jahre des Erwachsenwerdens; und sie hatten Verbündete.., etwa zwanzig junge Malin, Männer und Frauen; und an den Wänden des Raumes… Kahi Tahar, Na Kahi, der alte Mann, Chanurs südlicher Rivale, mit anderen… ältere Frauen von Häusern, die Pyanfar als Enaury und andere von Tahars Schmarotzern verdächtigte, die zum Plündern gekommen waren.
»Raus hier!« sagte Pyanfar. »Raus hier, ihr alle!«
»Gewehre«, fauchte Tahy. »Sieht es so aus? Wir haben unsere eigenen. Ist es das, wofür du dich entscheidest, während Na Kohan sich vor uns versteckt?«
»Steckt sie weg!« sagte Pyanfar. Sie sicherte ihre Pistole und steckte sie in die Tasche. Im Augenwinkel erkannte sie, dass Haral dasselbe tat und auch die anderen dem Beispiel folgten. »Nun«, meinte Pyanfar, »du hast dich ein Stück aus deinem Gebiet verirrt, mein Sohn. Verlagern wir die Dinge wieder dorthin, wo sie hingehören.«
»Das ist hier«, sagte Kara.
Eine Bewegung im Korridor hinter den Mahn; Pyanfar bemerkte sie und holte tief Luft.
Chanur. Gut zwanzig, die zum Haus gehörten. Und Kohan, einen Kopf größer als die anderen.
»Passt auf!« schrie Pyanfar und sprang plötzlich zur Seite, ein Ablenkungsmanöver. Die Eindringlinge regten sich verwirrt und griffen zu den Waffen, erst ein Moment erstarrter Verwirrung, und dann die Chanur im Rücken der Mahn. Letztere zogen sich eilig zu der Wand zurück, die ihre linke Flanke gebildet hatte, aber Tahy und ihre Leute warfen sich mit sicherem Instinkt zwischen Kara und Kohan; Pyanfar tauchte auf die andere Seite hinüber, gefolgt von Haral und Chur und Hilfy, die derselbe Impuls trieb, stellten sich ebenfalls zwischen den Fronten auf. Sie fasste an Kohans überhitzten Arm. Er zitterte.
»Zurück!« sagte sie. »Zieh dich zurück, Kohan.« Und zu Tahy: »Raus! Hier gewinnt niemand. Wenn Kohan gezögert hat.., das geht auf meine Verantwortung; und ich bin jetzt hier, zusammen mit Ginas Llun, die bekräftigen wird, was ich sage, und mit einem Außenseiter, der Beweis genug dafür ist, dass wir in Schwierigkeiten sind. Wir haben Kif auf der Station; die Kapitäne sind einberufen worden… um Gaohn zu verteidigen. So ist die Lage da oben. Wir können uns keine Spaltung im Han leisten.«
Tahy schüttelte abschätzig den Kopf. »Wir haben eine durchweg andere Geschichte gehört. Nein. Du möchtest etwas auf deine eigene Weise erledigen… wir werden dir den Gefallen tun. Aber braucht Kohan Hilfe, dass du ihn dafür wieder aus den Büschen ziehst? Wir werden das erledigen.«
»Die Station ist gefallen«, sagte eine Stimme aus den Reihen der Chanur, und eine der Kapitäne bahnte sich einen Weg nach vorn, Rhean mit ihrer Besatzung im Gefolge. »Die Nachricht kam über Kom: Sie rufen um Hilfe… das ist nicht gelogen, Ker Mahn.«
Unruhe brach im Raum aus, als eine Welle der Bestürzung durch sämtliche Anwesenden lief. Die Llun schritt mitten hinein, legte ihre Neutralität ab. »Wie lange schon? Chanur, wie lange?«
»Die Botschaft läuft noch«, sagte Kohan selbstbeherrscht, obwohl sein Atem schwer ging.
»Kara Mahn, ich vergesse das alles hier. Es ist vorbei. Geh jetzt! Wir wollen nicht mehr davon sprechen.«
Kara sagte nichts. Ein glasiger Blick stand in seinen Augen. Seine Ohren waren zurückgelegt. Tahy jedoch wirkte nicht mehr so von sich selbst überzeugt und winkte die anderen zurück.
»Du hattest deine Chance«, meinte Pyanfar ruhig und gleichmäßig. »Hör mir zu! Du hast Mahn errungen. Tahar ist nicht euer Verbündeter. Mach nur weiter mit der Herausforderung, und Tahar wird hier sein, um sich den Sieger vorzunehmen. Einen erschöpften Sieger, verstehst du. Um zwei Holdings zu übernehmen. Es geht mehr um ihre Ambitionen als um deine. Die Llun kann dir etwas darüber erzählen… von einem Tahar-Kapitän, der sich mit Kif abgibt…«
»Verflucht sei deine Unverschämtheit!« brüllte Kahi Tahar, und eine seiner Schwestern hielt einen Arm vor ihn. »Eine Lüge«, sagte sie.
»Vielleicht…«, sagte Pyanfar ungerührt, »ein Missverständnis. Ein… Übereifer, eine unvorsichtige Zunge. Raus hier. Vielleicht verfolgen wir die Sache nicht… Tahy, raus! Der Pakt steht vor dem Zerfall. Jetzt ist nicht der richtige Moment. Verschwinde von hier.«
»Na Mahn«, sagte Kohan. »Es dient nicht deinem Vorteil.«
»Du wirst Mahn verlieren«, sagte Khym plötzlich und schob sich an Hilfy vorbei. »Hör mir zu, Welpe — du wirst es verlieren, an Kohan oder Kahi. Benutze deinen Verstand!«
Kara war darüber hinaus. Die Augen waren geweitet und dunkel, die Ohren angelegt, die Nüstern gebauscht. Plötzlich kreischte er und sprang.
Und Khym tat dasselbe. Pyanfar warf sich herum, stürzte wie ihre ganze Besatzung zu Kohan, wie Hilfy und Huran Faha und wie Rhean und ihre Besatzung. Er wich zurück, schüttelte sich, war im Besitz aller seiner Kräfte. Pyanfar erblickte seine Augen, die auf das schreiende Gewirr hinter ihr gerichtet waren, wirbelte herum und erkannte, dass Khym den Griff verlor, der Karas Krallen von seiner Kehle fernhielt.
»Beende das!« schrie sie Tahy zu und watete selbst dazwischen, versuchte, an irgendeinem der beiden kämpfenden Körper einen Haltepunkt zu finden, sie auseinander zu ziehen.
Ein Ellbogen krachte gegen ihren Kopf, und sie taumelte, warf sich wieder dazwischen, und jetzt versuchten auch andere, die beiden auseinander zu bekommen.
»Tully!« rief Hilfy, und auf einmal wurde eine Flüssigkeit auf sie gesprüht, direkt in Karas Gesicht und über sie hinweg, stach in den Augen und verbreitete erstickende Dämpfe. Mit einem wütenden Brüllen fiel Kara zurück; ihr ging es genauso — sie wischte sich die Augen und hustete, wurde von freundlichen Händen gestützt. Chanur hielten Tully fest, das erkannte sie mit ihren tränenden Augen, hielten ihm die Arme auf dem Rücken fest; und Khym war am Boden und Kara rieb sich die Augen und schnappte nach Luft. Sie kam wieder zu Atem, hustete immer noch, schüttelte die helfenden Hände ab. Sie kannte dieses Aroma, sah das kleine Fläschchen leer auf dem Boden liegen — der Duft von Blumen machte sich vorbei an ihren stechenden Schleimhäuten bemerkbar.
»Tully«, sagte sie, immer noch würgend, streckte eine Hand aus und zog ihn am Nacken zu sich heran, schüttelte ihn von den Chanur frei, die ihn gepackt hatten — tätschelte ihm grob die Schulter und blickte zu ihrem Sohn hinüber, aus dessen Augen weiterhin Nässe strömte. »Lass ab, Na Kara! Du hast Mahn. Lass es damit genug sein!«
»Runter von meinen Land!« sagte Kohan. »Tahar, seid froh, dass ich nicht herausfordere. Verlasst Chanur-Holding. Na Kara: ein höflicherer Abschied. Bitte. Prioritäten. Ich werde mich jetzt nicht auf dich stürzen. Ich könnte es. Denk daran!«
Kara spuckte aus, drehte sich um und schritt steif hinaus, wischte sich dabei heftig die Augen und schüttelte angebotene Hilfe ab, seines Impulses beraubt, seiner Würde, seines Vorteils. Tahy blieb, blickte auf Khym hinunter, der sich auf die Ellbogen aufgerichtet hatte und dabei den Kopf hängen ließ. Sie hätte noch irgendeine letzte Beleidigung hervorstoßen können. Statt dessen verbeugte sie sich, vor Pyanfar, vor Kohan, ganz zuletzt vor Khym, der es nicht sah. Dann ging sie hinaus, die anderen Mahn vor ihr her.
Die Tahar blieben als letzte, Na Kahi und seine Schwestern. »Raus!« sagte Kohan, und die Ohren des Tahar sanken herab. Aber er drehte sich um und ging hinaus aus der Halle, verschwand durch die Tür und nahm seine Schwestern und seine Parteigänger mit. — Kohan seufzte, ein erregtes Grollen. Er langte nach Hilfy, legte ihr einen Arm über die Schultern und zerzauste ihre Mähne, berührte den Ring an ihrem linken Ohr — betrachtete Pyanfar und Khym, der sich auf die Knie hochgerappelt hatte. Khym zuckte unter seinem Blick zusammen und raffte sich wieder ganz auf, zog sich mit hängendem Kopf und schlurfenden Füßen zurück, ohne Kohan noch einmal anzublicken.
»Hatten keine Zeit«, sagte Pyanfar. »Gut gemacht. Es war gut gemacht.«
Kohan schnaubte und nickte, deutete mit der freien Hand auf die anderen. Nickte dann in Richtung der Tür. »Ker Llun.«
»Na Chanur«, murmelte die Llun. »Bitte, die Station…«
»Es wird da oben einen Kampf geben?«
»Keinen kleinen«, meinte Pyanfar. »Du kümmerst dich darum?«
»Könnte einige aus dem Haus gebrauchen.«
»Ich gehe«, sagte Kohan. »Ich gehe dort hinauf.«
»Und lässt die Tahar sich auf die Jungen stürzen? Das kannst du nicht machen. Gib mir Rhean und Anfy und ihre Besatzungen; auch alle anderen, die schießen können! Wir müssen los!«
Kohan gab einen tiefen, kehligen Laut von sich, nickte dann. »Rhean, Anfy, Jofan… wählt aus dem Hause aus und beeilt euch!« Er tätschelte Hilfys Schulter, ging dann zu Haral und Chur und machte dasselbe…, verweilte einen Moment lang, um Tully anzustarren, streckte die Hand aus und berührte ihn beinahe…, aber nicht ganz. Dann drehte er sich um und ging zurück. »Hilfy«, sagte er.
»Mein Schiff«, sagte Hilfy. »Mein Schiff, Vater.«
Es kostete ihn viel, so viel wie das frühere Nachgeben. Er nickte. Hilfy nahm seine massige Hand, drehte sich um und ergriff die Hände von Huran Faha, die ebenfalls nickte.
»Kommt!« sagte Pyanfar. »Kommt, ihr alle! Bewegt euch! Ich bringe sie zurück, Kohan.«
»Kommt alle zurück«, sagte er. Die anderen sammelten sich und eilten zur Tür; nur manche zögerten noch, um sich ihre Waffen zu besorgen. Pyanfar blieb noch einen Augenblick lang, betrachtete Kohan, blickte in seine goldenen, beschatteten Augen; seine Ohren waren aufgerichtet, das schaffte er.
»Diese Geschichte«, sagte sie, »mit diesem Außenseiter… — ich komme zurück und erkläre sie. Mach dir keine Sorgen! Bring Chanur wieder in Ordnung. Wir haben jetzt eine Kante, die wir vorher nicht hatten, verstehst du?«
»Geh!« sagte er sanft. »Ich werde hier alles regeln. Mach dich ran, Pyanfar!«
Sie ging noch einmal zu ihm und berührte seine Hand, wandte sich dann zur Tür, durchquerte den Raum mit einem Dutzend ausholender Schritte und eilte die Veranda hinab, wo kein Zeichen von dem Angriff geblieben war außer dem zertrampelten Garten und einer Fahrzeugkarawane, die die Straße hinter der Mauer hinab verschwand, sich eilig davon machte.
Und Khym. Khym war hier, am Tor, zusammengekauert und den Kopf auf die verschränkten Arme gebeugt. Frische Wunden glänzten an seinen rotbraunen Schultern. Er überlebte. Er überlebte weiterhin, über seine Zeit und seinen Grund zum Leben hinaus.
»Khym«, sagte sie. Er blickte auf. Sie winkte ihn zur Seite des Hauses, dem Weg, den die anderen zur Rückseite genommen hatten, wo sie eine Transportmöglichkeit finden konnten.
Er stand auf und kam, hinkte noch bei den ersten Schritten, dann aber gar nicht mehr. »Ich bin schmutzig«, sagte er. »Keine feine Begleitung.«
Sie wischte sich den Bart und beroch ihre Hand, musste niesen. »Götter, ich stinke für uns beide.«
»Was ist er?«
»Unser Alien? Unser Außenseiter? — Ein Mensch. Etwas in der Art.«
»Huch«, sagte Khym. Er keuchte, war außer Atem und hinkte obendrein wieder. Sie gingen an der Seite des Hauses entlang, über den Weg an den Bäumen dahinter vorbei, und Spätkömmlinge aus dem Haus holten sie ein und gingen mit ihnen, trugen Gewehre. Khym blickte nervös zurück. »Es ist in Ordnung«, sagte Pyanfar. »Willst du mitkommen, Khym? Willst du einmal die Station sehen?«
»Ja«, sagte er.
Sie erreichten den Fuß des Hügels, wo Haral und Chur zwei der Lastwagen gestartet hatten, auf die eine große Zahl Chanur kletterten, mindestens dreißig oder vierzig, abgesehen noch von den rund zehn, die hinter ihr kamen. Tully stand bei Hilfy neben einem der Fahrzeuge.
Pyanfar trat zu ihnen und knuffte seinen Arm. »Gut«, sagte sie. »Rauf mit dir, Tully!«
Er kletterte hinauf auf die Ladefläche, war trotz seiner krallenlosen Finger erstaunlich beweglich. Hilfy folgte seinem Beispiel, und dann sprang Khym mit seinem Gewicht hinauf, das den Lastwagen schaukeln ließ. Weitere folgten.
Pyanfar ging herum zur Kabine und stieg ein. »Los!« wies sie Haral an, und der Lastwagen setzte sich in Bewegung, um die Kurve herum auf die Straße zu den äußeren Toren; schleuderte eine Staubfahne empor, als er zwischen den Hecken einher schaukelte und beinahe mit dem hinteren Pfosten des Tores zusammenstieß, bevor er über die Felder hinweg den direkten Weg zum wartenden Schiff nahm.
Mögen die Götter uns helfen, dachte Pyanfar, als sie hinter sich auf die Versammlung blickte, die die Pritsche füllte, junge und alte Chanur, mit Gewehren bewaffnet; dazu ein früherer Lord, Tully und die Llun, die sich schließlich entschlossen hatte, mit ihnen zusammen zurückzukehren.
Die Schiffe hatten die Station verlassen, um die Kif dort festzuhalten, und die Kif waren noch dort, in der Tat, betrieben die Räume der Station — losgelassene Kif mit dem Wunsch nach Rache, ein Hakkikt, der sein eignes Leben in seiner Lage möglicherweise für wertlos hielt und der Rache viel Bedeutung beimaß.
Sie drehte sich wieder um und stützte sich mit den Fußen gegen die Stöße ab, während der Lastwagen über unebenen Boden hüpfte. Haral zwang das Lenkrad in verzweifelte Drehungen und Rückdrehungen, folgte dem Weg, den sie zuvor gekommen waren, der Spur ihrer Fußabdrücke im hohen Gras, wo es jetzt weniger versteckte Löcher und Buckel geben würde.
»Hoffentlich ist die Aja Jin noch auf ihrer Position«, brummte Haral.
»Hoffentlich sind es die Hinukku und der Rest«, sagte Pyanfar und stützte sich mit der Hand gegen einen Stoß ab. »Wenn wir jetzt mehr Kif haben als vorher — wenn sie einen Ruf nach Verstärkung hinausbekommen haben…«
»Die Verzögerungszeit arbeitet für uns.«
»Irgend etwas muss auch«, meinte Pyanfar. »Götter, was würde ich um einen Kom geben!«
Haral schüttelte den Kopf und widmete ihre ganze Kraft dem Lenkrad, bremste ab, als sie den Abhang hinunter auf den Fluss zuholperten. Der Lastwagen rumpelte über die grasbewachsene Böschung, krallte sich über schlammigen Boden und über Steine hinweg, drehte sich und fand Halt an der gegenüberliegenden Böschung, fuhr diese hinauf und befand sich dann in Sichtweite des unansehnlichen Keils der Raus Glück, der immer näher kam.
Ein Licht blitzte, sonnenhell vor dem Schatten des Schiffes. Pyanfar deutete darauf und Haral nickte. Die Rau sahen sie kommen. Laufende Lichterreihen begannen in Rot und Weiß zu blitzen, ein Leuchtkode.
Es handelte sich um die Nachricht, die ihnen bereits bekannt war. Haral ließ die Scheinwerfer aufleuchten und griff verzweifelt zurück ans Lenkrad.
Planetare Geschwindigkeiten. In der Zeit, die sie gebraucht hatten, um so weit vom Haus wegzukommen, hätte ein Sprungschiff die Entfernung zwischen Welten zurücklegen können. Und vielleicht taten einige genau das. Der Han war intakt, die Versammlung der Holdings, die über die Politik entschied; aber der Verlust der Gaohn-Station… Sie verfluchte sich dafür, weil sie geglaubt hatte, jede Art Rache sei zu viel für Akukkakks Stolz, jeder Angriff auf Stationen… und er hatte einen durchgeführt… niemand in der ganzen Geschichte der zivilisierten Mächte hatte je eine Welt angegriffen…
Außer den Kif — es gab Gerüchte, dass sie es getan hatten zu den Zeiten, als sie von ihrer Heimatwelt aufgebrochen waren und untereinander um die Macht gestritten hatten. Gegen ihre eigene Welt hatten sie sich einst gewandt.